Scalalogie, Ein Projekt zu Stuttgarts Stäffele

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SCA LA LO GIE



Scalalogie



Scalalogie

Ein Projekt zu Stuttgarts Stäffele



Die Scalalogie ist ein wissenschaftlicher Forschungszweig und beschäftigt sich mit den Eigenarten von Treppen und deren Wirkungen auf


den Menschen. Der Begriff kommt vom lateinischen Begriff scala, das im Singular Stufe und im Plural Leiter oder Treppe bedeutet.ÂŤ


»Stuttgart, das ist eine Provinzstadt, die ab und zu mal mehr ist. Das hängt wohl immer von den Leuten ab, die gerade da sind. Allerdings besteht die Neigung, daß Leute, die da sind, niedergebügelt werden. Was gibt´s noch? Stäffele.« Peter Härtling

















Scalalogie Kap. 01

Kap. 02

Kap. 03

Inhaltsverzeichnis Stäffele – Ein Wahrzeichen Stuttgarts Ein Überblick Die Eugenstaffel Die Sünderstaffel

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Ein Interview mit Thomas Bscheidl Ein Gespräch mit Sophie Hime Decker Ein Interview mit Bernd Dennig Ein Interview mit Johannes Heynold Realexperiment Stäffelegallery Johannes Heynold Fotostrecke mit Sophie Hime Decker und Isabel Widmayr Harald Schukraft 1 Fragen an Eberhard Rapp Harald Schukraft 2

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Mein Opa Garfunkel von Chiara Joos famous stairs Treppenbauregeln Nach wem die Stäffele benannt sind Wie die Stäffele Stuttgarts Jugend prägen von Luis Schütz Bildverweise Literaturverzeichnis

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Stäffele

Ein Wahrzeichen Stuttgarts

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Kap. 01

Stäffele

Ein Wahrzeichen Stuttgarts

Stuttgart und seine Stäffele. Das gehört zusammen. Sie sind ein Wahrzeichen Stuttgarts. Es gibt 400–600 Staffeln, Freitreppen und Steilwege. Niemand weiß genau, wie viele es sind. Zwei Drittel be­ finden sich in der Innenstadt. Aufgrund der Kessellage sind die Stäf­ fele entstanden. Zunächst waren es Weinbergtreppen, da die Hän­ ge bewirtschaftet wurden. Später wurden daraus Stäffele. Eine ein­ fache Überwindung der Höhe und eine Direktverbindung von oben nach unten oder von unten nach oben. Überall an den Hängen findet man die Stäffele. Im Norden, im Süden, im Osten und im Westen. Aber auch in Gablenberg, Feuerbach, Degerloch und am Kil­lesberg. Sie sind überall. Es ist manchmal anstrengend die Staffeln hochzu­ laufen, aber es lohnt sich, denn meistens hat man un­glaub­liche Aus­ sichten über den Kessel. Die Stuttgarter werden auch »Stäffeles­ rutscher« genannt. Wenn die Treppen früher im Winter glatt wurden konnte man eben gut darauf rutschen. Jeder Stuttgarter ist schon einmal Stäffele gelaufen und sie sind wunderschön. Oft sind sie be­ wachsen und führen an Orte, welche man sonst nie gefunden hätte. Egal ob im Frühling, Sommer, Herbst oder Winter: man kann die Stäf­ fele immer nutzen. Im Frühling ist es grün und im Herbst fallen die Blätter von den Bäumen. Viele Stäffele besitzen keinen Namen und sind auf Karten nicht als Treppen sondern oft als Wege eingezeich­ net. Bekannte Staffeln sind beispielsweise die Eugenstaffel zum Eu­ gensplatz, die Sünderstaffel im Osten, die Dobelstaffel am Olgaeck, die Birken­wald­staffel im Westen, die Wächterstaffel im Heu­steig­ viertel oder die Tau­ben­staffel in Heslach. Sie sind alle da, um einen Nutzen zu erfüllen: um schnell von einem Ort zum nächsten zu kom­ men. Die Stäffele haben jedoch viel Potential und sind vielseitig be­ nutzbar.

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Ein Ãœberblick

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Kap. 01

Ein Überblick

Name

Bezirk

Unteres Ende

Oberes Ende

Adlerstaffel Albert-Ebert-Staffel Alice-Haarburger-Staffel Altenbergstaffel Altenburger Staffel Am Bopserweg Am Mühlkanal Aspenwaldstaffel Augustenstaffel Bärenstäffele Birkendörfle Bismarckstaffel Bopserklinge Bopserstaffel Bruddlerstaffel Bruckmannweg Buchauer Staffel Buchenhofstaffel Buchwaldstaffel Burghaldenstaffel Claudiusstraße Claire-Waldoff-Weg Cottastaffel Dillmannstaffel/Falkertstaffel Dobelstaffel Dürrbeinstaffel Eltingerstaffel Ehrenhaldenstaffel Else-Himmelheber-Staffel Elsterstaffel Emil-Molt-Staffel Emma-Aberle-Weg Erbenolweg Ernst-Schädle-Staffel Eugenstraße Faißtweg Feuerbacher Weg Frauenbergweg Finkenstaffel Fleckenwaldweg Franz-Dingelstedt-Weg Friedhofstaffel Friedrich-E.-Vogt-Stäffele Friedrich-Keller-Staffel Friedrich-Wolf-Staffel Fritz-Münch-Staffel Fritz-Wisten-Staffel Georg-Elser-Staffel Gerokstaffel Ginsterstaffel Grafeneckstraße Haigststaffel Haldenwaldstaffel Happoldstaffel Hasenstraße Hebbelstaffel Helene-Schoettle-Staffel Herderstaffel

Süd Münster Degerloch (Hoffeld) Süd Bad Cannstatt Süd Ost Botnang Süd Feuerbach Nord West Süd Süd Mitte Nord Wangen West Ost (Gablenberg) Feuerbach West Botnang Süd West Mitte Bad Cannstatt Botnang Nord Süd Süd Mitte (Kernerviertel) Botnang Nord (Weißenhofsiedlung) Vaihingen Mitte Botnang Nord Nord Süd Botnang Ost Untertürkheim Süd Nord Feuerbach Süd West Ost Mitte Ost (Gablenberg) Ost Degerloch Möhringen Feuerbach Süd West Süd West

Adlerstraße Freibergstraße Nauenerstraße Altenbergstraße Altenburger Steige

Schickhardtstraße Lechweg Hoffeldstraße Neue Weinsteige Altenburger Steige

Aspenwaldstraße Kaltenlochweg Dieterlesstraße

Vaihinger Landstraße Augustenweg Forsthausstraße

Obere Bismarckstraße

Reinsburgstraße

Kernerstraße

Haußmannstraße

Kirchweinberg Rotenwaldstraße Bergstraße Fahrionstraße Claudiusstraße

Buchauer Straße Hasenbergsteige Im Buchwald Burghaldenweg Klopstockstraße

Alexanderstraße, Cottastraße Falkertstraße Sonnenbergstraße Schönberstraße Eltinger Straße Schottstraße Arminstraße Böblingerstraße Werastraße Emma-Aberle-Weg

Neue Weinsteige Hölderlinstraße Stafflenbergstraße Hallimaschweg Donizettistraße Robert-Bosch-Straße Mörikestraße Elsterweg Hausmannstraße Vaihinger Landstraße

Anweiler Weg Urbanstraße

Höhenrand Eugensplatz

Parlerstraße Tazzelwurm Böheimstraße

Feuerbacher Heide Robert-Bosch-Straße Finkenstraße

Im Häldle Tannenstraße Auf der Kanzel Thomas-Mann-Straße Pfaffenweg Rotebühlstraße Diemershaldenstraße Diemershaldenstraße Anna-Blos-Weg Haußmannstraße Alte Weinsteige Triberger Straße Klagenfurther Straße

Gehrenwaldstraße Hohenzollernstraße Friedrich-Ebert-Straße Tucholskystraße Alte Weinsteige Reinsburgstraße Gerokstraße Gerokstraße Im Buchwald Grafeneckstraße/Bauschweg Auf dem Haigst Haldenwald Happoldstraße

Hebbelstraße Schickhardtstraße Vogelsangstraße

Grimmstraße Gebelsbergstraße Herderstraße 031


Kap. 01

Herweghstaffel Hessenlaustaffel Himmelsleiter Himmelstaffel Hirschbrunnenstaffel Hoelzelweg Honoldweg Hornbergstraße Im Fuchsrain Im Kaisemer Im Schellenkönig Josefstaffel Karl-Adler-Staffel Karl-Donndorf-Weg Kelterstaffel Kolbstaffel Kotzenloch Kriegerstaffel Kronenstaffel Leipziger Platz Lerchenstieg Lessingstaffel Lilienthalstraße Liststaffel Lorenzstaffel Mannheimer Staffel Maria-Lemmé-Staffel Max-Ackermann-Staffel Mönchsbergstaffel Mohlstaffel Mühlrainstaffel Nöllenstraße Novalisstaffel Oberer Reichelenbergweg Österfeld Viadukt Offenburger Staffel Oscar-Heiler-Staffel Osianderstaffel Pankokweg Paul-Löbe-Staffel Pfarrwegle Reichelenbergweg Robert-Heck-Weg Römerstaffel Römerstraße Rötestaffel Rotebühlstaffel Sängerstaffel Salzmannweg Schellbergstraße Schickstaffel Schimmelhüttenweg Schloßstaffel Schoderstraße Schulstaffel in Rohracker Sonnenbergstaffel Sophienstaffel Staffel am Schwabtunnel

Ein Überblick

West Vaihingen Zuffenhausen Vaihingen Wangen Nord West Ost Ost Nord Mitte Degerloch West Ost Süd Süd Feuerbach Nord Mitte West Sillenbuch Nord West Süd Mitte Bad Cannstatt Degerloch (Hoffeld) Ost (Frauenkopf) Zuffenhausen Mitte Süd Botnang West Mitte Vaihingen Bad Cannstatt Süd West Mitte (Weißenhofsiedlung) Mitte Süd Mitte Mitte Bad Cannstatt Süd West West Mitte Nord Ost Mitte Süd Mühlhausen Nord Hedelfingen Mitte Mitte Süd

Seyfferstraße Knappenweg

Herweghstraße Hesenlauweg

Knappenweg Buchauer Straße

Weinbergweg Unteres Letterle

Vorsteigstraße

Zeppelinstraße

Im Kaisemer Im Schellenkönig

Birkenwaldstraße Stafflenbergstraße

Gaußstraße Ameisenbergstraße Böheimstraße Kolbstraße

Gustav-Siegle-Straße Uhlandshöhe Kelterstraße Hohenstaufenstraße

Jägerstraße Kronenstraße Leipziger Platz Am Eichenhain

Kriegerstraße Panoramastraße Rotebühlstraße Hermann-Löns-Weg

Hauptmannsreute Marienplatz / Filderstraße Olgastraße Löwentorstraße Nauenerstraße Filderblickweg Hohenloherstraße

Doggenburgstraße Liststraße Nagelstraße Mannheimerstraße Am Wolfsberg Frauenkopfstraße Bartensteinerstraße

Nöllenstraße Klopstockstraße

Claire-Waldoff-Weg Zeppelinstraße

Österfeld Viadukt Haldenstraße Mörikestraße Rotebühlstraße

Gewann Österfeld Züricherstraße Karlshöhe Hasenbergsteige

Schützenstraße Hasenstraße

Werastraße Gäubahnlinie

Haldenstraße Römerstraße Rötestraße Rotebühlstraße Willy-Brandt-Straße

Hartensteinstraße Hohenstaufenstraße Hasenbergsteige Reinsburgstraße Urbanstraße

Olgastraße Böheimstraße

Dannecker Platz Schimmelhüttenweg

Mönchhaldenstraße

Birkenwaldstraße

Bethesda-Krankenhaus

Sonnenbergstraße

Schickardtstraße

Wannenstraße 032


Kap. 01

Staffel am Anweiler Weg Staffelaufgang zur Karlshöhe Staffel am Botnanger Sattel Staffel am Reginusweg Staffel am Zuckerberg Staffel an der Botnanger Steige Staffel an der Hegelstraße Staffel bei Rotenberg Staffel zum Augustenweg Staffel zum Blauen Weg Staffel zum Hummelwiesenweg Staffel zum Kirchweinberg Staffel zum Kriegsbergturm Staffel zum Schnellweg Staffel zum Liasweg Staffel zur Belchenstraße Staffel zur Birkenwaldstraße Staffel zur Böblinger Straße Staffel zur Claudiusstraße Staffel zur Fichtestraße Staffel zur Haldenstraße Staffel zur Hauptmannsreute Staffel zur Haußmannstraße Staffel zur Helfferichstraße Staffel zur Hermann-Lenz-Höhe Staffel zur Kernenblickstraße Staffel zur Müllerstraße Staffel zur Neuen Weinsteige Staffel zur Nißlestraße Staffel zur Panoramastraße Staffel zur Reinsburgstraße Staffel zur Regerstraße Staffel zur Schillereiche Staffel zur Schiltacher Straße Staffel zur Speemannstraße Staffel zur Schützenstraße Staffel zur Triberger Straße Staffel zur Vogelsangstraße Staffel zur Walterstraße Staffel zur Zeppelinstraße Staffel zur Zumsteegstraße Straußstaffel Südheimer Platz Sünderstaffel Taubenstaffel Teehaus/Weißenburgpark Tiergartenweg Viktor-Köchl-Weg Wächterstaffel Weinbergstaffel Wenzelstraße Widmannweg Wiederholdstaffel Willy-Reichert-Staffel Witthohstaffel Wullestaffel Zamenhofstaffel

Ein Überblick

Vaihingen Süd West Botnang Cannstatt Nord Mitte Untertürkheim Süd Süd Möhringen Wangen Nord Süd Vaihingen Süd Nord Süd West West Bad Cannstatt West Mitte Nord Nord Sillenbuch Süd Süd Ost Nord West Botnang Süd Süd Ost Mitte (Kernerviertel) Süd West Feuerbach West Botnang Ost Süd Mitte Süd Süd Nord Süd Mitte Vaihingen Mühlhausen West Nord Süd Süd Mitte West

Anweiler Weg Hasenbergsteige Botnanger Straße

Kaltentaler Abfahrt Karlshöhe Am Kräherwald

Neue Weinsteige Rebenreute Waldweg ohne Namen Höhbergstraße Pfeifferstraße Böheimstraße Österfeld Viadukt

Augustenweg Blauer Weg Hummelwiesen Kirchweinberg

Honoldweg

Fichtestraße

Dürrstraße

Hauptmannsreute

Gaucherstraße

Helfferichstraße Birkenwaldstraße

Rotenwaldstraße

Reinsburgstraße

Hummelwiesen

Schiltacherstraße

Werastraße Schiltacherstraße Rückertstraße

Schützenstraße Tribergerstraße Vogelsangstraße

Bussenstraße Böblingerstraße Pfizerstraße Böblingerstraße Biergarten Teehaus

Hugo-Eckener-Straße Leonbergerstraße Stafflenbergstraße Hohentwielstraße Aussichtspunkt

Olgastraße Weinbergweg

Danneckerstraße Knappenweg

Rotebühlstraße Wiederholdstraße Hohensta­ufenstraße Wannenstraße Mittlerer Schlossgarten Herderstraße

Reinsburgstraße Relenbergstraße Karlshöhe Rebenreute Kernerplatz Zamenhofstraße

Schnellweg Liasweg

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Die

Eugenstaffel

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Kap. 01

Die Eugenstaffel Die Eugenstaffel liegt im Osten Stuttgarts. Sie hat 175 Stufen und ist 121 Meter lang. Innerhalb des Viertels zwischen Konrad-Adenauer-, Alexander-, Charlotten- und Wagenburgstraße entstanden während der Stadterweiterung nach 1800 repräsentative Bauten wie das Wil­ helm­spalais oder die alte Staatsgalerie1 entstanden. Es gab bereits zum Hang verlaufende Straßen, welche mit Diagonalstraßen verbun­ den wurden. An den Schnittstellen wurden Plätze angelegt. Zu die­ sen Plätzen wurden Stäffele gebaut, unteranderem die Eugenstaffel, welche 1857 benannt wurde. Dadurch entstanden viele Aussichts­ plattformen und Plätze, wie der Eugensplatz. Die Staffel wurde nach Herzog Eugen II.2 von Württemberg benannt. Er wurde im Jahr 1788 in Oels geboren, war General im russischen Dienst, kämpfte gegen Napoleon und starb 1857 in Schlesien. Wie viele Staffeln heißt die Eugenstaffel Eugenstraße. Der Eugensplatz ist nach dem Enkel von Herzog Eugen II., nämlich Herzog Wilhelm Eugen IV.3, benannt. Der Brunnen am Eugensplatz heißt Galateabrunnen. Galatea kommt auf der griechischen Mythologie und bedeutet »weiß wie Schnee«. Sie ist die Tochter der Meeresgötter Nereus und Doris. Begehrt wurde sie vom Zyklop Polyphem, welchem sie den Hirten Akis vorzog. Poly­ phem wurde wütend und zerschlug daraufhin Akis mit Hilfe eines Felsbrocken. Galatea ließ unter dem Felsen eine Quelle entspringen und machte Akis so zum Gott des Stromes. Der Brunnen wurde im Jahr 1890 von den beiden Bildhauern und Architekten Otto Rieth und Paul Stolz, einem Erzgießer, geschaffen. Sie hatten bei einem Wett­ bewerb für die Brunnengestaltung zwar nur den dritten Platz erhal­ ten, doch Königin Olga entschied sich trotzdem für ihren Entwurf. Sie bezahlte ihn aus ihrem Privatvermögen. Nachdem der Brunnen ein­ geweiht wurde, wurde viel über die Galatea-Figur geredet, da sie nur spärlich bekleidet ist. Königin Olga4 drohte daraufhin damit, die Figur umzudrehen, um sie mit nacktem Hinterteil der Stadt zu präsentie­ ren. Die Eugenstaffel führt von der Urbanstraße bis zum Eugensplatz. Seitlich reihen sich Bäume und Vorgärten. Dort haben Künstler wie Max Ackermann5, Eduard Mörike6 und Rudolf von Lablan7 gewohnt. Sie wird deshalb auch Künstlerstaffel genannt. Der Abschnitt zwi­ schen Moser- und Urbanstraße wurde im Krieg beschädigt und lei­ der nur einseitig wieder aufgebaut. 1  Die Staatsgalerie Stuttgart ist ein Kunstmuseum des Lan­ des Baden-Württemberg. Es wurde 1843 eröffnet und zeigt Malerei ab dem Hochmittel­ alter sowie Skulpturen ab dem 19. Jahrhundert und verfügt über eine umfangreiche graphische Sammlung. 2  Eugen Friedrich Karl Paul Ludwig von Württemberg war ein Prinz von Württemberg und kaiserlich-russischer General der Infanterie. 3  Wilhelm Eugen August Georg von Württemberg war ein württembergischer Stabs­ offizier.

4  Olga Nikolajewna Roman­ owa war als Tochter von Zar Nikolaus I. eine russische Großfürstin. Als Ehefrau des württembergischen Thron­ folgers und schließlich Königs Karl I. war sie von 1846 bis 1864 Kronprinzessin und ab 1864 Königin von Württem­ berg. 5  Max Ackermann war ein deutscher Maler und Grafiker. Er war ein Schüler von Adolf Hölzel und gilt als Wegbereiter der abstrakten Malerei. 6  Eduard Friedrich Mörike war ein deutscher Lyriker der Schwäbischen Schule, Er­

zähler und Übersetzer. Er war auch evangelischer Pfarrer, haderte aber bis zu seiner frühen Pensionierung stets mit diesem „Brotberuf“. 7  Rudolf von Laban war ein ungarischer Tänzer, Choreo­ graf und Tanztheoretiker. Er begründete die nach ihm benannte Labanotation.

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Die Sünderstaffel von Irmela Brender

Der Name lässt Böses ahnen, doch die Staffel von der Pfizerstraße zum Bubenbad ist eine der schönsten: breit zwischen rundgestutzten Ahornbäumen, mit augenfreundlichen Ausbli­ cken nach allen Seiten, führt sie vom betriebsamem Stadtquartier zu eleganten Villen auf der Höhe. Und noch bevor sie beginnt, lässt sich einiges erzählen. Zum Beispiel vom Verlag in der Pfizerstraße 5 – 7, der heute Franckh-Kosmos heißt und zu den ältesten Buch- und Zeitschriftenverlagen in Stuttgart gehört. Als Franckh'sche Verlagshandlung W Keller & Co. zog die Firma 1908 hier in einen Neubau, der im Krieg zer­ stört und später wieder aufgebaut wurde. Das war dann schon die neunte Adresse des Un­ ternehmens mit dem fünften und sechsten Besitzer, Walther Keller und Euchar Neh­mann. Angefangen hat die Verlagsgeschichte 1822 in der Königstraße 57, einem längst abgerisse­ nen Haus, mit Jo­hann Friedrich Franckh und seinem »Allgemeinen Volks­boten«. Sechs Mo­ nate lang berichtete die Zeitschrift über Politik, Kultur und Wissenschaft, dann ging sie ein und hatte sechs mehr oder weniger kurzlebige Nachfolger. Inzwischen war Johann Fried­ richs Bruder Friedrich Gottlob Franckh in das Unternehmen eingestiegen, die beiden ver­ dienten mit französischen Romanen, dann mit einer Art internationaler Bestsellerreihe Geld, Walter Scott1 war ihr Starautor. Sie engagierten sich aber auch für die heimische Literatur, veröffentlichten Wilhelm Waib­lingers Roman »Phaeton«, verlegten mit mehr Erfolg die Ro­ mane und Märchenalmanache von Wilhelm Hauff2 und beschäftigten kurze Zeit in ihrer »Da­ menzeitung« Edu­ard Mörike, der allerdings den »ganzen Franckh'schen Handel« bald satt hatte und fand, so »tagelöhnermäßig« könne er seine Poesie nicht unter die Leute bringen. Über die beiden Verlegerbrüder gibt es viele Anekdoten, am besten ist aber doch die Ge­ schichte von Gottlob Franckhs Ausflug in die Politik: Mit dem Oberleutnant von Koseritz, an­ geblich einem illegitimen Sohn König Wilhelms I, plante er einen Militärputsch. Zur Vorberei­tung studierte er in Paris, wie man Revolution macht – aber vielleicht lernte er es nicht gründlich genug, viel­leicht war der Unterricht zu theoretisch, jedenfalls schlug die Sache in 1  Sir Walter Scott, 1. Baronet FRSE war ein schottischer Dichter, Schriftsteller, Verleger und Literaturkritiker. Er war einer der – nicht nur in Europa – meistgelesenen Autoren seiner Zeit und gilt traditionell als Begründer des Geschichts­ romans

2  Wilhelm Hauff war ein deutscher Schriftsteller der Romantik. Er gehörte zum Kreise der Schwäbischen Dichterschule.

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Kap. 01

Die Sünderstaffel

Irmela Brender

Stuttgart fehl. Koseritz wurde zum Tod ver­urteilt und durfte nach Amerika entkommen, Gott­ lob wurde inhaftiert und nach einer misslungenen Flucht auf der Festung Hohenasperg3 ein­ gesperrt. Dort gefiel es ihm so gut, dass er gar nicht mehr weg wollte, als der König ihn nach sechs Jahren begnadigte. Freunde mussten ihn regelrecht entführen; Sie luden ihn in ein Asperger Wirts­haus ein und zechten mit ihm bis in die Nacht, dann stand er vor geschlosse­ nen Gefängnistoren und hatte keine an­dere Wahl als die Freiheit. Und das vermittelt natürlich auch die Sünderstaf­fel, die nun endlich erstiegen sein will. Jede längere Staf­fel, sagen sich die Emporkömmlinge, ist auch eine De­mutsschule, ge­ nau wie Fotoautomaten, Klassentreffen oder Mehlmottenbefall, und Demut muss der Sün­ der lernen, wir sind allzumal Sünder. Aber nicht deshalb heißt die Staffel so – sie liegt im eins­ tigen Gewann »Im Sünder«, das schon 1466 in einer Urkunde erwähnt wur­de. Und der Name Sünder, der einem Weinbauern gehört haben mag, ist seit 1350 nachweisbar. Diese Erklä­ rung leuchtet ein, ist aber ein wenig prosaisch. Deshalb wird im Zusammenhang mit der Sünderstaff el gern eine Sage erzählt, nach der 1339 der 22-jährige Hans Bernhard Rugger eines Mädchens wegen im Wirtshaus zur »Ilge« (Lilie) Rudolf Werner von Weißenburg ersto­ chen hatte und deshalb zum Tode verurteilt worden war. Als Richt­platz hatte sich Rugger an­ geblich den Weinberg seiner Familie hier oben erbeten, und an einer Mauer soll er enthaup­ tet worden sein. Auf geheimnisvolle Zusammen­hänge deuten zwei Steine hin, die allerdings zweihundert Jahre jünger sind als die Wirtshausstecherei, und die Wörter Sünder und sündi­ gen eingemeißelt haben. Einer steht, von Brennnesseln überwachsen, am Ende der Staf­fel und trägt in lateinischer Sprache die Bibelverse »Was die Gottlosen gerne wollten, das ist verloren« und »Sün­dige hinfort nicht mehr«, darunter »Joans Broll 1564«. Johann Broll soll ein Bürgermeister gewesen sein, der hier Weinberge hatte. Auf dem anderen Stein in einem Garten steht: »Gott sey mir Sünder Gnedig – Anno Do­mini 1552 Johann Ruger«. Wegen die­ ser Mahn- oder Ge­denkmale glauben manche, in der Nähe sei einmal ein Richtplatz gewe­ sen, doch dafür findet sich in alten Ur­kunden kein Beweis. An einem Sonnentag oben auf der Sünderstaffel mag man schon gar nicht an Mes­ ser, Mord und Henker denken und, falls an Sünden, nur an die lustvollen unter den lässlichen. So spielzeugfein liegt die Stadt unten und zur linken Hand, so nobel thronen die Villen an Stafflen­bergstraße und Diemershalde (auch wenn manche statt Familien jetzt Institute, Äm­ ter und Büros behausen), dass jeder Blick die Seele weitet und sie mit Heiterkeit erfüllt. Stutt­ gart bezaubert – jedenfalls hier und jetzt. 3  Die Festung Hohenasperg war von 1535 bis 1693 eine aktive Festung des Landes Württemberg auf dem Asperg, auch Hohenasperg genannt, bei der Stadt Asperg im heuti­ gen Landkreis Ludwigsburg in Baden-Württemberg.

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Ein Interview mit Thomas Bscheidl

Hallo Herr Bscheidl, möchten sie sich kurz vorstellen? Mein Name ist Thomas Bscheidl, ich arbeite hier bei der Firma Godel planen und bauen. Ich bin Prokurist aber vom Hause bin ich Schreiner, Innenarchitekt und Architekt. Somit habe ich alle Planungs- und Leistungsphasen miterlebt. Ich habe auch eine handwerkliche Ausbil­ dung genossen und immer versucht einen weiten Blick zu haben von Möbeln über die Archi­ tektur zum Städtebau. Das waren immer meine Ziele und Interessen die ich hatte. Ich denke das ist keine schlechte Überleitung zum Thema. Genau, es geht um das Thema Stäffele. Diese sind ein Wahrzeichen Stuttgarts. Denken sie, dass das eine gute Lösung war, so mit der Kessellage umzugehen? Natürlich war das die beste und die hervorragendste Lösung. Der Mensch hat in seiner Ge­ schichte der Besiedlung immer versucht Höhen angenehm und bequem zu überwinden. Da ist der Eseslpfad nicht der richtige Weg. Man hat sofort versucht Wege, Straßen, Treppen, Rampenwege usw. zu bauen. Man hat also architektonische Mittel generiert um diese Höhen sympathisch und angenehm überwinden zu können. Insofern ist die Frage eindeutig zu beja­ hen. Das ist ein Kernproblem der Architektur: die Überwindung der Höhe. In einem Treppen­ haus, einem Raum, einer Kirche – überall das gleiche Thema. Dadurch ist das nicht nur ein Problem, welches Stuttgart betrifft, sondern alle Bereiche der gebauten Umgebung. Gibt es da auch vergleichbare Städte? Ich denke z.B. an San Francisco, eine Stadt in der es unglaublich steile Straßen gibt. Wie wurde dort damit umgegangen bzw. wie wirkt sich so eine Besonderheit auf die Stadtplanung aus? Da könnte man stundenlang drüber sprechen, auch aus dem Stehgreif. Dadurch, dass es ein globales Problem ist, fallen einem da unglaublich viele Beispiele ein. Man kann beginnen mit der alpinen oder mediterranen Architektur, also wenn man sich die Bergdörfer anguckt. Da schaut man ja von weitem hin. Ob das jetzt im Tessin oder Graubünden ist, man guckt es sich an und staunt – wie kamen die Menschen da hoch? Wie haben die die Steine hochgebracht und wie haben die die Treppen da so geschickt arrangiert, dass es bewohnbar wird? Das gleiche gibt es in der mediterranen Architektur, wenn man sich die Kykladen anguckt. Santorini ist z.B. auf einem erloschenen Vulkan gebaut. Das besteht nur aus Ram­ pen, Treppen und terrassierten Häusern. Aber aus Ligurien, die italienische Küste bis zum Mittelmeer, das reicht eigentlich runter bis Monte Carlo. Dort überall findet man diese her­ vorragenden Beispiele, wie z.B. die Dörfer im Cinque Terre. Wenn man noch ein paar promi­ nentere Beispiele anführen möchte: Paris ist auf zwei Hügeln gebaut – Montmartre und Mont­ parnasse. Da muss ich auch sagen, dass mich in Stuttgart viele Stäffele an Paris erinnern, z.B. auf der Karlshöhe, das ist sehr ähnlich. Genau. Da gibt es auch ein ganz prominentes Beispiel, nämlich die Freitreppe vor der Kathe­ drale Sacré-Cœur.1 Das ist auch nicht nur eine Treppe, sondern auch ein Treffpunkt für die 1  Die Basilica minor SacréCœur de Montmartre ist eine im neobyzantinischen Stil gebaute römisch-katholische Wallfahrtskirche auf dem Montmartre im 18. Pariser Arrondissement, die dem Heiligsten Herzen Jesu geweiht ist.

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Kap. 02

Realexperiment

Thomas Bscheidl

Jugend der Welt. Und da fällt mir noch ein bekanntes Beispiel ein: Rom ist auf sieben Hügeln gebaut. Auf einem Hügel steht die bekannte Kirche Santa Trinità dei Monti2, da die bekannte spanische Treppe vorgelagert ist, wo sich natürlich auch die Jugend der Welt trifft. Dort prä­ sentiert man sich bei einem Espresso oder Cappuccino. Da fällt mir die Treppe in Stuttgart am Kunstmuseum3 ein. Dort ist immer was los, da gibt es sogar große Blöcke, wo man sich hinsetzen kann. Ja, das ist auch eine Bühne so eine Freitreppe. Da gibt es so einige Beispiele. Die Auflistung könnte man jetzt bis ins unendliche fortführen. Das sind auch tolle und sehr gelungene Bei­ spiele die weltweit einzigartig sind. Mir ist noch die Frage aufgekommen, ob die Treppen alle in einem ähnlichen Zeitraum gebaut wurden, oder ob man grob sagen kann, wann das angefangen hat? Also wann die erste gebaut wurde, das weiß ich jetzt natürlich nicht. Aber es ist eigentlich einfach zu erklären. Stuttgart wurde ja am Kesselboden, am Nesenbach gegründet und hat sich da auch ausgebreitet. Irgendwann im laufe der Zeit wurden dann die Hänge landwirt­ schaftlich bewirtschaftet, man musste die Stadt ja auch versorgen und den Ortschaften oder Gemeinden die Stadt durch Wege erschließen. Diese landwirtschaftlichen Flächen wurden als Weinberge genutzt, wo man die sogenannten Winzertreppen findet, diese ganz schma­ len 50cm breiten Treppen, findet. Diese sollten das Leben der Weinbauern erleichtern. Das war die Urzelle der Stuttgarter Stäffele. Und was ist dann passiert im 19. Jahrhundert? Da gab es dann den ersten Schub am Ende des 19. Jahrhunderts, als die Industrialisierung einsetzte. Die Menschen kamen in die Ballungsräume, weil sie dort Beschäftigung und Arbeit fanden. So gab es eine gewaltige Stadterweiterung in Europa. Überall. In Berlin, in Hamburg, in Paris, in Brüssel, in London. Überall. Da sind die Städte unheimlich angewachsen, auch Stuttgart. Der Stuttgarter Westen ist eins der bekanntesten Beispiele dafür. Das ist eins der am dich­ testen bebauten gründerzeitlichen Quartiere. Da mussten sie die Hänge hoch und sich die Wege erschließen. Da gibt es verschiedene Arten einmal horizontal oder dann möglichst schnell vertikal. So sind aus diesen Weinbergtreppen richtige Treppen geworden. Die wur­ den dann umgestaltet, den Bedürfnissen Zeit und dem Geschmack der Zeit angepasst. Die Wege wurden dann zu Serpentinen und letztendlich zu Straßen ausgebaut. Das war der ers­ te Schub. So um 1910 wird das wieder aufgehört haben, als die Gründerzeit abgeschlossen wurde. Dann gab es eigentlich noch einen zweiten Schub, das leuchtet ein, wenn man sich die Hanglage in Stuttgart ein bisschen anguckt. Da gibt es ja diese Einzelhäuser, das sind Ein- bis Dreifamilienhäuser die von den 20er, 30er Jahren bis in die 70er, 80er Jahre gebaut wurden. Da kamen dann auch wieder viele Stäffele dazu, viele Treppen. So ist mittlerweile der ganze Kessel bebaut und das Stäffelebauen ein Stückweit abgeschlossen, weil die Nut­ zung jetzt da ist. Können sie noch etwas zur Stadtgestaltung sagen? Ja da kann man aus viele tolle Beispiele nennen. Stadtgestaltung ist ein zentrales Thema, jede Stadt hat ihre Eigenheiten. Es gibt vertikale Städte, München ist eher eine horizontale Stadt und Stuttgart ist eine vertikale Stadt, wo es Höhe zu überwinden gibt. Das hat man mit den Stäffele gemacht, das waren nicht nur reine Verkehrswege, sondern die wurden ja ge­ staltet. Die wurden gestaltet durch das Material oder die Größe. Aus was bestehen die Stäffele? Das ist ganz verschieden. Da gibt es viele Möglichkeiten. Oftmals wurde der typische Natur­ stein verwendet, den es hier gibt, das ist dieses braune. Ich glaube das ist ein Heilbronner Sandstein, den man öfters sieht. Außerdem wurde auch der Geschmack der Zeit ganz stark sichtbar gemacht, der Historismus. Wenn man sich die Eigenstaffel anguckt mit dem Gala­ teabrunnen, das ist ein historisierendes, gründerzeitliches Denkmal. Da hängt man dann na­ türlich noch Plätze dran und Aufgänge, den Auftakt zu einer Treppe, welche auch bepflanzt sein können, Brunnen. Das sind alles so Mittel, mit denen man aus dem Zweckbau Treppe eine angenehme Sache gemacht hat, die den Vorteil hatte, dass man auf direktem Wege und fußläufig ins Zentrum der Stadt gekommen ist. Da sind wir jetzt bei der Gestaltung, ich mache das gelegentlich mal im Sommer, da habe ich mir Treppenwege gesucht, wo man die 2  Die Kirche Santissima Trinità dei Monti, auch Santa Trinità dei Monti oder Santissima Trinità al Monte Pincio, befindet sich oberhalb der Spanischen Treppe in Rom. Vor der Kirche steht der Obelisco Sallustiano.

3  Das Kunstmuseum Stuttgart ist ein Museum für Bildende Kunst in Stuttgart. Es steht anstelle des 1963 abgebrochenen Kronprinzen­ palais und wurde im März 2005 als Nachfolgeinstitution der Galerie der Stadt Stuttgart eröffnet.

