Themendossier Nr. 07

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Kulturraum: Helvetic a, Designhauptstadt, Le Corbusier, Landiw iese, Seebühne, Perf ormance, Clusterwo hnungen, mehr als w ohnen, Heureka, Inte raktion, Lebensquali tät, Kurator, Traumw elt, Inszenierung, He rzblut, Unorte, Projek tionsmapping, Licht, Zürich, Schweiz. Themendossier 07  #visitzurich



Wozu ein Themendossier? Lernen Sie Menschen und Geschichten aus Zürich kennen, die so unterschiedlich sind wie die Stadt, in der sie leben. Es sind Personen, die Zürich mit ihrer Arbeit und Kreativität prägen. In kurzen Reportagen erhalten Sie einen ersten Einblick in diese Vielfalt. Wir hoffen, Sie damit für eine Recherchereise nach Zürich zu begeistern, und helfen gerne, den Kontakt zu den porträtierten Personen herzustellen. Die Texte und Fotos sind honorarfrei und stehen Redaktionen, Journalistinnen und Journalisten kostenfrei zur Verfügung (Quelle: Zürich Tourismus). Das Bildmaterial steht zum Download bereit unter ➡ zuerich.com/themendossier

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Vorwort Zürich ist gemäß der „Financial Times“ The City of Bankers and Artists. Das Finanzblatt trifft damit voll ins Schwarze. Oder hätten Sie geahnt, dass ausgerechnet in der Schweizer Bankenstadt mehr Menschen ihr tägliches Brot in der Kreativwirtschaft verdienen als im Finanzsektor? Die Kreativstadt Zürich ist ein beliebtes Pflaster für Kunstschaffende aus allen möglichen Bereichen: Grafikerinnen, Modedesigner, Musikerinnen, Filmschaffende, Autorinnen, Regisseure, Journalistinnen, Architekten und mehr. Gründe dafür sind sicherlich die Internationalität Zürichs sowie der hohe Lebensstandard, einer der höchsten weltweit. Die Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) ist die größte Kunsthochschule Europas und vereint Weiterbildungen in den Bereichen Kunst, Design, Musik, Vermittlung, Theater, Film, Tanz und Transdisziplinarität unter einem Dach. Auch das Architekturstudium an der ETH ist über die Landesgrenzen hinaus renommiert, während die Filmindustrie des Landes in Zürich ihren Kulminationspunkt erreicht.

Sechs Personen und Geschichten, die den Raum Zürich täglich kreativ gestalten, stellen wir Ihnen in diesem Themendossier vor: Es sind HerzblutTheatermacher, die jährlich Tausende Zuschauer auf der Landiwiese sowie auf einer schwimmenden Bühne begeistern. Es sind Menschen, die mit ihren Lichtinstallationen gewöhnliche Fassaden in neue Räume verwandeln und Kunstwerke im öffentlichen Raum kuratieren. Und es sind Leute, die andere miteinbeziehen. Sei es, indem sie ihnen die Geschichte und Kunst des Industrie- oder Grafikdesigns interdisziplinär vermitteln oder indem sie die Wünsche und Ideen anderer in die Gestaltung der gemeinsamen Zukunft einbringen lassen. Viel Vergnügen beim Lesen!

Martin Sturzenegger Direktor Zürich Tourismus 3




Inhalt Raum für Design – Christian Brändle, Museum für Gestaltung Zürich Seite 8 – 11

Die Theaterwiese – Matthias von Hartz, Zürcher Theater Spektakel Seite 12 – 15

Zukunftsraum – Anna Haller, Hunziker-Areal Seite 16 – 19

Kurator des öffentlichen Raums – Christoph Doswald, KiöR Seite 20 – 23

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Schwimmender Traum – Herzbaracke Seite 24 – 27

Wandelbare Räume – Roman Beranek, Projektil Seite 28 – 31

Weiterführende Links, Zürichs Stadtkreise Seite 34 – 35

Impressum & Kontakt Seite 36

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Raum für Design – Christian Brändle, Museum für Gestaltung Zürich Zürich ist eine der Designhauptstädte Europas. Und das Museum für Gestaltung ist ein wahres Kompetenzzentrum für Design. Seine drei Häuser sind individuell, jung und dynamisch – wie ihr Direktor. 9



