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FILMTAGE IM BREITSCH-TRÄFF
6. BREITSCH-TRÄFF-FILMTAGE Einsamkeit – die Kluft zwischen Wunsch und Realität
Die 6. Austragung der Breitsch-Träff-Filmtage vom 3. bis 5. November widmet sich dem Thema Einsamkeit. Wie gewohnt wird an jedem Abend ein Film aufgeführt mit anschliessender Diskussion. Die Spurensuche nach dem Missverhältnis zwischen gewünschten und real vorhandenen sozialen Beziehungen wird bereichert durch geladene Fachpersonen Martin Jost
«Einsamkeit hat So lautet der T v it ie el le ei Namen»: nes deutschen Schlagers aus den 1970er-Jahren. Ein banales musikalisches Ereignis, gewiss, jedoch mit einem Titel, der alles andere als banal ist; Schlager hin oder her. Das Thema der Filmtage, «Tabu Mythos Einsamkeit», ist versehen mit der Ergänzung «allein gelassen – oder gelassen allein». Und macht unmissverständlich auf die Vielfalt und Unterschiede innerhalb der Thematik aufmerksam: Einsamkeit als bedrückender Zustand, der krank machen kann. Oder selbst gewähltes Alleinsein als Lebensform und aus Überzeugung. Oder Einsamkeit als Ergebnis einer zunehmend individualisierten Gesellschaft. Schlüssige Antworten oder gar Rezepte werden anlässlich der Filmtage keine präsentiert. Dessen ist sich Heidi Kronenberg als Mitglied des 4-köpfigen Organisationsteams bewusst. Ob im Allgemeinen auf die Einsamkeit oder im Speziellen auf die Filmtage bezogen, äussert sie ihren Wunsch: «Ich wünsche mir, dass die Einsamkeit enttabuisiert wird. Dass man dazu stehen darf, einsam zu sein, und das auch ausdrücken darf.» Das treffe auch zu auf jene Menschen, die ganz bewusst alleine leben und nicht unter Druck geraten sollen, weil sie nicht in einer Partnerschaft leben und damit nicht dem gesellschaftlichen Ideal entsprechen.
Mut und Hoffnung vermitteln Remigio Funiciello, ebenfalls Mitglied des Teams, möchte, dass die Filmtage mit den begleitenden Gesprächen Hoffnung vermitteln können, weil «Alleinsein kann zwar oft bedrückend sein, ist jedoch nicht nur negativ». Er gehört zu jenen Menschen, die lernen mussten, alleine zu leben. Er spricht aus eigener Erfahrung. Und er will darüber sprechen, will andere Menschen motivieren, das auch zu tun. «Nachdem ich mich unter Menschen aufgehalten habe und danach wieder alleine zu Hause bin, ist das oft sehr schlimm.» Für Remigio Funiciello war die Wahl des diesjährigen Themas auch deshalb naheliegend, weil er in seiner Arbeit im Breitsch-Träff immer wieder Menschen wahrnimmt, die mit Einsamkeit zu kämpfen haben. Ein Zustand, welcher durch die Pandemie und die Isoliertheit der Menschen verschärft wurde, wie er feststellt. Die filmischen Beiträge mit den anschliessenden Gesprächen sollen keinen emotionalen Scherbenhaufen hinterlassen. Ganz im Gegenteil. «Wir wollen das Thema», so Heidi Kronenberg, «in seiner ganzen Breite zeigen und mit den Ansätzen der Fachpersonen Mut machen, der Einsamkeit entgegenzutreten.» So wie der wunderbare Harry Dean Stanton als «Lucky» im gleichnamigen Film, der am ersten Abend aufgeführt wird.