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Kap. 02

Realexperiment

Thomas Bscheidl

Stadt völlig anders erlebt. Das sind völlig andere Dimensionen, ein völlig anderer Charakter. Stuttgart hat ein ganz anderes Erscheinungsbild, als wenn man mit dem Auto über die Heil­ bronnerstraße reinfährt und auch insgesamt, wenn man sich mit dem Auto in der Stadt be­ wegt als zu Fuß. Das habe ich auch bemerkt, als ich in den Westen umgezogen bin. Da habe ich nochmal ein ganz anderes Bild von Stuttgart bekommen. Kennst du den Blaustrümpfelweg? Das ist nämlich auch so ein Beispiel. Der folgt den Staf­ feln und den alten Weinbergen nach Heslach. Da haben wir auch die nächste Besonderheit: die Zacke. Das ist ja auch ein vertikales Erschließungselement. Das könnte man noch ergän­ zen. Erst gab es Stäffele und dann hat man so eine Zacke4 gebaut und noch später ist dann der Aufzug dazugekommen. Mit einem Aufzug kommt man senkrecht hoch, das kann man zu Fuß nicht, selbst bei einer Leiter wird es schwierig, aber der Aufzug hat da sehr bequem möglich gemacht. Da gibt es auch viele Beispiele in Stuttgart, wo Aufzüge freistehen, z.B. an Häusern. Das ist ein vertikales Erschließungselement, wie eine Treppe. Also ein ganz wichti­ ges und entscheidendes Merkmal von Stuttgart. Deshalb werden die Schwaben auch Stäffe­ lesrutscher genannt. Man macht es sich eben bequem und jeder von uns ist schon mal eine Staffel gelaufen. Denken sie man kann die Stäffele auch als Ort für kulturelle Events nutzen? Da kann man auch noch ergänzen, dass die Stäffele perse autofrei sind. Auf so einem Stäffe­ le kann kein Auto fahren. Das heißt da können sich nur Fußgänger bewegen. Die Fußgänger bewegen sich direkt, das heißt es gibt eigentlich gar keinen besseren kommunikativen Aus­ tausch. Wenn man kommunizieren will, dann kann man das leichter als Fußgänger als im Auto. Dadurch erreicht man auch eine neue Dimension in der Stadt. Es gibt die Aussichtspunkte und Plattformen mit weitem Blick über die Stadt. Das sind ja alles Dinge, die man wunderbar nutzen kann für Events. Zum Teil gibt es das ja schon. Es gibt so etwas wie Ausflugslokale, wo man abends ein Bierchen trinken kann oder wenn es mal ein Konzert gibt, wo jemand spielt. Das ist natürlich dann ein Highlight für eine Stadt. Insofern kann man die Frage bejahen. Da würde sogar noch viel mehr Potential drinstecken. Die Menschen suchen ja solche Ecken. Etwas ruhiges und autofreies. Die Denkweise der Menschen ändert sich ja auch weg von dieser Automobilität, wieder mehr zu Fuß und mit dem Fahrrad. Ich finde da sind solche Ele­ mente in der Stadt goldwert und sollten noch verstärkt genutzt werden. Es ist ja auch etwas anderes, wenn man sich auf der Straße trifft, als auf einer Staffel. Das fällt mir sehr oft auf, wenn ich Stäffele laufe. Es entstehen viel eher Konversationen und die Leute treffen sich auf den Staffeln. Eine weitere Frage die mir aufgekommen ist: Wie ist der Bauprozess von einer Treppe? Es gibt verschiedene Systeme eine Treppe zu bauen. Man kann eine Treppe massiv bauen. Also aus einem massiven Stein. Früher hat die der Steinmetz geschlagen. Heutzutage gibts die natürlich auch schon fertig. Fertig aus Naturstein, fertig aus Kunststein, fertig in Stahlbe­ ton. Dann werden die auf Magerbetonfundamenten aufgesetzt, wodurch die fixiert. Es gibt aber auch freitragende Treppen, wie z.B. eine Wange. Es gibt auch Treppen die Bestehen nur noch aus einer Platte und einem Steller. Also eine Platte, die dann dagegen steht. Das sind so die zwei Prinzipien, die man beim Treppenbau verwendet. Ein ganz wesentliches Element, was man auch nicht vergessen darf: die Treppe und die Straße mit der Serpentine – das sind zwei gegenteilige Elemente. Das eine ist ein vertika­ les Element, wo ich schnell nach oben komme und das andere ist der ausgependelte, lang­ same Weg. Und das ist das ganz tolle: Das man manchmal zu Fuß genauso schnell ist wie mit dem Auto. Man macht ja eine Abkürzung steil nach oben. Und der Erlebnisraum ist auch ein ganz anderer. Man ist weg vom Lärm, man hat eine andere Luft, man hat eine andere Far­ be, das Grün ist plötzlich da, dann geht die Temperatur zurück, es wird angenehm kühl im Sommer. Das Treppenbild verändert sich auch – im Sommer ist es grün im Herbst hat man das Laub. Das ist im Straßenraum alles nicht so eindeutig, da dominiert immer das Auto. Das ist das Schöne an diesen Treppen. Manche Treppen sind ja auch viel anstrengender zum Hochlaufen als andere. 4  Die Zahnradbahn Stuttgart wurde am 23. August 1884 eröffnet und verbindet den Stadtteil Heslach im Stadt­ bezirk Süd, also das Stadt­ zentrum im Tal, mit dem 1908 eingemeindeten Stadtbezirk Degerloch. Sie ist meterspurig nach dem System Riggenbach

gebaut und wird von der Stuttgarter Straßenbahnen AG betrieben.

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Kap. 02

Realexperiment

Thomas Bscheidl

Liegt das an den Abständen der Stufen? Ja genau. Der Treppenbau ist auch ein Kapitel für sich. Es gibt ja eine Steigung und einen Auf­ tritt. Je höher ich die Steigung mache und je schmaler der Auftritt ist, umso steiler wird die Treppe und umso mühsamer wird es. Die Weinbergtreppen die waren ganz steil und schmal. Minimale Treppe mit minimalen Mitteln. Wenn man sich jetzt die Treppe am Schloss Solitude5 anguckt, die ist ganz flach. Die Könige wollten angenehm gehen. Das heißt eine ganz flache Steigung und ein großer Auftritt. Das ist dann ein ganz anderes Gehgefühl beim laufen. Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Steigung, Auftritt, Zwischenpodest, da kann man mal Luft holen, mal stehenbleiben und dann gehts wieder weiter. Beim Treppenbau gibts Regeln, eine soge­ nannte Bequemlichkeitsregel. So und soviel Höhe plus Auftritt ist eine bestimmte Zahl und wenn man die Zahl 63 multipliziert oder als Ergebnis hat, dann spricht man von einer beque­ men Treppe. Die Staffel vor meinem Haus z.B. hat seht unregelmäßige Stufen und manche sind auch schon sehr weit zurückgesunken. Liegt das daran, dass sie schlecht gebaut wurde oder an geographischen Veränderungen? Für Baumängel gibt es viele Gründe. Wenn eine Treppe schon 100 Jahre alt ist, es gibt ja wel­ che die sind schon 100 Jahre alt, dann ist es klar, dass die Verschleißerfahrungen haben, das Material geht kaputt. Sandstein ist auch anfällig gegenüber Umwelteinflüssen und Van­ dalismus in der Stadt trägt auch seinen Teil dazu bei. Das sind ganz unterschiedliche Einflüs­ se, aber manchmal sind es auch schlecht gebaute oder billige Treppen, wo man weiß, dass die gar keine Chance haben längerfristig zu überleben, weil die Robustheit gar nicht gege­ ben ist. Im Internet findet man leider gar nicht so viel zum Thema Stäffele. Ja es ist auch nicht so ein großes Thema. Klar gibt es viele prominente Beispiele, aber inner­ halb von Deutschland ist da Stuttgart schon etwas besonderes durch die Halbhöhenlage. Und wenn man mal in Stuttgart lebt, ich lebe übrigens auch in Stuttgart West, da nimmt man das auch ganz anders wahr. Man geht Sonntagnachmittags spazieren und sieht dann, dass es ganz andere Aspekte sind, in einer Stadt die man vorher so nicht gekannt hat. Ich gehe gerne die Eugensstaffel hoch, da kann man sich oben auch belohnen beim Pinguin. Das ist ein hervorragendes Eis. Dann hat man die Aussichtslage und dann sind wir wieder beim Ort der Begegnung. Es gibt letztlich kein besseres Beispiel. Ich sag’s aber mal so: Stuttgart könnte mehr aus den Stäffele machen. Wenn ich jetzt noch einen Schritt weiter denke: das Thema Kiosk in der Stadt. Der Kiosk ist ja auch so ein Kind des 19. Jahrhunderts, als man so Kleinigkeiten verkauft hat. Die sind ja irgendwann mal alle wegge­ fallen, aber der Kiosk erlebt gerade so eine Renaissance. Und wenn man das an schönen Punkten anbieten könnte wäre das sicher eine Bereicherung des städtischen Lebens. Da steckt Potential. Ja, der Johannes Heynold, mit dem ich auch ein Interview geführt habe, hat mal eine öffentliche Podiumsdiskussion mit Politikern auf den Stäffele veranstaltet, was ich echt für eine tolle Idee halte. So eine Treppe ist eben auch eine Bühne. Und etwas ganz besonderes. Man fährt ja als Tou­ rist wegen einer Treppe nach Rom oder nach San Francisco, vielleicht nicht wegen einer Treppe aber wegen der steilen Lage. Oder wegen Montmartre6 nach Paris. Man fährt dorthin um sich das anzugucken. Und übrigens: wenn man da weiterläuft hinter der Kirche da wird es richtig interessant. Ich gehe immer nur die Seite von der Seine hoch, wo man dann die Sa­ cré-Cœur sieht. Aber wenn man dann mal dahinter läuft, also dieses anschließende Quartier, da gibt es unheimlich viele Treppen. Der Montmartre ist eine Erscheinung in Paris. Das ist wunderschön, wenn man da mal hinläuft und da stehen dann ganz prominente Häuser. Das ist auch von der Lage her ganz beliebt, weil es da ganz ruhig ist, wenig Autos. Und Aussichts­ lage. Wer hat in Paris schon eine Aussichtslage? Einmalig. Und da stehen total bekannte Häuser, z.B. von dem wiener Architekten Adolf Loos. Der hat dort zwei, drei ganz prominente Villen gebaut. Das eine heißt glaube ich Haus Tristan Tzara. Das war ein Komponist. Sowas entdeckt man da, wenn man rumläuft. Also wunderschön. Es gibt dort auch ganz moderne 5  Schloss Solitude wurde zwischen 1763 und 1769 von Johann Friedrich Weyhing und Philippe de La Guêpière als Jagd- und Repräsentations­ schloss unter Herzog Carl Eu­ gen von Württemberg erbaut. Im Jahre 1858 wurde »die Solitude« Teil der Gemeinde

Gerlingen. Erst am 1. April 1942 wurde die Solitude in die Stadt Stuttgart eingemeindet. 6  Montmartre ist der Name eines Hügels im Norden von Paris und eines dort ge­ legenen früheren Dorfes. Der 1860 durch Eingemeindung der Dörfer Montmartre, La

Chapelle und Clignancourt entstandene 18. Pariser Stadt­ bezirk trägt ebenfalls diesen Namen. Der Hügel Montmar­ tre ist die höchste natürliche Erhebung der Stadt.

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Kap. 02

Interview

Thomas Bscheidl

Häuser also eine ganz tolle Mischung von unterschiedlichen Baustilen. Ich habe letztes Jahr eine Hausarbeit über Form und Funktion geschrieben, wo auch Adolf Loos und »Ornament und Verbrechen« thematisiert wurde. Es hat es ja gar nicht so verstanden, sondern sich nur gegen den Historismus gewandt. Gegen dieses üppige Dekor und Neobarock. Neogotik. Neo, neo, neo und das neo vom neo. Eigent­ lich war das ja eine absurde Sprache. Und Leute wie Adolf Loos haben versucht da neue As­ pekte zu finden. Neue Ansätze. Er hat auch dieses berühmte Haus Steiner in Prag gebaut. Di­ rekt hinter der Burg. Er hat viele tolle Häuser gebaut, aber er hatte zum Teil auch ganz skurrile Formensprachen. Der hat beispielsweise. so Kuben gemacht und da dann eine Dorische Säule reingestellt. Ich kann mich daran erinnern, dass der Kaiser in Wien ein Haus von Adolf Loos ge sehen hat und dann meinte es sei das hässlichste Haus, das er je gesehen hat. Das Haus von dem du sprichst, das is das Haus am Michaelaplatz7. Das ist tatsächlich vis-avis mit der Hofburg in Wien8, also genau gegenüber. Und ich meine gibt es eine größere Pro­ vokation und noch dazu gegenüber dem Kaiser wenn du gegenüber von einem barocken, feudalen, absolutistischem Gebäude, dem Sitz der Hofburg, da so ein schlichtes, schnödes, reduziertes Haus setzt? Da gehört sehr viel Mut dazu und in der damaligen Zeit hat noch mehr Mut dazugehört. Deshalb war der Kaiser nicht besonders angetan davon. Zurück zu den Stäffele: Wenn so eine Treppe gebaut wird, planen das dann auch Architekten? Ja schon. In dem Berufszweig gibt es natürlich auch Spezifizierungen. Ein Architekt plant das in einem gewissen Umfang mit, wenn es aber um größere, gestalterische Anlagen geht, dann gibt’s spezielle Landschaftsarchitekten. Die Landschaftsarchitekten planen alles, was im Außenbereich relevant ist. Das ist heute ja schon ein Spezialthema. Kennst du diese Treppen von M. C. Escher9? Der hat so Treppen gemalt, die sich immer wieder wiederholen. Nein das muss ich mir aufschreiben. Abschließend kann man sagen, dass eine Treppe nicht nur eine Treppe ist. Als ich die Fotos von den Stäffele für mein Buch gemacht habe, da haben mich die meisten Leute angesprochen und so sind sehr schnell Konversationen entstanden. Z.b. auf den Stäffele am Schwabtunnel. Da sieht man auch wieder sehr gut, dass es nicht allein die Treppe ist, sondern ein städte­ bauliches Element. Da wird eine Straßenführung unter einem Berg, also ein Tunnel, mit einer Überquerung, der Treppe, über den Berg kombiniert. Das ist hochinteressant. Die Autos rau­ schen durch und links und rechts geht eine Treppe, was natürlich mühsam ist, aber man hat ein anderes Erlebnis. Was ja auch gut ist, dann macht man Sport. Andererseits ist es für Frauen mit Kinderwagen oder alte Leute ein Nachteil. Ja, das stimmt. Da haben die Leute früher nicht so dran gedacht. Das war denen nicht so wichtig. Heutzutage müssen die Architekten da komplexer planen. Man muss die Barriere­ freiheit mit planen. Man kann Rampen bauen oder Aufzüge. 7  Der Michaelerplatz in Wien ist ein um 1725 konzipierter, aber erst zu Ende des 19. Jahr­ hunderts realisierter barocker Sternplatz im Zentrum der Stadt. 8  Die Hofburg zu Wien war vom 13. Jahrhundert bis 1918 die Residenz der Habsburger

in Wien. Seit Ende 1946 ist sie der Amtssitz des Österreichi­ schen Bundespräsidenten. In ihr sind der größte Teil der Österreichischen National­ bibliothek sowie verschiedene Museen und das Bundes­ denkmalamt untergebracht. 9  Maurits Cornelis Escher

war ein niederländischer Künstler und Grafiker, der vor allem durch seine Darstellung unmöglicher Figuren bekannt wurde.

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Kap. 02

Interview

Thomas Bscheidl

Spanische Treppe in Rom

SacrĂŠ-CĹ“ur in Paris

Maurits Cornelis Escher

Lithografie von M.C. Escher

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Ein Gespräch

mit Sophie Hime

Hallo Sophie kannst du etwas über dich erzählen? Ich bin die Sophie Hime Decker, bin 21 Jahre alt und wohne zur Zeit in Stuttgart Bad Cannstatt. Ich bin auch hier aufgewachsen und war hier auf der Schule. Magst du Stuttgart? Ja klar mag ich Stuttgart das ist ja meine Heimatstadt. Was denkst du über die Stuttgarter Stäffele? Naja man kennt die halt, die sind ja auch so ein bisschen das Wahr­ zeichen von Stuttgart. Es gibt da auch so Stäffeletees und so was. Es ist ja irgendwie auch ab und zu ein Treffpunkt, wo man ganz gut chil­ len kann. Mir fallen da jetzt die meisten in Stuttgart West ein. Da gibt’s ja viele Aussichtsplattformen und Plätze, die mit den Stäffele verbunden sind. 050


Kap. 02

Gespräch

Sophie Hime

Gibt es Stäffele, die du jeden Tag hochläufst? Nein nicht direkt. Zu meine Wohnung hoch eben. Es gibt ja viele Alt­ bauten in Stuttgart ohne Aufzüge, da muss man dann eben Treppen laufen. Oder zur S- und U-Bahn. In der Uni muss ich auch viele Trep­ pen laufen, es gibt ja diese zwei Gebäude bei der Uni Stuttgart, K1 und K2. Wenn da mal die Aufzüge voll sind muss man acht Stockwerke zu Fuß hochlaufen. Ich finde man kann die Stäffele auch gut in den Alltag mit einbauen, beim Sport zum Beispiel. Wenn man eine Runde Joggen geht kann man danach noch die Treppen hoch und runter rennen. Hast du das schon gemacht? Klar habe ich das schon gemacht. Bei mir in der Nähe im Kurpark gibt es eine ganz steile Treppe, wo man sowas gut machen kann. Beschwerst du dich manchmal über die vielen Treppen oder ist dir das egal? Es ist ja normal, dass es in größeren Städten viele Treppenanlagen gibt, aber in Stuttgart sind es meistens sehr lange und steile. Ab und zu nervt das dann schon. Aber eigentlich ist es ja schon besser, dass es so viele Treppen gibt, sonst müsste man drumherum laufen. Ge­ rade mit der Kessellage ist das eine gute Lösung um schnell von ei­ nem Ort zum anderen zu kommen. Architektonisch ist das ja schon gut durchdacht. Denkst du es wäre gut, wenn es Veranstaltungen auf den Stäffele geben würde, da diese sich von ihrer Form ja gut eignen für kleine Konzerte o.ä. oder denkst du das würde nicht so gut funktionieren, wenn z.B. Leute vorbei wollen? Okay ja klar, es gibt immer Leute die von sowas genervt sind aber ei­ gentlich ist das eine coole Idee, weil die Stäffele hören zu Stuttgart und das wäre ja toll wenn man das kulturell nutzen kann. Da kann man sowas bestimmt gut machen. Andereseits ist es ja ursprünglich dazu da, um von a nach b zu kommen. Du drehst ja mit mir den Film für das Projekt, wie ist das für dich? Das Problem ist eben, dass die Stäffele, wie schon gesagt, dazu da sind um von a nach b zu kommen. Deswegen sind da oft viele Leute, die die Treppe nutzen. Da muss man oft warten, bis sie weg sind. Das kann man aber auch gut einbauen, weil die Treppe hat ja diesen nut­ zen. Mit deinen hohen Schuhen da hochzulaufen ist auch bisschen anstrengend. An sich ist das aber natürlich eine coole Idee, sich mal mehr damit zu beschäftigen um etwas kreatives daraus zu machen. Oft sieht man nur den Nutzen von der Treppe. Man merkt eben wie sich die Stäffele ins Stadtbild eingliedern und was sie für eine Wir­ kung haben. Manchmal denkt man auch, dass Stuttgart würde nie aufhören, weil irgendwo immer noch eine Treppe kommt. Wenn man sich in der Innenstadt aufhält, beim Hauptbahnhof z.B., würde man nie denken, dass es ein paar Kilometer weiter so schöne Treppen gibt. Ja, absolut. Die Lage wurde eben gut dafür genutzt, weil sich die Kessellage nicht so optimal anbietet für eine Großstadt. Durch die Treppen wurde die Möglichkeit geboten, dass trotzdem viele Men­ schen hier leben können und Zugang haben.

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Ein Interview mit Bernd Dennig

Lieber Herr Dennig vielen Dank, dass Sie sich Zeit nehmen. Können Sie sich kurz vorstellen? Ich heiße Bernd Dennig und wohne hier in einem Gewerbegebiet in einem Steinbruch, der seit zwei Jahren nicht mehr in Betrieb ist. Offiziell wird nicht mehr abge­ baut. Was ist jedoch sehr erfreut sagen kann ist, dass ich Bildhauerkurse abhalte. So sechs bis sieben Mal im Jahr in den Sommermonaten. Das wird recht rege angenommen. Ich habe seit meiner Kindheit sehr viel Kontakt mit dem Material Sandstein aus dem Pfinztal.1 Wir sind hier im Pfinztal. Es gibt ganz viele unterschiedliche Sandsteinsorten. Im Elsass, in der Pfalz, im Wesergebirge, auf der ganzen Welt eigentlich. Selbst in den USA habe ich Sandsteine gesehen, im Grand Canyon, welcher auch aus Sandstein aufgebaut ist. Die Indianer haben sich auch schon Häuser aus Sandstein gebaut. Auf jeden Fall bin ich sehr informiert was dieses Thema anbelangt. Natürlich wird hier auch anderes Material bearbeitet, wie z.B. Marmor, welcher jedoch ungefähr die gleiche Härte hat wie der Sandstein von hier. Der Sandstein ist auch sehr Widerstandsfähig, wodurch er nicht so schnell kaputt geht, wenn es ums Gefrieren geht. Der widerstandsfähigste Belag ist aber Granit, der hält sehr lange. Dank dir bin ich auf eine Stäffelestour gekommen, 1  Pfinztal ist die einwohnerstärkste Gemeinde in Baden-Württemberg ohne Stadtrecht und liegt im Landkreis Karlsruhe im Nordwesten des Landes. 2  Cinque Terre ist die Be­ zeichnung für 5 Nachbar­ gemeinden an der schroffen italienischen Riviera. Die jahr­

hundertealten Küstendörfer sind bekannt für ihre bunten Häuser und die terrassen­ förmig an den Steilhängen angelegten Weinberge. 3  Der Muschelkalk ist die mittlere der drei lithostrati­ graphischen Gruppen der Germanischen Trias.

das hat mich sehr gefreut. Ich werde die Stäffelestour Nord machen. Die Tour startet unten am Hauptbahnhof und endet bei der Weissenhofsiedlung, das wollte ich schon immer mal machen. Es gibt ja anscheinend 400-600 Staffeln, aber da gehen die Meinungen auseinander. Ja, man weiß es nicht genau, aber da werden auch Treppen mitgezählt, die nicht offiziell sind, z.B. Stäffele in Gärten. Das ist natürlich auch durch die Kessellage bedingt. Die Weinbauern haben die ersten Stäffele bauen müssen. Ich war z.B. schon in Cinque Terre2 in Norditalien, so viele Treppen habe ich noch nie in meinem Leben gesehen. Die sind aber auch sehr schwierig zu begehen. Das sind einfach Steine, die in die Landschaft hineingelegt worden sind. Ich kann dir auch noch ein bisschen was über das Material erzählen. Das Grundgebirge um Stuttgart herum ist eigentlich der Muschelkalk.3 Also Kalk der beispielsweise da draußen als Split rumliegt. Das ist mehr oder weniger das Deckgebirge von Stuttgart. Insofern hätte man darauf achten sollen, dass dieses Material bei den Treppenanlagen verwendet wird. Ich kann es aber gar nicht so genau sagen, aus welchem Material genau die Stäffele bestehen. Der Architekt, mit dem ich ein Interview geführt habe meinte, dass der Heilbronner Sandstein sehr oft verwendet wurde. Das ist der gelbe Sandstein, welcher jedoch relativ weich ist. Das heißt die Stufen werden leider ziemlich schnell ausgelaufen. 052


Kap. 02

Interview Das sieht man oft. Es gibt viele Stäffele, die mal erneuert werden sollten. Die Sanierungsarbeiten von solchen Treppenanlagen gehen natürlich ins höhere Preisniveau, weil es dann vor Ort von Hand gemacht werden muss. Man hat eine Flex zum aussägen und setzt dann wieder Platten ein, damit es einigermaßen begehbar ist. Der Nachteil von ausgelaufenen Stufen ist natürlich auch die Rutschgefahr. Bei nassem Wetter ist es auch so, dass man den Naturstein nicht so gerne betreten möchte. Es bildet sich ein Wasserfilm, auf welchem man leicht rutschen kann. Idealer­ weise haben Treppenstufen eine aufgeraute Oberfläche. Granit kann man beispielsweise auch abflammen. Beim Sandstein, vor allem beim Heilbronner, da kann man Rillen rein sägen, ganz feine Querrillen, oder stocken, das heißt aufrauen mit einem Stockhammer. Was ich z.B. in Italien gesehen habe ist spitzen. Da wird ein ähnlicher Sandstein abgebaut, wie der Heilbronner. Der hat jedoch einen Grauton. Dort wird die Oberfläche dann extra rau geprellt. Wenn ihr dort auf dem Gehweg lauft, dann merkt ihr, dass der gar nicht glatt ist. Da werden mit einem Meißel bewusst Löcher reingeschlagen. Wenn es regnet, läuft das Wasser dann in die Löcher hinein, so entsteht keine Rutschgefahr. Was auch noch wichtig ist, ist das Steigungsver­ hältnis von Treppen. Es gibt sehr bequeme Treppen und es gibt Treppen, die man nicht gerne begehen will. Bei den Stäffele gibt es da auch einige, wenn der Hang steil ist. Da gibt es dann sicher Stufen die 20cm hoch sind, und nicht besonders tief sind. Dieses Verhältnis ist der wichtig, da gibt es auch exakte Maße. Das wird Schritt­ maßregel genannt. Als sehr bequem gilt ein Schrittmaß von 65cm. Wenn der Mensch normal geht wird als Mittelwert 65cm pro Schritt gerechnet. Dieses Schrittmaß resultiert aus der zweimaligen Höhe plus der Tiefe der Stufe. Wenn du jetzt eine 18cm hohe Stufe hast: zwei mal 18 gibt 36 plus eine Tiefe von 30 dann hast du 66. Das wäre dann eigentlich schon wieder zu viel. Bei meinen Treppen, die ich im Privatbereich habe, habe ich meistens nur 16cm genommen. Und eine tiefe von 32. Das war für meine Schrittlänge ideal. Wenn man z.B. 23 hoch und 20 tief hat dann ist das sehr ungewöhnlich. Das könnte man ja auch mal untersuchen. Ich kann mir vorstellen, dass eine Befragung an Passanten interessant sein könnte. Man könnte fragen, welche Stäffele bequem zum gehen sind oder wieso andere hingegen nicht so häufig benutzt werden. Die Treppen wurden ja auch gebaut um Wege zu kürzen. Als Verbin­ dungsweg zwischen zwei Straßen, sodass man zu Fuß schneller ist. Bezogen auf die Trittsicherheit ist das Steigungsverhältnis schon wichtig. Gibt es da auch Stahl­ 4  Waschbeton ist ein Beton, bei dem die Gesteinskörnung durch eine spezielle Ober­ flächenbehandlung freigelegt wird. Waschbeton wird in Form von Betonplatten für Bodenplatten oder als deko­ ratives Element an Fassaden verwendet.

5  Trass ist der Name für ein natürliches Puzzolan, das unter anderem als Zusatz­ stoff bestimmten Zementen beigemischt wird. Er besteht hauptsächlich aus Siliciumund Aluminiumverbindungen.

Bernd Dennig treppen die als Stäffele fungieren? Nicht dass ich wüsste, die klassischen Stäffele sind die alten, die so im 19. Jahrhundert gebaut wurden. Ansonsten gibt es auch neuere, wie z.B. am Leipziger Platz, die ist, glaube ich, aus Beton. Ja es gibt natürlich auch Waschbetonstufen.4 Vermutlich aus dem Grund, weil sie eine eher ruppelige Oberfläche haben. Wenn die Kiesel jedoch nass sind, sind auch sie der Rutschgefahr ausgesetzt. Die Stufen werden unterschiedlich bearbeitet, damit sie trittsicherer werden. Es wird z.B. auch scharfkantiger Splitt verwendet. Es wird manchmal auch an der vorderen Kante eine Art Gummi­ band eingearbeitet, damit man nicht leicht abrutscht. Was fällt mir denn sonst noch ein? Was ich auch noch gelesen habe: die Stuttgar­ ter werden auch als »Stäffelesrutscher« bezeichnet. Das war mir neu. Jedenfalls gehe ich mit großer Freude an die Stäffelestour ran. Mit dem Herr Mirkes. Können sie noch etwas zum Bauprozess einer Treppe sagen? Das einfachste ist, wenn man das zunächst in Beton ausführt. Und dann werden die Stufen einfach draufge­ legt. Als Blockstufe. Meistens bestehen die Stäffele aus Blockstufen. Die neueren bestehen wahrscheinlich aus Block- und Legstufen, weil das Material teuer ist. Das heißt man hat vorne, vor dem Beton, eine Stellstufe, also ein aufgestelltes 3cm dickes Material und oben liegt dann die Legstufe drauf. Meistens haben die Legstufen noch einen kleinen Überstand, welcher über die Stellstufe rausgeht. So wird der Auftritt größer. Der Nachteil bei dieser Art von Treppen ist jedoch, dass sie irgendwann klappern. Durch Frost usw. lösen sie sich bei die Jahre hinweg. Vor allem, wenn es nicht richtig gemacht ist. Wenn es gut gemacht ist, dann werden die Legstufen noch mit Kleber eingeschmiert. Dadurch wird es besser verbunden. Man schmiert auf die Legstufe Kleber und auf den drunterliegenden Beton und dazwischen kommt noch eine Schicht Ausgleichsmörtel. Bei Sandstein ist es sehr wichtig, die Klebeschicht hinzuzufügen, denn durch das Abbinden des Zementmörtels kommt es sehr häufig zu Ausblühungen. Das heißt so, weil das Gesamtbild dieser Auswirkung manchmal aussieht wie eine Blume. Als ob da irgendet­ was blühen würde. Das ist nicht weiter schlimm, denn wenn man es abbürstet ist es wieder weg. Diese Ausblühungen sind Calziumcarbonate, die im Zement drin sind. Das ist im Prinzip Kalkstein. Vor allem Landschaftsgärtner, die Treppenanlagen aus Sandstein bauen oder einen Bodenbelag machen, gehen sehr leichtfertig damit um. Man muss sogar anstatt eines normalen Zementmörtels Trasszement5 nehmen. Das ist ein Hochofenze­ ment, der eine noch größere Härte darstellt. Deshalb ist es auch wichtig, dass der Stein bedeckt bleibt, bis der Zement ausgehärtet ist. Wenn du mal mit dem Auto unterwegs bist und du siehst so Sandsteinmauern an der Straße entlang, bei uns sind sie rot, in Heilbronn gelb, 053


Kap. 02

Interview dann wirst du vielleicht sehen, dass da weiße Felder drauf sind. Das ist wegen den Temperaturschwankungen im Herbst und im Frühling. Meistens unten, der erste Meter. Das sind solche Ausblühungen. Die verschwinden auch wieder. Wenn sich jedoch Leute privat so etwas einbauen lassen, dann ist ihnen das oft nicht so recht, dass sie da mit der Büste rumkratzen müssen. Das heißt erst einmal betonieren und dann verblenden mit Setz- und Legstufen oder mit Massivstufen. Diese sind zwar teurer, aber auch leichter einzubauen. Manchmal sind sie dann aber auch zu schwer, da muss man sie zerkleinern usw. Das hat eben alles seine Vorund Nachteile, wie im Leben auch. Das ist der Bauprozess einer Staffel. Das Material ist auch wichtig, aber ich plädiere eigentlich dafür, dass man Material aus der Gegend nimmt. Also regionales Material. Was z.B. ganz schlimm ist: wenn man bei einem Architekten aus der Region ins Büro reinkommt und da liegt Marmor. Das passt einfach überhaupt nicht. Das sind Menschen, die ihre regionalen Materialien nutzen sollten. Bei öffentlichen Gebäuden sollte man auch Wert darauf legen. Wobei Marmor wahrscheinlich billiger wäre als Sandstein. Marmor wird in Massen abgebaut in Italien, der kostet fast nichts. Es ist schade, dass man denkt Marmor wäre der beste Stein. Der Sandstein der hier im Pfinztal wächst bzw. entstanden ist, ist bezüglich auf die Härte durchaus vergleichbar mit Marmor. Ich hatte jetzt letztens einen Werkstatttag hier, wo eine Frau einen Sandstein geschliffen hat und weiter schleifen will bis er glänzt, ohne Poliermittel. Einfach nur durch diese feinen Körnungen. Wenn man Schmirgel­ papier nimmt mit einer Körnung von 400, dann wird der Stein so glatt, dass sogar das Licht darauf reflektiert. Übrigens: Hier war vor 22 Millionen Jahren Wüste. Wie heute in der Sahara. Deshalb gab es da ganz viel Sand. Der Sand wurde dann durch Hebungen des Bodens von Wasser überspült. Dann entstanden noch 20m hohe Muschelbänke6 über Millionen von Jahren. Deshalb gibt es hier auch ein Kalksteinwerk. Welche Rolle spielt die Gestaltung? Beispiels weise die Geländer an den Seiten oder die Form der Stufen. Manchmal gibt es ja so halb- runde Stufen. Ja, beim Austritt gibt es oft die abgerundeten Stufen. Ein dreiseitiger Austritt. Da kann man sozusagen auf drei Seiten raus, wenn es kein Geländer mehr gibt. Und die Schlosser bzw. die Schlosswerkstätten hatten natürlich ausgefallene Ideen, in den letzten hundert Jahren, um. schmiedeeiserne Geländer anzufertigen. Heutzutage macht man meistens einfache Geländer mit so Stegen und Mittelfeldstreifen. Das ist eben billiger. Bei der Ge6  [natürliche] Massen­ ansiedlung von im Meer lebenden Muscheln. 7  Schloss Solitude wurde zwischen 1763 und 1769 von Johann Friedrich Weyhing und Philippe de La Guêpière als Jagd- und Repräsenta­ tionsschloss unter Herzog Carl Eugen von Württemberg erbaut.

8  Das Kunstmuseum Stuttgart ist ein Museum für Bildende Kunst in Stuttgart. Es steht anstelle des 1963 abgebrochenen Kronprinzen­ palais und wurde im März 2005 als Nachfolgeinstitution der Galerie der Stadt Stuttgart eröffnet.

Bernd Dennig staltung von den Treppenanlagen ist natürlich auch das Auge wichtig. Und, dass man sie regelmäßig saniert. Es wäre gut, wenn es Gruppen gäbe, die sich dafür einsetzen, dass die Treppen regelmäßig saniert werden und Gelder zur Verfügung gestellt werden. Die Leute, die die Finanzen verwalten, sind meistens gar keine Fußgänger. Die sehen gar kein Bedürfnis darin, das ist das Problem. Da muss man die Leute, die an den Finanztöpfen sitzen kennen, heiß machen und immer wieder nachbohren, damit die Treppen saniert werden. Eine kaputte Treppe wird auch nicht begangen. Es gibt einen Haufen Treppen, die marode und sanierungsbedürftig sind. Da wird eben zu viel Geld in den Bahnhof reinge­ steckt, anstatt sich um andere Dinge zu kümmern. Gibt es mögliche Verbesserungsvorschläge? Naja über das Steigungsverhältnis haben wir uns schon unterhalten, das kann man im Nachhinein nicht mehr so leicht ändern. Man kann zu glatte Treppen auch mal aufhauen, da gibt es viele Möglichkeiten. Ich habe mal gesehen, dass Natursteintreppen zusätzlich mit einem Holz belegt werden, weil sie zu glatt sind. Wobei Holz auch rutschig wird, wenn es nass ist. Was ist ihre persönliche Meinung? Man sollte nicht »die perfekte Treppe« bauen, weil man sonst zu leichtsinnig wird und dann denkt es geht so flott. Ich bin eher der Meinung, dass man mit den Augen marschieren soll. Die Augen sind auch zum gehen da. Ich war eine lange Zeit Lehrer und da gab es Versiche­ rungsanstalten, die für die Unfälle auf Schulgeländen verantwortlich sind. Die haben dafür plädiert, dass man die Schulhöfe aufbricht, den Asphalt wieder aufsammelt und unterschiedliche Erhebungen einbringt, damit die Schuler sich bewusst bewegen und rennen. Wenn da mal einer stolpert und hinfällt, dann ist er vorsichtiger und schaut eher auf den Boden. Muss nicht unbedingt stimmen, aber das habe ich schon gehört. Was mich noch interessieren würde: welche Stäffele bequem zu begehen sind. Da fällt mir das Schloss Solitude7 ein, das sind zwar keine klassischen Stäffele, aber eine sehr schöne Treppe mit langen und bequemen Stu- fen. Die wurde damals für den König gebaut. Wobei, wenn die einzelnen Stufen nicht hoch sind und eine große Tiefe haben, heißt es nicht unbedingt, dass sie bequem sind. Da muss man oft so einen Zwischen­ tritt machen muss. Bei der Staatsgalerie in Karlsruhe ist das der Fall. Das sind ganz lange und tiefe Stufen. Da muss man wirklich schauen, wo man hintritt. Das hat ja den Vorteil, dass man mit den Augen gehen muss. Da fällt mir auch die Spanische Treppe ein in Rom. Die ist immer belegt von Sitzenden. Eher von Sitzenden als von Gehenden. Die Treppe beim Kunstmuseum8 am Schloss- platz is auch so gut wie immer belegt. Das ist dann gleichzeitig auch ein Treffpunkt. Innen drin sind sin auch gewaltige und breite Treppen. Ich glaube das ist Kalkstein, wenn ich mich nicht täusche, denn da ist auch an der Wand Kalkstein eingebaut, 054


Kap. 02

Interview

Bernd Dennig

der ganz grob gespalten ist. Das war auch mutig von dem Architekten, aber ich weiß nicht wer das gemacht hat. Ich finde das toll, dass du dich damit beschäftigst und das in einem Buch festhältst. Können sie nochmal etwas über den Sandstein sagen? Der Sandstein ist ein Sedimentgestein9 und aus unterschiedlichen Schichten aufgebaut, die bis zu 80cm hoch sein können. Hier sind es ganz wenige. In der Pfalz, in der Nähe von Kaiserslautern, gibt es einen Steinbruch, da ist unten eine drei Meter hohe Schicht in weiß und darüber eine drei Meter hohe Schicht in rot, das ist Wahnsinn. Wenn man sieht was die Natur so hervor­ bringt. In Sost, im Norden, da gibt es grüne Sandsteine. Wenn du nach Sost fährst, da ist jedes Haus grün. 9  Sedimente im geowis­ senschaftlichen Sinn sind verschiedene organische und/oder mineralische Lockermaterialien, die – nicht selten nach einem kürzeren oder längeren Transport durch Schwerkraft oder ein strömendes Medium – auf dem trockenen Land oder am Grund eines Gewässers abgelagert werden.