Es ist schwer, mit Christian Brändle Schritt zu halten. Er bewegt sich flink durch Korridore, öffnet hier eine Tür, findet da eine Abkürzung, dreht an Lichtschaltern und wirbelt weiter. Der Direktor des Museums für Gestaltung Zürich liebt seine Häuser – man merkt es auf Anhieb. Im Stammhaus an der Ausstellungsstrasse kennt er jede Ecke und gibt im Vorbeigehen erstaunliche Fakten zu Exponaten zum Besten. Wenn er von dem „Toni“ oder dem Pavillon Le Corbusier spricht, weiß man: Hier hat einer seine Berufung gefunden. Dass er einmal in Zürich landen würde, hätte er selbst nie gedacht. Als Basler war er Zürich nicht besonders zugetan.

Zürich ist wie Quecksilber – wandelbar, schnell, anpassungsfähig. Widerwillig begab er sich an die Eidgenössische Technische Hochschule (ETH), die berühmt ist für ihr hartes Architekturstudium. „Aber“, meint Brändle lächelnd: „Zürich hat mich sofort für sich eingenommen: Internationalität, Diversität und Offenheit sind Qualitäten der Stadt. Hier trifft sich die Welt, tauscht Wissen aus, lernt voneinander und trennt sich wieder. Zürich ist wie Quecksilber – wandelbar, schnell, anpassungsfähig.“ Für Brändle ein Grund, warum Schweizer Grafik weltweit funktioniert: „Schweizer Präzision trifft auf Einflüsse aus aller Welt und wird wiederum hinaustransportiert. Ein Beispiel ist die Helvetica-Schrift des Zürchers Max Miedinger, die in New York City alle Metrostationen kennzeichnet.“ 2003, mit gerade einmal 33 Jahren, übernimmt er die Direktion des Museums für Gestaltung. „Frechheit siegt, habe ich mir damals gesagt. Es hat geklappt“, schmunzelt er. Diese freche, junge Einstellung weht seither durch die Häuser des Museums: „Wir sind kein Ort des Erhabenen, wo man im Angesicht der gezeigten Kunst innerlich schrumpft. Wir wünschen uns Interaktion zwi-

schen Publikum und Design.“ Im Stammhaus werden die Highlights aus der Sammlung mit über 500.000 Objekten gezeigt. Hier gibt es einen ganzen Ausstellungsbereich, in dem Besucher auf Schweizer Designklassikern Platz nehmen und verweilen dürfen. Der Gast erfährt aus nächster Nähe, was das Design ausmacht und wie es funktioniert. Daneben werden Grafik-, Designund Fotoausstellungen gezeigt, die ein breites Publikum adressieren. „Dank der Nähe zu dem Hauptbahnhof und dem Stadtzentrum macht das Sinn“, erklärt Brändle. „Allein das jüngst sanierte Gebäude aus der Zeit des modernen Bauens ist ein Grund, hier vorbeizuschauen“, meint er. Der zweite Standort befindet sich in Zürich-West in einer ehemaligen Milchfabrik und ist heute mit dem Campus der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) ein Bildungs- und Kulturzentrum. Mit wechselnden Ausstellungen schlägt das Museum eine Brücke zu Lehre und Forschung und zeigt experimentierfreudige Projekte. Zudem befindet sich im Schaudepot des Toni-Areals unter anderem die größte Sammlung von Corbusier-Möbeln der Welt. Brändle freut sich besonders auf den neusten Zuwachs: Die Stadt Zürich übertrug dem Museum für Gestaltung die Leitung des Pavillon Le Corbusier, der nach umfassender Renovierung 2019 wieder dem Publikum offensteht: „Es ist eine begehbare Skulptur“, so der Direktor. Der letzte Bau des berühmten Architekten steht direkt am Zürichsee. Neben dem architektonischen Erlebnis wird hier vor allem das Schaffen von Le Corbusier ins Zentrum gerückt. „Und praktischerweise sind alle diese drei Zentren für Design und Grafik durch die Tramlinie 4 miteinander verbunden“, strahlt Brändle glücklich.

