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Liebe Leser, liebe Leserinnen, knapp 20 Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer hat sich der Fußball im Osten immer noch nicht von den Folgeschäden erholt. Misswirtschaft, Korruption und Fan-Gewalt schnüren den ehemaligen DDR-Vereinen die Luft zum Atmen ab. Das hat viele Gründe, auch die StasiVergangenheit einiger Akteure von damals. Ulf Kirsten gehört dazu, auch wenn IM „Knut Krüger“ seinem Geheimdienst nicht so von Nutzen war, wie man es sich eigentlich erhofft hatte. Sprechen möchte Kirsten – stellvertretend für viele andere – darüber trotzdem nicht. Als er unsere (durchaus zurückhaltenden) Interviewfragen am Telefon hörte, blaffte der ehemalige Offensivkönner nur barsch: „Diese Fragen sind mir zu kritisch.“ Und legte auf. Auch eine Antwort. Dafür haben andere Kenner der Szene Rede und Antwort gestanden, zusammen mit Ihnen sind wir der Frage nachgegangen: Was hat den Ost-Fußball bloß so ruiniert?

Kurz vor Redaktionsschluss jagte der FC Bayern München seinen als Angriffspapst und Heiland empfangenen Trainer Jürgen Klinsmann vom Hof. In der „Süddeutschen Zeitung“ fand sich einen Tag später ein Foto auf der Titelseite, dass den Weltmeister von 1990 am Steuer seines Firmenwagens zeigte. Darunter die Überschrift: „Spanien bestätigt Ansteckung: Schweinegrippe erreicht Europa“. Die natürlich einem noch ernsteren Thema zuzuordnen war. Wir haben uns trotzdem scheckig gelacht. Auch wenn im Süden der Republik niemand mehr was von Klinsmann wissen möchte, ein Satz seiner PKPredigten ist uns hängen geblieben: „Think big!“ Das haben wir verinnerlicht – ab sofort erscheint 3 Ecken Ein Elfer in 10.000-facher Auflage und in mehr als zehn ausgewählten Städten Deutschlands in schulterklopfender Kooperation mit der famosen Uni-Liga. Selbstredend weiterhin kostenlos. Sagt´s Eurem Bekanntenkreis. Und zu guter Letzt: allen Jungs und Mädels frohes Bolzen, wo und wie auch immer Ihr auch kicken solltet. Mögen Eure Kisten gefüllt sein, Bänder und Knochen halten und Euch in jedem Spiel ein Traumtor gelingen!

Walk on. Eure 3 Ecken Ein Elfer Redaktion

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Lese-Fieber Impressum

Ben Redelings Fußball ist nicht das Wichtigste im Leben – es ist das Einzige 192 S., Paperback ISBN 978-3-89533-617-1  9,90

ViSdP | Herausgeber | Redaktionsanschrift Alex Raack alex.raack@3eckeneinelfer.de | +49 179 93 15 583 Geismar Landstraße 52 | 37083 Göttingen Marketing & Kommunikation Christoph Köchy | Uni Liga GmbH christoph.koechy@uni-liga.de | +49 551 63 41 424

Ben Redelings ist »Fußball-Kulturschaffender in Vollzeit«, auf den Stadionrängen wie im Internet-TV. Er schildert einen Alltag voller Skurrilitäten und Philosophien.

Alex Raack |alex.raack@3eckeneinelfer.de +49 179 93 15 583 Olaf Schröder | +49 551 99 64 018 Layout, Konzept, Design studio2112 | Tobias Gehrt Kommunikatiosdesign studio2112.de | hello@studio2112.de Tumblingerstraße 17 | 80337 München +49 89 12 29 20 96 | +49 176 64 61 34 83

»So authentisch, präzise und ungemein witzig hat sein Nick Hornby kaum einer über Fußball geschrieben.« (Frank Goosen)

Autoren & Mitarbeiter Alex Raack (Chefredakteur) |Christoph Köchy Benjamin Hesse | Christoph Hoffmann | Eddy Kruse Jan Leder | Dominik Steinhoff | Martin Thaler Mark Tofall | Julian Track

Christoph Ruf »Ist doch ein geiler Verein« – Reisen in die Fußballprovinz 240 S., Paperback ISBN 978-3-89533-596-9  16,90

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Bilder DFB | Uni-Liga | jas | Stefan Lindecke | imago | sxc.hu | Patrick Nawe | Dynamo Dresden | Veit Pätzug | philippwente.com | Roter Stern Leipzig | 1. FC Kaiserslautern | Azhar Syed | Christoph Köchy | fotolia.de | istockphoto.com | stockxpert.com Sämtliche Texte und Fotos sind urheberrechtlich geschützt. Nachdruck, auch auszugsweise nur mit schriftlicher Genehmigung der Redaktion. Unaufgefordert eingesandte Manuskripte und Fotos sind erwünscht, können aber nicht zurück geschickt werden.

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„Adi“ Katzenmeier saß 45 Jahre lang auf der Ersatzbank der deutschen Nationalmannschaft – ohne auch nur einmal eingewechselt zu werden. Stattdessen behandelte „Katze“ verstauchte Knöchel und blutende Platzwunden. Einem Weltmeister rettete er gar das Leben. 2008 beendete er seine DFB-Karriere, heute betreibt Katzenmeier in Frankfurt eine Physiologische Praxis mit seiner Frau Sylvia. Uns beantwortet der „Mann mit den heilenden Händen“ („tz“) alle relevanten medizinischen Fragen zum Start der neuen Saison. Der Klassiker auf jedem Bolzplatz: ein umgeknicktes Gelenk. Was tun? Ich würde jeder Freizeitliga-Mannschaft raten, sich eine Eisbox zuzulegen. Ein Drittel Eis, zwei Drittel Wasser, fertig. Ein kühles Pils tut zur Not auch seinen Dienst auf einem geschwollenen Gelenk. Um einen umgeknickten Knöchel zu behandeln, sollten Idealbinde, Gazofixbinde (beide acht Zentimeter) und ein zehn Zentimeter breites und acht Zentimeter langes Stück Schaumgummi immer vorhanden sein. Den Schaumgummi zu einem „U“ schneiden und um das betroffene Gelenk legen. Ein quadratisches Stück auf den medialen Knöchel legen, also auf die andere Seite. Mit den Binden fest machen. Jetzt den Inhalt der Eisbox drüber kippen. Mehr könnt Ihr nicht machen. Die ewige Frage: Wasser oder Eis? Wasser! Wenn keine Eisbox vorhanden ist, einfach unter kaltes Wasser halten. Früher haben wir die Gelenke 20 Minuten lang mit Eis gekühlt – ohne zu wissen, dass dadurch eine Striktur provoziert wird, die Gefäße sich also mehr und mehr zusammen ziehen, bis beide Seiten am Knöchel Kontakt zueinander aufnehmen und verkleben. Da kommt kein Blut mehr durch. Ideal ist folgendes Prozedere: Drei Minuten mit (Eis-)Wasser kühlen. Eine Minute 6

Pause. Den Vorgang wiederholen. Zum Schluss noch einmal zwei Minuten kühlen. Was ist mit dem guten alten Eisspray? Würde ich dringend von abraten. Früher war es groß in Mode mit Eisspray zu arbeiten. Das sieht man heute im Profibereich nur noch selten bei ausländischen Mannschaften. Selbst ein Pionier wie Erich Deuser war dem Eisspray verfallen. Der hat uns auf Lehrgängen gesagt: der Zuschauer soll sehen, dass wir auf dem Platz arbeiten. Da muss richtiger Nebel aufsteigen! Also: ordentlich Eisspray drauf. Heute sehen wir das anders, wir können nicht genau sagen, aus was Eisspray besteht. Das Zeug enthält zum Beispiel Kohlenstoff, wenn man das zu lange auf die nackte Haut sprüht gibt es Verätzungen und Verbrennungen. Mit Eiswasser kann nichts passieren, bleibt dabei! Ist auch billiger, sagt meine Frau. Unsere Leser spielen auf zumeist unebenen Untergrund. Wie kann man sich hier vor Verletzungen schützen? Einen absoluten Schutz gibt es nie. Ganz wichtig natürlich: Warmlaufen und Warmarbeiten. Die Muskeln müssen auf schlechtem Gelände entsprechend locker sein. Das kombinieren mit Gymnastik und leichtem Stretching. Ich betone: leicht! Auf keinen Fall Extrem-Dehnen. Prophylaktisch sind Klebebinden und Tapeverband sinnvoll. Auf welche Folgeschäden muss sich auch ein Amateurfußballer im Alter einstellen? Ein Amateursportler unterliegt der gleichen Verletzungssymptomatik, wie der Hochleistungssportler. Klassisch sind Arthrose, Gelenkverschleiß, Probleme an den Sprunggelenken, der Achillessehne und vor allem: an der Hüfte. Auch die Wirbelsäule ist gefährdet, zum Beispiel bei Jubeltrauben. Als Andy Brehme nach

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Foto: DFB

seinem Elfmeter im Finale 1990 gegen Argentinien vom Rest der Mannschaft begraben wurde, habe ich Angst bekommen! Dieser Jubel ist absoluter Quatsch – fünf Körper drücken auf eine Wirbelsäule. Das kann über Verschiebungen der Wirbel, bis zu Lähmungserscheinungen führen. Ich sag euch, was mich sonst noch auf die Palme bringt: Wenn ein Torhüter während des Spiels Kaugummi kaut. Der braucht beim

Springen nur eine Schluckbewegung zu machen und schon hängt ihm das Ding in der Luftröhre. Was machst du dann? Guido Buchwald hat sich bei der EM 92 im Spiel gegen Schottland mal die Zunge verschluckt. Im Sprint habe ich gesehen, dass er zu ersticken drohte, also habe ich ihm die Zunge aus dem Hals gezogen. Zum Dank hat Guido einen Beißkrampf bekommen. Die Narbe an der Hand habe ich heute noch.


Ein Haufen junger Sportstudenten schockte 2008 die Göttinger Uni Liga. Mit Schirm, Charme und Kulturtäschchen. Wie das „Weiße Ballett“ das Sportzentrum rockte. Text: Alex Raack / Fotos: Uni Liga Die Althauer von Lok Lazarett kämmten sich noch die grauen Haare zusammen und fast wäre den Routiniers der Uni Liga Göttingen (Durchschnittsalter: 58) das Pfeifchen aus dem Mundwinkel gefallen – denn der FinalGegner ließ erstmals von sich hören. In Form einer dumpfen Hupe. Im nächsten Moment bog ein knallevoller Reisebus um die Ecke, umkurvte geschickt das Gelände am Göttinger Unisportzentrum und parkte vor dem Kabinentrakt. „Das glaube ich jetzt nicht“, hustete altersschwach Lok-Chef Salla a.k.a Uni-LigaObermacker Christoph Köchy und putzte sich die Hornbrille. Aus dem Reisegefährt schälten sich 50 blutjunge Männlein und Weiblein, komplett in ein unschuldiges Weiß gehüllt. Die Spieler: mit Sonnenbrille, I-Pod, Badelatschen und silberfarbenen Kulturbeutelchen, umjubelt wie Reiner Calmund auf dem Weg in die Fastenzeit. Willkommen beim „Weißen Ballett“, Göttingens kreativstem Fußball-Export seit Lothar Sippels Vokuhila.

Salla putzt die Hornbrille „Du weißt immer, wann das Ballett spielt“, trompetet Marc Müller fröhlich ins Diktiergerät. Der Sportstudent muss es wissen, schließlich ist er geistiger Vater und Schlagader des weißen Wahnsinns. Erst 2008 formierte sich ein Team aus Erstsemestern von Müllers Fachrichtung. Szenekundiger Teamname der frisch geschlüpften Hobbytruppe: „Die Titelverteidiger“. Reichlich selbstbewusst gestaltete sich auch die Trikotwahl der Neu-Studenten: von Kopf bis 8

Fuß hüllten sich die Spieler in zartes Weiß, jetzt, dachte der Uni-Liga-Neuling „können wir auch einen auf weißes Ballett machen.“ Spätestens nach der Vorrunde war die namentliche Metamorphose perfekt. Dem Team-Käpt´n, einem bulligen Kerl der Marke Führungsspieler, werden die Augen feucht, wenn er sich an die Saison erinnert. „Wir wollten den MET-Titel“, sagt Müller und meint den „Most Entertainment Award“, den die spendablen Uni-Liga-Organisatoren für Göttingen ausgeschrieben hatten. Das „Weiße Ballett“ tat einiges für die große Show. Kaufte schicke Trainingsanzüge (silberfarben) und Wimpel, die durchschnittlich 30 Köpfe zählende Anhängerschar bezahlte Banner, Rasseln, Fahnen und Trommeln. Alles, was ein Spiel braucht. Für geschmeidige Bambule war zukünftig gesorgt, jedenfalls dann, wenn das Ballett einen auf Silberrücken machte und den Gegner mit aufreizend erhabenen Auftritten zur Weißglut brachte. „Mit einer Spur gespielte Arroganz“, nennt das Mittelfeld-Zweitakter Müller und verweist gleichzeitig auf die wohl talentierte, aber ehrliche Feldarbeit seiner Mannen. Für den Fall der Fälle haben die weiß getünchten Bolzplatzheroen einen ausgebildeten Kampfsportler zwischen den Pfosten stehen, „ungemein reaktionsschnell“, sagt Müller schulterklopfend. Ah ja.

Bambule mit den Silberrücken Die Uni-Liga-Gaudi war unter den Sport-Erstsemestern schnell ein Fixpunkt im knüppelharten

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(hüstel…) Uni-Alltag, der Ballett-Vortänzer bekommt fast prä-kommunistische Züge, wenn er vom gewachsenen Kollektiv spricht. Im Ernst: „Unglaublich, welchen Einfluss der Uni-LigaFußball hatte, unsere Spiele haben das ganze Semester zusammen geschweißt.“ Es wird noch besser: im Finale gegen Lok Lazarett gewinnt das Ballett, auch weil Oberhäuptling Köchy einen Strafstoß kläglich in die Regenwolken hämmert. „Ich bin weggerutscht“, versucht sich Köchy auf Nachfrage der Verantwortung zu entziehen – und bricht in Tränen aus. Beim

Ballett hatte die Party da erst begonnen. Sie endete am Morgen nach dem Finale – bei einer Klausur. Meister Müller hatte sich altklug der Anwesenheit entzogen, stand zu früher Stunde aber ebenfalls auf der Matte. „Ich habe den Uni-Liga-Pokal auf das Pult gestellt und gesagt ´So, dann macht mal´.“ Für die Saison 2009 will sich der amtierende MET-Sieger wieder neue weiße Ferkelleien ausdenken. „Wir planen weiße Samthandschuhe bei den Spielen“, sagt Müller und muss noch nicht einmal grinsen.

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Text: Alex Raack | Fotos: jas Hoch im Norden, das weiß man, werden Traditionen noch liebevoll gepflegt. Ganz ohne Oktoberfest und knallenge Lederprinten. In der Uni Liga Kiel spielen seit einem halben Jahrzehnt Deutsch gegen Englisch, Mathe gegen Medizin und Jura gegen Geologie. Fußball, wohlgemerkt. 24 Teams wühlen sich auch 2009 in Kiel wieder über Stock, Stein und Rasenreste.

Besonderheit: die Mannschaften rekrutieren sich aus den jeweiligen Instituten der ansässigen Universitäten. Ausnahmen gibt es keine. „Doch“, grätscht Jan Ottensmann dazwischen. „Otti“, wie der 27-Jäh10

rige von Flensburg bis Freiburg gerufen wird, ist das Nervenzentrum des Kieler Uni-Gebolzes. Zusammen mit dem umtriebigen Kollegen Dirk Fekkers, einem Lateinstudenten, hat der Kieler im vergangenen Jahr die schwere Bürde von Uni-Liga-Vadder Johannes Heil übernommen. Die Jungs aus dem Norden haben aber nicht nur alle ulkige Namen,

sondern sorgen dafür, dass in der Handball-Stadt ein fußballerisches Kleinod am Leben gehalten wird. 24 Teams kicken in der Liga – da waren wir bereits. Die Formalitäten klingen bürokratisch: sechs Gruppen, K.o.-Runde ab dem Achtelfina-

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le, Spielzeit: zweimal 25 Minuten, 7+1 Spieler und mit dem Lineal abgemessene immer gleiche Spielfeldgröße. Man will es ganz genau wissen in Kiel, auch bei der Spielerwahl. Fachfremde Studenten sind in den Mannschaften nicht erlaubt, mit einer Ausnahme: Der Legionärsregel. Häuptling Otti (Ottensmann über Otti: „Ein langhaa-

riger Bombenleger.“) erläutert das Kleingedruckte: „Jedes Team hat die Möglichkeit einen Legionär aus einem artfremden Bereich anzumelden. Bei uns Deutschstudenten der ´Sportfreunde Schiller´ spielt beispielsweise ein Informatiker mit.“ Weitere Zahlen: mindestens 12, maximal 20 Bolzer sind erlaubt und müssen sich vor dem Sai-

sonstart mit Namen, Matrikel- und Rückennummer anmelden. Pro studentischer Nase entfallen zehn Euro für einen Sommer Spaßgebuffe. Nach der Vorrunde hat jedes Team die Möglichkeit zwei Spieler nachzunominieren. Wer kann schon wissen, wie viele Außen-

bänder sich während der Gruppenphase für die Trennung entscheiden?

