Stuttgarts neues Image

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Cover: Fotografie einer Veröffentlichung des neuen Testaments, übermalt und angepasst: Das neue Image, Stuttgarts neues Image.

Ein Projekt des dritten und vierten Semesters Kommunikationsdesign an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart, Klasse Gerwin Schmidt Jakob Mayer, 2019 und 2020

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Stuttgarts neues Image


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Inhalt

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Prolog

Vergangenheit Gesellschaft & Geschichte 10 14 28

Die Geschichte vom Stutengarten Über die Enstehung der schwäbischen Tugenden –    Pietismus in Württemberg Deutschland deine Schwaben

Gegenwart Gespräche & Erfahrungen 34 38 41 44 50 56 64 70 76 80

Armin Dellnitz (Stuttgart Marketing GmbH) Eine Stadt im Wandel Ein subjektiver Veranstaltungsbericht Stuttgart – Deutschraps Mutterstadt Cosima Dr. Simon Gonser Handschriftliche Umfrage Heimatgeschichtlicher Arbeitskreis   Zuffenhausen Eine Stadt wahrnehmen Future Franz

Zukunft Stuttgarts neues Image 86 90

Über den Film „Denk nicht an Stuttgart“ Ein neues Erscheinungsbild

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Abschluss


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Prolog

Lieber Leser, ich freue mich sehr, dass du mein Buch „Stuttgarts neues Image“ in der Hand hältst und dir die Zeit nimmst,es zu lesen, denn es stecken wirklich viele intensive Arbeitsstunden und Herzblut darin!    Das Buch ist, als eines von drei Teilen unseres Projekts: „Ein Problem in Stuttgart“, entstanden. In der Grundklasse von Gerwin Schmidt, im dritten und vierten Semester, war es unsere Aufgabe, ein Problem in Stuttgart auszumachen, Recherche zu dem Thema zu betreiben und aus der intensiven Beschäftigung mit dem Problem heraus eine dazu passende Schrift zu entwerfen, einen Animationsfilm zu machen und ein wissenschaftlich – forschendes Buch zu gestalten.    Das über zwei Semester laufende Projekt ist, nach den sehr freien Projekten der beiden ersten Semester in der Klasse von Marcus Wichmann, eine große Umstellung, Herausforderung, aber auch spannendes Neuland für mich. Es ist die sehr intensive und langwierige Umsetzung eines selbst ausgesuchten Themas, wobei die Umsetzung der drei Projekte uns Studenten, zum ersten Mal, einen Einblick in die Berufswelt des Kommunikationsdesigners ermöglicht.    Im Folgenden möchte ich dir, das von mir ausgesuchte Problem Stuttgarts und somit den Titel und das Thema dieses Buches genauer erläutern. Als wir von unserem Professor das Überthema: „Ein Problem in Stuttgart“ am Anfang des dritten Semesters, im Oktober 2019, bekommen haben, war für mich schnell klar welches „mein“ Problem in Stuttgart ist. Wobei ich hier bereits die Formulierung „Ein Problem in Stuttgart“ zu „Ein Problem von Stuttgart“ ändern möchte. Lange Rede, kurzer Sinn, das Problem von Stuttgart, von dem dieses Buch handelt, ist: das Image der Stadt Stuttgart.    Mir ist sehr wichtig klarzustellen, wie genau ich das Problem verstehe und wie ich zu diesem Thema gekommen bin. Das Ziel dieser Veröffentlichung ist es, dir als Leser zu vermitteln, wo ich den Ursprung des Problems sehe und vorallem zu zeigen warum ich persönlich die Stadt Stuttgart so toll finde und die Erfahrungen, die ich mit dieser Stadt mache, so viel besser sind, als das was man sonst so über Stuttgart hört.    Mein Name ist Jakob Mayer, ich komme aus Erding, einer kleinen Stadt nahe München und seit Herbst 2018 studiere und lebe ich in Stuttgart. Da ich kein gebürtiger Stuttgarter bin und noch nicht einmal aus Baden – Württemberg komme, fühlt es sich für mich im Laufe dieses Projekts nicht immer richtig an, über die Geschichte, Gesellschaft, Kultur und letztendlich das Image einer Stadt (und auch eines Bundeslandes) zu schreiben, in der ich nicht

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aufgewachsen bin. Aber gerade weil ich hier zunächst einmal ein Fremder bin (oder war), finde ich es unglaublich spannend über die Wahrnehmung dieser Stadt und dieses Bundeslandes Baden – Württemberg, von innen und von außen, zu forschen. Und vielleicht ist ja dieses Projekt der Abschluss meiner Integration oder Einbürgerung, vielleicht kann ich mich nach diesen beiden intensiven Semestern endlich einen Stuttgarter nennen.    Aber jetzt noch einmal ganz von vorne. Ich bin auf Stuttgarts Image als Problem gestoßen, als ich mir im Zuge meiner Bewerbung an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart, zum ersten Mal nähere Gedanken zur Stadt gemacht habe. Weil man natürlich ein wenig über eine Stadt nachdenkt und sich Infos und Meinungen über sie einholt, bevor man dort hinzieht. Sehr schnell ist mir aufgefallen, dass von außen, also im meinem Umfeld, eigentlich niemand wirklich viel über Stuttgart weiß, außer, und jetzt kommt ein wichtiger Punkt, außer, dass Porsche und Mercedes dort herkommen, die Stadt ein wichtiger Wirtschaftsstandort ist, Stuttgart 21 und natürlich allerlei, als Witze verpackte, Klischees und Vorurteile über Schwaben. Und genau an diesem Punkt sehe ich das (große) Problem! Stuttgart hat, wie ich in den letzten zwei Jahren erfahren durfte, so viele liebenswürdige Seiten und tolle Dinge zu bieten, die aber aufgrund der sehr dominierenden Dinge, die eben ein jeder über Stuttgart kennt, sozusagen in deren Schatten, verblassen. Auf diesen Missstand aufmerksam zu machen und die wirklich schönen und bemerkenswerten Seiten Stuttgarts ins rechte Licht zu rücken ist das Bestreben dieses Buches!    Der Titel: „Stuttgarts neues Image“ ist die ehrgeizige und bewusst überspitzte Formulierung dieses Bestrebens. Mir ist sehr wohl klar, dass man über das, von mir gewählte Thema Sammelbände an dicken Büchern herausbringen könnte. Das Thema ist unglaublich komplex und der „Zustand“ des Images einer Stadt multifaktorisch. Dass die Entstehung oder Veränderung des Images einer Stadt ein Jahrhunderte andauernder Prozess ist, ist mir in den letzten beiden Semestern sehr deutlich geworden. Mir ist ebenso bewusst, dass mein süßes Studentenprojekt nicht in der Lage ist, das Image von Stuttgart zu verändern, beziehungsweise öffentlichkeitswirksam ein Neues zu gestalten. Aber darum geht es hier gar nicht. Der Titel des Buches ist als Name meiner studentisch – verträumten Utopie zu verstehen. Ich lade dich, lieber Leser, herzlich ein, auf den nächsten circa einhundert Seiten Stuttgart aus den verschiedensten Blickwinkeln zu betrachten. Viel Spaß!

Der Prolog ist das Manifest meines Projekts. „Stuttgarts neues Image“ kann nur verstanden werden, wenn sich der Leser (wenigstens) die Zeit nimmt die erste Seite meines Buches aufmerksam durchzulesen. Ich habe sehr viele der folgenden Texte selbst verfasst und die zahlreichen Interviews mit den verschiedensten Leuten und ihren Blickwinkeln auf Stuttgart, sehe ich als den bedeutensten Teil des Buches. Es ist mir wichtig zu betonen, dass der Inhalt von „Stuttgarts neues Image“ neben der Gestaltung dieses Buches, dem eigentlichen Inhalt unseres Studiums, eine mindestens gleichgestellte Aufmerksamkeit bekommen sollte.    Dieses Buch ist als Sammlung zu verstehen. Eine von mir, Jakob Mayer, kuratierte Sammlung, von all dem Text- und Bildmaterial, dass ich während der zwei Semester zum Thema „das Image von Stuttgart“ in Erfahrung bringen konnte, nicht mehr und nicht weniger.


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Die offizielle Stuttgart – Tasche, zu finden und kaufen in der Stuttgart Tourismus – Touristeninformation.


Die Geschichte vom Stutengarten

Der vorliegende Text, über die Geschichte vom Stutengarten, ist sozusagen ein Zusammenschnitt zweier Internetbeiträge zur Stadt Stuttgart. Auch wenn es eigentlich ein No – Go ist einen Wikipediaartikel als Quelle für eine wissenschaftliche Arbeit zu verwenden, habe ich mich entschieden, den Wikipediaartikel über die Stadt Stuttgart als Quelle für diesen Text zu verwenden, da dieser, wie ich finde, unglaublich kompakt die Geschichte Stuttgarts, von der Entstehung bis zur Nachkriegszeit, zusammenfasst.1 Die zweite Quelle aus dem Internet lautet „Stuttgart Informationen, Geschichte der Stadt Stuttgart“.2 1 Vgl. Redaktion (unbekannt): „Stuttgart“ auf Wikipedia, die freie Enzyklopädie. URL: https://de.wikipedia.org/wiki/Stutt gart (Abrufdatum: 20.03.2020) 2 Vgl. Redaktion Stuttgart Information: „Geschichte der Stadt Stuttgart“ auf Stuttgart Information. URL: http://www.stutt gart-informationen.de/service/Geschichte-von-Stuttgart. html (Abrufdatum: 17.03.2020)

‚Was isch gross?‘ fragt das Äffle. ‚Wois net.‘ antwortet das Pferdle. ‚Schtuargert. Ond was isch no gresser?‘ – ‚Wois net.‘ – ‚D´Welt. Ond was isch iberhaupt am allergreschta?‘ Das Pferdle hat keinen Schimmer. ‚Lensa mit Schbätzle ond Soitawirschtla!‘ Das Äffle hat auf den Punkt gebracht, was viele Baden – Württemberger empfinden. Der Reiz der Landeshauptstadt, ja der ganzen Welt in ihrer unvorstellbaren Größe, muss verblassen, wenn die heimatliche Küche solch kulinarische Köstlichkeiten bereithält. Wie schön und faszinierend ist die Welt, aber das wahre Glück liegt doch recht wirklich zu Hause. Die von dem Zeichner Armin Lang Anfang der sechziger Jahre geschaffenen Zeichentrickfiguren Äffle und Pferdle treiben bis heute ihre Scherze im regionalen Vorabendprogramm der ARD. Sie sind so beliebt, dass sie selbst die Senderfusion von SDR und SWF zum SWR überlebt haben. Zuerst waren die beiden stumm und schwarzweiß, Ende der sechziger Jahre dann farbig, und seit 1974 „schwätzen“ die beiden mit der Stimme ihres Schöpfers schwäbisch.

Haus der Geschichte Baden – Württemberg, Landesgeschichten. Der deutsche Südwesten von 1790 bis heute, Stuttgart 2002. S. 29.

Gesellschaft & Geschichte

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Der Name der Stadt Stuttgart geht aus einem GeTruppen besetzt und damit erobert. Nach Ende des stüt, ein Garten für Stuten (=Stutengarten) hervor, Zweiten Weltkriegs wurde die Stadt zum Gebiet das wahrscheinlich Mitte des 10. Jahrhunderts der amerikanischen Besatzungszone erklärt. Im unter Liudolf, Herzog von Schwaben und Sohn des Jahr 1948 bewarb sich Stuttgart dann als neue römisch – deutschen Königs Otto I., entstanden ist. Hauptstadt für die neue Bundesrepublik DeutschDer Standort für dieses Gestüt war nicht zufällig: land, scheiterte jedoch vorallem an der finanDa Stuttgart in einem nach drei Seiten abgeschlosziell hohen Belastung. Nach Ende des Krieges senen Talkessel liegt, erachtete man diese geowurde Arnulf Klett zum neuen Oberbürgermeister graphischen Gegebenheiten für die Pferdezucht von Stuttgart gewählt. Er verzichtete in weiten als ideal, da die Tiere hier ohne aufwändige MaßTeilen auf eine historisch korrekte Rekonstruktion nahmen zur Einzäunung auf einem eng begrenzten wichtiger Stuttgarter Gebäude, zum Beispiel im Gebiet gehalten werden konnten. Durch die umlieBereich des Marktplatzes. Stattdessen wurden die genden Hügel war das Gebiet außerdem sehr leicht Ruinen der im Krieg zerstörten Gebäude fast zu überwachen, wodurch es Dieben erschwert komplett abgetragen und das Material auf dem werden konnte, die wertvollen Pferde zu stehlen. nahe gelegenen Birkenkopf abgelagert. Hier entAnfang des 13. Jahrhunderts kam es schließlich zur stand ein so genannter Monte Scherbelino – ein Stadtgründung. In diesem Zuge gelangte die SiedTrümmerberg aus Millionen Kubikmetern von Überlung rund um das Gestüt in die Hände des Markgraresten des Zweiten Weltkriegs. Seine Bemühung fen von Baden, der sie im Jahr 1219 zur Stadt erhob. trieb der neue Oberbürgermeister der Stadt StuttEinige Jahre später wurde – auch als äußeres Zeigart insbesondere deswegen voran, um für die chen des neu gewonnen Status – eine Wasserburg Zukunft eine autogerechte Großstadt zu schaffen. errichtet. In den folgenden Jahrhunderten fiel Stutt- In diesem Zuge wurden sogar vom Krieg nicht gart immer wieder verschiedenen Eroberern in die betroffene Gebäude und öffentliche Plätze abgeHände, so führte beispielsweise die nahe gelegene rissen beziehungsweise grundlegend verändert, Reichsstadt Esslingen regelmäßig Konflikte mit um eine bessere Infrastruktur in der Stadt zu schafdem neuen Emporkömmling. In diesem Zuge legte fen. Nicht jeder Bürger nahm diese Neuerungen man zahlreiche Verstärkungen und Befestigungen mit Wohlwollen auf. In den 1950er – Jahren schließfür die Stadt an, um sie im Ernstfall besser verteilich kamen unzählige Heimatvertriebene neu digen zu können. Im Jahr 1495 wurde Stuttgart in die Stadt Stuttgart, wodurch die Bevölkerung schließlich zur Residenz des Herzogs. Auch in den sprunghaft anwuchs. Ursprünglich zählte Stuttgart etwa 500 000 Einwohner, nach Kriegsende waren Jahrzehnten und Jahrhunderten danach gab es imdavon nur noch gut die Hälfte übrig geblieben.Doch mer wieder Auseinandersetzungen mit anderen bereits im Jahr 1962 konnte der bis heute höchste Städten in der Umgebung, sodass im Jahr 1565 eine Einwohnerstand von 640 000 erreicht werden. komplett neue Stadtbefestigung erbaut wurde, Auch immer mehr Gastarbeiter kamen in die baden die nun auch die Vorstädte mit einschloss. Anfang – württembergische Hauptstadt, insbesondere des 19. Jahrhunderts wurde Stuttgart dann zur Hauptstadt des Königreichs Württemberg ernannt, infolge des Wirtschaftswunders und des daraus entstehenden Mangels an Arbeitskräften. In den was einen enormen wirtschaftlichen, politischen folgenden Jahrzehnten wuchs Stuttgart immer und religiösen Aufschwung mit sich brachte. In mehr zu einer bedeutenden Großstadt in Deutschdiesem Zug begann auch die Industrialisierung, land heran. In diesem Zuge wurden in den siebwodurch die Einwohnerzahl von Stuttgart sprungziger Jahren zahlreiche verkehrstechnische Umhaft anstieg. So konnte sich die Einwohnerzahl bauten vorgenommen, so begann beispielsweise beispielsweise zwischen 1834 und 1871 mehr als am 1. Oktober 1978 die neue S – Bahn in Stuttgart verdoppeln. Eine historische Zäsur erlebte Stuttihren planmäßigen Fahrbetrieb. Bereits ein Jahr gart im Zweiten Weltkrieg. Insbesondere gegen später konnten bereits 180 Millionen Fahrgäste Kriegsende wurden unzählige Luftangriffe der Ambefördert werden. Heute zählt Stuttgart etwa erikaner gegen die Stadt geflogen und in diesem Zuge mehr als 180 000 Bomben abgeworfen. Tau600 000 Einwohner und ist damit die zweitgrößte sende Einwohner von Stuttgart überlebten die Stadt Süddeutschlands. Im landesweiten VerBombennächte nicht, ein Großteil der Häuser und gleich befindet sie sich auf Platz sechs. Sie zählt zu öffentlichen Gebäude in der Stadt wurde vollständen wirtschaftsstärksten Standorten in Deutdig zerstört. Schließlich wurde die Stadt am 22. schland und ist auch in den Bereichen Kultur, BilApril 1945 durch amerikanische und französische dung und Forschung als führend zu betrachten.


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„Willkommen im Stutengarten / Willkommen in Stuttgart“, Herzog Liudolf begrüßt seine Gäste im Stutengarten.


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Filmstill aus dem Kurzfilm „Willkommen im Stutengarten“ von Jakob Mayer, in der zu sehenden Szene begrüßt Herzog Liudolf seine Tiere im Stutengarten.


Über die Entstehung der schwäbischen Tugenden – Pietismus in Württemberg

Das sogenannte „Fünf – Brüder – Bild“ zeigt fünf, der wichtigsten Persönlichkeiten des württembergischen Pietismus: (von links, Johannes Schnaitmann, Anton Egeler, Johann Martin Schäffer, Immanuel Gottlieb Kolb, Johann Michael Hahn.

Redaktion (unbekannt), „Pietismus“ auf Wikipedia, die freie Enzyklopädie. URL: https://de.wikipedia.org/wiki/Pietismus#/media/Datei:Fünfbrüderbild. jpg (Abrufdatum: 14.06.2020)

Der vorliegende Text ist die von Dr. Simon Gonser im Historischen Seminar der Albert – Ludwigs – Universität Freiburg verfasste Arbeit „Die Entstehung der schwäbischen Tugenden im Zusammenhang mit dem Einfluss des Pietismus in Württemberg (16. bis 18. Jahrhundert)“ von 2007, die ich mit seiner freundlichen Genehmigung als Beitrag publizieren darf.

Dr. Simon Gonser, „Die Entstehung der schwäbischen Tugenden im Zusammenhang mit dem Einfluss des Pietismus in Württemberg (16. bis 18. Jahrhundert)“, GRIN Verlag, München 2010.

Einleitung Wie kaum ein anderer Faktor hat die Religion die verschiedenen Kultur und Gesellschaftsformen der Menschheit in allen Teilen der Welt und zu allen Zeiten beeinflusst und geprägt. Ein besonderes Beispiel stellt das Begriffspaar „Pietismus“ und „Württemberg“ dar, um das es in diesem Text gehen soll. Der Pietismus, eine aus der neuzeitlichen Geschichte des Protestantismus nicht mehr wegzudenkende theologische Ausrichtung, hat in besonderem Maße auf das geistige Leben, aber auch auf soziale und politische Aspekte Einfluss genommen. In Deutschland gilt die neben Westfalen vorallem für Württemberg. Gerade dort wird diese Bewegung aber allzu oft überbewertet. Alle spezifischen Eigenschaften der Schwaben und deren Tugenden wie Fleiß, Sparsamkeit, Genügsamkeit und Reinlichkeit (Stichwort Kehrwoche) werden dem Pietismus zugeschrieben. Diese Ansicht beruht auf dem pietistischen Prinzip der Verbesserung der Sünder durch die planmäßige Vermeidung von Sünden mittels praktischer Heilung des Lebens. Entsprechende Konsequenzen über den Bereich von Religion und Kirche hinaus waren die Folge. Eine Umgestaltung des traditionellen Alltagslebens und eine neue Einstellung zu Arbeit und Besitz führen letztendlich zum Entstehen der schwäbischen Produktivkräfte „Schaffen – Sparen – Putzen“.1 Doch lassen sich diese verinnerlichten Handlungsmuster der württembergischen Bevölkerung tatsächlich nur auf dem Pietismus zurückführen? An dieser Stelle will diese Arbeit einhaken und nach anderen möglichen Einflüssen auf diese Tugenden suchen und dabei die Ursache Pietismus differenziert betrachten. Die zeitliche Einordnung der Arbeit konzentriert sich dabei auf den Zeitraum von der 1

Gesellschaft & Geschichte

Zu dieser Formulierung siehe Unseld, Werner, Besen. Die schwäbische Verbesserung der Sünder. Vom Kirchenkonvent zur Kehrwoche, in: Landeskirchliches Museum Ludwigsburg (Hrsg.), Zwischen Kanzel und Kehrwoche. Glauben und Leben im evangelischen Württemberg, Textband (Kataloge und Schriften des Landeskirchlichen Museum Bd.1), Ludwigsburg 1994, S.140 w – 149, S.141.

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Mitte des 16. Jahrhunderts bis zum Ende des 18. Jahrhunderts. Dieser relativ lange Zeitraum erscheint notwendig, da geistige Prägungen auf eine Bevölkerungsgruppe immer ein großes Maß an Kontinuität benötigen. Dies gilt für das Untersuchungsgebiet Altwürttemberg, das sich durch seine homogene und rein protestantische Bevölkerungsstruktur sowie durch seine sehr enge Verbindung von kirchlicher und weltlicher Ordnung auszeichnet. Doch auch die pietistische Bewegung in Württemberg weist sich durch Einheit und Kontinuität aus. 2 Es stellt sich also nicht die Frage nach theologischen Inhalten, Konzeptionen und Auseinandersetzungen des Pietismus. Vielmehr soll es in dieser Arbeit um dessen praktische Auswirkungen auf das öffentliche Leben in Württemberg gehen beziehungsweise um die Frage nach der Entstehung der schwäbischen Tugenden. Letztlich werden also die Beziehungen zwischen Religiösität und Alltagsleben behandelt. Gerade diese Frage wurde bisher beim Pietismus nur spärlich behandelt. Die Geschichtsschreibung der pietistischen Bewegung bezieht sich traditionell vor allem auf die Biographien wichtiger pietistischer Persönlichkeiten, auf theologische Kontraste oder wird gerne in die allgemeine protestantische Kirchengeschichte eingebettet.3 Praktische Auswirkungen des Pietismus auf das Alltagsleben sind dagegen kaum erforscht. Die bestehenden Arbeiten zu den schwäbischen Tugenden bieten ein ähnlich unzureichendes Bild. Die Abhandlungen haben entweder zu populärwissenschaftlichen Charakter 4 oder stellen überhaupt keinen Bezug zum württembergischen Pietismus her beziehungsweise lehnen diese Verbindung ab. 5 Eine Ausnahme bildet lediglich die kurze Arbeit von Joachim Trautwein, der in seiner Untersuchung über die Sozialstruktur Württembergs auch den Pietismus als maßgebliche Kraft berücksichtigt.6 Vor einer genauen Analyse der verschiedenen Einflüsse auf die schwäbischen Tugenden und Sozialstrukturen scheint zunächst aber ein kurzer Blick auf das Untersuchungsgebiet Altwürttemberg und eine Definition des Pietismus angebracht, um die Zusammenhänge besser zu verstehen. 2 3 4 5 6

Vgl. dazu Lehmann, Hartmut, Pietismus und weltliche Ordnung in Württemberg vom 17. bis zum 20. Jahrhundert, Stuttgart 1969, S.19. Siehe etwa Brecht, Martin (Hrsg.), Der Pietismus vom siebzehnten bis zum frühen achtzehnten Jahrhundert (Geschichte des Pietismus Bd. 1), Göttingen 1993. Beispielsweise Reichert, Andreas, Die Schwäbische Kehrwoche, Rothenburg/ Tauber 1991. Unseld, Besen, 1994. Sowie Härtling, Peter, Die Kehrwoche. Vier Hintergründe einer Leidenschaft, in: Kleemann, Georg (Hrsg.), Schwäbische Curiosa, Tübingen 1974, S. 63 – 70. Trautwein, Joachim, Religiosität und Sozialstruktur. Untersucht anhand der Entwicklungen des württembergischen Pietismus (Calwer Hefte 123), Stuttgart 1972.