Das Bedürfnis zum Austausch Lucky lebt in einem staubigen Kaff im Südwesten der USA. Allein, aber nicht einsam. Dafür mit einer strengen Lebensroutine, mit einem akribischen Ablauf seiner täglicher Rituale. Dazu gehören Yoga-Übungen, Zigaretten, ein Glas kalte Milch, danach trinkt er Kaffee im immer gleichen Restaurant mit den immer gleichen Gästen. Nachdem er nachmittags Kreuzworträtsel gelöst hat, begibt er sich abends in seine Stammbar. Jetzt gibt’ s Bloody Mary statt Kaffee, dazu Gespräche über die kleinen und grossen Dinge des Lebens. Am Austausch mit anderen Menschen fehlt es Lucky nicht, Lucky ist zufrieden, wie es ist, und betreutes Wohnen will er nicht. Das Bedürfnis der Menschen, sich auszutauschen, stellt auch Heidi Kronenberg fest: «Es gibt eine Art neues Selbstbewusstsein, alleine zu leben und das Alleinsein gut zu gestalten. Doch sozialen Austausch brauchen auch diese Menschen.» Das hohe Mitteilungsbedürfnis vieler Menschen, verbunden mit kleiner Bereitschaft, auch mal zuzuhören, ist für sie auch ein Ausdruck von Einsamkeit. Eine Einsamkeit, die mittels elektronischer Kommunikationsmittel nur teilweise ersetzt werden kann. «WhatsApp und E-Mail haben kein Herz», bringt es Remigio Funiciello auf den Punkt. Auflehnen gegen Einsamkeit Der zweite Film «Les dames» nähert sich auf sensible Weise fünf älteren, alleinstehenden Frauen. Sie leben, und sie wollen das weiterhin tun. Genussvoll, lebensfroh und mit dem unerschütterlichen Glauben an die Liebe. Das alles steht ihnen zu, denn Einsamkeit ist keine Krankheit, schon gar keine angeborene und unheilbar ist sie erst recht nicht. Allerdings, so Heidi Kronenberg, «Einsamkeit hat auch einen politischen Faktor, weil Einsamkeit und Armut eng miteinander verknüpft sind». Sie meint damit die fehlenden finanziellen Möglichkeiten, um sich überhaupt in ein soziales Umfeld einzubringen, beispielsweise Geschenke zu machen, Leute einzuladen oder sich schöne Kleider zu leisten. Der dritte filmische Beitrag, «Tabu Einsamkeit», begleitet vier Menschen in ihrer Einsamkeit.
«Ich wünsche mir, dass Solche, die sich die Einsamkeit enttabuiam Ran schaft d G fü esellhlen, siert wird. Dass man dazu denen die Kraft stehen darf, einsam zu fehlt, sich selbst sein, und das auch ausGut ode e r s g z ar u Tr tu au n, er drücken darf.» verspüren beim Anblick fröhlicher Menschen. Gleichzeitig sind es aber auch Porträts von Menschen, die sich nicht verstecken wollen, die sich gegen die Einsamkeit auflehnen und zu ihrem Wohlbefinden gefunden haben. Sie haben ihre Angst, über Einsamkeit zu sprechen, abgelegt. Alleine die Angst, dereinst einsam zu sein, kann sich beklemmend auf das Leben eines Menschen auswirken. Denn Angst entsteht oft aus etwas Vorweggenommenem. Genauso ist es bei der Freude. Es besteht also berechtigte Hoffnung. www.breitsch-traeff.ch > Aktuell
6. BREITSCH-TRÄFF FILMTAGE
3. bis 5. November 2022 Barbetrieb ab 18.30 Uhr, Filmvorführungen um 19.15 Uhr Nach den Filmen Gespräche mit Fachpersonen Eintritt frei, Kollekte www.breitsch-traeff.ch/Filmtage
ALLERWELTSKÜCHE – ALLERWELTSGESCHICHTEN «Kochen ist eine weltumspannende Kunst»
Es ist angerichtet…
Bild: kb
Kann eine Veranstaltung ein Quartierchopf sein? Nicht im engeren Sinn, aber im weiteren. Alles, was beseelt ist, lebt. Und was lebt, hat nicht selten einen Kopf. Oder mehrere wie im Fall der Allerweltsküche. Darum sei es erlaubt, sie in diesem Rahmen zu präsentieren. Fünf Frauen haben die Allerweltsküche gegründet, seit einigen Wochen ist sie vierzehntäglich in Betrieb. Doch soll sie selber erzählen, ihr Selbstgespräch wurde belauscht.