Kunstmuseum Stuttgart

Cinque Terre

Schloss Solitude

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Abb. 1

Abb. 3

Abb. 2


Abb. 4

Abb. 5

Abb. 1  Heilbronner Sandstein, ©Alicia Godel, 2020 Abb. 2  Skulptur von Bernd Dennig, ©Alicia Godel, 2020 Abb. 3  Geschliffener Sandstein, ©Alicia Godel, 2020 Abb. 4  Aufgebrochener unbearbeiteter Sandstein, ©Alicia Godel, 2020 Abb. 5  Sandstein, Skulptur von Bernd Dennig, ©Alicia Godel, 2020


Ein Interview mit Johannes Heynold

Kennst du die Rotebühlstaffel? Was mir zu der Rotebühlstaffel direkt einfällt ist ein Foto, das meine Freundin mal geschickt hatte, wo die Kehrwoche1 auf der einen Seite sehr ordentlich gemacht wurde, was dir viel­ leicht auch schon mal aufgefallen ist, also wo man direkt sieht, dass auf der einen Seite Blät­ ter liegen und auf der anderen Seite jemand seine Kehrwoche gemacht hat, was wirklich nur innerhalb von zehn Minuten wahrnehmbar ist, weil danach der Wind die Blätter eh verteilt. Das ist halt so Stuttgart: ich hab meinen Kehrdienst gemacht aber demonstrativ mache ich nicht die ganze Treppe, sondern nur meinen Teil. Das ist ein Thema mit der Kehrwoche. In welchem Rahmen ist dein Projekt entstanden? Ich bin da reingerutscht. Und zwar fing es an als Seminar an der Uni Stuttgart in­ terdisziplinär mit Sportwissenschaftlern, Sozialwissenschaftlern, Architekten, Stadtplanern im Rahmen von dem Reallabor2 nachhaltiger Mobilitätskultur. Und das Thema war einfach ein Realexperiment als Konzept zu entwickeln. Wir ka­ men relativ schnell auf die Staffeln als autofreie Räume, weil das Thema für das Reallabor für nachhaltige Mobilitätskultur war die Frage »Wie bewegen wir uns eigentlich nachhaltig?« Nicht nur über Elektromobilität oder Brennstoffzellen oder was auch immer. Dann war meine große Vision den Stuttgartern anhand der Staffeln bewusst zu machen wie viele Vorteile es hat, wenn man Mobilitäts­ räume hat, in denen man nicht immer gucken muss, ob man überfahren wird, sondern auch einfach mal stehen bleiben kann, sich austauschen, sitzen. Diese große Idee, dass man anhand der Erfahrbarkeit dieser autofreier Räume, die Stuttgarter dazu bewegt ihre Straßen autofrei zu machen hat nie funktioniert. Also da war der Gedankensprung von Stufen zu Straße irgendwie zu weit. Das hätte man vielleicht noch klarer kommunizieren müssen, aber da ist es nie hin gekommen. Letztendlich war es dann eine Ausstellung von möglichen Nutzun­ gen von öffentlichem Raum, der auf dieser Staffel war. 1  Schwäbische oder würt­ tembergische Kehrwoche ist die regional übliche Be­ zeichnung für die geregelte Reinigung gemeinschaftlich benutzter Bereiche in Einfami­ lien- und Mehrparteienwohn­ häusern und von Flächen wie Hauszugängen, Vorplätzen und Gehwegen und Straßen

im Gebiet des ehemaligen Württemberg. 2  Reallabore sind eine neue Form der Kooperation zwischen Wissenschaft und Zivilgesellschaft, bei der das gegenseitige Lernen in einem experimentellen Umfeld im Vordergrund steht.

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Kap.02

Interview

Johannes Heynold

Du sagst Galerie, was genau meinst du damit? Genau, es war eine Galerie im doppelten Sinne. Die Idee war, wie eine Galerie auch Konzep­ te ausstellt, denen man sich dann erstmal in einem eigenen Rahmen annähern kann. Also eine Galerie an den Staffeln? Genau. Zum einen, dass die Staffeln kommunizieren, was möglich ist, aber eben der Stadtraum selbst zum Ausstellungsraum einer Möglichkeit wird. Und das haben wir dann überzeichnet mit diesem Motto die Stadt als Haus. Dass man sagt, okay das ist jetzt keine Staffel mehr, sondern stell die vor das ist die ge­ meinsame Küche, mit deiner WG und deine Mitbewohner sind nicht andere Stu­ denten, sondern deine Nachbarn. Dann konnte man diese unterschiedlichen Staffeln als unterschiedliche Objekte und unterschiedliche Ausstellungsräume durchwandern. Am Anfang habe ich auch daran gedacht, dass man Bilder aus­ stellt oder Geschichten. Da ist es nie wirklich hingekommen. Ich weiß, dass es auf der Lorenzstaffel mal eine Ausstellung von Aka Studenten gab. Da habe ich es aber leider nicht hingeschafft. Jedenfalls haben wir dann diese Idee, unter­ schiedliche Aktionen auf den Staffeln zu machen, präsentiert. Das war am Ende von dem Seminar vor einer Jury des Reallabors aber auch anderen Initiativen und mit unserer Idee konnten wir den Publikumspreis gewinnen, welcher mit 5000 Euro verbunden war. Damit war das Seminar zu Ende und die Hälfte der Leute, die da teilgenommen haben sind dann ins Ausland gegangen oder wie es eben so ist. Man ist ja nicht so festgelegt in dieser Semesterstruktur. Dann frag­ te mich aber der Referent des Seminars, ob wir jetzt diese 5000 Euro nehmen möchte, ob wir daran weitermachen möchten oder ob das verfällt. Dennis Fuchs, mit dem ich die Idee gemeinsam entwickelt habe, war dann raus, also für ihn war es dann wirklich zu Ende. Weil das Seminar aber auch bei den Architekten ange­ siedelt war, hatte ich da einen direkteren Kontakt und habe dann gesagt »Ja okay, ich versuche das einfach mal.« Also hast du das ganz alleine weitergemacht? Genau. Dann war eben die Frage, wie man weitermacht, weil ich keinen Partner mehr hatte. Dann war das Angebot, dass wir das Geld bekommen und das ganze als Seminar angeboten wird. Also wir haben dann Studenten an die Hand bekommen, die das umsetzen. Das haben wir erst mit der Parklets-Gruppe zusammen gemacht. Du sprichst von Parklets, was ist das? Die Parklets3 für Stuttgart. Die hatten z.B. im Galao Sitzmöbel. Wenn man will so »Holzdinger«. Das waren Holzdecks mit Ebenen, aus denen man Kuben raus­ ziehen konnte. Die Parklets waren eine feste Gruppe die auch von der Jury aus­ gewählt wurden und 5000 Euro bekommen hat. Dann haben wir erst gemein­ sam einen Entwurf bei den Architekten und Stadtplanern angeboten. Dann waren es aber nur ca. zehn Studenten und um die Parkletssache durchzuziehen, das war schon die Zahl die man brauchte und dann haben wir gesagt: »Okay in dem Semester wird jetzt einfach der Fokus auf die Parklets gelegt.« Wir haben die entworfen, realisiert und ein bisschen geforscht. Und in den kommenden Sommerferien bieten wir eine Summerschool an, wo wir eine Woche lang mit neun Studierenden, auch ein bisschen weiter ausgeschrieben, versuchen auf den Stäffele die Aktion zu machen. Das haben wir dann beworben mit A0 und A1 Plakaten, die wir an alle Unis mit Architektur und Stadtplanung in Deutschland geschickt haben. Ich glaube es haben nicht so viele aufgehängt. Am Ende hat­ ten wir eine aus den Niederlanden, also eine Deutsche, die aber in den Nieder­ landen studiert hat. Ich weiß nicht mehr, ob das über eine Freundin war, die ich an der Uni hatte, die das gepostet hat, kam. Auf jeden Fall ist sie extra dafür nach Stuttgart gekommen für eine Woche, und eine von der Hochschule Stuttgart aus dem Bereich Innenarchitektur. Das war ganz schön, weil der Rest war letztend­ 3  Ein Parklet ist ein Stadtmö­ bel auf ehemaligen Parkplatz­ flächen, das den Menschen mittels Aufbauten mehr öffent­ lichen Raum zur Verfügung stellt. Als Baumaterial dient meist Holz, z. B. Paletten.

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Kap. 01

Interview

Johannes Heynold

lich Uni Stuttgart. War also nicht so interdisziplinär, wie gedacht, aber trotzdem spannend von allen Disziplinen ein bisschen was zu lernen. Von der Aka4 hat sich damals niemand angemeldet? Ne. Obwohl ich es da persönlich ausgehängt hatte. Dann haben wir im Sommer 2016 diese Summerschool angeboten und zeitgleich habe ich meine Masterarbeit gemacht, auch im Bereich Stadtplanung, und dann war das eine sehr gute Ablenkung, um mit der Masterarbeit zu prokrastinieren. Ich muss ja noch diese Summerschool organisieren! Und hier was und da was. Ehm ja... Ich glaube ohne die Masterarbeit hätte ich nicht so viel Anlass gehabt in das Projekt zu investieren. Dann haben wir gesagt, wie wollen auch die Nachbarn mit einbe­ ziehen. Also ein Teil des Reallabors war, nicht nur zu machen, sondern auch wirklich zu for­ schen. Vorab wurden dann Forschungsfragen entwickelt mit Soziologen oder Sozialwissen­ schaftlern, was man rausfinden muss. Wir haben eine Fragenkatalog entwickelt und eine Woche vor der Summerschool Postkarten verteilt an die Anwohner. Da kommt dann die Fra­ ge auf, wie man das eigentlich macht. Wo findet die Summerschool statt? Weil ein bisschen anmelden muss man es dann in der Stadt schon, dass das Ordnungsamt5 nicht total über­ rascht ist. Dann sind wir auf den Süden gekommen, weil es da viele Staffeln gibt. Stadtmitte ist ja relativ flach. Wir haben die Idee dem Bezirksbeirat6 vorgestellt und der Bezirksbeirat hat dann auch gut vernetzt noch Ideen gehabt, welche Staffeln man noch wählen kann, wo man anklopfen kann. So ist z.B. der Kontakt zum Gebrüder-Schmid-Zentrum7 entstanden, wo dann die Summerschool ein Zuhause hatte, wo wir einen Raum hatten, wo wir an dem Es­ sen von dem Mutter-Kind-Zentrum teilhaben konnten. Damit waren die Staffeln in dem Um­ feld festgelegt. Dann haben wir gesagt, wir übernehmen diese Nutzung Küche, Wohnzimmer, Kinderzimmer, angemacht war noch ein Sportzimmer, aber dafür waren es nicht genug Teil­ nehmer. Deswegen haben wir die Gruppen so gemacht, dass wir uns mehr auf drei konzent­ rieren. Eine Staffel hat dann noch zur Eröffnung gedient. Also haben die Staffeln einzelne Zimmer repräsentiert? Genau, jede hat ein Zimmer präsentiert. Am Ende waren es nur drei Zimmer. Trotzdem hatten wir fünf Stück, für jeden Tag eine, wo wir dann an jeder Staffel 100 Postkarten verteilt haben. Der Fragebogen war auf der Vorderseite mit Fra­ gen wie: Wie lange wohnen Sie hier schon?, Wie nehmen Sie die Staffel wahr?, Was wünschen Sie sich?, Wie viele Nachbarn kennen Sie? Und auf der anderen Seite war eine Erklärung von dem Projekt und die ausgefüllte Adresse der Uni Stuttgart, sodass man ohne Porto zu zahlen, das einfach einwerfen konnte. Dann haben wir an jedem Tag eine Staffel eingeladen, Abends gemeinsam mit den Studierenden. Der Tagesausklang war dann ein gemeinsames Essen. Die Idee war, dass die Studenten ja auch selbst essen müssen, also etwas vorberei­ ten, und wir dann mit den Nachbarn da essen. Weil: Essen ist immer gut, Geträn­ ke sind auch super. Wenn die Leute ein Getränk in der Hand haben, gehen sie erst wieder, wenn das Getränk auch leer ist. Dann haben wir noch ein kleines Rahmenprogramm versucht. Wir hatten abends drei Bands und kannten dann schon eine Anwohnerin, wo wir den Backofen benutzen konnten. Also haben wir auf den Staffeln Pizzateig gemacht und bei denen dann zehn Blecke Pizza geba­ cken. Außerdem war gleichzeitig Sommerloch und die Presse hatte nicht so viel zu berichten. Die haben dann vorab schon mal ein Interview geführt, was pas­ siert, was sind die Ideen. Die Stuttgarter Zeitung? Ja die Stuttgarter Zeitung, die haben das währenddessen schon begleitet. Das Heslacher Blättle, ich weiß nicht mehr genau, wie es heißt, ich glaube da hat sich auch die Redaktion geändert. Die sind wohl nicht mehr ganz so einfach zu erreichen. Das ist ein werbefinanzier­ tes Blatt auf lokaler Ebene, was vom Layout nicht super zeitgenössisch ansprechbar ist, aber trotzdem irgendwie super relevant. Je mehr ich darüber nachdenke, finde ich es scha­ de, dass die Lokalpresse kämpft. Facebook ist vielleicht super um mitzubekommen, was in 4  Die Staatliche Akade­ mie der Bildenden Künste Stuttgart, kurz Kunstakademie Stuttgart, ist mit ihren rund 900 Studierenden und 20 Studiengängen im freien und angewandten Bereich eine der ältesten und größten Kunst­ hochschulen in Deutschland. 5  Das Ordnungsamt

(abgekürzt oft OA) ist in Deutschland und in Österreich die Bezeichnung für eine Organisationseinheit innerhalb der Kommunalverwaltung, in der üblicherweise die Aufgabe der Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung wahrgenom­ men wird, soweit diese nicht

landesgesetzlich speziellen Behörden zugewiesen sind. Zu unterscheiden sind die Be­ zeichnungen der eigentlichen Behörde und des sichtbaren Vollzugsdienstes, die nicht unter der gleichen Bezeich­ nung auftreten müssen. 6  Die Bezirksbeiräte spielen eine wichtige Rolle in der

Kommunalpolitik. Sie beraten über alle Entscheidungen, die der Gemeinderat für einen bestimmten Bezirk treffen soll und sprechen Empfehlungen aus. 7  »Wir schaffen jeden Tag neu Gelegenheit und Räume, in denen Begegnungen zwi­ schen den Generationen und

Kulturen stattfinden, geprägt vom gegenseitigen Respekt, vom Spaß am gemeinsamen Tun und von der Bereitschaft, voneinander zu lernen.«

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Kap. 01

Interview

Johannes Heynold

den USA passiert, aber das betrifft uns eben begrenzt. Man kann die lokale Ebene auf Face­ book zwar auch suchen, aber es wurde eben für einen anderen Maßstab entwickelt. Am Ende des Staffelprojektes gab es dann noch man einen Rundgang bzw. Spaziergang, wo auch die Presse da war. Im Anschluss an die Summerschool, hat man zwei Wochen lang, eine Installation, die Studenten in der Zwischenzeit entwickelt und realisiert hatten, eingela­ den entdeckt zu werden. Nach diesen zwei Wochen gab es noch eine Verlängerung um zwei Wochen und dann wurde es abgebaut. Innerhalb dieser zwei Wochen gab es noch unter­ schiedliche Veranstaltungen. Sport im Park der Stadt Stuttgart8 hat das Projekt interessant gefunden und hat dann gesagt, sie stellen uns einen Trainer, der sich im Sportzimmer quasi ein kleines Projekt überlegt hat. Liegestützen am Geländer, hoch und runter trippeln, Terra­ bänder am Geländer usw. Dann hatten wir einen Kochkurs, wo wir den Zauberlehrling, eine stuttgarter Kochschule, gewinnen konnten, die haben uns das sogar rabattiert gegeben. Dann haben wir da Perlhuhn zubereitet. Mit dem Ofen von der Nachbarin? Ne, die haben eine Pfanne mitgebracht, wir haben nur Strom von den Nachbarn genommen. Wir haben für die ganzen Projekte den Strom immer von den Nach­ barn bekommen. Bei der einen Nachbarin war klar, da können wir den Ofen im­ mer bekommen. Sonst haben wir eben gefragt, ob wir Strom haben können und eigentlich waren alle cool. Ich habe das im Nachhinein immer noch so gemacht, für die Speed-Datings, die entstanden sind, für Glühwein oder für Waffeleisen, dass ich einen Tag vorher geklingelt habe: »Ey, kann ich meine Kabeltrommel bei euch einstecken?« Das hat immer geklappt. Manchmal musste man drei mal klingeln, aber an sich super unterstützend. Es gab noch eine Lesung und ich meine das war es so ungefähr. Ein Projekt, was ich besonders spannend fand, war das schwarze Brett, weil es eine Möglichkeit darstellte auf einmal indirekt zu kommunizieren. Über das ganze Projekt war es immer super, die Studenten waren tagsüber im Stadt­ raum, haben gebaut, wurden von allen, die vorbeikamen angesprochen, was da passiert und man hatte eine Werbung einfach nur durch das machen. Als das Projekt dann fertig war, war das schwarze Brett so eine Möglichkeit, den Aus­ tausch weiter zu betreiben. Eine Idee im Wohnzimmer, waren Liegestühle für die Staffeln, die so in der Größe von den Stufen ausgeschnitten waren, sodass man sie daraufstellen konnte. Wenn man alle nebeneinander gestellt hat, war einfach kein Vorbeikommen mehr. Das hatte eine Anwohnerin dann handschriftlich als Kritik geäußert und an das schwarze Brett gehängt. Damit war klar, dass wir dar­ auf reagieren können. Zum einen war es ein Ventil für Leute, ihren Frust abzulas­ sen, aber auch um positives Feedback zu kriegen. Es war eine Ergänzung zu den Fragen auf den Postkarten, die dann für das Projekt nicht mehr viel gedient ha­ ben. Und an der Ebene bin ich seitdem weiter interessiert. An der Kommunikationsebene? Genau, wie Stadtraum auch die Funktion eines Mediums, was zwangsläufig lokales wahr­ nehmen kann, sein kann. Die lokale Zeitschrift ist das eine, direkt im Stadtraum das andere. Ein anderer Punkt in dem Wohnzimmer war eine Wand an der Staffel, an der Taubenstaffel, die mit Kreide bemalt werden konnte. Die Leute haben da angefangen zu malen und sich aufeinander zu beziehen. Wie habt ihr das gemacht wenn ihr beispielsweise das schwarze Brett an der Staffel angebracht habt? Das sind zwei Ebenen. Ich glaube bis zu 40 cm gehört einem die Fassade und der Zaun usw. Das schwarze Brett war an einem Zaun angebracht, das musste man dann mit den Leuten klären, denen der Zaun gehört hat. Sachen auf den Staffeln mussten wir beim Ordnungsamt beantragen und die waren super cool. Wir hatten mit dem Ordnungsamt echt Glück. Das resultiert so ein bisschen dar­ aus, dass die Stadt Stuttgart das Reallabor unterstützen wollte bzw. Klar war, 8  »Sport im Park« ist ein offenes, kostenloses und unverbindliches Sport- und Bewegungsangebot in der Landeshauptstadt Stuttgart.

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Kap. 01

Interview

Johannes Heynold

dass man Neuformate entwickeln will und die Uni Stuttgart als souveräner Part­ ner die Verantwortung übernommen hat. Die Stadt konnte ihren Namen drauf schreiben, war aber nicht Schuld. Im Notfall war die Uni Schuld. Und die Uni hat im Notfall über die Studenten gesagt: »Das waren die Studenten!« Also dieses Blame-Shifting9 war am Ende relativ produktiv, weil keiner komplett fahrlässig gehandelt hat, aber man damit den Freiraum bekommen hat, dass es nicht gleich hieß: »Oh, die Stadt Stuttgart schon wieder.«, sondern, dass die dann sa­ gen konnte: »Ne ne, das war die Uni Stuttgart!« Wir haben dann vorher die Staf­ feln bei einem Ordnungsamt gemeldet und gesagt wir kommen mit den Studen­ ten, die bringen ihre Ideen mit. Ich meine das war mittwochs während der Summerschool, dass wir vormittags einfach bei denen saßen, und die Studen­ ten vorgestellt haben, was sie machen wollen. Dann hat das Ordnungsamt aus ihrer Erfahrung aus gesagt, was geht und was nicht. Die Auflagen haben sie uns in Form von Protokoll des Gesprächs uns zukommen lassen. Also super unkom­ pliziert. Trotzdem war klar, was erlaubt ist und was nicht. Weil die natürlich schon sagen »Ja gute Idee, aber die Feuerwehr muss da trotzdem durchkommen.« Wo wir auf Anhieb nicht drauf gekommen sind, was man aber irgendwie in Frage stellen muss. Die haben sich als Helfer mit ihrer Erfahrung eingebracht, weniger als das geht nicht, sondern eher als: das geht nicht WEIL. Die waren echt super super freundlich. Um zurück auf die Postkarten zu kommen, haben die Nachbarn alle mitgemacht? Wir hatten einen Rücklauf von ungefähr 20%, was gar nicht so schlecht ist, meinte irgendje­ mand. Auf Facebook war die Kritik eher so »Ah, diese Waldorfschüler, die jetzt irgendwie Kunst machen, so ein Quatsch!« Da gab es schon Kritik gegenüber dem Reallabor. Die Park­ lets haben einen Shitstorm10 abbekommen. Also nochmal zum Verständnis, du hast Stadtplanung studiert und da gab es ein Reallabor? Was versteht man darunter? Reallabore sind ein neues Forschungsformat, welches die Uni so ein bisschen aus dem Elfenbeinturm rausholt. Die Reallabore sind interdisziplinär und das Land Baden-Württemberg hat als erstes Bundesland gesagt, dass sie diese Art der Forschung fördern. Also nicht nur Soziologen, die über Leute forschen, son­ dern es wurde auch akzeptiert, dass es von der Uni einen Input gibt und auch mit den Leuten forscht. Und die Leute selbst empowered zu forschen. Das sieht praktisch so aus: wir haben mit den Wissenschaftlern diese Fragen entwickelt, mussten aber die Fragen selbst beantworten. Das heißt wir haben 5000 Euro bekommen, aber wir wurden ausgebeutet. Wir wurden einfach fucking ausge­ beutet. Das wurde am Ende auch allen bewusst. Die Soziologen haben dafür ihr Honorar bekommen, was man so kriegt, wenn man an der Uni angestellt ist. Und forscht. Und wir haben nur für Material, nicht für uns selbst, Geld bekommen. Mussten dann aber einen 40-seitigen Bericht abgeben, der mehr oder weniger eine wissenschaftliche Arbeit war. Es mussten halt Stichproben, qualitative In­ terviews und all so ein Kram gemacht werden. Das Ausmaß dessen, was mir auch erst bewusst, als ich angefangen habe das Ding zu schreiben. Weil man hat dann interessante Fragen. Man hat 20 Fragen, die zu beantworten dauert aber. Klar war ich auch an der Uni aber Architektur und Stadtplanung ist prakti­ scher orientiert. Das hat nicht diese Tiefe. Es war super spannend diese Erfah­ rung zu haben, aber da war eigentlich die Energie schon weg. Man hatte eben die Vorbereitung, dann hat man das Projekt ohne Ende auf die Beine gestellt, kommentiert, sonst was und dann kam noch der Bericht. Das ging eigentlich al­ len so. Die Idee dahinter war aber, dass man nicht nur über Initiativen forscht und dann die wissenschaftlichen Publikationen und die Erkenntnisse anderen Soziologen und Fachdisziplinen mitgibt, sondern dass die Initiative durch das 9  die Schuld auf jdn ab­ schieben 10  Shitstorm bezeichnet im Deutschen das lawinenartige Auftreten negativer Kritik gegen eine Person oder ein Unternehmen im Rahmen von sozialen Netzwerken, Blogs oder Kommentarfunktionen von Internetseiten bis hin zur Schmähkritik.

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Kap. 01

Interview

Johannes Heynold

Forschen an sich selbst, die Ergebnisse direkt praktisch anwenden kann. Und somit auch für die Zukunft gewappnet ist. Ein Ergebnis war, dass viele Initiativen schon Netzwerke hatten. Die anderen Präsentationen waren eine Bürger Ri­ ckshaw 11, also eine selbstorganisierte Rickshaw, so Fahrradtaxis. Die Bürger Ri­ ckshaw war eine Initiative von Menschen, die das anderen Menschen kostenlos anbieten wollten. Als Experiment. Die haben dann das Geld genutzt um eine Ri­ ckshaw zu kaufen. Die Parklets haben ausprobiert, was passiert, wenn man die eben Parkplätze anders nutzt. Aber zurück zum Reallabor. Das Forschungsformat sieht vor, dass die Uni in der Realität forscht und dafür auch Initiativen braucht, die das machen. Man hat versucht nicht komplett als Forscher solche Projekte anzustoßen, sondern bestehende Initiativen zu nutzen, die wissenschaftlich zu unterstützen. Ein bisschen finanziell um damit das Wissen lokal zu im­ plementieren und auch um praktisch dran zu sein. Das hat Vor- und Nachteile. Mir erging es so, dass wenn ich klassisch forsche, ich Stichproben mache, welche klappen und nicht klappen. Ich brauche eine Gegenprobe, warum was nicht klappt. Das soll heißen, ich habe meine Petrischalen und wenn in der einen Zucker ist und in der anderen nicht, dann wäre es super, wenn bei der einen was anderes ist. Das ist auf jeden Fall der Zwiespalt von dem Pro­ jekt, dass die Presse schon noch Ergebnisse haben wollte. Und wenn man sagen kann hieran haben wir jetzt extra gesehen, wie Parklets besetzt werden können, ohne dass es etwas bringt, das hätte die Leute dann zu krass abgefuckt. An der Stelle war es so halbwissen­ schaftlich. Damit dieses Reallabor für nachhaltige Mobilitätskultur zu diesen Experimenten kommt, hat dieser Wettbewerb stattgefunden, wo Studenten, aber auch Initiativen eingela­ den wurden. Das war letztendlich eine Gruppe von Menschen um die 50 bis 60, die diese Ri­ ckshaw Idee schon einmal erprobt hatten und dem Mobilitätssegment den Kontakt zu dem Forschungsprojekt ermöglicht hatten, ihre Idee vorgestellt haben und von der Jury ausge­ wählt wurden. Andere Projekte, die ausgewählt wurden, waren die Parklets, die Stäffelegalerie, ich meine auch die Feinstaubmessgeräte, das ist eine Gruppe, die eher aus dem Soft- und Hardwarebereich kommt und finanziell unterstützt wurde. Dann sollte noch irgendeine App unterstützt werden, die hatten aber so starke Daten­ schutzprobleme, dass es am Ende daran gescheitert ist. Ich glaube ich verges­ se gerade irgendwas ganz wichtiges. Auf jeden Fall waren wir als Stäffeleprojekt auch eine dieser Initiativen. Gibt es diesen Wettbewerb jedes Jahr? Das Forschungsprojekt lief über zwei Jahre. Es war so aufgebaut, dass im ersten Jahr schaut was es für Initiativen gibt und wie man es strukturiert. Dann gab es ein Casting und anschlie­ ßend die Projekte bis zum Ende macht, was auch ein Problem ist. Man stößt Sachen an, aber es endet. Andere Reallabore hatten andere Schwerpunkte. Eins war von der Akademie, da ging es um Spacesharing12, wo auch der Calwer Kopf 13 dazugehörte. Das war so ein Co-Wor­ kingspace, wo es auch Yoga gab und wo geschaut wurde, wie man einen Raum multifunktio­ nal nutzen kann. Dieses Konzept kenne ich aus dem Studium, das wird oft gemacht. In dem Moment, wo man anfängt zu experimentieren, merkt aber was für eine Ausstattung man wirklich braucht. Wir finanziere ich das eigentlich wirklich? Dann gab es ein Reallabor zur Textilwitschaft. Die waren auch nicht alle in Stuttgart, sondern in Baden-Württemberg verteilt. In Heidelberg gab es auch eins mit Geflüchteten. Die arbeiten immer mit Initiativen zusam­ men die es schon gibt. Immer mit der Frage, wie sie arbeiten, was daran funktioniert und wie man sich weiterentwickeln kann, aber auch was man als Wissenschaftler rausziehen kann. Wie lange hast du an dem Stäffeleprojekt gearbeitet? Es fing parallel zu meiner Masterarbeit an. Und die ging aber über was anderes? Ja genau, das war dumm. Viele haben mich gefragt, wieso ich nicht einfach das als Master­ arbeit abgebe. Das wäre smart gewesen. Schon da hat mich aber die Digitalisierung und die 11  Rikschas sind kleine, zwei­ rädrige, von einem Menschen gezogene Gefährte zur Perso­ nenbeförderung (sogenannte Laufrikschas). 12  Reallabor Space Sharing ist eine Forschungsinitiative an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stutt­ gart, die sich mit innovativer

Nutzungsintensivierung von Raum auseinandersetzt. 13  Das Pilotprojekt Calwer Kopf war für fast 1,5 Jahre das Stuttgarter Headquarter des Forschungsprojekts Real­ labor Space Sharing (erste Förderphase) der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart. Vor nunmehr

10 Monaten mussten wir und alle NutzerInnen unsere schö­ nen Räume im 3.OG räumen und das Forschungsteam ist zurück an die Kunstakademie gezogen.

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Kap. 01

Interview

Johannes Heynold

Auflösung von Raum interessiert. Das Stäffeleprojekt war die Gegenthese im inneren Stadt­ raum, weil wir alles dort gemacht haben. Wir habe über Facebook viel kommuniziert und dann auch gemerkt, dass sich die digitale Öffentlichkeit und Wahrnehmung sehr von dem, was vor Ort geschieht unterscheidet. Man hatte wirklich das Gefühl es seien zwei Welten, obwohl der Ort ja nur einmal existiert. Und in der Masterarbeit ging es um eine Kommunika­ tion die den Ausschlag gibt, welche jedoch räumlich nicht greifbar ist, außer man verräum­ licht sie z.B. in Form einer Pinnwand. Das Projekt endete mit dem Abbau von den Ergebnis­ sen der Summerschool nach einem Monat. Da berichtete auch Dasding 14 über das Projekt. Die waren bei dem Sportkurs dabei und haben das auch aufgenommen. Die hatten dann auch Schnittbilder von dem Kochkurs, wo auch das Fernsehen und die Landesschau dabei waren. Dann haben sie gefragt, ob man mal ein Speed-Dating auf den Staffeln machen könnte. Und ich meinte dann »ja wieso nicht«. Dann hat es sich rumgesprochen, dass ich so Staffelsachen mache. Daraufhin fragte mich Chantal Busse an, welche an der Hochschule für Musik studiert hat. Die haben ein Livehörspiel in ihrem Semester entwickelt und das auf­ geführt. Die haben dafür Veranstaltungslocations wie das Merlin oder die Wagenhallen. Sie fanden es aber auch spannend damit in den Stadtraum zu gehen. Und dann dachte ich mir »Okay warum nicht. Ich mache immer noch meine Masterarbeit, ich muss immer noch pro­ krastinieren. Super willkommen, ich organisiere das.« Am Ende brauchst du für eine Veran­ staltung immer nur Ort und Zeit. Und vielleicht einen Anlass, der Anlass war da. Ort und Zeit kann man festlegen. Das war dann freitagabends auf einer Staffel. Die haben alles aufge­ baut und es kamen so um die 50 Leute. Alle haben Freunde mitgebracht. Es war in der Nähe vom Schützenplatz, da kannten wir auch Nachbarn, die Storm bringen. Außerdem konnten wir Glühwein ausschenken, darum habe ich mich gekümmert. Es war einfach ein schöner Moment vor dem Sonnenuntergang. Es war in der Mitte von zwei Staffeln, sodass man auf den Stufen sitzen konnte aber auch auf einem Grünstreifen. Dann habe ich tatsächlich ir­ gendwann meine Masterarbeit abgegeben und wurde von der Uni eingestellt um weiter in dem Reallabor zu arbeiten. Also die Abschlussfeiern mit den Ergebnissen zu organisieren, was ich durch das Stäffeleprojekt gelernt hatte. Dann bin ich in Stuttgart geblieben, war Sin­ gle und dachte daran, dass es diese Idee mit dem Speed-Dating gab. Dann habe ich die Re­ dakteurin von Dasding angeschrieben und meinte, wenn die Werbung machen, dann orga­ nisiere ich das. Und die stimmten dann zu. Die haben dann auch jemanden zu dem Speed-Dating hingeschickt, das war nicht die Redakteurin, mit der ich damals geredet hatte, sondern jemand anderes. Es wurde auch ein Zusammenschnitt auf Facebook hochgeladen. Dafür habe ich auch eine Band angefragt, weil man geht ja nicht nur zum Speed-Dating um alleine zu sein, man möchte ja auch ein bisschen Musik hören. Es gab auch wieder Getränke. Wenn man sich einmal daran gewöhnt hat, sich selbst reinzuschießen, Ort und Zeit festzule­ gen, dann muss es auch passieren. Klar kann man es im Notfall absagen, aber es sollte ein­ fach passieren. Das war die Staffel bei der Tübingerstraße, das Ende von der Willi-ReichertStaffel. Da gibt es in der Nähe ein Fahrradgeschäft, die mir dann sogar eine Klingel gegeben haben, damit ich kündigen kann, wann das Speed-Dating rum ist. Ein Freund von mir, der die Architektenpartys organisiert hat, hatte wirklich ein Händchen dafür, Dinge zu organisieren. Er meinte zu mir, dass er unter keinen Umständen mitdaten möchte, aber er hat sich darum gekümmert, dass immer Getränke da waren und alles gut abläuft. Ich habe dann bei einem Kiosk, der auch in der Nähe ist, einen Besen und eine Mülltüte ausgeliehen, um einmal die Staffel zu kehren. Das geben die Leute gern. Es kamen ein paar Freunde, drei oder vier Pressevertreter und drei Leute. Ah, und ich hatte noch Podeste gebaut, sodass man über zwei Stufen sitzen kann damit es angenehmer ist. Davor habe ich mich sogar auf vier Staffeln zur Probe hingesetzt um zu sehen wo man hinschaut, wie die Lichtverhältnisse sind, ob es breit genug ist. Das war ein Erkenntnis des Ordnungsamtes. Wenn da zu viel rumsteht, ist es eine Behinderung. Wenn man jedoch eine Seite des Geländers freilässt, sodass Leute, die eingeschränkt sind, sich festhalten können. Das ist 14  Dasding ist das Jugend­ radioprogramm des Südwest­ rundfunks, das am 17. Mai 1997 erstmals ausgestrahlt wurde. Dasding ist ein multimediales Programm und ein Vollzeit-Ra­ diosender ohne Werbung.