Langhaarige Bombenleger Dass die Kieler Bolzgemeinde die Regularien auch einhält, dafür sorgt der Spielerrat. Wieder so eine Einrichtung, die auf das schleswig-holsteinische Organisationstalent hinweist. Otti sagt, was Sache ist: „Der Rat trifft sich alle sechs Wo-

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chen und fungiert, wie eine Art Kontrollorgan. Jede Mannschaft muss vor dem ersten Anstoß einen Kapitän und einen Manager stellen.“ Warum bloß? „Die Liga funktioniert nach dem Solidaritätsprinzip“, antwortet der Student für Soziologie, Literatur- und Medienwissenschaften, „jedes Team muss ein einem Spieltag für den reibungslosen Ablauf sorgen.“ Das heißt: Aufbau und Abbau, Bier- und Würstchenverkauf. Die klugen Kieler von

der Küste bezahlen mit jeder verfütterten Brat die vom Verband gestellten Schiedsrichter. Und das Kontrollorgan kann auch böse werden: als sich einst die Riege der Sportstudenten aufführte wie Wattwürmer auf Crack, senkte der Spielerrat die Daumen und 12

qualifizierte die disziplinlosen Sportler. Für ein feines Rahmenprogramm sorgt dann wieder das Duo Ottensmann/Fekkers. 2009 werden die einst aus dem Programm genommenen Mannschaftshymnen wieder vom Tonband gespult. Ob der Spielerrat auch bei grob unsportlichen Musikstücken a lá DJ Ötzi einschreitet haben wir vergessen zu fragen.

Man kann nur auf strenges Durchgreifen aller zur Verfügung stehender Maßnahmen hoffen.

Punini-Sticker in der Campus-Bib Eine Riesensache, aber für die laufende Spielzeit als nicht rechtzeitig realisierbar eingestuft, sind

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die Punini-Heftchen. Angelehnt an den Klassiker aus dem Hause Panini hatten die Nordlichter vor einigen Jahren Album samt Sammelbildchen sämtlicher

Uni-Liga-Teilnehmer auf den Markt geworfen. Plastiktütchen á sechs Sticker waren in den jeweiligen CampusBibliothek käuflich zu erwerben. Tausche dreimal Otti gegen einmal Heil! „Vielleicht machen wir das nächstes Jahr wieder“, spekuliert der Organisator.

nicht wenigstens ein paar gepflegte Rivalitäten aufrecht erhalten werden. Auch damit

kann der sympathische Bombenleger dienen, die Parallelen zum professionalisierten Ballsport auf höchster Ebene sind verblüffend: „Deutsch gegen Englisch ist immer brisant. Da fliegen ordentlich die Fetzen.“

Aber: alle Tradition ist Schall und Rauch, wenn 3 EckenEinElfer

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Hallensaison aus Matsch und Asche gezerrt, zum Friseur geschickt, die Falten weggebügelt und die Trikots gestärkt. Zum Fototermin mit 3 Ecken Ein Elfer-Schönheitschirurg Stefan Lindecke gab es Lachshäppchen und Prosecco.

Fotos: www.stefan-lindecke.de

Die Jungs von Collateralia Utelitia grätschen normalerweise über zerfurchte Bolzplätze der Bunten Liga Marburg. Ein schmutziges Geschäft. Wir haben den Meister der vergangenen

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Text: Alex Raack | Fotos: imago, sxc.hu

Motorräder. Die Verantwortlichen vom BFC Dynamo aus Berlin konnten nicht glauben, was sie da sahen. 300 motorisierte Zweiräder asiatischen Fabrikats, fein säuberlich aufgereiht auf dem Vereinsgelände in Alt-Hohenschönhausen. Ein weiterer Coup des allmächtigen Leverkusener Managers Rainer Calmund. Der hatte vertraglich festlegen lassen, dass ein Teil der Ablösesumme für den heiß umworbenen Andreas Thom in Naturalien beglichen werden würde. Motorräder! Der BFC Dynamo hatte eines der größten Nachwuchstalente Europas für eine knatternde Blechlawine verkauft. Die Transferposse um Andreas Thom, der im Januar 1990 offiziell für 2,8 Millionen Mark als erster DDR-Fußballer in die Bundesliga wechselte, ist Randnotiz in der Geschichte von bald 20 Jahren einheitsdeutschem Fußball. Fast schon ein Mysterium, denn die Protagonisten von damals 16

verfallen bei dem Thema in kollektives Schweigen. Calmunds Abwerbung steht sinnbildlich für ein Verhältnis zwischen Ost und West, das zu keiner Zeit auf Augenhöhe stattfand. Wo liegen die Ursachen für das Scheitern der Vereine, für die ungezählten Finanzirrtümer und Insolvenzen? Warum sind einst ruhmreiche Klubs in der Versenkung verschwunden, und weshalb schlagen sich ihre Fans scheinbar im wöchentlichen Rhythmus auf den Rängen die Schädel ein? Liegt die Schuld vielleicht bei den Vereinen? Es gibt schlimme Geschichten, wie die des legendären Trainer Dragoslav Stepanovic, der vor der Jahrtausendwende als Übungsleiter beim VfB Leipzig ein legendäres monatliches Gehalt von 40.000 Mark kassierte. In der dritten Liga. „Im Prinzip ist im Fußball dasselbe passiert, was auf politischer Ebene geschah“, sagt Christoph Dieckmann. Dieckmann ist Autor für „DIE ZEIT“,

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und nach eigener Aussage der „Quoten-Ossi“ im Hamburger Wochenmagazin. „Eine marode Gesellschaft ist auf eine intakte gestoßen. Die intakte Gesellschaft brauchte die marode Gesellschaft natürlich überhaupt nicht.“ Als sich 1989/90 die Grenzen öffneten, traf das den Ost-Fußball wie einen Keulenschlag. Ost und West waren sich auch auf dem Fußballplatz fremd. „Wir hatten nicht die nötigen Kompetenzen“, erinnert sich Ralf Minge, Vereinslegende und bis vor kurzem Sportdirektor bei Dynamo Dresden. Transferverfahren, Lizensierung, Sponsoring – Fremdwörter für die Verantwortlichen. Die eigentlichen Schutzpatrone der Fußball-Vereine in der DDR waren die jeweiligen SED-Bezirkssekretäre. Große Fußballfans, die eifersüchtig über ihre Kicker wachten. Und so eine Struktur „geht plötzlich krachen“, beschreibt Dieckmann, selbst Anhänger von Carl Zeiss Jena, die Jahre nach dem Mauerfall, „man bewegt sich von einem Tag auf den anderen auf einem Markt, von dem man keine Ahnung hat.“ Als die innerdeutschen Grenzen aufgeweicht werden, verlassen die Fußballer scharenweise das Land. Ein personeller Verlust, der den Niedergang der kommenden Jahre beschleunigen wird.

Calmund wilderte im Nachwuchsbereich Doch Thom, Doll und Kirsten sind nur die Spitze des Eisberges, die jungen Super-Talente werden in ganz Europa gejagt. Der Wechsel von Ulf Kirsten zu Inter Mailand scheitert nur daran, dass die Italiener Kirsten einen Privatjet vor die Tür stellen, der den Dresdener Stürmer zur Vertragsunterzeichnung fliegen soll. Problem nur: Kirsten leidet unter schrecklicher Flugangst. Und geht zu Bayer Leverkusen. Was viel schlimmer ist: den Vereinen bricht die Basis weg, die Kompetenzen folgen dem Ruf der West-Mark. Eduard Geyer, der letzte Nationaltrainer der DDR, ist nach der Wende plötzlich Talentspäher für Schalke 04. Doch die westdeutschen Vereine reißen sich nicht nur gestandene Spieler unter den Nagel. „Calmund zum Beispiel hat nicht nur im Seniorenbereich gewildert“, weiß Hanns Leske, Autor des Buches „Erich Mielke, die Stasi und das runde Leder“, „der hat sich auch im Nachwuchsbereich bedient.“ Talentierte B- und A-Jugendliche wechselten ihren Wohnort und rannten dem Ball in Leverkusen hinterher. Leske weiter: „Wenn die dann in den

Profi-Bereich wechselten, stand im Kader ´Neuzugang: eigener Nachwuchs´. Das war natürlich eine Frechheit.“ „Sie müssen sich das vorstellen, wie einen Thüringer Handwerksverein“, setzt „ZEIT“-Journalist Dieckmann die Argumentation fort: „der Meister bildet seinen Lehrling aus und wenn der Lehrling was kann, dann haut er ab. Dorthin, wo er richtig Geld bekommt. Und der Meister ist der Dumme, weil er umsonst ausgebildet hat.“ Im Klartext: ein Großteil der talentierten Fußballer verließ nach der Wende die DDR, ohne, dass die Klubs verhältnismäßig entschädigt wurden. Der FußballOsten, er blutete aus. Dabei sind Millionen geflossen, jedenfalls für die großen Namen. Zwischen 1990 und 1992 wurde durchaus Geld Richtung Jena, Berlin oder Leipzig überwiesen, nur: wo das Geld letztlich versiegte, weiß heute keiner mehr. „Beim BFC Dynamo waren es alleine zehn Millionen Mark. Jahre später war von dem Geld nichts mehr da. Niemand weiß, wo es hin ist. Ich habe mal den ehemaligen BFC-Keeper Bodo Rudwaleit gesprochen, der konnte mir auch nicht sagen, wo die Millionen versandet sind“, sagt Hanns Leske. In die längst überfällige Sanierung der maroden Stadionbauten jedenfalls nicht. Olaf Bodden, 1991 einer der ersten „Wessis“, die in den Osten rüber machten, erinnert sich: „Als ich damals nach Rostock kam, sah es teilweise aus, wie nach dem zweiten Weltkrieg. Alles grau in grau. Da hat man ganz deutlich gesehen, dass seit Jahrzehnten Misswirtschaft betrieben wurde.“

„Wie ein Thüringer Handwerksverein“ Doch woher sollten die Kompetenzen auch kommen? In der freien Marktwirtschaft gingen die Vereinsverantwortlichen gnadenlos unter. Als Christoph Dieckmann vor einigen Jahren nach Dresden reiste, um eine Reportage über Dynamo zu verfassen, geriet er in eine unvergessene Diskussion mit dem Ehrenvorsitzenden Volker Oppitz: „Oppitz sagte zu mir: ´Herr Dieckmann, was meinen sie, was passiert, wenn ein schönes, großes, buntes Zootier in die Wildnis entlassen wird?´ Ich zu ihm: ´Es wird gefressen.´ Er schaut mich an und sagt: ´Genau!´“

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Völlig übergangslos in den Kapitalismus entlassen taumelten die Vereine ausgerechnet einer ganz speziellen Spezies Mensch in die Arme: im Kapitalismus geformte Unternehmer der Baubranche. Baulöwen. Christoph Ruf ist Sportredakteur bei „spiegel-online“. Für sein prämiertes Buch „Ist doch ein geiler Verein“ bereiste Ruf ausführlich den Fußball-Osten. Er sagt: „Die ersten Wessis, die damals in den Osten gegangen sind, waren nicht die sympathischsten Menschen, sondern dubiose Geschäftemacher, die in ihrer Heimat völlig zu Recht einen beschissenen Ruf hatten. Die haben die marktwirtschaftliche Unbeflecktheit der Leute gnadenlos ausgenutzt.“ Ein West-Import mit Folgen. „Die Vereine sind gnadenlos kaputt gewirtschaftet worden“, erzürnt sich Matthias Sammer, einer der zwölf Spieler, die im ursprünglichen 36-Mann-Kader der DDR im letzten Länderspiel gegen Belgien noch den Mumm hatten für ihr zerbröckelndes Heimatland aufzulaufen. Nicht mal ein Jahr nach der Öffnung der Grenze saßen in fast jedem Ost-Klub Bauunternehmer am Ruder. Von den Folgen haben sich viele immer noch nicht erholt: Rot-Weiß Erfurt hat bis zum heutigen Tag 19 Präsidenten verschlissen. Frank Willmann, Buch-Autor (u.a.: „Fußballland DDR“) und Kenner des Ost-Fußballs sagt: „Die18

se Menschen haben die Fußball-Klubs benutzt, um an die entsprechende Klientel in den Städten ranzukommen und Bau-Aufträge zu kassieren.“ Union Berlin hatte in kurzer Zeit gleich drei solcher Unternehmer, die über den Klub aus BerlinKöpenick an große Flächen günstiges Pachtland zu kommen versuchten. Willmann hat noch einen Zusatz zu vermelden, der aufhorchen lässt: „Das alles hat den DFB nicht interessiert. Der hat die Ost-Vereine an der ausgestreckten Hand verhungern lassen.“

„DFB hat Vereine verhungern lassen“ Die Rolle des Deutschen Fußball-Bundes im Strudel der Ereignisse lässt sich heute nicht genau beurteilen. Willmann ist sich dennoch sicher, „dass die DFB-Spitze von lauter Flachpfeifen besetzt war. Das waren Menschen, die überhaupt nicht strategisch denken konnten.“ Funktionäre aus der DDR wurden „fallen gelassen, wie heiße Kartoffeln. Man hat nicht versucht an einem Strang zu ziehen, sondern sich wie ein Sieger verhalten.“ Desinteresse, Arroganz, Überheblichkeit – Willmanns Anklageliste ist lang. Zumindest scheint der Verband die völlig einzigartige Situation der Wiedervereinigung nicht entscheidend

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einzuordnen gewusst zu haben. Im Jahr der ersten deutsch-deutschen Fußballsaison schickte der DFB einfach 20 statt 18 Vereine in der Bundesliga ins Rennen. Hansa Rostock, letzter Meister der DDR-Oberliga, und der Zweitplatzierte Dynamo Dresden schafften den Sprung. „Die Bundesliga hat die Vereine ja nicht einmal aufgenommen, die Liga wurde einfach aufgestockt“, beschwert sich „ZEIT“Journalist Dieckmann. Noch weniger als in der Politik hatte man im Fußball die gesellschaftliche und soziale Ausnahmesituation der Wende erkannt. „Man kann es auch sarkastisch sagen“, fügt Hanns Leske hinzu, „es herrschte eher eine Anschlussmentalität. Die BRD war gerade erst Weltmeister geworden und plötzlich kommt nun dieses kleine Land dazu.“ Profitieren konnten davon lediglich die West-Vereine. „Man hat sich am reichhaltigen Angebot der vorhandenen Ressourcen bedient und dabei Wüsten hinterlassen“, sagt Leske, „aber das ist nun mal die Ideologie des Kapitalismus: raffen, raffen, raffen ohne zu erkennen, dass die eigenen Quellen damit zerstört werden.“ Auch von West nach Ost fanden Transfers statt, doch das, was Anfang der 90er-Jahre bei den ehemaligen Klubs der DDR-Oberliga aufschlug, war größtenteils „der absolute Schrott. Wenn ich an Jimmy Hartwig denke, klappen sich bei mir jetzt noch die Fußnägel hoch. Der hat als Trainer Sachsen Leipzig zu Grunde gerichtet“, ärgert sich Frank Willmann. Die Spieler weg, die Vereine ruiniert, die Aussichten trüb – für Fußball-Fans im Osten entpuppte sich die Wiedervereinigung als Katastrophe. Das Gewaltpotential, in vielen Fangruppierungen schon lange vor der Wende vorhanden, wuchs dramatisch an. Im „wilden Osten“ machten schlimme Geschichten von radikalisierten Fans die Runde, in Leipzig, Zwickau oder Magde-

burg lieferten sich die Anhänger wilde Schlachten. Die Gegenwart scheint nicht viel besser auszusehen. „Man muss da unterscheiden“, tritt „spiegel-online“-Redakteur Christoph Ruf auf die Bremse, „ich habe den Eindruck, dass generell in den neuen Bundesländern Jugendkulturen ausdifferenzierter sind. Auch politisch.“ Sein Kollege Christoph Dieckmann stößt ins gleiche Horn: „Vor meiner Reportage in Dresden wurde ich mit dem Auftrag losgeschickt: Schau doch mal, was bei Dynamo passiert, das soll so ein NaziVerein sein. Das ist natürlich völliger Blödsinn.“ Die Ultras, so Dieckmann seien ohnehin völlig unpolitisch. „Die Jungs wollen zwar auch böse Jungs sein, aber die Szene ist sehr jugendlich.“ Allerdings, erklärt der in Rathenow geborene Journalist, gebe es im Osten viel mehr Menschen, die sich ungebraucht und nicht abgeholt fühlen würden. „Irgendwie wollen sich die jungen Menschen doch auch spüren. Also lebt man zum Beispiel für den 1. FC Magdeburg. Die Identifikation mit dem Verein wird übersteigert und zum EigenGefühl deklariert.“

Im Osten nur Nazis? „Blödsinn!“ Hanns Leske sieht die Dinge etwas anders: „Sehr viele Fans sind rechtsradikal und gewaltbereit. Anhänger von Lok Leipzig, die in Zwickau randalieren. Union-Fans, die den Paderborner Bahnhof zerlegen. Das sind keine Ausnahmen.“ Die aktuelle Fan-Kultur im Westen sei Produkt jahrelanger mühsamer Arbeit an der Basis. Fanprojekte haben dafür gesorgt, dass rechtsradikale Fan-Gruppierungen wie die Dortmunder „Borussen-Front“ der Vergangenheit angehören. Ein zeitlicher Vorsprung, der im Osten (noch) nicht aufgeholt ist. Aber: für intensive Fanprojekte braucht man nicht nur Zeit, sondern vor allem Geld. Geld, das in den unteren Amateurligen nicht vorhanden ist. „Wenn die radikale Fankultur in Stadien ausgelebt wird, in denen die Polizei rettungslos unterlegen ist, haben sie den Krawall“, sagt Leske. Ob dieses Problem ein rein ostdeutsches Problem ist, darf zumindest bezweifelt werden. „Wenn sie nach Wuppertal oder Mannheim fahren, finden sie dort ganz ähnliche Verhältnisse, wie in Leipzig oder Magdeburg“, erläutert der Fußball-Berufsreisende Christoph Ruf.