Ich bin – ja, was bin ich? Kein Projekt mehr, denn ich bin verwirklicht und existiere! Ich bin ein Ereignis, ein Hin-und-Wieder-Ereignis. Bin kein Restaurant, und doch ein Ort, wo Essen und Trinken erhältlich ist. Wo es ums Essen, ums Trinken und um Geschichten geht. Und um Ausflüge in andere Welten und Kulturen.
Es gibt mich seit bald zwei Monaten. Fünf Frauen haben mich zu meiner Freude ins Leben gerufen. Vier begnadete Köchinnen und ein Faktotum, das sich je nach Bedarf als Barwoman, Casserolière, Serviererin oder Sekretärin betätigt. Während die Köchinnen abwechslungsweise Köstlichkeiten in die Töpfe zaubern und aus diesen auf die Teller.
Alle zwei Wochen öffne ich im Zentrum5 meine Türen. Im Zentrum5, dessen Ende bevorsteht. Wenn aber in den Pfannen die Saucen brodeln, die Köchin ihre Kreationen vollendet, die Tische gedeckt sind und die Kerzen brennen, dann kehrt Leben ein in die Bude. Wobei: Nicht nur dann, ich höre sagen, dass auch sonst noch viel los ist im Haus, aber mein Thema bin ich, so richtig kann ich nur von mir selber erzählen. –Die ersten Gäste trudeln ein, die Nervosität der Gastgeberinnen hat ihren Höhepunkt erreicht und wird sich bald in lockere Fröhlichkeit verwandeln.
Allerweltsküche
Allerweltsgeschichten
Die Gäste setzen sich zu zweit hin, in kleinen Gruppen oder gemeinsam am langen Tisch. Bald sind die Getränke serviert, die Köchin bringt flink die Teller und wünscht guten Appetit! Ich mag es, zu sehen, wie es den Gästen schmeckt. Wie sie die teilweise neuen und unbekannten Geschmäcke goutieren und meistens geniessen. Und immer bin ich gespannt auf die Geschichten. Wenn der erste Hunger gestillt ist, kommen sie zur Sprache. Jedes Mal eine. Jedes Mal hat die Köchin sie mitgebracht und erzählt sie in ihrer Muttersprache. Worauf das Faktotum eine deutsche Übersetzung vorliest. Da wurde berichtet vom alten Mann und dem Skorpion, von einer wahren Freundschaft, von einer durstigen Krähe, vom Glück und davon, dass auch zu einer Kaffeezeremonie immer eine Geschichte gehört.
ARTIER-CHÖPF Q U FOLGE 120 nen dafür zu danken, dass sie beim Erreichen dieses schönen Ziels geholfen haben.» Ahlem, die Tune«Jedes Land hat seinen eisierin, rerseits s : agte «Ich ihbin genen Geschmack, ob in stolz auf das Esder Musik, der Malerei sen aus unserer oder beim Essen.» Ku bri ltur. nge g U er nd ne ich diesen neuen Geschmack in die Schweiz, wo viele Leute gern orientalisch essen.» Alem, die Äthiopierin, meinte: «Ich koche gerne. Für die Allerweltsküche zu kochen macht Spass und ich lerne dabei andere Menschen kennen.»
Einmal sassen die Köchinnen am Feierabend beisammen und sprachen über mich. Was kochen für sie bedeute, was ich für sie bedeute. Gern erinnere ich mich an das, was sie sagten. Hend, die Syrerin, umschrieb es so: «Kochen ist für mich nicht nur ein Hobby, sondern eine Kunst wie die Musik, Malerei usw. Jedes Land hat seinen eigenen Geschmack, ob in der Musik, der Malerei oder beim Essen, diese Dinge brauchen keine Sprache, sondern Geschmack. Und hier habe ich den Wunsch, der Welt unsere Kunst durch Essen mitzuteilen. An dieser Stelle ist wichtig, meinen KolleginDie fünf sassen dann noch eine Weile beisammen, die Kerzen brannten hinunter und alle gingen zufrieden nach Hause. Der Raum war nun dunkel und leer und ich verflüchtigte mich, um zwei Wochen später wieder Gestalt anzunehmen. Auf ein langes Leben!
Aufgezeichnet von Katrin Bärtschi
www.zentrum5.ch
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