Kontakt Museum für Gestaltung Zürich welcome@museum-gestaltung.ch pavillon-le-corbusier.ch museum-gestaltung.ch Museum für Gestaltung Zürich museumgestaltung

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Die Theaterwiese – Matthias von Hartz, Zürcher Theater Spektakel Zu einem Zürcher Sommer gehören Freibäder, Quartierfeste und das Zürcher Theater Spektakel. Das internationale Theaterfestival begeistert seit 40 Jahren große und kleine Zuschauer – an schönster Lage. 13



„Schon als Kind ging ich immer zum Theater Spektakel.“ Ein Satz, den man so von vielen Zürchern zu hören bekommt, fragt man sie nach dem Festival am See. Den neuen künstlerischen Leiter der Veranstaltung, Matthias von Hartz, erstaunt das nicht. „An pittoresker Lage am Zürichsee entsteht direkt am Wasser ein temporärer künstlicher Raum, der extrem hübsch ist. Da denkt jeder: Hier gibt’s wirklich kein Problem, die Welt ist schön.“ Das Zürcher Theater Spektakel ist ein größeres europäisches Theaterfestival: Während drei Wochen zeigt es ungefähr 40 Produktionen mehrmals. Pro Saison sind es rund 100 bis 120 Vorstellungen im Bereich

Direkt am Wasser entsteht dieser temporäre künstliche Raum, der extrem hübsch ist. Performance und Theater. Damit unterscheidet es sich oberflächlich nicht von anderen Festspielen. Allerdings ist der Veranstaltungsort unvergleichlich: Die Landiwiese direkt am Zürichsee ist mitunter ein Grund, warum viele Zürcher sich die drei Theaterwochen im Kalender rot anstreichen. Die genannte Wiese verwandelt sich jedes Jahr in ein vielseitiges Paradies: Neben Vorstellungen auf eigens für das Spektakel errichteten Bühnen zeigen an sonnigen Tagen bis zu 40 Gaukler und Straßenkünstler ihr Können. Vom Feuerspucken über Pantomime bis hin zum legendären Karussell, das der Schausteller am Ende des Festivals in sein kleines Auto packt und damit zur nächsten Veranstaltung fährt. Hinzu kommen ein schmuckes Schiffstaxi, romantische Lichterketten, die sich im See spiegeln, spektakuläre Sonnenuntergänge sowie Pop-up-Bars und -Restaurants. Nicht nur für Familien ist der Besuch verlockend. Von Hartz weiß, dass viele Besuchende das eigentliche Theaterprogramm geflissentlich ignorieren und das Event

nutzen, um zu flanieren, vor schönster Kulisse ein erfrischendes Bad im See zu nehmen oder einfach ein Instagram-Foto zu knipsen. Für ihn ist das kein Weltuntergang: „Das gehört in Zürich dazu und ist ein Grund, warum das Publikum – anders als bei diversen europäischen Theaterevents – enorm durchmischt ist. Von ungefähr 150.000 Besuchenden gehen 30.000 in die Vorstellungen“ – eine Zahl, die ihn freut. In diesem Jahr feiert das Spektakel sein 40-jähriges Bestehen mit Matthias von Hartz als neuem künstlerischen Leiter. Er verantwortete bereits das Programm des Internationalen Sommerfestivals auf Kampnagel in Hamburg, des Berliner Foreign Affairs sowie des Athens & Epidaurus Festival. Auf die Frage, ob er in Zürich nun alles umkrempelt, antwortet er vehement: „Nein, bewahre! Es läuft doch super.“ Er hat recht. Neben hohen Besucherzahlen – ob in den Vorstellungen oder nur zum Flanieren – kann sich das Festival als eines der nachhaltigsten rühmen und trägt das „Kultur inklusiv“-Label, das barrierefreie Kulturinstitutionen und -veranstaltungen auszeichnet. Trotzdem gibt es Ziele, die das Leitungsteam verfolgt: Etwa, ein jüngeres und noch bunteres Publikum ins Theater zu locken. Erste Maßnahmen sind „Hör-Mit-Kopfhörer“, mit denen man in die Vorstellungen hineinlauscht, oder Anreißervorführungen mitten auf der Landiwiese. Und natürlich wird weiterhin an einem spannenden Programm gefeilt. Zum Jubiläum kommen beispielsweise William Kentridge und Anne Teresa De Keersmaeker zurück ans Theater Spektakel. Ja, zurück, denn beide starteten ihre Karrieren einst am Theater Spektakel. Kentridge zeigte damals seine erste Performance außerhalb Südafrikas. Und De Keersmaeker tanzt das gleiche Programm wie 1983 – mit bald 60 Jahren!