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Interview

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ein wichtiger Faktor, ohne Frage. Von der Summerschool hatte ich auch noch Sitzkissen, die wir gekauft hatten. Die waren beim Nachbarschaftsverein vom Schützenplatz eingelager. Wir haben sie genutzt um das ganze ein wenig zu ge­ stalten. Dann merkt man, dass es keine Treppe mehr ist, sondern, dass etwas passiert. Das Problem war dann, dass zu wenig Leute da waren. Irgendwann wurden es fünf, sodass man wenigstens rotieren konnte. Es gab trotzdem Fotos, welche dann dafür gesorgt haben, dass viele es bedauert haben, dass sie nicht da waren. Ah, und es kam noch eine Truppe von Frauen um die 40, die total cool und selbstbewusst waren. Also haben auch viele ältere mitgemacht? Das war das witzige. Es gab keine Altersgrenze. In der Kommunikation war es auch ambiva­ lent: ist es nur, um Nachbarn kennenzulernen? Gleichzeitig hat der 18-jährige, der sich total unsicher war, die souveräne 40-jährige getroffen, die wusste was sie will. Das Spannende war, dass man viel mehr über sich, als über andere Menschen gelernt hat. Man stellt sich fünf mal vor und bekommt fünf unterschiedliche Reaktionen. Dadurch bringt man Men­ schen in Kontakt, die sonst nicht in Kontakt wären. Dann kam natürlich auch die Frage auf, wieso man es nicht mal nach Alter sortiert. Am Anfang war es dann so, dass sich eben eben auch Mann und Mann unterhalten haben, aber das war allen egal. Das hat es dann relativiert. Je öfter das Speed-Dating stattgefunden hat, desto mehr Leute kamen. Das letzte Mal waren es um die 70. Wie sah es da mit den Sitzplätzen aus? Die Leute haben sich selbst etwas mitgebracht. Zwischenzeitlich waren es viel mehr Frauen, was herrlich war, weil sie sich dann über ihre Datingerfahrungen aus­ getauscht haben und sich gegenseitig erzählt haben, was sie für schreckliche Dates hatten. Es war total witzig. Außerdem hat es einem die Möglichkeit gegeben, sich selbst zu reflektieren. Man hat ein Gefühl dafür gekriegt, wer die anderen sind. Heutzutage benutzt fast jeder Tinder 15, da ist das Speed-Dating auf den Treppen ja ein ziemlicher Gegensatz. Ja. Die Realität ist besser! Ich habe meine Freundin zwar auch über Tinder kennengelernt. Da war ich in der Doppelrolle. Wenn man als Veranstalter auftaucht und sagt man ist selbst Single, ist das super merkwürdig. Man hat sowieso keine Zeit mit Leuten zu reden, weil man die Zeit stoppt, dann will jemand was wissen und man ist einfach abgelenkt. Trotzdem ist die Realität geiler als Tinder. Man verbringt so viel Zeit mit swipen und texten. Habt ihr das Speed-Dating angemeldet? Guter Punkt. Wir haben die Summerschool angemeldet. Dann habe ich das Speed-Dating gemacht und nicht angemeldet. Der Bezirksbeirat hat dann über die Presse herausgefunden, dass es stattfindet. Ich habe mich dann entschuldigt und gemeint ich schreibe einen Bericht, was alles passiert, war dann aber nie wie­ der in diesem Bezirk. Das war mir einfach zu blöd. Ich weiß, dass es kindisch ist. Waren die so sauer? Naja, die haben schon Recht damit. Der Bezirksberat ist eine sehr wichtige Institution. Ich schätzte den ungemein. Die Leute, die dort sind, sind informiert und engagiert. Es ist natürlich gut, wenn sie die Übersicht haben, was die Zusammenhänge sind, wo man sich vielleicht in die Quere kommt. Aus zeitlichen Gründen, weil es vielleicht noch andere Veranstaltungen gibt o.Ä. Das einfachste wäre es einfach anzumelden damit sie sich einbezogen fühlen. Dann kann man auch Werbung machen. Das ist ja nicht gegen die. Und wenn es unter der Hand läuft ist es wie wenn man in seine WG Leute einlädt, ohne seinen Mitbewohnern zu sagen, dass jemand kommt. Du warst dann ja auch der Verantwortliche oder? Ja, das ist offensichtlich, wenn man guckt wer die Facebookveranstaltung erstellt hat und wer die Presse darüber informiert hat. Die Polizei ist immer cool. Wenn man eine Veranstaltung anmeldet kommen die normalerweise. Es gibt ja Streifen 15  Tinder ist eine kommer­ zielle Mobile-Dating-App, die das Ziel hat, das Kennen­ lernen von Menschen in der näheren Umgebung zu er­ leichtern. Sie wird zur Anbah­ nung von Flirts, zum Knüpfen von Bekanntschaften oder zur Verabredung von unverbind­ lichem Sex verwendet.

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Interview

Johannes Heynold

und die haben in ihrem Kalender stehen, dass da was stattfindet. Dann kommen die vorbei, schütteln dir die Hand, geben dir ihre Karte, dass du sie persönlich an­ rufen kannst. Ab 70 Leuten hat man es dann auch nicht mehr unter Kontrolle. Wenn irgendwas eskaliert, ist es gut wenn die Polizei darüber bescheid weiß und nicht überrascht ist, was da 70 Leute machen. Diese Veranstaltungen sind auch so offen und angenehm, dass dir keiner was böses will. Das ist so die Geschichte. Und bezüglich des Speed-Datings: das fand das erste mal statt, weil ich Single war und darauf angesprochen wurde. Das zweite mal weil ich angeschrieben wurde. Dann wurde ich nochmal angeschrieben und da hat das japanische Fernsehen eine Dokumentation über Staffeln gemacht. Also es gibt einen Beitrag von mir mit japanischen Untertiteln. Die haben so eine einstündige Serie auf NHK 16, das ist eine Art ARD in Japan, wo sie irgendwelche Themen beleuchten. Die fahren auch nach München um da was zu machen und der Redakteur sitzt in Berlin. Witziger­ weise kennt ihn eine Kollegin von mir, weil sie mal in Berlin mit ihn ein Bier getrun­ ken hat. Über die Nachbarschaft, wo ich war, habe ich erfahren, dass die einen Platz bespielen, der zwischen zwei Staffeln liegt, auf der Sängerstaffel im Kerner­ viertel 17. Die haben mir gesagt, dass das Fernsehen kommt. Ich habe mich riesig gefreut, da ich für ein dreimonatiges Praktikum in Tokio war. Dann bin ich extra nach Stuttgart gefahren und habe das Speed-Dating angemeldet. Es kamen zwei Leute, eine engagierte Frau aus Böblingen, die bei den Grünen ist und auch schon mal das Reallabor verfolgt hatte. Sie wollte das Konzept für Böblingen überneh­ men, dass sich die Leute neu kennenlernen. Die andere fand das Konzept auch spannend und hat sich überlegt, es weiterzuführen. Dann kam noch einer von Un­ sere Zukunft 18 Um sich das Format anzugucken. Daraus sind drei Sachen entstan­ den. Der Steffen von Unsere Zukunft Hat das Format adaptiert für den Lokalwahl­ kampf von der Kommunalwahl, um auf den Staffeln Politiker einzuladen, die die Bevölkerung daten konnte. Das wurde dann eine Woche vorher kommuniziert. Es war einer von der AfD dabei, CDU und Grüne. Die haben sich dann sozusagen an­ geboten, gedatet zu werden. Was auch geschickt gemacht war: die haben sich mit einem Telefon virtuell als Datingpartner angeboten und jedem der vor Ort war an­ geboten, sieben Minuten lang in einem Gespräch zu erzählen für was sie stehen. Das wurde auf Facebook hochgeladen. Sonst trifft man diese Leute ja nie, außer wenn man selbst ein Video dreht oder so. Damit hatten sie die Möglichkeit, ausge­ hend von diesem Format, dass man sich virtuell durchklickt und im Nachhinein da­ ten. Das fand ich super niederschwellig und super schön. Das war das eine, was passiert ist. Die Frau in Böblingen wollte das auch gerne machen und hat zum ers­ ten Böblinger Speed-Dating eingeladen, wo aber nur 20 Leute waren. Dann gab es noch die dritte Person, die überlegt hatte das selbst zu machen und ich wollte sie da ranführen. Wir haben auch noch ein bisschen Spendengeld, was darauf wartet wieder zum Einsatz zu kommen, also wenn du möchtest dann gäbe es da was. Es gibt noch die Sitzkissen, zwei Blöcke und Tischplatten und noch ca. 200 Euro an Geld was man investieren kann. Das ist super. Wenn du noch Leute kennst die Lust darauf haben, dann kannst du mir gerne bescheid sagen. Ja. Also der Ablauf ist relativ einfach. Man braucht Ort und Zeit. Eine Glocke ist nicht schlecht. Und Getränke. Wulle sponsert gerne. Es gibt da so einen Wulle19 Kontakt. Und du bist auch Mitglied bei Stadtlücken 20 habe ich gesehen. Ja. Stadtlücken sind die besten. Leider habe ich meinen Stadtlücken Fanschal nicht dabei. Was mir noch einfällt es gab noch so eine Initiative, die heißen Ich bin kein Freier weil. Das ist von vier sehr engagierten Frauen, die wollten das in der Nähe vom Olgaeck auf einer Staffel zum Thema machen. Es war angedacht, ob man mal ein Speed-Dating zu einem Thema macht. Das hätte ich auch schön 16  Die Nippon Hōsō Kyōkai, auch im Japanischen mit den lateinischen Buchstaben NHK abgekürzt, ist die einzige öffentlich-rechtlich organi­ sierte Rundfunkgesellschaft in Japan. Sie betreibt mehrere landesweite Fernseh- und Hörfunkprogramme und einen umfangreichen Auslands­

dienst namens NHK World 17  Das Kernerviertel ist ein Stadtteil im Osten Stuttgarts. 18  Unsere Zukunft ist eine politische Initiative, die sich für eine lebendige Zivilgesellschaft einsetzt und junge Menschen für politische Themen gewinnen möchte. 19 Biermarke

20  Stadtlücken ist ein ge­ meinnütziger Verein, initiiert von jungen GestalterInnen unterschiedlicher Disziplinen. Er wurde aus dem Bedürf­ nis heraus gegründet, das Bewusstsein für öffentlichen Raum und Stadterfahrung zu schärfen und ein digital­ analoges Netzwerk für das

gemeinsame Entwickeln einer lebenswerten Stadt zu fördern.

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Kap. 01

Interview

Johannes Heynold

gefunden bei dem Politiker Speed-Dating. Wenn genug Bürger dagesessen wä­ ren, dass man sich dazwischen mit denen zusammensetzt, sich austauscht und dann neue Fragen auftauchen. Staffeln sind von ihrer Anordnung ja im Prinzip sehr gut geeignet für Diskussionen usw. Ja das stimmt. Was auch eine Erkenntnis war: dass der Maßstab von den Staffeln total inter­ essant ist. Das heißt die Geschwindigkeit, in der man langläuft ist nicht hoch. Man kann den Leuten ausweichen, aber man hat noch einen Augenkontakt. Die Staffeln sind ja auch super gefasst. Links und rechts gibts Hecken, manchmal noch Bäume drüber. Es gibt einen klaren Anfang und ein klares Ende der Staffel und es ist anders als eine Straße. Das schafft eine an­ dere Vertrautheit. Es gab dann noch eine weitere Idee, die aufkam. Was ich spannend fand am schwarzen Brett war die Konstantheit. Es war eine Art von Infrastruktur. Als Architekt baut man Häuser nicht, weil man immer wieder Leute vor Regen schützen möchte und Wärme geben will, sondern, weil man das abhaken will und fertig. Und viele von den Interventionen waren Veranstaltungen. Man schafft es Menschen zusammenzubringen, aber nur, wenn man einlädt, einen Anlass bietet usw. Und das eigentlich Spannende ist, dass es sich ver­ selbstständigt. Das schwarze Brett hat so ein bisschen angedeutet, was funktionieren kann. Dieses Framing was man letztendlich schafft. Was auch Tinder super gut macht. Wenn du auf Tinder bist ist das Framing21, dass du die Leute kennenlernst. Bei den Begegnungen, die stattfinden ist es klar, in welche Richtung die gehen. Wenn wir uns im Supermarkt begegnen, keine Ahnung. Vielleicht hast du Bock auf ein Gespräch, vielleicht auch nicht. Das habe ich dann versucht zu replizieren mit dem Analogtinder auf den Stufen vom Marienplatz. Da hat­ te ich mit Kreidespray einen Bereich markiert. Da wollte ich nochmal sehen, was passiert, wenn man dieses Framing übernimmt. Beim Speed-Dating hat man dieses Framing mit der Zeit. Sieben Minuten war die Zeit. Ich hatte ja keine Ahnung also habe ich einfach nach Speed-Dating gegoogelt. Sieben ist irgendwie eine biblische Zahl. Ein Ursprung war, dass ein Rabbiner für seine Gemeinde dafür sorgen wollte, dass sich mehr Leute kennenlernen und dann heiraten. Sieben Minuten sind auch eine gute Zeit, weil bei zehn wird es dann schon länger. Da kann man noch die Zähne zusammenbeißen, auch wenn es scheiße ist. Und fünf Minuten sind ein bisschen zu kurz. Das Gute am Speed-Dating ist auch, dass man weiß, es geht weiter. Auf der Staffel rotiert es ganz klar in eine Richtung. Man kommt an und man versteht direkt, wie es funktioniert. Außerdem gibt es Vorteile im öffentlichen Raum. Es kostet keinen Eintritt, jeder kann teilnehmen und man kann im Notfall auch einfach weiter­ laufen. Man kann einen Spaziergang machen und man trifft auch auf andere Leute, die tat­ sächlich spazieren gehen und dann da vorbeikommen. Was noch ein Thema war, waren Toi­ letten. Oft gab es in der Nähe ein Restaurant, wo man hinkonnte oder eine WG. Am erfolgreichsten war es bei der Dobelstaffel. Es ist irgendwie auch eine anonyme Gesell­ schaft, in der sich auch andere, die am Rand stehen, sich kennenlernen. Ich habe dann auch mitbekommen, wie sich daraus Kontakte gebildet haben. Aber zurück zum Marienplatz. Da war ein Abschnitt auf den Stufen als Reallife Tinder markiert. Die Idee war, dass man in die Zone geht und dadurch signali­ siert, dass man bereit ist, Leute kennenzulernen. Dann kann man sich einfach daneben setzen und es bleibt ambivalent, wie davor. Die Stuttgarter Zeitung hat das dankend aufgenommen. Leider hat es nicht so richtig funktioniert. Abends hat man die Markierungen nicht richtig gesehen und es war den Leuten egal. Eine Freundin hat mir erzählt, dass sie von zwei Typen, welche das Konzept ge­ sehen hatten, angesprochen wurde. Es bietet dann mehr einen Anlass anstatt des Framings. Dieses Framing finde ich jedoch nach wie vor spannend. Inwie­ fern schafft man es aus der unvorhersehbaren Absicht des anderen auszubre­ chen? Ich hoffe, dass ich bald selbstständig bin, dann kann ich das alles erkun­ den und erforschen. Was waren die einfachsten Veranstaltungen, die du organisiert hast? Welche haben besonders gut funktioniert oder welche weniger gut? Hast du da vielleicht irgendwelche Tipps was man besonders beachten sollte? 21  Framing ist der Prozess einer Einbettung von Er­ eignissen und Themen in Deutungsraster. Komplexe In­ formationen werden dadurch selektiert und strukturiert aufbereitet, sodass eine bestimmte Problemdefini­ tion, Ursachenzuschreibung, moralische Bewertung und/

oder Handlungsempfehlung in der jeweiligen Thematik betont wird.

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Kap. 01

Interview

Johannes Heynold

Das Speed-Dating ist ein Selbstläufer geworden, was sehr gut funktioniert. Es gab dann auch welche, die immer wieder kamen. Am Ende als es 70 Leute waren, waren es eigentlich zu viele. Nach 20 Leuten hast du keine Ahnung mehr. Irgendwann willst du Ruhe. Es gab dann auch kein richtiges Ende, weil manche weitergedated haben, weil sie später kamen. Andere hatten sich schon um den Glühweintopf versammelt. Ich habe auch nie klar kommu­ niziert, dass die Leute sich selbst um Nummern kümmern müssen. Deshalb hat es auch ei­ nen pädagogischen Ansatz nach dem Motto: »Kümmert euch selbst um euer Glück.« Die Stuttgarter Zeitung druckt sowas gerne ab. Je früher du es ankündigt und auf Facebook postest, desto länger gibt es die Möglichkeit es im Kalender einzutragen. Die Pinnwand fin­ de ich auch interessant. Das ist wirklich nicht viel Aufwand, du brauchst nur einen Regen­ schutz, einen Zettel und einen Stift. Es ist auch immer ein Unterschied wo es stattfindet. In der eigenen Nachbarschaft wo man sagen kann, dass man auch dort wohnt oder woanders, wo man als Außenstehender hinkommt. Der Süden war 15 Minuten mit dem Fahrrad von mir zuhause entfernt. Am Ende war ich nicht mehr dort. Finde 21 Pandas war auch gut. Man sprüht da 21 Pandas hin und muss die finden. Wenn man genau schaut, gibt‘s manche im­ mer noch. Eine weitere Sache war ein Brett wo Dübel drin waren und man ein Seil spannen konnte. Das hat sehr gut funktioniert. Jedes mal als ich dort vorbeigelaufen bin, war etwas anderes da. Dann merkt man, dass tatsächlich Leute da sind, die mitmachen. Wie eine un­ sichtbare Anwesenheit. Das ist ein starkes Gefühl. Einmal haben wir auch Kreide hingelegt und am nächsten Tag war alles voll. Es war auch viel aufeinander bezogen. Wenn du eine Idee hast, wo man Geld braucht, dann frag die Bezirksbeiräte. Als die 70 Leute da waren hat­ ten wir einen Überschuss von 200 EUR. Alles Spenden. Und in Stuttgart haben die Leute Geld, die zahlen dir zehn Euro für zwei Glühweine. Nicht alle natürlich. Trotzdem finanziert es sich mit den Spenden fast immer. Und was auch super funktioniert hat war essen. Was auch hilft ist vorher zu kehren. Es kam ein Ehepaar vorbei, welches seit 20 Jahren dort gewohnt hat. Alles was es dafür gebraucht hat war eine Sitzgelegenheit und etwas zu essen. Das Speed-Dating musst du vorher ankündigen, aber wen da ein Tisch mit Essen steht, funktio­ niert das spontan. Wie kamst du eigentlich nach Stuttgart? Als ich nach Stuttgart kam, fand ich es schrecklich. Ich habe fast nur an der Uni gelebt, weil man super viel studiert und nicht so viele Leute kennenlernt. Dann hat man da seine Blase. Außerdem kommt man auch nicht so an die Leute vom Bachelor ran, sondern hängt eher mit den Neuen ab, die Stuttgart nicht kennen. Und mein Weg war Zuhause, Uni. Dazwischen war es auch nicht super schön.

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»Wenn Stuagert koine Stäffele hätt, no wärs koi Stuagert meh, no wäret seine Mädla net so schlank ond net so schee! Dia steile Stuagerter Stäffele, die haltet se en Schwong! Dia, wenn de nuff- ond ronderrutscht, do bleibscht jo röösch ond jong!« Willi Reichert

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Auszüge aus seinem Bericht zu seinem Pro­ jekt »Stäffele-Gallery« Realexperiment Stäffele-Gallery Dieser Bericht entstand im Namen des Projektkonsor­ tiums des Future City Lab_ Reallabor für Nachhaltige Mobilitätskultur der Universität Stuttgart Gefördert durch das Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg Zusätzlich gefördert durch das Umweltbundesamt

Die Idee Was wäre, wenn die Stuttgarter Stäffele nicht nur im Verborgenen existierten, sondern Orte für Sport, Bewe­ gung, Begegnung und kulturelle Events wären? Wenn sie zur Outdoor-Kunstgalerie werden oder dort abendliche Konzerte stattfinden? Wenn Sie als Vorbote aufzei­ gen, was mit einem anderen Mobilitätsverhalten auch in den Straßen von Stuttgart möglich wäre? Die gut 400 Stäffele im Stuttgarter Stadtgebiet bergen einzigartige Potenziale: Autofrei, oft von etwas wildem Grün umwachsen oder mit Brunnen verziert, bieten sie überra­ schende Abkürzungen und schöne Ausblicke über den Stuttgarter Kessel. Einige Stäffele sind jedoch durch rostige Geländer, brüchige Stufen oder fehlende Beleuchtung weniger anziehend. Andere sind unpraktisch, z. B. wenn Schienen für Fahrräder oder Kinderwagen fehlen. Das Realexperiment will durch phantasievolle Eingriffe neue Möglichkeiten bieten, die Stäffele zu nutzen und unseren Stadtraum mit anderen Augen zu sehen. Dadurch soll ein Kulturwandel in der Nutzung der Stuttgarter Stäffele angeregt werden: Angeleitetes sport­ liches Training auf den Stufen, Konzertevents, Gärtnern in den Randbereichen, künstlerische Installationen – vielerlei Aktionen sind denkbar. Denn Spaß an aktiver Bewegung durch attraktive Wege könnte nicht nur

die eine oder andere Autofahrt sparen, sondern macht auch fit und hält gesund. Erstes Konzept Das Narrativ der »Stäffele Gallery« fasste die Interven­ tionen zusammen und ermöglichte dem »Gallery-Besu­ cher« – den Anwohnern und Passanten – eine Reflexion des alltäglichen Stadtraums, der in seinem bestehen­ den Zustand scheinbar nicht mehr hinterfragt wurde. Gleichzeitig lud die Gallery zum Erkunden und zum Austausch in der Nachbarschaft ein. In einem Text, der an potenzielle Partner verschickt wurde, hieß es dazu:

1  Pablo Wendel gründete 2012 die Performance Elect­ rics gGmbH als Stromanbieter zur Produktion und Distribu­ tion von Kunststrom – Strom, der auf vielfältige Art durch und mit Kunst produziert wird. 2  Das Städtebau-Institut ist mit vier Lehrstühlen und Fachgebieten und über 40

Die Wirksamkeit der Maßnahmen sollte durch Beobach­ tungen des Nutzerverhaltens bewertet werden. Aus den daraus gewonnenen Ergebnissen sollten sich Handlungsempfehlungen für zukünftige Maßnahmen zur Nutzungssteigerung ableiten, sowie die Möglichkeit,

Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen das größte Institut der Fakultät Architektur und Stadtplanung und eines der w universitären Institute mit diesem Schwerpunkt in Deutschland.

»Die Stäffele sind ein Wahrzeichen Stuttgarts und dabei gibt es sehr schöne Treppen, aber leider auch welche, die nicht sehr zur Benutzung einladen. Das ist der Punkt an dem wir ansetzen wollen. Wir wollen diese Räume aufwerten, die Menschen dazu bringen ihre Umwelt und die Mobilitätsräume in Stuttgart weiter zu entdecken. Nun wie soll das geschehen? Wie der Name Gallery schon andeutet soll Kunst bzw. verschiedene Installationen zum Entdecken einladen. Beim Ablauf sollen immer zeitgleich 3 – 5 Stäffele ausgewählt werden, die in Fußreichweite zueinander liegen und dort temporäre Aktionen durchzuführen, um die Aufmerksamkeit der Bevölkerung auf verschieden Treppen und Stadträume zu lenken.«

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Kap. 02

Realexperiment eine nachhaltige Mobilitätskultur zu vermitteln. Der ausführliche Seminarbericht ist angehängt. Die Auswertung des Nutzerverhaltens liegt nun mit dem dritten Kapitel dieses Berichts vor. Die Handlungsempfehlungen sind in einem »Kochbuch für die Stadt« zusammengefasst. Kontakt zur Zivilgesellschaft Im Rahmen des Reallabor für nachhaltige Mobilitätskul­ tur wurden die Studierenden an einem Markt der Ideen mit zivilgesellschaftlichen Akteuren in Kontakt gebracht. In diesem Austausch sollten bestehende Initiativen mit ihrem Praxiswissen vom Fachwissen der Studieren­ den profitieren und andersrum. Allerdings gingen beide Seiten mit konkreten eignen Projektideen in die Gespräche. Hierbei umfasste die Erwartungshaltung weniger die Unterstützung eines anderen Projekts, als die Weiterarbeit und Umsetzung an der eigenen, bereits vorhandenen Idee. Im Gespräch mit bestehenden Initiativen fand sich kein Partner, mit dem das Projekt der Stäffele Gallery hätte zusammen weiterentwickelt und umgesetzt werden können. Weder im Bereich der Wechselwirkungen von Stadträumen, Mobilitätsräumen und sozialen Räumen gab es Ansätze, noch gab es von Seiten der zivilgesellschaftlichen Akteure Ideen zur Steigerung der Fußgängerfreundlichkeit in Stuttgart. Das gleiche Problem hatten auch andere Studierenden-Grup­ pen, die mit dem Fokus auf Fußgängern ebenfalls keinen Partner finden konnten, sich aber untereinander zusammenschlossen. Letztendlich fand während dem Markt der Ideen ein Gespräch mit einem Vertreter der Kunstgruppe »Performance Electrics«1 statt, die sich eine Installation auf den Staffeln vorstellen konnten. Der Kontakt wurde aber im Folgenden nicht weiter verfolgt. Im Anschluss an den Markt der Ideen schrieb das Team der Stäffele-Gallery weitere Akteure aus dem Stäffeleund Kultur-Feld in Stuttgart an. Daraufhin bekundete ein Wanderführer mit Stäffele-Touren und ein Kurator eines großen Stuttgarter Kunstmuseums Interesse an dem Projekt und einer Unterstützung. Wie die Zusammen­ arbeit aussehen könnte wurde dabei aber nicht konkret. In der Jury-Sitzung zur Auswahl der Projektförderung, die drei Wochen nach dem Markt der Ideen stattfand, konnte der Entwurf der Stäffele Gallery trotz fehlender Partner aus der Zivilgesellschaft den Publikumspreis gewinnen. Mit Zustimmung der Jury erhielt das Projekt wie auch die fünf anderen ausgewählten Projekte eine Förderung von 5000 EUR. Ausarbeitung nach der Jury-Sitzung Auf Grund einer fehlenden Trägerschaft aus der Zivilge­ sellschaft, wurde beschlossen, das Projekt der »Stäffele Gallery« am Städtebau Institut der Universität Stuttgart2 anzugliedern. Wegen des ähnlichen Charakters empfahl die Jury eine Zusammenarbeit mit dem Parklet-Projekt. 3  das Evaluieren, sach- und fachgerechte Bewertung 4  Das Theater Rampe ist ein Produktionshaus für zeitgenössisches Autor*innen­ theater, Performance, Tanz und Populärmusik.

Johannes Heynold Zusammen sollten beide Projekte im kommenden Semester als Entwurfsformat für Studierende angeboten werden. Das Seminar Stadtraum - Stauraum - Lebensraum lief nach der Jury-Sitzung noch bis Semesterende weiter. Studierendengruppen, deren Vorschläge bei der Jury-Sitzung keine Förderung erhalten hatten, verteilten sich auf die geförderten Projekte. Gemeinsam mit den dazu gestoßenen Studierenden erarbeiteten Johannes Heynold und Denis Fuchs gemeinsam einen Zeitplan zur Umsetzung der Stäffele Gallery. Als schrift­ liche Ausarbeitung sollte der Zeitplan zusammen mit den Evaluationsmethoden3 die Ausgangslage für die weitere Planung bilden. Auf Grund unklaren Parameter, wie das Projekt weiter laufen könnte, blieb die Ausarbeitung aber an vielen Punkten vage. Unter den Studieren­ den fehlte es an einer Übernahme der Verantwortung für das Projekt über das Seminar hinaus. Als klar wurde, dass auch bei einer Fortführung durch die Studierenden über das Seminar hinaus die 5000 EUR genutzt werden konnten, übernahm Johannes Heynold die Verantwortung für das Projekt und damit die Möglichkeit, das Geld nach seinen Ideen einzusetzen. Somit erhielt das Projekt durch die Zuweisung der Finanzmittel einen Verantwortlichen und einen klaren Rahmen, mit dem weitergearbeitet werden konnte. Nach Semesterende fanden gemeinsame Treffen mit dem Parklet- und dem Parkingday-Team statt, um mögliche Orte in der Stadt und Paten für die Parklets auszuwählen sowie Inhalte für die gemeinsame Lehrveranstaltung zu entwickeln. Im Fall der Stäffele Gallery sollte die genaue Wahl der Staffeln dabei den Studierenden und ihrem Interesse überlassen bleiben. Im Laufe des Semesterentwurfs wurde auf Grund der geringen Zahl von Studierenden beschlossen, den Fokus im Semester auf das Parklet-Projekt zu legen. Um das Realexperiment der Stäffele Gallery dennoch durchführen zu können, wurde entschieden nach Semesterende eine Summer School zu veranstalten. Auftaktveranstaltung Noch vor dem Semesterbeginn fand am 3. April 2016 die Auftaktveranstaltung des Reallabors für nachhaltige Mobilitätskultur statt. Johannes Heynold präsentierte die Stäffele Gallery auf den Stufen am Eingang des Theater Rampe4, in dem am Nachmittag einig Vorträge und eine Diskussion zur Zukunft der Mobilität in Stuttgart stattfanden. Nach der Diskussion kam Johannes mit einem Mann ins Gespräch, der während der Fish-Bowl-Dis­ kussion um eine Million Euro zur Entwicklung eines Rollstuhls warb. Dieser Rollstuhl hätte auch Treppen und Staffeln befahren können. Aus dem Kontakt ergab sich aber auch auf Rückfrage nichts. Insgesamt schien der Nutzen der Veranstaltung für das Projekt der StäffeleGallery gering. Dies lag vor allem an den fehlenden Planungen und Ideen, wie die Veranstaltung und die Besucher für die Stäffele Gallery hätten gewonnen werden können. Schon im Zeitplan hätte hier ein Fokus gelegt werden sollen. 075


Kap. 02

Realexperiment Gebietsauswahl Da der Rahmen der einwöchigen Summer School zu knapp für den Beantragungsprozess einer Genehmi­ gung durch das Amt für öffentliche Ordnung der Stadt Stuttgart war, wurden die Staffeln für die Studierenden im Vornherein ausgewählt und beantragt. Während der Summer School sollte dann nur noch die entworfenen Installationen mit dem Amt für öffentliche Ordnung abgesprochen werden. Gründe für die Auswahl der Staffeln waren dabei eine gute öffentliche Anbindung und eine »gefühlte«, bzw. räumlich assoziierte Zugehörigkeit des Gebiets zur Stadt Stuttgart. Die Wahl fiel dabei auf den Stadtteil Stuttgart-Süd, da er durch seine Topografie eine Vielzahl von Staffeln aufweist und sich auch in der sozialen Struktur je nach Staffel deutlich unterscheidet. Die ausgewählten Staffeln sollten in Fußläufigkeit zueinander liegen und den Besuchern dadurch die Möglichkeit geben, alle Installationen und Teilexperimente in einem Spaziergang zu besuchen. Gleichzeitig vereinfachte die Nähe zueinander aber auch die Logistik während der Summer School. Der Bezirksvorsteher für Stuttgart-Süd schlug in einem Gespräch den Stadtteil Kaltental vor. Nach einer Besichti­ gung schien dieser aber im Charakter zu fern von Stuttgart. Letztendlich viel die Entscheidung auf das Quartier Heslach, das eine Stadtbahn-Station vom Marienplatz entfernt ist. Bei der finalen Auswahl der Staffeln wurde auf eine Vielfalt von Typen geachtet, um die Ergebnisse auf eine breite Zahl von Staffeln übertragen zu kommen. Ankündigung im Bezirksbeirat Aus den Erfahrungen der Parklet-Genehmigung hatte das Reallabor gelernt, dass eine Zustimmung für Projekte im Stadtraum durch den Bezirksbeirat nicht nötig, aber durchaus hilfreich ist. Deshalb stellte Johannes Heynold im Beisein von Raphael Dietz das Stäffele Projekt am 12. Juli im Bürgersaal Kaltental unter dem Tagesordnungspunkt 9 vor. Er lautete: »Stäffele-Galerie«. Information und Aussprache zu einem Projekt des Reallabors für nachhaltige Mobilitätskultur der Universität Stuttgart. Das Projekt wurde wohlwollend aufgenommen und im Gespräch mit den Bezirksbeiräten konnten weitere Anknüpfungspunkte gesammelt werden. Die Ankündigung der Stäffele Gallery bei den Anwohnern durch Briefkasteneinwürfe wurde ebenfalls begrüßt. Lediglich von Seiten eines Bezirksbeirates wurden Unverständnis über das als »Bespaßungsaktion« verstandene Projekt geäußert, ohne aber gegen das Projekt zu stimmen. Insgesamt war die Präsentation durch das anschließende Gespräch mehr als nur Pflichterfüllung, sondern lohnte sich auch wegen der gewonnen lokalen Kontakte und Hinweise zu möglichen Räumen und bestehenden Init5  Stadtlücken ist ein ge­ meinnütziger Verein, initiiert von jungen Gestalter*innen unterschiedlicher Disziplinen. Er wurde aus dem Bedürf­ nis heraus gegründet, das Bewusstsein für öffentlichen Raum und Stadterfahrung zu schärfen und ein digital­

analoges Netzwerk für das gemeinsame Entwickeln einer lebenswerten Stadt zu fördern.

Johannes Heynold iativen. Anmeldung beim Amt für öffentliche Ordnung Im nächsten Schritt nahmen wir den Kontakt mit dem Amt für öffentliche Ordnung auf und meldeten das Projekt auf den Staffeln an. Da uns die unbekannten Ideen der Studierenden noch keine feste Planung für einen spezifischen Antrag erlaubten, bot uns das Amt für öffentliche Ordnung einen Gesprächstermin mit den Studierenden an. So konnten wir die Genehmigung nach der Vorstellung der Studierenden-Ideen im direkten Gespräch mit den Mitarbeitern des Amts für öffentliche Ordnung erhalten. Dieses Vorgehen sollte sich als äußerst effizient herausstellen. Facebook Die Facebook-Seite wurde angelegt, um eigenständig auf der Plattform präsent zu sein und nicht auf private Accounts angewiesen zu sein. Gerade durch die Verknüp­ fung zu den Facebook-Seiten anderer Initiativen aus dem Bereich Stadtgestaltung wie Stadtlücken5, Parklets oder dem Reallabor aber auch der lokalen SPD-Seite konnten Synergien bei der Verbreitung von Informatio­ nen erreicht werden. Darüber hinaus boten FacebookGruppen wie »Stuttgart for free« mit 23.000 Nutzern eine gute Möglichkeit, kostenlose Veranstaltungen zu bewerben. Das gleiche gilt für die Seite »Geheimtipp Stuttgart« mit knapp 90.000 Followern, die allerdings auch bei unseren bereits kostenlosen Veranstaltungen noch Preise für ein Gewinnspiel erwartete. Auf der offiziellen Seite der Stadt »Stuttgart – meine Stadt« mit über 70.000 Followern wurde ein kurzer Beitrag gepostet, der in den Kommentaren aber nur zu einer unsachlichen Diskussion über Studierende führte. Hierbei wurde deutlich, dass es nicht um das Projekt oder die Erfahrungen von Anwohnern ging, sondern scheinbar lediglich um Selbsdarstellung und Kritik nur des Kritisierens wegen. Zum Ende des Projekts zählte die Facebook-Seite der Stäffele Gallery 270 Follower. Entgegen der Website, ist das Format von Facebook auf kürzere Beiträge und Ankündigungen ausgelegt, die weniger Zeit brauchen und leichter mit anderen zu teilen sind. Die Website bietet sich dagegen eher als Nachschlagemöglichkeit und Archiv an. Auch nach dem Projekt wird die FacebookSeite weitergeführt um Aktionen anderer Initiativen, wie die Ausstellung des Vereins »Casa Schützenplatz«, zu bewerben, aber auch um für zukünftige Veranstaltun­ gen der Stäffele Gallery anzukündigen. Postkarten / Flyer Um über das Projekt der Stäffele Gallery zu informieren, zur Einladung zum gemeinsamen Essen und zur zielgerichteten Befragung der Anwohner an den ausgwähl­ ten Staffeln, wurden vor Beginn der Summer School für jede Staffel 100 individuelle Postkarten eingeworfen. Darüber hinaus wurden Flyer zur Verbreitung des Projekts viel zu spät eingesetzt. Aus den Erfahrungen entstand der Eindruck, dass es ortsgebundenen Installatio­ nen gut tut, wenn sie der Besucher nicht komplett zurück lassen muss, sondern ein physisches Stück zur Erinnerung mitnehmen kann. Flyer würden hierfür eine gute 076


Kap. 02

Realexperiment Möglichkeit bieten. Stadtraum / Anwesenheit Als wirkungsvollste Maßnahme zur Wahrnehmung und Kommunikation des Projekts kann die Anwesenheit im Stadtraum gelten. Nicht nur geplanten Veranstaltun­ gen, auch schon die Vorbereitung der Installationen zeigte Erfolg. Im direkten Kontakt waren Anwohner interessiert und stellten Fragen. Es entstanden Gespräche und auch ein gegenseitiges Vertrauen. Eine aktive Anwesenheit, bei der der Stadtraum für Passanten und Anwohner wahrnehmbar genutzt wird, kann somit als gute Methode für die Ansprache der Nachbarn allgemein gesehen werden. Hier könnten öffentliche Projekte auch in anderen Bereichen anknüpfen. Presse Von der Presse wurde das Projekt positiv aufgenommen. Der Fokus lag dabei aber vor allem auf dem »Studenten Projekt«, was die eigentliche Intention der zivilgesell­ schaft-lichen Forschung überdeckte. Der erste Artikel spach von Schätzen, sehr praktisch, hebt hervor, dass das Projekt (der Jury) »gefiel« und »gefördert« wird und schließt sich somit dem positiven Tenor an. Der Aufent­ halt und Austausch auf den Stufen wird positiv wahrge­ nommen. Zu Eröffnung schreibt die Stuttgarter Zeitung von einem „heimeligen Gefühl“ und »romantischem Flair« und bezieht zum malerischen Ausblick auch den autofreien öffentlichen Raum ein. Die möglichen Aktivitäten »Dinner, Plausch oder Ausruhen« klingen positiv. »liebevoll eingerichtet«, «an alles gedacht darf bewoh­ nen«, »Die nachhaltige Denkweise kommt bei den Bürgern gut an«, »Den Bürgern hat die Atmosphäre im Freien zugesagt.« schwärmende Besucher, die gut finden, das der alltägliche Trott aufgebrochen wird. Zum Ende titelte die Stuttgarter Zeitung »Ein gutes Format zum Weitermachen« und endet mit meinen Worten »Wir machen nicht etwas für euch, wir machen etwas mit euch.« Zusätzlich veröffentlichte sie online einen Text der Deutschen Presseagentur (dpa), der relativ neutral auf das Projekt hinweist. Der gleiche Artikel ist zudem bei den lokalen Seiten von Welt.de, Focus online, Schwäbische.de, dem Böblinger Bote und tagblatt.de erschienen. Die Südwest-Presse dankt den installierten Sitzgelegenheiten für die Möglichkeit zum Treffen ohne Veranstaltungen, gibt ansonsten aber nüchtern die Ergebnisse und meine Darstellung der nur auf Facebook kritischen Kommentare wieder. Auf der Onlineseite von »dasDing Stuttgart« wurde das Projekt als eins von »12 Dingen, die du im Sommer in Stuttgart machen musst« gelistet. Der dazugehörige Text spricht von »wahre[n] Chill-out-Areas« Die SWR-Landesschau titelt auf ihrer Webseite »Die Stäffele werden zum Treffpunkt« und würden entdeckt. Sie spricht von 6  Hockete, Hocketse, Hocket oder Hock, Höck, auch Höcke oder Höcks, bezeichnet im alemannischen und schwäbischen Sprachraum ein gemütliches Beieinandersit­ zen zu geselliger Unterhaltung, sodann in Südwestdeutsch­ land spezifisch ein Dorffest.