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Auswirkungen auf.4 Gleichzeitig kann der Pietismus 1. Historischer Kontext   1.1 Altwürttemberg aber auch als europaweite Gegenbewegung zur Das Herzogtum Württemberg, welches bis zur UmAufklärung angesehen werden, als ein konservatives gestaltung Deutschlands durch Napoleon im Jahr Festhalten an biblischen Vorstellungen gegen die 1803 Bestand hatte, wird auch als Altwürttemberg zunehmende Säkularisierung.5 So ist es auch zu bezeichnet. Die Grafen von Württemberg hatten erklären, dass sich der Pietismus ungefähr gleichihren Herrschaftsbereich im mittleren Neckarraum zeitig in England (als Puritanismus), den Niederlandurch Heirat und Erwerbungen zielstrebig ausgeden und Deutschland entwickelte und dann auf baut und waren im 13. Jahrhundert schließlich zum die Schweiz, Skandinavien, Osteuropa und die nordwichtigsten Herrschergeschlecht Südwestdeutamerikanischen Kolonien auszugreifen begann.6 schlands aufgestiegen. Folgerichtig wurde die Graf- Der Pietismus wurde aber nie zu einer von allen Ströschaft 1495 zum Herzogtum erhoben.1 Zu Beginn mungen anerkannten und damit geschlossenen des 16. Jahrhunderts geriet das Land in zunehmenSystem ausgebaut, weder in Deutschland noch in de Turbulenzen, die 1519 in der Vertreibung des Europa.7 Daraus resultierten unterschiedliche VorHerzog Ulrich durch den schwäbischen Bund gipfel- stellungen über sittliche Maßstäbe und Lebensten. Für die folgenden 15 Jahre blieb das Herzogwandel in den verschiedenen Strömungen des Pietum unter der Herrschaft der Habsburger.2 Erst 1534 tismus im Laufe der Jahrhunderte. Der Begriff „Pietismus“ tauchte 1675 in den „Collegia Pietatis“ gelang Ulrich die Rückeroberung seines Landes und unmittelbar darauf die Durchführung der Refor- von Philipp Jakob Spener (1635 – 1705) in Frankfurt/ Main zum ersten Mal auf. Dies waren religiöse Vermation. Das Land umfasste zu diesem Zeitpunkt sammlungen im kleinen Kreis, die von den Pietisten eine Größe von etwa 8 000 Quadratkilometern mit neben den Gottesdiensten abgehalten wurden circa 250 000 Einwohnern. 3 Im Gegensatz zum ansonsten territorial stark zersplitterten deutschen und auch als Konventikel oder Erbauungsstunden bezeichnet wurden. Aus der verkürzten Variante Südwesten wies das Herzogtum Württemberg „Stunde“ leitete sich auch die eher abwertend geein geographisch nahezu geschlossenes Territomeinte Bezeichnung „Stundenmänner“ für die rium auf. Pietisten ab. Ziel des Pietismus war es war ein bibel  1.2 Der Pietismus konformes Leben und Handeln und damit die Mit der Einführung des evangelisch – lutherischen Wiederherstellung der urchristlichen Gemeinden. Glaubens in Württemberg hielt eine völlig neue Dementsprechend wurde die Bibel als einzige RichtGlaubensrichtung Einzug in das Land. Die Heilsaufschnur und als Quelle absoluter Wahrheit anerfassung des Protestantismus sah, im Gegensatz kannt.8 Folglich waren die pietistischen Versammzum Katholizismus, eine Erlösung durch den Glauben und nicht durch Taten wie Beichte oder Ablass lungen auch nahezu ohne Hierachie aufgebaut um vor. Hinzu kam, ermöglicht durch Martim Luthers der Vorstellung nach einem allgemeinen PriesterBibelübersetzungen, das Ende des ausschließlitum aller Gläubigen nachzukommen. Eine einfache chen Bibelgebrauchs im Gottesdienst durch Geistund verständliche Glaubenslehre waren daher die liche. Von der Bibel als Volksbuch konnte man aufVoraussetzung für den persönlichen Glauben jedes grund der hohen Preise für ein solches Werk aber Einzelnen, der sich von der Sünde abwenden und noch nicht sprechen. Gegen Ende des 16. Jahrhuneine neue Lebensführung beginnen sollte. Die perderts stellte sich zunehmend Kritik an den bestesönliche Glaubensbeziehung zu Gott als wesenthenden kirchlichen und geistigen Verhältnissen licher Bestandteil des Pietismus sollte sich in einem des Protestantismus ein. Dabei war der Pietismus frommen und arbeitsamen Leben auch nach außdie bedeutendste Frömmigkeitsbewegung. Oben hin ausdrücken.9 Max Weber hat den Pietismus wohl er vor allem ein religiöses Phänomen darstelldaher auch als asketische Form des Protestantiste, wies er ebenfalls historische Bedeutsamkeit mus bezeichnet. Die Askese fand dabei im Gegendurch räumliche, zeitliche, gesellschaftliche, geistisatz zur außerweltlichen Askese der mittelalterge, kirchlich – konfessionelle und theologische lichen Mönchsorden innerweltlich statt.10 1 2 3 4 5

Vgl. Deetjen, Werner-Ulrich, Studien zur Württembergischen Kirchenordnung Herzog Ulrichs 1543-1550. Das Herzogtum Württemberg im Zeitalter Herzog Ulrichs (1498 – 1550), die Neuordnung des Kirchengutes und der Klöster (Quellen und Forschungen zur Württembergischen Kirchengeschichte Bd.7), Stuttgart 1981, S.1. Vgl. Deetjen, Studien Württembergische Kirchenordnung, 1981, S.11ff. Vgl. ebda., S.2. Vgl. Brecht, Pietismus vom 17. – 18.Jahrhundert, 1993, S.1. Vgl. ebda., S.2.

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Vgl. ebda., S.1. Vgl. Lehmann, Pietismus und weltliche Ordnung, 1969, S.18. Vgl. Sernatinger, Bettina, Wort – reich und bild – schön. Bildung und Kunst im lutherischen Württemberg, in: Landeskirchliches Museum Ludwigsburg (Hrsg.), Zwischen Kanzel und Kehrwoche. Ludwigsburg 1994. S. 17 – 31, S.18. Vgl. Weber, Max, Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriss einer verstehenden Soziologie, 5. revidierte Auflage Tübingen 1980, S. 344. Vgl. ebda., S. 344.

Ich habe mich mit Dr. Simon Gonser, dem Autor dieser Arbeit, zusätzlich noch in einem Interview über seine Hausarbeit, die schwäbischen Tugenden und das Image der Schwaben unterhalten. Zu lesen ist dies unter dem Kapitel „Gespräche & Erfahrungen“.


Über die Entstehung der schwäbischen Tugenden – Pietismus in Württemberg

Wie kaum ein anderes Industrieprodukt prägt das Auto das Image von Baden – Württemberg; mancher spricht vom „Auto – Land Baden – Württemberg“ und, unter Hinweis auf Carl Benz und Gottlieb Daimler, von der „Wiege des Automobilbaus“, die hier im Land stehe. Dabei hat man – damals wie heute – die großen Prestigefirmen dieser Branche, Mercedes und Porsche, im Sinn. Das badisch – schwäbische Gemeinschaftsunternehmen der Firmen von Carl Benz aus Mannheim und Gottlieb Daimler aus Cannstatt schuf mit der Marke Mercedes ein weltweit begehrtes Statussymbol. Gleiches gilt auch für die Firma Porsche aus Stuttgart – Feuerbach. Mercedes und Porsche wurden auch zu Ikonen der Popkultur, durch die Bilder eines Andy Warhol und durch Janis Joplins Lied vom motorisierten Luxus aus dem Jahr 1970: „Oh Lord, won‘t you buy me a Mercedes – Benz. My friends all drive Porsches (...)“

Haus der Geschichte Baden – Württemberg, Landesgeschichten. Der deutsche Südwesten von 1790 bis heute, Stuttgart 2002. S. 30.

Da die Konventikel eindeutig im Vordergrund standen, verblieb der Kirche als traditionelle Institution im Pietismus nur noch eine Nebenrolle. Das Verhältnis zu den protestantischen Kirchen reichte daher von einer innerkirchlichen Gruppierung des Pietismus (wie etwa in Württemberg) bis zur separierten Freikirche oder Sekte, wie dies überwiegend der Fall war.1 Die praktische Ausübung der pietistischen Geisteshaltung führte zu vielen Veränderungen des alltäglichen, gesellschaftlichen und kulturellen Lebens und wirkte sich damit auch auf Nicht – Pietisten aus, wie im folgenden noch zu sehen sein wird. 2 Eine weitere Auswirkung war aus dem Anspruch der Weltverbesserung heraus das Entstehen einer bedeutenden missionarischen Arbeit sowie karitativer Einsätze unter der Führung des Pietismus.3 Im 18. Jahrhundert begann sich der Pietismus in den deutschen Territorien auszubreiten. Getragen wurde die Bewegung dabei von allen sozialen Schichten vom Fürsten bis zum Bauernhof. Die Universitäten und das Bürgertum spielten aber die Vorreiterrolle.4 Im württembergischen Herzogtum konnte die Bewegung zunächst kaum Fuß fassen. Erst in den Zwanziger Jahren des 17. Jahrhunderts finden sich erste Konventikel in den Kreisen der sogenannten Ehrbarkeit, insbesondere durch Pfarrer und Lehrer initiiert. Die Form und Akzeptanz des Pietismus hing immer von den jeweiligen politischen, sozialen, geistigen und kirchlichen Gegebenheiten eines Landes und einer Region ab. In Württemberg entwickelten sich aus dieser Konstellation von vorhandenen Strukturen zusammen mit dem Pietismus bestimmte soziale Normen und Tugenden heraus. Wie groß dert genaue Einfluss der pietistischen Bewegung dabei war, soll in den folgenden Kapiteln geklärt werden. 2. Pietistische Einflüsse    2.1 Pietistische Weltanschauung Die Tugenden und Eigenschaften, die den Schwaben beziehungsweise Württembergern zugeschrieben werden, lassen leicht eine direkte Verbindung mit dem Gedankengut des Pietismus erahnen. Bereits Philipp Jakob Speners Schrift „Pia Desideria oder Hertzliches Verlangen nach Gottgefälliger Besserung der wahren evangelischen Kirchen samt einigen dahin einfältig abzweckenden Christlichen Vorschlägen“ von 1675, die auch als die Grundlage des Pietismus bezeichnet wird, propagierte eine Vielzahl von Ideen um das Ideal des christlichen Le1 2 3 4

Gesellschaft & Geschichte

Vgl. Brecht, Pietismus vom 17. – 18. Jahrhundert, 1993, S.2. Vgl. Wallmann, Johannes, Der Pietismus (Die Kirche in ihrer Geschichte Bd.4), Göttingen 1990, S.7. Vgl. Brecht, Pietismus vom 17. – 18. Jahrhundert, 1993, S.1. Vgl. Lehmann, Pietismus und weltliche Ordnung, 1969, S.16.

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bens zu erreichen. 5 Neben den bereits erwähnten öffentlichen Bibellesestunden (Konventikel) sollte sich das praktische gelebte Christentum nach Speners Ansicht vor allem durch Nächstenliebe auszeichnen.6 In seiner radikalsten Form zielte dies auf das urchristliche Ideal der Gütergemeinschaft.7 Christen waren nach Speners Auffassung immer nur Haushalter der Ihnen anvertrauten Güter, sowohl der gesitigen als auch der materiellen. Erstere sollten daher zum Nutzen der Mitmenschen eingesetzt werden, woraus sich später der pietistische Missions – und Diakonieanspruch ableiten sollte. Materielle Güter mussten in Ordnung gehalten werden.8 Aus dieser Forderung leitete sich wiederum die Faulheit, das Nicht – Arbeiten, als schlimmstes Vergehen ab. Der Pietismus verabscheute das Nichtstun und forderte gleichzeitig die Sonntagsheiligung als höchste Vorschrift. In Württemberg war dies aber bereits in den Kirchenordnungen des 16. Jahrhunderts und damit bereits lange vor dem Pietismus geregelt worden. Die Schriften des in Frankfurt/Main tätigen Theologen Spener zeigten auch Auswirkungen auf Württemberg.9 Seine Ideen, die sich dauerhaft in Württemberg zu verankern mochten und damit auch den schwäbischen Charakter prägten, waren aber noch weit von den orthodoxen Kirchenzuchtvorstellungen Johann Valentin Andreas (1586 – 1654) und dessen württembergischen Kirchenkonventen entfernt, auf die später noch genauer eingegangen werden wird.10    2.2 Sauberkeit & Reinigung Einen Zusammenhang zwischen der seelischen Reinigung des Pietismus und dem materiellen Sauberkeitsempfinden der Schwaben herzustellen, ist nicht ohne weiteres zu bewerkstelligen. Der Pietismus des 17. Jahrhunderts hoffte auf eine konkrete Eschatologie, also ein baldiges Kommen Gottes, auf das die Welt vorbereitet sein musste. Die Sünden als seelischer Schmutz mussten daher genauso einer Reinigung unterzogen werden wie die sozialen Missstände in der Welt. Dies findet sich etwa in Johann Arndts (1555 – 1621) „Paradieß – Gärtlein“, in dem Jesus als Liebhaber der Reinheit bezeichnet wird und zu dem um die Abwendung von dem giftigen Gestank der Sünden gebetet 5 6 7 8 9 10

Vgl. Brecht, Martin, Philipp Jakob Spener, sein Programm und dessen Auswirkungen, in: ders. (Hrsg.), Der Pietismus vom siebzehnten bis zum frühen achtzehnten Jahrhundert, Göttingen 1993, S. 218 – 389, S. 302. Vgl. Wallmann, Der Pietismus, 1990, S.47. Eine solche Extremform praktizierte etwa der Niederländer Jean de Labadie (1610 – 1674) mit seiner in kommunistischer Gütergemeinschaft lebenden Hausgemeinde in Amsterdam. Vgl. dazu ebda., S.31. Vgl. Brecht, Philipp Jakob Spener, 1993, S.305. Vgl. ebda., S.279. Vgl. ebda., S.312.


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wird.1 Zur Bekämpfung der sozialen Missstände ist erneut die Missionierung und die karitative Arbeit zu nennen, mit der die Welt gesäubert werden sollte. Konkrete Bezüge des Pietismus zur Reinigung im Zusammenhang mit hygienischen Vorstellungen sind allerdings nur schwer nachzuweisen. Ein Beispiel außerhalb Württembergs lässt sich im Waisenhaus der pietistischen Herrnhuter Brüdergemeinde finden, welche 1727 von Nikolaus Ludwig von Zinzendorf (1700 – 1760) gegründet wurde. Hier waren tägliches Waschen und Baden aller Kinder sowie dreifache Ausstattung mit Wäschestücken für jedes Kind an der Tagesordnung. Dieser Idealfall der pietistischen Erziehung im Herrnhuter Waisenhaus scheint also ein Gleichgewicht zwischen reinem Körper und reiner Seele anzustreben. In diesem Zusammenhang soll auch an das Zinzendorfer Ideal des gemeinschaftlichen Zusammenlebens und der daraus resultierenden sozialen Gleichberechtigung erinnert werden. Unabhängig von sozialer Zugehörigkeit und Geschlecht besaßen alle Mitglieder der Gemeinde gleiche Rechte und Pflichten.2 Der Unterschied zwischen Laien und Pfarrern sollte keine Rolle mehr spielen. Ein Zustand, der so in Württemberg niemals erreicht wurde, da bis ins 19. Jahrhundert hinein die Trennung zwischen Ehrbarkeit und der Masse der Bauern und Handwerkern existierte. Lediglich in den Konventikeln durfte jeder sprechen und die Bibel auslegen.3 Es darf vorweggenommen werden, dass Sauberkeit, Reinlichkeit und auch Gleichberechtigung nie Teil der Vorschriften der Kirchenkonvente in Württemberg waren, sodass hier vermutlich ein gewisser Einfluss der Pietisten geltend gemacht werden kann, welcher sich auch in der Kehrwoche des 20. Jahrhunderts wiederzufinden scheint.    2.3 Pietisten und öffentliche Ordnung Das sich geduldige Fügen der Schwaben in bestehende Ordnungen, welches sich wiederum später in der Kehrwoche wiederspiegelt, ist ein weiteres Element, das der Pietismus nach Württemberg gebracht hat. Die Ursache dafür ist im bedingungslosen Glauben und Hoffen auf Gott zu finden. „Wo nur das Wort rein und lauter verkündet wird, findet sich alles für den Christen wesentliche von selbst.“4 Die Heilsgewissheit im Pietismus wird durch Bewähr1 2 3 4

Vgl. Frey, Manuel, Der reinliche Bürger. Entstehung und Verbreitung bürgerlicher Tugenden in Deutschland 1760 – 1860, Göttingen 1997, S. 50 – 53. Vgl. Lost, Christine, „Kinder in Gemeinschaft bringen“. Zu Konzept und Praxis der Kindererziehung in der frühen Herrnhuter Brüdergemeinde, in: Neumann, Josef/ Sträter, Udo (Hrsg.), Das Kind in Pietismus und Aufklärung. Beiträge des Internationalen Symposions in den Franckeschen Stiftungen zu Halle, Tübingen 2000, S. 95 – 109, S. 99ff. Vgl. Wallmann, Der Pietismus, 1990, S. 30. In: Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, 1980, S. 345.

ung in guten Werken im alltäglichen Leben erlangt. Als Kinder Gottes brauchten die Pietisten nicht in die weltliche Ordnung einzugreifen, denn je mehr Unterdrückung ihnen widerfuhr, umso gewisser war ihnen Gottes Lohn. Antriebe zu revolutionären oder rational – reformerischen Haltungen sind daher im Pietismus nicht zu finden.5 Im Extrem spiegelte sich diese Haltung in der Ablehnung der Naturwissenschaften durch manche führende Pietisten wieder. Aus diesem Verständnis heraus ist es auch zu erklären, dass die Pietisten in den württembergischen Visitationsberichten ausschließlich als gute obrigkeitshörige Untertanen beschrieben werden, die keine soziale oder politische Umgestaltung herbeiführen wollten.6 Dieses Verhalten scheint sich auch auf die nicht – pietistischen Schwaben übertragen zu haben, was sich etwa 1884 zeigte, als die Revolution, im Gegensatz zum benachbarten Großherzogtum Baden, nur wenig Nährboden fand.7 Der Pietismus bewährte sich gleichzeitig als Stützkorsett für den Alltag und diente somit auch als Rückgrat gegen die Obrigkeit. Die durch den Pietismus verbesserte Bildung führte Selbstbewusstsein und Identität und wirkte daher auch prägend auf den schwäbischen Charakter und dessen demokratische Traditionen ein.    2.4 Arbeit und Beruf im Pietismus Im Zusammenhang mit der genannten Unterstellung in bestehende Ordnungen muss auch die Konzentration der Pietisten auf Arbeit und Beruf gesehen werden. Der verantwortungsvolle Umgang mit den gottgegebenen Begabungen, das Streben nach dem Heil und der sich daraus entwickelnde Fleiß waren wesentlicher Teil der christlichen Lebensführung. Die These von Max Weber, dass sich hieraus ein methodisch rationalisiertes Alltagshandeln entwickelte und so den Grundstock zur Industrialisierung legte, trifft auf Württemberg aber nur teilweise zu. Angesichts der großen Armut im Land waren Arbeit, Fleiß und Ausharren auch für Nicht – Pietisten überlebensnotwendig. Daher gab es auch kaum unmittelbare Auswirkungen des Pietismus auf die Industrialisierung in Württemberg, da die Pietisten eher in weltabgewandter Askese lebten und sich vor allem gegen Ende des 18. Jahrhunderts auch zunehmend aus dem alltäglichen Sozialleben der Gesellschaft zurückzogen. Wirtshausbesuche, Hochzeiten mit Tanz und Spiel sowie Alkoholkonsum waren für sie 5 6 7

Vgl. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, 1980, S. 344. Vgl. Lehmann, Pietismus und weltliche Ordnung, 1969, S.143. Vgl. Braun, Friedrich, Das Schwäbische Gemeinschaftsleben in Bildern und Beispielen gezeichnet. Ein Beitrag zur Geschichte des Pietismus von Pfarrer Friedrich Braun, 2. neu bearbeitete Auflage Stuttgart 1929, S. 26.

Der bekannteste Vertreter des Pietismus, der lutherische Theologe Philipp Jacob Spener. Seine einflussreichste Schrift Pia desideria oder „herzliches Verlangen nach gottgefälliger Besserung der wahren Evangelischen Kirche samt einigen dahin einfältig abzweckenden christlichen Vorschlägen“ erschien 1675. Sein Reformprogramm, das leitend für den Pietismus in Deutschland wurde.

Redaktion (unbekannt): „Phillip Jacob Spener“ auf Wikipedia, die freie Enzyklopädie. URL: https://de.wikipedia.org/ wiki/Philipp_Jacob_Spener (Abrufdatum: 20.03.2020)


Über die Entstehung der schwäbischen Tugenden – Pietismus in Württemberg

Die schöne Sankt Georg Kirche nahe der Bahnstation Pragfriedhof.

nicht vereinbar mit einem christlichen Leben.1 Durch ihren besonderen Arbeitseifer ragten die Pietisten aber dennoch heraus und dürften durch ihre Vorbildfunktion damit auch auf lange Sicht prägend gewirkt haben.    2.5 Einfluss pietistischer Literatur Weit wirksamer als die Verbreitung von Ideen war der direkte Einfluss der Pietisten auf die Gesellschaft und somit auch auf Nicht – Pietisten. Den württembergischen Pietisten gelang dies vor allem über die Wege Bildung und Literatur. Die Schlüsselqualifikationen des Pietismus waren ein hoher Alphabetisierungsgrad aller sozialer Schichten sowie die Verfügbarkeit von Bibeln in allen Teilen der Bevölkerung. In Württemberg konnte der Pietismus auf die verhältnismäßig hohe Leseund Schreibfähigkeit der Bevölkerung zurückgreifen, worauf später noch genauer eingegangen werden soll. Hinzu kam aber eine verstärkte Lese – und Schreibausbildung anhand der Bibel in pietistischen Kreisen, wie dies etwa in der bereits erwähnten Herrnhuter Brüdergemeinde der Fall war.2 Weiterhin war die pietistische Pädagogik von einer unnachsichtigen Strenge gekennzeichnet, die einen Kult des Einfachen, Schlichten und Demütigen propagierte und religiöse Disziplin forderte.3 Bis in die zweite Hälfte des 17. Jahrhunderts war der Besitz einer Bibel noch eine kostspielige Angelegenheit. Mit dem Aufkommen des Pietismus begann nun die Verbreitung der Bibel als Volks – und Massenbuch. Die erstmals billige Herstellung der Heiligen Schrift ermöglichte etwa der Pietist August Hermann Francke (1663 – 1727) durch seine Anstalten in Halle an der Saale. Im Laufe des 18. Jahrhunderts kamen dazu immer mehr Bibelauslegungen der Pietisten, die als Bücher erschienen.4 Neben den Schriften Philipp Jacob Speners und Johann Arndts („Wahres Christenleben“) sei hier exemplarisch das Werk „Einfältige und schriftmäßige Anweisung wie die Land – Leute und andere die eine Haußhaltung ihre allgemeine Feld – und Haußgeschäfte und täglichen Wandel zur Ehre deß Drey – Einigen Gottes und Erbauung ihrer Seelen heilsamlich anwenden und einrichten können“ eines pietistischen Stuttgarter Waisenhauspfarrers von 1709 angeführt. Die schnelle Verbreitung dieser Schriften sicherte dem Pietismus das Monopol 1 1 2 3 4

Gesellschaft & Geschichte

Vgl. Gestrich, Andreas, Pietistisches Weltverständnis und Handeln in der Welt, in Lehmann, Hartmut (Hrsg.), Glaubenswelt und Lebenswelten (Geschichte des Pietismus Bd.4), Göttingen 2004, S. 556-583, S.573ff. Vgl. Lost, Kindererziehung Herrnhuter Brüdergemeinde, 2000, S. 99ff. Vgl. Lehmann, Pietismus und weltliche Ordnung, 1969, S. 126. Vgl. ebda., S.16. Vgl. Bischoff-Luithlen, Angelika, Der Schwabe und die Obrigkeit. Nicht nur Gemütvolles aus alten Akten und schwäbischen Dorfarchiven, Stuttgart 1978, S. 70ff.

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der württembergischen Literatur im 18. Jahrhundert. Bei Bauern und Handwerkern war neben der Bibel und dem Gesangsbuch fast ausschließlich pietistische Literatur zu finden, wie Angelika Bischoff Luithlen exemplarisch für das Albdorf Feldstetten bei Münsingen für die Zeit 1650 – 1850 gezeigt hat.5 Hinzu kommt, dass pietistische Pfarrer auf das Lesen dieser Schriften achteten und diese auch als Schulbücher einsetzten.6 Hilfreich bei der Verbreitung war ebenfalls, dass es kaum andere überörtliche Organisationen gab, was besonders im 18. Jahrhundert zum großen Einfluss des Pietismus beitrug.6    2.6 Einfluss durch das Konsistorium Bei der Verbreitung ihrer Literatur mag den Pietisten auch die Tatsache zugute gekommen sein, dass sie bereits seit dem Ende des 17. Jahrunderts über wichtige Stellen im Konsistorium der württembergischen Landeskirche verfügten und damit ihre Befugnisse über das enge Gebiet der Kirche auf die gesellschaftlichen Missstände hinaus ausweiten konnten. Im Sinne Philipp Jacob Speners wollten die landeskirchlichen Pietisten Reformen durchführen und Württemberg zu einem Gott wohlgefälligen Land machen. Diese große christliche Sozialreform konnte aber nicht verwirklicht werden, da die Kirchenkonvente als Mittel zur Umsetzung dieser Pläne zunehmend an Macht und Ansehen verloren und sich die württembergischen Herzöge dagegen sträubten.7 Der eigentliche Erfolg dieser Gruppe um Johann Albrecht Bengel (1687 – 1752) wurde die dauerhafte Verankerung des Pietismus in Württemberg durch das sogenannte Pietistenreskript von 1743. Diese gelegentlich auch als zweite Reformation Württembergs bezeichnete Verordnung gab dem Pietismus eine Existenzberechtigung und fügte ihn fest in die bestehende politische und soziale Ordnung ein. Die Konventikel wurden nun Teil der Landeskirche. Eine Einmaligkeit in Deutschland, die den Pietismus damit in Württemberg dauerhaft Wurzeln schlagen lies und damit auch die prägende Wirkung auf das Denken und Handeln weiterer Bevölkerungskreise verstärkte.8    2.7 Verstärkende Wirkung des Pietismus Die württembergischen Kirchenkonvente, deren Aufgabe die Reglementierung des geistig – religiösen und sozialen Lebens darstellte, verloren, wie bereits angedeutet, seit Beginn des 18. Jahrhunderts zunehmend an Wirkungskraft und funktionierten ab 1750 nicht mehr. Angehörige der Konvente gaben immer mehr ein schlechtes Vorbild ab, die Disziplin 5 6 7 8

Vgl. Lehmann, Pietismus und weltliche Ordnung, 1969, S. 57 und 58. Vgl. Trautwein, Religiosität und Sozialstruktur, 1972, S. 38. Vgl. Lehmann, Pietismus und weltliche Ordnung, 1969, S. 57 u. 58. Vgl. ebda., S.94.