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Rechtsextremismus als Folge der falsch interpretierten Wiedervereinigung bleibt trotzdem – und vor allem in Fußball-Vereinen der ehemaligen DDR – ein Thema. Wer sich im „real existierenden Sozialismus“ als Nazi outete, stand schnell im Fokus der Öffentlichkeit (bzw.: der Stasi). Radikaler konnte der Protest gegen die DDR-Regierung nicht sein. Ein politischer Protest auf den Rängen also, der mit der Wiedervereinigung nicht davon gespült wurde. Im Gegenteil: Arbeitslosigkeit, Perspektivlosigkeit und das von Christoph Dieckmann angesprochene Gefühl des „nicht abgeholt seins“ – es hat neonazistischen Menschenfängern die Saat ausgestreut. Nicht zuletzt deshalb ist die Fanszene von Lok Leipzig als „rechts“ eingestuft, weil auf den Tribünen Schergen der NPD Werbung für ihre Partei machten. Die Gründe für das Schicksal des Ost-Fußball sind vielfältig, die Probleme noch längst nicht beseitigt. Zum Zeitpunkt des Redaktionsschlusses kämpfen die einzigen beiden verbliebenen Ost-Klubs in den ersten beiden deutschen Profiligen – Energie Cottbus und Hansa Rostock – verzweifelt gegen den Abstieg. „Warum hat es Cottbus wohl so schwer, sich in der 1. Liga zu halten?“, fragt Christoph Ruf und antwortet sich selbst: „Weil sie seit Jahren den mit Abstand geringsten Etat der Liga haben, weil Sponsoren und Geldgeber in der Region sehr rar sind. Wer schon mal in der Lausitz war, erkennt das Dilemma. Wo soll da das Geld auch herkommen?“ Hansa Rostock muss für seine 7,5 Millionen Euro Jahresetat sehr viele Klinken putzen. Den Betrag teilen sich gleich 150 Sponsoren.

Leipzig: die tragische Stadt Ein Teufelskreis, der in anderen Städten noch um weitere Probleme ergänzt wird. Für Christoph Dieckmann ist Leipzig die „tragische Stadt des Ostfußballs“. Zweigeteilt durch die Rivalität zwischen Lok und Sachsen verlieren die im fußballerischen Niemandsland herumkrebsenden Klubs ihre Identität und ihre Geschichte. Den Höhepunkt des tief sitzenden Hasses erreichte Fußball-Leipzig im Dezember 2007 als 50 bewaffnete und maskierte Fans von Lok eine Weihnachtsfeier von Sachsen-Ultras überfielen, ihre Opfer kran20

kenhausreif prügelten und das Klubheim in seine Einzelteile zerlegten. „Nur noch krank und kriminell“, zitierte damals „spiegel-online“-Redakteur Christoph Ruf in der Schlagzeile. Normale Zuschauer bleiben den Spielen fern, schon deshalb, weil die Leipziger Klubs meilenweit davon entfernt sind, gut verdaulichen Attraktions-Fußball zu zeigen. „Dabei hat Leipzig das Potential und die Begeisterungsfähigkeit für einen Erstligaklub“, befindet Dieckmann, der auf das mit 43.000 Zuschauern bis auf den letzten Platz ausverkaufte Länderspiel Ende März im Leipziger Zentralstadion verweist. Der Gegner: Liechtenstein. Die Probleme in Leipzig aber bleiben hausgemacht. Anfang März 2009 meldete Regionalligist Sachsen Insolvenz an. Zum zweiten Mal nach 2001 ist der Verein pleite. Dem Stadtkonkurrenten geht es nicht anders. 1999 und 2004 meldete sich der damals noch VfB genannte Klub zur Insolvenz an und startete als Lok Leipzig ganz unten – in der dritten Kreisklasse. Als Lok 2004 Eintracht Großdeuben II in der neuen Liga empfängt, kommen 12.5000 zahlende Zuschauer. Ein neuer Weltrekord. Doch: Wie lange können die Vereine die Hingabe ihrer Zuschauer noch strapazieren? Für Hanns Leske, der in seinem Buch „Erich Mielke, die Stasi und das runde Leder“ eine Vielzahl an Akteuren aus dem Fußball der Stasi-Vergangenheit überführte, liegen die Gründe für das Brachliegen von Fan-Kultur und wirtschaftlicher Potenz auch fernab von Mittelkreis und Eckfahne. „Es ist ein Führungsproblem. Der Nordostdeutsche Fußball-Verband bekommt die Probleme nicht in Griff, bzw. ignoriert sie einfach. Der Verbands-Vorsitzende Hans-Georg Moldenhauer war früher selbst bei der Stasi. Der Vorsitzende der Sicherheitskommission ist Bernd Stumpf, nach eigenen Angaben früherer IM und zeitweise sogar hauptamtlich für die Stasi tätig.“ Als Stumpf, ein ehemaliger Schiedsrichter, einen Kollegen dabei ertappte, wie dieser seine aus der BRD mitgebrachten Schiedsrichterpfeifen präsentierte, denunzierte er ihn bei der Staatssicherheit. „Vor zwei Jahren hat Stumpf erklärt, dass er heute wieder ganz genauso handeln würde. Und diese Menschen sitzen in führenden Positionen und sollen die Geschicke im Ost-Fußball leiten. Dabei fehlt ihnen jegliches demokratisches Ver-

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ständnis.“ Die alten SED-Klüngel, sie seien noch immer aktiv, sagt Leske. Im Sport, in der Politik, in den Medien. „Die alten Seilschaften bestehen noch“, erklärt Leske und nennt das „einheitsbedingte Kollateralschäden.“

Mensch gewordene Starthilfekabel Bleibt die Frage, was man hätte besser machen können. Reine Utopie, aber durchaus interessant. Politikwissenschaftler Leske ist sich über den eigenen idealistischen Ansatz bewusst, er findet: „Man hätte versuchen müssen bestimmte Übergangsfristen einzuführen, beispielsweise eine dreijährige Schutzfrist für Nachwuchsspieler. So hätte man auf Dauer vielleicht fünf oder sechs Vereine in den beiden Bundesligen etablieren können.“ Leske selbst war von 1979 bis 1999 Mitglied der Bezirksverordnetenversammlung in Berlin-Schöneberg, unter anderem als Vorsitzender der SPD-Fraktion. Als deren baupolitischer Sprecher war er an Maßnahmen beteiligt, die auch im Fußball hätten Modell stehen können: „Wir haben nach der Wiedervereinigung unsere besten leitenden Beamte der Bezirksverwaltung zeitweise nach Weißensee geschickt, die haben dort die Verwaltung mit aufgebaut.“ Mensch gewordene Starthilfekabel. „Ganz genau. Der DFB hätte ähnlich handeln können. Wenn Dortmund, Bremen und Leverkusen jeweils zwei fähige Mitarbeiter Richtung Magdeburg, Leipzig oder Rostock geschickt hätten, wären dort vermutlich gesündere Strukturen gewachsen.“ Die Aufgaben vor Ort wären jedenfalls massenhaft vorhanden gewesen. Als die ersten Menschen legal die innerdeutsche Grenze passierten, hatte Dynamo Dresden als Polizeisportverein noch den Status eines Volkspolizeikreisamtes. Nur ein paar Jahre später wurde aus dem Fußballverein Borussia Dortmund eine Aktiengesellschaft. Die Zukunftsaussichten sehen düster aus. Frank Willmann malt den Teufel an die Wand. „Ich gebe dem Ost-Fußball überhaupt keine Chance mehr. Die einzige Möglichkeit besteht darin, dass irgendein Dummer auftaucht und sein Geld in die Klubs pumpt. Ansonsten ist es wie auf wirtschaftlicher Ebene. Sehen sie sich Mecklenburg-Vorpommern an: das ist tot.“ Weniger apokalyptisch,

aber trotzdem unzureichend für potentiellen Erfolg bewerten Dieckmann und Leske die Situation. „Ich denke nicht, dass sich in den kommenden 10 oder 20 Jahren mehr als zwei Vereine aus der ehemaligen DDR in der 1. Bundesliga festsetzen können. Dafür ist die Region wirtschaftlich einfach zu schwach“, glaubt der „ZEIT“-Journalist. Leske sagt: „Die nächsten zehn Jahre werden unwahrscheinlich bitter. Es wird ein knallhartes Ausscheidungsringen geben, einige werden es schaffen, andere werden gnadenlos wegrasiert. Der Kuchen ist so klein, und nur ein paar Vereine bekommen ein Stück. Der Fußball-Osten wird eine öde Steppe werden und zwischendurch stehen zwei oder drei Leuchttürme.“ Fast hätte es vor drei Jahren den Spatenstich für den ersten Leuchtturm Ost gegeben. Die Alleskäufer von Brause-Hersteller Red Bull zeigten sich interessiert an einer Übernahme von Sachsen Leipzig. Letztlich scheiterte das Vorhaben. Ein Retortenklub a lá TSG Hoffenheim in Sachsen? „Warum nicht?“, fragt Christoph Ruf, der einem vergleichbaren Projekt durchaus eine realistische Chance geben würde. „Wie gesagt, das Eventpublikum ist vorhanden, das Stadion steht in Leipzig schon. Mir würde es als Fußball-Fan dann genauso gehen, wie aktuell in der Rhein-NeckarRegion: um mich unterhalten zu lassen, gehe ich zur TSG Hoffenheim. Doch was mich bewegt, was mich berührt, finde ich ein paar Kilometer weiter bei Waldhof Mannheim. Da, wo Fußball noch geatmet wird. Wenn Leipzig einen Bundesligisten aus dem Boden stampfen würde, kämen zwar keine Chemiker oder Lok-Fans – die Hütte wäre trotzdem gerammelt voll.“ Jürgen Rische, 38, spielte vier Jahre lang in Leipzig. Später wurde er Meister mit dem 1. FC Kaiserslautern, im Herbst seiner Karriere hielt er noch für Eintracht Braunschweig die Knochen hin. 20 Jahre Einheit, 20 Jahre Ost-Fußball? Er hat es miterlebt, den Ball am Fuß. Im Interview scheint er die Fragen nach der Zukunft zu meiden. Dann sagt er leise: „Geld schießt keine Tore. Aber es hilft. Es hilft.“

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„FuSSball unter besonderen Vora Interview: Alex Raack | Foto: Patrick Nawe

Andreas Thom, als Junge sind Sie auf die Kinder- und Jugendsportschule vom BFC Dynmo Berlin gegangen. Welche Erinnerungen haben Sie an diese Zeit? Wir hatten eine sehr gute Ausbildung mit hoch qualifizierten Trainern. Nach der 10. Klasse wurde sondiert, je nach Talent wurde man dann delegiert. In der DDR wurde ja nicht transferiert, sondern delegiert. Wer nicht den Ansprüchen der Trainer gewachsen war, ist zu seinem Heimatverein zurückgekehrt. Ich bin nicht durchs Raster gefallen und spielte weiter für den BFC. Und Ihr Debüt bei den Herren… …habe ich mit 18 gegeben. Oberliga-Spiel Carl Zeiss Jena gegen BFC Dynamo Berlin und Andreas Thom mit auf dem Platz. Wenig später durften Sie Ihr erstes EuropacupSpiel machen. Das internationale Debüt 1983 hatte allerdings einen pikanten Hintergrund. Kurz vor dem Auswärtsspiel gegen Partizan Belgrad haben sich Falko Götz und Dirk Schlegel abgesetzt. Das ergab dann eine neue Konstellation. Auf der Bank saßen nur noch drei Ersatzspieler plus Torwart, der sich dann auch noch als Feldspieler umziehen musste. Der Trainer kommt zu mir und sagt: Du spielst. Mensch, ich war ein junger Kerl, 18 Jahre alt mit gerade einmal fünf Minuten Oberliga-Erfahrung! Das war ja keine einfache Kiste, auswärts in Belgrad vor 55.000 Zuschauern. Das Hinspiel in Berlin hatten wir mit 2:0 gewonnen. Logisch war ich aufgeregt, aber es hat schließlich geklappt. Wir kamen eine Runde weiter, aber alles drehte sich natürlich nur um die beiden, die nicht mit im Flieger auf dem Rückflug saßen.

konnten es uns nicht erlauben nicht jedes Mal die volle Leistung zu bringen. Der BFC war in der DDR verhasst ohne Ende. Wir hatten dadurch auch den Anspruch immer etwas Besonderes auf dem Platz zu zeigen, wollten guten und gleichzeitig erfolgreichen Fußball spielen. Dem BFC, Lieblingsklub von Stasi-Chef Mielke wurde vorgeworfen, jahrelang Schiedsrichter bestochen und Spiele verschoben zu haben, um die Meisterschaft zu gewinnen… Sicherlich waren einige Schiedsrichter-Entscheidungen dabei, die nicht sauber waren. Aber: man wird doch nicht fünfmal hintereinander Meister durch Fehlentscheidungen der Schiedsrichter! Ein bisschen Arbeit und ein bisschen Klasse steckt dann auch dahinter… Erich Mielke hatte Sie, Torjäger und außergewöhnlich talentierten Jungfußballer, als seinen „Ziehsohn“ adaptiert. Standen Sie dadurch unter besonderem Druck? Ach, das hat mich doch nicht interessiert, ob ich als „Ziehsohn“ von Mielke dargestellt wurde, oder nicht. Ich habe versucht guten Fußball zu spielen.

Zwei Pokalsiege, fünf Meistertitel: mit dem BFC haben Sie in der DDR alles gewonnen, was es zu gewinnen gab. Und trotzdem: es waren Siege ohne Popularität. Auf den Rängen sang man „Schiebermeister BFC“. Wie haben Sie das auf dem Platz mitbekommen? Intensiv. So etwas geht ja nicht spurlos an dir vorbei. Aufgrund dieser Antipathie dem Verein gegenüber durfte bei uns nie Stillstand sein, wir 22

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aussetzungen“ Das war mir viel wichtiger, als irgendwelche Dinge, die da hinein interpretiert worden. War das nicht schwierig Politik und Fußball zu trennen? Ich habe beim BFC Fußball gespielt und nichts anderes. Logisch wussten wir, wusste ich von den Randerscheinungen in der DDR, aber ich sag Ihnen ganz ehrlich: dafür habe ich mich nicht interessiert. Man könnte meine Zeit beim BFC auch so zusammenfassen: Fußballspielen unter besonderen Voraussetzungen.

ffen a h c s r e v r Wi le l o v z n a l g Ihne n A uftritte

Haben Sie eigentlich jemals Einsicht in Ihre StasiAkten verlangt? Die Gauck-Behörde (die Bundesbehörde für StasiUnterlagen, heute Birthler-Behörde genannt, d. Red.) habe ich noch nicht angesprochen. Weil ich glaube, dass da sicherlich nicht wenig drin stehen würde. Wer weiß, was ich darin alles lesen muss. (zögert) Das Ganze ist jetzt 20 Jahre her und weiß nicht, ob das noch notwendig ist, wenn ich mir das antue.