Johannes Heynold »neu belebten Stäffele«, »gemeinsam genießen« und »wunderbaren Rückzugsorte[n]«. Direkter Kontakt Im direkten Kontakt vor Ort war das Feedback bis auf drei Anwohner positiv oder neutral. Ich begegnete etwa 10 Menschen und einer betreuten Kindergartengruppe, die das Projekt positiv wahrnahmen. Einige hatten die Artikel aus dem Amtsblatt oder der Stuttgarter Zeitung ausgeschnitten und waren extra für das Projekt nach Heslach gekommen. Für viele Stuttgarter sind die Stäffele ein Identitätsstifter. Von zwei Anwohnern, die die Kehrwoche erledigen mussten, wurde Kritik am Projekt auf Grund von Aufenthalt unbekannter Personen und der resultierenden Mehrbelastung durch Glasscherben und Müll geäußert. Außerdem wurde von nächtli­ chem Lärm gesprochen, den ich selbst zu keinem Punkt nachvollziehen konnte. Bei einem direkten Kontakt mit diesen Anwohnern überwog die Skepsis gegenüber dem Projekt. Auch in den von der Studentin geführten Interviews mit Passanten waren von 28 Kommentaren 16 klar positiv und fünf negativ. Bedenken wurden vor allem in Bezug auf die Witterungsbeständigkeit der Installatio­ nen geäußert. Irritiert zeigten sich Besucher nur an der als Trainingsraum angekündigten Elterstaffel, die aber keine sichtbaren Veränderungen aufwies. Von den interviewten Personen hatten dreiviertel von dem Projekt gehört. Die Installationen genutzt zu haben gaben 14 von 25 an. Von den 28 Befragten besuchten mit elf weniger als die Hälfte die Installationen auf anderen Staffeln. Eine Verknüpfung fand dadurch nur in geringem Umfang statt. Indirekte Kommunikation vor Ort/ Feedback- wände Das über die Wünsche-Wand weitergegebene Feed­ back war weitgehend auf private Wünsche bezogen, vier Nennungen bewerten das Projekt aber direkt positiv. Auf der Pinwand bedankten sich acht Besucher für das Projekt. Nach Ankündigung zu Verlängerung und Projektende drückten zwei Kommentare ihr Bedauern aus. Ein Kommentar beschrieb das Projekt etwas abstrakt als »Ergebnis von G8 und Volksabitur«, ohne seine Kritik konstruktiv einzuordnen. Außerdem wies ein gestalteter Aushang auf die Behinderungen der beweglichen Liegestühle hin, worauf wir als konstruktive Kritik direkt reagieren konnten. Angenommen wurde auch das Angebot mit Kreide auf eine Stützwand aus Beton an der Taubenstaffel zu schreiben. Kommentare zum Projekt wurden hierbei aber nicht geäußert. Weniger angenommen wurde die Tafelfläche an der Finkenstaffel. Hier wurde lediglich Fra- gen zum Veranstaltungsort der Finnisage und »Sport im Park« gestellt. Fazit Realexperiment Stäffele Gallery Der Schwerpunkt der Stäffele Gallery hat sich während des Projekts von einem Wandel der nachhaltigen Mobilitätskultur hin zu einer Stärkung der Nachbarschaft unter Berücksichtigung des Mobilitätsverhaltens einwi­ ckelt. Dies resultierte aus dem entstandenen Eindruck, dass es zuerst ein Gefühl für Gemeinschaft und Mit077


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Realexperiment einander bedarf, bevor wir unser eigenes Mobilitätsver­ halten in einem größeren Rahmen betrachten können. So äußerte ein Anwohner der Witthohstaffel zum Beispiel, dass er gerne an den autofreien Staffeln wohne. Selbst besaß er aber ein Auto, welches er in einer anderen Straße parkte, zu deren Bewohnern er keinen Kontakt hatte. Während einem Gespräch mit autobesitzenden Anwoh­ nern auf dem Casa-Parklet am Schützenplatz wurde ebenfalls Verständnis für mehr gemeinsamen Stadtraum geäußert und das Beisammensein positiv beschrieben. Sobald das Gespräch zum eigenen Auto kam, wurde die Diskussion aber sehr aus der eigenen Sicht geführt. Im Dialog mit offensichtlich angenehmen Anwoh­ nern ohne eigene Autos führte dies zu einer verstärkten Rechtfertigung des eigenen Handelns. Der konkret erlebte soziale Mehrwert führte in der starren Diskussion und dem gefühlten Anspruch auf einen Parkplatz in Teilen aber zum Einlenken. Es scheint so, dass erst wenn ich meine allgemeine Verantwortung gegenüber anderen Menschen erkenne, ich auch die Verantwortung für mein Mobilitätsverhalten im gesellschaftlichen Rahmen übernehmen kann. Oder ich kann sie bewusst an Forscher und Politiker abgegeben, damit sie entsprechende Maßnahmen zum Wohle des Gemeinwohls umsetzten. Fehlt mir der Bezug zu meinen Nachbarn und Mitmenschen, dann spielt auch bei meiner Mobili­ tät nur meine eigene Perspektive eine Rolle. Bevor wir über Mobilität reden, bedarf es folglich eines offenen Austauschs über die gegenseitigen Bedürfnisse, der langfristig auch in einem nachhaltigen Mentalitätswan­ del enden wird. Mobilität & Soziale Räume Bei der Auswertung der Kriterien zeigt sich deutlich das Potenzial der Staffeln als gleichzeitiger Mobilitätsraum und sozialer Raum. Die vorhandene Mobilitätsnutzung bildet eine wichtige Voraussetzung für ein niederschwel­ liges Zusammenkommen von Menschen. Wo diese Grundfunktion fehlt, wie etwa bei dem nachträglichen Workshop im Mehrgenerationenhaus, blieb die Beteiligung gering. Umgekehrt kamen bei den Hocketse6 auf den Staffeln auch ohne Einladung oder Ankündigungen Passanten ins Gespräch über Stuttgart und die eigenen Mobilität. Hier fehlte es allerdings am Weitblick die entstehenden Gespräche direkt in eine konstruktive Richtung zu lenken und zur Verstetigung zu nutzen. Das Projekt war hierbei noch zu sehr auf die Studierenden fokussiert. Im Austausch vor Ort wurde aber auch deutlich, dass der Wandel von Kultur, und damit auch der Wandel der Mobilitätskultur, eine soziale Basis braucht, auf der das eigene Handeln ein gesellschaftliches Gewicht bekommt. Dafür bedarf es eines aktiven und regelmäßigen Austauschs, den 7  Mit dem Projekt Salz & Suppe startete die Stadt Stuttgart eine innovative Form der Bürgerbeteiligung: An Stuttgarter (Ess-) Tischen wurden stadtweit Dialoge über soziale, kulturelle und räum­ liche Grenzen hinweg initiiert.

Johannes Heynold die alltäglichen Mobilitätsräume mit einer angemesse­ nen und offenen »Kommunikationsinfrastruktur« bieten können. Neben dafür vorgesehenen direkten Treffen, zeigten sich hierfür auch indirekte Angebote wie Pinnwand und Straßenkreide dienlich. Mit dieser Kommuni­ kationsinfrastruktur im öffentlichen Raum hat sich Johannes Heynold auch im Rahmen seiner Masterarbeit nach der Summer School beschäftigt. Imagewechsel & Bewusstseinsförderung Der langfristige Plan, die Stäffele als Identifikationssym­ bol für Stuttgarts nachhaltige Mobilitätskultur zu etablieren, erwies sich dagegen als zu hoch gegriffen. Die inhaltliche Verknüpfung der Interventionen auf den Staffeln mit den Vorteilen autofreie Stadträume bedurfte einer aktiven Erklärung. Quasi gar nicht stattgefunden hat die imaginäre Übertragung der »Stäffele-Qualitäten« auf »normale« Straßen. Das Interesse der Presse und den Stuttgartern an Stäffele-Themen war und ist aber allgemein hoch. Dies könnte bei einem gewollten Kulturwandel der Stadt Stuttgart ein Ansatz sein, die Thematik stadtspezifisch zu kommunizieren. Das zweite langfristige Ziel, die Staffeln als kurzer Wege im Bewusstsein zu etablieren, erwies sich als nicht notwendig. Bei Anwohnern waren sie allgemein bekannt und von anderen wurden sie für Spaziergänge genutzt. Ausschlaggebender zur Nutzungssteigerung scheint hier ein größeres Sicherheitsgefühl durch den Aufenthalt weiterer Personen, Einsehbarkeit und Sauberkeit. Statt bereits aktive Nutzer der Staffeln zu fragen, wäre eine vergleichende Umfrage abseits der Staffeln interessant gewesen. Verantwortung und Rollenverteilung Ohne den Punkt der Verantwortung explizit abgefragt zu haben, tauchte er während des Projekts aber immer wieder auf. Dies gilt z.B. für die Pflege der Staffeln allgemein. Manche Anwohner sahen die Verantwortung für die Pflege der Staffeln bei der Stadt, andere dagegen bei den Nachbarn und angrenzenden Unternehmen. Ohne klar vorhandene Rollverteilung war es schwierig, die Pflege durch einen bestimmten Akteur einzufordern oder sich der gemeinsamen Thematik eigenmächtig anzunehmen, ohne Gegenwind zu ernten. So wurde der Zustand zwar allgemein als verbesserungswürdig wahrgenommen, passiert war aber noch nichts. Hier könnte die Stadt aktiv auf die Bürger zugehen und ihnen die Freiheit zur Gestaltung des gemeinsamen Stadtraums und der damit einhergehenden Verantwortung und Pflichten übertragen. So oder so bedarf es eines expliziten gemeinsamen Ziels, wie die Staffeln gestaltet sein sollten, um dann im zweiten Schritt zu überlegen, wie und durch wen dieses Ziel erreicht werden kann. Bei unseren Installationen hatten wir die Anwohner vorher informiert und als Ansprechpartner die Verantwortung übernommen. Konstruktive Kritik im Experiment konnte so direkt verarbeitet werden. Eine Anwohnerin akzep­ tierte unsere Rolle als Stadtraumgestalter aber schlicht nicht und drohte in einem Telefonat mit mir den Sperr­ müll zu rufen. Nach dem Abbau der Installationen waren die ausgehängten Projekt-Eindrücke an ihrem Teil der 078


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Realexperiment Staffel als einzige abgerissen worden. Es scheint, als habe sie hier selbst die Rolle Stadtraumgestalterin nach ihrem Interesse übernommen, möglicher Weise entgegen dem Interesse anderer Anwohner. Dass die Bereitschaft gegeben ist, Verantwortung gemeinsame Güter zu übernehmen, zeigt sich in den genähten Kissenbezügen und dem abgedeckten Polstersessel. Um diese innerhalb der Nachbarschaft noch besser abzustimmen, bedarf es der bereits beschriebenen Kommunikation. Aus meiner Sicht scheint der Stadtraum ein gutes Abbild gemeinschaftlicher Verantwortungs­ strukturen zu sein. Wo ein Verantwortungs- und Zugehörigkeitsgefühl zu einer lokalen Gemeinschaft fehlt, stehen individuelle Interessen im Vordergrund. Im Fall der Staffeln und vieler Stuttgarter Straßenräume scheinen sie vor allem der eigenen Mobilität zu dienen. Ein ausgeprägtes Gemeinschafts- oder Verantwortungsgefühl für den öffentlichen Raum kann ich in Stuttgart nur selten wahrnehmen. Erst wenn die eigene Rolle in der Gesellschaft sichtbar ist und ich die Verant­ wortung für das eigene Handeln erkenne, kann ich diese Verantwortung bewusst annehmen und auch von anderen einfordern. Oder ich gebe sie aktiv ab. Dann muss ich mich aber auch mit fremdbestimmten Verän­ derungen abfinden. Beim Autoaufkommen in Stuttgart scheint es an diesem Bewusstsein zur eigenen gesellschaftlichen Verantwortung zu mangeln. Oder die Stuttgarter haben ihre Verantwortung gefühlt der Stadt übertragen und erwarten, dass sie sich um eine zeitgemäße Planung kümmert und lenkende Maßnahmen dazu einführt. Wenn dem so ist, scheint die Stadt von dieser Aufgabe überfordert zu sein und kommuniziert dies nicht. Oder die Stadt erwartet die Verantwortung bei den Bürgern, so dass sie pratisch bei keinem liegt. Der erlebbare, gemeinsame Stadtraum und besonders die charakteristischen Stäffele bieten dabei eine gute Ausgangslage, um sich nach dem Motto »think global, act local« auf kleine gemeinsame Ziele zu verständigen und wahrnehmbar zu gestalten. Der Schritt zu einer anderen (Mobilitäts-)Kultur scheint dann nur noch ein kleiner. Kulturwandel durch Straßenfeste Als besonders erfolgreich zum Austausch von Nachbarn haben sich offene Stäffele-Feste erwiesen. Dieser Austausch bietet sich für eine nachhaltige Stadtgestaltung und damit Unterstützung eines Mobilitätswandels auf Straßenebene an. Der aus dem durch die Universität initiierten Casa-Parklet entstandene Casa Schützenplatz e.V. ist dafür ein gutes Beispiel. Hieran ankünpfend sollten Maßnahmen zur einfachen aber häufig fehlenden Initiierung in der Nachbarschaft durch feste Institutionen wie die Stadt untersucht werden. Das Projekt «Salz und Suppe«7 erarbeitete dazu bereits Empfehlungen für die 8  Credit Points – auch Leistungspunkte genannt messen den Arbeitsaufwand („Workload“), den ein durch­ schnittlicher Student für sein Studium betreibt. 9 Paarprogrammierung, auch: Tandem-Programmie­ rung, ist eine Arbeitstechnik, die sich häufig bei agilen

Vorgehensweisen zur Soft­ wareentwicklung findet.

Johannes Heynold Verwaltungsebene. Allerdings liegt der Fokus hier mehr auf Treffen in privaten Wohnungen, als im öffentlichen Raum wie etwa bei Straßenfesten. Stadtraum als Medium Die große Beteiligung an interaktiven und offenen Formaten wie der Pinnwand und der Wünsch-Wand zeigen, dass der Stadtraum sich allgemein als niederschwelli­ ges Medium für produktive Prozesse anbietet. Voraus­ setzung sind hier Orte, die eine Interaktion zulassen und weniger Konzentration auf das Drumherum erfordern, wie etwa stark befahrene Straßen. Daraus entsteht die Frage, welche Gestaltungs- und Funktionselemente diese Nutzung noch erhöhen könnten. Führt man diesen Ansatz einer statdträumlichen Kommunikationsinfra­ struktur weiter, knüpft sich die Frage an, wie analoge Medien mit vorhandenen digitalen Plattformen zum Austausch im Straßenraum verknüpft werden könnten. Hierdurch könnten bereits vorhandene und öffentlich zugängliche Informationen wie die Neuigkeiten aus dem Kernerviertel auf der Facebook-Seite des Casa Schüt­ zenplatz im Stadtraum eine größere und einheitlichere Öffentlichkeit bilden. Verantwortung Kommunizieren und Anerkennen Solange sich niemand für den gemeinsamen öffentli­ chen Raum verantwortlich fühlt, dient er lediglich Individualinteressen, meistens zu Transitzwecken. Bei der Bildung einer richtigen Nachbarschaft wächst die übenommene Verantwortung für einander und damit auch für die Gestaltung und die Nutzung des Raums. Oder diese Gestaltung kann bei ihrer Kenntnis bewusst abgegeben werden. In der Projektlaufzeit hat sich deutlich gezeigt, dass die Verantwortung für die Staffeln nieman­ dem richtig bekannt sind und deshalb auch niemand Verantwortung übernimmt oder von anderen einfordern kann. Diese Unklarheit spiegelt sich direkt in der Gestaltung wieder. Was es bedarf ist eine gemeinsame Vorstellung, welchem Zweck der öffentliche Raum dienen soll. Daraus ergeben sich Verantwortungen für das Handeln aller Seiten. Diese einheitliche Vorstellung fehlt aber schon mangels Austausch. Indirekt zeigt sich in den Reparaturen der Kissen eine geteilte Idee, wie ein gemeinsamer Stadtraum aussehen kann. Diesen Einsatz gilt es zu fördern. Dafür gilt es zu untersuchen, wie weit eine klar kommunizierte Verantwortungsübergabe des Stadtraums durch die Stadt auf die Anwohner einer eigenen Gestaltung förderlich ist. Als Vorbild kann hier der Shared space gelten, bei dem alle Beteilig­ ten in Mobilitätsfragen aufeinander Acht geben. Dies kann durch eine Verantwortungsübergabe zur Stadtge­ staltung wie selbstgebauten Sitzgelegenheiten unter­ stützt werden. Wie beim Shared Space ist dafür eine ausreichende Wahrnehmung und Kommunikation unter den Teilnehmern wichtig. Eigene Wahrnehmung Aufgabenverteilung, Akteursrollen und Kommunikation Mein erster Kontakt zum Reallabor fand über ein Seminar im Rahmen meines Masterstudiums statt. Bis zum Ende des Seminars war mir nicht klar, was genau von 079


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Realexperiment mir erwartet wurde. Eine Wahrnehmung, die sich auch im Folgenden fortsetzen sollte und die im Reflexionsge­ spräch am Ende des Seminars auch von anderen Studierenden geteilt wurde. Wir hatten alle eine zu spezifische Erwartungshaltung, die mit der Projektstruktur nicht übereinstimmte. Dadurch stellten wir den Sinn unserer eigenen Arbeit so immer wieder in Frage. Zum Schluss war für die meisten Studierenden der primäre Sinn der Arbeit der Erhalt von Credit Points8. Für mich lag das daran, das mir die Schnittstelle von Seminar zum Gesamtprojekt nicht klar geworden war und ich mich nicht als ebenbürtiger Teil im Reallabor fühlte. Gleichzeitig wurde von mir aber in diesem Kontext eine Seminararbeit über das Seminar hinaus erwartet. Auch nach der Auswahl durch die Jury ging das so weiter. Bei der Betreuung als Semester-Entwurf fehlte die Abstimmung, wer für was genau verantwortlich war. Hier fühlte ich mich eher als Mitglied des Reallabors. Schwellenlos aus dem Seminar kommend erwartete ich aber immer noch eine stärkere Unterstützung. Es war nicht mein Eindruck, dass die Stäffele Gallery nun mein Projekt war, weil es das schon während dem Seminar nicht richtig war. Im Transformationsdesign-Workshop zur Erarbeitung der Erfolgskriterien legten wir eine Vielzahl von Methoden fest, deren Umsetzung und Zeitaufwand ich aber nicht einschätzen konnte. Scheinbar war ich aber neben der Organisation der Summer School auch für die Umsetzung der Analysemethoden verantwortlich. Diesen Sachverhalt formulierte für mich nur niemand explizit. Letztendlich fielen deshalb einige Punkte der Auswertung zu Gunsten der Projekt-Umsetzung weg. Insgesamt hätte ich mir ge­ wünscht, einen größeren Wissens- und Erfahrungsaus­ tausch mit den „professionellen Forschern“ zu haben und gemeinsam an der Evaluation zu arbeiten. In der ITBranche gibt es das Format des »Pair-Programming«9 wo ein erfahrener Kollege mit einem meist unerfahrenen zeitgleich an einem Skript arbeitet. So lernen beide kontinuierlich voneinander, anstatt das nur vereinzelt und allgemein eine Wissensübergabe stattfindet. Dies bedürfte aber wohl allgemein einer anderen Prozessge­ staltung. Was mir zudem fehlte war eine Zielvereinba­ rung, mit der Klärung, wer für was verantwortlich war. Dies gilt für meine eigene Rolle, als auch für die Rollen der anderen Akteure, um besser mit ihnen interagieren zu können. Wie sich während dem Gespräch mit der Begleitforschung herausstellte, fehlte es auch anderen Teilnehmern an einem festen, verknüpfenden Element. Dies hätte in einfacher Form schon ein gemeinsamer Google-Kalender sein können oder die Übernahme mei­ ner E-Mailadresse in den RNM-Newsletter, den ich erst nach dem Projektende der Stäffele Gallery entdeckte. 10  Zur Wissensgenerierung zählen Prozesse wie die externe Wissensbeschaffung (z. B. durch externe Berater), die Schaffung personaler und technischer Wissensnetz­ werke und die gemeinsame und individuelle Wissensent­ wicklung.

Johannes Heynold Gefühlt musste ich mir selbst viel erschließen, was den hervorgehobenen Netzwerkaspekt des Reallabors relativiert. Anspruch und eigene Fähigkeiten Nach Ende des Projekts stelle ich fest, dass mit das »Prozesswissen« im Vorfeld der Umsetzung gefehlt hatte und ich mich in einigen Punkten mangels Erfahrung schlicht überschätzt habe. Dazu gehört die Fähigkeit, ein Projekt zu koordinieren, bei dem ich die Teilnehmer (Studierenden) nicht kannte und ihnen gleichzeitig die Möglichkeit gab, frei und ausgiebig zu gestalten Hierdurch sind einige vorgesehen. Maßnahmen wie Kinderwagenschienen und Sportmöglichkeiten an den Staffeln untergegangen. Vor allem fehlte mir aber die Erfahrung für einen belastbaren Ablaufplan mit einer Priorisierung, bei dem ich mir selbst eine klare Koordina­ tionsaufgabe zugewiesen hätte. Viel zu häufig war ich der Lückenfüller zum Tischtransport, dem Abwasch des Geschirrs oder dem Transport von Material. Nach dem Ende der Summer School war ich als Folge der Belas­ tung erstmal eine Woche krankgeschrieben. Hier hätte ich mir gewünscht, dass Jemand aus dem Reallabor schon währende der Vorbereitung einen groben Blick auf meine Planung gehabt hätte, um mir z.B. zu einem fixen Ablaufplan zu raten. Experiment vs. Projekt Eine Schwierigkeit, in der ich mich während dem Projekt befand, war der Widerspruch zwischen Experiment und Projekt. Ein Experiment hat für mich fixe Parameter, die ich überprüfe und verändern kann. Hierbei ist ein Scheitern zum Erkenntnisgewinn mit falschen Parame­ tern als Probe im Gegensatz zu den richtigen Parametern für eine Vergleichbarkeit quasi erwünscht. Ein Projekt hat für mich dagegen primär keine Wissensgenerierung10 zum Zweck, sondern verfolgt ein Ziel, ohne dabei scheitern zu wollen. Es bedarf eines konstanten Anpassens der Parameter. Scheitern kann auch hier vorkommen, gilt es aber auch durch Verzicht auf Wissensgewinn zu vermeiden. Die gilt bei der Stäffele Gallery besonders, weil es sich bei den Nachbarschaften um Mensche handelte, die sich nicht auf ein Experiment eingelassen hatten. Gezieltes Scheitern als Gegenprobe ist nur mit einer gewissen Distanz zum Projekt und einer Laufzeit möglich, die eine Rückkopplung der Erkenntnisse zulässt. Damit scheint es aber wieder weniger ein Experiment zu sein, als Projekt mit einer Reflexionskomponente, die auch in der professionellen Steuerung von Prozessen keine Seltenheit ist. Nachhaltige Mobilitätskultur Neue Strategien im öffentlichen Raum bedürfen auch einer neuen Verteilung und Kommunikation von Rollen. Wichtig ist es hier, sich aktiv die Legitimation / soziale Akzeptanz in der Nachbarschaft einzuholen. Dies kann über die vordefinierte Rolle als Forscher über die Uni oder durch einen Beschluss des Bezirksbeirats gesche­ hen. Geschickter wäre aber eine direkte Klärung in der Nachbarschaft mit den einzelnen Anwohnern gewesen. Allgemein muss die eigene Verantwortung zur Umset­ zung von nachhaltiger Mobilität anerkannt sein. 080





















Vom Haupbahnhof über den Norden und den Westen nach Heslach von Harald Schukraft Zwölf Kilometer — für hartgesottene Wanderer gleicht die Strecke einem Katzensprung. Auf Asphalt, Beton und Granit ermüden die Füße allerdings schneller als auf federndem Waldbo­ den! Es ist deshalb keine Schande, wenn Sie unseren Weg, der auf eindrückliche Weise mit der Stuttgarter Topographie vertraut macht, in zwei oder drei Etappen unterteilen. Unsere Wanderung über Stuttgarter Stäffele beginnt am Nordausgang des Haupt­ bahnhofes. Der nach dem ehemaligen baden-württembergischen Minister­präsidenten und deutschen Bundeskanzler benannte Kurt-Georg-Kiesinger-Platz hat durch den Bau der Südwest-LB eine kräftige nordöstliche Begrenzung er­halten. Wir gehen in den ersten Innen­ hof der Süd­west-LB und dort auf der brückenähnlichen stählernen Rampe zur Straße Am Hauptbahnhof und über diese hinweg links um das Gebäude der Sparda-Bank zur Heilbron­ ner Straße. Nach deren Überquerung gelangen wir in die Jägerstraße. Das im Krieg vernichtete Haus Jägerstraße 18 be­herbergte einst das Hofkameral­ amt des Hauses Würt­temberg und diente bis 1933 als Wohnsitz von Herzog Philipp (II.) Alb­ recht und Herzogin Rosa von Württem­berg. Hier wurde der Herzog im Herbst 1933 von der Gestapo zu einem Verhör abgeholt und aus Stuttgart verwiesen. Die Herzogin folgte ihm we­ nig später mit den Kindern ins oberschwäbische Altshausen. Philipp Albrecht und Rosa sind die Eltern von Herzog Carl, dem heutigen Chef des Hauses Württemberg. Rechts neben Jägerstraße 12 gehen wir die Krie­gerstaffel hinauf zur Kriegerstraße. Ihre Be­ zeichnung rührt nicht von einem »tapferen Krieger« her, sondern höchstwahrscheinlich vom Kriegsberg oder von einem Personennamen. Die erste Erwähnug datiert von 1724. Rechter Hand im ehemaligen Haus Kriegerstraße 2 wur­de 1897 der Schauspieler Willy Reichert1 ge­ boren, da sein Vater Albert bei der Eisenbahn Maschinist war und hier in einer Dienstwoh­ nung wohnte. Wir gehen die Krieger­straße weiter bergan bis zur Straße Im Kaisemer. Der Begriff »Kaisemer« stammt von der Bezeich­nung »Kaisheimer Berg«, einem Weinberg, der einst dem Zisterzienser-Kloster Kaisheim gehörte und seit 1372 ur­kundlich belegt ist. Der Weg führt weiter nach links den Kaisemer hinauf und über die Treppenanlage zur Birken­ waldstraße. Rechter Hand der Straße Im Kaisemer befinden sich die Neubauten des so ge­ nannten »Postdör­fles«, das im Zweiten Weltkrieg weitestgehend zerstört wurde. Nur die bei­ den Flügelbauten an der Heilbronner Straße wurden wieder aufgebaut. Sie beherbergen heute ein Hotel. Beim Überqueren der Birkenwaldstraße (bitte Vorsicht, da kein offizieller Überweg!) erblickt man rechts die Erlöserkirche aus dem Jahre 1908 mit ihrem markanten Turm von Theodor Fischer.2 Am Haus Birken­waldstraße 42 B, finden wir die beachtenswerte Reliefdar­ 1  Willy Reichert war ein deut­ scher Komiker, Volksschau­ spieler und Sänger. 2  Theodor Fischer war ein deutscher Architekt, Stadtpla­ ner und Hochschullehrer.

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stellung eines Kindes. Jenseits der Birkenwaldstraße führt der Weg weiter über die Staffeln »Im Kaisemer«. Nach wenigen Schritten erreichen wir erneut die Birkenwald­straße. Links geht der Blick zum Chinesischen Garten an der Panoramastraße, einem interessanten Überbleibsel der Internationalen Gartenbauausstellung von 1993. Der Garten wurde vom Rosensteinpark hierher versetzt. Wir gehen die Birkenwaldstraße nach rechts bis zur Bushaltestelle, überqueren sie dort und gehen über die Treppe hinauf zur Einmündung der Straße Im Him­melsberg in die Wilhelm-Hertz-Straße. Gleich bei der Einmündung führt ein Staffelweg mit Holzgeländer rechts bergan. Auf einem fast verwunschen am Hang da­hinführenden Weg erreichen wir die Straße Am Kriegs­bergturm. Diese gehen wir nach links aufwärts bis zur Edu­ard-PfeifferStraße. Man kann nun einen Abstecher zum nur wenige Schritte entfernt liegenden Kriegs­ bergturm geradeaus machen. Dieser wurde 1895 vom Verschöne­rungsverein der Stadt Stuttgart e. V. als Aussichtsturm errichtet. Man kann den Weg auch direkt nach rechts fort­ setzen in die Eduard-Pfeiffer-Straße hinein. Wir kommen bald rechter Hand am Park der ehemaligen Villa Federer entlang, an deren Stelle nun mehrere »Stadtvil­len« errichtet wur­ den. Der Park wird immer noch vom alten Zaun umgrenzt. Nur wenige Meter sind es noch zum Eckgebäude an der Sehaderstraße. An seiner Fassade zur Eduard­-Pfeiffer-Straße liest man »Hackländer-Haus« und »ET SAXA CAVA«, was übersetzt bedeutet: Auch Felsen kön­nen hohl sein. Es stand einst an der Ecke Urbanund Uh­landstraße hinter dem Wilhelmspalais in Stuttgarts Zen­trum und war das Stadtpalais des Privatsekretärs von Kö­nig Karl3, Friedrich Wilhelm Hackländer4 (1816-1877), der vielge­ spielte Komödien verfasste, als Schriftsteller unge­heure Auflagen erzielte und als »Simmel des 19. Jahrhun­derts« bezeichnet wurde. Sein Haus errichtete. er ur­sprünglich 1859, und als die Allianz-Lebensversicherung zu Beginn des 20. Jahrhunderts den noch heute bestehen­ den Neubau plante, verkaufte sie das ehemalige Hacklän­der-Haus auf Abbruch. Der Ab­ bruch-Unternehmer, der die Bedeutung erkannt hatte, trug es Stein für Stein ab und baute es an der Schoderstraße als Nummer 7 wieder auf. Wir gehen weiter durch die Eduard-Pfeiffer-Stra­ße bis zur Helfferichstraße und die­ se nach rechts bis zur Birkenwaldstraße. Am Haus Helfferichstraße 8 ist am hochaufragen­ den Giebel ein schönes, farbiges Jugend­stil-Relief angebracht: ein Adler in seinem Nest, von Ranken umgeben. Das Haus entstand im Jahr 1906. In der Birkenwaldstraße gehen wir links weiter und sehen bald ein »Schwarzwaldhaus«, da­ neben ein sehr elegantes Haus mit zwei Rund-Erkern und Jugendstil­elementen, wie Wein­ ranken tragende Putten, Girlanden und Porträtmedaillons. Die beiden Häuser tragen die Nummern 125 und 127. Hinter Haus Nummer 135 geht es links die Staffel hinauf zur Straße »Im Schüle«. Dieser Name hat nichts mit einer »Kinderschule« zu tun, sondern ist schon 1312 urkundlich nachweisbar als Grundbesitz eines gewissen »Schühelin«. Dieser Perso­ nenname wandelte sich im Laufe der Jahrhunderte zur heutigen Bezeichnung. Wir gehen diese Straße nach links und zwischen Hausnum­mer 31 und 33 rechts in einen Privatweg, der im Winter nicht gestreut wird und der zu jeder Zeit auf eigene Ge­fahr (Vorsicht: sehr unglei­ che Stufen!) betreten wird. An der Parlerstraße angekommen, gehen wir nach links und ge­ nießen die Ausblicke zwischen den Häusern hindurch auf das Neckartal, den Sehurwald und an klaren Tagen sogar bis zur Schwäbischen Alb. Haus Nummer 52 in der Parlerstraße, eine moderne Stadtvilla, fällt wegen seiner zeitgemäßen Formen auf. Es wurde 1992 von Manfred Beck erbaut. An der Einmün­dung des »Tazzelwurms« gehen wir nach rechts, aber nicht in die Straße Am Tazzelwurm hinein, sondern den Feuer­bacher Weg hinauf. Der Name »Tazzel­ wurm« (eigentlich: Tatzelwurm) kommt von einem sagenhaften Kriechtier, das im Volksglau­ ben einiger Alpengebiete lebendig ist. Vor längerer Zeit befand sich auf dem Grundstück Nummer 17 eine Gastwirtschaft gleichen Namens, die wegen ihrer Aussicht und ihres Zibe­ ben-Mosts beliebt war. Wir gehen den Feuerbacher Weg aufwärts über zum Teil unbequeme, weil allzu niedrige, moderne Staf­feln. Es handelt sich dabei um einen uralten, schon seit Jahrhunder­ ten zwischen Feuerbach und Stuttgart be­nutzten Verbindungsweg. Am oberen Ende der 3  Karl Friedrich Alexander von Württemberg war von 1864 bis 1891 als Karl dritter König von Württemberg. In seine Amtszeit fällt der Beitritt Württembergs zum Nord­ deutschen Bund, der 1871 zum Deutschen Reich wurde.

4  Friedrich Wilhelm Hack­ länder war ein deutscher Schriftsteller.

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Staffel steht links eine Grundrisstafel der »Parkbebauung am Tazzelwurm«. Es handelt sich um die Häuser Nummer 4 bis 10 sowie um die Adressen Feuerbacher Weg 37 bis 45. Dieses nun mit Villen bebaute Gelände in einer der besten Wohnlagen Stuttgarts gehörte einst dem zu »märchenhaftem Reich­tum« aufgestiegenen Altkleider- und Alteisen-Händler Wolf, der bei älteren Stuttgartern als »Lumpenwolf« be­kannt war. Seine ausgebrannte Villa stand noch Jahrzehn­te nach dem Krieg geheimnisvoll in dem riesigen Park. Der Albrecht-Dürer-Weg, der von rechts einmün­det, gibt den Blick frei nach Osten, Richtung Sehurwald und Remstal. Bald taucht rechts das Haus Feuerbacher Weg 46 auf, das einstige Wohnhaus von Theodor Heuss. Der Altersruhesitz des ersten Bundespräsiden­ ten ist heute ein Museum (geöffnet Dienstag bis Sonntag 10 bis 18 Uhr). Das nächste Gebäu­ de, 1923 von Paul Bonatz etwas zurückgesetzt im Landhaus-Stil errichtet, ist das Wohnhaus von Familie Porsche. Wir gehen nach links, überqueren die Straße Am Tazzelwurm und biegen in die Straße Am Bismarckturm ab. Das fast schlossartige Anwesen mit der Nummer 58 auf der linken Seite hat Paul Bonatz5 1921 für den Fab­rikanten Fritz Roser6 errichtet. Haupt- und Sei­ tenflügel beherbergen heute die Novalis-Schule (Schule für Sprachgestaltung und dramati­ sche Kunst). Am Garten­tor des Hauses Nummer 45 steht »Bonatz-Haus«; hier hatte sich der berühmte Architekt seinen eigenen Wohn­sitz errichtet. An der Stelle, wo der Bonatzweg von rechts einmündet, hat man eine prachtvolle Aussicht, und es lohnt sich, ein paar Schritte auf die so genannte »Skiwiese« zu machen. Man sieht nach Norden in Richtung Feuerbach bis zum Asperg und zum Lemberg mit seinen Weinber­gen. Weiter reicht der Blick bis zum Hochhaus der Bau­sparkasse Wüstenrot in Lud­ wigsburg, zum Salonwald und an klaren Tagen bis zum Stromberg und zu den Heil­bronner Bergen. Geht man nur wenige Meter nach links, hat man einen Blick nach Süden fast über das gesamte Stuttgarter Tal. Der Bismarckturm, der sich an dieser Stelle erhebt, wurde 1904 im Auftrag der Studentenschaft der Techni­schen Hochschule Stuttgart von dem Bauge­ schäft Nagel gebaut. Wie alle anderen, fast identisch aussehenden Bis­marcktürme — es sind insgesamt über fünfzig an der Zahl - gehen die Baupläne auf den Architekten Wilhelm Kreis7 zurück. Der 20 Meter hohe Turm kann über 92 Stu­fen bestiegen werden (Öffnungszei­ ten: Ostern bis Ende Oktober samstags 15 bis 19 Uhr, sonntags 11 bis 19 Uhr, außer bei schlechtem Wetter) - ein unvergleichlicher Aussichtspunkt, der den Blick in alle Richtungen freigibt. Von hier geht es auf dem Serpentinenweg über die große Wiese hinab zur RobertBosch-Straße. Bereits im Jahr 1922 wurde der Straßenabschnitt zwischen Lenzhal­de und Parlerstraße zu Ehren des Stuttgarter Industriel­len und Mäzens Robert Bosch so genannt. Es war dies ein ungewöhnlicher Akt, da die Benennung zu Lebzeiten Boschs — er starb 1942 erfolgte. In der Robert-Bosch-Straße biegen wir sofort rechts in die Anzengruberstraße ab und gehen diese wie­der bergauf. Hinter der Grillparzerstraße ist das linke Haus mit seinen umlaufenden hölzernen Galerien bemer­kenswert, ebenso auf der rechten Seite das voll­ ständig aus Travertin errichtete Gebäude. An der Straße Am Bismarckturm wenden wir uns nach links und gehen gerade­aus weiter in die Straße Feuerbacher Heide. Die Feuerbacher Heide erlangte traurige Berühmt­heit in der Stuttgarter Stadtgeschichte, da hier am 27. Juni 1845 die letzte öffentliche Hinrichtung stattgefunden hat. Christiane Rut­ hardt hatte im April 1844 ihren Gatten, einen Goldarbeiter, mit Arsen vergiftet und war des­ halb zum Tode verurteilt worden. In der Chronik heißt es über die Enthauptung: »Die Zahl der Anwesenden war groß, doch die Haltung ruhig und ernst.« Bald erreichen wir das Anwesen Feuerbacher Hei­de 46 – 48, das ehemalige ViktorKöchl-Haus. Bis kurz vor dem Ersten Weltkrieg stand an dieser Stelle noch ein Bauernhof. Dieser musste damals dem Bau eines Hotels weichen. Nach dem Tode von Viktor Köchl hat­ te dessen Ehefrau Ida 1920 dem Verein für Kinderheime eine statt­liche Summe zur Verfü­ gung gestellt, mit der das ehemali­ge Hotelgebäude erworben und für ein neues Kinder­ krankenhaus umgebaut werden konnte. Zeitweise diente das Anwesen auch als Hotel und in der Nazi-Zeit als Freizeitheim für Auslandsdeutsche. Heute ist hier der Kindergarten der 5  Paul Michael Nikolaus Bonatz war ein deutscher Architekt, einflussreicher Hochschullehrer und Brücken­ gestalter. Er zählt neben Paul Schmitthenner zu den Haupt­ vertretern der Stuttgarter Schule und – international gesehen – zu den bedeu­

tendsten Architekten des Traditionalismus. 6  Fritz Roser war ein deut­ scher Lederfabrikant. 7  Wilhelm Kreis war ein be­ deutender deutscher Architekt in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Er wirkte als Direktor der Kunstgewerbe­

schule Düsseldorf sowie als Hochschullehrer an den Kunstakademien in Düsseldorf und Dresden.