Kontakt Zürcher Theater Spektakel mvh@theaterspektakel.ch theaterspektakel.ch Zürcher Theater Spektakel theaterspektakel 15



Zukunftsraum – Anna Haller, Hunziker-Areal Für viele Zürcher ist das nördliche Oerlikon die Stadtgrenze. Ausgerechnet dort, neben dem städtischen Recyclinghof, gedeiht eines der wegweisendsten Siedlungsprojekte Europas. Es zeigt visionär, wie das Zusammenleben von morgen aussehen könnte. 17



Es ist ruhig auf dem Platz des Hunziker-Areals: Ein Kind kickt einen Ball über den Kies, jemand radelt gemütlich vorbei und die letzten Sonnenstrahlen spiegeln sich in den Fenstern der umliegenden Hochhäuser. Man wähnt sich auf dem Land, doch Zürich liegt gleich ums Eck. Das Konzept Hunziker-Areal in wenige Worte zu fassen, ist schwierig. Das weiß auch Anna Haller, Partizipationsverantwortliche der Genossenschaft mehr als wohnen. Ziel des 2007 gegründeten Zusammenschlusses aus 50 bestehenden Genossenschaften ist es, in dem Entwicklungsge-

Vor zehn Jahren hätte hier niemand leben wollen. biet eine Mustersiedlung mit Leuchtturmcharakter zu realisieren. Und so verweisen heute Stadtentwickler und -planer aus ganz Europa auf das Hunziker-Areal: Auf den 41.000 Quadratmetern der früheren Betonfabrik bieten 13 unterschiedliche Häuser mit 370 Wohnungen Platz für 1.200 Mieterinnen und Mieter. Neben verschiedensten Wohnsituationen fördert das 2000-Watt-Areal aber vor allem soziales und ökologisches Engagement sowie die Beteiligung der Anwohner. Bereits vor dem Bau wurde die Stadtbevölkerung zu einem Ideenwettbewerb aufgerufen. Im Zentrum stand die Frage, wie der gemeinnützige Wohnungsbau der Zukunft aussehen könnte. Der Wettbewerb war die Grundlage für die Gründung der Genossenschaft, ihre Zielsetzungen und schließlich den Bau des Areals. „Mit Kommunikation und Interaktion kommen wir weiter“, weiß Anna Haller und spricht dabei mancher Städteplanerin und manchem Stadtentwickler aus dem Herzen. Haller hat eine Art Anlaufstelle für Projektideen von Anwohnern aufgebaut, seit 2014 sind rund 40 Arbeitsgruppen entstanden. Diese organisieren

beispielsweise Tanzgruppen, Caférunden und eine Fahrradwerkstatt. „Wir nehmen jede Idee ernst. Abgelehnt wird nur, was unverhältnismäßig teuer ist oder keinem breit abgestützten Interesse entspricht“, erklärt sie. Die Anwohner riefen sogar ein eigenes Lebensmittelgeschäft ins Leben. Der hübsche Quartierladen sprengte jedoch den Rahmen und musste bald wieder schließen. Dafür findet sich in den Erdgeschossen aller 13 Gebäude öffentliches Gewerbe: Cafés, Restaurants, ein Buchverlag oder ein Beautysalon. „So entsteht Interaktion zwischen Arealmietern und der Nachbarschaft.“ Denn auch das ist ein wichtiges Prinzip des Areals: Es soll kein exklusives Gebilde sein, sondern sich natürlich und offen ins Quartier einfügen. Und wie wohnt es sich in Zukunft? Das „Clusterhaus“ ist ein häufig genanntes Beispiel: Auf jeder Etage sind zwei Großwohnungen mit kleinen, integrierten Clusterwohnungen beherbergt. Diese privaten Rückzugsräume für ein bis zwei Personen sind durch ein großes Wohnzimmer mit Küche verbunden, wo sich die acht bis zwölf Mitbewohner treffen können. Aktuell leben hier vor allem Paare und Singles zwischen 30 und 50 Jahren. Bei der Planung war auch die ältere Generation Zielgruppe, doch das Interesse blieb bislang aus. „Vielleicht war das Konzept für ältere Generationen noch zu unkonventionell“, sagt Haller. Sie betont, dass solche Erfahrungen wichtige Lernprozesse sind. Der urbane Mikrokosmos besitzt Dorfcharakter: „Vor zehn Jahren hätte hier niemand leben wollen“, schmunzelt Haller. Zu weit vom Stadtzentrum entfernt und zu industriell war das Quartier. In Zukunft wird Zürichs Norden genau durch solche Projekte neue Lebensqualität gewinnen.

