wir sind nich t alle
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w i r si n d n i c ht al le Essays und Zeichnungen von Lucie Wagner
Juni 2020
wir sind nicht alle
2020. Deutschland. Was bisher geschah.
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Check your privilege.
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Klassismus.
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Die Pandemie ist klassistisch. Wie die Sozialstruktur das Infektionsrisiko und das soziale Risiko beeinflusst.
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Detox your Alltagssprache.
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Klima, Klasse, Kapitalismus. Fleisch, Fast-Fashion, Fliegen.
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„Unterste Schublade, Gangasta Rap, mitten ins Gesicht“
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Neoliberale Narrative und neoliberale Kreative. Kommt produktiv durch die Pandemie.
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Me, the killjoy.
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Kunst. Das wohl exklusivste gesellschaftliche Spielfeld.
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Unter den Auserwählten.
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Hufeisentheorie und ihre Rechtslinksschwäche.
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Wieso jetzt Kunst machen?
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Quellen / Tipps
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2020. Deutschland. Was bisher geschah. Am 5. Februar lässt sich in Thüringen ein Kandidat der FDP mit Stimmen der AfD zum Ministerpräsident wählen. Eine bürgerliche Partei wird zum Steigbügelhalter der Rechten. Am 14. Februar wird eine mutmaßlich rechtsextreme Terrorzelle aufgedeckt. Die Männer planen bundesweite Anschläge auf Muslim*innen, Geflüchtete und Politiker*innen. Bei einem rechtsextremen Attentat in Hanau werden am 19. Februar neun Menschen mit Migrationsgeschichte getötet – Ferhat Unvar, Gökhan Gültekin, Hamza Kurtović, Said Nessar El Hashemi, Mercedes Kierpacz, Sedat Gürbüz, Kaloyan Velkov, Fatih Saraçoğlu und Vili Viorel Păun. In den 100 Tagen nach dem Anschlag vergeht kein Tag ohne einen rassistischen, rechtsextremen oder antisemitischen Angriff. (Vooren 2020) Bis März weiten sich Buschbrände in Australien aus, mehr als 20 Prozent der bewaldeten Flächen des Landes brennt ab, etwa eine Milliarde Tiere sterben. Ab März winkt die türkische Regierung syrische Geflüchtete über die europäische Grenze, wo sie von Griechenland mit Tränengas beschossen und in Seenot gebracht werden. Ihr Tod wird in Kauf genommen. Rechtsradikale übernehmen die Insel Lesbos, verhindern das Anlegen von Booten mit Geflüchteten und greifen NGO-Mitarbeiter*innen und Berichterstatter*innen an. Freiwillige ziehen sich zurück. Seit Jahren herrscht auf den griechischen Inseln Ausnahmezustand. In Auffanglagern wie Moria leben tausende Geflüchtete auf engstem Raum. Ab Dezember 2019 breitet sich die neuartige Atemwegserkrankung Covid19, ausgelöst durch das Coronavirus, in China aus. Ab 2020 verbreitet sich das Virus auch außerhalb Chinas, auf der ganzen Welt. Die WHO erklärt das zu einer Pandemie. Hunderttausende Menschen sterben. Die Pandemie verstärkt gesellschaftliche Konfliktlinien und lässt wichtige Themen, wie die Aufarbeitung des Anschlags in Hanau, in den Hintergrund treten. Inmitten einer Pandemie, wenn die Infektionszahlen so gering wie möglich gehalten werden müssen, demonstrieren tausende Menschen in ganz Deutschland gegen die Maßnahmen zur Eindämmung des Virus’. Der Schutz von Menschenleben wird – wie auch in der sogenannten „Flüchtlingsdebatte“ – in etwas Bösartiges umgekehrt. Das Spektrum der Protestierenden ist heterogen und teils widersprüchlich. Gewiss ist, dass Teile von ihnen rechtsextrem, antisemitisch und Anhänger*innen von Verschwörungsideologien sind. Das gefährliche Potential von Verschwörungsdenken zeigen die Anschläge in Halle und Hanau. Diese Zeit ist lähmend. Diese Zeit macht betroffen. Diese Zeit macht mir das Kunstmachen schwer, denn so vieles scheint dringlicher. Das Medium Text fühlt sich fürs Erste gut an. Entstanden ist eine Sammlung an Essays und Zeichnungen über Themen, welche mich in diesen Monaten nicht loslassen. 5
Check your privilege. Die Pandemie macht die Wirkmacht von Privilegien deutlich. Covid19 bedroht uns alle – aber nicht alle gleich. Die einen romantisieren die Pandemie als eine „spirituelle Pause“, anderen verlangt die Pandemie viel ab. Die Pandemie trifft sie hart, bedroht sie existentiell. Nicht jede*r hat während der Krise ein Zuhause, einen Rückzugsort, genug Geld, um sich zu versorgen, Menschen, die sich um einen kümmern, keine Angst um den Job und keine Angst vor der Zeit nach der Pandemie, keine Angst, dass man selbst oder ein geliebter Mensch schwer an Corona erkrankt, keine Angst dass die mentalen und körperlichen Herausforderungen zu groß werden. Wenige Menschen genießen all diese Privilegien, aber es gibt Menschen, die gar keine dieser Privilegien haben. Die Krise lässt uns schnell das Gefühl für das eigene privilegierte Leben verlieren. Am härtesten trifft es die Schwächsten und Unsichtbarsten in unserem System. Darunter sind Menschen, die unter häuslicher Gewalt leiden, die unter Depressionen leiden, sozial benachteiligte Menschen, Alleinerziehende, Kinder in Heimen, Kinder, für die das Jugendamt zuständig wäre, obdachlose Menschen, suchtkranke Menschen, Opfer von Gewalt, psychisch erkrankte Menschen, Menschen in „systemrelevanten“ Berufen, Menschen, die ihren Beruf nun nicht mehr ausüben können, Menschen in Geflüchtetencamps und viele andere. Covid19 greift meine Privilegien an und führt sie mir damit noch einmal mehr vor Augen. Ich bin weiß, able-bodied, hetero, CIS, habe Akademiker*innenEltern und bin im globalen Norden geboren. Ich bin also ziemlich privilegiert, ich habe viele „Merkmale“ aufgrund welcher ich nicht diskriminiert werden kann. Ich bin nicht betroffen von Rassismus, Antisemitismus, Homo- oder Transfeindlichkeit, Ableismus oder Klassismus. Über Klassismus wird vergleichsweise wenig gesprochen, obwohl er eine äußerst reale und wirkmächtige Diskriminierungsform ist. Beim Schreiben merke ich, dass Microsoft-Word das Wort rot unterstreicht, weil das Programm das Wort nicht kennt. Einen Textteil habe ich in Pages, einem Programm von Apple, verfasst – das Programm hat das Wort Klassismus einfach jedes Mal automatisch in Klassizismus geändert. Und auch der Online-Duden fragt mich ganz höflich – Meinten Sie Klassizismus? Sollte das wirklich die Diskussionsbasis sein, von der wir ausgehen müssen, dann stehen wir ja noch nicht einmal am Anfang.
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Klassismus. Klassismus, der Wortart: Worttrennung: Aussprache: Bedeutung:
Substantiv, maskulin Klas | sis | mus [klasɪsmʊs] Diskriminierung aufgrund sozialer Herkunft oder sozialem Status.