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Freien Waldorfschule am Kräherwald untergebracht. Wir gehen direkt hinter der Einfahrt links in den Viktor-Köchl-Weg hinein und diesen hinunter über die Robert-Bosch-Straße hinweg bis zur Lenzhalde. Nach deren Überquerung gehen wir weiter abwärts durch den Salzmannweg, der bereits 1906 nach dem bedeutenden Thüringer Pädagogen Christian Gotthilf Salzmann (1744-1811) so benannt wurde, bis zur Hauptmannsreute und dort wenige Meter nach links und dann durch den Salzmannweg, bis wir wieder die Lenzhalde erreichen. Die Bebauung in diesem Bereich ist typisch für Stutt­ garts »Halbhöhenage«. Die meisten der Zwei-und Dreifamilienhäuser sind in den ersten drei Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts entstanden. Nach wenigen Schritten nach rechts sehen wir einige hochaufragende Mammut­bäume. Daneben stand das inzwischen abgerissene Haus des Schattauer-Verlages, einst ein bedeutendes Baudenk­mal der 1960er-Jahre. Unter der Gäubahn durch gehen wir den Herdweg abwärts bis zur Dillmannstraße. Das Haus Dill­ mannstraße 3 beherbergt heute die Akademie für Narur- und Umweltschutz Baden-Würt­ temberg. In dem 1901 erbauten, vom Krieg stark in Mitleidenschaft gezogenen Gebäude hatte der Journalist und Schriftsteller, der spätere erste deutsche Bundespräsident und Stuttgarter Ehrenbürger Theodor Heuss während der Zeit als Kult(us)minister von Württem­ berg-Baden 1945/1946 seinen Dienstsitz. Als die amerikanischen Emissäre zu ihm kamen, um ihn zu fragen, ob er das Amt in der neugebildeten Landesregierung annehme, trafen sie ihn beim Teppichklopfen an. Heuss antwortete: »Ja, wenn Sie mir Für ein Dienstmädle sor­ gen.« ln der Dillmannstraße 15 finden wir ein Gebäude, an dessen Fassade man allegori­ sche Figuren entdeckt, ei­nen Pelikan in der Mitte, der sein Junges mit dem eige­nen Blut tränkt, sowie eine Orpheus-Darstellung. Im Haus Dillmannstraße 16 — dem Vorgänger­ gebäude des heutigen Hauses — wohnte viele Jahre der erste Ministerpräsident von Baden-Württemberg, Rein­hold Maier (1889-1971). Er war 1930 mit seiner Frau Gerta Goldschmidt in deren Elternhaus eingezogen. Bevor die Dillmannstraße nach links zum Hölderlinplatz umbiegt, geht es rechts hinauf die Klüpfelstraße. Sie trägt seit 1933 ihren Namen nach dem Stuttgarter Bürgermeister Heinrich Emanuel Klüpfel8 (1758-1823). An der Rechtskurve gehen wir die Treppe weiter bis zur Bahn­ unterführung. Beim Blick zurück sehen wir das Lindenmuseum9, die Kollegien-Hochhäuser der Universität sowie die Uhlandshöhe. In der Hauptmannsreute fallen uns mit den Häusern 72 bis 80 fünf interessante Lösungen für giebelständige Bauten auf. An der Einmündung des Honoldweges gehen wir rechts die Lilienthalstraße hinauf, die in einen durch aus­gedehnte Gärten führenden Weg und schließlich in eine Staffel über­ geht. An der Zeppelinstraße erreichen wir wieder den Kamm des Kräherwalds. Wir gehen die Zep­pelinstraße nach links und an der Hausnummer 133 nach rechts die Leibnizstraße hinauf bis zur Gustav-Siegle-Straße. Dort wenden wir uns nach links und erreichen bald eine Wen­ deplatte, wo die Straße in einen Fußweg übergeht. Immer wieder bieten sich prachtvolle Ausbli­cke auf den Stuttgarter Westen. Vom Birkenkopf über den Hasenberg und die Karlshö­ he reicht der Blick bis zum Frauenkopf. Unterhalb des Birkenkopfs fällt das weiße Hochhaus markant ins Auge, und direkt darunter sieht man das erste Etappenziel dieser Wanderung, die Bauernmarkthalle am Vogelsang. Durch romantische Gartenlandschaft verläuft der Weg, bis wir wieder an einer Wen­ deplatte die asphaltierte Gustav-Siegle-Straße erreichen. Nach einiger Zeit kom­men wir kurz vor der Blindenanstalt der Nikolauspflege zur Karl-Adler-Staffel, die wir hinuntersteigen zur Gaußstraße. Die Staffel wurde 1990 nach dem Direktor des Stuttgarter Konservatoriums Karl Adler10 (1890-1973) benannt, der als Jude vom Naziregime verfolgt wurde. Seit seiner Emigration im Jahr 1940 lebte Karl Adler in New York. Wir überqueren die Gaußstraße und gehen die Wielandstraße hinab bis zur Botnan­ ger Straße. Nach we­nigen Metern nach rechts überqueren wir diese bei der Fußgängeram­ pel und gehen den Fußgängersteg über die Gäubahn zum unteren Abschnitt der Botnanger Straße. Nach kurzer Wegstrecke abwärts erreichen wir die Herbsthalde, eine schmale Wohnstraße, die uns zur Za­menhofstraße führt. Dort gehen wir links. Über einen Treppen­ 8  Heinrich Immanuel Klüpfel war ein deutscher Rechtswis­ senschaftler und Politiker. 9  Das Linden-Museum in Stuttgart am Hegelplatz ist ein staatliches Museum für Völkerkunde. Es gehört zu den größten Völkerkundemuseen in Europa und verfügt über

Sammlungen von Weltrang. 10  Karl Adler war ein jüdi­ scher Musikwissenschaftler. Er war Professor während der Weimarer Republik und in den Vereinigten Staaten.

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weg abwärts gelangen wir zur Stadtbahnhalte­stelle Herderplatz. Wir gehen links an der Stadtbahnhaltestelle vorbei die Herderstraße entlang, que­ ren eine kleine Grünanlage und erreichen bald den Straßenstern, an dem die Bebel­straße, die Rückertstraße, die Herderstraße und die Ro­senbergstraße aufeinander treffen. Unmit­ telbar rechts im »Vogelsang« finden wir in einem Klinkerneubau den »Markt am Vogelsang« als Nachfolger der früheren Bau­ernmarkthalle. Der idyllisch klingende Name Vogelsang ist schon seit dem 14. Jahrhundert gebräuchlich und steht in Zu­sammenhang mit dem Reich­ tum an Singvögeln in diesem Quellgebiet des Vogelsangbaches. Noch im 19. Jahrhun­dert war die Landschaft um einen kleinen See hier so ursprünglich, dass sie den Dichter Nikolaus Lenau11 zu seinen Schilfliedern und Wilhelm Raabe12 zu seinen »Akten des Vogelsangs« an­ geregt hat. Von der Bauernmarkthalle geht es über die Rückertstraße zur Vogelsangstraße und diese bergan bis zur Nummer 135. Der Hinweis, die hier beginnende Treppe führe zum Westbahnhof, ist etwas veraltet, da man den Bahnhof vergeblich suchen würde. Durch Hanggärten führt das Stäffele hinauf zur Oberen Paulus­straße, die wir nach links weiterge­ hen. Während auf der linken Seite zum Tal hin Einzelhäuser in Gartengrund­stücken stehen, zwischen denen es immer wieder Durch­blicke zum Kräherwald und zur Nikolauspflege gibt, finden wir auf der rechten Straßenseite eine in dieser Gegend untypische geschlossene Be­ bauung vor. Die Rotenwaldstraße überqueren wir an der Am­pel, auf der jenseitigen Straßenseite errei­ chen wir nach wenigen Metern nach rechts die Grimmstraße, in die wir nach links abbiegen. Anstelle der Wohnanlage Num­mer 30 A und Nummer 30 B stand früher das Wohnhaus von Alfred Neuschier (1874-1975), der 100 Jahre alt wur­de und nach dem Zweiten Weltkrieg zum Präsidenten des Verwaltungsgerichtshofs für Südwürttemberg-Hohen­zollern berufen wor­ den war. Viele Jahre war er auch Vor­sitzender des Schwäbischen Heimatbundes. Nach sei­ nem Tode wurde die Villa verkauft und abgebrochen. Kurz vor dem Abstieg zur Hebbelstraße sieht man geradeaus die Stelle des alten Buchenhofes auf dem Hasenberg, der im Zweiten Weltkrieg zerstört und spä­ter durch einen Neubau ersetzt wurde (das helle Haus mit den durchlaufenden Balkonen). Dieses Panorama­ Hotel an der Hasenbergsteige suchte der Warmbronner Dichter Christian Wagner gerne auf. In einem Eintrag ins Gästebuch hat er das ihm zu Füßen liegende Stutt­ gart gar als »Schwäb'sches Firenze« bezeichnet. Die Staffel führt zu einer der kürzesten Straßen Stuttgarts überhaupt, der Hebbel­ straße. Sie besteht nur aus drei Hausnummern, nämlich den Grundstücken 1, 2 und 4. Nun befinden wir uns wieder in einem Stadtviertel der wilhelminischen Zeit mit vier- bis fünfgeschossi­gen Mietshäusern. Nach wenigen Metern durch die Hebbelstraße kommt man zur Oberen Bismarckstraße, früher nur Bis­marckstraße genannt, und geht diese nach rechts hinauf. Mit der Erweiterung der Grünanlage am Leipziger Platz wurde ein Teil der Bis­ marckstraße aufgelöst und die Trennung der beiden Abschnitte vorgenommen. Über die Treppenanlage oder den sie begleiten­den Serpentinenweg geht es nun hinauf zur Reinsburg­straße. Früher ging die Bismarckstraße noch über die Reinsburgstraße hinaus bis zum Westbahnhof. Dieses oberste Teilstück heißt seit 1957 Klugestraße, nach dem Künstler und Schriftsteller Kurt Kluge13 (1896-1940). Beim Blick zurück die Bismarckstraße hinunter sieht man den Turm der Pauluskir­ che sowie die beiden Kollegien-Hochhäuser der Universität am Stadtgarten. Die Reinsburg­ straße sollte schon hier an der Ampelanla­ge überquert werden, da dies an anderen Stellen wegen der Kurven zu gefährlich ist. Weiter geht es links abwärts die Reinsburgstraße und nach wenigen Schritten rechts in die Röckenwiesenstraße. Dieser schon im 13. Jahrhundert gebräuchliche Flurname geht auf einen Personennamen Reck oder Recke zurück und gab 1929 dieser Straße den Namen. Der Weg verläuft die Röckenwiesenstraße entlang über die oberste Rotebühlstraße hinweg und an Gemüse­gärten mit einer kleinen Laube vorbei, die sich am Ab­hang hinauf zum ehemaligen Westbahnhof und zur Aus­fallstraße zur Autobahn ziehen. Wir nehmen nicht den Weg durch die Grünanlage hinauf, sondern gehen die Röckenwiesenstraße in einem 11  Nikolaus Lenau, eigentlich Nikolaus Franz Niembsch Edler von Strehlenau, war ein österreichischer spätromanti­ scher Schriftsteller. 12  Wilhelm Karl Raabe war ein deutscher Schriftsteller. Er war ein Vertreter des poeti­ schen Realismus, bekannt für

seine gesellschaftskritischen Erzählungen, Novellen und Romane. Raabe lebte mehrere Jahre in Wolfenbüttel, acht Jahre in Stuttgart und fast 40 Jahre in Braunschweig. 13  Friedrich Otto Kurt Kluge war ein deutscher Bildhauer und Erzgießer, der mit 48

Jahren als humoristischer Schriftsteller an die Öffentlich­ keit trat

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rechten Winkel nach links bis zum Haus Nummer 62. Unmittelbar davor führt eine steile und enge Staffel durch Gärten hindurch, zum Teil recht romantisch, hinauf zur Osianderstraße. Wer keine Staffel auslassen will, geht nach rechts bis zur viel befahrenen Rotenwaldstraße, diese ein Stück bergan und dann links die lange, steile, dunkle und an­strengende Buchen­ hofstaffel zum Hasenberg hinauf. Der schönere Weg jedoch führt links die Osianderstraße ent­lang und am Ende bei Haus Nummer 27 halb rechts den Fußweg zur Hasenbergsteige hoch. Von der Osiander­straße aus haben wir nach links einigen Ausblick auf das malerische Tal des Stuttgarter Westens. Vom Fußweg aus nach rechts haben wir einen Blick in einen Garten und auf das schön renovierte, noch aus dem 18. Jahrhundert stammende so genann­ te »Ale­xanderhäusle«. Nach wenigen Schritten erreichen wir die Hasenbergsteige und ge­ hen diese rechts bergan. Nun können wir das Alexanderhäusle mit der Nummer 60 aus der Nähe betrachten. Es hat seinen Namen bekommen, weil sich hier Mitte der 1730er-Jahre die protestantischen Gegner des katholischen Herzogs Carl Alexander14 zu konspirativen Tref­ fen verabredet haben. Zwischen Haus Nummer 61a und 63 sehen wir im Hintergrund das ehemalige Wohn- und Atelierhaus des Malers und Bildhauers Otto Herbert Hajek15 mit einer für diesen Künstler charakteristischen Fassadengestaltung. Das unter Denkmalschutz stehende Ge­ bäude wurde 2008 an einen kroatischen Mercedes-Händler verkauft; das eins­tige Atelier dient nun als Garage für Oldtimer. Nach we­nigen Schritten erreichen wir in einer öffentlichen Grün­anlage den Skulpturenpark mit ungefähr zwanzig Werken Hajeks. Wir gehen durch den Park weiter bergan. In die sem obersten Abschnitt der Hasenbergsteige wohnten auch frü­ her schon bedeutende Persönlichkeiten, etwa der Maler Oskar Zügel oder der Dichter Chris­ tian Wagner. In der Grünanlage finden wir das Denkmal für den Dichter Wilhelm Hauff, des­ sen Büste eine Arbeit des Bildhauers Wilhelm Rösch ist. 1882 wurde es vom Verschönerungsverein gestiftet. Einige Schritte weiter bergan stoßen wir auf den Stumpf des ehemaligen Hasen­ bergturmes, der ebenfalls auflnitiative des Verschönerungsvereins der Stadt Stutt­gart er­ richtet wurde. In der irrigen Annahme, der Turm könne den Bomberpiloten im Zweiten Welt­ krieg als Orientierungspunkt dienen, wurde er 1943 gesprengt. Auf einer bronzenen Inschrifttaf el an der Mauer liest man folgende Zeilen: »Die Württembergische Hypothe­ kenbank ermöglichte 1973 die Neugestaltung dieser Er­holungsgrünflächen am Hasenberg­ turm. Wir gehen am Turmstumpf links hinunter. Hier befand sich bis 2008 das» Waldhaus«, eines der ganz weni­gen Höhenrestaurants über dem Stuttgarter Tal. Die Ter­rasse bot ein einmaliges Panorama von Vaihingen und Kaltental über die Filderhochfläche und Degerloch bis zur Uhlandshöhe und zum Sehurwald. Der langjährige Wirt Günter Lemme war Maler, Dichter und ein Original. Nun gehen wir den sehr steilen und bei Nässe et­was rutschigen Waldweg (Vorsicht!) hinunter zum Blauen Weg. Wir überqueren ihn und nehmen den kleinen, sanft abfallenden Weg nach rechts hinunter zur Eisenbahn. Nach einer Kehre geht es über den alten Fußgän­ gersteg mit verrosteten Eisengeländern. Von der Brücke sieht man links auf das alte Bahn­ wärterhäuschen, eine echte Dichterklause. Es steht direkt an der Gäubahntrasse. Nach wenigen Schritten auf einem Waldweg ge­hen wir rechts und erreichen nach kurzer Strecke das Pfarrwegle. Jahrhundertelang hatte der Botnanger Pfar­rer auch die Heslacher Gläubigen zu betreuen, wobei er dieses Wegle zum Nesenbachtal benutzte. Es geht nun auf mit Platten belegtem Weg abwärts nach Heslach durch Gärten mit herrli­ chen Ausblicken auf das Heslacher Tal. Rechts und links an den Garten­zäunen und Türen fin­ den wir immer wieder den Hin­weis »Warnung vor dem Hund« und »Vorsicht bissiger Hund«. Am Ende des Plattenweges trifft man auf die Straßenschilder »Pfarrwegle« und »Neugereut 2 – 9 Ge­wann«. Es geht weiter die Treppen hinunter bis zur Ha­senstraße — seit dem 15. Jahr­ hundert als Flurname er­wähnt. Am Ende des Pfarrwegles gehen wir rechts in die Hasenstra­ ße und am Zaun des Heslacher Friedhofs ent­lang. Gegenüber vom Gebäude Hohentwielstraße 140 und vor Nummer 137 gehen wir links die Treppe hinun­ter entlang des Friedhofs — von dort reicht der Blick zu­rück zum Ha­ 14  Karl Alexander war von 1733 bis 1737 der elfte regie­ rende Herzog von Württem­ berg. Vor seinem Regierungs­ antritt in Württemberg war er kaiserlicher General sowie Reichsgeneralfeldmarschall. 15  Otto Herbert Hajek war ein deutscher abstrakter

Maler, Grafiker und Bildhauer. Sein architekturbezogener Nachlass und sein Fotoarchiv liegen im Südwestdeutschen Archiv für Architektur und Ingenieurbau.

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senberg. Nach zirka fünfzig Schritten gibt es ein Friedhofstörle, durch das man zur Bencken­ dorff-Kapelle gelangen kann. Der russische Gesandte in Stuttgart, Graf Konstantin von Ben­ ckendorff, hat das Mausoleum 1823 vom württembergischen Hofbaumeis­ ter Giovanni Salucci für seine früh verstorbene, über al­les geliebte Gemahlin errichten lassen. Über dem Haupt­portal stehen deshalb die Worte »NUR SIE«. Im Inneren befindet sich ein Doppelbild­ nis des Grafen und seiner Gemahlin von Johann Heinrich Dannecker.16 Nach einem kurzen Rundgang kehren wir durch das Törle wieder auf unseren Weg zurück und gehen die Treppen hinunter bis zur Böblinger Straße. Wir über­queren diese und gehen etwas versetzt geradeaus in die Müllerstraße. Diese Bezeichnung erinnert an die 1848 in Heslach errichtete Karlsmühle. Der Blick nach links in die Böcklerstraße zeigt uns ei­ nen Teil von Alt-Heslach. Wir gehen die Müller­straße weiter über die Möhringer Straße und die Burg­stallstraße. Im Mittelalter stand oberhalb von Heslach im Wald eine burgartige Be­ festigung, über deren Aussehen und Funktion wir nichts wissen. Einige Wälle und Grä­ben zeugen noch von ihrer kurzen Existenz. Am Ende der Müllerstraße biegen wir in einer Kurve nach links in die Hahnstraße ein. Nach wenigen Schritten, noch vor dem aufwendig gestalte­ ten Haus Hahnstraße 75, weist uns ein Schild »Zu Im Lerchenrain« den Weiterweg. Der »Lerchenrain« hat nichts mit dem gleichna­migen Singvogel zu tun, sondern geht auf das Kloster Lorch zurück. Sein Grundbesitz ist schon seit 1342 an dieser Stelle nachweisbar, weshalb die Flur damals »Lor­cher Rain« genannt wurde. Durch den Wald errei­ chen wir den Lerchenrain und gehen an der Straße nach rechts auf breitem Weg in den Wald. Bei der Weggabelung nehmen wir den rechten Weg, der Winterhaldenweg genannt wird. Wir sind nun im Burgstall-Wald. Nach einigen Minuten erreichen wir eine Schranke und eine ge­ teerte Straße. Sie führt linker Hand zum Neuen Schützenhaus. Wir gehen jedoch nach rechts und hören bereits den Autolärm von der Einfahrt in den Heslacher Tunnel der Bundes­ straße 14. Rechts blickt man auf das turmgeschmückte Alte Schützenhaus aus dem Jahr 1895. Das UnitedJazz & Rock Ensemble, zu dem Größen wie Wolfgang Dauner17, Barbara Thompson18, Albert Mangelsdorff19 oder Charlie Mariano20 zählten, hat hier seine legendäre Platte »Live im Schützenhaus« aufge­nommen. Seit einigen Jahren heißt die »Eventlocation« »Buddha Lounge Red Mandarin«. Der riesige Biergarten fasst 1500 Personen und lockt an warmen Tagen mit Ses­seln, indischen Himmelbetten und Strandatmosphäre. Über den Kühornweg — benannt nach dem Bür­germeister Jakob Kühorn, der im Jahr 1500 die Stutt­garter Schützengilde gegründet hat und dessen Kreuzi­gungsgruppe in Kopie noch heute am Chor der Leonhardskirche steht - gehen wir abwärts zum Süd­heimer Platz, wo die vier nun zu Leuchtern umgebau­ten Pfeiler der inzwischen abgebrochenen Brü­ cke der alten Bundesstraße 14 ein interessanter Blickfang sind. Hier sind wir am Ziel unserer Wanderung angelangt. 16  Johann Heinrich Danne­ cker, ab 1808 von Dannecker, war ein württembergischer Bildhauer des Klassizismus. 17  Wolfgang Dauner war ein deutscher Keyboarder, Jazz­ pianist und Filmkomponist. 18  Barbara Thompson ist eine britische Fusion- und Jazz-Saxophonistin, -Flötistin

und Komponistin. Sie ist Musikbotschafterin des Ver­ einigten Königreiches und als »Member of the Order of the British Empire« ausgezeich­ net. 19  Albert Mangelsdorff war ein deutscher Jazz-Posaunist. Er verlieh dem Posaunenspiel im Jazz mit seiner Mehrstim­

migkeit — den »Multiphonics« — neue Aspekte und gilt als ein innovativer und bedeutender Vertreter seines Instruments im Jazz. 20  Charlie Mariano, gebürtig Carmine Ugo Mariano, war ein US-amerikanischer Jazz­ musiker.

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Fragen an Eberhard Rapp

Können Sie sich kurz vorstellen und etwas zu Ihrer Person sagen? Mein Name ist Eberhard Rapp und arbeitete lange Jahre als Art Director in einer Stuttgarter Werbeagentur. Dort habe ich u. a. auch die schwäbische Mundart-Kampagne für Schwaben Bräu entwickelt, die bis heute zu sehen ist. Seit 2009 bin ich freier Autor, Texter, Lektor, Fotograf. Außerdem bin ich Spezialist für Bier, Whisk(e)y, Rum, Gastro-nomisches, Irland, Schottland – und auch seine Heimat und die schwä-bische Mundart. Ich gewann mehrere Auszeichnungen in Mundart-Literaturwettbewerben. Derzeit baue ich ein Fotoarchiv auf zu Themen wie Irland, Schottland, Whisk(e)y, Stuttgart, Streuobst, Natur, etc. Aus vielen guten Gründen bin ich entschieden gegen Stuttgart 21. Wie kamen Sie dazu das Buch über die Stäffele zu machen? Schon lange Zeit gab es immer wieder Kontakt zum Silberburg-Verlag, dem ich immer wieder Fotos meiner Reisen zeigte. Bis irgendwann der Anruf von Herrn Häußermann (Verlags-Chef) kam: »Trauen Sie sich zu, einen Bildband über die Stuttgarter Stäffele zu fotografieren?« Wie sind Sie bei den Fotos und bei der Gestaltung vorgegangen? Analog angefangen. Dann habe ich allmählich den riesigen Umfang des Projekts verstanden. Ich habe alles weggeworfen und einen Neustart gemacht: Ich kaufte eine Digitale Kamera und lernte das Fotografieren neu. Drei Jahre war ich unterwegs, zu allen Jahreszeiten, bei jedem Wetter. Eine unendliche Geschichte. Selbst heute entdecke ich noch weitere Stäffele. Die Gestaltung des Bildbandes erfolgte durch den Verlag. Können Sie allgemein etwas über die Stäffele sagen? Steht im Buch. Und ausführlich in »Treppauf, treppab in Stuttgart« (ebenfalls Silberburg-Verlag). Alle weiteren Publikationen zum Thema Stäffele haben sich dann daran mehr oder weniger »orientiert«.

Können Sie sich vorstellen, dass die Stäffele als kultureller Freiraum genutzt werden? Ja. Aber bitte nur mit viel Einfühlungsvermögen. Kitsch und zu Auffälliges vertragen die Stäffele nicht. Sie brauchen es im übrigen auch nicht. Immerhin läuft man auf etlichen Stäffele quasi durch die Gärten der Anwohner. Deshalb sollte diese Privatsphäre stets geachtet werden, auch, was Lärm angeht. Viel erlebnisreicher ist es, wenn man sich einfach mit den Leuten, die auf einem Stäffele unterwegs sind oder an einem solchen wohnen, unterhält. Nicht ohne Grund steht im Bildband meine These, dass Leute, die an einem Stäffele wohnen, meistens etwas freundlicher seien als der Rest der Stuttgarter Bevölkerung… Solche Begegnungen wirken nachhaltiger als jeder aufgesetzte Event. Was viel wichtiger ist: die Stäffele sanieren. Viele alte, wunderschöne schmiedeeiserne Geländer verrosten und zerfallen. Es gibt leider so gut wie keine Handwerker mehr, die das für die Sanierung notwendige Know-how, z.B. alte Eisenbahn-Lacke, besitzen. Deshalb und aus Kostengründen werden Geläder heute oft nur noch durch unästhetisches und meist zu dickes Rundstahlrohr ersetzt. Die Folge: Alles sieht im Stuttgarter Einheits-Stäffeles-Look gleich steril aus. Viele Stufen/Stäffele verändern sich durch Abnut­ zung, durch Bodensenkungen, durch Frost – aus Sicherheitsgründen sollte da viel mehr getan werden. Leider stellt die Stadt Stuttgart dafür nicht genügend Geld zur Verfügung.

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Vom Talkessel des Stutt­ garter Westens ins Bohnenviertel von Harald Schukraft Unsere Stäffeles-Wanderung beginnt an der Kreuzung Schwab-/Rotebühlstraße (S-BahnHalt »Schwab­straße«, Bushaltestelle der Linie 42). Die gesamte Strecke umfasst eine Länge von etwa zehn Kilometern; wem's treppauf, treppab zu anstrengend wird, der kann den Weg beliebig unterteilen. Von der Kreuzung Schwab-/Rotebühlstraße ge­hen wir die Rotebühl­ straße aufwärts und biegen nach links in die nächste Querstraße, die Rötestraße. An der Ecke blickt man auf einen mächtigen Bau, der die gesamte Front der Rotebühlstraße zwi­ schen Röte- und Seyffer­straße einnimmt. Die 1889 gegründete Strickwarenfabrik B. Leyle beglückte von hier aus die Buben im ganzen Deut­schen Reich mit Matrosenanzügen und nach dem Zwei­ten Weltkrieg vor allem die Damenwelt mit Strickwesten. Nach hundert Jah­ ren kam das Aus; das sorgfältig reno­vierte, denkmalgeschützte Gebäude dient heute der »Stuttgarter Versicherung« als Hauptsitz. Die Rötestaffel führt aus dem tiefen Talkessel des Stuttgarter Westens durch Wohngärten hinauf zur Ha­senbergsteige. Der Name »Röte« ist in seiner Bedeutung bis heute ungeklärt, jedoch geht er auf ein sehr großes Flurgewann im Tal­ grund zurück, das bereits zu Beginn des 14. Jahrhunderts urkundlich erwähnt wurde. An der Hasenbergsteige erreicht man den auf wei­te Strecken schnurgeraden, ural­ ten Fernweg in Richtung Westen. Dass der Name wegen einer verschwundenen Raubritter­ burg von »hass den Berg« komme, ist ein Ge­rücht, vielmehr stand wohl der Hase bei der Be­ nennung Pate. Die enorme Steigung ist heute für zahlreiche Jogger und Radsportler eine willkommene Herausforderung, in früheren Zeiten standen unten an der Reinsburgstraße beim Gänsepeterbrunnen Vorspannpferde bereit, um schwere Wagen und Karren die Ha­ senbergsteige empor­zuziehen. Um die Jahrhundertwende spazierte König Wil­helm II. immer wieder auf den Ha­ senberg, weil dort sein Leibarzt wohnte und er sich mit ihm auch an gesunden Tagen gerne zu einem Gespräch traf. Ein zufälliges Zu­sammentreffen zwischen einem jungen und einem 28 Jahre älteren Mann 1877 wurde schicksalhaft und hat­te zur Folge, dass der erste verliehe­ ne Friedensnobelpreis an den Gründer des Roten Kreuzes, Henri Dunant1, ging. Dieser wohnte damals vereinsamt in der Hasenbergstei­ge 10. Hier traf er den Studenten Rudolf Müller, der sein Schicksal später der Öffentlichkeit bekannt gemacht hat, woraufhin Dunant die verdiente Ehrung zuteil wurde. Der Hügel zog schon immer Individualisten ganz besonders an. Der Dichter Christi­ an Wagner nannte Stuttgart das »schwäb'sche Firenze«, nachdem er einige Tage im Hotel Buchenhof gewohnt und den weiten Blick über die Stadt genossen hatte. Auch der Maler Oskar Zügel2, der Großneffe Heinrich von Zügels, lebte bis 1934 auf dem Hasenberg, und 1  Henry Dunant, eigentlich Jean-Henri Dunant, war ein Schweizer Geschäftsmann und ein Humanist christlicher Prägung. 2­  Oscar Zügel war ein deutscher Maler, Gegner und Verfolgter des NS-Regimes und später der spanischen Faschisten. Seine Werke wer­

den der Neuen Sachlichkeit zugerechnet. Oscar Zügel war ein Großneffe des Murrhardter Impressionisten Heinrich von Zügel.

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der Komponist Anton Rubinstein traf sich dort mit seiner großen Liebe im Alexanderhäusle. Der Weg führt uns jedoch nicht bis auf die Höhe, sondern wir biegen unmittelbar hinter dem Wasserwerk, das als Trinkwasserspeicher für weite Teile Stuttgarts dient, links in den Fried­ rich-Wertz-Weg, der offiziell »Blauer Weg« genannt wird. Seine Bezeichnung rührt von der blauen Wegmarke her, die an Gabelungen dem Spaziergänger die Richtung angibt. Gleich rechts be­merkt man Betonfundamente, die noch von einer Flak­stellung aus dem Zweiten Weltkrieg stammen. Von die­sem Weg haben wir immer wieder Ausblicke nach links auf das Nesenbachtal, auf Heslach, auf den Haigst und zum Weinberg an der Neuen Weinsteige. Der Blaue Weg ist einer der schönsten Panoramawege in Zentrumsnähe, besonders in der Abendstimmung. Vor einigen Jahren spielte sich hier in einem der Gärten eine makabre Ge­ schichte ab. Ein Gütlesbesitzer fand eines Tages auf seiner Wiese Knochen und verdäch­ tigte· einen Nachbarshund, diese bei ihm abgelegt zu ha­ben. Als dann nach einigen Tagen ein menschlicher Schä­deI dazukam, wurde die Sache rätselhaft. Die Polizei fand heraus, dass sich zu Beginn der sechziger Jahre in einem Baum ein Lebensmüder erhängt hatte und dort über all die Jahre unbemerkt geblieben war. Nach einiger Zeit erreicht der Blaue Weg den Ha­senbergtunnel der Gäubahn, und man sieht links unten die Doppelgleise, die nach Zürich und Mailand führen. Wir gehen nicht weiter geradeaus auf dem fast ebenen, asphaltierten Weg, sondern links die Staffeln hinun­ ter, sodass der Tunnelmund und die Bahnlinie rechts von uns liegen. Durch die Afternhalde, nach der der Blaue Weg früher Afternhaldenweg genannt wurde, gelangen wir auf Staffeln abwärts zur Rebenreute. Die Afternhalde ge­hörte im Mittelalter wohl zur Stuttgarter Markung und lag »hinter« dem Berg, woher sich der Name ableitet. Durch die Rebenreute und die Hohentwielstraße geht man auf Halbhöhenstraßen, die teilweise interessan­te Ausblicke ins Heslacher Tal und hinüber nach Deger­loch zulassen. Die Hasenbergsteige hinunter erreicht man das Denkmal für den Dichter Johann Georg Fi­ scher3 (1816 bis 1897), der im 19.Jahrhundert das Stuttgarter Kulturle­ben entscheidend mit­ geprägt hat. Der Bildhauer Emil Kiemlen4 hat das Denkmal geschaffen. Fischers Sohn, der Schöpfer des »Schwäbischen Wörterbuches«, ist heute bekannter als der weitgehend ver­ gessene Dichtervater. Auf einem ehemaligen Weinbergpfad, entlang ei­ner uralten Sandsteinmauer, er­ reicht man den Gipfel der Karlshöhe. Sie wird erst seit 1889 zu Ehren des damals seit 25 Jah­ ren regierenden dritten württembergischen Königs so genannt. Vorher war es einfach die »Reins­burg«. Indizien weisen tatsächlich auf eine Burg hin, schriftliche Beweise gibt es frei­ lich nicht. Der tief einge­grabene Steinbruch auf dem Gipfel verwundert zunächst und ver­ lockt dann zu einem Erkundungsgang. Zuvor jedoch fällt ein kleines Holzhaus hinter ei­nem morschen Zaun und viel Ge­ strüpp auf: das alte Schweizer Haus der Sophie Knosp. Die aus der Schweiz stammende Fa­ brikantengattin zog es von der Villa in der Rotebühlstraße hinauf auf die Höhe, wo sie sich kurz vor 1850 diese Erinnerung an die Heimat bauen ließ. Eduard Mörike5 sah das merkwür­ dige Haus von seinem Fenster in der Kanzleistraße als »Point de vue« in der Ferne. Am Nordabhang stößt man oberhalb der ehema­ligen Villa Siegle auf den Athene-Brunnen. Auf dem Kopf von Zeus steht Athene, davor sitzen zu beiden Seiten Prometheus und Pando­ ra. Karl Donndorf schuf die imposante Komposition 1911 zur Erinnerung an den hochbedeu­ tenden Mäzen und Politiker Gustav Sie­gle, der mit Lack-und Mineralfarben ein riesiges Ver­ mögen gemacht hatte. Seine Witwe Julie Siegle war die Auftraggeberin. Der Brunnen wurde 2011 vom Ver­schönerungsverein aufwendig restauriert. Auch die im Krieg unterbrochene Wasserleitung konnte wieder her­gestellt werden. Jenseits des Bergkammes lädt über dem Weinberg die Terrasse der Milchbar zum Verweilen ein. Der Blick auf den Süden Stuttgarts ist zauberhaft und lässt einen träumen. Aber nur wenigen ist bewusst, dass an dieser Stelle früher das Teehaus von Julie Siegle stand, das — ob­wohl intakt — bei der Umgestaltung der Parkanlage aus Anlass der Bundes­ gartenschau 1961 abgerissen wurde: nach Meinung des Gartenbauamtes paßte sich »die 3  Johann Georg Fischer war ein deutscher Lyriker und Dramatiker. 4  Emil Kiemlen war ein deutscher Bildhauer und Ma­ ler, der in Stuttgart lebte und arbeitete. In klassizistischer Formensprache, bisweilen mit Jugendstil-Elementen belebt, schuf er zahlreiche

Kleinskulpturen, darunter eine Statuette der Tänzerin Saharet und den Tafelaufsatz »Siegfried«, sowie großenteils erhalten gebliebene profane und sakrale Plastik. 5  Eduard Friedrich Mörike war ein deutscher Lyriker der Schwäbischen Schule, Er­ zähler und Übersetzer. Er war

auch evangelischer Pfarrer, haderte aber bis zu seiner frühen Pensionierung stets mit diesem »Brotberuf«.