Kontakt Baugenossenschaft mehr als wohnen anna.haller@mehralswohnen.ch mehralswohnen.ch mehr-als-wohnen-hunziker-areal

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Kurator des öffentlichen Raums – Christoph Doswald, KiöR Das kurze, etwas befremdliche Wort KiöR steht für das, was jeder mag, aber keiner weiß, woher es kommt und warum: Kunst im öffentlichen Raum. Kurator und Vermittler Christoph Doswald weiß mehr. 21



„Kunst im öffentlichen Raum ist ein vielseitiges Feld“, erklärt Christoph Doswald gleich zu Beginn. Er muss es wissen, immerhin hat er den Vorsitz der Arbeitsgruppe Kunst im öffentlichen Raum – AG KiöR. „Die 2006 gegründete Arbeitsgruppe ist europaweit einzigartig“, sagt er stolz. In Zürich ist die AG KiöR nicht dem Kulturbereich, sondern dem Tiefbauamt angeschlossen und kümmert sich sowohl um neue Projekte als auch um den Erhalt und die Instandsetzung bestehender öffentlicher Kunst. Von der Skulptur im Park bis zur Installation auf dem öffentlichen Platz: In Zürich sind das über 400 Kunstwerke.

Heute rufen die Leute empört an, wenn die ‚Heureka‘ nicht pünktlich um 19 Uhr rattert, sirrt und quietscht. „Bis zur Gründung unserer AG wurde in Zürich Kunst im öffentlichen Raum eher unsystematisch behandelt“, erklärt Doswald. Als Ende der 90er-Jahre die Industrie aus der Stadt verschwand und Fabrikgelände und Brachen in Wohnquartiere umgewandelt wurden, kam neben der Städteplanung und -entwicklung erstmals die öffentliche Kunst ins Spiel. Sie – so sind sich Städteplaner heute einig – steigert die Lebensqualität. „Das war der Anstoß für unsere Arbeitsgruppe.“ Der Kurator des öffentlichen Raumes weiß: „Kunst-Interventionen schaffen neue Bezugspunkte und Identitäten, verändern die Perspektive auf den Stadtraum und ermöglichen der Bevölkerung, ihren eigenen Lebensraum immer wieder neu zu entdecken. Nirgendwo funktioniert der Dialog zwischen Kunst und Publikum so unmittelbar wie im öffentlichen Raum“, sagt er. Ihn freut es, wenn er für seine Arbeit lobendes Feedback erhält. Aber auch Kritik wie „Das ist doch elitärer Quatsch“