Auch Kempers und Winbach gehen in ihrer Definition von Klassismus auf den sozialen Status ein, genauer auf die „ökonomische Stellung im Produktionsprozess“. Elementar ist, dass mit der Stellung im Produktionsprozess auch immer „Aberkennungsprozesse auf kultureller, institutioneller und individueller Ebene“ einhergehen. Die Betonung des „ökonomischen Produktionsprozesses“ verdeutlicht, dass jegliche Diskriminierungsform immer im Kontext kapitalistischer Vergesellschaftung betrachtet werden muss, da Herrschafts- und Ausbeutungsverhältnisse ein notwendiger Bestandteil des Kapitalismus sind. Besonders die Diskriminierungsform Klassismus kann nicht ohne Kapitalismuskritik gedacht werden. Betroffen von den genannten Aberkennungsprozessen oder direkter Gewalt in Form von Klassismus sind Menschen, die weniger ökonomisches, kulturelles und soziales Kapital angehäuft haben und somit weniger Teilhabemöglichkeiten an gesellschaftlichen Ressourcen und Prozessen haben als andere. Konkret sind das Arbeiter*innen, in Armut lebende Menschen, Arbeitslose und andere, aus den beschriebenen Gründen an den Rand gedrängte Menschen, betroffen. Die Diskriminierungsform Klassismus überschneidet sich häufig mit anderen Diskriminierungsformen, wie etwa jenen aufgrund des Geschlechts, der Herkunft oder der Hautfarbe – Diskriminierung muss stets intersektional gedacht werden. Wie bei Rassismus und bei Sexismus gibt es auch hier keine Diskriminierung der herrschenden Klasse. So viel zur Definition.
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Klassismus wirkt, wenn nur 23% der Kinder aus Arbeiter*innenfamilien studieren, bei Akademiker*innenfamilien die Zahl aber bei 77% liegt; wenn man beobachten kann, dass die westliche Gesellschaft ihr Aufstiegsversprechen nicht halten kann; wenn Hartz IV-Empfänger*innen ihr Kind von 2,77 Euro am Tag ernähren müssen; wenn Politiker sagen, dass Kinder als „Putzfrauen“ enden würden, wenn sie weiterhin nur auf dem Smartphone wischen; wenn ein anderer Politiker sagt, dass man mit Hartz IV dafür sorge, dass jeder das hätte, was er zum Leben brauche und er sagt, man dürfe aber nicht vergessen, „ dass andere über ihre Steuern diese Leistungen bezahlen.“ (Dass die Steuerzahler*innen aber auch für sein Gehalt aufkommen müssen – sein Einstiegsgehalt ist fünffach höher als der Hartz IV-Satz für eine ganze Familie – wird in seiner Rede nicht erwähnt); wenn Stiftungen zur Studienförderung hauptsächlich an Kinder von Akademiker*innen gehen; wenn die Wörter „asozial“ oder „asi“ fest im Sprachgebrauch der meisten Leute verankert sind; wenn ärmere Menschen merken, dass die Vermögensunterschiede größer werden und die Chance, diese Lücke zu verkleinern beziehungsweise die Chancen aufzusteigen, geringer werden; wenn eine Politikerin den Druck verspürt, einen akademischen Lebenslauf erfinden zu müssen; wenn eine Mutter, kurz nachdem ihr Sohn ermordet wurde, in der öffentlichen Trauerrede betont, dass ihr Sohn und die anderen Getöteten nicht einmal arbeitslos waren und sagt, ihr Sohn hätte ja eine Ausbildung absolviert; wenn der Staat Erbschaften kaum besteuert, aber diejenigen, die durch Arbeit etwas verdienen, verpflichtet sind, etwa ein Viertel des Gehalts an „die Gemeinschaft“ abzugeben; wenn Hip-Hop und Rap als „kulturlos“ abgetan werden; wenn sich Menschen ihr Studium erst durch mehrere Jobs finanzieren können und sie sich nicht
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trauen, Bafög zu beantragen und das aus Angst, dass ihnen vorgehalten würde, auf Kosten des Staates zu leben; wenn sechs Jugendliche einen schlafenden Obdachlosen anzünden; wenn das Narrativ, dass arme Menschen selbst an ihrer Lage schuld sind, weit verbreitet ist; wenn Professor*innen einer Kunstakademie öffentlich über die Motivationsschreiben von Bewerber*innen herziehen, anstatt darüber, wie klassistisch geprägt die Zugänge zu Kunsthochschulen sind.
Klassismus wirkt durch Klischees, durch Sprache, durch Gesetze und Strukturen und durch politische Forderungen.
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Die Pandemie ist klassistisch. Wie die Sozialstruktur das Infektionsrisiko und das soziale Risiko beeinflusst. Das Corona-Virus kann jeden treffen. Wie hoch das Risiko einer Infektion jedoch ist, hängt sehr wohl von Stand und Klasse ab. Die existierenden Wohlstandsunterschiede werden durch die Pandemie weiter verschärft. Während die einen über die vielen Videokonferenzen im Home-Office jammern, müssen viele Arbeiter*innen ihre Arbeit vor Ort verrichten – ihr Job lässt keine soziale Distanz zu. Arbeit muss generell neu gedacht und neu bewertet werden. Uns retten gerade nicht die CEOs und Billionäre (das Vermögen der USamerikanischen Billionäre stieg zwischen dem 18. März und dem 10. April übrigens um 238 Billionen US-Dollar) – uns retten Pflegepersonal, Reinigungskräfte, Arbeiter*innen in Supermärkten, Drogerien und Apotheken und viele andere prekär Beschäftigte. Sozial benachteiligte Menschen sind zudem häufiger auf den öffentlichen Nahverkehr angewiesen, um zur Arbeit zu kommen und wohnen in der Regel in kleineren Wohnungen. Aus der großen schicken Altbauwohnung lässt sich das „stay the fuck home“ jedenfalls leichter verkünden. Das Risiko in Kurzarbeit zu landen oder den Arbeitsplatz durch die Krise komplett zu verlieren stellt für viele eine existenzielle Bedrohung dar. Diese Menschen sind in ihrer E x i s t e n z bedroht. Sozial benachteiligte Menschen sind also nicht nur einem höheren Infektionsrisiko, sondern auch einem höheren sozialen Risiko ausgesetzt. Insbesondere die Kinder aus sozial benachteiligten Familien leiden unter der Pandemie. Die Frage der Kinderbetreuung stellt sich bei Menschen, die nur bezahlt werden, wenn sie zur Arbeit kommen anders. Auch die Bildung der Kinder ist betroffen – nicht jede Familie hat Laptops zu Hause, mit welchen die Kinder von Zuhause aus lernen können. Schmerzhaft wird deutlich, dass die Menschen, die wegen ihrer sozialen Herkunft oder ihrem sozialem Status eh schon benachteiligt werden, in Zeiten der Pandemie besonders verletzlich sind.
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Detox your Alltagssprache. Menschen die sozial benachteiligt sind, werden nicht selten auch als „sozial schwach“ oder gar „asozial“ – als „asi“ bezeichnet. Das Wort „asi“ habe ich das erste Mal mit 11 Jahren bewusst gehört. Eine Maus vom Dachboden ist durch ein Loch in den Holzdielen in mein Kinderzimmers geklettert und biss mich nachts in den Finger. Ich musste in das Tropeninstitut gebracht werden und wurde gegen Tollwut geimpft. Ich vertrug die Impfung nicht gut und lag zwei Wochen mit Fieber im Bett. Als ich dann endlich wieder in die Schule durfte, bat mich meine Mutter, niemand zu erzählen, dass eine Maus in meinem Zimmer war und mich gebissen hat – „sonst denken die vielleicht, wir sind ‚Asis‘“. Ab diesem Moment schien dieses Wort mich zu verfolgen. Ich lerne, welches die „Asi-Viertel“ in Stuttgart sind, höre, wie sich über „Asi-TV“ lustig gemacht wird, in meiner Schule gibt es an Fasching den „Asi-Mottotag“, an welchem alle mit Joggingshose, Aldi-Plastiktüte und mit Wasser gefüllter Vodka-Flasche in die Schule kommen und dann mit einem Augenzwinkern „gehmer Aldi?“ fragen. „Asi-Sprache“ eben. Verbannt dieses Wort aus eurem Sprachgebrauch.