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bröckelte und es wurden nur noch wirkliche Polizeiangelegenheiten verhandelt. Nach Martin Brecht hatte damit die praktische Säkularisation begonnen.1 Gleichzeitig übernahmen die Pietisten die Werte des zerfallenden Konventsystems und führten es somit weiter. Durch das Konsistorium und eine Vielzahl von Schriften wiederholten sie Forderungen, die von den Kirchenkonventen ein Jahrhundert zuvor aufgestellt worden waren. Dazu zählten unter anderem das Verbot von öffentlichen Tänzen, nächtlichen Lichtkarzen und weltlichen Vergnügungen jeder Art. In den meisten Fällen verstärkte und verschärfte der Pietismus die früheren Vorschriften der Konvente. So forderte beispielsweise Philipp Matthäus Hahn (1758 – 1819) eine strengere Sittenordnung und setzte 1781 sogar ein Verbot der Kirchweih in Württemberg durch.2 Hinzu kamen neue pietistische Alltagsforderungen wie Sparsamkeit, Enthaltsamkeit, eine strenge Zeiteinteilung und Selbstkontrolle, die es bei den früheren Kirchenkonventen überhaupt noch nicht gegeben hatte. Wie weit diese Forderungen reichen konnten, zeigen die sogenannten Separatisten unter den württembergischen Pietisten, die allerdings zahlenmäßig überhaupt keine Rolle spielten, aber durch die von ihnen hervorgerufene soziale Unruhe das Reskript von 1743 gefährdeten. Diese Gruppen tauften ihre Kinder selber, entzogen sie der Schule und der Konfirmation, lehnten den Eid und den Militärdienst ab und führten ihr eigenes Abendmahl durch. Radikalere unter ihnen wie Ernst Christoph Hochmann propagierten auch das Zölibat und die Ablehnung jeder Sexualität.3 Zusammenfassend kann also gesagt werden, dass die Pietisten in Württemberg es verstanden, die Grundelemente ihres Glaubens auch für Nicht – Pietisten zur Orientierung werden zu lassen. Insbesondere ihre Forderungen, die weitergingen als die der Kirchenkonvente und damit weiter als die Vorstellungen der württembergischen Landeskirche, der weltlichen Gesetzgebung und über die bestehenden Strukturen des Landes hinaus, lassen den Einfluss der Pietisten im Herzogtum als prägend für die folgenden Generationen erscheinen. Inwieweit sich die Pietisten in Württemberg aber direkt oder indirekt auf vorhandene Strukturen stützen oder diese übernehmen konnten, wird im foldenden Kapitel zu sehen sein. 1 2 3

Vgl. Brecht, Martin, Kirchenordnung und Kirchenzucht in Württemberg, Stuttgart 1967, S.80. Vgl. Lehmann, Pietismus und weltliche Ordnung, 1969, S. 138. Vgl. Wallmann, Der Pietismus, 1990, S. 101. Sowie Braun, Schwäbisches Gemeinschaftsleben, 1929, S. 99.

3. Andere Einflüsse auf die Tugenden der Schwaben    3.1 Historische Gegebenheiten Die dauerhafte Festsetzung des Pietismus in Württemberg ist auf eine Vielzahl von günstigen Voraussetzungen im Herzogtum zurückzuführen. Diese haben den Pietismus und seine Geisteshaltung in vielfältiger Weise ergänzt und gefördert. Es stellt sich aber auch die Frage, ob auch ohne dessen Einflüsse ähnliche schwäbische Eigenschaften und Tugenden entstanden wären. Einige dieser württembergischen Eigenarten sind dabei noch auf die Zeit vor der Reformation zurückzuführen. Wichtig für die Einführung pietistischen Gedankenguts im Land war zum einen die Tatsache, dass württembergische Ehrbarkeit, die im 18. Jahrhundert Träger des Pietismus wurde, ein Mitspracherecht bei der Gesetzgebung besaß. Dies rührte vom Tübinger Vertrag von 1514 her, als der Landtag und die hohen Schulden des Herzogs Ulrich übernahmen und dafür ein Mitspracherecht erhielten. Der Tübinger Vertrag zwang jeden der nachfolgenden Herzöge, diese Vereinbarung durch einen Schwur zu erneuern. Da der Adel aber durch eine systematische Entadelungspolitik der Grafen und Herzöge von Württemberg spätestens nach der Reformation keine Rolle mehr spielte, hatte die Ehrbarkeit, also die Vertreter der Ämter und Städte, alle einflussreichen geistlichen wie weltlichen Positionen inne. Diese Mitsprache in sozialpolitischen Fragen sollte dann im 18. Jahrhundert zur vielleicht wichtigsten Vorrausetzung für den Einzug des Pietismus auf die öffentlich Ordnung Württembergs werden. Demokratische Traditionen in Württemberg, die auch dem Pietismus und dessen hierarchielosen Konventikeln zugeschrieben werden, haben also eindeutig frühere Wurzeln.4 Weitere Mitspracherechte erhielt die Ehrbarkeit während der Reformation in Württemberg, die eine weitere Voraussetzung für den Einzug des Pietismus darstellt. Mit der Einführung des evangelischen Glaubens 1534 wurde ein folgenreicher Einschnitt in die Geschichte des Landes vorgenommen. Durch die enge Verbindung und Durchdringung von Staat und evangelischer Landeskirche erhielt der Protestantismus von Anfang an eine starke Stellung im Herzogtum. Die durch die Reformation ausgelöste Neuordnung machte Württemberg zum wahrscheinlich bestorganisierten lutherischen Kirchentum in Deutschland, zu einem protestantischen Spanien.5 Dies veränderte auch nachhaltig das Alltagsleben mit einer Viel4 5

Vgl. Deetjen, Studien Württembergische Kirchenordnung, 1981, S. 5. Vgl. Unseld, Besen, 1994, S. 142. Sowie Deetjen, Studien Württembergische Kirchenordnung, 1981, S. XXIII und XXIV.

Geiz macht aus Sparsamkeit eine Untugend. Baden – Württemberger stehen im Ruf, sparsam zu sein – die einen mehr, die anderen weniger. Wer‘s überteibt, den nennt man im Schwäbischen einen „Entaklemmer“, womit eine besondere Sorte von Geizhals gemeint ist. Der schwäbische Dramatiker und Mundartdichter Thaddäus Troll erklärt in seinem 1976 geschriebenen Bühnenstück „der Entaklemmer“ die Herkunft des Begriffs. Es heißt dort: „Weil d‘Enta ihre Oier net ordentlich en Neschter leget wia d‘Henna, sondern akkurat do, wo se grad sent. Drom klemmet geizige Baura ihre Enta, bevor se se aus em Schtall, lasset, ens Fiedle. Ond wenn se merket, dass se a Oi traget, lasset se se net aus em Schtall, dass‘ Oi net verloregoht.“ (Troll 1991) In diesem Werk wird die den Schwaben zugeschriebene Eigenschaft der Sparsamkeit mit Ironie und Witz auf die Spitze getrieben. Trolls Adaption von Molieres „Der Geizige“ ist zum beliebtesten schwäbischen Mundartstück geworden. In der derben, im bäuerlichen Milieu des 19. Jahrhunderts angesiedelten Handlung erkennen viele Schwaben die eigenen, ländlichen Wurzeln wieder. Die Überzeichnung des abstoßenden Geizes der Hauptfigur, des Fabrikanten Karl Knaupp, erlaubt es dem Publikum, sich vom Geiz loszusagen: „So schlimm sind wir nicht!“

Haus der Geschichte Baden – Württemberg, Landesgeschichten. Der deutsche Südwesten von 1790 bis heute, Stuttgart 2002. S. 31.


Über die Entstehung der schwäbischen Tugenden – Pietismus in Württemberg

Stadtordnung Stuttgart von 1492 (erste Erwähnung Kehrwoche): „Damit die Stadt rein erhalten wird, soll jeder seinen Mist alle Wochen hinausführen, und jeder seinen Winkel alle vierzehn Tage, sauber ausräumen lassen.“    Gassenordnung Stuttgart von 1811: „Es muß jeden Tag, den Sonntag ausgenommen, vom ersten April bis letzten September, des Morgens von fünf bis sieben Uhr, in den Monaten Oktober bis März aber von acht bis sieben Uhr morgens gekehrt werden, bei einem Gulden Strafe.

Stadtarchiv Stuttgart

zahl von kirchlich – polizeilichen Verordnungen, wie noch zu zeigen sein wird. Gleichzeitig besetzte nun die Mittelschicht die meisten der Führungspositionen im Land, was über den Bildungsweg Schulbesuch – Evangelisches Stift – Universität und den Aufstieg in der Pfarr- oder Beamtenlaufbahn möglich war.1 Das daraus entstehende bürgerliche Gegengewicht gegen den Landesherrn ohne jede adlige Mitsprache darf daher als Voraussetzung für den Pietismus angesehen werden. In diesem Zusammenhang muss auch erwähnt werden, dass Württemberg nach der Reformation das größte evangelische Territorium in Süddeutschland war und fast ausschließlich von katholischen Gebieten umgeben wurde. Daraus lässt sich auch ein hartnäckiges Beharren am neuen Glauben (und später am Pietismus) als Fels inmitten katholischen Gebiets und damit die Sonderentwicklung der schwäbischen Eigenschaften erklären. Neben diesen politischen und religiösen Gründen gab es aber auch soziale und wirtschaftliche Bedingungen, die zur Ausbildung der schwäbischen Eigenschaften beitrugen und auf die der Pietismus erst später aufbauen konnte. Durch den in Württemberg praktisch nicht vorhandenen landsässigen Adel entfiel die sonst übliche totale Abhängigkeit der Bevölkerung vom örtlichen Grundherrn. Es entstand sogar eine gewisse kommunale Selbstverwaltung in den Dörfern, wie z.B. die Wahl des Schultheißen, was in anderen deutschen Ländern undenkbar gewesen wäre. Insgesamt lässt sich in Württemberg bis ins 19. Jahrhundert hinein von einer recht homogenen Gesellschaft sprechen, die sich lediglich in die Ehrbarkeit (Hofbeamten, Professoren, Theologen und Kaufleute) und die Masse der Bauern, Handwerker, Tagelöhner und Kleinbürger aufteilen lässt.2 Verstärkt wurde dies auch durch die staatskirchlich getragene religiöse Homogenität des Landes. Weitere Elemente dieser ausgeglichenen Gesellschaft lassen sich im wirtschaftlichen Bereich finden. In Altwürttemberg gab es bis zur Industrialisierung kaum ein nenneswertes Stadt – Land – Gefälle. Das Land war zwar von vielen so genannten Zwergstädten geprägt, doch auch dort bestand die Einwohnerschaft wie in den Dörfern im wesentlichen nur aus Bauern und Handwerker. Als einzige größere Stadt tat sich die Residenzstadt Stuttgart hervor.3 Auch die oftmals dem Pietismus zugeschriebene materielle Bescheidenheit ist in Württemberg eher auf historische Aspekte zurückzuführen. 1 2 3

Gesellschaft & Geschichte

Vgl. Deetjen, Studien Württembergische Kirchenordnung, 1981, S.92. Vgl. Trautwein, Religiösität und Sozialstruktur, 1972, S. 18 – 22. Vgl. Deetjen, Studien Württembergische Kirchenordnung, 1981, S.28.

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An erster Stelle sei hier die Erbsitte der Realteilung genannt, die zwar alle Bewohner in den Besitz von Grund und Boden versetzte, gleichzeitig aber auch durch die immer geringer werdende Größe der Parzellen den Ausgangspunkt für die Armut des Herzogtums bildete.4 Württemberg blieb bis weit in das 19. Jahrhundert hinein ein bitterarmes Land, das dennoch wirtschaftlich ausgeglichen war und damit dem Pietismus einen idealen Nährboden bot. Als Folgen von Realteilung und Armut seien hier noch die Zwänge zur Sparsamkeit und zum Nebenerwerb genannt, die durch ihre Jahrhunderte lange Prägung den schwäbischen Charakter mitbestimmten.5    3.2 Die Minderheit der Pietisten In der Diskussion um den Einfluss des Pietismus auf die schwäbischen Tugenden darf auch die Tatsache nicht vergessen werden, dass die Pietisten in Württemberg zu keinem Zeitpunkt in der Mehrheit waren. Zur Zeit der Entstehung der für Eigenarten ungemein prägenden Kirchenkonvente in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts war der württembergische Pietismus erst im Entstehen begriffen. Auch in den folgenden Jahren war die Bewegung noch von außen abhängig, namentlich von Philipp Jacob Spener und August Hermann Francke. Erst mit Johann Albrecht Bengel kann von einem eigenständigen, wenn auch in der Landeskirche verankerten, würtembergischen Pietismus gesprochen werden, der allerdings im wesentlichen von der Ehrbarkeit dominiert wurde. Der ab 1780 entstehende separatistische Pietismus markiert den Übergang zum volkstümlichen Pietismus der Bauern und Handwerker, der für das 19. Jahrhundert prägend sein sollte. In dieser Phase verlor die politische Betätigung der Pietisten durch die Veränderung der sozialen Basis zunehmend an Gewicht und die persönliche Heiligung trat in den Vordergrund.6 Doch selbst in dieser Blütezeit des Pietismus im 19. Jahrhundert zählten die Pietisten in Württemberg nur etwa 8% der Bevölkerung.7 Andere Schätzungen gehen bei einer unterschiedlichen Verteilung im Herzogtum von maximal 20 bis 30 Pietisten je Ort aus. In keinem Fall wurde aber die Mehrheit der Einwohner gestellt. Trotz ihrer geringen Anzahl scheint es aber den Pietisten gelungen zu sein, ihre Gedanken und Ordnungsvorstellungen auf die restliche Bevölkerung zu übertragen oder aufzuzwingen. Aufgrund ihrer Minderheit darf die Bewegung aber auch nicht überschätzt werden, da sich 4 5 6 7

Vgl. Unseld, Besen, 1994, S.146. Vgl. ebda., S. 151. Vgl. ebda., S.154 – 156. Vgl. Trautwein, Religiösität und Sozialstruktur, 1972, S. 21 – 23.


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die schwäbischen Tugenden auch aus anderen Reskript von 1677 sah die Einhaltung der Gottesnichtpietistischen württembergischen Gegebendienste, der Sonntage, der monatlichen Bußheiten erklären lassen. und Bettage sowie die Bestrafung von nächtlichem    3.3 Weltliche Gesetzgebung in Württemberg Johlen, Tanzen und Kleiderpracht vor, um einen Die Trennung in kirchliche Vorschriften und staatgottseligen Wandel zu erreichen.3 Diese Reihe von liche Verordnungen bei der Frage nach dem EntVorschriften darf ganz im Sinne des Pietismus stehen der schwäbischen Tugenden gestaltet sich verstanden werden, wobei der Antrieb aber eindeuim Herzogtum Württemberg als schwierig, da tig als weltlich – staatskirchlich initiiert angesehweltliches und geistiges Reich nur theoretisch vonen werden muss. Folgenreich für den schwäbischen einander unabhängig, praktisch aber in der StaatsCharakter war vorallem das Generalreskript von kirche vereint waren. Sichtbar wird dies an den zahl- 1781 gegen die sogenannten Übelhäuser. Jeder der reichen Regierungs- und Polizeigesetzen, die z.B. seine Landwirtschaft schlecht betrieb und sein in der Kirchenordnung von 1559 auftauchen. Ein ähn- Anwesen verkommen ließ, konnte enteignet werden. liches Bild bietet sich bei der bereits erwähnten Wer solche Übelhäuser der Obrigkeit anzeigte, guten württembergischen Schulbildung. Die erste erhielt zur Belohnung ein Drittel des eingezogenen Schulordnung des Landes war ebenfalls Teil der Gutes. Dies führte einerseits zu einer gegenseitiKirchenordnung von 1559. Die mit Durchführung gen Beobachtung, andererseits aber auch zur öffder Reformation geschlossenen Klosterschulen entlichen Demonstration des Arbeitens.4 Inwiedes Landes wurden durch die von Herzog Ulrich ein- weit dabei bereits pietistisches Gedankengut im geführten Deutschen Schulen (später als VolksSpiel war, ist nur schwer nachzuprüfen. Eine poschulen bezeichnet) mit dem Ziel ersetzt, die Bevöl- litische Einflussnahme der Pietisten über die Ehrkerung an den neuen Glauben heranzuführen. Im barkeit scheint zu diesem Zeitpunkt aber bereits Gegensatz zu den Lateinschulen wurde der Untermöglich. Für die schwäbische Tugend der Reinlichricht hier in deutscher Sprache abgehalten. Um keit mögen hier noch die Gassenordnungen der die im Protestantismus so wichtige Bibel lesen zu Stadt Stuttgart erwähnt sein, die häufig als Ursache können, wurde besonders auf die Alphabetisierder Kehrwoche angesehen werden, aber tatsächung der Schüler geachtet. Bibel und Katechismus lich wohl nur mit der repräsentativen Funktion der waren daher, wie bereits erwähnt, die einzige Residenzstadt zu tun haben. Darüber hinaus beLiteratur. Die Schulaufsicht durch die örtlichen Pfar- ruhten die Gassenordnungen der Städte des frühen rer führte zu einer engen Verbindung zwischen 18. Jahrhunderts im wesentlichen auf Angst vor Schule und Kirche. Um 1600 verfügte fast jedes Pfarr- der Pest und vor krankmachendem Gestank. Dabei dorf in Württemberg über eine Deutsche Schule, wurde vorallem Unrat und Kot zusammengetragen sodass 1648 schließlich die Schulpflicht eingeführt und abgeholt. Der Vorgang des Kehrens wird explizit erst 1740 in Stuttgart erwähnt. 5 Ein religiöser Einwerden konnte.1 Damit war eine wichtige Voraussetzung für die praktische Ausübung des Pietismus fluss scheint hier also gänzlich unangebracht, zumal geschaffen worden. Weit bedeutender im Hinblick sich der Pietismus zu diesem Zeitpunkt noch nicht auf die Entwicklung der schwäbischen Tugenden voll in Württemberg etabliert hatte. scheinen aber die Generalreskripte der württem   3.4 Der Pietismus und die württemb. Herzöge bergischen Herzöge gewesen zu sein, die in ihren For- Trotz seiner Blüte im 18. Jahrhundert konnte der derungen denjenigen der Pietisten 100 Jahre späschwäbische Pietismus nicht alle Bevölkerungster nicht unähnlich waren. So hatte etwa 1658 das teile erreichen, was wiederum den Schluss nahe Reskript von Herzog Eberhard III. (1614 – 1674) legt, das dieser nicht vollständig für die Entstehung christliche Sittlichkeit und Wohlanständigkeit zum der schwäbischen Tugenden verantwortlich sein Ziel. Erläuterungen und Polizeiordnungen von kann. Insbesondere die württembergischen Herzö1660, 1664 und 1673 bestimmten die Kleiderordnung ge des 18. Jahrhunderts erwiesen sich nicht als Ansowie Verordnungen über die Sonntage, gegen hänger pietistischen Gedankenguts, ganz im GegenÜppigkeit bei Hochzeiten und gegen Fluchen genau- teil. Mit Aufklärung und Absolutismus nahm das er. 2 Unter dem Nachfolger Herzog Wilhelm Ludwig Interessse der Herrscher an religiösen Fragen zuneh(1647 – 1677) wurden diese Bestimmungen noch mend ab. Die verschwenderische und prunksüchtiweiter verschärft, wobei die Initiative aber wiederLehmann, Pietismus und weltliche Ordnung, 1969, S. 25. um von den Landständen ausging. Das herzogliche 3 4 Vgl. Vgl. Bischoff – Luithlen, Angelika, Von Amtsstuben, Backhäusern und Jahrmärkten. 1 2

Vgl. Sernatinger, Bildung und Kunst, 1994, S. 21. Vgl. Lehmann, Pietismus und weltliche Ordnung, 1969, S. 23.

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Ein Lese- und Nachschlagebuch zum Dorfalltag im alten Württemberg und Baden, Stuttgart 1970, S. 258. Vgl. Frey, Der reinliche Bürger, 1997, S. 84ff.

Das „Gütle“ oder „Stückle“ ist das südwestdeutsche Gegenstück zur Schrebergartenbewegung. Allerdings sind hier keine „Laubenpieper“ am Werk. Nein, der Gütlebesitzer wird am Wochenende wieder zu dem, was seine Vorfahren meist schon waren, zum Landwirt.    In vielen Teilen Badens und in Altwürttemberg war die Realteilung üblich, also die Aufteilung von Grund und Boden unter den Erben, während in Oberschwaben, Teilen Hohenlohes und im südöstlichen Schwarzwald die geschlossene Vererbung der Höfe überwog. In Altwürttemberg führte die starke Bevölkerungszunahme in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts zu einer extremen Zerstückelung der Anbaufläche. Besonders im Mittleren Neckarraum erreichte die Realteilung ihr größtes Ausmaß . Um wirtschaftlich überleben zu können, wurde für viele Menschen ein Nebenerwerb im Hausgewerbe, Handwerk oder Kleingewerbe notwendig. Die Möglichkeit eines zusätzlichen Einkommens förderte die Zersplitterung durch Realteilung noch zusätzlich. In Baden, vorallem in der fruchtbaren Rheinebene, vollzog sich eine ähnliche Entwicklung.    Dass jeder Erbe ein, und sei es noch so kleines, Stück Land bekam, stärkte allerdings die Bindung der Menschen an ihre Gemeinden. Noch heute besitzen viele Baden – Württemberger – besonders in den Realteilungsgebieten – solche „Gütle“ oder „Stückle“, auf denen sie nach Feierabend und am Wochenende Obst und Gemüse anbauen. Das Bodenständige der Südwestdeutschen mag in diesen ländlichen Wurzeln seine Ursache haben.

Haus der Geschichte Baden – Württemberg, Landesgeschichten. Der deutsche Südwesten von 1790 bis heute, Stuttgart 2002. S. 32.