Das komplette Interview mit Andreas Thom gibt es auf www.3eckeneinelfer.de

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Das lange Leiden der SG Dynamo Dresden Tex: Christoph Zimmer | Fotos: imago,Veit P채tzug | Dynamo Dresden


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Jens Genschmar erzählt diese Geschichte gern. Von der Europapokal-Saison 1988/89, von den siegreichen Achtelfinalspielen gegen den AS Rom, den Halbfinalpartien gegen den VfB Stuttgart, die zwar das Ende der Begehrlichkeiten auf der europäischen Bühne, aber den größten internationalen Erfolg für Dynamo Dresden bedeuteten. „Dass sich Menschen in den Warteschlangen vor den Kassenhäuschen verletzt haben, manche

um. Hier vervollständigt sich die Geschichte, hier berichten unzählige Spielertrikots, Wimpel und Plakate von den acht Meisterschaften und sieben Pokalsiegen in der DDR-Oberliga – und von den zeitlos schönen Nächten im Europapokal. Die Eintrittskarte vom Stuttgart-Spiel versteckt sich in einer solchen Vitrine, wenige Zentimeter entfernt, nur durch eine dünne Glasscheibe getrennt wirkt sie greifbar nah – und doch so unendlich

sogar schwer, nur um an eine Karte für eines dieser Spiele zu kommen, war keine Seltenheit“, erinnert sich der 40 Jahre alte Aufsichtsrat Genschmar. Das damals 38.000 Zuschauern Platz bietende Dresdner Rudolf-Harbig-Stadion konnte die mehr als 200.000 Kartenwünsche für das Rückspiel gegen die Schwaben nicht einmal ansatzweise befriedigen. Das eigene Ticket, das er für 45 Pfennig erstanden hatte, hätte Genschmar für 100 Ostmark veräußern können. Mindestens.

weit weg. Die dauerhafte Konfrontation mit der Geschichte des Vereins macht die Bewältigung nicht unbedingt einfacher, die Erinnerungen dafür aber umso wertvoller.

Wie so viele in Dresden bekommt Jens Genschmar einen wehmütigen Unterton in der Stimme, wenn er über die Vergangenheit des erfolgreichsten und populärsten DDR-Oberligisten spricht. Entfliehen kann er ihr nicht. Denn vor drei Jahren eröffnete er das Dresdner Fußball-Muse26

Wertvolle Erinnerungen Dieses Gefühl verstärkt sich, wenn man mit Jens Genschmar über die fußballerische Gegenwart spricht. Die Worte fallen ihm schwerer, die Sätze wirken nicht mehr so flüssig wie zu Beginn des Gesprächs, irgendetwas scheint die Stimme zu lähmen. Dynamo Dresden war nach der politischen Wiedervereinigung neben Hansa Rostock Gründungsmitglied der gesamtdeutschen Bundesliga – ist im bundeseinheitlichen Fußball aber nie richtig angekommen. Dynamo spielt heute in der dritten Liga. Im biederen mausgrauen Mittel-

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feld. Weit weg von dem eigenen Selbstverständnis, das immer noch höchsten sportlichen Anspruch bedeutet. Die Gegner heißen nicht mehr FC Liverpool oder Juventus Turin, sondern Sandhausen und VfB Stuttgart II. Tradition schießt keine Tore. Dabei waren die Voraussetzungen durchaus vielversprechend, mit denen man in Dresden der deutsch-deutschen Fußballeinheit begegnet ist. „Wir waren gut aufgestellt“, erinnert sich Ralf Minge, der in 222 Oberligaspielen 103 Tore für Dynamo erzielte und bis vor Kurzem ehrenamtlich als Sportdirektor für den Drittligisten tätig war. „Dynamo war der Ausbildungsverein schlechthin in der DDR“, fährt er fort. In den 70ern beobachteten Vertreter von Ajax Amsterdam die Dresdner Nachwuchsarbeit – und nahmen Elemente in ihr Training auf. Finanziell war der Verein gut aufgestellt. Peter-Michael Diestel, der letzte DDRInnenminister, überwies Dynamo als eine der wohl letzten Amtshandlungen noch einmal fünf Millionen Mark. Hochbegabte Talente, wie Matthias Sammer und Ulf Kirsten, die vor der letzten

Oberligasaison dem gut bezahlten Ruf der Westvereine in einer Art DDR-Schlussverkauf folgten, spülten zusätzliches Geld in die Kassen.

Nachhilfe für Ajax „Diese sportliche Lücke konnten wir aber nie schließen“, sagt Jens Genschmar. „Schließlich haben uns nicht nur in der Spitze wichtige Spieler verlassen, sondern auch in der Breite.“ Nur mühsam, am letzten Spieltag bei Lok Leipzig, qualifizierte sich Dynamo Dresden hinter Hansa Rostock für die deutsch-deutsche Bundesliga. Vier Jahre spielte Dynamo dort, ohne groß aufzufallen und ohne die wichtigen Grundlagen für eine nachhaltige sportliche und wirtschaftliche Entwicklung des Vereins zu legen. Viele der selbst ausgebildeten Nationalspieler hatten den Verein verlassen, die Nachwuchsarbeit wurde zunehmend vernachlässigt, beschönigend würde man das Stadion als marode bezeichnen. Aber Dynamo hatte ein weit bedeutsameres Problem. Der wirtschaftliche Systemwechsel erwies sich schnell als Absturz auf Raten. „Die Wende

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kam für die Ost-Vereine einige Jahre zu spät“, glaubt Genschmar. In den 80er Jahren verlor der Fußball im Westen seine Unschuld, das Privatfernsehen wurde eingeführt, die TV-Einnahmen schossen in die Höhe und die Kommerzialisierung schnell und unaufhaltsam voran. Es war mehr als nur eine kleine Anpassungsschwierigkeit, als man aus der festgefahrenen, abgeschirmten Oberliga in die moderne, offene Fußballwelt hinüber trat.

Europapokal“, so Genschmar. „Der Verein hat sicherlich Fehler gemacht. Aber vom DFB gab es keinerlei Unterstützung. Wir haben uns von dieser Seite in wirtschaftlichen Angelegenheiten missverstanden und allein gelassen gefühlt. Die Situation hat die Ostvereine schlichtweg überfordert.“

„Niemand hatte je von einem Leasing-Vertrag gehört“

„Die Mechanismen der neuen Marktwirtschaft haben uns schwer zu schaffen gemacht“, beschreibt es Jens Genschmar. Beispiele dafür hat er genug. Nach dem Wechsel von Matthias Sammer Richtung Stuttgart erhielt Dresden neben einer Ablöse einen tauglichen Mannschaftsbus,

Sichtlich überfordert waren auch die Vereinsoberen. Es war die wirtschaftliche Unbedarftheit von Dynamo Dresden, die die Begierde zwielichtiger Funktionäre weckte und den taumelnden Traditionsverein zu einem Spekulationsobjekt verkommen ließ. Präsident Wolf-Rüdiger Ziegenbalg häufte Schulden in Millionenhöhe an. Ihm folgte

der nach ziemlich genau drei Jahren wieder abgeholt wurde. „Wir waren alle unheimlich überrascht. Niemand von uns hatte je etwas von einem Leasing-Vertrag gehört.“ Auch in Fragen der Bilanzierung, der Lizenzierung, dem Aushandeln von Verträgen und im Umgang mit Sponsoren war man „gänzlich unerfahren. Das wurde früher alles per Handschlag geregelt. Wurden Baumaßnahmen am Stadion vorgenommen, gab es keine Rechnung, die Arbeiter bekamen Karten für den

im Januar 1993 Rolf-Jürgen Otto, ein schwergewichtiger hessischer Bauunternehmer, der zunächst seine eigene Wahl manipulierte, den Verein rettete, ihn anschließend aber durch windige Geschäfte in große Finanzprobleme stürzte und schließlich vollends in den Ruin trieb. „Das war kein Einzelfall damals“, weiß Jens Genschmar. „Die Wiedervereinigung und die Unsicherheit der Vereine hat Leute angelockt, die abkassieren wollten, die an Transfers mitverdienen wollten

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und die Ostvereine als Abenteuer gesehen haben.“ Leute wie Rolf-Jürgen Otto. Ohne großes Aufsehen stieg Dresden im Sommer 1995 nach vier Jahren aus der Bundesliga ab, erhielt nicht einmal die Lizenz für die Zweite Liga. Der achtmalige Oberligameister war im deutsch-deutschen Fußball angekommen. Dynamo wurde in die Regionalliga zwangsversetzt, in den tristen Amateurfußball, in die dritte Liga, in der man auch heute spielt. Das Chemnitzer Landgericht verurteilte Otto später wegen Untreue, Konkursverschleppung und Verletzung von Buchhaltungspflichten zu drei Jahren Haft. Ein Trost war das nicht für die Anhänger, deren Verein und Tradition der korrupte Baulöwe mit Füßen getreten hatte. Diese dunkle Episode hat Spuren hinterlassen. Bis heute. „Wirtschaftlich haben wir uns davon nie richtig lösen können. In der Folgezeit haben wir von der Hand in den Mund leben müssen“, bilanziert Genschmar, der mit kurzen Unterbrechungen seit 2000 im Dresdener Aufsichtsrat sitzt. Ein Insolvenzantrag wurde in all den Jahren der finanziellen Undurchsichtigkeit nicht gestellt, auch wenn er irgendwie immer über dem Verein schwebte. „Vielleicht war das ein Fehler“, mutmaßt Genschmar. Die Frage muss unbeantwortet bleiben.

Der korrupte Baulöwe Eine einfache Antwort hat dagegen Ralf Minge parat, was die nahe Zukunft des Vereins angeht. „In der Vergangenheit ist viel verbrannte Erde hinterlassen worden“, blickt der ehemalige Sportdirektor zurück, „das müssen wir hinter uns lassen. Der Verein muss sich wirtschaftlich konsolidieren und strukturell vollkommen neue Wege gehen.“ Und den Dialog mit der Stadt und der Politik suchen. „Das ist ein sehr schwieriger Prozess“, befürchtet Genschmar, der auch im Dresdner Stadtrat sitzt. „Wir müssen das Vertrauen gewinnen, das wir in all den Jahren leichtfertig verspielt haben.“ Ein erster Schritt ist getan. Das neue, modernen Ansprüchen genügende Stadion soll in wenigen Monaten fertig gestellt werden. „Ein wichtiger Schritt, um wirtschaft-

lich und infrastrukturell nachhaltiger arbeiten zu können“, hofft Genschmar. Es ist auch eine Art Vergangenheitsbewältigung. Ein Neuanfang. Wieder einmal. „Gegenüber den Sponsoren und der Politik muss man einfach wieder den Stellenwert erreichen, den man braucht, um erfolgreich Ziele zu verfolgen“, schlussfolgert Minge. Ein Problem dabei ist die Stadt. Dresden selbst versteht sich in erster Linie als Kulturstadt. Das Grüne Gewölbe wurde saniert, die Frauenkirche wieder aufgebaut. Die Sehenswürdigkeiten locken mehrere Millionen Besucher im Jahr in die Stadt an der Elbe. Dabei ist Dynamo innerhalb der Fußball-Szene so etwas, wie das Oktoberfest für Gerstensafttrinker in der ganzen Welt: ein deutscher Export. „In Liverpool“, bestätigt Veit Pätzug, Autor des empfehlenswerten Buchs „Schwarzer Hals – Gelbe Zähne“, „kennt keine Sau die Semperoper. Aber beim Thema Dynamo Dresden wird man sofort auf ein Bier eingeladen.“ Wenn man auf die Geschichte von Dynamo Dresden im bundesdeutschen Fußball zurückblickt, möchte man fast an einen Kulturschock denken. Das soll sich wieder ändern. Im Dialog mit Politik und Stadt. Im neuen Stadion. In einer höheren Liga. Tradition soll wieder Tore schießen. www.dresdner-fussball-museum.de Unser Autor Christoph Zimmer ist Herausgeber des famosen Kreisklassen-Fanzines „Hilde“.

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Ma‘ wieder in Bewegung gewesen wie Bebeto Mobile und wie es das Schicksal für mich -Isaac mal, Vorsah - ‚türlich umgehend Farfan. Ich also rein inne Tanke und seh, dass es da heiß Herget. Tankwart plus Zuckerschnute am Fummelkutten. Sadik aus die Kleine, wenn ich dich Berat. Sie rief Yahia, während ich zusah was er ihr Anthar. Ich schnapp mir‚ ne Ladung Schokoriegel und ruf so: „Würde mich ja eigentlich nicht Heerwagen, Waldoch ich von Tobi Weis hier ist Sanogo area.“ Da Huszti Perle doch glatt ins Hinterzimmer. Ich mit‚ nem Klinsi-Grinse-Katze Blick nur: „Guter Kauf Rüdiger!“ Doch er wollt Pato nicht darauf eingehen. Wächter nur: „Vedad kommt groß raus! Valdez nicht meine Frau... „ Und ich Wollitz auch keinen großen Zoff Anfang und frag halt Obasi sich hier auskennt. Wollt hier Tankstellen intern auch Don Juans Rangnick gefährden. Dann auf Aimar er nur: „Damals hat mein Papadopoulos andere Sachen über die Grenze geschafft. Damit Halfar dem Verbraucher und war Konstantin Rausch ähnlichen Zuständen.“ -Allgemeines GelächterEr holt Alan lang aus: „Shearer Wahnsinn watt? Ich war die Lokvenc um Gesang ging. Vratislav? Oh Baby, don‘t hurt me don‘t hurt me no more.“ Ich versuch vergeblich zu unterbrechen: “Yaya. Äh na Touré lich...“ Er grölt: „Ich geb keine Hrubesch nicht die letzte Line gedroppt ist... Oh Vaclav got to do, got to do with it? Vaclav...“ Sverkos was? Ging mir auch so. Ich also wieder versucht ihn zu stören: „Fattan ich hab mich Farfan!“ Er plötzlich ganz geheimnisvoll: „Psssst. Die Bullen kriegen dich Donovan du nicht mit rechnest. Alle Landon im Knast. Sowas van Basten werden die dich. Diarra Ba sind Schuld. Ein Maltritz du ins Fettnäpfchen...und Zack! So läuft das immer...“ Und ich endlich zu mir selbst: „Compper mach dich von Mertesacker, Pröll die Zeche und was dann noch passiert Ismaël egal, Valérien ne va plus.“ 3 EckenEinElfer

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Das Luttich-Trauma in voller Fahrt besiegt! Eine SMS-Schaltung zwischen Paris, Dusseldorf und Hannover Text: Ben Redelings Es ist Sonntag, 16.46 Uhr und in vierzehn Minuten wird im Düsseldorfer Stadion das Spiel Bayer 04 Leverkusen gegen meinen VfL Bochum angepfiffen. Ohne mich! Ich sitze im Zug aus Paris und lese in der freitag etwas über die spieltheoretischen Modelle des homo oeconomicus, der einst „als idealer Hüter rationalen Eigennutzes“ galt. In der Finanzkrise soll auch er gelitten haben. Ich merke jedoch noch nichts davon. Die Reise in die Stadt der Liebe ist ein Paradebeispiel für die neoklassistische Wirtschaftstheorie: Hätte ich an diesem Wochenende nicht wie ein wahrer Mann rational bis in die Fußspitzen klein beigegeben, dann hätte ich mich meiner Frau ab sofort willenlos ausgeliefert. Mit nicht absehbaren Folgen. Ein tränenreiches, devotes Hinterher-Reisen am darauf folgenden Samstag beim Heimspiel gegen den FC Bayern - wäre mit Sicherheit noch das kleinste Übel gewesen!

16:58 Das Telefon vibriert. Es ist Goosen: Wo bist du? Immer noch im Zug? Ist jetzt auch egal. Hömma, die haben hier tatsächlich Premiere in der Künstlerwohnung. Direkt hinter der Bühne. Muss ich nur noch die Anfangszeit nach hinten verschieben. 18.30h geht gar nicht. Meld mich per SMS!

17:01 Nachricht aus Düsseldorf. Henning. Perfekte Organisation, Informationsfluss läuft: Bitter Sweet Symphonie nach einem Rolf Zuckowski-Song für Bayer. Kulturschock!

17:08 SMS von Goosen (Hannover): Herrlich! Die ha34

ben hier alkoholfreies Bier im Kühlschrank. Der Abend ist gerettet! Jetzt kann kommen, was will!

17:16 Düsseldorf: Winnetou Koslowski (Anmerkung d. A.: Diego Klimowicz) verletzt raus. Mann, mann, mann!

17:33 Düsseldorf: Yessssss! Ösi – Dabro – drin das Ding! Warum schenken die eigentlich nur alkoholfreie Warsteiner-Plörre aus? Amnesty, wo bist du, wenn man dich mal wirklich braucht??!

17:34 Hannover. Goosen hat offensichtlich ein bisschen länger gefeiert: 0:1 Dabro

17:37 Ich renne zum Bord-Bistro und nutze die Happy Hour zu einem kolossalen Fehlschlag: Ich ordere ein Duvel. Beim ersten Schluck aus der Flasche wird mir schlecht. Die belgische Kohlensäuren-Brause mit schlappen 8,5 % Umdrehungen erzeugt Sodbrennen. Ich könnte mich ohrfeigen!

17:48 Düsseldorf: Ker, der Fernandes ist ja in einem Förmchen. Sogar zwei Abstöße kamen an. Pause jetzt!

17:52 Telefon klingelt. Hannover: Wat trinkst du da??? Wie kann man nur so naiv sein? Belgisches Bier. Lernt man im Kindergarten. Ist jetzt auch egal. Die Leverkusener hauen die Dinger nur so daneben. Herrlich!