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Die Fremdbezeichnung „Asoziale“ wurde von den Nazis auch schon benutzt für ein imaginäre soziale Gemeinschaft, eine Sammelbezeichnung für als „minderwertig“ bezeichnete Menschen aus den sozialen Unterschichten. Als „asozial“ verfolgt wurden Minderheiten wie Obdachlose, Wanderarbeiter*innen, Bettler*innen, umherziehende Musiker*innen, Prostituierte, Alkoholkranke – Menschen aus sehr armen Verhältnissen sowie Frauen, die sich nicht dem NS-Staat fügten. Ihnen wurde unterstellt, Leistungs- und Anpassungsdefizite aufzuweisen und deshalb wurden sie als „Ballastexistenzen“ etikettiert, für welche die „Volksgemeinschaft“ sorgen müsse. Sie wurden bei Razzien festgenommen und in Konzentrationslager gebracht. In der Zeit vor dem Krieg stellen die sogenannten „Asozialen“ die größte Opfergruppe in den Konzentrationslagern dar. Erst im Februar diesen Jahres entschied sich der Bundestag nach einer Petition von Frank Nonnenmacher dazu, die als „Asoziale“ Verfolgten als Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft anzuerkennen. Über sieben Jahrzehnte später wird nun Geld bereitgestellt für die Forschung über diese Opfergruppe, für Bildungsangebote und für die Entschädigung der Opfer. Trotz der Rehabilitierung der Opfer wird eine klassistische Diskriminierung unbeeindruckt von den vorausgegangen Ereignissen politisch und im populären Verständnis fortgeführt.
Immer wenn ich erfahre, dass Wörter, die ich bis dato verwendete, zutiefst diskriminierend sind, bekomme ich einen Kloß im Hals und mir wird schlecht. Und das ist mir schon oft passiert. Als ich das Buch „Verbrannte Wörter: Wo wir noch reden wie Nazis – und wo nicht“ von Matthias Heine durchblätterte, wurde der Kloß in meinem Hals immer größer. Trotzdem und deswegen eine Leseempfehlung. Wie wäre ein umfassendes Political Detox, wie Margarete Stokowski es nennt? Es bedeutet, zuerst und immer wieder sich selbst zu fragen: „Wo sind in meinem Denken, Sprechen und Handeln noch Reste von dem, was ich abschaffen will?“ (Stokowski 2018: S.204)
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Klima, Klasse, Kapitalismus. Fleisch, Fast-Fashion, Fliegen. Auch die Menschen, die eigentlich die Welt retten wollen, jene, die sich für den Klimaschutz einsetzen, sind meist nicht frei von Klassismus. Stellvertretend für den öffentliche Diskurs, beziehungsweise dafür, wie die Debatte geführt wird, stehen die Klimasünden Fleisch, Fast-Fashion und Fliegen. Die Lösung scheint einfach – verzichten oder eben teurer machen. Spoiler: Das mag zwar eine Lösung sein, aber eben eine klassistische. Fleisch ist klimaschädlich und sollte nicht glorifiziert werden, keine Frage. Hebt man den Preis, werden die Reichen es sich trotzdem leisten, arme Menschen wiederum nicht. Ökonomisch Schwächeren wird die Teilhabe verwehrt, sie werden für ein System bestraft, für das sie nichts können und unter welchem sie sowieso schon leiden. Nun ja, klingt fragwürdig. Für einige scheint das gar nicht fragwürdig, sie bestehen weiterhin auf eine Preiserhöhung, weil es ja gut sei, wenn wenigstens eine Gruppe aus dem Fleischkonsum ausscheidet. Solche Narrative, in welchen die Schwächeren für „das gemeinsame Ziel“ herhalten müssen, finde ich auch ... fragwürdig. Auch Fast Fashion steht in der Kritik. Diese Modekonzerne sind ein Grund für den Klimawandel, außerdem beuten sie – wie auch große Schlachtereien – arme Arbeiter*innen aus. Natürlich sind diese Konzerne also scheiße. Oft gilt die Kritik jedoch nicht den Konzernen selbst, sondern den Menschen, die bei diesen günstigen Modeketten einkaufen. Es soll doch gefälligst nur noch fair produzierte Kleidung oder, wenn das Geld dafür nicht reicht, dann eben SecondHand-Kleidung gekauft werden. Was außer Acht
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gelassen wird ist, dass auch arme Leute den – dem Kapitalismus geschuldeten – Wunsch haben, schick und modisch auszusehen und dass diese günstigen Modeketten diesen Wunsch erfüllen und so die sichtbaren Klassenunterschiede im Ansatz begleichen können. Viele Menschen werden in Second-HandLäden auch aufgrund des fehlenden Größenangebots nicht fündig. Außerdem braucht es mehr Zeit, SecondHand einzukaufen, Zeit, die Menschen, die sowieso schon von der Lohnarbeit erschöpft sind, nicht unbedingt haben. Second-Hand-Einkaufen bedeutet für Arme nicht dasselbe wie für Reiche. Nicole Schöndorfer schreibt, es gehe nicht darum, eine stylische Vintage-Lederjacke aus den 80ern zu erbeuten, sondern um Basics wie Arbeitskleidung und Winterschuhe für die Kinder. Second-Hand ist für Arme kein Lifestyle, sondern bittere Notwendigkeit. Eine weitere Forderung im Rahmen der Debatte ist, dass man nicht mehr fliegen solle, beziehungsweise, dass auch das Fliegen einfach teurer gemacht werden solle. Viele Menschen sparen das ganze Jahr, um sich ihren Sommerurlaub finanzieren zu können. Würde man die Preise erhöhen, würde der Urlaub für viele von ihnen flachfallen. Die Forderung nicht mehr zu fliegen, kommt meistens von Menschen ohne Migrationsgeschichte, von Menschen, die keine Familie in einem anderen Land haben, die sie besuchen oder unterstützen müssen. Ja, fridays-for-future ist eine Bewegung der weißen Mittelschicht. Außerdem spielt nicht nur das Geld eine Rolle, sondern auch der zeitliche Mehraufwand, auch hier müssen arbeitspolitische Aspekte mitgedacht werden. In den Forderungen scheint eher das individuelle Handeln und nicht die Systemfrage im Mittelpunkt zu stehen. Die Konsument*innen sollen nachhaltig und
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„ethisch“ konsumieren. Ist ein „ethischer Konsum“ im Kapitalismus (welcher auf Herrschafts- und Ausbeutungsverhältnissen beruht) überhaupt möglich? Ich glaube nicht. Diese verkürzte, individuelle Konsumkritik wird oft auf Kosten der Arbeiter*innen und Armen geführt und geht mit einem herabschauenden Blick der Besserverdienenden einher. Es scheint mir ziemlich paternalistisch, Menschen vorschreiben zu wollen, was sie essen, tragen und wohin sie reisen sollen. Auch hinter der Forderung nach einer Preiserhöhung verbirgt sich oft Klassenhass oder mindestens Privilegien und Naivität. Eine Preiserhöhung würde unterschiedliche Leute unterschiedlich hart treffen und arme Leute dafür bestrafen, dass sie arm sind und sie noch mehr einschränken als sie es ohnehin schon sind und reiche Leute würden einfach mehr zahlen. Ich schließe mich Şeyda Kurts Postulat an: „Nicht jede Person, die fliegt, ist eine zu viel. Sondern: Jede privilegierte Person, die fliegt, ist eine zu viel“. Dasselbe gilt für die Personen, die günstiges Fleisch und Fast Fashion konsumieren.
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„Unterste Schublade, Gangasta Rap, mitten ins Gesicht“ *
Mit 10 Jahren lernte ich Celina im Waldheim (eine Kinderbetreuung in den Sommerferien) kennen. Sie trug Adidasjacken und schwarzen Kajalstift, war selbstbewusster als ich, traute sich sogar den Jungs die Meinung zu sagen und hörte in der Mittagsruhe Deutschrap. Ich wollte auch gern ein bisschen mehr wie Celina sein. Als der Sommer vorbei war, wollte ich mir Lieder von Haftbefehl auf meinen Mp3-Player laden, 99 Cent pro Lied, also musste ich meinen Vater fragen. Auf meine Frage hin schaute er komisch, hörte sich den Song an und sagte dann, dass das keine gute Idee sei. Als ich dieses Jahr die Spiegel-Titelstory über „Gangsta-Rap“ las, fiel mir genau dieser Moment wieder ein. Der Moment, ab dem ich heimlich Deutschrap hörte, weil ich dachte, es gehört sich halt nicht.