Über die Entstehung der schwäbischen Tugenden – Pietismus in Württemberg

Die im Text beschriebene, ablehnende Haltung der Pietisten in Württemberg gegenüber der Kultur scheint, interessanter Weise, keinen Einfluss auf den heutigen Stellenwert von Hochund Subkultur in den schwäbischen Städten genommen zu haben. Ganz im Gegenteil, Stuttgart ist laut eines Rankings der Berenberg Bank und des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts (HWWI), zum bereits fünften Mal, der höchste Wert an kulturellem Angebot und Nachfrage durch Bewohner oder Besucher in ganz Deutschland zugesprochen worden.

ge Barockkultur zog am Hofe ein und die Ehrbarkeit pflügte, gärtelte, nähte, aß und schlief jeweils zur gleichen Zeit, auf einem Hof wie dem anderen, verlor an Einfluss und Mitbestimmung.1 Herzog Eberhard Ludwig (1676 – 1733) hielt sich öffentlich fast anstaltsmäßig.“5 Weitere Verbote und Vorschrifseine Mätresse Christiane Wilhelmine von Gräveten folgten nach dem Ende des Dreißigjährigen nitz und Herzog Karl Alexander (1684 – 1737) trat 1712 Kriegs, der Württemberg schwer verwüstet hatte sogar zum Katholizismus über.2 Der Pietismus in und als Strafe Gottes angesehen wurde.6 All dieWürttemberg besaß also im Gegensatz zu anderen se Verordnungen, die prägend für die schwäbischen Ländern keine Stütze im Herrscherhaus oder im Tugenden wirken sollten und auf die später auch Adel. Aus diesen Entwicklungen heraus ergab sich der Pietismus zurückgreifen sollte, scheinen aber in die pietistische Ablehnung aller Gebiete der Kulder praktischen Umsetzung eher problematisch tur wie Musik, Architektur, Theater, Malerei, Plastik gewesen zu sein. Zur besseren Durchführung und und Tanz, die als Zeitvergeudung und als Teil der Überwachung entstanden schließlich die Kirchenhöfischen Welt angesehen wurden.2 Die asketisch konvente. Als Vorläufer dieser einzigartigen würt– arbeitsame Haltung der Schwaben mag, wenn tembergischen Institutionen gelten die eng mit auch zu einem recht geringen Teil, auf diesen andau- dem Staat verknüpften kirchlichen Aufsichts- und ernden Konflikt zwischen Herzögen und Pietisten Verwaltungsbehörden, die auf den Landesreforzurückgehen. mator Johannes Brenz (1490 – 1570) zurückgehen.7 Die eigentlichen Kirchenkonvente waren eine    3.5 Der Einfluss des württembergischen Idee des Superintendenten und Konsistorialrats    Protestantismus auf das öffentliche Leben Die württembergischen Kirchenkonvente trugen Johann Valentin Andreae, der bereits 1639 mit vielleicht am meisten zum Entstehen eines speder „Cynosura Oeconimicae“, einer Sammlung von zifisch schwäbischen Charakters bei und sprechen Gesetzen und Verordnungen zu den Amtspflichdaher am ehesten gegen einen Einfluss des Pieten der Pfarrer und zur Kirchenzucht, einen ersten tismus auf diese Tugenden. Doch bereits vor der Schritt zur Reglementierung des öffentlichen LeEinführung der Kirchenkonvente 1642 war Würtbens unternahm. Andreae war bei seinen Bemühtemberg von vielen Ordnungen geprägt, die Kirchen- ungen vorallem von den Ideen des Calvinismus zucht und polizeiliche Angelegenheiten miteinanund dessen Genfer Sittengericht inspiriert worden der verknüpften, wie die erste Landesordnung von und hatte auch die ersten pietistischen Gedanken 1495 zeigt. Nach der Einführung der Reformation Philipp Jacob Speners und Johann Arndts aufgenomwurden diese Verordnungen im Zusammenhang mit men. Da der Pietismus aber erst im Entstehen beder Gestaltung der neuen Landeskirche um ein griffen war, kann Andreae lediglich als Vorläufer der Vielfaches ergänzt. In den ab 1534 erlassenen LanBewegung angesehen werden und können die Kirdesordnungen standen dabei die Artikel mit den chenkonvente als rein staatskirchlich initiierte Idee Geboten und Verboten zur Kirchenzucht bezeichgelten.8 Primär ging es bei den Konventen um die nenderweise immer an erster Stelle, während Kontrolle des privaten und öffentlichen Lebens und dann erst Vorschriften zur öffentlichen Ordnung und deren Lenkung in kirchliche Bahnen. Andreaes Polizei folgten. Konkret ging es dabei um das VerIdee eines lokalen Sittengerichts auf Gemeindeebebot der Gotteslästerung, des Trinkens, des Spielens, ne wurde schließlich 1642 mit den Kirchenkonvender Hurerei, der Kuppelei, des Ehebruchs und des ten eingeführt. Diese meist zweimal wöchentlich Wuchers sowie die Bestrafung bei Gottesdienstver- tagenden Gremien bestanden aus dem örtlichen säumnissen. 3 Weiterhin wurden Ehe-, Tanz- und Pfarrer, dem Schultheiß, angesehenen Laien und Kleiderordnungen erlassen und das Medizinalwesen Beamten, so dass auch die weltliche Gesetzgegeregelt.4 Dieser große Komplex wurde 1559 von bung involviert wurde. 9 Verhandelt wurden dabei der Großen Kirchenverordnung abgeschlossen. Auf- alle Verstöße gegen die erwähnten Verordnungen grund dieser Vielzahl von Vorschriften war das und Vorschriften. Die Überwachung wurde, ähnlich tägliche Leben bis in die letzte Kleinigkeit vorgewie später bei den Übelhäusern, durch Aufpasser schrieben und geregelt. „Dies führte zu einem 5 In: Koziol, Klaus, Badener und Württemberger. Zwei ungleiche Brüder, Stuttgart Reglement der täglichen Lebensäußerungen, das 1987, S. 44. auf die Minute genau ablief. Man fütterte, mähte, 6 Vgl. Unseld, Besen, 1994, S. 142. 1 2 3 4

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Vgl. Lehmann, Pietismus und weltliche Ordnung, 1969, S. 29. Vgl. ebda., S. 129. Vgl. Brecht, Kirchenordnung und Kirchenzucht, 1967, S. 20. Vgl. Deetjen, Studien Württembergische Kirchenordnung, 1981, S. 72.

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Vgl. Deetjen, Studien Württembergische Kirchenordnung, 1981, S. 67. Vgl. Unseld, Werner, Pietismus. Gottes Wort studieren und ein heiliges Leben führen, in: Landeskirchliches Museum Ludwigsburg (Hrsg.), Zwischen Kanzel und Kehrwoche., Ludwigsburg 1994, S. 64 – 75, S. 65ff. Vgl. Brecht, Martin, Das Aufkommen der neuen Frömmigkeitsbewegung in Deutschland, in: ders. (Hrsg.), Der Pietismus vom siebzehnten bis zum frühen achtzehnten Jahrhundert (Geschichte des Pietismus Bd.1), Göttingen 1993, S. 113 – 203.


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gewährleistet, die alles dem Kirchenkonvent meldeten und dafür ein Drittel der Geldstrafen erhielten. Aber auch jeder Bürger sollte Überschreitungen melden. So wurde das einander Beobachten und Verpetzen gefördert.1 Dies alles führte zu einem permanenten Druck auf die Bevölkerung und rief zwanghaften Fleiß und die ständige Angst hervor, den Ansprüchen nicht gerecht zu werden. Eine individuelle Lebensführung scheint unter diesen Bedingungen nicht mehr möglich. Der Einzelne musste in der Gemeinschaft aufgehen und sich in den vorgefertigten Rahmen pressen lassen. Württemberg wurde, drastisch ausgedrückt zu einem Überwachungsstaat mit einer rituellen Lebensführung. Noch vorhandene Unterschiede innerhalb des Landes wurden dadurch nivelliert. Die Bevölkerung wurde somit im ganzen Herzogtum an extern vorgegebene Normen herangeführt und dadurch geprägt.2 Die Allgegenwart der Konvente wurde nach und nach verinnerlicht und so eine asketisch – arbeitsame und methodische Lebensführung erwirkt. 3 Das Ziel der absoluten Kirchenzucht und sittlichen Disziplinierung wurde durch die Kirchenkonvente aber nie erreicht. Theologisch gesehen wurde wohl kein Beitrag zur inneren Umkehr aufgrund der Gesetzlichkeit der Institution erreicht. Die stetig verlangten Forderungen prägten die Menschen aber tief in das kollektive Unterbewusstsein hinein. Durch die Kirchenzucht kam es auch zur Auslese und Förderung individueller Tugenden und Qualitäten.4 Nach Klaus Koziol war dies die Grundlage für die Entstehung des schwäbisch – württembergischen Volkscharakters, der sich vorallem auf öffentlich – wirksames, sichtbares Verhalten konzentrierte. Da lediglich Beruf und Arbeit unbestraft blieben, förderte dies den Fleiß der Bevölkerung. Die Sünder sollten sich durch Arbeit verbessern. 5 Dies sollte die Voraussetzungen für den Erfolg der Industrie in Württemberg im 19. und 20. Jahrhundert werden. In diesem Zeitraum hatten die Konvente aber mit fortschreitender Säkularisierung schon an Gewicht verloren, wurden aber erst 1891 offiziell abgeschafft.6 Der Pietismus in Württemberg nahm später viele dieser Forderungen und Geisteshaltungen auf. Die Kirchenkonvente dürfen aber nicht als pietistisch beeinflusste Instanzen angesehen werden. Die von Klaus Koziol und Werner Unseld auf die Konvente zurückgeführten Reinlichkeitsbestrebungen 1 2 3 4 5 6

Vgl. Koziol, Klaus, Badener und Württemberger, 1987, S. 43ff. Vgl. Unseld, Besen, 1994, S. 144ff. Vgl. ebda., S. 143. Vgl. Trautwein, Religiosität und Sozialstruktur, 1972, S. 16. Vgl. Unseld, Besen, 1994, S. 146. Vgl. Bischoff – Luithlen, Der Schwabe und die Obrigkeit, 1978, S. 99. sowie Gutekunst Eberhard, Pfarrer und Pfarramt, Ludwigsburg 1994, S. 128 – 139, S. 135.

der Schwaben können daher negiert werden. Wohl aber ist die Ursache für die Geisteshaltung, die etwa hinter der schwäbischen Kehrwoche steht, bei den Kirchenkonventen und deren Folgen zu suchen. 4. Ergebnisse Inwieweit bestimmte nun der Einfluss des Pietismus vor 1800 das öffentliche Leben in Altwürttemberg und die daraus hervorgegangenen Schwäbischen Tugenden? Zunächst einmal gilt es festzustellen, dass die Frömmigkeit des Pietismus trotz eventueller Verbindungen nicht mit Sitte und Ethik der Bevölkerung in Württemberg gleichgesetzt werden darf. Man darf daher nicht Fehler begehen und alle schwäbischen oder württembergischen Eigenarten dem Pietismus zuschreiben, da auch viele andere Einflüsse wie z.B. die Realteilung, die Gesellschaftstruktur oder landeskirchliche Aspekte wie die Konvente berücksichtigt werden müssen. Alle diese Gegebenheiten waren unabdingbare Voraussetzungen für die dauerhafte Festsetzung des Pietismus in Württemberg und dessen Prägung. Die schwäbischen Tugenden erscheinen daher bis zu einem gewissen Grad auch ohne Pietismus möglich. Dennoch haben sich gerade durch die Einflussnahme des Pietismus in Württemberg die typischen schwäbischen Eigenschaften herausgebildet. Die Ethik des Pietismus ist dabei als Kern für die Werthaltung der gesamten württembergischen Bevölkerung anzusehen. Joachim Trautwein veranschaulicht diesen Zusammenhang mit zwei konzentrischen Kreisen: Der äußere Kreis stellt die gesamte Bevölkerung Württembergs mit ihrer Sozialstruktur (z.B. Realteilung) und der Landeskirche (Konvente) sowie den daraus hervorgegangenen individuellen Tugenden dar. Darüber hinaus wird dieser Kreis auch stark durch die dominierende pietistische Literatur geprägt. Der innere Kreis dagegen kennzeichnet die eigentlichen pietistischen Bewegungen mit der Verinnerlichung und tatsächlichen Umsetzung der Forderungen der Konvente, der tatsächlichen Nutzung der Literatur sowie allen Merkmalen und Eigenschaften des äußeren Kreises.6 Dieses Bild zeichnet also eine Trennung zwischen pietistischer und nichtpietistischer Ethik auf, wobei die Pietisten auf den bestehenden Werten des Landes aufbauten. Konkret zeigte sich dies daran, dass die Pietisten auch unter den sparsamen und fleißigen Württembergern durch ihr asketisches Leben, ihren Fleiß und ihre Sparsamkeit auffielen.7 Damit lässt sich zusammenfassen, dass 6 7

Vgl. Trautwein, Religiosität und Sozialstruktur, 1972, S. 45 – 49. Vgl. ebda., S. 49.

Der Blick auf Stuttgart durch die Raute eines „klassisch – deutschen“ Holzgartenzauns.


Über die Entstehung der schwäbischen Tugenden – Pietismus in Württemberg

„Schaffe, schaffe Häusle baue (...)“ – so beginnt das Lied von den Häuslebauern. Baden – Württemberg ein Land der Häuslebauer? Realität oder Klischee? In jedem Fall ist hier der Wunsch nach den eigenen vier Wänden besonders ausgeprägt. Im Jahr 2001 hatte jeder Baden – Württemberger durchschnittlich 1.674,27 Euro auf dem Bausparkonto angelegt: bundesweite Spitze. Der Bundesdurchschnitt liegt erheblich niedriger, bei 1.177,30 Euro.    Hier im Land steht auch die Wiege der modernen deutschen Bausparkassen. Am 16. Februar 1924 wurde in Stuttgart die erste Bausparkasse gegründet, die sich „Gemeinschaft der Freunde“ nannte. Aus ihr ging die „Bausparkasse GdF Wüstenrot“ hervor. Der Gründer war allerdings kein Einheimischer, sondern der aus Pommern stammende Wilhelm Kropp. Auch heute noch dominieren die Bausparkassen aus Baden – Württemberg, wie Schwäbisch Hall, Leonberger, Badenia, Wüstenrot, LBS – Baden und LBS – Württemberg, den Markt. Was den Traum vom eigenen Heim angeht, scheint das Klischee also zu stimmen.    Aber sind die Baden – Württemberger auch das Land der Häuslebesitzer? Nein, „nur“ 48% der Landesbevölkerung wohnt in den eigenen vier Wänden. Das ist Platz vier der bundesdeutschen Hitliste.

Haus der Geschichte Baden – Württemberg, Landesgeschichten. Der deutsche Südwesten von 1790 bis heute, Stuttgart 2002. S. 32.

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durch die pietistische Bewegung gewisse Werthaltungen und soziale Strukturen in Württemberg entwickelt und verstärkt wurden. Gleichzeitig wurde der Pietismus in Württemberg aber auch vom württembergischen Land, seiner Sozialstruktur und den vorhandenen Formen religiösen Denkens geprägt.1 Die Faktoren beeinflussten sich also gegenseitig. Bei all diesen Überlegungen gilt es aber zu bedenken, dass die Pietisten immer in der Minderheit in Württemberg waren und es nur an einzelnen Orten zu einem streng puritanischen Regiment durch pietistische Pfarrer kam. Die Leistung der Pietisten in Württemberg bestand vielmehr darin, ihre Ethik auch auf nicht pietistische Kreise übertragen zu haben und durch ihren (manchmal unbemerkten) Einfluss viele neue Denk- und Handlungsweisen geschaffen zu haben.2 Die Förderung von Tugenden wie Fleiß, Ordnungsliebe, Pünktlichkeit und Strebsamkeit kam dann im 19. und 20. Jahrhundert indirekt der sozialen Stabilität und der wirtschaftlichen Prosperität zugute. 3 Wie sehr der Pietismus auf Württemberg gewirkt hat, zeigt sich heute noch in Form der typisch schwäbischen Tugenden, aber auch in Form des immer noch bestehenden Einflusses der Pietisten auf die evangelische Landeskirche in Württemberg. 1 2 3

Vgl. Trautwein, Religiosität und Sozialstruktur, 1972, S. 8. Vgl. Lehmann, Pietismus und weltliche Ordnung, 1969, S. 132ff. Vgl. ebda., S. 124ff.

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Kein Spruch bedient das schwäbische Klischee so sehr wie dieser. Ein neues Restaurant nutzt seine Bekanntheit. Um das schwäbische und gleichzeitig moderne Konzept des Ladens zu verdeutlichen, ist der Spruch in Leuchtschrift, als sogenannter „eyecatcher“, im Schaufenster zu sehen.


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Ein ikonischer Schriftzug aus Stuttgart, das Schwabenbräu – Logo am schönsten Biergarten der Stadt „Palast der Republik“.


Deutschland deine Schwaben

„Wir sind das Volk der Dichter, Ein jeder dichten kann. Man seh‘ nur die Gesichter, Von unser einem an. Der Schelling und der Hegel, der Schiller und der Hauff. Das ist bei uns die Regel, das fällt hier gar nicht auf.“ Gereimt von dem Kunsthistoriker und Dichter Eduard Paulus, veröffentlicht im Jahr 1897. Ein Schriftsteller bezeichnete einmal diesen Vierzeiler als einen der arrogantesten Sätze, mit denen ein Volksstamm angibt.

„Stuttgart sei der Name, den die Schwaben dem Paradies auf Erden gegeben haben.“ so schreibt 1519 der Humanist Ulrich von Hutten.

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Gleich zu Anfang meiner Recherche, habe ich mir in der Stadbibliothek die Filmreihe: „Deutschland deine Schwaben“ von dem deutschen Schriftsteller und Mundartdichter Thaddäus Troll ausgeliehen. Ich dachte mir vorallem wegen des Titels, dass es für mich der perfekte Einstieg in das Projekt sein könnte, da ich noch nicht viel über Schwaben wusste, außer eben die ewigen Klischees. Doch ziemlich schnell wurde mir klar, dass „Deutschland deine Schwaben“, mit einer sehr überspitzten Darstellung der Schwaben, großen Anteil an der Verbreitung der Klischees über Schwaben, in ganz Deutschland, haben könnte. In einer Mischung aus gespielten Sketchen, Erzählung und Moderation des Schauspielers Willy Reichert, Interviews von Schwaben auf der Straße und wirklichen tollen Animationen zur Veranschaulichung des Schwäbischen, wird einem als Zuschauer nie so ganz bewusst inwieweit der Schwabe, das Klischee über den Schwaben oder gar, der nicht schwäbische Zuschauer aufs Korn genommen wird. Und dabei bleibt im Nachgang, der fünfteiligen Serie, die Empfindung eines authentischen Eindrucks über die Schwaben. Man hat das Gefühl, dass gerade dieser sehr subtile Humor und die selbstironische Lebenseinstellung, gemischt mit einer, sich als Bodenständigkeit tarnenden Überheblichkeit, ein wichtiger Teil der schwäbischen Identität sind. Im Folgenden möchte ich eine Zusammenstellung der, meiner Meinung nach, wichtigsten Textstellen des Filmes zitieren, um die zuvor genannte Vermutung durch beispielhafte Zitate zu verdeutlichen. Wobei ich jedem Leser dieses Textes, der „Deutschland deine Schwaben“ noch nicht gesehen hat, dringend empfehle die Filmreihe mit eigenen Augen anzusehen.    Der Schwabe und der Herrgott Gott fragt Menschen: Warum weinst du? – Darauf der Mensch: Weil ich ein Schwabe bin! – Darauf wieder Gott: Ja da kann ich dir auch ned helfe! Und weint zusammen mit dem Menschen. ¶ Der Ein-


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zige Herr den der Schwabe anerkennt ist der Herrgott ¶ Der Allmacht Gottes sind Grenzen gesetzt, sie endet bei der Existenz des Schwaben ¶ Schwaben haben kein Respekt, weder vor einer Obrigkeit noch vor dem Herrgott ¶ Wenn es dem Schwaben einmal gut geht dann jammert er erst recht, damit weder der Nachbar noch der Schöpfer neidisch werden ¶ Theologische Fragen beschäftigen Schwaben, deshalb 2 Reformen, Luther und Pietismus ¶ Fast jeder protestantische Schwabe hat einen pietistischen Ahnen und dem verdankt er auch ein muffiges „G´schmäckle“ und ein schlechtes Gewissen gegenüber allem Sinnlichen (fast alles was Spaß macht ist für den Pietisten eine Sünde) ¶ Viele Klosterbrüder sind Weingärtner, Pietismus verdankt der Schwabe sein gestörtes Verhältnis zu unnützen Museen (Meinung einer Dame zu Henry Moores Statue „die Liegende“im Schlossgarten) ¶ Staatsgalerie besitzt die wenigsten Aktgemälde aller europäischen Galerien ¶ Jeder Schwabe hat seinen eigenen Glauben.    Der Schwabe und die Herren Die zwei wichtigsten Worte von König Wilhelm dem Ersten von Württemberg: „noi“ und „(n)iddä“ (=nein und nicht) ¶ Der Schwabe ist alles andere als devot (=demütig) und servil; ein unbequemer Untertan ¶ Schwaben grüßen: Grüß Gott ¶ Der Schwabe ist kein Held, er hat zu viel Fantasie und zu wenig Dummheit fürs Heldentum.    Der autoritäre Schwabe Ein Patriarch ist ein arger Tyrann und Egoist, daher schwäbischer Widerstand gegen die Obrigkeiten (wie Kinder gegen Eltern), deshalb kommen Schwaben machmal unfreundlich rüber, weil sie ständigen Widerstand gegen die Patriarchen leisten müssen (als Dienst für das Gemeinwohl) ¶ Der Schwabe ist ein Individualist, der Schwabe ist starrsinnig ¶ Das Bild des strengen schwäbischen Hausbesitzers ist gar nicht so falsch.    Der Schwabe und sein Gemüt Der Schwabe ist sparsam und misstrauisch, er strebt nach Besitz und ist nicht in der Lage ihn zu genießen, wenn er ihn erworben hat ¶ Schwäbisches Sprichwort: Jemand auf dessen Dachboden die Mäuse nichts zu knabbern finden, ist nicht nur bedauernswert sondern auch gering geachtet ¶ Der Schwabe ist heimlich reich und heimlich gescheit, bescheiden und schlicht, er liebt klare Besitzverhältnisse, so ungern er etwas hergibt, so ungern nimmt er etwas an ¶ Bescheidenheit die sich bis zur Schäbigkeit steigern kann ¶ „päb“= jemand der seine Habe zusammenhält ¶ „fugger“= hartnäckiges Handeln ¶ „Entenklämmer“= jemand der sehr

sparsam ist ¶ Das eigene Häusle, um welches man frei herumlaufen kann (also nicht an andere angrenzend) ist das höchste Gut beziehungsweise Ziel für einen Schwaben ¶ Arg fleißig, arg schaffig ¶ „Der ist auch am liebsten da, wo scho gschafft ist oder noch ned gevespert!“ ¶ „Des tät dir so passe, in Sarg bei lege und nix schaffe“ ¶ Man zeigt sich nicht beim nix tun! ¶ So sparsam der Schwabe mit dem Geld, so auch mit den Gefühlen.    Der Schwabe und sein Ländle „Wir Schwaben rühmen uns ein besonders inniges Verhältnis zum lieben Gott zu haben, wir behaupten, er habe unser Ländle sozusagen in Sonderanfertigung, als Mustermodell für die ganze Schöpfung geschaffen! ¶ Gott hat Baden – Württemberg mit dem Schwarzwald gesegnet und in seiner unendlichen Güte einen Teil davon den Badenern geschenkt ¶ Er hat das ganze Land recht buckelig gestaltet, damit sich überall hin die Industrie verkriechen kann und aber dabei nicht die ganze Landschaft versaut, damit des Schwaben Gefühle getroffen, Natur und Werkstatt miteinander verbinden zu können ¶ Theodor Heuss über das Ländle: Das Modell der deutschen Möglichkeiten (Vgl. „Musterländle“) ¶ Und nun behaupten unsere Feinde, zum Ausgleich für all die landschaftlichen Schönheiten, habe der Herrgott den Schwaben erschaffen! ¶ Der Wohnsitz der Schwaben deckt sich nicht mit dem ehemaligen Land Württemberg, Napoleon gründete das Land Württemberg und gab zum Beispiel noch ein Teil Franken dazu (Franken, die ja viel lebenslustiger und fantasievoller sind als wir langsamen und verschlossenen Schwaben) ¶ Noch schlimmer: ein großer Teil der Schwaben, ist seit 1806 in fremden Lande, im bayrischen Schwaben! Deshalb ist zum Beispiel Berholdt Brecht aus Augsburg ein Schwabe ¶ Die Alemannen sind eigentlich auch schwäbisch. Es gibt nur sprachlich ein paar Unterschied (Vgl. Schweizer Deutsch und Schwäbisch).    Der Schwabe und seine Geschichte Genau genommen sind die Habsburger mit der Maria Theresia, die Preußenkönige vom alten Fritz bis Wilhelm II. eigentlich Schwaben! ¶ Herzog Cristoph IV. führte die Reformation ein. Von da an lebten die beiden Konfessionen nebeneinander und waren zu Koexistenz auf engem Raum gezwungen. ¶ Nach dem zweiten Weltkrieg schloss sich Württemberg mit Baden zusammen. Baden, wirtschaftlich ein armes Mädle zierte sich zunächst sehr von dem reichen Mann Württemberg geheiratet zu werden. Vor allem die Südbadener weigerten sich und fühlten sich zu ihrem Glück vergewaltigt!