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18:02

18:22 Düsseldorf: Handspiel im Strafraum. Gelb-rot Mavraj. Ausgleich!

18:23 Hannover: So eine Scheiße! 1:1 Helmes. Rot für uns. Scheiße!

18:25 Wir fahren in Lüttich ein. Lüttich? Ja! Genau das Lüttich, das Edu, unser technisch beschlagener Brasilianer, immer auf seinem Schädel eintätowiert wird haben. Das UEFA-Cup-Aus von 2004 ist plötzlich wieder so nah!

18:38 Hannover. Goosen meldet sich ab: Muss jetzt raus. Die pfeifen schon!

18:51 Düsseldorf: Ein Punkt gerettet. Ich muss jetzt aufhören. Werden wie eine Viehherde in den Sonderzug getrieben.

Ein Radiosender nannte Ben Redelings einmal einen „Fußballkulturschaffenden in Vollzeit“. Das trifft es in etwa. Der gelernte Anhänger vom VfL Bochum betreibt den Fußball-Blog „Scudetto“, mit der er auch auf Tour geht, er schreibt Bücher (darunter das empfehlenswerte Werk „Fußball ist nicht das Wichtigste im Leben, es ist das Einzige“), macht Filme und betreibt zusammen mit seiner Frau den Fußball-Shop „Geist von Malente“ (www.malente-fussballshop. de), der aufgrund von Nachwuchs im Hause Redelings momentan etwas in Vergessenheit geraten ist. Gerüchte, wonach Redelings seinem Kind die Namen des kompletten Kaders der Bochumer Uefa-Cup-Mannschaft von 1997 gegeben hat, sind haltlos. Redelings Blutsbruder Frank Goosen ist bekannt als Buchautor („Liegen lernen“, „Weil Samstag ist. Fußballgeschichten“) und Fan vom VfL Bochum. Fotos: philippwente.com

19:01 Thalys-Zug-Lautsprecher: Wir werden aufgrund einer Weichenstellung leider erst in zehn bis fünfzehn Minuten die Weiterfahrt Fortsetzen! Einer Weichenstellung? Ich hoffe, es ist die richtige. Die uns in der ersten Liga hält.

Ben Redelings

Ich bemerke erst jetzt, dass der Thalys ein VfL Bochum-Fanzug ist. In der weißen Kloschüssel läuft beständig eine blaue Chemieflüssigkeit die Seitenränder hinunter. Fasziniert drücke ich noch einmal ab!

Eine Zugfahrt voller Symbole geht zu Ende. Meine Liebe ist gerettet, ich habe fast nichts verpasst und ein großes Stück Lüttich habe ich auch hinter mir lassen können. Nächste Woche aber bitte wieder schön im Stadion! 3 EckenEinElfer

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Text: Martin Thaler | Fotos: Roter Stern Leipzig Insolvenzen, Gewalt, Rassismus – in der Stadt, die einst die friedliche Revolution von 1989 auslöste, scheint der Fußball am Boden zu liegen. Unser Autor Martin Thaler hat nach Leipzig rüber gemacht und entdeckt: Dort, wo die etablierten Vereine ins Gras beißen, sprießen neue Pflänzchen von fußballerischem Idealismus aus dem Boden. Der Leipziger Fußball steht mal wieder vor dem Aus. Nachdem der hochklassigste Leipziger Verein, der FC Sachsen Leipzig, diese Saison in der Regionalliga Nord das spärliche Publikum immerhin noch mit Heimniederlagen gegen Oberneuland und die Reservemannschaft von Hansa Rostock verärgern konnte, wird der Leipziger Fußballfan in Zukunft wohl selbst auf dieses eher zweifelhafte Vergnügen verzichten müssen. Der Grund: Insolvenz. Der Verein ist pleite. Und während mit Daumendrücken in der nächste Saison wenigstens noch in der Oberliga gespielt werden kann, ist es um den anderen Leipziger Traditionsverein – 1. FC Lokomotive Leipzig - nicht besser bestellt. Neugegründet nach dessen Insolvenz 2003 hatte man sich zwar wieder in die Oberliga-Nordost hochgekämpft, doch schreckte das gewaltbereite und 36

teilweise zum Rassismus tendierende Verhalten einiger Fangruppierungen große Teile der fußballbegeisterten Leipziger Bevölkerung ab. Zusätzlich wird zwischen den Fans von Sachsen Leipzig, den „Chemikern“, und den Anhängern von Lokomotive Leipzig eine erbitterte Feindschaft traditionsbewusst gepflegt – bis hin zu massiven gewalttätigen Übergriffen, fernab jeglicher Stehplatz-Stufen. „Bewaffneter Überfall auf Leipziger Clubheim“, titelte spiegel-online am 9. Dezember 2007. Fans von Lok sollen an der brutalen Aktion beteiligt gewesen sein. An ein Vereinigen der etablierten Leipziger Kräfte ist nicht einmal im Traum zu denken. Der Fußball in der Messestadt, er scheint am Ende. Aber gemäß den geflügelten Worten „Mehr Schein als Sein“: der Leipziger Fußball ist noch nicht tot. Der Patient wird weiter beatmet. Allerdings auf ganz anderer Ebene. Abgestoßen von den handelsüblichen Problemen bei Lok und Sachsen, haben findige Leipziger ihre eigenen Teams gegründet – mit Erfolg. Courage, Leidenschaft und Herzblut beweisen, dass gewaltige Stadion-Neubauten und gebeizter Lachs keine Notwendigkeiten sind und Rassismus bzw. Diskriminierungen beim Fußball nichts zu suchen haben. Ob Norden, Süden, Westen, Osten – In Leipzig ist es doch immer noch am bosten.

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BSG Chemie Leipzig „Von Moskau bis nach Liverpool, von Glasgow nach Athen, von Stalingrad bis an die Spree, keiner schlägt die BSG!“. 200 Menschen, allesamt gehüllt in grün-weißen Farben, schmettern den alten Gassenhauer an diesem Spieltag im Frühjahr 2009. Ein Lied nach dem anderen schallt von den Trassen, um ihre Mannschaft, die BSG Chemie Leipzig nach zum Torerfolg zu singen. In punkto Einfallsreichtum und Leidenschaft muss sich der Anhang der „Chemiker“ wirklich nicht verstecken: ein stetig wirbelndes Flaggenmeer, 45-minütige Dauerchoräle, Bengalos nach jedem Tor - Fans etablierter (und damit zwangsweise kommerzialisierter) Bundesligisten werden hier ehrfurchtsvoll verstummen. Und dabei ist von Erstligafußball hier weit und breit nichts zu sehen. Die „Chemiker“ sind nach ihrer Gründung im letzten Jahr in der 3. Kreisklasse zu Hause. Staffel 1. Der Gegner heißt heute nicht Werder Bremen oder Borussia Dortmund, hier spielt die zweite Mannschaft von TuB Leipzig. Ein Team, dessen größte Attraktion ein Spieler ist, der dem Fressbuden-Tester „Jumbo“ Schreiner zum Verwechseln ähnlich aussieht. Ganz ohne Riesenschnitzel.

Objektiv betrachtet ist die Begeisterung der Fans wohl kaum zu verstehen. Doch die BSG Chemie ist weit mehr als ein einfacher Kreisklassist. Vielmehr sieht man sich als Erbe der alten BSG Chemie Leipzig, des in DDR-Zeiten stark benachteiligten Leipziger Vereins, der dennoch zweimal die Meisterschaft nach Leutzsch bringen konnte. Nach der Wende wurde die BSG Chemie dann zum FC Sachsen Leipzig, was auch zur Folge hatte, dass man die traditionelle Spielstätte, den

Alfred-Kunze-Sportpark verließ und ins riesige Zentralstadion übersiedelte. Dass in diesem monströsen Bau nur spärlich Stimmung aufkommen konnte, versteht sich fast von selbst, war das Zentralstadion doch besuchertechnisch für die Belange des FC Sachsen weit überdimensioniert. Voll wird dieser Kessel nur bei Länderspielen. Auch sonst entfremdete sich der Verein von Teilen seiner Fans. Aberwitzige Einlasskontrollen vor den Heimspielen - selbst bei den eigenen Spielern! - Einlassverbote für Träger linker Szenekleidung, sowie das Verhindern sämtlicher „politischer Agitation“ im Stadion schürten den Unmut. Was unter „politischer Agitation“ zu verstehen war? Nun, zum Beispiel ein Transparent der Faninitiative „Bunte Kurve“ mit der Aufschrift „Zeig Rassismus die rote Karte“ oder die Teilnahme an der „Football against Racism“-Aktionswoche - einer Veranstaltung, an der selbst der als politisch rechts verrufene Kontrahent Lok Leipzig teilnahm. Zivilgesellschaftliche Selbstverständlichkeiten also, die die Vereinsführung nicht zu unterstützen bereit war. In der Konsequenz kam es bald danach zum großen Knall zwischen den Ultragruppierungen (Diablos / Ultrá Youths) und der Vereinsführung. Resultierend daraus gar zur Neugründung der BSG Chemie Leipzig.

Das Zentralstadion wurde eingetauscht gegen einen zugigen Platz im Gewerbegebiet Merseburger Straße, beschaulich eingerahmt zwischen Laubenpiepersiedlung und dem Toyota-Händler ihres Vertrauens. Auf die mit Tradition aufgefüllten Spiele gegen Altona 93 oder den 1. FC Magdeburg wurde verzichtet. Zugunsten von rumpligen Bolzplatzscharmützeln gegen die LSV Brauwasser und Lipsia Eutritzsch II. Immerhin: allesamt reine Derbys. Ein bitterer Beigeschmack: man „erbte“ teilweise den Hass von den „Normalos“ des FC Sachsen, den konkurrierenden „Lokisten“, sowie der im

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Leipziger Fußball mitmischenden Rechtsradikalen. Erst Anfang des Jahres waren Anhänger der BSG Chemie bei einem Hallenturnier unter Schreien wie „Juden“ und „Töten“ von knapp 50 Vermummten angegriffen worden. Es zeigt, mit welchen Problemen sich der Fußball in Leipzig und speziell die BSG Chemie konfrontiert sieht. Ein neues „Wunder von Leutzsch“? Den Machern der BSG Chemie ist es auf jeden Fall zu wünschen.

Roter Stern Leipzig Das Leipziger Bermuda-Dreieck! Wie viele Leute hier, im südlichen Stadtteil Connewitz, über die Jahre spurlos verschwunden sind, ließ sich trotz ausgiebiger Recherche nicht ermitteln. Nur, dass sich hier im Leipziger Süden der Siedepunkt der linken Szene Leipzigs befindet, gut sichtbar bereits am vergitterten Eingangsbereich des örtlichen Diskount-Supermarktes. Hier, neben alternativen Veranstaltungszentren und Szenekneipen, hat der „Rote Stern“ seine Zelte aufgeschlagen.

wurden. Auch für das eigene Team geht man durch dick und dünn. Bis zu 500 Fans versammeln sich zu den Spielen der Connewitzer Kicker und gaben alles für das eigene Team, oftmals gar ihr letztes Hemd. Das hat sich gelohnt, sogar in zweierlei Hinsicht: Zum einem führt der „Rote Stern“ souverän die Stadtliga an und kann vom Aufstieg träumen, zum anderen feiert der Verein in diesem Jahr bereits sein zehnjähriges Jubiläum. Eine Dekade also, in der der Verein zivilgesellschaftlich ein Zeichen setzen konnte, in diesem schwierigen Umfeld vielleicht sogar musste. Und er zeigt, dass der Fußball in Leipzig eben nicht tot ist, sondern in den unteren Klassen weiterlebt. Um das zehnjährige Bestehen gebührend zu feiern veranstaltet das Team übrigens für seine Fans eine Tour an die englische Südküste, wo beim League 1-Abstiegskracher Brighton and Hove Albion gegen Swindon Town schon einmal studiert werden kann, was internationale Härte bedeutet. Denn wer weiß, wohin der Weg des Roten Sterns noch führt.

Unter dem Motto „More than soccer“ sollte ein Gegenentwurf zur gängigen Vereinsmeierei geschaffen werden, ohne Hierarchien, ohne steife Regeln, aber mit einer gehörigen Portion Spaß und Aktionismus. Und der Aktionismus soll

nicht allein auf den grünen Rasen beschränkt bleiben: der „Stern“ produziert CDs lokaler Künstler (auf denen sich übrigens auch die ein oder andere tanzbare Vereinshymne befinden soll), gründete eine Fußballmannschaft für Asylbewerber, veranstaltet Konzerte und Demos gegen Rechtsextremismus. Nicht verwunderlich ist deshalb wohl auch die enge Fanfreundschaft zur BSG Chemie. Nicht selten sieht man den Anhang des Roten Sterns auch an der Merseburger Straße jubeln und leiden. Ebenfalls besteht eine Fanfreundschaft zum FC St. Pauli, für dessen Spiele selbst eine vierstündige Autofahrt ohne Frontscheibe und Katz- und Mausjagden mit Rostocker Anhängern ohne viel Haupthaar in Kauf genommen 38

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der gleichen Saison das „Tor des Jahres“ - ein fantastischer Fallrückzieher aus vollem Lauf - nämlich gar nicht. Schließlich war es lediglich der 2:3-Anschlusstreffer gegen Hertha BSC. Marschall trabte umgehend zurück und begnügte sich mit einem Kopfstreichler von Kollege Schjönberg. Dabei hätte diese Hütte sicher minutenlanges Schrauben am Ohr inklusive Doppelsalto mit gleichzeitigem Dank an den Herrgott verdient gehabt. Das Spiel gegen Berlin wurde letztendlich noch 4:3 gewonnen. Wohlgemerkt nach einem 1:3-Rückstand. Klarer Fall von „So etwas gibt es nur auf den Betzenberg“.

Foto: 1. FC Kaiserslautern

„Frühe Tore tun uns offenbar nicht gut. Späte schon“, mutmaßte Olaf Marschall altklug nach dem Spiel seines Klubs 1. FC Kaiserslautern gegen Eintracht Frankfurt in der Saison 1998/99 (Tore: Ballack, 4. / Ramzy, 90., Endstand 2:1) vor laufenden Kameras. Ein Satz, wie von Sepp Herberger. Ähnlich nüchtern und sachlich feierte Marschall in

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Für Marschall sollte es die letzte erfolgreiche Saison für die „Roten Teufel“ gewesen sein. In den folgenden drei Spielzeiten gelangen ihm nur noch 7 Tore in 37 Einsätzen, was seine Gesamtstatistik von 60 Toren in 170 Bundesligaspielen etwas verzerrt. Ohne Zweifel war die Meistersaison 1997/1998 unter Otto Rehhagel die Sternstunde von Marschalls Karriere. Mit 31 Jahren (für Rehhagels ein Perspektivspieler), gelangen ihm unglaubliche 21 Tore in 24 Spielen. Auch in der Natio-


nalmannschaft absolvierte er in jener Saison sieben seiner insgesamt 13 Pflichtspiele. Als auf Marschalls Oberlippe die ersten Haare seines später zu Berühmtheit gelangten Schnäuzers zu sprießen begannen, war die Mauer in Berlin noch nicht einmal angekratzt. 1978 wechselte das junge Nachwuchstalent von Chemie Torgau zum Leipziger OberligaKlub 1. FC Lok Leipzig. Bei Lok machte sich der Schlacks bald einen Namen, er durchlief die Jugend-Nationalmannschaften im Land des real existierenden Sozialismus und stand mit Lok 1987 im Finale des Europapokal der Pokalsieger, der Klub der Eisenbahner unterlag Ajax Amsterdam unglücklich mit 0:1. Als nach der Wende die Kollegen Thom und Kirsten direkt in den Westen „rübermachten“, wählte Marschall einen anderen Weg: er beehrte Admira/Wacker Wien mit seinem Talent, blieb drei Jahre, um schließlich in der bislang letzten Bundesligasaison von Dynamo Dresden die Töppen zu schnüren. Marschall kam, bereits 28-jährig, beim 1. FC Kaiserslautern unter. Eine gute Wahl, wie wir heute wissen. Marschalls Spielweise gehörte zu der speziellen Stürmergattung, die es in der heutigen Zeit wohl nicht mehr gibt, aber Ende der 90er Jahre gerade in der DFB-Auswahl dringend gebraucht wurde. Doch was heißt unmodern: Christian-Ziege-Gedächtnisflanken aus dem Halbfeld zu sehenswerten Toren zu verarbeiten, ist mindestens genauso schwierig, wie sich in einem modernen Spielssys-

tem der Marke Arsenal London zurecht zu finden. Marschall hat das immer ausgezeichnet (siehe sein „Tor des Jahres“ 1999, das unter dieser Bezeichnung auf Youtube zu finden ist). Trudelte ein Ball noch so unpräzise in den Strafraum, war der Mann mit dem Minipli zur Stelle. Nachdem Marschall seine Karriere 2002 in Katar hatte ausklingen lassen, erwarb er 2007 das Fußball-Lehrer Diplom an der Akademie in Köln und sammelte erste Erfahrungen als Co-Trainer von Reiner Hollmann in Dubai beim Al Nasr- Sports Club. Späte Tore tun ihm übrigens immer noch gut. Wahre Legende.