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Lö­sung einer überdachten Unterstehhalle besser dem ver­änderten Charakter der Anlage an«. Vergessen sind die Projekte, hier oben eine als »Stadtkrone« weithin sicht­bare Konzert­ halle oder in unheilvoller Zeit den Neubau des »Reichssenders Stuttgart« zu errichten. Auf der kerzengerade ins Nesenbachtal hinabfüh­renden Willy-Reichert-Staffel kommt man an der Hum­boldtstraße und der Mörikestraße vorbei, die beide noch viele Beispiele herrschaft­ licher Villen aus dem späten 19. und frühen 20. Jahrhundert besitzen. Durch Bäume und Ge­ sträuch fällt der Blick unterhalb der Humboldtstraße in den Skulpturengarten des Städti­ schen Lapidariums, das einige hundert Erinnerungsstücke und Fassadenreste aus Stuttgarts Vergangenheit bewahrt. Ein Rundgang durch diesen »Friedhof der Stadtge­ schichte« versetzt den Besucher in eine untergegangene Welt. Zwischen der Hohenstaufenstraße und der Tübin­ger Straße heißt die Treppe immer noch Römerstaffel. Einstmals trug sie diesen Namen bis hinauf zur Karls­höhe. Erst 1976 wur­ de ihr größter Abschnitt, den wir so­eben durchschritten haben, zu Ehren des schwäbischen Mundart-Schauspielers Willy Reichert6 umbenannt. In der Tübinger und der Hauptstätter Straße be­wegt man sich im alten Talgrund des Nesenbachs. Längst durcheilt er die Stadt in den Untergrund verbannt. Es lohnt sich, einen Blick auf die südliche Häuserzeile der Haupt­ stätter Straße zu werfen. Die Gebäude stehen zum großen Teil unter Denkmalschutz und zeigen auch dem Laien beeindruckende Fassaden. Obwohl es auch in Stuttgart Hinweise auf römi­sche Kultur gibt, hat die Römerstraße nichts mit den Römern zu tun. Vielmehr erinnert sie an den Stuttgar­ter Ehrenbürger Friedrich Römer (1794-1864), der als Justizminister und Abgeordneter der Deutschen Natio­ nalversammlung in der Frankfurter Paulskirche hervor­trat. 1849 ließ er im Auftrag König Wil­ helms I.7 das aus Frankfurt nach Stuttgart geflohene so genannte Rumpfparlament in der Langen Straße gewaltsam auflösen und damit der ersten deutschen Demokratie ein Ende setzen. In der Heusteigstraße fällt sofort das große Ge­bäude der Heusteig-Schule auf, das Theodor Fischer8 1905 errichtet hat. Er selbst nannte sein Werk eine »schlichte eindringliche und imponierende Baugruppe«, und ganz bewusst hatte er darauf geachtet, »dass ein so bedeutendes Bauwerk seine Rolle im Städtebild richtig spiele«. Die Schule ist bis ins kleins­ te Detail erhalten geblieben und gilt deshalb als Kulturdenkmal von be­sonderer Bedeutung. Gleich dahinter liegt der 1823 eröffnete Fangeis­bach-Friedhof mit zahlreichen Gräbern be­ deutender Stuttgarter Persönlichkeiten. Unter anderem ruhen hier Gustav und Julie Siegle, Schillers Sohn und Enkel, Mö­rikes Verlobte Luise Rau und der Architekt Nikolaus Friedrich von Thouret. Bald quert die Immenhofer Straße. Sie erinnert an einen nur noch durch einen Flurnamen belegten Weiler lmmenhofen, der irgendwo zwischen Fangelsbach-Fried­hof und Wilhelmsplatz lag und wohl schon im 12. Jahrhundert aufgegeben wurde. Wahrscheinlich zo­ gen damals die Bewohner ins benachbarte Stuttgart und siedelten sich im Bereich des Geißplatzes an. Nach kurzer Wegstrecke erreicht man eine nachts geschlossene Straßenbarriere vor einem ob seiner Größe und Gestalt beeindruckenden Haus: das Arbeiter-Wohn­heim Heusteigstraße 45. Der wohlhabende, für die Bedürfnisse der Armen aufgeschlossene Edu­ ard Pfeiffer9 hat es 1890 für 240 ledige und sozial schwache Arbeiter er­richren lassen. Der rückwärtig angebaute Saal mit Galeriegeschoss war von 1947 bis 1952 Tagungsort des Land­tages von Württemberg-Baden. Hier wurde 1952 das Bundesland Baden-Württemberg gegründet, und bis zur Einweihung des Landtagsgebäudes neben dem Neuen Schloss im Jahr 1961 war er Sitzungssaal der demokra­tisch gewählten Volksvertretung unseres Landes– ein wahrhaft historischer Ort, der heute ein bedauerliches Schattendasein fristet. 1987 mit großem Aufwand – und mit öffentlichen Geldern – restauriert, ist der prachtvolle Saal bis heute für die Allgemeinheit verschlossen! Gegenüber vom »Alten Landtag« fällt ein kleines Gartengrundstück neben der zur Sophienstraße führen­den Treppe auf, das in seiner Art absoluten Seltenheits­wert besitzt. Als sei die Uhr stehen geblieben, haben sich die Diakonissen des Marthaheimes inmitten der 6  Willy Reichert war ein deut­ scher Komiker, Volksschau­ spieler und Sänger. 7  Friedrich Wilhelm Carl war von 1816 bis 1864 als Wilhelm I. der zweite König von Württemberg. Nach­ dem Wilhelms Jugend von Auseinandersetzungen mit seinem Vater König Friedrich

geprägt war, übernahm er die Herrschaft in Württemberg im von Missernten und Hungers­ not geprägten »Jahr ohne Sommer« 1816. 8  Theodor Fischer war ein deutscher Architekt, Stadtpla­ ner und Hochschullehrer. 9  Eduard Gotthilf Pfeiffer, ab 1900 auch von Pfeiffer, war ein

deutscher Bankier, Genossen­ schaftler und Sozialreformer.

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eng bebauten Innenstadt eine idyllische Oase der Einkehr bewahrt, die bis heute nichts von ihrem Charme der Jahrhundertwende verloren hat. Bald geht es durch die Bopserstraße bergan zur Ol­gastraße und nach deren Überquerung über die Bopser­staffel in die Alexan­ derstraße. Diese gehen wir nach links in nordöstliche Richtung. Bei der Einmündung der Zimmermannstraße steht ein Brunnen, der mal »Weißenburg­brunnen«, mal »Alexander­ brunnen« genannt wird. Der Besitzer der Villa Weißenburg, Ernst von Sieglin, hat ihn 1908 aus Anlass des 60. Geburtstags von König Wil­helm II.10 von Württemberg zur Verschönerung des Stutt­garter Stadtbildes gestiftet. Die Marmorfigur des »Sin­nenden Mädchens« ist ein Werk von Daniel Stocker, das nach der Kriegszerstörung 1954 wiederhergestellt wurde. Hier stehen interessante Altbauten unmittelbar neben Bauzeugen aus jüngerer Zeit. Krieg und Nachkrieg haben die Geschlossenheit der Bebauung aufgebrochen. Unaufhaltsam nähern wir uns Stuttgarts erstem Hochhaus-Ensemble, dem Stitzen­ burg-Viertel. Die unregelmäßig verschachtelten Wohnblöcke beherrschen den südöstli­ chen Talkesselrand und erinnern von ferne tatsächlich an eine Burg. Dabei leitet sich der Name »Stitzenburg« – wie bei der »Silberburg« oder der »Doggenburg« – nicht von einer Verteidigungsanlage, sondern vielmehr von einem beliebten Ausflugslokal her. Noch bis 1979 hieß die Lorenzstaffel »Lorenzstra­ße« nach einem früher hier befind­ lichen Haus des Zim­mermalers Wilhelm Friedrich Lorenz (1795 – 1864). In diesem vom Krieg besonders schwer heimgesuchten Ge­biet war kaum ein Stein auf dem anderen geblieben. Sogar die Lorenzstraße mit ihrer steil ansteigenden Fahrbahn in der Mitte und den beiden in Stufen emporführenden seit­ lichen Trottoirs konnte nicht wiederhergestellt werden. Da durch die neue Wohngegend jetzt eine moderne Staf­fel verläuft, war die Umbenennung schließlich nur eine Anpassung an die veränderten Gegebenheiten. Durch die Stitzenburg – und die Wächterstraße erreichen wir die Hohenheimer Straße. Sie hätte um ein Haar ihr geschlossenenes Erscheinungsbild verloren. Die Pläne, zum Bau der U-Bahn eine ganze Häuserfront abzureißen, ist der Hohenheimer Straße auch dank des Protestes der Bewohner erspart geblieben. In diesem Fall ließ sich die Stadt eines Besseren belehren, und noch immer fährt die Stadtbahn oberirdisch durch die unver­sehrte Hauslandschaft. Die Hohenheimer Straße ist eine der letzten großen Durchgangsstraßen, die ihren urprünglichen Charakter bis heute bewahren konnte. Bei der Einmündung der Dobelstraße in die Ho­henheimer Straße steigt versteckt und steil der Weg »Am Reichelenberg« den Bopserabhang hinauf. Dort, wo der Weg in einen kleinen Pfad übergeht, der sich zwischen hoch aufragenden Mauern immer mehr verengt und auf den ersten Blick im Grünen zu verlieren scheint, steht als Haus Nummer 11 eine Rari­ tät unter Stuttgarts Kultur­denkmalen. Das Gebäude wurde 1840 am Ende der Friedrichstra­ ter Ludwig Gaab11 für den wohlhabenden ße zu Füßen des Kriegsbergs von Baumeis­ Studiendirek­tor Hermann Knapp errichtet. Aber bereits vier Jahr­zehnte später stand es der wachsenden Stadt und neuen Straßen im Weg. 1883 wurde es abgerissen, seine Fassade jedoch fand hier oben am Reichelenberg eine neue Verwendung und erinnert an die früher hoch entwickelte Stuttgarter Villenkultur. Die Villa Knapp ähnelte übrigens weitgehend der etwa gleichzeitig entstande­nen, später umgebauten und 1964 abgerissenen Villa Weißen­ burg. Der Name »Bopser« taucht in Stuttgart in mehre­ren Straßen-, Weg-und Staffelbe­ zeichnungen auf; die Kuppe beim Ernst-Sieglin-Platz trägt ihn ebenso wie der »Hohe Bop­ ser«, die Erhebung, auf der der Fernsehturm steht. Sein Sinngehalt ist bis heute rätselhaft. Sicher leitet er sich nicht von einem untergegangenen Ort Bopsingen ab, diese Interpretati­ on ist der Sage entsprungen. Die auffallende Namensgleichheit mit dem Gerlinger Bopser lässt vermuten, dass eine früher allgemein gültige Bedeu­tung aus dem Bewusstsein ver­ schwunden und nurmehr in Flurnamen überliefert ist. Denkbar ist auch ein Zusam­menhang mit dem mittelhochdeutschen Wort »bobe«, das so viel wie »oben, oberhalb« bedeutet. Über die Straße »Am Bopserweg« und den obers­ten Abschnitt der Bopserstaffel gelangt man hinauf in die Bopserwaldstraße und dort nach kurzem Anstieg bis zum Haus Nummer 58/60, wo die Staffel des Oberen Reichelenbergwegs einmündet. Der Name Rei­ 10  Wilhelm II. war von 1891 bis 1918 der vierte und letzte König im Königreich Würt­ temberg. 11  Ludwig Friedrich Gaab, ab 1852 Ludwig Friedrich von Gaab war ein deutscher Archi­ tekt und württembergischer Baubeamter.

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Kap. 02

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chelenberg geht wahrscheinlich auf einen gewissen Richlin zurück, der als Stuttgarter Bür­ ger im 13. Jahrhundert oder noch früher hier oben vor der Stadt Grundbesitz hatte. Durch diese Staffel geht es hinab zur Neefstraße in das Tal des Dobelbachs. In der Sonnenbergstraße erreicht man nach weni­gen Schritten die Dobelstaffel, die rechter Hand hinauf zur Stafflenbergstraße führt. Dieser Straßenname nun erweist uns auf eine der ersten Staffeln im Stuttgarter Tal, denn bereits 1304 ist der Flurname urkundlich er­ wähnt. Bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts befanden sich an diesem Berghang im Bereich des jetzigen Schellenkönigs riesige Steinbrüche, wo man den Stuttgarter Schilfsandstein brach. Viele Häuser der damals entstan­denen neuen Stadtteile sind aus Steinen vom Staff­ lenberg gebaut. Gleich hinter dem Haus Stafflenbergstraße 20 steht im Garten am Sehellenkönig ein hölzernes Garten­haus, das einst ein Hort der Glücksgöttin war, denn hier wurden jahre­ lang vom Süddeutschen Rundfunk die Ge­winner der »Südfunklotterie« gezogen. Durch die Straße »Im Sehellenkönig« und eine kleine Staffel zur Stafflenbergstraße erreicht man die Sün­derstaffel. Der Sage nach lag im Gewann Sünder einst die Hinrichtungs­ stätte. Allerdings findet man in den Akten keinerlei Beweise für diese Behauptung. Wahr­ scheinlich gehörte die Gegend im 14. Jahrhundert einer Familie mit Namen Sünder, und erst zweihundert Jahre später wurde die volkstümliche Gewannbezeichnung uminter­pretiert. Aus dieser Zeit stammen auch die beiden Ge­denksteine, die noch heute in der Grünanlage neben der Staffel zu sehen sind. Der Stuttgarter Bürgermeister Johannes Broll hat einen von ihnen, mit seinem Wappen verziert, 1564 aufstellen lassen. Trotz der nüchternen Tatsachen ist die Sage noch immer populär und wird oft erzählt: Der 22-jährige Hans Rugger hatte wegen ei­ nes schönen Stuttgarter Mädchens einen »Mitbewerber« umgebracht und nach seiner Ver­ urteilung zum Tode darum gebeten, hier auf dem Besitz seines Vaters sterben zu dürfen. Über die Pfizerstraße und die Alexanderstraße er­reicht man die Uhlandstraße. Bis 1858 war dieser Be­reich noch ausschließlich Gartengelände, obwohl bereits drei Jahre zu­ vor der spätere Straßenverlauf im offiziellen Stadtplan gestrichelt eingetragen erschien. Di­ rekt auf die Rückseite des Wilhelmspalais zuführend, wurde die Uhlandstraße zunächst »Pa­ laisstraße« genannt. Um den Blick aus dem Palais auch weiterhin angenehm zu ge­stalten, wurde die Straße als einzige weit und breit von Anfang an mit zurückgesetzten Baulinien und Vorgärten geplant. Bereits zu Lebzeiten Uhlands war neben der offiziellen Benennung die Bezeichnung Uhlandstraße gebräuchlich, obwohl erst 1863 der neue Straßenname im Stadtplan genehmigt wurde. Durch die Gaisburgstraße gelangt man um ein paar Ecken am »Wirt am Berg« vor­ bei in eine der ältes­ten noch erhaltenen Straßen Stuttgarts: die schon im Mittelalter benutz­ te Esslinger Steige. Auf buckligem Kopfsteinpflaster geht man an verwunschenen Gärten vorbei über historischen Boden und findet sich ganz unvermittelt wieder in der Wirklichkeit inmitten des Großstadtverkehrs auf der Alexanderstraße. Dieser letzte Aufstieg lohnt sich tatsächlich, denn man steht auf Stuttgarts schönster Brunnenterrasse, dem Eugens­platz. Er erhielt 1877 seinen Namen nach dem kurz zu­vor in Düsseldorf unter nie ganz aufgeklärten Umstän­den umgekommenen Gemahl der Herzogin Wera von Württemberg12, dem in der Stuttgarter Schlosskirche beigesetzten Herzog Wilhelm Eugen13. Unter großen Kastanien­ bäumen wird manchmal Boule gespielt, und wenn man über die Brüstung auf Stuttgart hin­ absieht, wird manche Sorge kleiner, und die Phantasie bekommt Flügel Der großartige Galatea-Brunnen geht auf die In­itiative von Königin Olga14 zurück und wurde 1890 im Auftrag des Vereins zur Förderung der Kunst von dem auch am Berliner Reichstag tätigen Künstler Otto Rieth geschaffen. Für die leichtbekleidete Galatea stand eine junge Berlinerin Modell, deren Bronzeabbild den Stuttgarter Pietisten allzu sinnenfroh erschien. Als die Proteste und Empörungen nicht aufhörten, drohte die Königin, die Bronze­ figur einfach umdrehen zu lassen – was beina­he Assoziationen zum berühmten Götz-Zitat zugelassen hätte und ein Beweis gewesen wäre, dass auch einer Mo­narchin der Kragen platzen kann. Unterhalb des Brunnens kommt man am Haus des Bundes Bildender Künstle­ 12  Wera Konstantinowna Romanowa war Großfürstin von Russland und Adoptiv­ tochter von König Karl I. von Württemberg und Königin Olga von Württemberg. 13  Wilhelm Eugen August Georg von Württemberg war ein württembergischer Stabs­ offizier.

14  Olga Nikolajewna Roman­ owa war als Tochter von Zar Nikolaus I. eine russische Großfürstin. Als Ehefrau des württembergischen Thron­ folgers und schließlich Königs Karl I. war sie von 1846 bis 1864 Kronprinzessin und ab 1864 Königin von Württem­ berg.

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Kap. 02

Harald Schukraft

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rinnen Württembergs vorbei, das die Nummer 17 trägt. Der berühmte Architekt Chris­tian Leins hat das Haus 1882 als Ateliergebäude für den schon genannten Verein zur Förderung der Kunst er­richtet. Seit 1907 ist es die Heimat des Bundes Bildender Künstlerinnen Würt­ tembergs e. V. (ehemals Württember­gischer Malerinnen-Verein). Nach Überquerung der Werastraße geht der Weg nach dem letzten Stück der Eu­ genstaffel links in die Urbanstraße. Die bis 1996 nach Plänen von James Stirling15 erbaute neue Musikhochschule beeindruckt jeden Betrachter, ob sie ihm nun gefällt oder nicht. Sie ist jedenfalls ein Gebäude, an dem man auch zukünftig nicht achtlos vorübergehen kann. An der Ulrichstraße, 1858 nach dem württember­gischen Herzog der Reformationszeit so genannt, biegt man links ab und geht ein letztes Mal wenige Schritte bergauf zur Olgastraße. Ältere Stuttgarter – wirklich nur sie? – beklagen die neuen Gerichtsgebäude als nicht adäquaten Neu-bau, zumal die Altbauten noch allesamt in gutem Zustand vorhanden waren. Eine sei­ nerzeit abgetragene und jahrelang zur Wiedererrichtung eingelagerte Sandsteinfassade, die unter Denkmalschutz stand, wurde schließlich vom Land Baden-Württemberg einem Stein­ metz abgetreten, der sie Stück für Stück an die Kunden brachte. In der Olgastraße stößt man inmitten eines groß­artigen Ensembles Stuttgarter Wohnhaus-Architektur auf das Gebäude Nummer 7, an dem eine Gedenktafel verkündet, dass hier von Juni 1945 bis September 1948 der Dienstsitz von Reinhold Maier, dem ersten Minister­präsidenten von Württemberg-Baden, war. Nur ein paar Meter weiter fällt linker Hand ein außergewöhnlich repräsentatives Haus mit der Num­mer 11 auf, das von den Resten eines großflächigen Gartens umgeben ist. An dem zwischen der Villa und dem ehemaligen Nebengebäude Olgastraße 9 angebrach­ ten Eisentor kann man als Jahr der Vollendung »1872« lesen. Der imposante Bau war die von Carl Beisbarth er­stellte Privatvilla des reichen Privatiers Arthur Bohnen­berger. Hatte der Stadtbauplan ursprünglich die Durch­führung der Archivstraße über die Olgastraße hinaus bis zur Gaisburgstraße vorgesehen, so war es der Einfluss Bohnenber­ gers, der dies zu verhindern wusste. Die neue Straße hätte die Villa zu einem Eckhaus degra­ diert und den Park mit der Loggia vom übrigen Grundstück abge­schnitten. Später wurde die Archivstraße in der Weise um das Gelände Bohnenbergers herumgeführt, wie sie heute noch als schmale Gasse zwischen dem 1914 im Garten er­richteten Württembergischen Kriegsministerium Olga­straße 13 und dem Gebäude Nummer 15 verläuft. Von den wenigen erhaltenen Bauten des Alli­anz-Viertels ist das vis-a-vis gelegene Haus Olgastraße Nummer 18 – 22 das Größte. Es wurde zwischen 1898 und 1903 in mehre­ ren Abschnitten errichtet. Obwohl im Zweiten Weltkrieg unzerstört geblieben, wurde es 1949 in der Dachzone verstümmelt, aber jüngst von der Allianz-Versicherung vorbildlich nach den ursprünglichen Plänen wiederhergestellt. Kurz bevor der Weg nach rechts in die Charlotten­ straße führt, liegt links als Olgastraße Nummer 33 das Wohnhaus der einstmals sehr popu­ lären Kinderbuch­autorin Tony Schumacher16. Als Großnichte des Dichters Justinus Kerner 1848 in Ludwigsburg geboren, waren ihre schriftstellerischen Fähigkeiten schon früh geför­ dert worden. Ihr Werk umfasst 36 Kinder- und Jugendbücher, die in aller Welt eine Millionen­ auflage erreicht haben. Von 1875 bis 1923 lebte sie hier im ersten Stock, während im Erdge­ schoss ihre umfangreiche Puppensammlung untergebracht war. Nach der Überquerung der Charlottenstraße führt der Weg diese hinab bis zum Haus Nummer 8, wo die Weberstraße einmündet. Durch die enorme Verbrei­terung der Stra­ ße nach dem Zweiten Weltkrieg ist die ge­samte südliche Häuserzeile verschwunden und mit die­ser auch gleich der größte Teil der Kanalstraße. Sowohl Kanal- als auch Weberstraße zeichnen noch heute exakt den Verlauf der im 15. Jahrhundert gebauten Stadtmauer um die erste Stuttgarter Stadterweiterung nach, da sie unmittelbar innerhalb der Mauer verliefen. Die Gegend dieser Vorstadt war vor mehr als 600 Jahren eine sanft nach Südosten ansteigende Wiesenlandschaft in unmittelbarer Nähe des Nesenbachs. Ihr Mittelpunkt wur­ de eine frühgotische Kapelle, die nach 1400 Zug um Zug zur heutigen Leonhardskirche ausge­baut worden ist. Nach ihr wurde der neue Stadtteil bis zur Reformation »Leonhards­ 15  Sir James Frazer Stirling war einer der bedeutendsten britischen Architekten des 20. Jahrhunderts. Er wird stilistisch der Postmoderne zugerechnet. 16  Tony Schumacher war eine Schriftstellerin. Sie gehörte neben Thekla von Gumpert, Isabella Braun, Otti­

lie Wildermuth, Johanna Spyri und Agnes Sapper zu den renommiertesten Kinderbuch­ autorinnen des 19. und begin­ nenden 20. Jahrhunderts.

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Kap. 02

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vorstadt« genannt. Erst danach kam die Bezeichnung »Esslinger Vorstadt« in Gebrauch. Solange die Mauer noch zur Verteidigung ge­braucht wurde, durften die unmittelbar daran anstoßen­den Grundstücke nicht bebaut werden. Erst unter Herzog Friedrich I.17 wurde 1604 gestattet, Häuser auf die Mauer aufzusetzen. Allerdings mussten sich die Eigen­tümer verpflichten, im Verteidigungsfall ihre Behausungen auf eigene Kosten wieder zu beseitigen. Alle Häuser konnten auf Dauer stehen bleiben, weshalb sich schließlich für Teile der Weber­ straße die Bezeichnung »Bei den neuen Häusern« einbürgerte. Das etwas in den Straßen­ raum hineinragende Eckhaus bei der Rosenstraße ist das letzte Gebäude, das wenigstens in den Grund­mauern noch auf das Jahr 1604 zurückgeht. Vorbei am so genannten »Weberplätzle« kommt man zum Schellenturm bei der Wagnerstraße, der ursprünglich Kastkellereiturm hieß. Der Name des alten Schellenturms an der Kanalstraße wurde hierher übertra­gen, nachdem der bisher so genannte Turm 1811 abgebrochen worden war. Eine Inschrift über dem Eingang besagt, dass der 1980 wieder mit einem Fachwerkaufsatz versehene letzte Stadtmauerturm im Jahr 1564 durch Hanns Flach von Meeringen (Möhringen) errichtet wurde. Gleich links davon steht ein von Gottlob Schwab anno 1900 erbautes Haus, in dessen Erdgeschoss das tra­ditionsreiche Lokal »Zum Brett« eingerichtet ist. Hier finden sich seit Generationen Bewohner dieses Viertels zu fröhlicher Runde zusammen. Durch ein besonders enges Stück der Weberstraße tritt man auf die Pfarrstraße hi­ naus und steht plötzlich vor einer grünen Wand aus Gebüsch. Dahinter verbirgt sich das »Zü­ blin-Parkhaus« als regelrechter Trennklotz zwischen Bohnen- und Leonhardsviertel. Wenn in eini­gen Jahren der Pachtvertrag ausläuft, soll das Gelände wieder mit Wohnhausern be­ baut werden. Dies würde .auch der heute zwischen Autos eingeklemmten Leon­hardskirche sehr zum Vorteil gereichen. Um in den nächsten Abschnitt der Weberstraße zu gelangen, muss man ein kurzes Stück auf der Katharinenstraße an der Tankstelle vorbeigehen, bis man in der Lazarettstraße wieder auf die Weberstraße trifft. Der Umweg führt die Verände­ rungen in diesem Bereich dras­tisch vor Augen. Lässt man aber den Blick durch die We­ berstraßc schweifen, so bemerkt man die Bewegtheit, das Auf und Ab ihres Verlaufs. Hier sieht man wenigstens andeutungsweise noch das alte Geländerelief der Nesenbachniede­ rung mit den eingekerbten »Hohlwegen« der früheren Gassen. Im Bereich des Hauses »Murrhardter Hof« stand bei der Einmündung der Leon­ hardstraße in den Wil­helmsplatz seit dem 15. Jahrhundert ein runder Stadt­mauerturm. Er wurde »Weißer Turm« genannt, da er mit Abbruchsteinen der einige hundert Meter oberhalb gele­genen Weißenburg aufgerichtet wurde. Der Turm diente dem Scharfrichter, damals auch unter der Bezeichnung Nachrich­ ter bekannt, als Woh­nung, weshalb er später immer häufiger »Nachrichter­turm« hieß. Kurz bevor der Weg auf den Wilhelmsplatz führen würde, knickt die Weberstraße nach rechts um und trifft nach knapp hundert Metern auf die Hauptstätter Straße. In dieser heute so maleri­ schen Altstadtgasse stehen die vorbildlich renovierten Gebäude Weberstra­ße 2/Richtstra­ ße 1 und 3, die zu den Geschäftsstellen des Schwäbischen Heimatbunds und des Verschö­ nerungsvereins der Stadt Stuttgart ausgebaut wurden. Die pitto­resken Giebelhäuser zeigen noch immer die Kleinparzellierung dieses Gebietes in unmittelbarer Nachbarschaft zur Hin­ richtungsstätte, dem so genannten »Käs«, der sich bis 1811 auf dem Wilhelmsplatz befunden hat. Von dieser Enthauptungsstätte leitet sich auch der Name der Hauptstätter Straße ab. Üblicherweise war die Nähe des Richtplatzes ein unreiner Ort, der, wenn nicht ge­ ächtet, so doch gemieden wurde. Möglicherweise befand sich hinter den Häu­sern im Be­ reich der Richtstraße über längere Zeit ein Abfallplatz oder eine Bauschuttdeponie. Dies würde die im Gegensatz zur eben verlaufenden Weberstraße merk­würdig aufgewölbte Richtstraße erklären. Nach diesem erholsamen Spaziergang auf ebenen Pfaden durch Stuttgarts Alt­ stadt endet die Wanderung an der Einmündung der Weberstraße in die Hauptstätterstraße beim ehemaligen »Armenhaus« aus dem 17. Jahr­hundert, das heute als Altstadt-Lokal einer ganz anderen Bestimmung dient. 17  Friedrich I. war Graf von Mömpelgard und der sechste regierende Herzog von Würt­ temberg.

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Mein Opa Garfunkel

von Chiara Joos

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Kap. 03

Chiara Joos

Mein Opa Garfunkel

Mein Opa Garfunkel war 88 Jahre alt als er im Jahre 2018 verstarb. Er hatte ein Leben geführt, aus welchem es viele spannende Geschichten zu erzählen gibt. Mein Opa wurde 1922 in Stuttgart, als der dritte Sohn der jüdischen Familie Gar­ funkel im Sommer diesen Jahres, geboren. Sein Vater leitete eine Baumwollund Putzwoll Fabrik in Stuttgart-Untertürkheim. Seiner Familie ging es finanziell mehr als gut. Sie bewohnten eine wunderschöne Stadtvilla in der Dobelstraße am Heusteigviertel. Das Haus war am Hang gelegen und man gelangte nur über die Dobelstaffel hinein. Die Dobelstaffel war der Spielplatz aller Nachbars Kinder. Die Jungen und Mädchen spielten Tag ein, Tag aus auf der sogenannten Stäffele. Hauchten den schmalen Stufen mit ihren bunten Kreidefarben Leben ein, indem sie lauter Figuren und Zeichen drauf malten. Sie rutschen das Treppengeländer hinunter. Manchmal machten sie ein Wettrennen daraus, indem sie die Zeit stoppten. Der schnellste gewann. Einmal fuhr einer der jungen aus der Nachbar­ schaft mit einem klapprigen Kinderrad hinunter, bis er schreiend auf der Treppe lag, er hatte die Kontrolle verloren und schlug sich Arme und Beine auf. Opas erster Kuss war auf dieser schmalen, steilen und langen Treppe. Im Winter fuh­ ren sie über die, von Eis und Schnee bedeckten, steilen Stufen mit ihren Holz­ schlitten hinab in die Tiefe. Oder beobachteten die Damen und Herren, die müh­ sam versuchten eine schmale Stufe nach der anderen zu erklimmen, sich einander festkrallten, damit sie nicht ausrutschten. Viel mussten sie lachen, denn es sah ulkig aus, wie die Herrschaften da hin und her rutschten und sich gegen­ seitig drohten stürzen zu lassen. Sie machten sich auch manchmal einen Spaß daraus, heimlich die Passanten mit Schneebällen abzuwerfen und sich dann über ihr Geschimpfe lustig zu machen. Die Jahre vergingen, die Treppe blieb. Jedoch veränderte sich alles um meinen Opa herum. Adolf Hitler kam an die Macht. In der letzten Novemberwoche des Jahres 1941 stürmten SS-Soldaten in die Villa der Familie Garfunkel, nahm all die Besitztümer der Familie man sich und verhaftete die ganze Familie, selbst seine zwei kleinen Schwestern die gera­ de mal 2 Jahre und wenige Monate alt waren wurden verhaftet. Sie wurden in die sogenannte Blumenhalle auf dem Killesberg eigesperrt. Nach vier Tagen wur­ den sie am 01.12.1941 aus der Halle gebracht. An jenem Montag verließ ein Zug mit 1000 jüdischen Männern, Frauen und Kindern den Nordbahnhof in Richtung Riga. Mein Opa und seine zweitjüngste Schwester überlebten. Er verbrachte sein Leben ausserhalb von Deutschland. Kurz nach seinem 88. Geburtstag wur­ de klar, dass er nicht mehr lange zu Leben hatte. Er bat mich, seine jüngste Enke­ lin, ihn in seine alte Heimatstadt Stuttgart zu begleiten. Er wollte noch einmal die Orte aus seinen Erinnerungen erleben. Der letzte Ort den wir aufsuchten war sein Geburtshaus. Die schöne alte Stadtvilla an der Dobelstaffel. Ein großes Haus, gebaut mit grauen Steinen, in welche wunderschöne weiße Fensterrah­ men eingegliedert wurden. Das Dach schmückten in den Stein gemeißelte Figu­ ren. Die rechte Hausseite zierte ein Turm mit einem runden, spitz zulaufendem grünem Dach. Das Haus war schon langsam in den Besitz von Kletterpflanzen genommen worden, was diesem ein malerisches Aussehen verlieh. Um zu dem Haus zu gelangen mussten wir die Stufen der Staffel hinaufgehen. Eine schier endlos lange Treppe mit sehr schmalen Stufen. Mein Opa war zu diesem Zeit­ punkt nicht mehr so gut zu Fuß und hatte nicht viel Kraft. Er bestand jedoch drauf zum Haus hinauf zu laufen. Nachdem wir angekommen waren, schaute er lange in eines der Fenster, wandte ab und erklomm eine Stufe nach der anderen in die Höhe. Oben angekommen schauten wir beide auf Stuttgart. Mein Opa lächelte leicht und erzählte mir von seine Kindheit an diesem Ort und von all den Erinne­ rungen, die er mit dieser Treppe verband. Dann brachen wir auf.