„Das Land der Dichter und Denker so wird‘s im Ausland g‘nannt Und Leit, die wo dort wohnet Ihr Fleiß, der ist bekannt Spätzle, Moscht und Zwiebelkuche gibts fast jeden Tag Und‘s G‘schwätz, des isch des reinste Deutsch Do gibt‘s doch go kei Frog. D‘r Herrgott hot die Schwoba g‘macht Und die sind ihm geglückt Er hot auch heut sei Freud no dro, wenn er da runter spickt. D‘r Herrgott hot die Schwoba g‘macht Und hot sich do dabei, of sei eig‘ne Schulter g‘lopft und g‘moint: Heidanei! (x2) A jeder schafft und wurschtelt, koiner hot a Ruah Glücklich, freundlich und zufriede, manches Mal au grob So sind do die meischte Leit, aus rechtem Korn und Schrot. D‘r Herrgott hot die Schwoba g‘macht Und hot sich do dabei, of sei eig‘ne Schulter g‘lopft und g‘moint: Heidanei! (x2) A Häusle mit am‘a Gärtle, isch au no so glei Für des schafft do a jeder was eignes sollts halt sei. Und sparen dern a manche Leit als wär‘s a Leischtungsport! D‘r Herrgott hot die Schwoba g‘macht Und die sind ihm geglückt Er hot auch heut sei Freud no dro, wenn er da runter spickt. D‘r Herrgott hot die Schwoba g‘macht Und hot sich do dabei, of sei eig‘ne Schulter g‘lopft und g‘moint: Heidanei! of sei eig‘ne Schulter g‘lopft und g‘moint: Donnerwetter nomol!“

„Dr Herrgott hot die Schwoba gmacht“, Oscar Müller, Youtube 2013


Deutschland deine Schwaben

Vorbild sein ist schön, aber neidisch beargwöhnen die Mitschüler den strebsamen Musterschüler. Auch unter den Bundesländern gibt es solche, die gerne Vorbild sein möchten, vorallem, wenn anderswo die politische Konkurrenz das Sagen hat. Baden – Württemberg nimmt für sich gerne in Anspruch, „das Musterländle“ zu sein. Dabei blickt man immer auch ein bisschen neidisch nach Bayern, wo man einfach sagt „mir san mir“, und mit dem Motto „Laptop und Lederhose“ die eigenen Leistungen selbstbewußt zu verkaufen weiß. Da nimmt sich der Anspruch Baden – Württembergs, vorbildlich zu sein, doch ein wenig hausbacken aus. Aber der Ausdruck „Musterländle“ hat seine historischen Wurzeln, die den badischen und württembergischen Teil des Landes heute verbinden. Im 19. Jahrhundert galt das liberal regierte Baden als das Musterland des Liberalismus in Deutschland. Aber schon damals wurde der Begriff auch auf ironische Weise verwendet. So sprach etwa der konservative Berliner Historiker Heinrich von Treitschke mit Blick auf den häufigen Wechsel der badischen Kabinette spöttisch vom „konstitutionellen Musterländle“.    In den zwanziger und dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts lief Württemberg Baden den Rang ab. Während die württembergische Wirtschaft im Maschinenbau und der Feinmechanik einen Wachstumsboom verzeichnete, verloren nach dem Ersten Weltkrieg viele badische Betriebe durch die Abtrennung des Elsaß´ihre traditionellen Absatzgebiete. Stolz hielten nun die Württemberger ihre Heimat für ein „Musterländle“. In den Jahren des Wiederaufbaus nach dem Zweiten Weltkrieg, zwischen 1950 und 1960, entwickelte sich das 1952 gegründete Bundesland Baden – Württemberg zu einem der weltweit modernsten Industriestandorte. Baden und Württemberg wurden nun gemeinsam zum „Musterländle“.

Haus der Geschichte Baden – Württemberg, Landesgeschichten. Der deutsche Südwesten von 1790 bis heute, Stuttgart 2002. S. 35ff.

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Der Schwabe und sein Weltbild    Der Schwabe und seine Residenzen Man wirft dem Schwaben oft vor er habe keinen fesStuttgart: Der Fernsehturm ist der erste seiner Art, ten Standpunkt; um die Dinge zu begreifen geht zunächst unbeliebt bei den Stuttgartern. Erst als er um sie herum, erst dann bildet er sich ein Urteil ¶ der teure Bau abbezahlt war und dann auch noch Er sagt nicht gern: Entweder oder, Er sagt viel lieGeld abwarf fanden ihn auch die Stuttgarter schön ¶ ber: sowohl als auch (schwäbische Übersetzung: Alexander von Humboldt zählte Stuttgart unter „so isch na au wieder“) ¶ Er lässt auch gegensätzdie sieben schönsten Städte der Welt ¶ Damals drittliche, verschiedene Standpunkte gelten, deshalb größte Weinbaugemeinde (die Weinberge gehen ist er auch kein Freund von radikalen Ansichten ¶ runter bis zum Bahnhof) ¶ Obwohl die Stuttgarter Es ist kein Wunder, dass der Philosoph Hegel aus zunächst wenig Interesse an der Kultur zeigen (Interviews von Stuttgartern vor dem Theaterhaus) Stuttgart stammte. ¶ Der Schwabe ist ständig besitzt Stuttgart ein Ballett von Weltruf (John im Disput mit sich selbst, er vermag es nicht die Cranko) und auch die Oper hat europäischen Ruf, inneren Gegensätze zu vereinigen. und das alles trotz Pietismus und Puritanismus! ¶    Der Schwabe und seine Sprache Schiller, Hölderlin, Möricke, eine ganze Reihe hervor- „Das beste was das Stuttgarter Nachtleben zu bieten hat sind die Aussichten von den Höhenlagen ragender schwäbischer Lyriker ¶ Die schwäbische Lyrik und die schwäbische Freude am Schimpfen ha- auf die Lichter der Stadt“. (Heute ist das anders). ben den gleichen Ursprung: die Freude am Wort   Der Schwabe und sein Wein Man trinkt den Wein gern für sich, weniger gern in schöpferischen ¶ „Riassel, Gosch“= Mund ¶ „Däz“ Gesellschaft ¶ Burg und Schlossgaststätten sind (aus dem Französischen), „Möckel“= Kopf ¶ „Zentoll ¶ Prototyp des schwäbischen Weingärtners: „Tüka“= Nase mit welcher man „schmeckt“= riecht ¶ binger Wengerter und Goga“, sie sind das Muster „Glotzer“= Augen ¶ „Anke“= Hals ¶ „Ranza“= Bauch ¶ Pietisten: (schwäbische) Wolllust ist das größte schwäbischer Grobheit, Schlagfertigkeit und WortHindernis zur ewigen „Sälichkeit“ (=Seligkeit) ¶ kargheit ¶ Frühere Namen für Tübinger Weine: „Fiaß“= Beine (ab Hüfte beginnend und mit dem „Rachenputzer“, „Semsekrepser“ (so sauer, dass man „Grauße Zaiha“ endend) ¶ „laufen“= gehen ¶ „sprinan der glatten Wand (=Sims) hochgeht), „Ranzengen“= laufen ¶ „hobbfa“= springen ¶ Das Schwäspanner“ ¶ Schon nach ein oder zwei Viertele, neigt bische ist nicht so derb wie das Bayrische, kann der Schwabe, ganz nach Temperament, entweder aber noch derber klingen ¶ „Ja jetzt leg mi no zum Monolog, zum Philosophieren mit sich selbst glei am Arsch“= schwäbischer Gruß, nicht als Beleioder zur heiteren Geselligkeit. digung zu verstehen! ¶ Schwäbisch ist kein Dia   Der Schwabe und seine Herkunft lekt sondern eine eigene Sprache, kann sehr grob Obwohl die Industrie in dem schwäbischen Sprachaber auch sehr zart sein, zum Beispiel mit der gebiet blüht, so ist doch der Schwabe seiner Endsilbe –le: „Soderle“ ist die erfolgreiche BeendiHerkunft und seinem Charakter nach bäuerlich, gung einer jeden Tätigkeit ¶ Der Schwabe ist mauler kommt sozusagen aus der Idylle ¶ In Oberfaul, er ist eigen, er hält sehr gerne am Althergeschwaben: kompletter Besitz wird vererbt an nur brachten fest ¶ Er besitzt eine große Kreativität was eine Person. „Bei uns kriegt der Gescheiteste das Erfinden von Schimpfwörtern angeht! den Hof, de dumme werde Pfarrer oder Lehrer“ ¶ In Altwürrtemberg: bei jeder Erbschaft wird alles    Der Schwabe und seine Küche Wir sind konservativ auch in der Küche (das gilt nur zerstückelt und zerkleinert, kleiner Besitz, durch für den Geschmack) ¶ Bei uns sagt man: Was der Heirat innerhalb des Dorfes versuchte man den Bauer nicht kennt, das frisst er nicht! (auch in BayBesitz zu vergrößern (Inzucht? deshalb viele „Ballas“ ern) ¶ „Den kann ma lasse“ ist das höchste schwäoder „Bachel“ „Sirmel“ „Simpel“ „Dippel“ „Dupbische Lob ¶ Spitzenerzeugnis der schwäbischen pel“ = Leute die nicht so ganz schlau sind, nicht recht Küche: Maultaschen, sie entsprechen dem schwägebacken) ¶ Bäuerlich am Schwaben ist sein Aufbischen Gemüt: in einem unliebenswürdigen Gewand begehren, sein Rebellentum, sein Misstrauen, seine verbirgt sich ein delikater Kern ¶ Mit Maultaschen Skepsis ¶ Worte, die im Hochdeutschen hässlich wird Gott am Karfreitag hinters Licht geführt ¶ Spä- oder beleidigend klingen, sind im schwäbischen oft tzle und Flädle sind die Hauptsäulen der schwäbilieb gemeint ¶ Bäuerlich grob aber nicht grobb, schen Kulinarik ¶ Es wird gerne geveschpert ¶ Einnie aggressiv und nie gewalttätig ¶ Der Schwabe ladungen zum Kaffeetrinken: „Kommt gleich nach lebt in einer heiteren Landschaft, aber er selber dem Mittagessen, damit ihr zum Abendessen wieder ist still, in Sich gekehrt, je fröhlicher er wird desto daheim seid!“ trauriger werden seine Lieder.


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Der Schwabe und seine Technik (Dieses Kapitel wird durch imposante und frohlockende Musik angekündigt) ¶ Hinter der Maske der Einfalt verbirgt der Schwabe gern den überlegenen Schalk ¶ Nitzsche: „Gutmütig und tückisch, ein solches Nebeneinander, wiedersinnig in Bezug auf jedes andere Volk, rechtfertigt sich leider zu oft in Deutschland: man lebe nur eine zeitlang unter Schwaben.“ ¶ Warum Schwaben so viel Gutes erfunden haben: die Fähigkeit, sich in ein Problem zu verbeissen, sein Hang zum Tüfteln und Senieren, seine gute Schulbildung ¶ Schwäbische Erfindungen: Auto und (Benzin getriebenes) Motorrad, Motorboot, Gesetze der Planetenbewegung (Johannes Kepler), viele Luftfahrtpioniere sind Schwaben, Graf Zeppelin baute sein Zeppelin in Friedrichshafen, Flugzeugbauer (es gibt 5 Hersteller) alle Schwaben, Düsenjäger, Rechenmaschine, Zeitung, Magnetzündung, astronomisches Fernrohr, Dieselmotor, Neigungswaage, Linotype – Setzmaschine, Kehrwoche ¶ Ein Schwabe baute eine Maschine, eine künstliche Niere für seine Frau, sodass diese 2 Jahre länger lebte ¶ Sein Erwerbssinn, verbunden mit beharrlichem Fleiß, sein Hang zur Unabhängigkeit, prädestiniert den Schwaben zum Unternehmer ¶ Robert Bosch: Vorreiter in Sachen Erfolg durch Fokus auf das Wohl des Arbeitnehmers.    Der Schwabe und die Welt Der Schwabe: weltweit und bodenständig ¶ Romantik, Fernweh, Abenteuerlust und manchmal auch wirtschaftliche Not und politischer Druck haben immer wieder viele Schwaben aus dem Ländle getrieben, überall in der Welt trifft man auf Schwaben ¶ Der Schwabe und Filmproduzent Carl Laemmle war der Gründer Hollywoods ¶ Schwäbischer Dialekt verhindert, dass es viele schwäbische darstellende Künstler gibt, außerdem ist es für den Ur – Schwaben sehr schwer sich zu verstellen, sich zur Schau zu stellen ¶ Die Reformation verdarb den Niederschwaben die Lebensfreude und vertrieb sie nach Oberschwaben, dort wurden sie sogar in die Kirchen eingeladen ¶ Vor der Reformation waren die Schwaben die Lustigsten und Leichtsinnigsten unter allen deutschen Stämmen, aber dann kamen die Bilderstürmer, Herzog Ulrich ordnete 1537 an, dass alle Bilder aus den Kirchen entfernt werden müssen ¶ Die schönste Kirche in Stuttgart ist der Hauptbahnhof, solide, wertbeständige und zweckvolle Architektur (als Kapitalanlage) wird von den Schwaben mehr geschätzt als Prunkbauten ¶ Sprachbegabung oder Sprachfertigkeit des Schwaben zeigt sich durch die zahlreichen schwäbischen Philosophen und Dichter ¶ interessanter, schwä-

bischer Künstler: Hab Griesshaber ¶ schwäbische Überheblichkeit? Die Dichterdichte im alten Württemberg war Ende des 18. und während des 19. Jahrhunderts sehr groß: Schiller, Hölderlin, Mörike oder viele andere wären zu nennen. ¶ Sind Alemannen Schwaben oder sind Alemannen ein eigenständiger Volksstamm, der unter anderem von den Stuttgarter Schwaben (gegen ihren Willen) kolonialisiert wurde? ¶ Hochdeutsch ist für Alemannen eine Fremdsprache ¶ Dieses Volk, dieses bunte Gemisch von Starrköpfen und Individualisten, von Spießbürgern und Eigenbrötlern, von Senierern und Sektierern hat naturgemäß viele Denker hervorgebracht ¶ Albert Einstein stammte aus Ulm ¶ Schwäbisches Gewächs ist zum Beispiel, die dialektische Methode durch Denken in gegensätzlichen Begriffen zum Wesentlichen zu gelangen (Hegel).   Ende Auch wenn diese sehr wilde Sammlung an Zitaten aus den fünf Teilen von „Deutschland deine Schwaben“ sehr aus dem visuellen und thematischen Kontext des Filmes gerissen ist, vermittelt sie in einer komprimierten Form ein authentischen Eindruck des schwäbischen Humors, sowie der schwäbischen Identität und Gesellschaft. Ich finde die spannenste Erkenntnis des Films ist die sehr sympathische selbstironische Haltung der Schwaben, welche uns Willy Reichert als Moderator des Films authentisch vermittelt. Mit seiner entspannten Art schafft er es, Witziges und Wahrhaftiges zu verbinden und mich als Zuschauer in die Faszination Schwaben einzuführen. Außerdem vermittelt der Film eine tolle Moral: „Nimm dich selbst nicht so ernst und du wirst viel Spaß haben im Leben“. Ich finde Menschen aus ganz Deutschland, ja eigentlich aus der ganzen Welt, täten gut daran, sich ein wenig mehr von dieser tollen schwäbischen Lebenseinstellung leiten zu lassen.

„I, wenn e Geld gnuag hätt, no wißt e, was e tät, heissa juchhe! Mir miaßt a Häusle her, dees no mei oiga wär, o, dees wär schö‘! Obanam Berg miaßt‘s sei, Mittlanem Sonnaschei, Mittlanem Klee. Bluama, soviel da witt, uf jedem Fenschterbritt, o dees wär schö‘! Do miaßt a Weible nei, Schwarzhoorig miaßt se sei, Mit weiße Zäh. Grad so wia‘s Schulza Gret, Dui, wenn me nemma däht, o dees wär schö‘! Brächt no dr Storch om‘s Johr en Bua mit Rollahoor, später no meh. Ond so derzwischa nei, Dirft‘s au a Mädle sei, o dess wär schö‘! Aber i han koi Geld, s‘gibt uf dr ganza Welt, Ärmers nex meh. I glaub, i stirb no dra, ‘s guckt me net oina a, o dees duat weh!“ „O dees wär schee!“ Archiv SDR, Stuttgart 1998.


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Den Hinterhรถfen in Stuttgart wohnt ein Zauber inne, der schwer in Worte zu fassen ist.


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Sehenswürdigkeit Baustelle. Möglichkeit zum (kritischen) Beobachten einer der großen Stuttgart 21 – Baustellen in direkter Nachbarschaft zur Stadtbibliothek. Stuttgart ist im Umbruch. Die unglaublich vielen Baukräne als Symbolbild für die angestrebte Veränderung. Noch schaden Sie dem Stadtbild. Verspricht das was hier entsteht Verbesserung?


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Interview mit Armin Dellnitz (Stuttgart Marketing GmbH)

„Diese Stadt hat nach wie vor ein Imageproblem.“

Zunächst mal würde mich interessieren, wie ihre Arbeit für die Stadt Stuttgart aussieht, was sie da vor allem für das Image der Stadt machen ? Also wir sind ja die Tourismus – Marketing Organisation und unsere Aufgabe ist es, dass diese Stadt für Touristen spannender, erlebbarer, schöner wird und dass wir die entsprechenden Anreize, die Impulse, die Angebote auch nach außen vermarkten und darstellen. Und wenn die Gäste dann hier hin kommen, dass die Gäste ein Serviceangebot bekommen wo sie sich wohl fühlen und wo es dann darum geht, dass wir die Leistungen, die wir zugesichert haben im Rahmen unseres Marketings auch eingehalten werden können, deswegen ist es so, dass wir sehr eng mit allen Partnern im Bereich der Angebotsentwicklung und Angebotserstellung zusammenarbeiten und manchmal auch selbst Angebote entwickeln, die wir dann den Gästen anbieten können. Und was sind dabei die Hauptkanäle, wie sie die Angebote der Stadt zu den Touristen bringen ? Der Schwerpunkt in der Kommunikation liegt in der Pressearbeit, inzwischen fast gleich auf mit Bloggerreisen, also mit der Bedienung von sämtlichen Social – Media Kanälen. Wir haben dazu eine eigene Content – Abteilung aufgebaut vor einigen Jahren, die sich nur damit beschäftigt über sämtliche Soziale Medien und wie gesagt Bloggerreisen, Instagram – Influencer, die Besonderheiten beziehungsweise die besonderen Angebote, die wir nach außen stellen wollen entsprechend zu vermitteln. Wofür steht für Sie die Stadt Stuttgart? Das differenzieren wir. Weil wir glauben, dass diese Pauschalisierung nicht möglich ist. Ich will das kurz darstellen: Wir definieren verschiedene Zielgruppen, die wir ansprechen. Das sind einmal, eine ganz wichtige Zielgruppe, nämlich die Menschen die hier in der Region Stuttgart direkt leben. Wir reden da vom gesamten Tagesausflug, der für uns und unser Marketing, eine eigene Rolle spielt, dann kommt anschließend die Bevölkerung in Deutschland, also unsere nationale Tourismusstrategie und dann kommen die internationalen Märkte und dann wiederum haben wir nochmal eine eigene Zielgruppe, das ist die der Businessreisenden, denn 70% all unserer Gäste sind Businessreisende und wir arbeiten sehr viel mit unserem Convention – Büro im gesamten Messe-, Kongress- und Tagungsgeschäft. So und für jede dieser genannten Zielgruppen muss ich andere Schwerpunkte raus arbeiten und diese Schwerpunkte vermitteln, sonst funktioniert das nicht. Eine Großstadt kann nicht auf einen Gespräche & Erfahrungen

Der Hauptteil dieses Buches, das Kapitel „Gespräche und Erfahrungen“ besteht zum Großteil aus Interviews. Interviews mit den verschiedensten Leuten. Diese Leute verbindet die Tatsache, dass sie alle in einer besonderen Weise eine Verbindung zur Stadt Stuttgart haben.    Ich finde bei diesem sehr komplexen Thema „das Image einer Stadt“ nähert man sich einer, vorsichtig gesagt, allgemeingültigen Meinung am besten an, indem man mit so vielen unterschiedlichen Leuten wie möglich spricht. Die Sache sozusagen aus allen möglichen Blickwinkeln beleuchtet. Ich denke die Erfahrungen, Erlebnisse und Meinungen von Stuttgartern lässt einen authentischen Blick auf den Zustand der Stadt zu. Dabei ist zu erwähnen, dass ich trotzdem nur einen sehr kleinen Teil der in Stuttgart lebenden Bevölkerung abdecken konnte.


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gewissen und kleinen Punkt reduziert werden, dass wird durch die vielen Märkte und Zielgruppen nicht funktionieren. Also das bedeutet umso weiter ich von Stuttgart weggehe umso klarer, arbeiten wir mit Mercedes und Porsche als Automobilstandort mit den beiden Museen. Das ist international betrachtet eine der wirkungsvollsten Botschaften. Ebenfalls international allerdings gezielt für die Märkte Österreich und Schweiz ist das Thema Wasen und Weihnachtsmarkt verbunden mit dem Thema Shopping und wenn es um den deutschen Markt geht, arbeiten wir sehr stark das Thema Kultur heraus. Mit unseren Kulturangeboten Staatstheater, Staatsgalerie, das heißt also mit unseren wirklichen Highlights, die wir im kulturellen Bereich haben. Das was ich jetzt gerade umrissen habe sind so die Besonderheiten, die Schlüsselthemen und die werden sehr stark kombiniert mit Gastronomie und dem Thema Shopping. Damit gibt es dann also eine Einheit. Wenn ich von Gastronomie dann ist da der Wein mit inbegriffen, weil es wenig Großstädte gibt, die mit dem Thema Wein so arbeiten können wie wir es tun. Was hat Stuttgart, was andere deutsche Städte nicht haben? Also bezogen auf 70% Businessreisende, für die wir wie gesagt auch zuständig sind, weil die kommen auch nicht von alleine, ist es das know how was hier in dieser Region liegt, das Image als Wissenschafts- und Wirtschaftszentrum. Das ist gerade dann, wenn es um viele Firmen geht, die hier Tagungen und Kongresse machen wollen, ganz wichtig. Eine hervorragende Infrastruktur mit zur Zeit immer mehr Hotels, mit einer Fußläufigkeit und Anbindung im innerstädtischen Bereich und mit der sehr hohen Lebensqualität, bezogen auf Gastronomie, Kultur und eben auch aus dem Bereich Shopping. Das ist ein ganz wesentlicher Bereich, der uns kennzeichnet. Wenn es jetzt um die anderen Punkte geht, die ich genannt habe, dann ist es die Kombination mit dem Thema Automobil-, Mercedes- und Porschemuseum, keine andere Stadt hat diese Dichte von Geschichte, die wir über die Erfindung des Automobils erzählen können. Und das ist das was wir nach außen stellen. Der dritte Punkt ist, wir haben, ich glaube das ist schon das fünfte Jahr in Folge wo wir Kulturhauptstadt Nummer 1 in Deutschland sind. Das heißt eine ausgesprochen hohe Qualität an kulturellen Angeboten und was wir auch nach außen stellen und was für die Größe von einer Stadt wie Stuttgart in der Form einmalig ist. Immer wieder fällt mir auf, dass vor allem außerhalb von Stuttgart also in Deutschland, Stuttgart schon immer in erster Linie auf die Autos und die Wirtschaft reduziert wird und oft gar nicht so bekannt ist, was sonst noch so los ist in Stuttgart. Sehen sie das auch so, beziehungsweise finden Sie auch, dass sich dieser Fokus etwas verschieben sollte? Da gebe ich Ihnen Recht. Stuttgart ist über ganz viele Jahre und über ganz viele Jahrzehnte und zwar ich würde mal so sagen bis zu einem Zeitpunkt von vor vielleicht 20 oder 15 Jahren eine Stadt gewesen, die touristisch gesehen, keine herausragende Bedeutung gespielt hat. Wir haben vor 10 Jahren angefangen sehr intensiv das Thema Tourismus mitzuspielen. Es ist so, dass wir wissen, dass wir allerdings so eine Imageveränderung, die diese Stadt braucht, das diese Veränderung enorm viel Kraft und auch Zeit kostet. Und alle die Themen, die zur Zeit mit Stuttgart in Verbindung gebracht werden, nämlich das Thema (angestrengtes Luftholen) Stuttgart 21, Großbaustelle, Verkehr, Lärm, Feinstaubalarm (...) alles das sind Dinge uns nicht unbedingt dabei helfen und die auch immer wieder die Außenwirkung dieser Stadt überschatten. Und deswegen tun wir uns auch sehr schwer mit anderen touristischen Themen in den nationalen Markt zu kommen und uns damit zu positionieren. Aber das ist schwierig, das erkennen wir. Und wir merken auch wie schwierig das ist, dass dieses Image von Stuttgart sich dadurch verändert. Trotzdem muss man sagen, wir haben einen deutlichen Anstieg an Übernachtungszahlen, wir

Armin Dellnitz ist der Geschäftsführer der Stuttgart Marketing Gmbh. Bevor ich ein Telefongespräch mit ihm führen konnte, habe ich mit seiner Sekretärin per E-Mail und Telefongespräch einen Termin mit Herr Dellnitz ausgemacht. Da Herr Dellnitz in der Weihnachtszeit unglaublich viel zu tun habe, wie mir seine Sekretärin Frau Wirth verriet, sei lediglich ein Telefongespräch möglich. Aufgrund dieser bürokratischen Professionalität ging ich etwas eingeschüchtert in das Telefoninterview mit Herrn Dellnitz. Ich erwartete einen kurz angebundenen, eventuell hochnäsigen Manager. Armin Dellnitz stellte sich schnell als sehr redseliger, sehr freundlicher Zeitgenosse heraus und seine ausführlichen Antworten zu meinen Fragen zeigten mir wie sehr die Leute der Stuttgart Marketing GmbH das Thema des Images von Stuttgart beschäftigt und wie sehr Sie für die Verbesserung dieses hochkomplexen, sehr schlecht greifbaren Themas kämpfen.