Geb.: 19. März 1966 // Größe: 186 cm Position: Angriff Stationen: 1972-1978 BSG Chemie Torgau, 1978–1990 1. FC Lokomotive Leipzig (135 Spiele/45 Tore), 1990-1993 Admira/Wacker Wien (97/40), 1993-1994 1. FC Dynamo Dresden (32/11), 1994-2002 1. FC Kaiserslautern (160/59) 2002 Al Etehad Sportsclub Europapokal: (48/10) Nationalmannschaft: 1984-1989 DDR (4/0), 1994-1999 Deutschland (13/3) Erfolge: 1996 DFB- Pokalsieger; 1998 Deutscher Meister (1.FC Kaiserslautern)

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Im Westen nichts Neues Fotos: Azhar Syed

Vom FC Pesch bis zum Müngersdorfer Stadion sind es exakt neun Kilometer. Dabei trennen den Kölner Bundesligisten und den kleinen Verein im Nordwesten der Stadt Welten. Auf dem Ascheplatz der großzügig angelegten Anlage scheint die Zeit stehen geblieben zu sein. Lose flattern Tornetze im Wind, der Putzt schält sich langsam von den Kabinentüren ab und die hübsche Stahlrohrtribüne: ist selbst gebaut. Nach zwei Stunden will unser Fotograf die Sportanlage immer noch nicht verlassen. „Das hier“, stammelt der gute Mann ergriffen, „hat ja so viel Charme!“ Wo er Recht hat. FC Pesch, Schulstraße 129, 50767 Köln





Erwin Kostedde war der erste schwarze deutsche Nationalspieler und einer der besten Stürmer seiner Generation. Der heute 63-Jährige über rassistische Anfeindungen, hessische Derbys und den „Erwin-Shuffle“. Interview: Jan Leder | Fotos: imago

Herr Kostedde, unsere Leser gehören größtenteils einer Generation an, die Sie nicht mehr haben spielen sehen. Als was für einen Spielertyp würden Sie sich selbst beschreiben? Das ist schwierig zu beantworten. Ich werde ja oft als Goalgetter hingestellt, habe natürlich auch immer viele Tore gemacht. Aber ich war immer froh, wenn ich am Spiel teilgenommen habe, wenn ich einbezogen wurde. Klar musste man als Stürmer auch mal vorne stehen und warten, aber mir hat es immer Spaß gemacht, wenn ich viel am Ball war. Und die Technik hatte ich ja, war zwar nicht der Schnellste, aber für ein gutes Konterspiel braucht man ja vor allem geistige Schnelligkeit. Dem ein oder anderen ist noch der „Erwin-Shuffle“ ein Begriff. Eine Erfindung von Ihnen? Na ja, den dreifachen Übersteiger hat mir damals Felix „Fifi“ Gerritzen in meiner Zeit bei TuS Saxonia Münster als B-Jugendlicher beigebracht. „Fifi“ war ja selber ein toller Rechtsaußen gewesen. Und ich hab das damals angenommen, habe stundenlang geübt, bis ich den Trick drauf hatte. Viele aus der Mannschaft hatten das schon aufgegeben (lacht). Gegen Peter Nogly ist mir in einem Bundesligaspiel gegen den Hamburger SV mal ein fünffacher Übersteiger geglückt. In Offenbach nannte man das dann den „Erwin-Shuffle.“ Bei Kickers Offenbach haben Sie Ihre erfolgreichste Zeit in der Bundesliga verbracht, sind dort immer noch Rekordtorschütze. War das die wichtigste Station Ihrer Karriere? 46

Ich kam ja gerade aus Belgien zurück nach Deutschland und Offenbach war eben erst abgestiegen. Zur gleichen Zeit wurde auch Siggi Held verpflichtet und wir hatten für die zweite Liga natürlich eine überragende Mannschaft. Winfried Schäfer war dabei, auch Horst Gecks. Nach dem direkten Wiederaufstieg haben wir hier dann sehr erfolgreich gespielt. Das kannte man in Offenbach gar nicht so. In der Folgezeit haben wir sogar gegen Eintracht Frankfurt fast immer gewonnen (lacht). Sie avancierten schnell zum Publikumsliebling. Wenn man viele Tore erzielt, dann geht das natürlich auch schnell. Gerade gegen die Eintracht habe ich oft getroffen. Mein erstes Derby haben wir mit 3:2 gewonnen und ich habe alle drei Treffer erzielt. In Offenbach schaut man immer etwas nach Norden in Richtung Frankfurt, zum Rivalen. Da prägt man sich natürlich bei den Zuschauern ein, wenn man in den Derbys oft wichtige Tore geschossen hat. Welche Rolle spielte Glück in Ihrer Karriere? Man muss dabei natürlich auch immer ein bisschen Glück haben. Ich war ja in meiner gesamten Karriere eigentlich nie richtig schwer verletzt. Zwar hatten wir Stürmer damals äußerst harte Gegenspieler – ich erinnere mich an Gerd Zimmermann oder Detlef Pirsig. Trotzdem bin ich immer glimpflich davongekommen. Vor dem Wechsel Richtung Offenbach spielten Sie in Belgien bei Standard Lüttich. Mit Erfolg: dreimal hintereinander belgischer Meister und im

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dritten Jahr mit 29 Treffern sogar Torschützenkönig. Wichtige Erfahrungen? Absolut. Meine erste Station in der Bundesliga war zuvor schon der MSV Duisburg. Dort war mit Trainer Gyula Lorant ein harter Hund am langen Hebel. Der hat mich auch als Spieler durchaus hart rangenommen. Ich habe hier gute Spiele gemacht, war aber letztlich noch nicht Profi genug, um diesen Weg weiterzugehen. Das habe ich hier verpasst, aber nur für eine kurze Zeit. In Lüttich wurde das anders? Ja. Dort habe ich mich schnell zurecht gefunden. Man muss sich das auch mal vorstellen: dort war ich ja nahezu der einzige Nicht-Nationalspieler im Team. Das gab es damals in der Bundesliga damals noch nicht, dass so viele internationale Fußballer in den Vereinen gespielt haben. In Belgien habe ich also sehr viel gelernt, auch was es bedeutet Fußball-Profi zu sein.

er eines Tages in Frankfurt gegen Deutschen Karl Mildenberger geboxt hat, wusste ich nicht, zu wem ich halten sollte. Bin ich jetzt weiß oder schwarz? Das ist immer ein wenig mein Dilemma gewesen. Nach Ihnen folgten noch weitere farbige deutsche Nationalspieler, wie Jimmy Hartwig oder Gerald Asamoah. Mit der U-19-Nationalmannschaft wurden gleich mehrere dunkelhäutige Nachwuchskicker Europameister und stehen auf dem Sprung. Ja, das freut mich außerordentlich. Da gibt es mittlerweile einige, die es in die Nationalmannschaft schaffen. Da bin ich auch wirklich stolz drauf, dabei der Erste gewesen zu sein. Ich weiß, dass man es als Jemand mit anderer Hautfarbe nicht immer leicht hat, umso stärker schätze ich die Leistung dieser Jungs ein. Haben Sie in Ihrer Karriere auch unter Rassismus leiden müssen? Ja, Berührungen mit Rassismus gab es schon. Außer mir und David Scheu beim Karlsruher SC gab es niemanden mit anderer Hautfarbe.

Von welchen Spielern haben sie besonders profitiert? Da war zum Beispiel Milan Galic (51-facher jugoslawischer Nationalspieler, d. Red.). Ihn habe ich damals aus dem Team verdrängt, er war schon etwas älter. Aber von ihm habe ich unglaublich viel gelernt. Zurück in der Bundesliga, wurden Sie in Offenbach auch zum Nationalspieler. Hat es Sie damals mit stolz erfüllt für Deutschland zu spielen? Oh ja, das hat mich wirklich stolz gemacht. In Belgien hatte man mich damals schon angesprochen, ob ich nicht Belgier werden möchte. Ich wäre sofort Nationalspieler dort geworden. Aber mein Jugendtraum war es immer, für Deutschland zu spielen. Das geschafft zu haben, darauf bin ich sehr stolz. Ich war ja nun mal auch der erste Farbige, der das geschafft hat. Hat Sie das mit einem besonderen Stolz erfüllt? Ja natürlich. Aber ich habe mich immer als jemanden gesehen, der Schwarz und Weiß gleichzeitig war. Als Kind war ich immer fasziniert vom Muhamed Ali. Als 3 EckenEinElfer

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Wie äußerte sich das? Ach, ich habe das nicht ständig gespürt. Ein paar Idioten sind natürlich immer irgendwo dabei. Richtig dramatisch wurde es höchstens, wenn ich mit Offenbach in Frankfurt gespielt habe, wo man bei der Ankunft mit dem Bus mit Schmähgesängen begrüßt wurde. Das war aber natürlich der Pöbel, und ich werde gewiss nicht alle Frankfurt-Fans über einen Kamm scheren. Aber da ging es natürlich auch immer um die lokalen Rivalitäten. Ich konnte das immer richtig einschätzen und auch für mich gut damit umgehen. Ich war aber nicht so ein Typ, wie Jimmy Hartwig, der war ein ganz harter Knochen. Hartwig stellte sich im Stadion vor die Kurve und dirigierte das rassistische Gebrüll einfach mit. Da waren diese Leute natürlich still. Das war nichts für mich, und ich bin sicher keine Mimose, das können Sie mir glauben (lacht). Ich war dann doch ein etwas anderer Typ, bin damit nicht so offensiv umgegangen. Ich habe lieber zwei Tore geschossen und wir haben das Spiel gewonnen. Dann haben die Idioten auch den Mund gehalten (lacht). Haben Sie auch Toleranz erfahren im Verlauf Ihrer Karriere? Natürlich. Ich erinnere mich an eine Episode aus Baden-Baden. Ich stand kurz vor meinem ersten Länderspieleinsatz gegen Malta im Dezember 1974 und wir waren mit dem Kader der Nationalmannschaft im Kursaal zur Premiere des Films über die Weltmeisterschaft von 1974 eingeladen. Als ich dort mit Berti Vogts und dem Sänger Udo Jürgens, der damals auch eingeladen war, durch den Eingang ging, kam ein älterer Polizist auf mich zu. Er gab mir die Hand, fing an zu weinen und gratulierte mir zu meiner Berufung in die Nationalmannschaft, dass er sich sehr darüber freue. Diese Freudentränen haben mich damals so gerührt, dass werde ich nie vergessen. Trotz allem reichte es nur zu drei Einsätzen im National-Dress. War die Konkurrenz in der DFBElf Mitte der 70er Jahre zu groß? Das war sie sicherlich. Vorher war ja Gerd Müller im Sturm ein richtiges Phänomen. Es war auch insgesamt schwer reinzukommen, als Spieler bei einem kleineren Verein, wie damals Kickers Offenbach. Die Spieler von Bayern München oder aus Mönchengladbach kannten sich gut und waren auch dementspre48

chend eingespielt. Es gab diese beiden großen Blöcke damals. Leider hat es nicht zu mehr Länderspielen gereicht. Ärgert Sie das heute noch? Ja, das fuchst mich schon immer noch. Ich hätte gerne mehr Länderspiele gemacht und dabei auch gerne Tore geschossen. Ihre Karriere führte Sie nach den Stationen Hertha BSC Berlin, Borussia Dortmund und einer einjährigen Rückkehr nach Lüttich nach Frankreich, wo Sie ein Jahr bei Stade Laval in der ersten französischen Liga spielten. Auch dort sind Sie mit 21 Treffern Torschützenkönig geworden. Ja, und zwar zusammen mit dem Argentinier Delio Onnis vom AS Monaco (Onnis ist heute noch der führende in der ewigen Torschützenliste der französischen Liga, d. Red.) Und das auch noch vor Michel Platini und Johnny Rep, die damals bei AS St. Etienne spielten. Mit der Mannschaft waren wir nur unteres Mittelmaß, aber das war für Laval schon sehr erfolgreich. Und das jemand aus dem eigenen Team Torschützenkönig wurde, kannten die dort gar nicht. So haben Sie sich ein zweites Mal für die Bundesliga empfohlen. Rudi Assauer holte Sie damals als Manager des gerade aus der Bundesliga abgestie-

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genen Werder Bremen in die zweite Liga. Von Assauer stammt auch der Satz: „Bei uns braucht der Kostedde nicht mehr zu laufen, es genügt, wenn er im gegnerischen Strafraum steht und mit seinem Hintern noch Tore macht.“ Stimmt. Das habe ich ja dann auch gemacht (lacht). Nur mit Rumstehen war es unter dem Trainer Kuno Klötzer natürlich nicht viel, der hat einem dann Beine gemacht (lacht).

ball-Karriere startete. Ist die Stadt Ihre Heimat? Auf jeden Fall. Ich bin hier aufgewachsen, Münster ist meine Heimat. Sicherlich könnte ich auch in Lüttich sehr gut leben, dem „Klein-Paris“ (lacht). Dort hatte ich eine fantastische Zeit. Aber ich bin eben echter Münsteraner. Das komplette Interview gibt´s auf www.3eckeneinelfer.de

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auch ihre dritte Station unter dem Trainer Otto Rehhagel. Herrn Rehhagel hatte ich in Offenbach, Dortmund und in Bremen als Trainer. In Bremen kam er dann nach dem Unfall von Klötzer. Wie man heute weiß, war das für Rehhagel das große Los.

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Unser Autor Christoph Hoffmann wollte sich nur die Zeit vertreiben – und wäre fast nach Vietnam geflogen, um einen Jahrhundertfußballer zu verpflichten. Vietnam ist ein seltsames Land. Die Vietnamesen essen Schlangenherzen und trinken Baby-Bären-Galle um wieder ordentlich Ramba Zamba im Schlafzimmer veranstalten zu können, zetteln Kriege mit völlig überlegenen Gegnern an und verkaufen massenhaft preiswerte Zigaretten an dubiosen Häuserecken in Großstädten in aller Welt. Nur fußballerisch ist hier irgendwie der Hund begraben (har, har…). Doch Moment: ein Land mit so tollen Einwohnern muss ja wohl auch die eine oder andere tolle Geschichte zum Weltfußball beizutragen haben. Irgendetwas darüber herauszufinden, ist sehr viel schwieriger als man denkt. Im Internet findet man hier oder da eine Seite, die die einzelnen Vereine der vietnamesischen Liga - der V-League – auflistet. Manchmal mit Spielern oder mit Ergebnissen, aber Fotos oder gar kleine Geschichten über die Spieler sind fast nirgendwo aufzutreiben. Erst nach sehr langer Suche fand ich eine Homepage, die 1.) teilweise auf englisch ist und 2.) über ein englisch-sprachiges Forum verfügt. Eine Seltenheit. Dieses Forum entpuppte sich zwar nicht unbedingt als wahre Goldgrube in Sachen lustiger Lach- und Sachgeschichten. Eine außergewöhnliche Möglichkeit bot sie dennoch. Und zwar die, den womöglich besten Fußballspieler der Welt zu verpflichten. Zunächst bekam ich auf meine kurze Anfrage, was denn für Ausländer am Fußball aus Vietnam so alles interessant sein könnte, einen üppigen Batzen Antworten. „Vietnamese Soccer is the best in the World!!! Tell That to everybody in your country!!!“ schrieb mir der freundliche User „Powershoot-Beckham“. Er unterstrich seine Überzeugungen, in dem er mir diesen Text etwa 20-mal zupostete. „Check out the Player Nguyen Huy Hoàng from Song Lam Nghe An. He is verrrrry goooood! Like Michael Ballack and Ronaldinho, but with less skills. But he plays sooooo goooood!“, jubelierte der aufgebrachte „.:.:.ilovepho.:.:.:.“. Das war alles sehr schön, aber noch nicht so ganz das, worauf ich gehofft hatte. Das ersehnte Highlight 50

des vietnamesischen Fußballs empfahl mir erst „quocno1992“: „Es gibt da einen ganz besonderen Spieler beim FC Thành pho Hi Chí Minh. Sein Name ist Nguyen Van Dang, ein Stürmer. Er versucht jedes Mal ein Tor zu erzielen, indem er auf den Knien rutschend – in Rockstar-Pose - den Ball mit den Knien ins Tor bugsiert. Das gelingt ihm nicht wirklich oft, aber es ist immer verdammt lustig, ihm dabei zuzuschauen. In Vietnam ist er eine richtige Berühmtheit.“ Das gefiel mir außerordentlich gut. Ich fragte nach, ob es irgendwo Videos, Fotos oder noch mehr Informationen zu dem Spieler geben würde. Leider antwortete „quocno1992“ erst mal gar nicht. Einige andere Forumsmitglieder schrieben aber, dass sie noch nie von diesem Spieler gehört hätte, auch auf der Homepage des Vereines tauchte er nicht auf. Nur sagten mir immer wieder ein paar Vietnamesen, dass es gerade unter jungen Fußballern durchaus üblich sei, Tore auf außergewöhnliche Art und Weise zu erzielen. Einer schrieb, er kenne jemanden, der vor dem gegnerischen Tor einen Kopfstand machen würde, um aus dieser Position Tore zu schießen. Ein anderer wusste von einem Spieler, der (ich bin mir relativ sicher, dass hier die Phantasie mit dem Verfasser etwas durchging) locker zwei bis drei Meter hoch springen könne und den Ball dann sicher ins Tor köpfen würde. Wie er zu solch außergewöhnlichen Fähigkeiten in der Lage sei, hakte ich investigativ nach. Er könne das, antwortete mein neuer Freund, weil der Spieler vor jeder Partie eine Suppe aus Vögeln essen würde. Das erschien mir dann doch wieder ganz plausibel. Mir wurde aber immer wieder gesagt, dass solche Tricks nicht in der richtigen Liga passieren würden, die immerhin von allen sehr ernst genommen werden würde und nicht der richtige Ort für derlei Sperenzchen sei. Traurig verabschiedete ich mich schon von der Idee, dass irgendwo auf der Welt wirklich jemand in der Lage sei, solche Tore zu schießen. Dann aber meldete sich „qocno1992“ wieder! Er gab zu, dass der Spieler zwar nicht beim FC Thành pho Hi Chí Minh spiele und auch noch nicht sonderlich berühmt sei, wohl aber das Talent hätte, nicht nur der beste Spieler der Welt zu werden – nein! - sondern auch noch der Außergewöhnlichste, weil eben seine Technik die besagten Tore in der Rockstar-Pose ermög-