gehört zum Alltag. Hier setzt Doswald an, der sich und sein Team als Vermittler sieht und den Dialog sucht: „In einem Museum ist ein Rahmen gesetzt: Man zahlt Eintritt und hat eine Erwartung. Im Stadtraum hingegen sind 99 Prozent der Betrachter unvorbereitet. Sie haben keinerlei Vorwissen oder Information zum Kunstwerk und reagieren oft mit Fragen nach Kosten und Sinn.“ Doch auch die für Zürich inzwischen charakteristische Eisenplastik „Heureka“ von Jean Tinguely oder Max Bills Pavillon-Skulptur stießen anfänglich auf Widerstand: „Heute rufen die Leute empört an, wenn die ‚Heureka‘ nicht pünktlich um 19 Uhr rattert, sirrt und quietscht“, meint er. Darum ist es seine Strategie, stetig und langfristig aufzuklären und immer wieder Neues zu zeigen. Erfolgreich gelingt das der AG KiöR mit Sommerausstellungen wie „Art and the City“ oder „Neuer Norden Zürich“, die in Zürichs dynamischen Außenquartieren stattfinden und Publikum aus der ganzen Welt in die Limmatstadt locken. Doswald feilt bereits am nächsten Großprojekt, mit dem er alle drei Jahre ein städtisches Entwicklungsgebiet in eine Art temporäres Open-Air-Museum verwandelt. Öffentlich und kostenlos. Künstler aus aller Welt konzipieren speziell dafür neue Werke. Dadurch werden die lokale Bevölkerung und Touristen aus aller Welt für das Thema sensibilisiert, ganz nebenbei lässt sich so ein meist unbekanntes Zürich kennenlernen. Geplant ist, 2021 den Süden der Stadt zu bespielen. Im Fokus werden Themen wie Ökologie, Verdichtung und Nachhaltigkeit stehen. Und wer „Art Altstetten Albisrieden“ 2015 oder „Neuer Norden Zürich“ 2018 miterlebt hat, weiß, dass man sich erneut auf wunderbare Interventionen und Installationen freuen darf.

Kontakt Arbeitsgruppe Kunst im öffentlichen Raum, Tiefbau- und Entsorgungsdepartement der Stadt Zürich cd@doswald.net stadt-zuerich.ch/kioer KiöR – Public Art Zurich kioer 23



Schwimmender Traum – Herzbaracke Wenn die „Herzbaracke“ von Federico Emanuel Pfaffen und Nicole Gabathuler am Zürcher Bellevue anlegt, startet die Saison der Traumwelten: Längst ist das schwimmende Theater Lieblings- und Sehnsuchtsort vieler Zürcher. 25



Die „Herzbaracke“, die jährlich von September bis April auf dem Zürichsee gastiert, ist ein wahrer Hingucker. Das einzigartige Schmuckstück mit seinen Türmchen und Fensterchen ist flankiert von aufwendig gestalteten Plakaten, die in den jeweiligen Häfen über das Programm informieren. Und was wird der Neugierige belohnt, der sich traut, einen Blick hineinzuwerfen! Doch längst nicht alle wagen es, den „imaginären Jordan“, wie Federico Pfaffen das Wasser zwischen Landesteg und „Herzbaracke“ nennt, zu überqueren. Nicole Gabathuler ergänzt begeistert: „Federico liebt es,

Der größte Lohn sind glückliche Gäste und das Wissen, dass wir ihre Welt bereichert haben. nachmittags Interessierte aus dem In- und Ausland zu begrüßen und ihnen die Geheimnisse und Schätze der ‚Herzbaracke‘ zu zeigen.“ Die „Herzbaracke“ trägt ihren Namen nicht ohne Grund: Viel Liebe und Herzblut stecken in dieser schwimmenden Insel, die Pfaffen vor 23 Jahren selbst entworfen und mit einer kleinen Gruppe gebaut hat. Dass seine Bühne wandelbar und beweglich sein muss, war von Anfang an klar: Der umtriebige Theatermacher hatte bereits an den ungewöhnlichsten Orten inszeniert. Vor 11 Jahren ließ sich Gabathuler von der „Herzbaracke“ begeistern. Die beiden verbindet nicht nur die Liebe zur ihrer „Baracke“ – eine Bezeichnung, die dem treibenden Schlösschen wahrlich nicht gerecht wird –, sondern auch die zueinander. Sie, die begabte bildende Künstlerin mit bezauberndem Lächeln. Er, der eigenwillige Regisseur, Theatermacher und Erzähler. Sie gestalten, werken und koordinieren gemeinsam – und halten so ihr Theater über Wasser. Dazu meint Pfaffen: „Wir sind ein artistisches Biotop in