Stuttgarts Gegenwart & Zukunft


Interview mit Armin Dellnitz (Stuttgart Marketing GmbH)

haben einen deutlichen Anstieg an Freizeittouristen, also Privatreisende, es zeigt sich der relativ ausgeprägte Bau von Hotels in dieser Stadt, der Bedarf ist also da und der wird auch erkannt und jedes einzelne Hotel was hier gebaut wird hat ja umfangreiche Marktanalysen hinter sich und man bewertet die Landeshauptstadt perspektivisch für einen ausgesprochen interessanten Markt, aus der Hotelsicht. Und zwar nicht nur bezogen auf Wirtschaft, sondern auf die Kombination mit Tourismus und Wirtschaft. Und von der Seite her ist das eine ganz zähe Sache, dass wird auch noch viele Jahre dauern, aber wir sind als Stuttgart – Marketing sehr überzeugt davon, nicht nur, dass es sich lohnt, sondern, dass wir da einfach durchhalten müssen und, dass wir es dann auch irgendwann mal schaffen, dass touristische Themen auch national in den Vordergrund gerückt werden und nicht nur in (Anführungszeichen) „Problemthemen“. Aber ich gebe Ihnen da Recht, ich teile ihre Meinung und das ist auch völlig verkehrt, wenn man das jetzt schön reden würde. Diese Stadt hat nach wie vor ein Imageproblem und da könnte man zwar sagen, dass einen das frustriert, wie auch immer, aber das hilft uns jetzt gar nichts, sondern wir müssen da dran bleiben. Aber wie gesagt wir merken ja auch, dass wir Erfolg haben und ja, das treibt einen ja auch an und da glauben wir, dass wir das langsam hin bekommen. Aber das Image einer Stadt kriegen sie nicht geändert in wenigen Jahren, das dauert wirklich, wirklich lange, das ist einfach so. Zum Schluss eine noch etwas persönlichere Frage: Was ist ihr Lielingsplatz oder Lieblingsort in Stuttgart? Ich habe zwei Plätze. Und zwar einmal oben die Grabkapelle am Württemberg, weil Sie von dort aus einen unglaublich tollen Blick haben über diese Stadt, mit den Weinhängen und der gesamten Atmosphäre. Ich finde von dort oben zeigt sich und präsentiert sich die Stadt in ihrer kompletten Vielfalt. Und der zweite Platz, das müssen sie übrigens selber mal machen, das ist ganz fantastisch, das ist wenn sie hinten auf den Ehrenhof vom Neuen Schloss gehen. Und zwar nicht tagsüber wo da die ganzen Auto stehen, sondern mal am Abend da ist da hinten fast keiner, da kann die Stadt proppe voll sein, die Königsstraße da gehen tausende von Leuten hoch und runter, aber dort hinten haben Sie immer eine Ruhe und können so nach hinten blicken Richtung Königsbaupassagen rüber und erleben eine ganz tolle Atmosphäre. Und da ist so ein Brunnen drauf und wenn es dann Sommer ist, das Wasser ist drin, der Brunnen ist an und Sie setzen sich so an den Rand des Brunnens, dann ist das eine außergewöhnliche Perspektive, die vielleicht viele Stuttgarter gar nicht kennen von dort aus. Das ist wirklich nur ein paar Meter an die Seite gegangen, aber den Ehrenhof vom Neuen Schloss hat schon etwas. Vielen Dank für Ihre Zeit und ihre spannenden Antworten! Ja sehr gerne. Das ist wirklich ein spannendes Thema, auch ein völlig richtiges Thema mit dem Sie sich beschäftigen, wir selber sind auch mit den anderen Städten in Deutschland immer im Austausch, diskutieren darüber. Ich bin befreundet mit meinem Kollegen aus Frankfurt, der ja eine ähnliche Reise durchmacht und Frankfurt hat es ja auch mit viel Kraft geschafft langsam touristischer zu werden. Die haben das Museumsufer, die haben jetzt den Altstadtbereich neu aufgebaut, aber der arbeitet genauso intensiv und hart daran, dass sich ganz langsam das Image verändert und damit auch Zielgruppen verändern und deswegen ist das jetzt nicht nur ein Thema für Stuttgart, das haben auch andere Städte. Eine Stadt wie München oder Hamburg da ist es sicherlich leichter, das muss man sagen, weil diese Städte gehören zu den sogenannten 1A Städten, das heißt da ist die Botschaft, die Message sehr klar, sehr klare Strategie, da muss man sagen, da können die sicherlich noch anders agieren. Aber mühsam ernährt sich das Eichhörnchen! Gespräche & Erfahrungen

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Vom Tourismus oft und gerne benutzes Symbol für Stuttgart: Der Fernsehturm in Stuttgart – Degerloch. Viele Städte haben einen Fernsehturm, aber der in Stuttgart war einer der ersten in seiner Größenliga. Als ich oben auf dem Fernsehturm stand, war ich ein klein wenig enttäuscht, da man Stuttgart nur noch aus weiter Entfernung sehen kann, weil der Fernsehturm auf der ohne hin schon erhöhten Kesselkante steht. Trotzdem eine, sich lohnende Stuttgarter Attraktion!

Stuttgarts Gegenwart & Zukunft


Eine Stadt im Wandel

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Das ist sicher unglaublich schwierig, aber ich meine, an die Kreativität und an die Möglichkeiten muss man einfach glauben. Wenn man gar nicht heran geht, hat es überhaupt keinen Sinn. Und ich meine, dass dort Chancen wären, dass die Stadt in ihrer Identitätssuche ein Stück vorwärts kommt und dass diese Stadt eigentlich ihre Identität nicht nur in der Solidität suchen sollte, und auch nicht in der Aussage „Wir machen die Sache schon recht, aber wir machen keine Experimente“. Das reicht nicht, das geht nicht mehr. Die Zeiten sind so, dass man sich wieder herauswagen muss – auch mit Experimenten.    Ich glaube, dass diese Stadt, wenn diese Stadt ein Image hat, das Image einer technischen Stadt hat. Sie ist nicht Karlsruhe, wo man sagt, das ist eine Beamtenstadt. Sie ist auch nicht Freiburg, wo sie Wein trinken und den lieben Gott einen guten Mann sein lassen, sondern diese Stadt hat doch das Image einer progressiven, auch innovativen Stadt. Das muss sie eigentlich auch wahrnehmen. Ich werfe ihr vor, dass sie das zu wenig macht. Ich werfe ihr vor, dass sie zu wenig experimentiert, dass sie zu oft den Weg des Soliden, des Halbgroßen oder des Halben geht und eigentlich zu wenig den Versuch macht, an die obere Anschlaglatte zu gehen. Ein ganz großer Fehler wäre auch einmal schön, aber das kann man ja gar nicht sagen.    Als letztes meine ich, dass in diesem Raum, der mit der Fahrzeugentwicklung eigentlich ganz zentral verbunden wird, eine Chance bestehen würde. Wenn man neue Ideen hat oder etwas versucht, kann sich die Stadt ja nicht aus dieser Vergangenheit wegstehlen, auch wenn das Auto jetzt in einer schwierigen Phase ist.    Das Fahrzeug ist im Laufe der Menschheitsgeschichte ein zentrales Element, welches wir nach dem Werkzeug erfunden haben, als erstes die Schiffe, dann die Räder, dann die Motoren und Maschinen. Das Fahrzeug ist doch eigentlich der Ersatz für die Sklaven, ist doch der Ersatz für die selbsttätige Fortbewegung. Erst als diese Dinge erfunden worden sind, hat man sich getrennt von der Verknechtung des Menschen. Wenn diese Stadt sich zum Beispiel dem Gedanken nähern könnte, aus dem alten Bahnhof ein Museum für Fahrzeugentwicklung zu machen,

Gespräche & Erfahrungen

wäre das eine kulturelle Einmaligkeit. Studenten haben das bei uns vorgeschlagen. Die Fahrzeugentwicklung im ganz allgemeinen Sinn ist natürlich eine unglaublich interessante Innovation des Menschen. Man hätte ein Museum, welches weltweit einen Ruf bekommen könnte und im Grunde genommen einfach dieser Stadt, diesem Raum und dieser Region entsprechen würde.

Andreas Brunold, „Stuttgart – Stadt im Wandel“, Silberburg – Verlag 1997, S. 178.


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„Unique Selling Proposition“ oder einfach Alleinstellungsmerkmal von Stuttgart. Die Stäffele prägen das Stadtbild Stuttgarts. Es gibt die Treppen überall in der Stadt, denn durch die Kessellage begegnet man öfter zu überwindende Höhenunterschiede, als einem zumeist lieb ist.In Wirklichkeit ist die besondere geographische Situation eine wirklich spezielle Eigenschaft, die unzählige, idyllische Aussichtspunkte liefert. Das mag ich sehr gerne an Stuttgart.


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Der Killesberpark fotografiert vom Killesbergturm mit Blick Richtung Feuerbach. Der Park ist neben der Kunstakademie die grĂśĂ&#x;te Attraktion auf dem Killesberg.


Ein subjektiver Veranstaltungsbericht

Im Zeitraum von 8 Tagen, also von Donnerstag, den siebten Oktober bis Freitag, den fünfundzwanzigsten Oktober habe ich in Stuttgart sehr viel erlebt. Es fällt mir zunächst einmal schwer all das Erlebte, so niederzuschreiben, wie ich es erlebt habe. Ich versuche mein Bestes. Am Donnertag bin ich in das Staatstheater Stuttgart gegangen und habe mir „die Physiker“ von Friedrich Dürrenmatt angeschaut. Das Stück hat mir sehr gut gefallen, nicht nur die Geschichte war unterhaltsam und fordernd, auch die Inszenierung von Cilli Drexel empfand ich als äußerst lustig und zeitgemäß. Kulturell geht es weiter, am Mittwoch darauf. Ich bin mit meinen Großeltern, die aus München zu Besuch kamen und absolute Theater Enthusiasten sind, wiederum in das Staatstheater in „Othello“ von Shakespeare gegangen. Eine überraschend gut verständliche Shakespeare Inszenierung von Burkhard C. Kosminski, mit sehr gelungenem Bühnenbild! Zu meinem Glück hat die von mir ausgesuchte Vorführung bei vorallem meinem Opa große Jubelstürme ausgelöst! Gleich am nächsten Tag war ich mit Sophie und Robert, ermöglicht von unserem Mitbewohner Elliott, der Opernsänger dort ist, in der Generalprobe von Don Carlos. Viereinhalb Stunden geballtes Opernfeuerwerk. Meine erste Oper! Ich war positiv überrascht wie kurzweilig es war. Noch am selben Abend erfahre ich durch Mitstudenten von einem Poetry Slam am Theater mit lebenden und bereits gestorbenen Poeten. Das will ich auch bald noch sehen! Das Finale dieser sehr ereignisreichen Woche macht der Freitag! Zunächst einmal überfordert von 2 sehr spannenden Events für den Abend, einmal DJ Lars Eidinger in den Wagenhallen und auf der anderen Seite Negroman im Freund+Kupferstecher. Da ich DJ Lars Eidinger vor einem halben Gespräche & Erfahrungen

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Jahr schon im Freund und Kupferstecher gesehen und gefeiert habe, entscheide ich mich für das Negroman Konzert. Erstmal ein „Shoutout“ für Negroman, er ist ein sehr spannender und inspirierender Künstler für mich. Jedenfalls aufgrund persönlicher Verhinderungen diverser Freunde, entscheide ich mich alleine dort hin zu gehen. Dort angekommen, fühle ich mich zunächst mal ein wenig Unwohl, weil allein auf Konzerte gehen wirklich komisch ist. Aber sobald die Musik der Vorband anfängt, ist das egal und ich freue mich, dass ich mich dafür entschieden hab zu diesem Konzert zu gehen. Die Vorband aus Berlin überrascht mich sehr, weil sie richtig guten, modernen, elektronischen Rap machen. Dann der Autritt Negromans: Eine sehr powervolle Performance von ihm, ein richtig gutes Konzert!    Zum Ende dieses Textes möchte ich eine bemerkenswerte Beobachtung teilen. Im Publikum dieses Konzertes waren viele Leute, die von sich selbst behaupten underground zu sein, wie es Negroman selbst definitiv ist. Allerdings stehen einige dieser Leute unter meinem Verdacht aus der sehr „wohlhabenden Underground – Szene“ zu kommen. Es schien als würden sie mit dem Geld der Eltern gerne Drogen kaufen. Ist ja auch egal. Auf jeden Fall verliert Negroman, wie es auf Konzerten üblich ist, zwischendurch ein paar Sätze zu Stuttgart: Hier braucht man ja keine Drogen, hier ist das Wasser und die Luft so clean und das Geld stimmt auch (sinngemäß). Darauf hin drei Jungs, sehr enthusiastisch tanzend, direkt vor der Bühne stehend (auf mich wirkten sie, als wären sie auf Drogen), sichtlich angegriffen von dieser Aussage: „Ja das sehen wir Ende des Monats, digga!“ Dazu sehr unkoordinierte, aggressive Gesten in Richtung Negroman. Ich habe kurz Angst, es könnte zu einer Schlägerei kommen, aber es beruhigt sich alles schnell wieder und alle feiern weiter das Konzert! Diese Woche war wieder extrem viel Cooles geboten in Stuttgart. Stuttgart macht Spaß und hat, wenn auch ein wenig versteckt, Vieles zu bieten! Aber vielleicht liegen die Wurzeln des Problems dieser Stadt auch in der (wahrscheinlich unterbewussten) Selbstwahrnehmung und Selbstdarstellung der Stuttgarter. Stichprobenartig beobachtet am Beispiel dieser drei Stuttgarter Jugendlichen und ihrer Reaktion auf die ironische Kritik Negromans ihrer Heimatstadt.    P.S.: Im Übrigen glaube ich, hätte die Münchner Jugend genauso überreagiert! ¶ P.P.S.: am Donnerstag den 24. Oktober war ich noch im Dresden und am Samstag auf einer Ausstellung in der Kulturinsel. Falls dich Leser das überhaupt interessiert.

Achtung: Dieser Text ist aus einer äußerst subjektiven Wahrnehmung geschreiben und darf nicht als faktisch oder einhundert Prozent wahrhaftig wahrgenommen werden.

Mit meinen Großeltern in der ersten Reihe im Staatsschauspiel. Wir haben Othello von Shakespeare in einer Inszenierung von Burkhard C. Kosminski gesehen, es war ein sehr schöner Abend!


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„Stuttgart und meine Wenigkeit“ aus dem Fotoprojekt: „Bis jetzt bin ich auch nur ein, mehr oder weniger dazu gehörender, Tourist“ oder: „Wann ändert sich mein Status von Tourist zu Stuttgarter?“


Stuttgart – Deutschraps Mutterstadt

„Willkommen in der Mutterstadt, der Motorstadt am Neckar. Mekka für Rapper, zu viele meckern (...)“ „Mutterstadt“ – Massive Töne (1996)

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Ich finde die Zeile aus dem Song „Mutterstadt“ von den Massiven Tönen, trifft die den Nagel ziemlich auf den Kopf, wenn es darum geht Stuttgart prägnant und aussagekräftig zu beschreiben. Das Attribut der „Deutschrap – Mutterstadt“ steht zu recht an erster Stelle! Dann der nicht zu leugnende Fakt, dass diese Stadt, in vielen Hinsichten, von Motoren gelenkt und gesteuert wird, und zu guter letzt das Problem mit der, nicht immer zu erklärenden, Unzufriedenheit der Stuttgarter mit ihrer Stadt.    Tatsächlich habe ich Stuttgart als Jugendlicher das erste Mal wahrgenommen, als mich Cro mit „Easy“ innerhalb kürzester Zeit als Fanboy an seine Seite zog und ich, parallel zu seinem unglaublich schnellen Aufstieg zum „Deutsch – Rap – Pop –King“ begann in die Deutsch – Rap – Szene einzutauchen. Eigentlich war Cro der Beginn meiner bewussten Wahrnehmung der Musik oder einfach der Beginn der Entwicklung meines Musikgeschmacks. Auch wenn es mir mittlerweile etwas unangenehm ist, wie sehr ich damals für den Stuttgarter mit der Pandamaske eigentlich wirklich geschwärmt habe. Aber er hat damals einfach die perfekte Musik für meinen früheren state of mind produziert. Außerdem bin ich ihm dankbar, dass er mir meine Zuneigung zu Hip – Hop und Rap klar gemacht hat. Die Begeisterung für Cro ging damals dann fließend über in Begeisterung für die Band „die Orsons“, welche ebenfalls aus Stuttgart stammt, als diese damals zusammen mit Cro beim Bundesvision Song Contest mit dem Song „Horst und Monika“ aufgetreten sind. Mich begeisterte die Kombination aus der sehr eingängigen und fröhlichen Musik mit dem unglaublich komischen Text dieses Liedes. Die Phase meiner Begeisterung für die Orsons dauerte deutlich länger und ich möchte sie im Nachhinein, als eine deutlich intensivere Fanschaft bezeichnen. Danach verstreuten sich die Äste meines Musikgeschmackes in sehr viele verschiedene Richtungen, sodass ich heute nicht mehr in der Lage bin den exakten weiteren Verlauf niederzuschreiben. Aber das ist ja auch völlig egal. Mit dieser kleinen Erzählung aus meinem früheren Leben wollte ich lediglich beweisen, wie wichtig die Stuttgarter Hip – Hop – Szene für meine Entwicklung war und auch wie sehr ich mit dieser Stadt schon verbunden war, noch lange bevor ich mich entschied nach Stuttgart zu ziehen und dort zu studieren. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit hat mich diese, gerade beschriebene Verbindung mit dieser Stadt, damals bei der Entscheidung beeinflusst. Als ich mich im Zuge meines Projekts, also der Enstehung dieses Buchs „Stuttgarts neues Image“ vorallem

die Frage gestellt habe, wie und warum Stuttgart Deutschlands Hip – Hop Hochburg geworden ist, bin ich auf sehr viel spannendes Material gestoßen, das ich im Folgenden gerne in seinen wichtigsten Aussagen zusammenfassen würde.    In der zehnteiligen Dokumentation „Hip – Hop Mutterstadt Stuttgart (Früher und Heute)“ von den Stuttgarter Nachrichten, kommen nahezu alle prägenden Gesichter der Stuttgarter Szene zu Wort und beschreiben die Entwicklung der Stadt von den Anfängen bis Heute. Man könnte schon sagen, dass die Band, die das Alles damals so richtig ins Rollen brachte „die Fantastischen 4“ heißt. Auf die Frage wieso der Ursprung dieses inzwischen rießigen Genres Hip – Hop für Deutschland in der Stadt Stuttgart liege, entgegnet Smudo von den Fantastichen 4: „Wir haben hier in Stuttgart natürlich den Standortvorteil, dass wir als amerikanische Besatzungszone, schon sehr früh an lebendige Hip – Hop Kultur geraten sind.“ 1 Durch die ersten von stationierten Amerikanern eröffneten Plattenläden verbreitete sich die, für Deutschland, neue Kultur des Hip – Hop in Stuttgart besonders schnell. Laut DJ Emilio gab es den Hip – Hop Super Boom in Stuttgart im Jahr 1999. Eine Musikschmiede und Zentrum der ersten Stunde war damals der 0711 – Club in der Marienstraße 37. Neben dem legendären Club befand sich dort in den oberen Stockwerken die Büros des gleichnamigen Labels, zu welchem die ebenfalls sehr bekannte Rapcrew „Kolchose“ gehörte.2 DJ Änna vergleicht die Situation in Stuttgart von damals mit anderen Städten: „In Hamburg zum Beispiel, gab es einfach auch relativ früh ziemlich viel Ärger und Stress mit irgendwelchen Messerstechereien, Drogenhandel, und so weiter, das gab es hier in Stuttgart nicht, weil wir einfach wohl erzogene Mittelstandskinder waren, die einfach Rap – Partys feiern wollten und das hat dann super fruchtbaren Boden gefunden!“3 „Was uns hier auszeichnet ist so diese Gemeinschaftlichkeit, dieses zusammen passieren lassen, und man miteinander arbeitet und sich absprechen kann was passiert. Und die Stadt ist denk ich auch zu klein, als dass man jetzt kontroverse Lager bildet“4 (Michi Beck, die Fantastischen 4). Aus den Aussagen der Stars der ersten Stunde geht hervor, dass die Größe der Stadt als ideales Mittelding zwischen Groß- und Kleinstadt ebenfalls ein wichtiger Faktor für den Erfolg des Stuttgarter Hip – Hops gewesen ist. Max Heere, der zu Beginn eines der vielen Mitglieder der Rapcrew „Kolchose“ war formuliert ähnlich und geht dabei auch auf die anfängliche Rivalität zwischen den beiden „Alpha“


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– Rapcrews Kolchose und Fanta4 ein: „Weil Stuttgart man Mütter beleidigt oder Leute absticht. (...) Und eben doch ne kleine Stadt ist und man sich über es ist cool gemacht, die Videos sind fresh!“ 1 (Barden Weg läuft und eben doch miteinander zu tun hat tek aka. Plan B, die Orsons). Ein paar Jahre nach den und das irgendwie anders vernetzt ist, hat sich Anfängen der Orsons verändert sich der Rapstil dieser Krabbenkampf irgendwann erledigt gehabt in Stuttgart erneut in eine etwas andere Richtung. (...) und dann waren die (Fanta4) an uns (Kolchose) Rund um den damaligen Senkrechtstarter Cro, doch irgendwie näher, weil sie verstanden haben man könnte sie die dritte Generation nennen. Folgenwas wir da machen.“ 5 Dadurch war das Image von des Zitat beschreibt die neue Art des Stuttgarter Stuttgart damals natürlich auch ein anderes und Raps äußerst treffend: „Heute ist natürlich insgedas Selbstbewusstsein als Stuttgarterin groß: samt die Entwicklung woanders hingegangen und „Da war es natürlich super cool Stuttgarterin zu sein, dementsprechend ist Stuttgarter Rap heute sowas ist klar, weil hier so viele Bands und so viele Acts wie Cro oder Shindy, okay die machen beide sehr her kamen und Breakdancer und Grafittisprüher und unterschiedliche Musik, trotzdem geht es den beialles war hier irgendwie“6 (DJ Änna). Dass dieser den halt darum, sich selber zu feiern und ne gute Charakterzug der Stadt, vergleichbar mit dem eines Zeit zu haben“. 2 Allerdings ist die Entwicklung der Pionieres, die Generationen und damit auch die Musik aus Stuttgart mit zunehmender Zeit natürIdentität der Stadt nachhaltig beeinflusst hat ist klar. lich nicht mehr auf einzelne Beispiele und Stile zu In dem Beitrag der Stuttarter Nachrichten wird reduzieren. Mittlerweile ist das Feld der Musik, dies mit den folgenden Sätzen nochmals sehr trefdie sich im Allgemeinen noch mit dem Überbegriff fend beschrieben: „Der Song „Mutterstadt“ ist Hip – Hop oder Rap zusammenfassen lässt, unglaubdafür das beste Beispiel, es ist eine Stuttgart – Hym- lich stark in alle möglichen Richtungen zerstreut. ne, die können die Hälfte der Menschen die da drin „Es gibt die einen, die machen nur Boom – Bap, oder sind (im Stadtpalais) auswendig und das sagt doch dann gibt es die anderen Leute, die ausschließlich alles, das ist eigentlich die, in einen Track gegosauf Trap – Beats rappen und dann wieder andere, die sene Identität einer Stadt, einer ganzen Generation.“7 versuchen melidiös zu sein und Hits zu bauen, Sowie das 0711 – Büro das Zentrum und Hip – Hop aber trotzdem würde ich sagen, dass die Überschrift – Schmiede der ersten Generation, so könnte man in Stuttgart schon immer Musikalität war!“ 3 die Gründung des Stuttgarter Musiklabels „Chim(Bobby Sayyar). perator“, im Jahr 1999, als den Anfang einer zweiten,    Wichtig ist auch zu erwähnen, dass Hip – Hop stilistisch etwas moderneren Hip – Hop/Rap – eine Kultur ist und neben der Musik vorallem in Generation festmachen. Während die Leute der ers- der Vergangenheit Stuttgarts immer auch Break – ten Stunde ganz klar dem Oldschool Hip – Hop Dance und Grafitti war. Die beiden letzteren Zweizuzuordnen sind, hat Chimperator Leute wie die be- ge sind in der Gegenwart nicht mehr so stark vertrereits genannte Band die Orsons unter Vertrag. ten, wie sie es früher waren, da sie deutlich mehr Dabei lässt sich ihre Musik nicht so leicht einordnen. kulturellen Freiraum benötigen als Musik das tut und Man könnte ihren Stil als eine Art ironische Gedieser Freiraum in den letzten Jahren in Stuttgart genbewegung zum, zu dieser Zeit gerade in Berlin immer öfter dem sehr kapitalistischen Streben dieaufkommenden, Genre des Gangsterraps beser Stadt zum Opfer gefallen ist! Ein Beispiel für zeichnen. Die Orsons machen Anti – Aggressions diese, sehr zu bedauernde Entwicklung ist die AbRap mit, im Vergleich zum Gangsterrap, äußerst schaffung des „Hip – Hop Open Festivals“, das auf intelligenten, gesellschaftskritischen Texten. Man dem Wasen Gelände statt fand. „Die Hip – Hop – Kulkönnte sie dem Genre des Conscious – oder Stutur ist zwar an vielen Stellen sichtbar, dennoch denten – Rap zuordnen. Wobei erwähnt sein soll, dass fehlt es an Räumen. Stuttgart lässt wegen seiner Kesdie erste Generation rund um Max Heere ebenfalls sellage und Wirtschaftskraft kaum Leerstand, der zum Conscious – Rap zu zählen ist, die Art der Musik jedoch für die Entwicklung von Subkultur wichtig ist, aber natürlich Oldschool war. zu. (...) Siehe Wagenhallen, die umgebaut werden,    Das war damals „ein starkes Gegengewicht zu Stuttgart 21 ist am kommen, alles um den Bahnhof Rapmusik, die plötzlich sehr böse und ernst war. herum wird abgerissen oder erneuert und da ist Und für mich steht Chimperator dafür, dass man ge- natürlich der Kommerz stärker als die Kunst in Stuttsehen hat: Oh es geht auch anders! Ohne, dass gart leider!“4 (Alexander Scheffel, Massive Töne). 1 2

Hip – Hop Mutterstadt Stuttgart (Früher & Heute), Stuttgarter Nachrichten, 2018. Vgl. Soundcity Stuttgart, SWR, 1997.