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Der Spiegel veröffentlichte im Januar 2020 seine Titelstory „Faszination Gangsta-Rap“, in welcher sich 13 Autor*innen einem Thema annäherten, mit dem sie davor offensichtlich kaum Kontakt hatten. Die Autor*innen stellen das bürgerliche Mittelschichtmilieu, das sich um seine Kinder sorgt, dem sozial weiter unten gelegenen „Gangsta-Rap-Milieu“ gegenüber. Die Titel-Unterzeile des Artikels „wie böse Jungs und Clan-Romantik die Kinderzimmer erobern“ – der Clan wird im Text auch „Araberfamilie“ genannt – identifiziert das Milieu als migrantisch. Das Kinderzimmer der bildungsbürgerlichen Mittelschicht muss von „denen da unten“ beschützt werden, welche im Text als „Schmuddeljungs“ und „unedle Wilde“ bezeichnet werden und von welchen sich unbedingt abgegrenzt werden muss. Der Spiegel offenbart schamlos sein „klassistisches, privilegiertes, herablassendes Weltbild“ (Birr 2020). Miriam Davoudvandi fragt, ob es Leute 2020 hinkriegen, Rap zu kritisieren, ohne Klassismus und Rassismus auszupacken – „glaube nicht“, schließt sie. Natürlich muss auch Rap kritisiert werden und es muss diskutiert werden, wie Rap seinen aktiven Einfluss auf die Gesellschaft nutzt. Übrigens werde ich nicht nur beim Rap Hören mit Sexismus und Gewalt konfrontiert. Sexismus und Gewalt gibt es quasi überall, nur werden im Rap diese gesellschaftlichen Probleme expliziter dargestellt als in anderen gesellschaftlichen Bereichen. Im Spiegel-Artikel wird kein Wort darüber verloren, dass genau dieser Rassismus und Klassismus oft ein elementarer Teil von Straßen-Rap-Geschichten sind, dass dieser Rassismus und Klassismus ein elementarer Bestandteil der Realitäten und Lebenswelten der Künstler*innen sind. Birr kritisiert: „Kein Wort über Bildungschancen, zunehmende Privatisierung
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und Eigentumsansprüchen von Unternehmen, Gentrifizierung, Finanzkrise, fehlende Mittel an Schulen und Jugendeinrichtungen und zu allem Überfluss ein wachsendes Überangebot aus egozentrischen, patriarchalen und oft hypersexualisierten Konsumgütern jeder Art, die von einer profitorientierten Industrie täglich auf Leinwände, auf Timelines, Werbespots usw. geschrien werden.“ (Birr 2020) Hiphop findet seinen Ursprung in der afroamerikanischen Kultur im Ausdruck von Wut gegen rassistische und soziale Diskriminierung. Rap fungiert als Sprache von Marginalisierten, welche ihre Stimme erheben und ihre sozialen Erfahrungen ästhetisieren. Sie zeigen gesellschaftliche Ungleichheiten auf und üben Kritik an sozialen Missständen. Für Jugendliche kann Rap ein kraftvolles Medium des Widerstands und der Befreiung sein, es kann sie empowern. Rap schafft es damit sogar, die realen Verhältnisse zwischen Minderheit und Dominanzkultur umzukehren. Rap zeigt reale soziale Missstände auf, doch wird nicht als Kunst ernstgenommen, weil diese Kunstform als proletarisch gilt. Es wird eine strenge Trennung von Hoch- und Subkultur vorgenommen, was als wertvoller angesehen wird, steht außer Frage. Nicht selten wird Rap sogar als „kulturlos“ abgestempelt, ihm wird der Status als „Kulturgut“ komplett abgesprochen. Die künstlerischen Ausdrücke marginalisierter Positionen werden entwertet.
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*Zitat aus „Depressionen im Ghetto“ von Haftbefehl. „Unterste Schublade, Gangasta Rap, mitten ins Gesicht Kanaken in Deutschland, ich bin nur Sohn meines Vaters Von Grund auf enttäuscht, fick Vater Staat, ich schieß auf den Adler Depressionen im Ghetto Depressionen im Ghetto Depressionen im Ghetto Vergiss SOS, es kommt eh keine Rettung"
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Neoliberale Narrative und neoliberale Kreative. Kommt produktiv durch die Pandemie. Früher verbrachte ich oft die Wochenenden bei meinem Vater. Ich erinnere mich noch, dass ich früh aufstand und lange wach bleiben wollte, da ich in den zwei Tagen so viel wie möglich unternehmen wollte. Als ich am Sonntagabend nach Hause kam, fragte ich mich, wie Zeit so schnell vergehen kann. Vielleicht fing ich schon damals an zu begreifen, dass Zeit eine kostbare, begrenzte Ressource ist. Je älter ich wurde, desto mehr verspürte ich den Druck, diese Zeit produktiv zu nutzen. Gerade jetzt im Lockdown verstärkt sich für mich dieser Druck der Produktivität. Wir sind gezwungen, zu Hause zu bleiben, viele Menschen arbeiten weniger, wir verbringen keine Zeit mehr mit Freunden, Familie, in Restaurants, Bars oder beim Shoppen. Viele feiern diese neue gewonnene „Freizeit“, romantisieren die Pandemie als „spirituelle Pause“. Social Media gibt mir das Gefühl, jetzt sei der Zeitpunkt, um aufwändig zu kochen, auf- und umzuräumen, Sport zu machen, zu lesen, die Steuererklärung hinter sich zu bringen, eine neue Fremdsprache zu lernen und am besten noch ein Hygiene-Masken-Business zu starten. Ich habe eher das Gefühl, dass diese Zeit mich lähmt, dass social distancing mir Kraft raubt, dass mir der Abtrieb zur propagierten Produktivität fehlt. Und das macht mir Angst.
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Das machte mir schon immer Angst. Ich habe Angst, dass ich nicht „mithalten“ kann, dass ich als faul abgestempelt werde, wenn ich nicht leistungsfähig genug bin. Ich habe Angst, dass Auszeiten meiner Produktivität schaden. Denn wie heißt es so schön „man ist seines eigenen Glückes Schmied“, heißt, wenn du im Leben nichts erreichst, bist du selbst daran schuld. Die neoliberale Leistungsgesellschaft suggeriert, dass unser Erfolg von individueller Anstrengung und von Talent abhängt. Es wird suggeriert, die Verantwortung für Erfolg liege vollständig in der eigenen Hand. Uns offenbaren sich unbegrenzte Wahlund Entscheidungsmöglichkeiten, da uns der Staat so viel Freiraum wie möglich lässt. Das System ist durchlässig und fair – für die, die sich besonders anstrengen, klar. Die Ideologie der grenzenlosen Freiheit scheint das populärste Märchen unserer Zeit zu sein. Misserfolg sei, genau wie Erfolg, selbstverschuldet. Strukturelle Formen von Benachteiligung und Diskriminierung und strukturelle Probleme wie Armut und Arbeitslosigkeit werden nicht als diese adressiert, sondern individualisiert. Mit diesen neoliberalen Narrativen geht eine Verwertungslogik einher. Das Leistungsprinzip bewertet Menschen primär nach ihrem wirtschaftlichen „Nutzen“. Man ist nicht als Mensch wertvoll, sondern als arbeitender Mensch. Der „marktförmige Extremismus“ spricht jenen Menschen, die in ökonomischer Hinsicht als „schwach“ oder „wenig gewinnbringend“ angesehen werden, unsere Solidarität und Unterstützung ab. Besonders verbreitet ist der „marktförmige Extremismus“ unter Personen aus ökonomisch privilegierten Bevölkerungsgruppen. Unsere Leistungsideologie zwingt besonders Migrant*innen, sich
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beweisen zu müssen: Sie müssen zeigen, dass sie der Gesellschaft beziehungsweise der Wirtschaft etwas nutzen, um darüber ihre gesellschaftliche Anwesenheit zu legitimieren. Serpil Temiz, die Mutter von Ferhat Ünvar, welcher bei dem Anschlag in Hanau getötet wurde, betont selbst während ihrer tiefsten Trauer, dass die Getöteten nicht arbeitslos waren, dass ihr Sohn eine Ausbildung beendet hat. Migrant*innen wird also nicht suggeriert, dass sie Leistung erbringen müssen, um in dieser Gesellschaft Platz zu finden, nein, sie müssen doppelt so viel Leistung erbringen, um in dieser Gesellschaft Platz zu finden. Können sie keine „Erfolgsbiografie” vorweisen, dann erfahren sie doppelte Ablehnung: Sie seien an ihrer „Erfolgslosigkeit“ selbst schuld und bekommen zugleich ihre Migrationsgeschichte vorgehalten. Wieder wird deutlich, dass Rassismus beziehungsweise Diskriminierung im Kapitalismus besonders wirksam ist, dass sie wahrscheinlich sogar nur im Kapitalismus funktioniert.
