Vertrauen soft, Prüfung hart Die „Ampel“ hat noch vor der Wahl von Olaf Scholz zum Kanzler ein Problem. „Mehr Fortschritt wagen“ heißt die Überschrift des Koalitionsvertrags. Weit fortgeschritten ist aber derzeit nur die Corona-Pandemie. Von Michael Zäh
D
er Auftritt der Regierungshelden war bis ins Detail inszeniert. In breiter Reihe schritten die glorreichen Neun auf die Fotografen zu, fast ein bisschen in Zeitlupe, wie es sich vor einem Showdown gehört. Und selbst die Anordnung, wer wo in dieser Reihe ging, war keinesfalls dem Zufall geschuldet. Von links nach rechts: Michael Kellner (Grüne), Norbert-Walter Borjans (SPD), Annalena Baerbock und Robert Habeck (Grüne),Olaf Scholz (SPD), Christian Lindner und Volker Wissing (FDP), Saskia Esken und Lars Klingbeil (SPD). Mit dem Kanzlermann in der Mitte, mit den beiden Grünen-Chefs rechts von sich und dem FDP-Chef Lindner links von sich wurde sozusagen das neue Machtzentrum abgebildet, halt an den Rändern ergänzt durch andere Leute, die mal vielleicht noch brauchen kann, wie etwa die kommenden SPD-Chefs Esken und Klingbeil. Hübsch gemacht, aber ab jetzt droht die Realität. Man schrieb den 24. November 2021, als die „Ampel“ ihren Koalitionsvertrag vorstellte. Nach der bildlichen Inszenierung ging es auch mit den Wortmeldungen ungeheuer aufbruchsmäßig zu. Olaf Scholz sagte erwartbar, die Ampel sei „eine Koalition auf Augenhöhe, mit drei Partnern, die ihre Stärken einbringen zum Wohle unseres Landes.“ Klang natürlich voll kanzlermäßig, wo es doch auch Zeitgenossen gibt, die sich nicht so sicher sind, ob die drei Partner womöglich auch
8
Politik und Gesellschaft
ihre Schwächen mit einbringen in diese neue Regierung, die erstmals in Deutschland aus drei Parteien gebildet wird. Ein paar Tage später hat beispielsweise Kevin Kühnert, Vizechef beim der SPD, gegen die FDP ausgeteilt. Bei der Präsentation ihrer Absichten sollte das Bild einer Gemeinschaft entstehen, die ganz neue Kräfte entwickeln könne. So sagte Robert Habeck über den Koalitionsvertrag, er sei „ein Dokument des Mutes und der Zuversicht.“ Na ja, das stimmte wohl die Grünen auf die dann folgende Urabstimmung ein, die teilweise wirklich viel Mut und Zuversicht von den Mitgliedern erforderte. Annalena Baerbock erklärte (als künftige Außenministerin), man habe sich auf eine aktive und wertegeleitete Außenpolitik verständigt. Sprich: bewaffnete Drohnen. Christian Lindner, der ganz offensichtlich heimliche Gewinner des Koalitionsvertrags, sprach von einem gemeinsamen „Auftrag, dieses Land zu modernisieren.“ Dabei erwähnte er „die junge Generation“ (weil diese ja oft FDP gewählt hatte). Da Lindner sich als neuer Finanzminister durchgesetzt hat, sagte er süffisant, Deutschland bleibe „Anwalt solider Finanzen.“ Hätte er gleich sagen können, dass dieser Anwalt Lindner heißt und die FDP die Finanzen bestimmen werde. In diesem Lichte war Lindners kleiner Liebesgruß an seinen Vorgänger als Finanzminister und den künftigen Kanzler Olaf Scholz zu verstehen. Man
habe Olaf Scholz bei den Koalitionsverhandlungen „als starke Führungspersönlichkeit“ erlebt. Scholz könne auch Menschen repräsentieren, die nicht die SPD gewählt hätten, und werde „ein starker Kanzler“ sein, sagte Lindner. Was heißt hier „Fortschritt“? Der Koalitionsvertrag umfasst 177 Seiten und trägt den Titel: „Mehr Fortschritt wagen - Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit.“ Nimmt man die Leitsprüche des Wahlkampfes hier zum Maßstab, so kommt nach dem Wort „Bündnis“ zuerst das FDP-Motto, dann das der SPD und schließlich das Ding, für das die Grünen stehen sollen. Die Nachhaltigkeit als fünftes Rad am Wagen. Apropos: Freiheit für freie Fahrer auf deutschen Autobahnen geht vor, gell? Vor allem aber ist es die Headline: „Mehr Fortschritt wagen“, die quasi wie ein Kitt in dieser Koalition wirkt. Na klar, soll das zunächst einmal heißen, dass es in den letzten 16 Jahren unter der Führung von Merkel und der Union nur Stillstand gegeben habe. Das schweißt die neue Ampel zusammen. Joa, aber wo war eigentlich die SPD in den letzten Jahren des Stillstands? Hat nicht Olaf Scholz gerade darauf seinen Wahlkampf gebaut, dass er als Vizekanzler mit allen Wassern des Regierens gewaschen ist? Nun gut, mal von der kleinen Keule für die Stillstands-Union abgesehen, hat aber der Begriff ZAS MAGAZIN