Harmonie mit den großartigen Künstlerinnen und Künstlern, die allabendlich bei uns auftreten. Zusammen entführen wir Gäste in eine berauschende Fantasiewelt.“ Die unvergesslichen Vorstellungen beginnen mit einem Vier-Gänge-Menü, frisch und saisonal aus der schiffseigenen Küche, serviert von Damen in vielschichtigen, rauschenden Kostümen. Das Rascheln der Seidenstoffe gehört ebenso zur Geräuschkulisse der „Herzbaracke“ wie unzählige über 100 Jahre alte Musik- und Bildapparate, die im Raum klingen, rattern und surren. Sind die Gäste gesättigt, beginnt das Programm: Varieté, Konzert, Tanz, Zauberei, Kabarett oder literarische Darbietungen. „Oft beobachten wir, wie sich das vom Arbeitsalltag gehetzte oder gestresste Publikum erst allmählich entspannt. Plötzlich wandelt sich das anfänglich müde Gesicht in ein herzhaftes Lachen“, schwärmt Pfaffen, der darin sein Ziel erreicht sieht. Und Gabathuler ergänzt: „Wir sind ein Ort der Bewegung und Begegnung für verschiedenste Menschen und Geschichten.“ Aus diesem Grund führen die beiden wohl auch Tisch Nummer acht. Den vergibt das Paar spontan an Interessierte, die sich das Theater nicht leisten können, oder an einsam erscheinende Passanten. Reich werden die beiden mit ihrem Betrieb nicht. Ihr Lohn reicht für anfallende Reparaturen am schwimmenden Theatersalon sowie für die Bezahlung aller Beteiligten. „Der größte Lohn sind glückliche Gäste und das Wissen, dass wir ihre Welt bereichert haben“, sind sich die beiden einzigartigen Menschen einig. Trotzdem helfen monetäre Stiftungsbeiträge und Auszeichnungen – etwa diejenige, die Pfaffen soeben für sein 40-jähriges Theaterschaffen von der Stadt Zürich erhalten hat.

Kontakt Salon Theater Herzbaracke herzblut@herzbaracke.ch herzbaracke.ch salon-theater-herzbaracke 27



Wandelbare Räume – Roman Beranek, Projektil Wenn sich Gebäude, Brücken und Schluchten plötzlich bewegen, stecken mit hoher Wahrscheinlichkeit Roman Beranek und sein Team dahinter: Das Mediastudio Projektil kreiert mit Video- und Soundeffekten neue Welten. 29



Es ist still und dunkel, das Publikum gespannt. Was wird gleich zu sehen sein? Alles ist angerichtet für die große Show. Nun ist der Moment gekommen, auf den Roman Beranek und sein Team mehrere Monate hingearbeitet haben: Das Opernhaus, das gerade noch zu sehen war, verschwindet. Einzelne Elemente des Hauses leuchten auf, die Musik nimmt an Fahrt auf und plötzlich scheint sich eine Säulenfront zu bewegen. Sie klappt zur Seite und das Publikum hält nicht mehr an sich: Viele applaudieren, Ausrufe der Verwunderung sind zu hören. Und irgendwo im Hintergrund lächelt Beranek zufrieden vor sich hin, denn sein Ziel ist erreicht:

Mir gefallen Unorte, die nicht besonders schön sind. Sie schön zu machen, ist ja dann unsere Arbeit. „Die Reaktion der Leute ist der Lohn unserer Arbeit. Wir möchten mit unseren Installationen verzaubern und Zuschauer den Alltag vergessen lassen.“ Roman Beranek ist Gründer, Partner und Creative Director der Firma Projektil, die auf Lichtinstallationen und digitale Kunst spezialisiert ist. Inzwischen sind sie schweizweit das führende Mediastudio auf dem Gebiet des Videomappings. Video- oder auch Projektionsmapping ist vereinfacht ausgedrückt ein Verfahren, das es ermöglicht, verschiedenste Oberflächen mit einem Projektor zu beleuchten und dadurch zu modifizieren. Projektil macht das mit Videosequenzen. Dazu baut die Firma Gebäude oder Objekte virtuell und dreidimensional nach. Ihre Modelle lassen sich bewegen und animieren. Die Animationen werden schließlich auf die originalen Gebäude projiziert, wodurch optische Illusionen entstehen. Ein Beispiel dafür findet sich in der Zürcher Weihnachtszeit, wenn sich der Innenhof des Landes-