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Jede*r verdient es, ein gutes Leben zu haben – egal wie viel oder wenig er oder sie für die „Gesellschaft“ oder die Wirtschaft leistet. Unsere Produktivität bestimmt nicht unseren Wert. Neoliberale Kreative. Wie schaffe ich in unserer Leistungsgesellschaft Kunst? Manchmal habe ich das Gefühl, dass das künstlerische Arbeiten ein Moment ist, welcher der Leistungsideologie zuwiderläuft (obwohl natürlich auch die „Kunstproduktion“ in die oben genannten Strukturen eingebettet ist). Ich versuche mich dem künstlerischen Schaffen hinzugeben, ohne zu wissen, wann die Arbeit fertig sein wird, ohne zu wissen, ob es überhaupt zu einem Werk kommen wird und wenn ja, ohne zu wissen, ob überhaupt irgendjemand dieses Werk sehen wird. Ich versuche diese Ungewissheit auszuhalten. Doch die Frage, wie ich meine Zeit und Energie sonst hätte nutzen können – wie ich sie „besser“ hätte nutzen können – wiegt schwer. Auch wenn ich nicht weiß, an welchen Maßstäben ich dieses „besser“ und „schlechter“ messen soll, weiß ich, dass meine Kunst wohl keinen gesellschaftlichen Nutzen hat. Oft fällt es mir schwer, das auszuhalten. Und dann frage ich mich, ob ich mich nur nach einem gesellschaftlichen Nutzen in meinem Tun sehne, weil ich genau diese neoliberalen Narrative selbst schon so sehr verinnerlicht habe. Dazu später mehr.
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Me, the killjoy. Ich musste mir neulich anhören, dass ich „such a killjoy“ sei, was soviel die Spielverderberin bedeutet. Aber ich finde den englischen Begriff doch passender: “If you call someone a killjoy, you are critical of them because they stop other people from enjoying themselves, often by reminding them of something unpleasant.” (Collins Dictionary) Ich glaube es ging darum, dass ich jemandes Lieblingsserie kritisiert habe, weil sie veraltete, stereotype Rollenbilder unreflektiert reproduziert. Nun gut. Aber tatsächlich machen viele Filme, Serien, Bücher, Musik oder Verabredungen keinen Spaß mehr, wenn man die Diskriminierungs-Brille aufsetzt. Und man kann diese Brille nur schwer wieder absetzen. Manchmal nervt es mich, dass ich das nicht kann und dass ich in meiner Familie und meinem Freund*innenkreis immer wieder the killjoy bin.
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Ich finde auf der „anderen Seite“ gibt es auch ganz schĂśn viele Menschen, die wiederum meinen Joy an Memes und Co. killen. (Funfact: in der Regel weiĂ&#x;e Mittelschicht-Männer). Hier ein kleiner Einblick in meinen Instagram-Alltag. Ich habe ein (ziemlich witziges) Meme in meiner Instagram-Story gerepostet: die reichsten Männer dieser Welt verbindet ein einfaches Lebensprinzip, das auf vier leicht zu merkenden Säulen steht: E hrlichkeit R uhe B eharrlichkeit E ngagement C.: Reichtum kann man nur subjektiv messen. Einem reicht eine Schale mit Reis am Tag, andere brauchen 10 Jets... Ich: Ich glaube niemanden reicht eine Schale Reis am Tag. C.: Doch, ich habe es auch paar mal versucht. Ein Zitat von Jason Reid in meiner Story: If you’re upset about regular folk hoarding toiletpaper, wait till you hear about how a tiny percentage of rich people have hoarded most of the world’s wealth. M.: negative Gedanken bringen einen auch nicht weiter... Auch witzig fand ich das: Stellungnahme der Jungen Liberalen zum Bedingungslosen Grundeinkommen: a. Hä b. Fragt doch c. Einfach d. Eure Eltern e. Nach Geld N.: Ich verstehe dich nicht. So klug, setzt dich fĂźrs Richtige ein, bist gegen Diskriminierung und gegen populistische Stigmatisierung von rechts, aber das ist nichts anderes. đ&#x;˜… Ich: Doch, weil ich nach oben treten schon mal in Ordnung finde, nach unten treten wĂźrde ich nie. N.: Wie wäre es, wenn wir uns alle umarmen, statt aufeinander einzutreten. đ&#x;˜…
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Irgendwie finde ich diese Kommentare ja auch ein bisschen witzig, aber eigentlich viel eher belastend. Nach manchen Diskussionen fühle ich mich sogar körperlich erschöpft. Immer wieder wirft das die Frage auf, wieso ich Diskussionen so viel Energie und Zeit widme. Ich versuche stets Probleme aufzuzeigen, anstatt mir einzureden, dass alles gut wäre. Ich frage mich, ob es genug ist, Probleme „nur“ sichtbar zu machen. Die Lösung für all die Probleme kenne ich selten – aber sind wir ehrlich, ich werde ja auch nicht dafür bezahlt, sie zu finden. Diese Arbeit ist ermüdend, entmutigend und lässt mich immer wieder an allem zweifeln und macht mich sehr wütend. Als ich diesen Schmerz gegenüber einer Freundin äußerte, gab sie mir den gut gemeinten Ratschlag: Yoga, Meditation und Selfcare. Schalt halt mal ab. Rückzug auf das Selbst scheint die am häufigsten vorgeschlagene Lösung zu sein – in schlechten Zeiten erstmal gut zu sich selbst sein. Und ich könnte das, denn ich habe das Privileg, nicht direkt von Rassismus, Klassismus und vielem mehr betroffen zu sein. Andere können sich nicht einfach zurückziehen und die Ungerechtigkeiten ignorieren, mal abschalten, weil sie von diesen Ungerechtigkeiten betroffen sind, weil sie tagtäglich damit konfrontiert werden. Ob sie es wollen oder nicht. Man kann gegen diese Ungerechtigkeiten nicht alleine kämpfen – egal wie sehr uns eingetrichtert wird, dass alle Erfolge ganz allein von unserer individuellen Leistung abhängen. Aktiv werden ist anstrengend. Es kann aber sogar schön werden, wenn man zusammen kämpft.