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liche. Videos könne er leider immer noch keine schicken, dafür aber Fotos und sogar die Telefonnummer von dem Spieler höchstpersönlich. Darum wollte ich natürlich nicht zweimal bitten. Schon eine Stunde später bekam ich drei Fotos, die deutlich bewiesen: Asiaten sehen entgegen aller Vermutungen überhaupt nicht alle gleich aus. Auf einem Foto war das angebliche Super-Talent dünn, gut gebräunt und etwa 15 Jahre alt. Auf dem zweiten Bild blickte mir ein deutlich älterer und deutlicher dickerer Mann entgegen. Das dritte Bild zeigte eine Spielszene, in der der so Angepriesene von hinten zu sehen war. „quocno1992“ schickte mir dazu noch eine etwa 20stellige Telefonnumme mit, die, so der vietnamesische Fußballfreund, ich aber lieber nicht anrufen sollte. Nguyen Van Dang könne schließlich nur vietnamesisch sprechen. „quocno1992“ bat mir aber für den Jubiläumspreis von nur 100 Dollar an, die Übersetzung am Telefon zu übernehmen. Und sollte ich Interesse an einer schnellen Verpflichtung habe: kein Problem. Für 100.000 Dollar sei Nguyen Van Dang zu haben. Im Preis inbegriffen seien der Flug nach Vietnam, sowie lästige Behördengänge. „quocno1992“ versicherte mir dazu noch eindringlich, dass er ein sehr seriöser Geschäftsmann sei, ich ihm deshalb voll und ganz vertrauen könne. Er schickte mir den Link einer Homepage zu, auf der wir ungestört chatten könnten, um ganz sicher und diskret unsere Transaktionen abwickeln zu können. Das kam mir in der Tat sehr seriös vor. Also kam ich zum vorher vereinbarten Zeitpunkt auf die Seite, die mir „quocno1992“ genannt hatte. Neben reichhaltigen Werbeanzeigen von jungen Frauen, voller sexuellem Tatendrang, öffnete sich ein kleines Chat-Fenster, in dem mein Geschäftspartner schon auf mich wartete. Dort steckte er mir, dass er Nguyen Van Dang leider schon an einen anderen Verein verkauft hätte, mir aber immer noch sehr gerne ein Interview mit ihm verschaffen könne. 100 Dollar für ein Telefon-Interview, direkt vor Ort sogar für 500 Dollar. Ich willigte spontan ein und sagte „quocno1992“, dass ich am nächsten Tag um 15 Uhr am Flughafen in Ho Chi Minh Stadt anzutreffen sei. Dazu schickte ich ihm ein Foto von Kevin Kuranyi aus der Nutella-Werbung und sagte ihm, dass ich so aussehen würde. Er solle mich bitte am Terminal abholen. „quocno1992“ war dazu aber leider nicht mehr bereit und schrieb stattdessen: „I can´t do that. We can make business any other time. I will write you emails when i have time.“ Seitdem habe ich leider nichts mehr von „quocno1992“ gehört. Ich hoffe, es geht ihm gut. Und ich hoffe, dass Nguyen Van Dang bald seinen großen Durchbruch schafft, damit alle Welt sehen kann, was dieser Mann für tolle Tore schießen kann.

epasst: ter aufg h auch ä v g n u ic dJ iner un le gibt s uchstra r-Fußballschu n Bundesligale w h c a N e r e h lt te c a n is u it F stm ind die Klau Ehre und tour k. Mit dabei s bramczik li A ie b 2009 d urch die Repu pens, Rüdiger König d ip e genden Willie „Ente“ L r unumstritten ter Klaus e va d m r e e h r c b e ndli and er-Ü stverstä Fallrückzieh lb e s d – un hte h. agerec der Wa chstpersönlic te Förö h r e h tet ech inie b Fisc le u sch Vere Fußball gänzung des auch ischerr F E ls r s a u u , z n la nde lung Die K d Schu l an Wochene rofessionelle n u g n u h p der owo Das trainer gs, ist s rwegs. strainin hulferien unte te Nachwuchs zwischen n de Sc in den urch ausgebil en und Junge d h c g d ä in in M Tra alle sich an richtet Jahren. 5 8 und 1


Genialer Kampfhahn

Text: Mark Tofall | Foto: imago

Er galt als größtes italienisches Talent seit Roberto Baggio. Mit einem Jahrhunderttor schoss er sich in den Fußballhimmel, aber sein schwieriger Charakter und Dutzende Eskapaden sorgten für einen tiefen Fall. Doch Antonio Cassano ist wieder da. Und wie! Längst hat sich das Sorgenkind zurück in die Herzen der Tifosi gespielt und vor allem geredet. Doch Nationalcoach Marcello Lippi lässt das kalt. Ganz Italien wartet vergebens auf seine Rückkehr in die Squadra Azzura. Kein Wunder, denn Antonio Cassano ist mehr als nur ein herausragender Stürmer. Er ist der Fußballer gewordene Beweis dafür, dass Genie und Wahnsinn derselben Wurzel entstammen. Stellt Euch vor, Klaus Kinski wäre nicht Schauspieler geworden, sondern Fußballer. Wie dieser Fußball-Kinski wohl auf eine Gelbe Karte reagieren würde? Vielleicht würde er einen Tobsuchtsanfall kriegen, sein Trikot über den Kopf ziehen, sich in den Stoff verbeißen. Sich auf den Boden werfen, mit den Fäusten auf den unschuldigen Rasen trommeln, wieder aufstehen und anfangen zu heulen. Den Schiedsrichter bedrohen, um schließlich von Gegnern und Mitspielern wieder zur Raison gebracht zu werden. So zumindest reagierte Cassano während eines ganz normalen Ligaspiels – und das nicht nur einmal. Selbst in Italien, ein Land der liebevoll gepflegten Flüche und nonverbaler Gestik ist Cassano ob seiner Aussetzer eine absolute Ausnahme.

Eine großmäulige Rotznase

Und doch (oder gerade deshalb?): es gibt es nur 52

wenige Spieler, die so hoch in der Gunst der Tifosi stehen. Das hat seine Gründe. „Enfant terrible“, schreckliches Kind, nennen die Franzosen solche Typen und man muss Italien nicht besonders kennen, um zu wissen, dass Kinder und Familie dort eine ganz besondere Rolle spielen. Antonio Cassano, inzwischen 26, ist für die meisten seiner Landsleute noch immer der kleine Junge aus dem Armenviertel von Bari. Ein Straßenkind, das ohne ein stabiles familiäres Umfeld aufwuchs und der eigentlich nur eine Sache gut konnte: Fußball spielen. Überall, zu jeder Zeit.

Am 18. Dezember 1999 spielt Cassano zum zweiten Mal für den AS Bari in der Serie A. Der 17-Jährige gilt schon vor dem Spiel als großes Talent, aber was er in diesem Spiel in der 88. Minute gegen Inter Mailand zeigt, macht ihn zum gefragtesten Nachwuchsfußballer Itali-

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ens. Als ein 50-Meter-Pass aus der eigenen Hälfte in seine Richtung segelt, nimmt Cassano den Ball im vollen Lauf volley mit der Hacke an, legt sich das Spielgerät selbst mit Kopf auf, spielt im Strafraum kurzerhand das WeltklasseverteidigerDuo Panucci/Blanc aus und netzt dann souverän links unten zum 2:1-Endstand ein. Ein Jahrhunderttor. Über Nacht ist aus der großmäuligen Rotznase ein berühmter Nachwuchsstar geworden. Auf die Frage, wie dieser Moment sein Leben verändert habe, sagt Cassano später: „Bevor ich berühmt wurde, bin ich in der Schule sechsmal sitzen geblieben und keine Frau beachtete mich. Danach ließ man mich sofort bestehen und ich war plötzlich Brad Pitt.“ Dass sich der neu gewonnene Starrummel jedoch alles andere als unterstützend auf seinen Reifeprozess auswirkte, lässt sich an den zahlreichen Eskapaden erkennen, die sich Cassano in der Folgezeit leistet: Er beschimpft Tr a i n e r, bespuckt Gegenspieler u n d prahlt in der Presse damit, wie viele Frauen er pro Woche flach legen würde. 2001, nach zwei durchschnittlichen

Spielzeiten, transferiert man ihn für unglaubliche 30 Millionen Euro zum AS Rom, um an der Seite seines Vorbilds Francesco Totti zu spielen. Auch in der ewigen Stadt fällt der 19 Jahre alte Hitzkopf zunächst nur durch Skandale auf. Seine ständigen Ausraster und Platzverweise paaren sich mit einer schlampigen Trainingseinstellung und einem ausschweifenden Privat- und Nachtleben. Roma-Coach Fabio Capello lässt sich spontan zu einer Wortneuschöpfung inspirieren: Die „Cassanata“ (≈ Cassan-ismus), Bezeichnung für die oft mannschaftsschädigenden Fisimatenten des Jungen aus Bari, geht in den italienischen Fußballwortschatz ein.

Geburtsstunde der „Cassanate“

Und doch ist es eben der so farblos wirkende Capello, der mit ewiger Geduld aus dem schlurigen Talent nach und nach einen Top-Fußballer formt. In der dritten Saison bedankt der sich mit 14 Ligatoren und zahlreichen Torvorlagen. Ein ganz besonderes Geschenk macht er seinem Trainer-Vater im Klassiker gegen Juventus Turin im Februar 2004. Vor dem Spiel verspricht ihm Cassano freimütig, im Falle eines Tores die Eckfahne durchzutreten. Er holt einen Elfmeter raus, schießt zwei Tore und säbelt die Stange mit seinem Schuh so sauber in der Mitte durch, dass es Minuten dauert, bis Ersatz gefunden ist. Im gleichen Jahr fährt er mit der Nationalmannschaft zur EM nach Portugal. Cassano ist der beste Spieler einer schwachen Squadra Azzura und erzielt zwei Tore in drei Spielen. Doch Italien scheidet in der Vorrunde aus und auch für Cassano geht es wieder abwärts. Als Capello die Roma 2004 verlässt, zeigt sich einmal mehr, warum der Stürmer den Spitznamen „Peter Pan“ völlig zu Recht trägt. Cassano ist immer noch weit davon entfernt erwachsen zu sein. Das spüren auch die Folgetrainer. Darunter ein gewisser Rudi Völler, der es auch dem talentierten Querulanten zu verdanken hat, dass sein Engagement bei der Roma nur einen Monat andauert. Obwohl sich ein Weggang schon früh abzeichnet und seine Leistungskurve in Rom stark nach unten zeigt, dauert es dennoch bis Anfang 2006, bis Cassano schließlich zu Real Madrid wechselt, auch dort findet er nicht zu alter Stärke. Zwar folgt ihm kurz danach sein alter Spezi Capel-

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lo zum spanischen Weltklub, aber selbst unter Capello kommt Cassano kaum zu Einsätzen. Er nutzt die freie Zeit, zur ausgiebigen Erkundungstour durch die spanische Küche und trägt bald einen ansehnlichen Ranzen vor sich her. Dass er nicht vollends zum Mops aus Bari wird, ist dabei wohl weniger seinem fußballerischen Engagement zu verdanken, als vielmehr einer anderen körperlichen Betätigung: mit fast 700 Frauen will Cassano schon geschlafen haben, erzählt der selbst ernannte Oberstecher mit stolz geschwellter Brust. TV-Moderatorin Michelle Hunziker kann dem Proll-Charme des Italieners wiederstehen, und lässt sich selbst dann nicht überreden, als ihr Cassano anlässlich des Schlagerfestivals in San Remo 500 Rosen in die Garderobe bringen lässt.

Rosen für die Hunziker

Endgültig besiegelt wird Cassanos Schicksal bei Real schließlich durch eine weitere „Cassanata“ allererster Güte. Vor einem Auswärtsspiel der „Königlichen“ fängt Cassano – noch im schicken Madrider Ausgehanzug - ein Gespräch mit dem Franzosen Diarra im Innenraum des Stadions an. In eindeutigen Posen ahmt er Ziehvater Capello nach, dessen strengen Gesichtsausdruck der Stürmer äußerst talentiert imitieren kann. Ein spanischer Sender filmt das Schaustück per Zufall, engagiert einen Lippenleser und stellt fest, dass sich der Bankdrücker lang und breit über die Aufstellung seines Trainers ausließ. Capello reagiert erheblich verschnupft und sperrt sowohl Cassano, als auch Gesprächspartner Diarra. Der Bruch zwischen Vaterfigur und Zögling ist perfekt. Seitdem sieht man Cassano in Interviews nur noch mit Hand vor dem Mund. Gepflegte Paranoia. In Spanien hat man langsam die Nase voll, 2007 wechselt Cassano auf Leihbasis zurück nach Italien. Zu Sampdoria Genua. Was folgt, lässt sich als klassisches Win-Win-Geschäft titulieren. Die Madrilenen, endlich befreit von täglichen Eskapaden haben ihre Ruhe zurück, das eher durchschnittliche Genua bekommt dafür plötzlich einen neuen Spielgestalter der Extraklasse. Denn: Cassano blüht wieder auf. Und wie. Er dribbelt wieder wie in besten Zeiten, lässt reihenweise drei, sogar vier Gegenspieler aussteigen, und wird schnell der neue Held in der 54

Hafenstadt., mit zwei Treffern im Derby gegen den CFC Genoa zaubert er sich in die Herzen der Sampdoria-Anhänger. Fast scheint es, als würde er sein Versprechen einhalten, sich fortan nur noch auf den Fußball zu konzentrieren. Doch im März 2008 ist er wieder der zornige Junge, für den die Welt voller Ungerechtigkeit ist. Im Spiel gegen Turin, Cassano hatte zuvor den 2:2-Ausgleich erzielt, wird er wegen Meckerns vom Platz gestellt. Die Reaktion lässt nicht lange auf sich warten: erst fliegt dem Schiedsrichter das Trikot des Bestraften ins Gesicht, dann folgen die Worte: „Ich warte draußen auf dich!“ Fünf Spiele Sperre musste er dafür hinnehmen. Cassano wäre nicht Cassano, wenn er nicht nach der Sperre wieder mit brillanten Aktionen punkten würde. Dank seiner Leistungen erreicht die Sampdoria den Uefa-Cup, pünktlich zur EM in Österreich und der Schweiz trägt er wieder das Nationaltrikot. Der neue Coach Marcello Lippi sortiert Cassano aber bald wieder aus. Verwunderlich. Denn Peter Pan scheint tatsächlich erwachsen geworden zu sein. Seit der letzten „Cassanata“ ist jetzt mehr als ein Jahr vergangen. Der Testosteron-Jünger steckt gar in einer festen Beziehung: mit einer italienischen WasserballSpielerin. In der laufenden Spielzeit hat er sich noch einmal gesteigert, schießt Traumtore und glänzt vor allem als Vorbereiter. Längst hat Juventus Turin seine Fühler ausgestreckt. Von 20 Millionen Euro Ablöse ist die Rede.