museums in eine spektakuläre Lichterwelt verwandelt. Das liebenswerte Monster Yuki und seine Freunde treiben hier ihr Unwesen. Die Installation erstreckt sich über alle vier Wände des Hofs. Es ist ein unvergesslicher Moment für alle Zuschauer. Beranek ergänzt: „Viele Leute, die Projektil kennen, haben 2009 unsere allererste Show gesehen und das Erlebnis hat sich eingebrannt.“ Er ist noch heute verblüfft, dass die Show zehn Jahre später nachhallt. Und er sagt erstaunt: „Dabei war die Installation damals ziemlich einfach. Nicht zu vergleichen mit dem, was wir heute können!“ Noch 2003 konzipierte das Künstlerkollektiv Projektil hauptsächlich Fotoausstellungen. Die Leidenschaft für interdisziplinäre Kunst, Grafik, Film, Video und Animation war aber immer vorhanden. Und als Beranek erstmals eine Videoinstallation sah, wusste er sofort: Das will ich auch machen. So gründete er gemeinsam mit Partnern die Media-Agentur Projektil. Er lernte, Raster analog auf Häuser zu legen, sie zu beugen und dem jeweiligen Gebäude anzupassen. „Um das Jahr 2009 herum ist diese Kunst dann regelrecht explodiert“, sagt Beranek und meint schmunzelnd: „Heute ist zum Glück alles digital machbar.“ Das neuste Projekt des Teams macht den Innenraum der offenen Kirche St. Jakob zu einem Ort der Entschleunigung. Auch hier gilt wie bei allen Projektil-Projekten die Devise, die Architektur des jeweiligen Gebäudes oder Raumes hervorzuheben und ins Geschehen miteinzubeziehen: „Wir arbeiten auf kreative Art und Weise und mit gutem Kunsthandwerk, zwingen aber keinem Ort etwas auf, das er nicht ist. Mir gefallen Off-Locations, also Unorte, die auf den ersten Blick nicht besonders schön sind. Sie schön zu machen, ist unsere Arbeit“, sagt Beranek verschmitzt.

Kontakt Projektil roman@projektil.ch projektil.ch Projektil projektilart

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Weiterführende Links Kunst im öffentlichen Raum stadt-zuerich.ch/kioer neuernorden.org maps.stadt-zuerich.ch/zueriplan3/ Stadtplanung & Architektur greencity.ch seestadt.org kalkbreite.net zaz-bellerive.ch openhouse-zuerich.org Designstadt Zürich kreislauf345.ch tribeka.ch designbiennale.ch blickfang.com criterion.ch grafik-schweiz.ch zhdk.ch gewerbemuseum.ch kreativwirtschaft.ch Theater & Tanz schauspielhaus.ch tanzhaus-zuerich.ch kulturzueri.ch Digital Art muda.co gamedesign.zhdk.ch

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Zürichs Stadtkreise

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Altstadt, Stadtzentrum Linkes Seeufer Kreativquartier Wiedikon Kreativquartier Langstrasse Kreativquartier Zürich-West Universitätsviertel

7 Am Zürichberg 8 Rechtes Seeufer 9 Am Uetliberg 10 Rechts der Limmat 11 Zürich-Nord 12 Schwamendingen

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Impressum & Kontakt © 2019 Zürich Tourismus Text: Grafik: Projektleitung: Bilder:

Gretta Bott Anita Lutz Janine Rupf, Martin Birrer Adrian Bretscher, Hangar Ent. Group GmbH

Kontakt Zürich Tourismus Internationales Medienteam T +41 44 215 40 96 media@zuerich.com ➡ zuerich.com Pressekontakt Juliane Schremer COR Berlin Kommunikation GmbH Brückenstraße 1 10179 Berlin T +49 30 398 206 828 zuerich@cor-berlin.com ➡ cor-berlin.com Pressematerial Information für Medien: ➡ zuerich.com/medien Bildmaterial und Videos: ➡ zuerich.com/bilder E-Book und Bildmaterial Themendossier: ➡ zuerich.com/themendossier Bildrechte © Zürich Tourismus Social Media Visit Zurich visitzurich #visitzurich

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