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Kraftklub im Interview

| INTERVIEW |

Flucht vor dem Weltuntergang

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DIE BAND KRAFTKLUB IST EINE LAUTE STIMME ihrer Generation, mit Texten voller Ironie. In ihrem vierten Album »Kargo« beziehen die »letzten Helden der deutschsprachigen Rockmusik« einmal mehr politisch unkorrekt Stellung. Die fünf Chemnitzer nehmen Nazis, Angstmacher und die Wohlstandsgesellschaft aufs Korn. Mit Sänger Felix Brummer und Gitarrist Steffen Israel sprach Olaf Neumann über Rechtsextremismus und persönliche Heimatverbundenheit.

Unter dem Motto »Wir sind mehr« fand im September 2018 in Chemnitz ein kostenloses Großkonzert als Antwort auf die fremdenfeindlichen Ausschreitungen in der Stadt statt — mit Kraftklub, den Toten Hosen u.v.a. Wie sehen Sie Ihr Engagement rückblickend? Hat es sich gelohnt?

BRUMMER: Wir finden darauf keine richtige Antwort. Es ist ein sowohl als auch. Der Song »4. September« erzählt von diesem kurzen Moment, in dem man sich dabei erwischte, von der Energie ergriffen zu sein — und von dem ernüchternden nächsten Tag, als man merkte, dass sich durch solch ein Konzert im strukturellen Bereich nichts geändert hat. Aber es hatte auch etwas Gutes, denn man hatte das Gefühl, nicht allein und füreinander da zu sein.

Resignieren Sie bei der Frage, was man gegen Rechtsextremismus wirklich tun kann?

BRUMMER: Wir als weiße Sachsen müssen versuchen, so gut es geht für die Betroffenen von Rechtsradikalismus da zu sein.

ISRAEL: Man darf es nicht hinnehmen, auch wenn man vielleicht nicht viel daran ändern kann.

Nimmt die Polizei den Rechtsextremismus im Osten wie im Westen wirklich ernst?

BRUMMER: Wenn man strukturelle Rassismusprobleme innerhalb der Polizei im Osten kritisiert, dann erfolgt immer die Reaktion, dass es das auch überall sonst gebe. Das seien ja nur Einzelfälle. Solange das die vorherrschende Reaktion auf diese Art von Kritik ist, wird sich an dem schwerwiegenden Problem definitiv nichts ändern. Da wurden 30 Jahre lang falsche Schlüsse gezogen. versuchen, sie abzubauen. Aber am Ende des Tages fürchte ich mich selber vor den Leuten, die ein bisschen zu viel Angst haben und darin immer ernster genommen werden. Das führt zu solchen Ereignissen wie 2018.

Was halten Sie von Versuchen der AfD, mit Kampagnen wie »Wende 2.0« die ostdeutsche Seele anzusprechen? Profitiert der Osten davon?

BRUMMER: (lacht) Da sind wir die falschen Ansprechpartner! Am meisten auf den Sack geht mir die Reaktion der CDU in Sachsen. Statt sich klar von der AfD abzugrenzen, versucht sie, noch rechter zu werden. Was für eine bescheuerte Idee!

Sie besingen auf dem Album die Ängste der deutschen Wohlstands- und Kleinbürger. Sind die Bedrohungen wirklich real, und ist diese Angst objektiv begründet?

BRUMMER: Die AfD profitiert sehr von den Ängsten der Ostdeutschen, so viel ist mal sicher. Es ist gar nicht so entscheidend, ob diese objektiv begründet sind. Es gibt Leute, die schüren diese Ängste noch, und welche, die

In »Wittenberg ist nicht Paris« heißt es, in Ostdeutschland sei viel mehr schlecht als woanders. Liegt das daran, dass dem Osten nach der Wiedervereinigung vieles übergestülpt oder als übergestülpt empfunden wurde?

BRUMMER: Das kann man leider nicht pauschal sagen. Ich selber habe dafür auch keine griffige Formel. Es mag ja sein, dass da auch Unrecht geschehen ist. Das mit der Treuhand war sicher traumatisierend für viele Menschen im Osten, und bestimmt ist hier viel Lebensleistung nicht gewürdigt worden. Das ist für mich leider immer noch kein Grund, die AfD zu wählen. Diesen Song hätten wir wahrscheinlich nicht geschrieben, wenn wir nicht in Ostdeutschland leben würden. Würden wir woanders leben, würden wir unsere Heimat wahrscheinlich nicht so kritisch besingen.

KRAFTKLUB

Warum sind Sie bis heute im heimatlichen Chemnitz geblieben?

BRUMMER: Man redet in Interviews immer über die negativen und wenig über die positiven Aspekte, weil die natürlich ein bisschen langweilig sind, für uns persönlich aber Gewicht haben: Freunde zum Beispiel. Familie. Ruhe. Platz für Sachen, die man in anderen Städten schwerer umsetzen kann. Wir haben zuhause ein tolles Umfeld von ganz verschiedenen Künstlern. Und Chemnitz wird 2025 Kulturhauptstadt Europas.

Und Sie verstehen sich als Botschafter Ihrer Stadt?

BRUMMER: Nein, so lange ich dort noch lebe, habe ich die Tendenz, mich kritisch mit mir selber und meinem Umfeld auseinanderzusetzen. Aber wenn ich wegziehe, fange ich vielleicht an, heimatverliebte, sehnsuchtsvolle Songs zu schreiben.

Vielen Dank für das Gespräch! Interview: Olaf Neumann.

Kraftklub live 04.12.2022, Erfurt Messe

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