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Kunst. Das wohl exklusivste gesellschaftliche Spielfeld. Nimmt man die „kulturelle Teilhabe“ als Menschenrecht ernst, muss man anstreben, dass Kunst- und Kulturinstitutionen für die breite Masse zugänglich sind. Aktuell sind diese Institutionen allerdings noch stark von Ausschlüssen und Barrieren geprägt. Es herrscht ein strukturelles Diversitätsproblem, welches sich in den Programmen, dem Personal und auch in den Besucher*innen der meisten Institutionen manifestiert. Unter anderem sind rassistische und klassistische Ausschlüsse wirksam. Wie äußern sich diese rassistischen Ausschlüsse? In Kunst- und Kulturinstitutionen sind ein weißer Kulturbegriff und eine westliche Ästhetik vorherrschend. Entspricht Kunst nicht dem hegemonialen Kulturkanon, sondern ist etwa außereuropäisch, wird den Künstler*innen oftmals Kulturferne zugesprochen. „Das Andere“ wird ausgeblendet oder exotisiert. Außereuropäische Kunst scheint nur als Steigbügelhalter integriert zu werden, um sich progressiv zu geben, um sich im eigenen Kunst- und Kulturverständnis weniger angreifbar zu machen. Marginalisierte Akteur*innen bekommen unter diesen Umständen kaum die Möglichkeit, ihre Kunst- und Kulturpraxis zu entwickeln und zu professionalisieren. Viele Institutionen entwickeln Programme für mehr Diversität. Es gibt positive Beispiele, wie Projekte, die zur Aufdeckung struktureller Missstände beitragen (z.B. die Forschung art.school.differences oder die foundationClass der Kunsthochschule Weißensee in Berlin). Allerdings gibt es auch viele Programme für Diversität, welche wenig oder gar keine Wirkung haben und zu keiner langfristigen strukturellen Veränderung führen und sogar negative Folgen für Marginalisierte haben können. So führten beispielweise die zahlreichen gut gemeinten, biografisch ausgelegten „Projekte mit Geflüchteten“, die künstlerisch Fluchterfahrungen bearbeiten, in vielen Fällen zur Retraumatisierung der Beteiligten. Die psychologische oder traumatherapeutische Begleitung fehlte. Die Projekte stellten Geflüchtete oft als homogene Gruppe dar und suggerieren nach außen eine antidiskriminierende Haltung, während ausschließende Strukturen intakt bleiben und womöglich weiter zementiert werden. Unsere Kunst- und Kulturinstitutionen scheinen nicht nur ein Rassismusproblem zu haben, sondern auch ein Klassismusproblem. Die kulturelle Teilhabe ist eng mit dem Bildungsstand, Einkommensverhältnis, der sozialen
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Herkunft und der Sozialisation verbunden – Kultur wird mit dem sozialen Status „vererbt“. Ausschlüsse und Ungleichheit werden durch Klassenverhältnisse (re-)produziert. Zugang zum Kulturbetrieb hat in der Regel nur ein spezifisches „Kultur-Klientel“, mit Dieter Biallas Worten die „Kulturschickeria“. Bourdieu schrieb, dass Kulturinstitutionen der sozialen Distinktion des Bürgertums dienen. Um den Kunst- und Kultursektor nachhaltig divers zu gestalten, müssen auf drei Ebenen Zugänge geschaffen werden – auf der Ebene des Programms, des Personals und auf der Ebene der Besucher*innen. Kulturelle Teilhabe meint Zugänge auf jeglicher Ebene, also nicht nur den souveränen Umgang mit unterschiedlichen kulturellen Ausdrucksformen und Codes, sondern meint auch die Produzent*innenschaft von Kunst und Kultur zugänglich zu machen und zu demokratisieren. Es bleibt wichtig zu hinterfragen, welche Menschen Teil der Kunst- und Kulturinstitutionen sind, welche Menschen in einer Institution die Definitions- und Entscheidungsmacht haben und dabei Hierarchien und Autoritätsstrukturen zu reflektieren.
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Unter den Auserwählten. Wer bekommt die Möglichkeit eine Kunstpraxis zu entwickeln und zu professionalisieren? Wer studiert an Kunsthochschulen? Bevor man sich diesen Fragen widmet, muss mal kurz mit dem Mythos Chancengleichheit aufgeräumt werden. Bildung ist von vornherein nicht „für alle“ gleich. Unser Bildungserfolg hängt nicht davon ab, wie talentiert, schlau oder engagiert wir sind, sondern hauptsächlich vom sozioökonomischen Hintergrund unserer Eltern. Daran erinnert uns alle drei Jahre die PISA-Studie. Benachteiligte Kinder werden zwar schon viel früher abgehängt – nämlich nach der vierten Klasse – aber betrachten wir mal den Zugang zum Studium: Bei 100 Kindern aus Arbeiter*innenfamilien studieren 23, bei Akademiker*innenfamilien liegt die Zahl bei 77. Diese Zahlen haben viele Gründe, vor allem aber finanzielle und psychologische. Studieren kostet Geld – Umzug, Immatrikulation, Laptop und Bücher. Zum Vollzeitstudium kommt die Lohnarbeit hinzu, um sich das Studium finanzieren zu können, sowie die Erwartung, ständig irgendwelche unbezahlten Praktika zu machen. Viele Eltern können ihre Kinder (finanziell) nicht unterstützen, auch wenn sie das gerne tun würden. Dazu kommt, dass sich viele Arbeiter*innenkinder fremd an der Universität fühlen, weil sie das Gefühl haben ihnen fehle Wissen, Sprache und Erfahrung.
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An Kunsthochschulen funktionieren diese Ausschlüsse ähnlich. Eine Besonderheit ist, dass man Kunst auch studieren darf, ohne die allgemeine Hochschulreife absolviert zu haben – sofern man eine besondere Begabung unter Beweis stellen kann. Das ist gut, aber nicht die Lösung. Viele Kinder aus ärmeren Familien streben erst gar kein Kunststudium an, weil nach dem Studium in der Regel ein prekäres Künstler*innenleben auf sie wartet. Die mehr oder weniger hohen Materialkosten, welche bei der künstlerischen Arbeit anfallen, müssen bereits im Studium gestemmt werden – das Studium wird schnell teuer. Kinder aus Arbeiter*innenfamilien sind nicht nur unterrepräsentiert an Kunsthochschulen, weil sie nicht Kunst studieren wollen, sondern auch, weil sie strukturell benachteiligt werden, ihnen der Zugang zu Kunsthochschulen erschwert wird. Ein Professor unserer Kunstakademie ließ sich öffentlich auf Facebook aus: „Wenn ich jetzt in der zweihundertsten Mappe unserer Bewerber*innen für ein Studium an der Kunstakademie nochmal lesen muss, dass sie ja schon als kleine Kinder gerne gemalt haben und auch sonst sehr kreativ sind, schlage ich meinen Kopf auf die Schreibtischkante.“ – die Reaktion einer anderen Professorin lautete „Jaja, ‘schon seit meiner frühesten Kindheit…’ und dann so eine Scheißmappe… musste nach 4 Stunden Kopfschmerztabletten nehmen.“ Auf die Nachfrage, ob es besagtem Professor lieber wäre, wenn jene Bewerber*innen als Kinder malen erst gar nicht in Erwägung gezogen hätten? „Bei 95% der Bewerber*innen schon (dann wäre uns die Bewerbung erspart geblieben).“ Nicht nur die Bewerber*innen, sondern auch die Studierenden, die „Blindgänger" und „Fehlgestarteten“ unter ihnen, bekamen ihr Fett weg. Dass die Akademie Künstler*innen ausbilden und nicht
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ausfindig machen soll, scheint vergessen, an die Potenz und Verantwortung von Lehre wird nicht geglaubt. Mal sehen, ob solch eine „Öffentlichkeitsarbeit“ zu besseren Bewerbungen im nächsten Jahr führen wird. Aber zumindest wird dieser schlecht getarnte Klassismus dazu führen, dass sich ein paar Arbeiter*innenkinder noch fremder in einer dieser Institutionen fühlen und sich erst gar nicht bewerben. So kann man auch zu einer „Vorauswahl“ kommen.