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Hip – Hop Mutterstadt Stuttgart (Früher), Stuttgarter Nachrichten, 2018. Vgl. ebda.

„(...) gerade haben wir den Song „Taxi“ von dem sehr jungen Rapper und Sänger und Produzenten Majan gehört, Majan ist ein zwanzigjähriger Dude aus Stuttgart oder aus der Nähe von Stuttgart; aus der Nähe von Stuttgart, das ist eh so ne Ortsangabe, da kommen einfach sehr, sehr viele sehr, sehr krasse Musiker in den letzten Jahren oder eigentlich nicht in den letzten Jahren, sondern in den kompletten letzten Jahrzehnten her; (...) Stuttgart und Umgebung, da kommen einfach krasse Leute aus dem Deutschrap – Bereich und zwar in jeder Epoche des Deutschraps.“ Auszüge aus der Fatoni Radio Show vom 10. April 2020. Anton Schneider aka. Fatoni ist ein in Berlin lebender Rapper und Schauspieler. In seiner monatlichen Radio Show spielt er seine musikalischen Neuentdeckungen in Hip – Hop und Rap aus der ganzen Welt. Anton Schneider ist eine bekannte Größe in der sogenannten Feuilleton – Deutschrapszene und unter anderem sehr gut mit der großen Stuttgarter Musikszene befreundet. Neben Legenden, wie der ersten deutschen Rap – Boygroup „die Orsons“, arbeitet er vorallem mit dem Stuttgarter Produzentengenie Dexter zusammen.


Stuttgart – Deutschraps Mutterstadt

„Direkt aus Stuttgart, der Stadt aus der die Brut kam, gehört die Zukunft, weil wir Hip – Hop im Blut ham ! (...)“ „Pulsschlag“ – Freundeskreis 1999

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Neben der Wirtschaft, spielen natürlich auch noch andere Aspekte eine wichtige Rolle für die Identität dieser Stadt. Thomas D (die Fantastischen 4) spricht über diese Aspekte und antwortet auf die Frage, wieso einige Mitglieder der Band nicht mehr in Stuttgart leben: „Die Größe der Stadt, die schwäbische Zurückhaltung, die hiesigen Fans, Stuttgart hat bestimmte Eigenheiten und begrenzte Möglichkeiten im Vergleich zu anderen Städten, das prägt die Generationen“ 1. Außerdem erzählt er, dass er findet, die besten Konzerte haben sie in Stuttgart gefeiert, als sie nicht mehr dort gelebt haben. Er sieht den Grund dafür in einer urschwäbischen Grundhaltung. Als sie noch dort gelebt haben war die Einstellung der Fans: „Nicht kritisiert, ist genug gelobt“. Seit sie also für Konzerte nach Stuttgart zurückkehren sind die Fans ausgelassener, nach dem Motto: „Hey wie cool, das sind unsere Stuttgarter Jungs!“. Auch andere Musiker äußern sich im Beitrag zu den Charakterzügen und Besonderheiten dieser Stadt: „Na ich glaube die Tatsache, dass Stuttgart ein Kessel ist und irgendwie alles da rein purzelt, hat natürlich eine wichtige Rolle gespielt. Ich mein, dass du irgendwie kurze Wege hast und auch die Leute, die von außerhalb sind (die Feuerbacher, Weilimdorfer, etc.), dass sich eben trotzdem alle dann getroffen haben im Jugendhaus Mitte, das war natürlich schon wichtig, dass das Wege waren, die man gegangen ist“ 2 (Max Herre). „Stuttgart ist überschaubar groß, man hat nicht so dieses Berlin Ding, dass man sich irgendwie verliert in der Stadt und dann 2 Jahre lang nur auf Partys geht und dann vergisst Musik zu machen oder so, was auch gerne mal passiert. So Leute: Stuttgart war cool, aber jetzt geh ich nach Berlin und dann merken die so: Okay warte mal, hä, hü, und dann sind 2 Jahre rum, nichts haben die mehr gemacht an Musik. Und hier kann man das halt toll einfach in einem schönen Rahmen wo man beides machen kann, ein bisschen Party und dann macht man eh Musik zwangsläufig – Ja, Stuttgart, Stuttgart, hip hip hurra!“ 3 (Bartek aka. Plan B, die Orsons). „Hip – Hop ist immer noch wichtig für die Stadt, weil es einfach doch auch immer noch eine Attitude ist, die nicht Weindorf ist und die auch nicht Lederhose auf dem Wasen ist, sondern die genau das das Gegenüber dazu ist. Die Sachen anspricht durch Kunst, die durch eine andere Ansicht auch Sachen in Frage stellt“4 (Name ungenannt). 1 2 3 4

Gespräche & Erfahrungen

Hip – Hop Mutterstadt Stuttgart (Früher & Heute), Stuttgarter Nachrichten, 2018. Vgl. ebda. Vgl. ebda. Vgl. ebda.


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Infotafel aus dem Haus der Geschichte Baden – Württemberg, die beweist wie hoch der Stellenwert von Hip – Hop in dieser Stadt ist.

Die Stuttgarter Innenstadt hat viele Gesichter. Auf diesem Bild, das ich an einem verregneten Herbsttag gemacht habe, kommt mir das Stadtbild sehr kühl und authentisch großstädtisch vor.


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Grafitti prägt das Stuttgarter Stadtbild. Überall hat diese Sparte des Hip – Hops ihre Spuren hinterlassen und manifestiert somit das enge Band zwischen der Stadt und seiner Kultur.


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Interview mit Cosima

Bevor ich hier her gekommen bin wusste ich eigentlich gar nicht viel über Stuttgart außer, dass hier Porsche, Mercedes, Bosch und die ganzen großen Unternehmen „geboren“ sind. Da ist für mich das Problem, man nimmt gar nicht wahr was außerhalb der starken Wirtschaft sonst so abgeht in Stuttgart. Und da ich erst seit ziemlich genau einem Jahr in Stuttgart lebe, suche ich nach Leuten wie dir Cosima, die hier aufgewachsen sind und schon deutlich mehr Erfahrungen mit dieser Stadt gesammelt haben als ich. Also bei mir ist es halt genau anders herum, ich bin ja schon relativ lang nicht mehr in Stuttgart, also ich bin im Prinzip direkt nach dem Abitur weggezogen, also mit 19 und jetzt bin ich 45. Wir sind schon mehrmals im Jahr in Stuttgart, auch mal für ne Woche oder so bei meinen Eltern zu Besuch. Aber so wie es war als ich dort bis zu meinem neunzehnten Lebensjahr gelebt hab, so ist es jetzt natürlich nicht mehr, ich bin dann schon auch irgendwie zu Gast in Stuttgart. Könntest du jetzt so spontan aus der Hüfte heraus sagen was für dich schwäbisch ist oder was eben nicht schwäbisch und einfach nur ein Vorurteil ist? Also ich finde das durchaus manche Vorurteile zutreffend sind, wie in München übrigens auch finde ich! Also Vorurteile tut man ja immer so ab, aber die haben ja doch oft so einen wahren Kern. Und das ist in Stuttgart auch so, es stimmt schon, dass die Stuttgarter sich schwer tun das was sie an Ressourcen haben, nämlich an sich eine tolle Stadt und eine tolle Lage und Geld wär ja auch da, für sich positiv zu nutzen. Das fällt auf. Und das sagen auch meine Eltern, die sind beide um die 80 Jahre alt, die sagen des auch immer und immer noch und immer wieder, obwohl sie gerne in Stuttgart leben. Also, dass die Leute sich sehr, und das entspricht dem Vorurteil, auf die Arbeit konzentrieren. Dieser blöde Spruch: „Schaffe, Schaffe, Häusle baue!“, ich finde der trifft voll zu! Arbeiten und sein Auskommen haben und schon ein gutes Leben führen, aber irgendwie nicht mit der Freude daran was man eigentlich aus dem Potenzial machen könnte. Darüber wundere ich mich echt immer wieder, weil ja in Stuttgart auch echt viel Geld ist und viel Angebot ist und da aber echt zu wenig daraus gemacht wird. Ich find auch im Vergleich zu München, wo ich seit ich 19 bin lebe, sehr verhalten sind die Stuttgarter. Also das finde ist auch so was, was total zutrifft, eine viel verhaltenere Mentalität. Wenn man sich gut gehen lässt, dann auch gerne mit angezogener Handbremse. Also wie des heute für Leute in deinem Alter ist kann ich nicht beurteilen. Aber aus meiner Warte ist das schon so und ich wollte auch damals nach dem Abitur eigentlich einfach weg aus Stuttgart, das war mir nicht großstädtisch genug, obwohl eigentlich alles gibt, also mehr braucht kein Mensch aber atmosphärisch hat mir in Stuttgart etwas gefehlt. Das ist ein sehr interessanter Aspekt, dass du von Stuttgart nach München gezogen bist und jetzt ja auch schon lange dort lebst. Ich habe schon das Gefühl es gibt so ein bisschen eine Art Rivalität zwischen Stuttgart und München. Ich find spannend, dass du gesagt hast Stuttgart war dir nicht großstädtisch genug. Also nicht nur weil Stuttgart kleiner ist als München, sondern weil es einfach was Kleinbürgerliches hat und das hat München überhaupt nicht. Und meinst du das dann eher so im Bezug auf das Zwischenmenschliche? Ich finde das schlägt sich eher so in der Atmosphäre der Stadtviertel nieder. Also es gibt nette Viertel und da mag sich schon vielleicht auch einiges geändert haben. Der Westen Stuttgarts zum Beispiel der ist ja schon eigentlich ziemlich nett, aber irgendwie könnte man aus allem vielmehr machen, wie oft denk ich mir: „Leute macht doch mal was draus!“. Also ich komm aus Degerloch, das ist an sich auch total schön, es ist ja auch eher am Rand aber du bist mit der U-Bahn in 10 Minuten unten. Und jedes Mal wenn ich durch Degerloch laufe denke ich mir „Meine Güte macht doch mal was los hier, macht doch mal ein nettes Café auf oder so.“ Gespräche & Erfahrungen

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Das ist Cosima mit ihrer Tochter Auguste. Cosima war eine meiner ersten Ansprechpartnerinnen ganz zu Beginn des Projekts. Sie ist die beste Freudin meines Onkels. Seit ihrem 19. Lebensjahr lebt sie in München. Geboren und aufgewachsen ist sie aber in Stuttgart – Degerloch. An Cosimas Perspektive finde ich vorallem interessant, dass sie sowohl Stuttgart als auch München sehr gut kennt und diese beiden Nachbarbarstädte, die, wie sich im Interview herausstellte, doch sehr unterschiedlich zu sein scheinen, miteinander vergleichen kann.


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Und ich weiß nicht woran es liegt, ich kann es dir echt nicht sagen. Und das ist eben in München anders finde ich. Weil die Menschen in Stuttgart sehr so auf Erfolg aus sind, also das ist schon sehr groß geschrieben, Leistung und Erfolg, gut das ist allgemein so in unsrer Gesellschaft, das ist jetzt nicht unbedingt Stuttgart spezifisch, aber so seine Schäfchen im Trockenen zu haben und sein gut situiertes Leben zu führen, dass das so oben steht und da manches irgendwie hinten runter fällt, wenngleich ich jetzt nicht sagen würde, dass die Leute irgendwie im Umgang miteinander anders sind als die Leute in München. Ja das die Arbeit hier eine sehr große Rolle spielt das ist mir jetzt auch schon öfter begegnet. Viele sehen den Ursprung der „schwäbischen Tugenden“ ja in der sehr durch den Pietismus geprägten Vergangenheit Baden – Württembergs. Ja das ist auf jeden Fall auch ein Punkt, Stuttgart ist ja im Gegensatz zu München vornehmlich Protestantisch. Ohne jetzt darüber diskutieren zu wollen wo jetzt die Vor- und Nachteile liegen, aber die Protestanten sind schon auch so ein bisschen vertrocknete Büßer. Also das ist mir hier in München halt aufgefallen, weil ich hab in Stuttgart nur evangelische Freunde gehabt, natürlich hat des Evangelische häufig einen liberaleren Gedanken in vielerlei Hinsicht, was ich grundsätzlich deutlich sympathischer finde als jetzt bei den Katholiken, aber dieses vertrocknete Büßertum des schlägt sich in Stuttgart schon nieder. Auch wenn jetzt Religion bei weitem nicht mehr die Rolle spielt die sie früher gespielt hat, aber das prägt ja doch auch die Gesellschaft in ihren Grundstrukturen. Das ist auf jeden Fall deutlich spürbar. Was ich festgestellt hab, dass die Musikszene in Stuttgart deutlich größer oder vielfältiger ist als jetzt in München. Also sowohl was das Konzert und Veranstaltungsangebot angeht, als auch die Dichte der Menschen, die selbst Musik machen. Hast du ne Idee wieso die Musik in Stuttgart so ne große Rolle spielt? Naja, die Musikszene in Stuttgart ist ja mit den Fantastischen 4 und diese ganzen Sachen (Mutterstadt des Deutschraps) schon lange relativ umtriebig und groß. Also ich mein Vieles schlummert dort so ein bisschen im Verborgenen. Es wissen auch ganz viele Leute nicht wie bedeutend das Stuttgarter Ballett ist. Das Stuttgarter Ballett ist an sich mehrfach ausgezeichnet worden und hat immer internationale Spitzentänzer im Ensemble gehabt. Trotzdem hab ich das Gefühl, es ist nicht so, dass in ganz Deutschland klar ist: das Stuttgarter Ballett kennt man. Das schaffen Sie dann immer irgendwie nicht. Und die Musikszene ist, ja also es ist mir bekannt, das war im Prinzip zu meiner Zeit schon so, also als ich jung war und in der Stadt aus war, dass die Musikszene relativ groß und aktiv und so ein bisschen das Herz der jungen Stadt war.

„dieses vertrocknete Büßertum das schlägt sich in Stuttgart schon nieder (...) Wenn man sichs gut gehen lässt, dann auch gerne mit angezogener Handbremse“ Ich denk das ist auch was, was sich weiterträgt und was seit Jahrzehnten so ist und was dann ja auch, wenns gut ist, oder wenns angenommen wird weiter fortgeführt wird. Da glaub ich nicht, dass das so ne neuere Bewegung oder Entwicklung ist, sondern, dass das eigentlich seit Jahrzehnten so ist. Überhaupt, ich meine Stuttgart ist grün regiert und ich glaube, dass die Stuttgarter damit eigentlich ganz zufrieden sind. Und ja auch kulturell insgesamt Stuttgart eigentlich schon sehr viel zu bieten hat. Und wirklich auch anspruchsvolle Dinge zu bieten hat in dieser Hinsicht. Das ist wirklich ein herausragendes Merkmal von Stuttgart und trotzdem schwappt das nicht so wirklich auf die Bevölkerung über, das sind dann so Solitäre, die sich dann aber nicht auf die Stadtatmosphäre auswirken oder auf das Image, von außen betrachtet, einen Einfluss

Stuttgart im Vergleich


Interview mit Cosima

haben. Soweit ich das beurteilen kann. Also das ist wirklich aus einer etwas entfernten Perspektive was ich jetzt sagen kann. Das hat sich auch verändert. Manches krieg ich vielleicht auch gar nicht so mit. Kannst du dir vorstellen, dass vorallem in der nationalen oder internationalen Wahrnehmung von Stuttgart die großen Unternehmen, Konzerne und Banken (die Wirtschaft im Allgemeinen) das Kulturelle der Stadt überstrahlen und verdecken? Ja, das glaub ich schon. Das glaub ich auf jeden Fall. Die haben natürlich auch Vieles in der Hand in Stuttgart. Aber ich glaub auch nicht, dass das der einzige Grund für das „schlechte“ Image Stuttgarts ist. Ein Stück weit liegt das auch einfach an der Bevölkerung selber oder am Schwäbischen oder am Protestantischen, also da sind viele Einflüsse die da zusammen kommen und die so eine Stadt prägen und damit auch ihre Bewohner. Trotz allem ist es natürlich einem Wandel unterworfen. Ich weiß nicht wie ich es finden würde, wenn ich jetzt wieder in Stuttgart leben würde. Stuttgart ist sicher eine lebenswerte Stadt. Kannst du dir vorstellen, eines Tages wieder in Stuttgart zu leben? Ne, eigentlich nicht. Ich bin natürlich mittlerweile in München auch einfach wahnsinnig verwurzelt. Also ich würds nicht mehr so kategorisch ausschließen, wie ich es nach dem Abitur ausgeschlossen hab. Aber es müsste schon Gründe geben. Ich würde jetzt nicht einfach so zurück nach Stuttgart gehen. Aber das hat weniger mit einer Abneigung gegenüber Stuttgart, sondern mehr mit einem Wohlfühlen in München zu tun. Wenn mein Mann dort einen unglaublich tollen Job hätte würden wir sicher ins Kalkül ziehen zurück nach Stuttgart zu gehen. Meine letzte Frage an dich: Hast du in Stuttgart einen Lieblingsplatz oder Lieblingsort? Ja, das hab ich definitiv, aber das ist bisschen was Spezielles. <herzhaftes Lachen> Mein absoluter Lieblingsort in Stuttgart ist eigentlich das Mineralbad Leuze. Ich finde das ist ganz großartig. Früher gab es noch das Mineralbad Berg, das ist seit vielen Jahren geschlossen, das war noch uriger. Das war so ein ganz altes Bad, das war noch so mit Holzumkleiden und so was. Mit sehr vielen Thermal- und Mineralquellen gespeist. Das ist seit Jahren im Umbau, irgendwann, hoff ich, machts wieder auf. Und weil das schon so lange geschlossen hat, hab ich dann rübergewechselt zum Leuze. Und das ist für mich so ein echter Stuttgarter Ort. Also da sind viele alte Stuttgarter auch, viele so alte Omas mit so einem durchgewetzen Badeanzug, der irgendwie drei Zentimeter zu tief hängt, mit Bademütze oben drauf. Also den sieht man an die sind dort mindestens dreimal die Woche, wenn nicht sogar jeden Tag. Sowas find ich total schön und das ist für mich so eine Stuttgarter Institution. Es ist was besonders, solche Mineralquellen zu haben und da tummeln sich auch viele wirklich alteingesessene Stuttgarter. Und die Atmosphäre dort find ich einfach total schön, vorallem im Sommer haben die tolle Wiesen draußen und wenn ich nach Stuttgart komme, dann gehe ich immer mindestens zweimal ins Mineralbad Leuze. Was für mich noch ein Ort der Kindheit ist, den ich auch einfach total gern hab, das ist der Breuninger. <herzhaftes Lachen> Der Breuninger verkörpert für mich einfach irgendwie (...) da könnt ich dir tagelange Interviews dazu geben, da war ich mit meinen Eltern früher immer. Zum Einkaufen, zum Essen, da bin ich in die Kinderbetreuung abgegeben worden als Kind. Das war ein ganz einfaches Kaufhaus mit Linoleumboden und schiefen Gängen, das kann man sich heute nicht mehr vorstellen. Heute ist es schick und mir gefällt er immer noch, ich geh auch noch gerne hin. Also des ist für mich auch so ein Lieblingsort. Aber des speißt sich halt auch aus jahrzehntelangen Erfahrungen. Ein Platz den ich zum Beispiel auch wahnsinnig schön finde, ist das alte Schloss oder die Markthalle. Alles mit Kopfsteinpflaster. Gespräche & Erfahrungen

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Stuttgarts Wahrzeichen der Hochkultur: Die Staatsoper im Schlossgarten


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Einer von Cosimas Lieblingsorten in Stuttgart, Das Mineralbad Leuze. Nach dem Gespräch mit Cosima, habe ich das Leuze aufgrund ihrer Empfehlung an einem verregneten Sonntagnachmittag besucht. Cosima hat recht, es ist wirklich sehr charmant und gemßtlich dort!

Stuttgart im Vergleich


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Einer meiner persรถnlichen Lieblingsorte: Die Aussichtsplattform am Bismarckturm im Stuttgarter Norden.


Interview mit Simon Gonser

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Dr. Simon Gonser hat an der Albert – Ludwigs – Universität Freiburg, unter anderem Geschichte studiert und im Jahr 2005 im Fachbereich der Kulturwissenschaften die Hausarbeit zum Thema: schwäbische Tugenden im Zusammenhang mit dem württembergischen Pietismus verfasst. Da seine Arbeit sehr interessant ist und uns letztendlich über die historischen Hintergründe der Entstehung der sagenumwogenen, schwäbischen Tugenden aufklärt, war es mir ein großes Anliegen, nicht nur seine Arbeit in diesem Buch zu publizieren, sondern auch ein persönliches Gespräch mit ihm zu führen. Es war ein sehr unterhaltsames und aufschlussreiches Gespräch, wir redeten unter anderem über Glaube, Erbteilung, Generationenunterschiede, die prunksüchtigen Herrscher Württembergs und und und. Viel Spaß beim Lesen!