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Famous Stairs

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The Truman Show, 1998



Nosferatu, 1922



The Godfather, 1990



The Bourne Identity, 2002



Pretty Woman, 1990



Inception, 2010



The Big Lebowski, 1998



Ghostbusters, 1984



The Shining, 1980



Psycho, 1960



Rocky, 1976



Joker, 2019



Treppenbauregeln

Baurechtliche Vorschriften und DIN 18065 Die richtigen Begriffe sind nicht nur deswegen wichtig, damit alle be­ teiligten wissen, wovon die Rede ist. Sondern auch, weil sie in den Regelwerken verwendet werden, die festlegen, wie eine Treppe ausgestaltet sein muss. Dazu gehören in erster Linie die baurechtlichen Vorschriften der Landesbauordnungen, außerdem die Anforde­ rungen der DIN 18065. Beide legen unter anderem die Maße für Laufbreite, Steigung und Auftritt einer Treppe fest oder bestimmen die Höhe des Treppengeländers. Zwar besitzt die DIN 18065 keinen Gesetzescharakter, beschreibt aber die allgemein anerkannten Regeln der Technik, die ein Treppenbauer grundsätzlich anzuwen­ den hat. Steigung, Auftritts- und Laufbreite Die drei wichtigsten Begriffe sind die Steigungshöhe, die Auftrittsbreite und die Laufbreite. Unter der Steigungshöhe einer Treppe versteht man die Höhe der einzelnen Stufen. Eine Stufenhöhe zwischen 16 und 18 Zentimetern wird als besonders komfortabel und sicher wahrgenommen Treppenstufen heißen im Fachjargon Auftritt. Die Auftrittsbreite bezeich­ net die Auftrittsfläche und zwar von der Seite aus gesehen. Blickt man dagegen aus dem Blickwinkel eines Menschen, der die Treppe gerade benutzt, auf die Stufe, wäre Auftrittstiefe das richtige Wort. 29 Zentimeter gelten als guter Orientierungswert. Der Begriff Laufbreite wiederum bezieht sich tatsächlich auf die Perspektive des Treppennutzers und meint die Breite einer Treppenstufe, also die Distanz zwischen dem linken und rechten Rand der Treppe. In Einfamilienhäusern beträgt die Laufbreite üblicherweise zwischen 80 und 100 Zentimetern. Daneben gibt es noch einige weitere Begriffe, die vor allem für die Umsetzungsplanung wichtig sind. Bei der Planung, wie viel Platz eine Treppe im Grundriss einnimmt, sind sie weniger wichtig. Das Schrittmaß ist im Endeffekt die Höhe zweier Stufen, also die doppelte Steigungshöhe. Es ist die Höhe, die man beim Treppensteigen mit einem Bein überwindet. Die Lauflänge ergibt sich aus der Summe aller Auftrittsbrei­ ten. Die Geschosshöhe ist durch die restliche Hauspla­ nung gesetzt, entspricht aber der Summe aller Stufen-,

beziehungsweise Steigungshöhen. Der Steigungswinkel ergibt sich aus der Lauflänge und der Ge­ schosshöhe, beziehungsweise der Summe aller Steigungshöhen. Die Kopffreiheit beziehungsweise die lichte Durchgangshöhe bezeichnet den Abstand zwischen einer Stufe und der Geschossdecke. Die DIN 18065 schreibt eine Mindesthöhe von 200 Zentimetern vor – was aber je nach Größe der Bewohner schon zu niedrig sein kann. Üblicherweise wird für eine Kopffreiheit von mindestens 210 Zentimetern gesorgt. Die Treppenöffnung ergibt sich aus der Lauflänge und der lichten Durchgangshöhe. Sie beschreibt die Fläche, die im Obergeschoss durch die Treppe verloren geht. Lauflänge berechnen Wie lange eine gerade verlaufende Treppe wird, lässt sich ganz einfach berechnen: Auftrittsbreite multipliziert mit der Anzahl der Stufen. Allerdings sollte bei jeder Treppe oben und unten noch mindes­ tens ein Meter Platz für Antritt und Austritt eingeplant werden. Lauflänge = Auftrittsbreite x Anzahl der Auftritte Stufenzahl berechnen Um die Anzahl der Stufen der neuen Treppe zu berech­ nen, teilt man die Geschosshöhe durch die gewünschte Steigungshöhe, also die einzelne Treppenstufenhöhe. Hierbei wird auf- beziehungsweise abgerundet. Anzahl der Auftritte = Geschosshöhe / Steigungshöhe Steigungshöhe berechnen Wer die Anzahl der Stufen festgelegt hat, kann nun die exakte Steigungshöhe der Treppe berechnen. Eine Höhe zwischen 16 und 18 Zentimetern gilt als komfortabel. Exakte Steigungshöhe = Geschosshöhe / Anzahl der Auftritte Auftrittsbreite der Treppe berechnen Die Auftrittsbreite bezeichnet die Tiefe einer Treppen­ stufe, also wie viel Platz der Fuß auf der Stufe hat .Empfehlenswert sind hier um die 29 Zentimeter. Für die Formel wird das Schrittmaß benötigt, das im Durch­ schnitt bei 63 Zentimetern liegt. Auftrittsbreite = 63 Zentimeter – (2 x Steigungshöhe) Steigung der Treppe berechnen Teilt man die Geschosshöhe durch die geplante Länge der Treppe,

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Kap. 03

Treppenbauregeln

erhält man einen Wert, der die Steigung angibt. Ist dieser größer als 1, ist die Treppe zu steil. In diesem Fall gibt es andere Treppenmodelle, wie beispielsweise Wendeltreppen, die für den vorhandenen Platz besser geeignet sind. Wenn der Wert unter 0,45 ist, kann die Treppe ruhig noch etwas steiler werden, um nicht unnötig Platz zu verschwenden. Steigung = Geschosshöhe / Lauflänge Neben den Formeln zur Berechnung der einzelnen Treppenelemente, gibt es allgemeine Regeln, die zur Treppenplanung angewandt werden. Schrittmaßregel Es wird empfohlen, dass die Tiefe einer Treppenstufe plus der doppelten Stufenhöhe eine Summe von 61 bis 65 Zentimetern ergibt. Dabei entsprechen 63 Zentimeter dem Schrittmaß eines durch­ schnittlich großen Menschen. Diese Formel eignet sich besonders für Treppen mit einem Neigungswinkel zwischen 30 und 37 Grad. Ist die Neigung höher, ergeben sich zu schmale Auftritte, ist sie kleiner als 30 Grad, zu breite. 2 x Steigungshöhe + Auftrittsbreite = etwa 63 Zentimeter Sicherheitsregel Mit der Sicherheitsformel wird überprüft, ob die Auf­ trittsbreite nicht etwa zu klein und somit sturzfördernd ist. Hierbei soll die Summe von Auftritt und Steigung 46 Zentimeter ergeben. Steigungshöhe + Auftrittsbreite = 46 Zentimeter Bequemlichkeitsregel Während die Sicherheitsformel besonders bei öffentlichen Gebäu­ den berücksichtigt wird, achten Bauherren im Eigenheim eher auf einen bequemen Auf- und Abstieg. Dafür sollte die Differenz von Auftritt und Steigung 12 ergeben. Auch diese Regel ist für Treppen mit einer Neigung von etwa 30 Grad anwendbar. Auftrittsbreite – Steigungshöhe = 12 Wer Sicherheits-, Bequemlichkeits- und die Schrittmaß­ formel gleichermaßen berücksichtigen möchte, liegt mit einer Treppe mit 17 Zentimetern Steigungshöhe und 29 Zentimetern Auftrittstiefe genau richtig: Das sind die einzigen Abmessungen, die tatsächlich allen drei Formeln entsprechen.

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Treppenöffnung

Steigungshöhe

Geschosshöhe

Auftrittsbreite

Lauflänge


Steigungswinkel

Kopffreiheit

SchrittmaĂ&#x;


Benennungen

Albert-Ebert-Staffel (benannt 1993, Stuttgart-Münster) Albert Ebert (*2. September 1886 Philadelphia, USA † 6. Januar 1958), Mitbegrün­ der und langjähriger Vorsit­zender der Baugenossenschaft [Stutt­ gart-]Münster. Alice-Haarburger-Staffel (benannt 1987, Stuttgart-De­ gerloch) Alice Haarburger (*16. November 1891 Reut­ lingen, gestorben 1941), Malerin, stammte aus einer ang ­ esehenen jüdischen Familie, die ab 1903 in Stuttgart lebte. Sie studierte in Stuttgart und München Malerei. Schon als Zwanzigjährige gehörte sie dem Württember­ gischen Malerinnenverein in Stuttgart an. 1927 bis 1937 hat sie nicht nur in Stuttgart mehrfach ihre Werke ausge-­ stellt. Ab 1933 durfte sie ihre Bilder nur noch innerhalb geschlossener jüdischer Ausstellungen zeigen, vor allem bei den von Karl Adler eingerichteten Ausstellungen der »Stuttgarter jüdischen Kunstgemeinschaft«. Nach ihrer Deportation nach Riga am 1. Dezember 1941 wurde sie für tot erklärt. Ihre etwa 150 erhaltenen Ölbilder, Stillleben, Landschaften, Interieurs und Bildnisse be­finden sich in Privatbesitz. Bärenstäffele (benannt 1986, Stuttgart-Feuerbach) So hieß die Staffel im Volksmund, nach einem Zuchteber, der am Fuß der Staffel gehalten wurde. »Bär« ist eine alte süddeutsche Bezeichnung für Eber; sie ist heute noch im Bairischen gebräuchlich. Buchenhofstaffel (benannt 1979, Stuttgart-West) »Der Buchenhof« war ein Luftkur-Hotel in der oberen Ha­senbergsteige. Als Hotel garni bestand er bis 1982. Das ursprüngliche Haus im Schweizer Stil, das im Zweiten Weltkrieg zerstört wurde, umfasste auch eine Galerie mit großer Aussichtsterrasse. Der Dichter Christian Wagner pries sie im Gästebuch mit den Versen: »Willst du retten

dich, Freund, aus Stuttgarts Straßengetriebe, suchen ein stilles Asyl, so flücht' zu der schattigen Höh' des Hasen­bergs hinan, wo dir winket ein Weinhaus, vornehm, edel, zumal als rebenumsponnene Villa. Oben der heil'ge Wald und unten das schwäb'sche Firenze, göttlich schwelgst du so in Wein und herrlichem Ausblick.« Buchwaldstaffel (benannt 1948, Stuttgart-Ost) Der Flurname bezeichnet einen Buchenwald. Burghaldenstaffel (benannt 1938, Stuttgart-Feuerbach) Der Flurname geht auf die nahe gelegene ehemalige Burg' Frauenberg zurück. Dürrbeinstaffel (benannt 1957, Stuttgart-Schönberg) Im Volksmund wird der Nelkenschwindling, marasmius oereades, »Dürrbein« genannt. Er schrumpft bei trocke­nem Wetter im Sommer zusam­ men, quillt beim nächsten Regen aber wieder auf. Obwohl der fünf bis acht Zenti­meter hohe Pilz einen dünnen Hut und einen dünnen Stiel hat, ist er ein geschätzter Speisepilz. Man findet ihn auf ungedüngten Wiesen und an Wegrändern. In Schön­berg sind nahezu alle Straßen und Wege nach Pilzen be­nannt. Ehrenhaldenstaffel (benannt 1934, Stuttgart-Nord) Der Flurname leitet sich von Herrenhalde her. Die Besitzer an der Ehrenhalde waren geistliche Herren des Klosters Kaisheim bei Donauwörth. Else-Himmelheber-Staffel (benannt 1997, Stuttgart-Süd) Else Himmelheber (* 30. Januar 1905, hingerichtet am 30. November 1944 im KZ Dachau), Widerstandskämp­ferin gegen das Nazi-Regime. Als Braut von Friedrich Schlotterbeck gehörte Else Himmelheber, die in der Ad­lerstraße 24 wohnte, zum Widerstandskreis um die Un­tertürkheimer Familie Schlotterbeck. Bereits ab 1933 ar­beitete dieser Kreis aktiv im Widerstand, indem er Infor­mationen über die Rüs­ tungsindustrie sammelte.

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Kap. 03

Bennenungen

Elsterstaffel (benannt 1931, Stuttgart-Süd) Die Elster, pica pica, ist ein häufig anzutreffender Vogel . In Heslach sind etliche Straßen und Wege nach Vögeln benannt. Emil-Molt-Staffel (benannt 2005, Stuttgart-Mitte) Emil Molt (*1876 Schwäbisch Gmünd † 1936 Stuttgart) grün­dete auf der Uhlandshöhe in Stuttgart 1919 die erste Waldorfschule der Welt, benannt nach seiner Zigaretten­fabrik Waldorf-Astoria. Die »Einheitliche Volks- und Höhere Schule« sollte vor allem den Kindern der Ziga­rettenarbeiter zu Bildung verhelfen. Molt betraute den von ihm bewunderten Rudolf Steiner, den Begründer der Anthroposophie, mit dem Aufbau des pädagogischen Konzepts und der Lehrerausbildung. Zudem erstand Molt aus seinen Privatmitteln ein Gebäude an der Hauß­mannstraße – dort, schräg gegenüber der Emil-Molt-­Staffel, befindet sich die Waldorfschule noch heute – und stattete die Schule mit 100 000 Reichsmark Kapital aus. Sie wurde zum Modell und Ausgangspunkt einer inter­national wachsenden Schulbewegung. Ernst-Schädle-Staffel (benannt 1951, Stuttgart-Vaihin­ gen) Ernst Schädle (*1864 † 1929), Förderer des kulturel­ len Lebens der Gemeinde Vaihingen auf den Fildern und der Bestrebungen des Schwäbischen Albvereins. Friedhofstaffel (benannt 1910, Stuttgart-Untertürkheim) Führt in Verlängerung der Schmaukstraße zum Unter­türkheimer Friedhof. Friedrich-E.-Vogt-Stäffele (benannt 1997, Stuttgart- Süd) Friedrich E. Vogt (*15. Juli 1905 Stuttgart † 21. Dezember 1995 Stuttgart), Stuttgarter Lokalpoet und Verfasser der Hymne »Dia steile Stuagerter Stäffela«. Vogt studierte Germanistik, Anglistik und Romanistik in Tübingen, München, Paris und Berlin und promovierte über »Die Mundart von Deufringen und Umgebung«. Nach dem Zweiten Weltkrieg war er Chefdolmetscher bei der amerikani­ schen Militarregierung und unterrichtete dann an Gymnasien in Esslingen a. N., Stuttgart und Sindelfin­gen. Als Mundartdichter verband er die Generation von August Lämmle und Wendelin Überzwerch mit der ab 1973 einsetzenden »neuen schwäbischen Mundartdich­tung«. Experimentierfreudig zeigte Vogt, wie man in zeitgemä­ ßer Dialektdichtung auch das Lebensgefühl des Großstädters zum Ausdruck bringen kann, blieb aber immer auch ein Forscher, wie etwa seine Dokumentation zur Sprache der württembergischen Waldenser oder sei­ne schwäbische Sprachlehre zeigen. Vogt hat insgesamt 22 Bücher veröffentlicht. Er wurde unter anderem mit der Goldmedaille der Stadt Stuttgart ausgezeichnet. Friedrich-Keller-Staffel (benannt 1988, Stuttgart-Nord) Friedrich von Keller ( *18. Februar 1840 Neckarweihingen † 26. August 1914 Abtsgmünd), Maler. Keller stu­dierte Malerei bei Häberlin in Stuttgart und Linden­schmit in München. Er malte vor allem im Freien, in Steinbrüchen und in großen Gießereien. Außerdem schuf er zahlreiche Bilder zu religiösen Themen. Er gilt für seine Zeit als bahnbrechender Künstler, zu dessen Schülern auch Oskar Schlemmer gehörte. Theodor Heuss schrieb über Keller: »Kellers eigentliche geschicht­ liche Leistung in der schwäbischen Kunst bleibt für uns neben der weitgehenden und erfolgreichen Tätigkeit in jenen großen Arbeits­ bildern, die völlig selb­ständige Zeugnisse einer eigenwilligen Natur sind.« 1883 wurde er Professor an der Stuttgarter Kunstakade­mie. Friedrich-Wolf-Staffel (benannt 1983, Stuttgart-Feuer­ bach) Friedrich Wolf (*23. Dezember 1888 Neuwied † 5. Oktober 1953 Lehnitz in Brandenburg), Arzt und Schrift­

Stäffele steller. Wolf war einer der populärsten, meist­übersetzten und umtriebigsten Figuren des Kulturlebens der Weimarer Republik. 1927 zog er von Hechingen nach Stuttgart und eröffnete in der Zeppelinstraße eine Praxis für Naturheilkunde und Homöopathie. 1928 veröffent­ lichte er das Buch »Die Natur als Arzt und Helfer«. Er hielt Rundfunkvorträge und Dichterlesun­gen, schrieb die Dramen »Der arme Konrad« und »Ko­ritke« und schließlich das aufrüttelnde Abtreibungs­drama »Cyan­ kali – § 218«. Ein Strafverfahren gegen ihn wegen des Verdachts der »gewerbsmäßigen gemein­schaftlichen Abtreibung« machte 1931 den undogmati­schen Kommunisten in ganz Deutschland berühmt. Nach gewalti­ gen Protesten wurde er aus der Haft ent­lassen und das Verfahren eingestellt. 1931 wählten die Stuttgarter Friedrich Wolf in den Gemeinderat. Da er an den etablierten Theatern nicht mehr gespielt wurde, gründete er die Agit-Prop-Kompanie »Spieltrupp Süd­west«. Als Kommunist und Jude gefährdet, musste er 1933 emigrieren. In der Schweiz entstand »Professor Mamlock«, ein Stück gegen den Antisemitismus. Seine Flucht ging weiter über Frankreich und die USA nach Moskau. Nach 1945 wurde Wolf der erste DDR­-Botschafter in Wraschau, 1951 zog er nach Ost-Berlin. 1946 hielt er im Furtbach­ saal eine große Rede mit dem Titel »Mut zum Leben!« In ihr bekannte er, dass es ihn »mit magischer Kraft wieder nach Stuttgart« ziehe; und: »Hier in Schwaben kann der Staat vom Menschen her aufgebaut werden«, eine Liebeserklärung an Württem­berg. Fritz-Münch-Staffel (benannt 1992, Stuttgart-Süd) Fritz Münch (*1906 † 1990), Schneidermeister aus Stutt­gart. Münch wohnte Zeit seines arbeitsreichen Lebens an dieser Staffel zwischen Alter Weinsteige und Pfaffenweg. Seine Herrenschneiderei in der Marienstraße wird heute von seinem Sohn Hannes geführt. Fritz-Wisten-Staffel (benannt 2007, Stuttgart-West) Der Schauspieler Fritz Wisten (eigentlich Moritz Weinstein, (*1890 Wien † 1962 Berlin) brillierte als Charakterdar­steller und Publikumsliebling im Deutschen Theater im Stuttgarter Süden, an der Stuttgarter Volksbühne und am Württembergischen Landestheater. 1933 wurde der Jude Wisten entlassen, 1938 in ein Konzentrations­ lager ver­schleppt. Er überlebte die Nazizeit und wirkte ab 1946 als Theaterintendant in Berlin. Georg-Elser-Staffel (benannt 1999, Stuttgart-Ost) Ge­org Elser (*1903 Hermaringen † 1945 Dachau), Wider­standskämpfer, versuchte am 8. November 1939, Hitler mit einem Attentat im Münchner Bürger­ bräukeller zu töten. Er war im KZ Sachsenhausen, dann im Konzent­ rationslager Da­chau inhaftiert und wurde von den Nationalsozialisten am 9. April 1945, wenige Tage vor der Befreiung durch die Alliierten, ermordet. Gerokstaffel (benannt 1909, Stuttgart-Mitte) Karl Gerok ( *1815 Vaihingen/Enz † 1890 Stuttgart), Prediger und Dichter, seit 1849 in Stuttgart, 1862 Dekan der Stadtdiö­zese Stuttgart, 1868 Oberhofprediger und Oberkonsis­torialrat mit der Titel Prälat, 1866 Ehrenbür­ ger der Stadt Stuttgart. Ginsterstaffel (benannt 1991, Stuttgart-Ost) Nach dem gelb blühenden Strauch, den man in vielen Gärten findet. Haigststaffel (benannt 1911, Stuttgart-Degerloch) Der

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Kap. 03

Bennenungen

Flurname leitet sich von »höchst« ab, was man im Dialekt »haigst« ausspricht. Bis zur Eingemeindung der Fildervor­orte war der Bergvorsprung, zu dem die Staffel führt, der höchstgelegene Punkt des Stuttgarter Stadtgebiets. Happoldstaffel (benannt 1938, Stuttgart-Feuerbach) August Happold (*1846 Schwäbisch Hall † 1922 Stutt­gart), Fabrikant und 1908 Ehrenbürger von Feuerbach, ließ der Gemeinde namhafte Zuwendun­ gen für soziale und kulturelle Zwecke zukommen. Hasenbergstaffel (benannt 1907, Stuttgart-West) Nach dem schon im 14. Jahrhundert genannten Hasenberg, dessen Name entweder vom Tier oder von einem Perso­nennamen abzuleiten ist. Helene-Schoettle-Staffel (benannt 1998, Stuttgart-Süd) Helene Schoettle, geb. Osswald (*1903 † 1994), langjährige Stadträtin. Schon früh engagierte sich Helene Schoettle frauenpolitisch und bei der SPD. Verheiratet mit Erwin Schoettle, damals Parteisekretär des SPD ­Kreisverbands Stuttgart, musste sie 1934 in die Schweiz und dann nach England fliehen. Nach Stuttgart zurückge­kehrt, gehörte sie 1950 bis 1975 dem Gemeinderat an. 1960 wurde Helene Schoettle Mitgründerin der » Le­benshilfe für geistig Behinderte«, dessen Vorstand sie 15 Jahre lang angehörte. Herderstaffel (benannt 1927, Stuttgart-West) Johann Gottfried (von) Herder ( *25. August 1744 Mohrungen, Ostpreußen † 18. Dezember 1803 Weimar), Dichter, Phi­losoph, Theologe und Übersetzer, Wegbereiter und Theo­retiker des Sturm und Drang. Hessenlaustaffel (benannt 1975, Stuttgart-Vaihingen) Der Flurname setzt sich aus »Lau«, einem kleinen Wald, und einem Personenna­ men zusammen. Himmelstaffel (benannt 1975, Stuttgart-Dachswald) Lagebezeichnung nach dem landschaftlich schön gelegenen Gelände. Karl-Adler-Staffel (benannt 1990, Stuttgart-West) Karl Adler (*25. Januar 1890 Buttenhausen † Juli 1973 New York), Musiker. Nach seiner Ausbildung zum Konzert­sänger übernahm er 1921 bis 1933 die Leitung des Stutt­garter Konservatoriums am Herdweg, das unter ihm eine Blütezeit erlebte. 1933 erhielt er Berufsverbot, konnte aber, trotz schwerer Misshandlungen, innerhalb der jüdi­schen Gemeinde kulturell und auch als Menschenretter segensreich wirken. Nach seiner Emigration 1940 setzte sich Karl Adler in den USA verhältnismäßig schnell durch; er erwarb den Doktortitel, wurde Professor an der Jüdi­schen Vniversität in New York und verwertete dort die Literatur der deutschen Singbewegung. Nach 1945 nahm er zur alten Heimat wieder Fühlung auf. »Viva la musi­ca« steht auf seinem Grabstein: Sein Leben war Musik, unbeugsame Aufrichtigkeit der Grundton seines Lebens. Kriegerstaffel (benannt 1937, Stuttgart-Nord). Die Stra­ße liegt unterhalb der Flur » Krieger«, die 1724 erstmals urkundlich erwähnt wird. Der Name leitet sich von ei­nem Personennamen oder dem angrenzenden Kriegs­berg her. Dieser wiederum taucht schon 1294 in einer Urkunde auf und geht entweder auf kriegerische Ge­fechte beziehungsweise ein militärisches Feldlager oder auf Grundstücksstreitigkeiten zurück. Liststaffel (benannt 1904, Stuttgart-Süd) Friedrich List ( *1789 Reutlingen † 1846 Kufstein in Tirol), Volkswirt. List lenkte als junger, gegen Bürokratie und überaltertes Ständewesen leidenschaftlich ankämp­

Stäffele fender Ministerial­beamter die Aufmerksamkeit des reformfreund­ lichen Ministers von Wangenheim auf sich, der ihm 1817 den neuerrichteten Lehrstuhl für Staatswissenschaften in Tü­bingen verschaff­ te. 1819 gründete List den Deutschen Handels- und Gewerbeverein, den Vorläufer des deut­schen Zollvereins, der sich für die Abschaf­ fung der Bin­nenzölle einsetzte. Aus diesem Grund wurde er aus dem württembergischen Staatsdienst entlassen. Als Abgeord­neter der württembergischen Kammer setzte er sich für eine demokratische Verfassungsreform ein, wurde 1822 wegen angeblicher »staatsfeindlicher Aufreizung« zu Festungshaft verurteilt und kam gegen das Versprechen, nach Amerika auszuwandern, wieder frei. Als amerika­ nischer Konsul kehrte er 1830 zurück und trat in Leipzig für die Errichtung eines deutschen Eisenbahnnetzes ein. Dies führte zur Gründung der Dresdener Eisenbahn. List lebte dann als freier Schriftsteller in Paris, anschlie­ßend in Augsburg, wo er an Cottas Allgemei­ ner Zeitung mitarbeitete. List, der durch Selbstmord aus dem Leben schied, wohnte 1815 bis 1817, 1819 bis 1822 und 1824 bis 1825 in Stuttgart. Lorenzstaffel (benannt 1979, Stuttgart-Mitte) Leitet ih­ren Namen von einem Gebäude des Zimmermalers Wil­helm Friedrich Lorenz (*1795 † 1864) ab. Mannheimer Staffel (benannt 1939, Stuttgart-Bad Cannstatt) Stadt Mannheim. In der Cannstatter Ne­ckarvorstadt sind viele Straßen nach deutschen Groß­und Industriestädten benannt. Maria-Lemme-Staffel (benannt 1987, Stuttgart-Hoffeld) Maria Lemme, geb. Schwarzkopf (*3. Oktober 1880 Odessa † März 1943 Theresienstadt), Malerin. Schon als Kind erhielt sie Malunterricht. 1900 heiratete die Künst­lerin Karl Lemme; mit diesem war sie 1914 bis 1918 in russischer Gefangenschaft in Sibirien. Dort führte sie der russische Maler Schlicht in die moderne Malerei ein. 1918 zog Maria Lemme nach Stuttgart-Degerloch und fand die Freundschaft mit Adolf Hölzel. 1942 wurde sie wegen ihrer jüdischen Abstammung verhaftet und nach Theresienstadt deportiert. Nahezu ihr ganzes Werk wur­de von den Nationalsozialisten zerstört. Im März 1943 soll sie an einer Lungenentzündung gestorben sein. Mönchsbergstaffel (benannt 1912, Stuttgart-Zuffenhau­sen) Nach der Flur, in der das Kloster Bebenhausen Grundbesitz hatte. Novalisstaffel (benannt 1957, Stuttgart-West) Friedrich Leopold Freiheir von Hardenberg, genannt Novalis (*1772 Wiederstedt bei Mansfeld † 1801 Weißenfels), Dichter und Philosoph. Im ganzen Stuttgarter Westen sind viele Straßen nach deutschen Dichtern und Denkern benannt. Oscar-Heiler-Staffel (benannt 1996, Stuttgart-Süd) Os­car Heiler (*23. November 1906 Stuttgart † 9. April 1995 Stuttgart), Schauspie­ ler und Humorist. Nach einer Lehre als Buchhändler ging Heiler ans Stuttgarter Schauspiel­haus, wo er 1930 nach einem Bühnenun­ fall sein rechtes Bein verlor. Er trug fortan eine Prothese und war zu­nächst arbeitslos. Ein Jahr darauf holte ihn Willy Reichert als Dramaturg ans Stuttgarter Cabaret »Excelsior«, das die beiden bald mit dem »Friedrichsbau« vertausch­ten. Als für den Sketch »Die Friedenskonferenz« kurz vor der Premiere einer der beiden Darsteller verunglückte, sprang Heiler ein: Häberle und Pfleiderer waren geboren. Von 1933 bis 1973 verkörperte Heiler in mehr als hundert »Häberle und Pfleiderer«-Sketchen den Häber­le, Willy Reichert den Pfleiderer. Heiler selbst war das völlige Gegenteil des Spießers,

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Kap. 03

Bennenungen

den er auf der Bühne und später auch im Rundfunk und Fernsehen gab: rebellisch und antibürgerlich, provokativ, philosophisch geschult und tief religiös. Schickstaffel (benannt 1908, Stuttgart-Mitte) Gottlieb Schick (*1776 Stuttgart † 1812 Stuttgart), Historien-, Porträt- und Landschaftsmaler; einer der bedeutendsten Künstler des deutschen Klassizismus. Er lebte 1798 bis 1802 in Paris, bis 1811 in Rom und zuletzt wieder in Stuttgart. Straußstaffel (benannt 1925, Stuttgart-Ost) David Friedrich Strauß (*1808 Ludwigsburg † 1874 Ludwigs­burg), Philosoph und Theologe. Sein großes Werk »Das Leben Jesu« (1835) stellte die Leben-JesuForschung auf ein historisch-kritisches Fundament. Strauß verlor daraufhin seinen Tübinger Lehrstuhl und wurde als Gymnasialprofes­ sor nach Ludwigsburg versetzt. Sünderstaffel (benannt 1893, Stuttgart-Mitte) Der Flur­name, 1466 urkundlich genannt, geht wahrscheinlich auf eine Kreuzigungsgruppe an dieser Stelle oder einen frü­hen Besitzer namens Sünder zurück. Um das Gewann rankt sich eine Sage: Im Streit um ein Mädchen soll 1339 der 22 Jahre alte Hans Bernhard Rugger seinen Neben­buhler ermordet haben. Darauf stand die Todesstrafe. Für die Enthauptung soll Rugger sich diese Stelle ausbe­dungen haben, weil hier sein Vater die ersten Reben ge­pflanzt hatte. Taubenstaffel (benannt 1972, Stuttgart-Süd) Die Ringel­taube, columba palumbus, ist die größte einheimische Taube. In Heslach sind etliche Straßen und Wege nach Vögeln benannt. Wächterstaffel (benannt 1902, Stuttgart-Mitte) Eberhard Wächter ( *28. Februar 1762 Balingen † 14. August 1852 Stuttgart), Maler. Er studierte 1781 bis 1784 an der Hohen Carlsschule unter Harper und Guibal, 1784 in Mannheim, 1785 bis 1793 in Paris bei David und Reg­nault. Vor der Revolution floh Wächter nach Rom, wo er sich Koch, Carstens, Fernow und Weinbrenner an­schloss. 1798 bis 1808 lebte er in Wien; 1809 kehrte er nach Stuttgart zurück. Wächter vertrat das Ideal seiner Zeit, die »Idee des Ganzen«. Seit 1809 war er Inspektor der Kupferstich­ sammlung in Stuttgart. Von ihm stammt der Entwurf für das Wächtersche Relief am Museum der bildenden Künste. Weinbergstaffel· (benannt 1975, Stuttgart-Vaihingen) Lagebezeich­ nung. Früher haben sich hier tatsächlich Weinberge befunden. Willy-Reichert-Staffel (benannt 1976, Stuttgart-Süd) Rudolf Wilhelm Reichert (*30. August 1896 Stuttgart † 8. Dezember 1973 Grassau im Chiemgau), Schauspie­ ler und Humorist. Reichert war der Sohn eines Maschi­ nenmeisters und lernte den Beruf des Zuckertech­nikers. Dann wandte er sich der Bühne, später dem Film und dem Fernsehen zu. Berühmt wurde er mit der ·im schwä­ bischen Dialekt gehaltenen Kleinkunst. 1920 nahm er bei Max Bing Schauspielunterricht am Stuttgarter Staatstheater, stand auf Opern- und Operettenbühnen, spielte den »Macky Messer« in Brechts »Dreigroschen­oper«. Von 1933 bis zu seinem Tod mimte er in mehr als hundert »Häberle und Pfleiderer«-Sketchen den Pfleide­rer; sein Partner Oscar Heiler verkörperte den Häberle. Spätestens damit und dann mit der Fernsehsendung

Stäffele »Deutsch­land deine Schwaben« wurde er weit über Schwaben hi­n-aus bekannt. Zunächst kauzig und grob, wurde Reichert immer hintergründiger und »knitzer«. Er wurde der Schelm, der Ästhet, bei dem niemand mehr fragte, ob er Humorist, Komiker oder Schauspieler sei. Er war Willy Reichert und als solcher »der Schwabe«. Wullestaffel (benannt 1988, Stuttgart-Mitte) Wo heute das Hotel Intercontinental in der Neckarstraße steht, be­fand sich zuvor die älteste Stuttgarter Großbrauerei: Wulle. Im Jahr 1861 erwarb der Kaufmann Ernst Wulle zusam­men mit dem Braumeister Maier das Grundstück. Als sich die geplanten Anlagen schon während der Bauzeit als unzureichend erwiesen, trennten sich die Partner. Ernst Wulle baute die Brauerei auf und aus und wandelte sie 1896 in eine Aktiengesellschaft um, die »Aktienbrauerei Wulle«. Das Unternehmen expandierte, und ein Toch­terunternehmen ließ um die Jahrhundertwende den im Zweiten Weltkrieg zerstörten Friedrichs­ bau errichten, mit seinem Restaurant, Cafe und Variete bald beliebter Treffpunkt der Stuttgarter. Auch ein großer Teil der Brauerei und die daran angebaute »Stuttgarter Bürgerhal­le« wurden im Krieg zerstört. 1950 waren die Betriebsan­lagen an der Neckarstra­ ße wieder aufgebaut. 1971 kaufte die Brauerei Dinkelacker Wulle auf. Bald darauf schloss die Brauerei Wulle ihre Pforten. Das WulleGelände wurde 1973 an eine englische Immobilienfirma verkauft. Seit 2008 gibt es wieder Wulle-Bier zu kaufen, gebraut von der Dinkelacker-SchwabenBräu AG.

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Wie die Stäffele Stuttgarts Jugend prägen

von Luis Schütz

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Kap. 03

Luis Schütz

Wie die Stäffele Stuttgarts Jugend Prägen Die Stadt, in der man aufwächst, nimmt enormen Einfluss auf die Entwicklung eines heranwachsenden Menschen. Durch sein einzigartiges Erscheinungsbild gibt Stuttgart seinen jungen Bürgern viele Selbstverständlichkeiten mit, die für viele andere unvorstellbar sind: Die Stäffele sind mehr als nur Fortbewegungs­ möglichkeiten, an ihrem Ende sind oft die beliebtesten Treffpunkte der 14- bis 25-jährigen. Ob nun das Ende der Eugenstaffel, der Sünderstaffel (und subse­ quent der Georg-Elser-Staffel), der Oscar-Heiler-Staffel oder des Karl-Donn­ dorf-Wegs, jedes dieser Enden, natürlich gibt es noch viele mehr, sind belieb­ tere Ziele für den Großteil der Jugendlichen als Orte wie der Schlossplatz oder der Marienplatz. Ohne diese beiden auch nur marginal nicht ganz so beliebten Plätze klein sprechen zu wollen, ist es doch eindeutig, wenn man beide Optio­ nen regelmäßig besucht, was die Stuttgarter Jugend präferiert. Doch warum ist das, trotz oft fehlender kulinarischer Optionen und teil­ weise sehr anstrengender Aufstiege, überhaupt der Fall? Stuttgart ist, anders als Frankfurt oder New York, eine richtige Aussichtsstadt, was eigentlich Erklärung genug sein sollte, da das ja Sinn macht, und auch der logischste Grund für die hohe Bevölkerungsdichte an Stuttgarts tollen Aussichtsplattformen ist. Diese Möglichkeiten für schöne Aussichten werden den Stuttgartern jedenfalls schon sehr früh eingebläut als beliebtes Familienausflugsziel oder als Zwischensta­ tion, um etwas anderes zu erreichen, was dann dazu führt, dass, sobald man damit anfängt, eigenständig bzw. in Gesellschaft von Freunden oder Bekannten, das Haus zu verlassen, ein Funken Nostalgie entsteht, welcher sich zu einem Feuer ausbreitet. Gehen wir davon aus, dass man mit 14-16 damit anfängt, das Nest der Eltern, zumindest teilweise, zu verlassen. Das ist das Alter, in dem einer der größten Entwicklungssprünge im Leben der meisten Jugendlichen stattfindet, wodurch fast jedes Erlebnis eine prägende Wirkung erhält. Ob es nun der ers­ te Kuss ist, das erste Bier oder einfach nur das erste Mal länger als 23:00 Uhr außerhaus zu sein. All das sind prägende Erlebnisse, die oft stark mit den be­ nannten Orten in Bezug stehen und ein Leben lang in Erinnerung bleiben. Und so natürlich auch die berühmten Stuttgarter Stäffele. Das frühpubertierende Verhalten, welches oft anfänglich in der persön­ lichen Beziehung zu den Stäffele zu sehen ist, entwickelt sich im Laufe der Jahre zu einer tiefverwurzelten Wertschätzung in verschiedensten Aspekten. Der Aus­ blick wird plötzlich wahrgenommen, der Anstieg ist nicht mehr lästig, sondern bewusste Bewegung und statt nur in großen Gruppen traut man sich plötzlich zu dritt, zu zweit oder gar alleine die Stäffele hinauf. So kann jeder für sich per­ sönlich ein inneres Wachstum an seinem Verhältnis zu den Stäffele und deren Enden feststellen, wodurch man eine Assoziation aufbaut, an deren Ende Dank­ barkeit steht, gepaart mit einer kleinen Ladung Verliebtheit. Alles in Allem müssen wir den Erbauern der Stäffele unendlich viel Anerkennung zollen, nicht nur für ihren Beitrag zum Stadtbild, sondern für ihre Mitverantwortlichkeit dafür, wer wir heute sind. Und das wird beides hoffentlich noch sehr lange anhalten.

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Bildverweise

S. 051, © Pedro Ribeiro Simões, 2017

S. 051, © Hans Peters, 1971

S. 057, © Rainer Kaelcke, 2015, bearbeitet

S. 052, © Tonchino, 2011, bearbeitet

S. 057, ©Julian Nyča, 2014, bearbeitet

S. 051, ©Quelle: Wilhelm Lübke, Max Semrau: Grundriß der Kunstgeschichte. Paul Neff Verlag, Esslingen, 14. Auflage 1908. Public Domain

S. 057, ©Julian Herzog, 2013, bearbeitet

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Literaturverzeichnis

S. 036 – 037 S. 078 – 084 S. 086 – 092 S. 144 – 147

Schukraft, Harald, Brender, Irmela, Gleis, Uli, Mirkes, Oliver (2007), Treppauf, treppab in Stuttgart: Stäffeles-Spaziergänge und Verschnaufpausen (7. Aufl.), Silberburg Verlag

S. 074 – 080

Heynold, Johannes: »Realexperiment Stäffele-Gallery« in: Inter­ netseite r-n-m, 2017, URL: http://www.r-n-m.net/wp-content/up­ loads/2018/03/Die-Staeffele-Gallery_web.pdf Abruf am 07.04.2020

S. 142 – 143

Dittmann, Matthias: »Treppe berechnen Überblick über die wichtigsten Formeln und Begriffe« in: Internetseite bauen.de, 2020, URL: https://www.bauen.de/a/treppe-berechnen-ueberblick-ueber-diewichtigsten-formeln.html, Abruf am 15.05.2020

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Impessum

Konzept & Gestaltung Fotografien Schrift Cover

Alicia Godel Alicia Godel Suisse Int'l by Swiss Typefaces Alicia Godel

Dieses Buch entstand im Rah­ men der Projekte der Klasse von Prof. Gerwin Schmidt, Studi­ engang Kommunikationsdesign an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart im 3./4. Semester 2019/2020. Besonderer Dank gilt

Außerdem

Prof. Gerwin Schmidt Meiner Familie Sophie Hime Decker Isabel Widmayer Chiara Joos Johannes Heynold Luis Schütz Katja Schröpfer Romina Vetter Lasse Langner

©Alicia Godel Fotos: siehe Abbildungsnach­ weise, anderenfalls Alicia Godel Texte: Literaturnachweise, an­ derenfalls Alicia Godel Alle Rechte liegen bei den jeweiligen Urhebern

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