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Worüber sich die Lehrenden der Kunstakademie stattdessen echauffieren könnten? Darüber, wie klassistisch geprägt die Zugänge zu Kunsthochschulen sind. Der Großteil der Studierenden an Kunsthochschulen stammt aus einem sozioökonomisch privilegiertem Milieu und hat viel kulturelles und soziales Kapital angehäuft. Ich glaube nicht an eine „natürliche Begabung“ oder ein Talent à la Wunderkind, sondern an ein Konstrukt, welches klassenspezifische Unterschiede verstärkt. Nicht jede*r hat den souveränen Umgang mit unterschiedlichen kulturellen Ausdrucksformen und Codes von Zuhause mitbekommen. Nicht jede*r erhält die Förderung, die es bräuchte, um eine „bessere“ Mappe abzugeben. Nicht jede*r kann sich einen Mappenkurs leisten. Nicht jede*r hat Eltern, die nochmal über das Bewerbungsschreiben drüber lesen können oder gar bei der Formulierung unterstützen können. Es gibt keine „objektiven“ Kriterien, um eine „Begabung“ festzustellen. Letztlich kann man nur die Vertrautheit mit Techniken und Diskursen abfragen. Diese ungleichmachende Praxis der Aufnahmeprüfungen wird aber nicht als strukturelles Problem identifiziert. Stattdessen wird den benachteiligten Bewerber*innen suggeriert, dass allein sie, ihr mangelndes Talent, ihre mangelnde Intelligenz oder ihr mangelndes Engagement für die Ablehnung verantwortlich sind. Schaffen es diese benachteiligten Bewerber*innen trotz all dieser Barrieren in den kleinen Kreis der Elite und sind auserwählt, an der Kunstakademie zu studieren, schreiben sich dort die ausschließenden Strukturen fort: Fehlende Diversität der Lehrenden und des Curriculums.
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Ich plädiere für eine diversitätsorientierte Öffnung von Kunst- und Kulturinstitutionen und für eine diskriminierungskritische Kunstausbildung, welche gesellschaftliche Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten, sowie die wachsende neoliberale ökonomische Denkweise sichtbar macht, statt sie zu ignorieren. Wie könnte man das konkret umsetzen? Die Studie art.school.differences forscht nicht nur zur Konfigurationen von Ungleichheiten und Normativitäten im Feld von Kunsthochschulen, sondern entwickelt daraufhin auch sechs Handlunsgfelder – es wäre wünschenswert, dass Kunsthochschulen sie als eine Art Leitfaden verstehen. (Der Link zu den Handlungsfeldern ist in meinen Quellen zu finden. Hier nur eine kurze Übersicht, über die Handlungsfelder: ) 1.
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Informationspolitiken: Werbematerialien, Webseiten, Informationstage und Auskünfte der Hochschuladministrationen Finanzielle Anforderungen an Kandidat*innen und Studierende Kriterien, Studierendenbilder und Anforderungen an das Studium Aufnahmeverfahren und deren Effekte Curricula und Bedingungen während des Studiums Hochschulleitungen, Gremien und Administration: Politiken und Prozesse demokratischer und inklusiver Mitgestaltung
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Hufeisentheorie und ihre Rechtslinksschwäche. Die Reaktion der Politik und des Journalismus auf die rechtsradikale Terrorwelle ist eine bizarre Untertreibung, ein völliges Versagen. In der Sekunde der Erwähnung von Rechtsextremismus, wird mit „aber der Linksextremismus…“ geantwortet. Der Berliner FDP-Politiker Sebastian Czaja twittert „Antifaschisten sind auch Faschisten“. Was bei der Gleichsetzung von Linksund Rechtsextremismus vergessen wird, ist das fünffache Übergewicht des rechten und rechtsextremen Spektrums bei den politisch motivierten Straftaten. Es wird versucht davon abzulenken, dass „der Unterschied im 21. Jahrhundert in Deutschland ist, dass Linksextreme Autos anzünden und Rechtsextreme Menschen“. (Lobo 2019) Indem man Linke und Nazis gleichgesetzt, verharmlost man Rechtsextremismus sowie Rechtsterrorismus und unterdrückt den Diskurs darüber. Mitte
links
linksextrem
gemäßigt
extremistisch
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rechts
rechtsextrem
Die sogenannte Hufeisentheorie ist tief in der politischen Kultur Deutschlands verankert. Sie besagt, dass „die Mitte“ das Gute sei und „die Enden“ die Extreme, welche ein ähnliches Bedrohungspotential bergen. Die Mitte wird gehuldigt, obwohl der Begriff „der Mitte“ nur eine hohle Phrase ist. Margarete Stokowski fragt, was diese „Mitte“ denn sein sollte – etwas „zwischen der ‚linken‘ Annahme, dass alle Menschen dieselben Rechte und Freiheiten haben sollten, dass Diskriminierung und Privilegien aufgrund von Herkunft, Geschlecht, Sexualität und so weiter abgeschafft gehören (‚links‘ in Anführungszeichen, weil das das Grundgesetz ist) und der rechten Annahme, dass - zum Beispiel - Leute mit bestimmter ethnischer Herkunft dümmer und unkultivierter sind als andere und Homosexualität ‚unnatürlich‘ ist? Es gibt dazwischen keine Mitte.“ (Stokowski 2020) In Momenten der Ungerechtigkeit kann man sich nicht „mittig“ und „neutral“ positionieren, denn dann steht man auf der Seite der Unterdrückenden. Sich nicht zu positionieren ist auch eine Positionierung. „Silence is violence“. Achja, noch eine kleine Anmerkung zur bösen Linken, zu den „Antifaschisten“: Große Teile von ihnen leisten in Deutschland eine Menge Bildungs-, Informations- und Mobilisierungsarbeit und sorgen dafür, dass Deutschland ein bisschen weniger düster aussieht.
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Wieso jetzt Kunst machen? Wie eingangs erwähnt, macht mir diese Zeit das „Kunstmachen“ schwer. Und damit meine ich nicht nur die Zeit seit dem Ausbruch von Covid19. Mich übermannt ein diffuses Schuldgefühl. Ich esse zu Mittag ein paar Spargel – im Wissen, dass im Camp Moria rund 20.00 Menschen sich selbst überlassen werden, dass Deutschland aber 80.000 Erntehelfer*innen aus Rumänien einfliegt und einer von ihnen bereits an Covid19 gestorben ist. Ich tippe in diesem Moment diese Zeilen – im Wissen, dass für diesen Laptop kongolesische Kinder unter lebensgefährlichen Bedingungen Kobalt in Minen abbauen mussten. Ich lese über die #blacklivesmatter-Demonstrationen – im Wissen, dass ich Teil der weißen Mehrheitsgesellschaft bin, welche den Rassismus „erfunden" hat und welche sich bis heute nicht ausreichend dafür einsetzt, ihn wieder abzuschaffen. Ich studiere Kunst, das wohl exklusivste gesellschaftliche Spielfeld – im Wissen, dass meine Kunst wohl keinen „gesellschaftlichen Nutzen“ hat. Ich sitze in meinem Zimmer und schreibe – im Wissen, dass wir uns in einer multiplen Krise befinden, dass es höchste Dringlichkeit hat, gegen Probleme und das Elend in der Welt anzukämpfen. Meine Privilegien machen mir das möglich, sie geben mir die Möglichkeit, vergleichsweise frei zu entscheiden, wie ich meine Zeit und Energie nutze. Geht mit diesen angeborenen Privilegien auch die Pflicht einher, meine Stimme und meine Zeit im Sinne von Menschen zu nutzen, welche diese Möglichkeiten nicht haben?
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Ich weiß oft gar nicht, wo ich anfangen soll. Das Gefühl der Rat- und Hilflosigkeit überwältigt mich immer wieder mit so einer Wucht, dass es mich völlig niederschmettert und handlungsunfähig macht. Ich weiß nicht, wie ich diese Schuldgefühle loswerde, dieses Gefühl, Hilfeleistung zu unterlassen. Es sollte wahrscheinlich weniger um Schuld als um Verantwortung gehen. Wie man seiner Verantwortung in dieser Welt gerecht wird, weiß ich ehrlich gesagt auch nicht. Ein erster Schritt ist, mit marginalisierten Gruppen zu kämpfen. Ich werde selbst kaum diskriminiert und bin schon so so wütend. Ich frage mich, wie es dann erst den Menschen gehen muss, die aktiv diskriminiert werden, jeden Tag. Solche Kämpfe kann man unmöglich alleine kämpfen.