„Ich warte draußen auf dich!“

Eine Berufung in die Nationalmannschaft blieb trotzdem aus. Stattdessen nominierte Lippi zuletzt Cassanos Sturmpartner Pazzini. Ein Schritt, den selbst die konservative „Gazzetta dello Sport“ nicht nachvollziehen wollte. Das Fachblatt schlägt sich auf die Seite von Cassano, vergleicht ihn sogar mit Zlatan Ibrahimovic. Lippi reagierte prompt: „Kampfhähne, die nur den Hühnerstall aufscheuchen, brauche ich nicht.“ Cassano bleibt gelassen: „Ich habe noch nie mehr als 60% meines fußballerischen Könnens abgerufen. Sich-Anstrengen und Trainieren ist echt nicht mein Ding!“ Die Geschichte von Antonie Cassano, Frauenheld, Kindkopf und FußballGenie, sie ist noch längst nicht zu Ende.

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Boots Upside Your He

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Text: Nicholas Allt

Es ist einfach großartig, sich an diesen Tag des Jahres 1971 zu erinnern; irgendwie erschien er mir wie meine erste Schlacht für die Reds. Albern, ich weiß, aber wenn man älter wird, dann erkennt man, welch wichtige Rolle Liverpool FC und der Fußball ganz allgemein in deinem Leben gespielt hat. Nach dem Halbfinale von 1971 fragte Bill Shankly die Reporter während der Pressekonferenz, wo denn Harry Catterick, der Trainer von Everton, sei. Daraufhin erzählte man Shanks, Catterick sei erkrankt und hätte dem Spiel fernbleiben müssen. Shanklys Antwort war: „Was? Ihn hielt eine Krankheit vom Spielbesuch ab? Meine Güte, ich hätte tot sein können, aber ich hätte immer noch dafür gesorgt, dass man den Sarg auf die Tribüne schleppt, da aufstellt und ein Loch reinsägt; dort, wo der Kopf ist“. Shankly, unser King Als ich die Worte dieses Mannes hörte, da wollte ich auch Teil von Shanklys Red Army sein, und so wurde ich der Junge, der immer in der Nähe der Boot Boys in ihren Crombies herumlungerte. Denn die hatten jede Menge Geschichten zu erzählen, von Fußballprügeleien überall im Land, und von Shankly, ihrem King. […] Ein knappes Jahr später nahm mein Vater mich und meinen Bruder nach Leeds mit. Für eine halbe Stunde konnten wir uns verpissen, um die Boot Boys in Aktion zu erleben. So sahen wir den großen Liverpool-Mob, mit den Kirkby-Skins mittendrin, und einen noch größeren Leeds- Haufen, vor dem wir uns beinahe einschissen, dachten wir doch, sie hätten uns kleine Wichte als Scouser erkannt und würden uns jetzt eintüten. Aber wir wurden kein Zeuge irgendwelcher Gewalttaten, und schnell hatten wir uns wieder zu unserem Vater und seinen Freunden gestellt. Einige Monate später bekam ich eine Freikarte für das Heimspiel an der Anfield Road gegen Newcastle. […] Als ich das Stadion verließ, hatte Newcastle einen Mob von etwa 200 Männern vor Ort – Männer, nicht Jugendliche. Sie trugen schwarzweiße Schals, sorgsam um ihren Hals geknotet, und zumeist Jeansjacken und Crombies. Als sie den Arkles-Pub an der Ecke vom Stanley Park

erreichten, kamen Tausende von Männern und Jugendlichen aus Richtung des Kop End gerannt und stürzten auf die Zweihundert los. Verdammte Scheiße, das sind ja wirklich Tausende, denke ich noch, und natürlich wenden sich die Geordies und beginnen, davonzulaufen, wie wohl fast jeder es getan hätte. Doch plötzlich wendeten sich dreißig oder vierzig Gestalten erneut und stellten sich zum Kampf. Aber sie waren natürlich übelst in der Unterzahl und gingen trotz ihres Entschlusses, sich zu stellen, bald zu Boden, während sich in echter Siebziger-JahreEleganz AirWair- Sohle und Feder-Haarschnitt trafen. Ganz so wie in dem Lied „Oops Upside Your Head“, nur eben eher mit dem Text „Boots Upside Your Head!“ Und genau dieser Moment war gerade angebrochen. […] Und dreißig harte Scouser hätten gegen dreißig harte Geordies einfach gewinnen müssen: Denn schlichter Schläger- Verstand lässt jeden sofort verstehen, dass es einfach viel mühsamer ist, rechte Haken zu hauen, wenn deine Arme vom Gewicht der vielen „Elvis“- und „Mam und Dad“-Tattoos nach unten gezogen werden. Wie schon das alte Sprichwort sagt: „Saubere Arme, saubere Haken“. […] Schließlich tauchte die Polizei auf und drängelte die Menge auseinander. Und als die dreißig Geordies, nachdem sich der Staub gelegt hatte, erhoben und sich denselben von den Jacken klopften, wurden sie von dem riesigen Liverpooler Mob wie Helden gefeiert: Jeder Einzelne wurde beklatscht, dann bejubelt und dann wieder beklatscht, als man sich die Straße hinab verabschiedete. Und die Polizei, völlig typisch, konnte die Situation schlicht nicht durchschauen. Eine surreale Sache. Ich zollte meinen Respekt der Nicht-Läufer GmbH, die offenbar an diesem Tage den Auswärtsbus aus dem Nordosten des Landes gestellt hatte. Denn diese Typen zogen das Schlendern dem Laufen vor. „The Boys from the mersey – Unterwegs mit der Annie Road End Crew Liverpool” von Nicholas Allt erscheint im formidablen Trolsen-Verlag.

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Text: Dominik Steinhoff | Fotos: Privat Georgi zeigt uns einen Abdruck aus einer englischen Zeitung des Jahres 1927, ein in acht so genannte „Squares“ unterteiltes Spielfeld. Der Clou: der Zuhörer kann das Spiel auf dem Zettel verfolgen, während er der Reportage lauscht. Georgi spielt uns eine frühe Aufnahme des englischen Livekommentars vor. Man hört zwei Reporter. Einer schildert das Geschehen auf dem Platz, der andere informiert immer wieder über den Square, in dem sich der Ball gerade befindet. „Two. Now three. Two again.“ Das Konzept setzt sich durch. Wenig später gibt es auch in Deutschland Radioreportagen von Fußballspielen.

David Georgi hat ein spezielles Verhältnis zum FuSSb� ball. Seit seinem zwölften Lebensjahr ist er vollständig blind. Und weiterhin vernarrt in das Spiel – bis heute hat er Live-Partien im Radio auf mehr als 500 Kassetten und 300 CDs gebannt. Nicht nur das: der Marburger reist dem FuSSb� ball hinterher. Überall auf der Welt.

„Two. Now three.“

David Georgis Sehleistung verschlechtert sich seit er fünf Jahre alt ist kontinuierlich. Das beeinträchtigt ihn auch beim Fußballspielen. „Ich habe mich nicht ganz zurückgezogen, aber ich war draußen auf dem Bolzplatz eben nicht mehr so präsent. Und ein Ort, an dem ich trotzdem Fußball hatte, war eben der Platz vor dem Radio.“ Die WM 1990 schließlich bezeichnet Georgi als Knackpunkt. Er beginnt Live-Spiele aufzunehmen, zunächst noch, weil die neuartige Aufnahmetechnik mit dem Kassettenrekorder reizt. Aus dem anfänglichen Hobby wird eine echte Leidenschaft. Wir fragen ihn, ob er bei seinen Mitschnitten ausgesiebt habe oder tatsächlich alles auf seinen Tapes verewigte. „Ich würde nicht sagen alles“, antwortet Georgi nach kurzem Zögern, „aber krankerweise muss ich gestehen, dass es deutlich in die Richtung ging. Wenn ich mal in den Urlaub gefahren bin, habe ich jemanden damit beauftragt, die Spiele für mich aufzunehmen.“ Die Anfänge der Radioreportage liegen in England. 1927 begann die BBC, die Spiele der First Devision in voller Länge zu übertragen. David 58

„Es ist interessant, wie sich die Sprache verändert hat“, erzählt Georgi. Bei einem Spiel zwischen Deutschland und England im Jahre 1930 hätten die Reporter Sätze wie „Der Kampf steht mittlerweile unentschieden“ von sich gegeben. Reportage mit Schulterklappen. Bis weit in die 60er Jahre hinein ist der schneidende, teilweise kriegerische Ton Markenzeichen der Michels und Zimmermanns. „Mit der Generation um Manni Breuckmann wurde es dann moderater, die Reportage passte sich der Alltagssprache an.“ Allerdings, bemängelt der Radio-Kritiker, zu viele Anekdoten fern des aktuellen Spielgeschehens würden das Hörerlebnis deutlich trüben. „Mir gefällt da das Konzept bei ´Radio five live´ besser. Ein Reporter setzt den Zuhörer über die harten Fakten in Kenntnis. Wie ist der Spielstand? Was passiert gerade? Wer spielt wo, und hat welche Aufgabe? Ein zweiter Reporter, meist ehemaliger Spieler oder Trainer würzt das Live-Erlebnis mit taktischen Kritiken und genauer Spielbeobachtung.“ Ein anderes Konzept würden wiederum die Portugiesen verfolgen. „Hier sitzen gleich meh-

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rere Sprecher im Studio, die fangen bereits vier Stunden vor dem Spiel an wild durcheinander zu babbeln. Immerhin: die Portugiesen sind extrem fair und objektiv.“ Wir kommen noch einmal auf das Aufnehmen zurück. Nimmt er jetzt, mit 30, noch immer Spiele aus dem Radio auf? Nein, sagt Georgi, die Zeiten sind vorbei. Von 1990 bis 2004 sei er dieser speziellen Leidenschaft nachgegangen. „Ich genieße die Spiele jetzt viel mehr und muss nicht mehr jede Partie verfolgen.“ Geblieben ist ein geradezu akustisches Fußballgedächtnis, manche Radioreportagen aus den 90er-Jahren kann Georgi fast wortgetreu vervollständigen. „Mein Vater hat immer gesagt: Junge, geh doch zu ´Wetten, dass…?´“, Stimmen aus Buenos Aires In Zukunft wird David Georgi, der vollständig erblindete Fußball-Fan, die Welt erkunden. Mit dem Mikrophon. Er öffnet eine Audio-Datei, reicht den Kopfhörer über den Tisch. Helle Stimmen, vermischt zu einem lauten FußballChor. „River Plate“, lächelt unser Gesprächspartner, „Sensationell. Alle stehen, wo sie wollen, es fließt Bier von oben, auf der Tribüne wird gegrillt. In der Halbzeit werden die Ergebnisse auf den anderen Plätzen durchgesagt, ansonsten hört man nur Gesänge der Fans. Das ganze überflüssige Rahmenprogramm aus den Lautsprechern, das in Europa inzwischen Standard ist, entfällt. Das ist fantastisch.“ Vom Fußballvirus ist der Mann also nicht geheilt. Allerdings: „Fußball ist ja schön und gut. Aber wenn man nicht aufpasst, hat man irgendwann keine Freunde mehr.“ Seine zukünftige Frau ist da härter im Nehmen. Die Flitterwochen sind bereits verplant. Das Ehepaar Georgi fliegt nach Costa Rica. „Zufällig“, sagt der Abenteurer im Namen des Balls und grinst, „findet dann dort das letzte Gruppenspiel in der WM-Qualifikation statt.“ 3 EckenEinElfer

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Es war am 15. April 1989 als der FC Liverpool auf Nottingham Forrest traf. Viel zu viele Fans drängten in das viel zu kleine Hillsborough-Stadion in Sheffield. Kurz nach dem Anpfiff brach eine Massenpanik aus, 94 Liverpool-Fans starben noch vor Ort, wurden zerquetscht oder erstickt. Zwei Menschen erlagen später ihren Verletzungen. 20 Jahre nach der Katastrophe trafen sich tausende Anhänger an der Anfield Road. Zur Erinnerung an 96 Opfer. Text und Fotos: Christoph Köchy

E

ine gespenstische Stille umgibt mich, als ich die Anfield Road erreiche. Der 15. April 2009. Vor genau 20 Jahren kamen in Sheffield 96 Menschen ums Leben, die an einem sonnigen Tag ein Fußballspiel anschauen wollten. An Spieltagen gleicht die legendäre Anfield Road einem Ameisenhaufen. Tausende rennen durcheinander, scheinbar ziellos, doch alle verfolgen einen gemeinsamen Plan: Die bedingungslose Unterstützung des Liverpool Football Clubs. Heute bewegen sich die Menschen ruhiger, wie auf Schienen streben sie in Richtung der Eingänge.

Die Vorfreude, die sonst beim Erklimmen der Stufen im Inneren des Stadions zu spüren ist, weicht heute der Beklemmung. Ich nehme Platz auf der wohl berühmtesten Tribüne der Welt. „The Kop“. Hier wurden Meisterschaften gefeiert und Pokale gewonnen. Heute wird getrauert. Im Anschluss an die feierliche Verlesung der Namen derer, die vor zwei Jahrzehnten ihr Leben ließen, steht eine ganze Stadt still. Um 15.06 Uhr, dem Zeitpunkt, an dem das Spiel damals in Sheffield abgebrochen wurde, schweigen die Menschen in Anfield. Der öffentliche Verkehr ruht, die Kathedralen läuten exakt 96-mal. 60

Nach der Stille klatschen die Menschen, genießen die gegenseitige Nähe, das Zusammengehörigkeitsgefühl. Liverpool FC ist nicht irgendein Verein. Er ist hier - in der von Arbeitslosigkeit gebeutelten Stadt - eine Familie, die jeden aufnimmt, der das rote Shirt mit dem Liverbird auf der Brust verehrt. Innerhalb dieser Familie ist es selbstverständlich, sich in schweren Tagen zur Seite zu stehen.

Trevor Hicks, Präsident der Hillsborough Family Support Group, führt durch die Zeremonie. Er selbst verlor zwei Töchter in Sheffield, sie waren gerade einmal 15 und 19 Jahre alt. Hicks ist überwältigt von der Anzahl der Menschen, die heute für ihn und die Angehörigen der weiteren Opfer gekommen sind. Er hat jahrelang für Gerechtigkeit gekämpft, denn es gibt etwas, das die Katastrophe für die Angehörigen nach wie vor unerträglich macht: Niemand hat bis zum heutigen Tag die Verantwortung für das übernommen, was in der Leppings Lane geschah. Überlebende haben in der Vergangenheit vielfach vom Fehlverhalten der Polizei berichtet, allein eine Verurteilung erfolgte nie. Im Gegenteil. Mehrfach behaupteten Polizisten Liverpool-Fans seien betrunken gewesen und

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trügen demnach eine Mitschuld. Noch schlimmere Anschuldigungen veröffentlichte das damals erzkonservative Boulevardblatt „The Sun“. Redakteur Kelvin MacKenzie schrieb, Fans hätten ein totes Mädchen missbraucht, auf Tote uriniert und Polizisten zusammengeschlagen. Dreiste Lügen, eine Ohrfeige für jeden Anhänger Liverpools. Nie wurden diese Fälle von irgendjemandem bestätigt, die Zeitung entschuldigte sich später für den „größten Fehler in ihrer Geschichte“. MacKenzie veröffentlichte ebenfalls eine Entschuldigung, zog diese aber später zurück. Er habe, so MacKenzie, nur dem Drängen von „Sun“-Eigentümer Rupert Murdoch nachgegeben. „Don‘t buy the Sun“ heißt es seither in Liverpool, der Slogan prangt auf großen Bannern und Doppelhaltern. Kaum einer der Zeitungshändler verkauft das Blatt noch, in Merseyside sank die Auflage von 240.000 dauerhaft auf 12.000 Exemplare.

Für eine schonungslose Aufklärung der Umstände kämpfen viele Menschen in Liverpool, doch fehlt die Unterstützung durch die Regierung. Minister

Andy Burnham muss an diesem Nachmittag seine Rede unterbrechen, die Massen skandieren „Justice for the 96!“. Die Stimmung scheint zu kippen. Trauer weicht Wut. Positive Energie ist erst wieder zu spüren als Steven Gerrard den Platz betritt. Der Kapitän der Reds, er einer der direkt Betroffenen. Sein Cousin Jon-Paul Gilhooley kam in Sheffield ums Leben. Jon-Paul ist das jüngste Opfer, mit zehn Jahren nur wenig älter als Steven. Sein Tod, schreibt Gerrard in seiner Autobiographie, hat ihn zu dem Fußballer gemacht, der er heute ist. Das Schicksal seines Cousins ist Gerrards Ansporn, seine Motivation. Er spielt für Jon-Paul. Der Abschluss der Zeremonie an der Anfield Road ist ergreifend. Gerry Marsden stimmt „You‘ll Never Walk Alone“ an und mit ihm singen 30.000 Menschen. Arm in Arm, die Schals nach vorne gestreckt. 96 rote Luftballons schweben in den Himmel. So viel Zuneigung liegt in der Luft, es fühlt sich an wie eine liebevolle Umarmung, die den Angehörigen das zeigt, was Hicks ausspricht: „Immer noch zusammen, immer noch entschlossen, immer noch überzeugt, dass die Wahrheit über die Lüge siegen wird.“ Die Wunden aus Hillsborough sind längst noch nicht verheilt.

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