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»Bären« am Theaterhaus Jena
| THEATERHAUS JENA |
IM MAI FEIERT DIE WUNDERBAUMPRODUKTION »BÄREN« IHRE JENAER PREMIERE. Das Stück beruht auf einer wahren Begebenheit rund um das libertäre »Free Town Project« im US-Bundesstaat New Hampshire. Wir trafen uns mit Walter Bart, künstlerischer Geschäftsführer am Theaterhaus Jena, und sprachen mit ihm über die Hintergründe des Stücks.
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SZENE AUS »BÄREN« in der Aufführung in Rotterdam
Die Bären kommen!
Ein Leben in Gemeinschaft ohne politisches System, ohne Autoritäten, ohne Institutionen, in wirtschaftlicher Freiheit und mit eigenen Abwehrrechten — so lässt sich ganz knapp die libertäre Idee zusammenfassen, die Mitte des 19. Jahrhunderts in England entwickelt wurde und seitdem insbesondere in den USA einige Befürworter fand. Doch ist eine Gemeinschaft ohne festgelegte Regeln wirklich möglich?
Zu Beginn der 2000er Jahre haben einige Libertäre im Städtchen Grafton im USBundesstaat New Hampshire versucht, ein solches Leben zu gestalten, indem sie den Ort infiltrierten. Den Rahmen dafür bildete das so genannte »Free Town Project«, welches — so viel sei verraten — auf skurrilste Art und Weise gescheitert ist. Das eigentliche Ziel des Projekts war es, eine Gemeinschaft in maximaler politischer, wirtschaftlicher und persönlicher Eigenbestimmtheit aufzubauen. Was möglicherweise im Sinne des Freiheitsgedankens ganz verlockend klang, brachte schnell eine Menge Nachteile mit sich: extremistische Positionen jedweder Art fühlten sich von dem Gedanken angezogen, Steuern, die eigentlich der Gemeinschaft zu Gute kommen sollten, waren nicht vorhanden und von einer funktionierenden Rechtsprechung konnte wirklich keine Rede sein.
DAS MÜLLPROBLEM
Zudem zeigte sich auch schnell ein weiteres Problem. Walter Bart, Ensemblemitglied von Wunderbaum und im Stück als Schauspieler zu sehen, erklärt: »Die Gemeinschaft organisierte sich furchtbar schlecht. Ein ständiges Thema war die Müllentsorgung. Niemand fühlte sich zuständig, dafür bezahlen wollte sowieso keiner und deshalb kam auch nie die Müllabfuhr. Wenn man in einer Gemeinschaft lebt, sollte man sich aber um den Müll kümmern, sonst wird es schnell ungemütlich. Entweder drohen Krankheiten — oder man lockt wilde Tiere an, die sich bequem von den Essensresten ernähren können. Einmal da, gehen die Tiere auch nicht so schnell wieder weg.«
Und so kamen die Bären nach Grafton. Diese gibt es in der Region in großer Anzahl und nun fanden sie auf einfachste Art ihre Nahrung. Zunächst durchsuchten sie nur den Müll und als dieser nichts mehr hergab, ging es den Haustieren an den Kragen. Schlussendlich drangen die Tiere in die Häuser der Gemeinschaft ein. »Das ging nicht immer gut aus. Einige Bewohner verloren zum Beispiel ihre Arme im Kampf mit den Bären.« Zudem war die menschengemachte Bäreninvasion auch ein enormer Eingriff in die Natur. »Einige Bären wurden zuckersüchtig oder haben keinen Winterschlaf mehr gehalten, da es nun ganzjährig Nahrung gab. Das hatte natürlich Auswirkungen auf das gesamte ökologische System der Region.«
WALTER BART IN »BÄREN« in der Aufführung in Rotterdam REGELN FÜR DIE FREIHEIT
Muss es also auch in absoluter Freiheit gewisse Regeln geben? »Unbedingt«, sagt Walter Bart. »Bloß sind die Libertären dafür kaum zugänglich. Ein Beispiel dafür ist auch die Geschichte des Feuerwehrmannes von Grafton, der Verantwortung für die Gemeinschaft übernehmen wollte. Dabei ging es um nützliche Dinge wie das Aussprechen von Verboten von offenem Feuer bei Trockenheit. Das wurde nicht von allen akzeptiert — schließlich ist das ebenfalls ein Eingriff in die eigene Freiheit. Auch wegen solchen Dingen scheiterte die Gemeinschaft.«
TYPISCHE WUNDERBAUM-PRODUKTION »Bären« feierte bereits im Februar 2022 im niederländischen Rotterdam Premiere und kommt nun in Jena auf die Bühne. Freuen darf man sich auf ein typisches Wunderbaum-Stück, denn das gesamte internationale Ensemble aus den Theaterstandorten Rotterdam, Mailand und Jena trifft hier zusammen. »Wir sind sehr neugierig, inwiefern sich die Wahrnehmung über Autoritäten zwischen den Niederlanden und Deutschland unterscheidet. Für uns als Ensemble ist es spannend zu sehen, ob die Reaktionen voneinander abweichen oder sogar gleich ausfallen.«
Eine kleine Anekdote zum Schluss: Das »Free Town Project« ist zwar gescheitert, lebt aber als »Free State Project« nach wie vor weiter. Diesmal sollen es 20.000 Menschen sein, die nach New Hampshire übersiedeln, um ihre Vision von Freiheit gleich im ganzen Bundesstaat zu verwirklichen. Ihr Symbol: ein wehrhaftes Stachelschwein. (mst)
Bären: am 12.05. (Premiere), 13.05., 14.05., 18.05., 19.05. sowie 20.05.2022 um jeweils 20 Uhr im Theaterhaus Jena Weitere Informationen sowie Karten unter: www.theaterhaus-jena.de