„I understand that I will never understand. However, I stand with you.“
Zuher Jazmati nennt fünf Tipps, wie man als privilegierte Person ein*e Ally (Verbündete*r) für Menschen marginalisierter Gruppen sein kann: 1. 2. 3. 4. 5.
Kenne dein Privileg. Höre marginalisierten Menschen zu und setz dich dann an die Arbeit. Sei laut gegen Ungerechtigkeiten, aber übertöne die marginalisierte Gruppe nicht. Du wirst Fehler machen. Entschuldige dich dafür und siehe Punkt 2. Allysein ist ein Verb, kein Label. Bleib aktiv dran.
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Besonders die beiden letzten Punkte dürfen nicht vernachlässigt werden. Wir müssen bei uns selbst anfangen und anerkennen, dass uns Diskriminierungsformen anerzogen wurden. Wir sind alle (mehr oder weniger) klassistisch oder anderweitig diskriminierend. Klassismus bezeichnet nämlich nicht nur den offenen Hass gegenüber Arbeiter*innen, in Armut lebenden Menschen, Arbeitslosen und anderen an den Rand gedrängten – Klassismus manifestiert sich genauso in auf den ersten Blick harmlos daherkommenden Mikroaggressionen. Der internalisierte Klassismus wird immer und immer wieder zu Tage treten, man hört nicht plötzlich auf, klassistisch zu sein. Einerseits muss man immer wieder aufs Neue die eigenen Privilegien, das eigene Verhalten gegenüber marginalisierten Gruppen, die eigenen Denkmuster und Gefühle reflektieren und andererseits den Betroffenen selbst den Raum überlassen, um ihre Erfahrungen zu teilen.
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Laurie Penny schreibt: „ Kapitalismus ist nur eine Geschichte. Religion ist nur eine Geschichte. Das Patriarchat und die Vorherrschaft der Weißen sind nur Geschichten. Es sind die großen Ordnungsmythen, die unsere Gesellschaften definieren und unsere Zukunft bestimmen, und ich glaube – ich hoffe –, dass sie nun einer nach dem anderen endlich umgeschrieben werden.“ (Penny 2017: S.94) Ich hoffe, dass die Pandemie zu ein historischem Moment wird, in welchem die Zukunft ihre Richtung änderte. Dass nie wieder alles zur Normalität zurückkehrt. Ich wünsche mir, daran glauben zu können.
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Quellen / Tipps 2020. Deutschland. Was bisher geschah. Christian Vooren 2020 : Hetze, Hass und Gewalt gegen Kinder. In: ZEIT ONLINE Check your privilege. Klassismus. Andreas Kemper/ Heike Winbach 2009: Klassismus. Eine Einführung. Münster: Unrast Verlag Die Pandemie ist klassistisch. Wie die Sozialstruktur das Infektionsrisiko und das soziale Risiko beeinflusst. Chuck Collins / Omar Ocampo / Sophia Paslaski 2020: Billionaire Bonanza 2020: Wealth Windfalls, Tumbling Taxes, and Pandemic Profiteers. In: Institute for Policy Studies Detox your Alltagssprache. Matthias Heine 2019: Verbrannte Wörter: Wo wir noch reden wie Nazis – und wo nicht. Berlin: Duden Margarete Stokowski 2018: Untenrum frei. Hamburg: Rowohlt Taschenbuch Verlag, S. 204 Klima, Klasse, Kapitalismus. Fleisch, Fast-Fashion, Fliegen. Şeyda Kurt 2019: Warum ich auch diesen Sommer in den Urlaub fliege – ohne schlechtes Gewissen. In: ze.tt Nicole Schöndorfer 2019: Darf sie das? #21 – Öko-Aktivismus bitte ohne Klassismus. In: Darf sie das? der Podcast Margarete Stokowski 2019: Muss man sich leisten können. In: Spiegel Online Hengameh Yaghoobifarah 2019: Kritik oder Klassismus. In: taz „Unterste Schublade, Gangasta Rap, mitten ins Gesicht“ Laura Backes, Jürgen Dahlkamp, Jörg Diehl et al. 2020: Lebe fett, gierig und rücksichtslos. In: Spiegel Online Antonia Baum 2020: Mit dem “Spiegel“ auf Gangsta-Rap-Safari. In: Übermedien Fionn Birr 2020: »Muck bloß nicht auf du Tobias« – Der Spiegel hat GangstaRap nicht verstanden // Kommentar. In: juice Max Czollek 2020: „No Integration!“. Desintegration und ihre Vorläufer*innen. In: Desintegriert euch! München: btb Verlag in der Verlagsgruppe Random House GmbH, S.123-137
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Mathias Liegmal 2019: Ist Rap wirklich nur »Spiegel der Gesellschaft«? Eine Analyse // Feature. In: juice Neoliberale Narrative und neoliberale Kreative. Kommt produktiv durch die Pandemie. Ellen Kollender / Janne Grote 2015: Leistungsideologie zwingt Migranten, sich beweisen zu müssen. In: Migazin Me, the killjoy. Collins Dictionary: killjoy. In: Collins Dictionary Kunst. Das wohl exklusivste gesellschaftliche Spielfeld. art.school.differences: Researching Inequalities and Normativities in the field of Higher Art Education. Dieter Biallas 1979: Kunst bedeutet Demokratie. In: ZEIT ONLINE Petra Lutz o.J.: Museen als Plattform der Identität. In: Ideologien der Ungleichwertigkeit. In: Heinrich Böll Stiftung Sandrine Micossé-Aikins/ Bahareh Sharifi 2019: Kulturinstitutionen ohne Grenzen? Annäherung an einen diskriminierungskritischen Kulturbereich. In: Kulturelle Bildung Online Nora Sternfeld 2020: Eine Demokratie lernen, die es noch nicht gibt. S. 205213 Weißensee Kunsthochschule Berlin: foundationClass. Unter den Auserwählten. art.school.differences 2019: Handlungsfelder. art.school.differences 2016: Schlussbericht.
Hufeisentheorie und ihre Rechtslinksschwäche. Maximilian Fuhrmann 2020: Wir müssen endlich aufhören, Linke und Nazis gleichzusetzen. In: der Tagesspiegel Sascha Lobo 2019: Wie das Netz den Faschismus befeuert. In: Spiegel Online Margarete Stokowski 2018: Es kann nicht genug Antifa geben. In: Spiegel Online Margarete Stokowski 2020: Mythos Mitte. In: Spiegel Online Wieso jetzt Kunst machen? Laurie Penny 2017: Bitch Doktrin. Hamburg: Edition Nautilus GmbH
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Allgemein Fatma Aydemir/ Hengameh Yaghoobifarah (Hrsg.) 2019: Eure Heimat ist unser Albtraum. Berlin: Ullstein Buchverlage GmbH Max Czollek 2020: Desintegriert euch! München: btb Verlag in der Verlagsgruppe Random House GmbH Reni Eddo-Lodge 2018: Why I’m No Longer Talking to White People About Race. London: Bloomsbury Publishing Beatrice Frasl: Große Töchter Podcast. Vassili Golod / Salwa Houmsi/ Jan Kawelke: Machiavelli – Der Podcast über Rap und Politik. Maximiliane Haecke/ Alice Hasters: Feuer und Brot. Alice Hasters 2019: Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen aber wissen sollten. Berlin: hanserblau Tupoka Ogette 2017: Exit racism. Münster: UNRAST Verlag Nicole Schöndorfer: Darf sie das? der Podcast. Minh Thu Tran / Vanessa Vu: Rice and Shine. Ein vietdeutscher Podcast. über Instagram zu finden Maja Bogojević Reni Eddo-Lodge Beatrice Frasl Alice Hasters Salwa Houmsi Zuher Jazmati Yasmine M’Barek Tupoka Ogette Fabienne Sand Margarete Stokowski Tarik Tesfu Aminata Touré Hengameh Yaghoobifarah
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