Guten Tag Herr Gonser, erstmal Vielen Dank, dass sie sich die Zeit nehmen. Vielleicht erklär ich ihnen zu Anfang nochmal kurz was ich eigentlich genau mache. Ich studiere Kommunikationsdesign an der ABK Stuttgart und dieses Jahr heißt unser Projekt: ein Problem in Stuttgart, und ich habe als Thema das Image von Stuttgart gewählt. Wobei ich das Image von Stuttgart nicht direkt als Problem sehe, sondern eher die Tatsache, dass Stuttgart eigentlich viel mehr zu bieten hat, als das vorallem nach außen hin Bekannte. Im Zuge der Recherche, habe ich mich eben auch viel mit den Schwaben und der Geschichte von Baden – Württemberg beschäftigt. Ich bin dann ziemlich schnell auf ihre Hausarbeit gestoßen und habe mich sehr gefreut, weil ich das Thema: die schwäbischen Tugenden im Zusammenhang mit dem Pietismus sehr spannend finde. Sie sind kein Schwabe oder? (wenn ich mal kurz unterbrechen darf...) Nein ich bin kein Schwabe. Ich komme aus Erding, das ist in der Nähe von München. Genau deswegen ist es auch sehr interessant für mich über die Schwaben zu forschen. Allerdings fühle ich mich deswegen auch manchmal garnicht so wirklich in der Position ein ganzes Buch darüber zu machen. Ja das verstehe ich, aber ich würde das eher als Vorteil sehen, so ein unbefangener Blick von außen. Das ist vielleicht gar nicht so schlecht, wenn man da unvoreingenommen reingeht. Also ich würde es positiv sehen. Ja es ist ja auch wirklich einfach sehr interessant und man lernt viel dazu. (...) Also nun wieder zurück zu ihrer Hausarbeit. Sie trägt den offiziellen Titel: „Die Entstehung der schwäbischen Tugenden im Zusammenhang mit dem Einfluss des Pietismus in Württemberg (16. bis 18. Jahrhundert)“ und wurde von Ihnen Gespräche & Erfahrungen


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im Zuge eines Historischen Seminar verfasst. Das war 2005, also vor 15 Jahren. Wie sind Sie damals zu dem Thema gekommen oder wie hat sich das Thema für Sie ergeben? Also ich habe damals in Freiburg Geschichte studiert und dieses Referat war Teil eines Hauptseminars mit dem Titel: „Technik- und Kulturgeschichte des Abfalls“, was etwas ungewöhnlich ist, wenn man sich sonst eigentlich mit politischer Geschichte beschäftigt. Jedenfalls habe ich dann das Referat über die Geschichte der schwäbischen Kehrwoche gehalten, also Abfall auch in diesem Sinne. Und Teil dieses Referats war dann eben nicht nur die reine Geschichte der Kehrwoche, sondern auch so ein bisschen übergeordnet schwäbische Tugenden und was da alles mit dran hängt. Also Kehrwoche auch so als soziales Konstrukt betrachtet, auch im Sinne von die Mitbewohner überwachen und sich gegenseitig kontrollieren. Und ich hab daraus dann eben das Hausarbeitsthema entwickelt, ob schwäbische Tugenden auf den Einfluss des Pietismus in Württemberg zurückzuführen sind, oder nicht. So hat sich das alles ergeben. Ich hab meine Arbeit auch jetzt nochmal durchgelesen und jetzt heute würde ich sagen, mit 15 Jahren Abstand, das Thema ist super spannend, es ist nur eigentlich viel zu komplex und umfangreich um das auf 20 Hausarbeitsseiten abhandeln zu können. Also man könnte da noch viel mehr daraus machen. Man könnte darüber locker eine Doktorarbeit in Soziologie oder Geschichte schreiben! Aber ja das war so wie ich zu dem Thema gekommen bin. Und ich hab mich davor auch, das kann ich gleich dazu sagen, eigentlich noch nie mit den schwäbischen Tugenden oder dem Pietismus beschäftigt, obwohl ich sogar familär vorbelastet bin. Ich komme aus einer, naja, pietistischen Familie, kann man schon sagen, aus der schwäbischen Alb. Zumindest meine Großeltern, das waren noch so richtig streng gläubige Pietisten, von altem Schrot und Korn. Ich hab da, so als kleines Kind, einiges mitgekriegt. Und so gesehen war das vielleicht auch eine Art und Weise das Thema für mich zu auf- und verarbeiten. Das heißt, sie haben schon sehr früh Erfahrungen mit dem Pietismus gemacht? Also ja auch jeden Fall einfach viel mitgekriegt. Als Kind ist das ja alles normal was die Großeltern und Eltern so machen. Für uns Kinder war das das Normalste von der Welt, dass die sich alle so verhalten. Und erst später kapiert man dann, naja, das ist nur ein Teil der Welt. Und könnten Sie da ein Beispiel geben, was ihnen bei ihren Großeltern im Nachhinein als sehr pietistisch aufgefalllen ist? Ja gut, die waren sehr, sehr religiös, sehr gläubig. Dieser Pietismus zeichnet sich ja dadurch aus, dass die sich nach dem Gottesdienst praktisch nochmal treffen am Sonntag Nachmittag und dann nochmal so eine Art Gottesdienst abhalten, der ein paar Stunden dauert. Und so was man als kleines Kind mitgemacht hat, das vergisst man nicht so schnell. Aber solche Sachen, wie das, dass die sparsam waren, das war ja die ganze Generation damals. Das war nichts Besonderes, dass die auf Pünktlichkeit wert gelegt haben und auch auf Ordnung, auch auf Arbeiten, sich nicht gehen lassen, nicht faulenzen, solche Sachen. Und das sind dann Sachen, die lassen sich nicht nur auf den Pietismus zurück führen, sondern waren damals in gewisser Weise normal bei allen Leuten aus der Generation. Also würden Sie schon auch sagen, dass vorallem diese Sparsamkeit ein Ding, eine Notwendigkeit der Zeit damals war und das nicht nur in Baden – Württemberg besonders ausgeprägt war. Nein gar nicht, diese Sparsamkeit ist ja keine Tugend an sich, das gibt es ja, die Umstände drum herum, wenn es einem wirtschaftlich nicht gut geht, wenn man kein Geld hat dann muss man halt sparsam sein und früher war das halt Gang und Gäbe, dass der Großteil der Bevölkerung eben nicht besonders viel zum Leben hatte und dementsprechend sparsam sein musste. Und halt nicht nur in Schwaben, sondern in ganz Deutschland. (...) Ich kann dazu sagen, meine Frau kommt aus Mittelfranken und wenn ich diese Mittelfranken so ansehe, die unterscheiden sich nicht von meinen Eltern, ehrlich, die sind genauso fleißig, kucken auf Sauberkeit, sind sparsam. Das ist glaub ich mehr eine Generationenfrage, als eine Stammes- oder Herkunftsfrage. Zum Thema Generation. Haben Sie dann das Gefühl, dass in meiner Generation, ich bin jetzt 21 Jahre alt, Tugenden wie Sparsamkeit und Ordnung einen deutlich geringeren Wert haben, ja sogar als uncool betrachtet werden? Stuttgarts Vergangenheit & Gegenwart


Interview mit Simon Gonser

Ich denke, dass diese Tugenden in den Grundzügen sicher noch vorhanden sind, aber das macht ja jeder individuell, aber das ist jetzt natürlich schon weniger, das verwässert sich. Ein ganz guter Vergleich ist da vielleicht der schwäbische Dialekt. Oder überhaupt Dialekte. Das wird ja auch immer weniger. Sparsamkeit, dafür ist ja die wirtschaftliche Notwendigkeit gar nicht mehr da mit dem heutigen Überfluss. Da ist gar kein Anlass mehr da, sich sparsam zu verhalten. Deswegen, die jüngere Generationen verstehen das ja auch garnicht, warum soll ich hier auf jeden Cent achten und, naja, bis hin zum Geiz sparsam sein, das ist ja gar nicht notwendig. Wobei ich schon manchmal das Gefühl hab, also bei meinen schwäbischen Freunden, dass da die Sparsamkeit mehr so als running gag oder aus so einer ironischen Haltung heraus hochgehalten wird. Also, dass man zum Beispiel sagt, man bestellt jetzt nur ein kleines Bier, weil das befiehlt der innere Schwabe in einem und macht dann einen Witz daraus. Und dann bin ich mir aber immer unsicher, ist das jetzt wirklich einfach nur ein Witz und es geht nicht ums Sparen oder ist man irgendwie eigentlich doch stolz darauf, dass man da jetzt Geld gespart hat mit einem kleinen Bier? Das ist eine gute Frage. Vielleicht haben die das teilweise noch mitgekriegt von zu Hause aus, aber so ein Tugend wandelt sich ja dann irgendwann mal ins Klischee und dann kann man damit kokettieren und Späße treiben ohne, dass es wirklich noch eine Notwendigkeit hat. So muss man das vielleicht sehen. Das ist mir auch aufgefallen, die letzten Tage hab ich darüber nachgedacht, diese schwäbischen Eigenschaften, zumindest die positiven, die sind ganz gut geeignet um sie medial zu verbreiten und auszuschlachten. Dafür eignen die sich nach wie vor und deswegen leben die auch weiter. Die Bundeskanzelerin, die Frau Merkel hat ja ja mal vor ein paar Jahren, bei irgendeinem Paarteitag in Stuttgart, dieses Bild von der schwäbischen Hausfrau in die Medien gebracht. So als Bild und Symbol für ihre sparsame Haushaltspolitik. Und das hat super gezündet, das ist durch die ganze Presse gegangen und ist ein bisschen so zum Selbstläufer geworden, der Ausdruck „die schwäbische Hausfrau“, wenn es um Haushaltspolitik geht. Also so kann man die schwäbischen Eigenschaften auch heute noch, ohne jede Notwendigkeit, weiter verfolgen (promoten). Oder auch die Kehrwoche, die gibt es eigentlich überall in Deutschland, also im Prinzip hat jede WG sowas wie einen Putzplan. Nur die Schwaben haben so eine Art Marke darauf gemacht, das ist ein Begriff. Obwohl es sie überall gibt, aber in anderen Gegenden in Deutschland redet man halt nicht darüber, da ist es halt ein gemeinsamer Putzplan und fertig. So kann man das vielleicht sehen. Oder drittes Beispiel noch, schwäbische Unternehmen, die werben sehr gern mit ihrer Gründlichkeit und Perfektion und sowas, das machen andere Unternehmen natürlich auch, nur die Schwaben kommen dann halt mit ihren Tüftlern und Daimler und Bosch und wie sie alle heißen und machen daraus wie so eine Art Image, das sie konstruieren und für sich nutzen. Ja das stimmt wirklich. Auch wenn ich an meine Großeltern denke. Es gibt diese Tugenden überall. Aber mit der Zusatzinformation, dass etwas schwäbisch ist, verkaufen sich Dinge noch besser. Da werden die schwäbischen Tugenden sozusagen schon als allgemeine Corporate Identity für schwäbische Unternehmen genutzt. Ja genau, in diese Richtung geht das. Aber wohl gemerkt immer nur die positiven Eigenschaften, also Sparsamkeit, Sauberkeit, Ordnungsliebe, Fleiß, Erfindergeist oder sowas. Wenn es um negative Sachen geht, so vielleicht Pingelichkeit, oder wenn die Sparsamkeit zum Geiz wird, das wird dann gerne eher unter den Teppich gekehrt. Das will ja keiner in den Medien über sich lesen, dass die Schwaben verschlossen sind oder unkommunikativ, solche Sachen. Also ich kenne da auch noch einige aus der Generation meiner Eltern und Großeltern, das waren unglaublich wortkarge Menschen, die haben wahrscheinlich am Tag keine 100 Wörter gesprochen, aber das will ja heute keiner mehr sagen in unserer übertrieben kommunikativen Welt. Sind auch irgendwie, naja Tugenden vielleicht nicht, aber durchaus auch schwäbische Eigenschaften. Finden Sie es gibt so ein paar Klischees über Schwaben, die überhaupt nicht zutreffen oder sagen Sie an allem ist so ein bisschen was dran? Ja da ist schon was dran. Diese Klischees kommen ja nicht aus heiterem Himmel, sondern haben schon alle einen gewissen historischen Hintergrund, deswegen stören tut mich das gar nicht. Also ich bin Schwabe und werde jetzt nicht groß darauf angesprochen und ich Gespräche & Erfahrungen

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hab auch schon relativ lange Zeit außerhalb von Württemberg gelebt, hab in Freiburg studiert und in Frankfurt gelebt, aber ich habe das nie als negativ empfunden. Da kommt auch nicht viel, dass man da als Schwabe angesprochen wird oder einem vorgehalten wird, man wäre besonders sparsam oder so. Also ich komme ja aus Bayern und wenn ich zum Beipiel in Berlin gefragt werde, wo ich herkomme und ich antworte: „aus der Nähe von München“, dann ist da ganz oft die Reaktion von wegen: „oh du tust mir Leid“. (lacht)...Da kriegt man gleich den Stempel! Ja genau, und dann merkt man, dass man sich irgendwie einerseits ärgert, dass man gleich in so eine Schublade gesteckt wird und andererseits fragt man sich ja auch, wieso ist das für viele so wichtig zu wissen wo man herkommt und die Person daraufhin dementsprechend in einem anderen Licht zu sehen. Naja klar, aber vielleicht steckt auch sowas wie Neid dahinter? Dann kann man sogar noch stolz auf seine Herkunft sein. Und beim Image der Schwaben, um wieder zum Thema zurück zu kommen, habe ich oft das Gefühl, es ist eigentlich sehr positiv und trotzdem, wenn in den Medien irgendwie von den schwäbischen Tugenden geredet wird, kommt es oft ein bisschen so rüber als würde man sich lustig machen. Nehmen Sie das auch so war? Naja vielleicht so ein kleines bisschen, aber ich sehe da eher so den positiven Aspekt wir Schwaben bleiben dadurch irgendwie present. Natürlich so ein ganz kleines bisschen vielleicht, dass das negativ belastet ist. Aber gerade diese schwäbische Hausfrau von Frau Merkel, damit wollte sie ja etwas Positives beschreiben, nämlich wie Sie ihren Haushalt zu führen gedenkt. Und was auch noch sehr gut funktioniert, das ist diese Landeskampagne Baden – Württemberg „Wir können alles außer Hochdeutsch“. Das ist ja so ähnlich, im Prinzip könnte man meinen das ist negativ gemeint: die können kein Hochdeutsch. Aber die Schwaben spielen ja damit und machen auch durchaus etwas Positives daraus. Und das funktioniert ja wirklich sehr gut muss ich sagen, diese Kampagne ist ja glaub ich mittlerweile schon 15 Jahre alt und hat sich nicht verändert. Da war auch letztens was in der Zeitung, dass diese Aufkleber immernoch gedruckt werden von der Landesregierung, da herrscht nach wie vor eine große Nachfrage. Also eben sowas, schwäbische Eigenschaften positiv vermarkten, vom Klischee profitieren. Deswegen: ich kann mit diesem Image sehr gut leben. Sehen Sie dann da auch eine Verbindung zwischen der pietistsichen Vergangenheit Württembergs und der hohen Anzahl an großen, in der ganzen Welt erfolgreichen Technikkonzernen aus der Region? Naja, das ist eine sehr populäre Sichtweise, dass da oft eine Verbindung konstruiert wird vom Pietismus zun den Tüftlern und den großen Technikunternehmen, aber ich habe mich damit ein bisschen auseinander gesetzt und es gibt eigentlich bis heute keinen wissenschaftlichen Nachweis, dass es einen Beitrag des Pietismus zur Industrialisierung gegeben hätte in Württemberg. Und dass wir heute so wohlhabend und wirtschaflich stark sind, weils den Pietismus gab, kann man so nicht sagen. Das ist halt wie gesagt eine beliebte Sichtweise, man kann fast schon sagen eine volkstümliche Sichtweise. Ich würde sogar die These formulieren, die Schwaben wären heute genauso wirtschaftlich erfolgreich, wenn es vor 100 oder 200 Jahren keinen Pietismus in Württemberg gegeben hätte. (...) Also ich komme aus Albstadt auf der schwäbischen Alb und ich bin dort mit dem ehemaligen Stadtarchivar befreundet und der hat genau das mal untersucht. Der hat anhand von solch alten Inventarlisten die Bücherbestände aus dem neunzehnten Jahrhundert von Fabrikanten und Unternehmern angeschaut. Also da gab es sehr viel Textilindustie da oben. Ich glaube jedes zweite Unternehmen war aus der Textilindustrie. Und der hat diese Bücherbestände angesehen, gerade unter dem Gesichtspunkt, waren das Pietisten oder nicht, und von den ganz großen Unternehmern, die die es wirklich zu was gebracht haben, war kein einziger Pietist dabei. Das fand ich sehr interessant. Und in dem Zusammenhang ist mir noch eingefallen, es gab unter den Pietisten auch durchaus führende Köpfe, die die Naturwissenschaften, die damals so aufgekommen sind in der frühen Neuzeit, komplett abgelehnt haben. Also die fast schon man könnte sagen technikfeindlich waren. Und dass sich daraus natürlich nichts industriemäßiges entwickeln kann liegt ja dann auf der Hand. Ja das ist ja wirklich spannend! Stuttgarts Vergangenheit & Gegenwart


Interview mit Simon Gonser

Und was dieser befreundete Stadtarchivar auch noch gemeint hat, dass es so ein paar Pietisten Hochburgen in Württemberg gibt oder sogar Orte, die von Pietisten gegründet wurden, wie zum Beispiel Kornthal, Waldorff – Hässlach oder Wilhelmsdorf in Oberschwaben, das sind aber alles kleine Neste geblieben. Die haben sich jetzt nicht dadurch ausgezeichnet, dass die wirtschaflich besonders erfolgreich geworden wären, obwohl da wirklich Pietisten geballt in der Mehrzahl waren. Die sind letzendlich bis heute kleine Dörfer geblieben. Wenn das nicht aus dem Pietismus entstanden ist, haben sie eine Idee wieso dieses Tüftlertum in Württemberg so weit verbreitet ist? Ich glaube es waren ganz einfach die wirtschaftlichen Umstände, Württemberg war ziemlich arm, das kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen. Die hatten damals praktisch keine Rohstoffe außer Holz und Wasser. Und was noch dazu kam, die hatten aus wirtschaftlicher Sicht eine ganz negative Form der Erbteilung. Also in den meisten anderen deutschen Gegenden wurde so geteilt, dass der Erstgeborene alles bekommt und in Württemberg hat jedes Kind gleich viel bekommen. Dass heißt, wenn sie so einen Bauernhof haben, der Acker wurde bei jeder Generation aufs Neue geteilt und dadurch kleiner und kleiner und kleiner. Sprich irgendwann konnte man nicht mehr davon leben und dadurch waren die Bewohner von früher gezwungen sich irgendeine Art von Nebengewerbe zu suchen. Und daraus haben sich dann ganz viele Industrien entwickelt, die es bis heute gibt. Also Textilindustrie und dann darauf aufbauend Maschinenindustrie, solche Sachen. Also ich würde das vorallem auf die wirtschaftlichen Hintergründe zurückführen. Gibt es Städte oder Dörfer in Württemberg, welchen die pietistische Vergangenheit auch heute noch anzusehen ist? Ich glaube selbst in den Orten, die ich vorhin gemeint hab, diese Pietisten – Orte, sehen sie nicht mehr viel, weil die Pietisten in Württemberg waren zum einen immer in der Minderheit, also bis auf in den drei genannten Orten, und selbst dann waren die eine Unterorganisation der evangelischen Landeskirche, also die hatten keine eigene Verwaltung oder so etwas und deswegen haben die architektonisch nichts hinterlassen, was man heute ansehen könnte. (...) Ich bin einmal durch Wilhelmsdorf in Oberschwaben gefahren und da noch am ehersten. Also das ist so ein kleines Dorf, eine Neugründung von Pietisten aus dem 19. Jahrhundert. Da fahren Sie in den Ort rein und mittendrin ist ein großer Kreisverkehr und dort in dem Kreisverkehr steht die Kirche. Und diese Kirche ist nicht so eine klassische Dorfkirche, sondern ein fast quadratischer Bau ohne Turm. Also wenn sie darauf zu fahren und sie wissen es nicht, dann haben sie keine Ahnung was das sein könnte. Das ist so ein kreuzförmiger Grundriss von diesem Dorf und in der Mitte von dem Kreuz ist der Kreisverkehr mit der ungewöhnlichen Kirche. Heißt auch nicht Kirche sondern Betsaal, lese ich gerade. Haben Sie einen Lieblingsort oder Lieblingsplatz in Stuttgart? Ich bin jetzt seit sieben Jahren hier in Waiblingen und Stuttgart. Mein Lieblingsplatz ist ein bisschen außerhalb, das ist das Schloss Solitude, oben mit dieser großen Parkanlage, dort ist eigentlich so mein Lieblingsplatz in Stuttgart, weil da irgendwie das genaue Gegenteil von dem Kessel ist, also da ist man weit oben, hat einen weiten Blick über die Landschaft. Das ist ein ruhiger Blick, nichts was das Auge stört, wenige Menschen. Und was mir jetzt noch mit dem Hintergrund Pietismus gerade eingefallen ist, dieses Schloss das ist ja ein Barockschloss, gebaut von Herzog Karl Eugen und der war so ein typischer Barock – Fürst, hatte ein sehr ausschweifendes Leben mit Mätressen und Geld verschwenden und Schlösser bauen und so weiter. Also alles was der Pietismus ablehnt und sich gegen die schwäbischen Tugenden richtet. Der Typ war total nicht sparsam also verschwenderisch, er war in gewisser Weise auch faul, er war dem Luxus zugewandt. (...) Nicht, dass das deswegen mein Lieblingsplatz wär, aber das ist mir jetzt gerade noch eingefallen. Ich meine auch mich zu erinnern, dass es da gewisse streiterische Gegensätze gab zwischen diesem Herzog Karl Eugen und den Pietisten in Württemberg, weil die natürlich gar nicht miteinander konnten.

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Der Chinagarten am Killesberg ist eine geheime Attraktion. Zwischen StraĂ&#x;e und Weinreben versteckt sich dieser kleine, romantische Garten. Neben einer weiteren malerischen Aussicht und einer ruhigen Bank zum GenieĂ&#x;en, bietet der Garten vorallem den Eindruck, fĂźr ein paar kurze Momente im Urlaub zu sein.

Stuttgarts Vergangenheit & Gegenwart


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Diese beiden Bilder entstanden auf der großen „Ein Europa für Alle“ – Demo am 19. Mai 2019 rund um den Arnulff – Klett – Platz. Ich finde die beiden Fotos zeigen wie viel Leidenschaft und auch Kreativität die Stuttgarter in ihre Demonstrationen stecken.


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„Besiegt das Vorurteil, Geiz ist nicht geil.“ Dieses Bild entstand auf der großen Studentendemo im Herbst 2019. Die Demo ging durch die ganze Stuttgarter Innenstadt. Und obwohl ich dem ganzen Unternehmen zuvor sehr kritisch gegenüber stand und mir vorstellte, dass es einfach sehr unangehm werden würde, überwog das Gefühl in der großen Masse für etwas zu demonstrieren der anfänglichen Scham sehr schnell. Wir demonstrierten gegen die Kürzung der finanziellen Unterstützung der Hochschulen in Baden – Württemberg. Ich finde die Demonstrations – Kultur in Stuttgart besonders. Nicht nur wegen den bekannten Bildern der heftigen Stuttgart 21 – Demos. Das stelle ich auch während der aktuellen Corona – Krise und den noch aktuelleren #blacklivesmatter – Protesten fest. Die Bürger Stuttgarts sind sich ihren Rechten immer bewusst und auch in einer Phase der allgemeinen Verunsicherung bereit, als eine der ersten Städte Deutschlands, für ihre Freiheit auf die Straße zu gehen. Auch wenn das öffentliche Demonstrieren noch nie so polarisiert hat und von Leuten mit unglaublich unguten Motivationen missbraucht wurde (im Bezug auf die Corona – Verschwörer).


Handschriftliche Umfrage

Die ausführlichste Antwort auf die Frage nach dem authentisch Schwäbischen, habe ich von einer liebreizenden, etwa 50 Jahre alten Dame bekommen. Ich habe das Gefühl es war ihr ein richtiges Bedürfnis, ihre ganz eigene Definition vom Schwäbischen los zu werden.    Die Umfragezettel nahm Herr Schneider, den ich im Heimatgeschichtlichen Arbeitskreis Zuffenhausen kennengelernt hatte, zum Treffen mit Freunden in den Stallbesen mit. Leider war ich an diesem Nachmittag verhindert, da Herr Schneider eigentlich eingeladen hatte mich zu der Runde dazuzusetzen und meine Fragen zu stellen. Außerdem hat er mich zweimal angerufen und mir Veranstaltungen ans Herz gelegt, die mir bei meiner Suche nach dem authentisch Schwäbischen geholfen haben. Vielen Dank Herr Schneider!

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Handschriftliche Umfrage

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Handschriftliche Umfrage

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Interview mit dem Heimatgeschichtlichen Arbeitskreis Zuffenhausen

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Der „Ältesten – Rat“ des Heimatgeschichtlichen Arbeitskreises.

Wir sind ein privater Kreis der sich zusammengefunden hat, um die Heimatgeschichte ein bisschen weiterzubringen. Und wir sind kein Verein in dem Sinne, wir haben kein Etat und nix gescheits zum tringge. Wir sind schon etliche Jahre beinander, etwa 21 Jahre. Wir sind also auch nicht mehr die Frischesten. Und dazu habe ich ein nettes Gedicht gelesen, vom Christian Wagner, damit man nicht sagen muss: „Ich bin halt nicht mehr das was ich war“. Er hat das natürlich bisschen schöner ausgedrückt: „Doch lasst mich klagen unsere eigene Klag, die Klag des ausgebrannten Lichts, die Klag, das ich nicht mehr vermag, Lichtwellen neu zu werfen in den Tag, Lichtsonnen neu zu streuen in das nichts“. Auf Deutsch gesagt: Wir sind nemer des was wir mal waren aber dank des Schicksals ham wir ein paar jüngere Menschen unter uns, in unserem Kreis die den Laden noch weiter fort treiben. Ja Guten Tag, ich heiße Jakob Mayer und bin auf der Suche nach Antworten auf die Frage: „Was ist wirklich schwäbisch, fernab von den ganzen Klischees und Vorurteilen. Was macht einen Schwaben aus? Ich bin angewiesen auf echte Schwaben, auf Experten wie Sie, da ich selbst nicht aus Baden – Württemberg, sondern aus Bayern komme. Ja, des hört man! ¶ Aber es gibt auch auswärts rechte Leut. (im Sinne von aufrichtig, nett) ¶ Also wir sind schwäbisch! Ja genau deswegen bin ich hier! Verstehn Sie uns? Ich versteh Sie, Ja. Wo kommen Sie genau her? Ich komme aus Erding, in der Nähe von München. Haijo, bayrisch! Dann können wir unser Schwabentun ned so arg ausspiele! ¶ Ja wobei uns die Bayern da ja nicht nachstehe! ¶ Ja die Bayern ham ja ein Regierungsbezirk Schwaben! (...) den häns uns gstohle! ¶ Jetzt ned gleich politisiere! Ich würde mich freuen wenn sie vielleicht ein paar Geschichten oder Anekdoten zum Thema authentisch oder „echt“ schwäbisch für mich haben. Also unser Werk sich in den letzten Jahren des gewesen, dass wir uns eben nicht speziell auf die schwäbische Bräuche oder so konzentriert haben, sondern meistens auf historische Gebäude oder eher ortskundlich orientiert. Gespräche & Erfahrungen

Im Zuge meiner Recherche ganz am Anfang dieses Projekts, besuchte ich als erste Anlaufstation den Heimatgeschichtlichen Heimatskreis Zuffenhausen. Es entstand ein sehr unterhaltsames Gespräch mit den 9 Mitgliedern des Vereins, bei dem ich gar nicht so oft zu Wort kam. Zur besseren Verständlichkeit ist das Interview größtenteils in Hochdeutsch niedergeschrieben, obwohl alle 9 Mitglieder des Arbeitskreises schwäbisch gesprochen haben und ich mir beim Transkripieren teilweise sehr schwer tat. Zum Glück habe ich ein paar Kommilitonen, die noch schwäbisch sprechen :) (Anspielung an die Aussage einer Dame des HGA).


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Ja, natürlich au „Schtories“ und Geschichten. Und dann haben wir halt so drei Bände mit kleineren Teilen von Geschichten aufgeschrieben. Also das sind sehr unterschiedliche Themen, die wir in ein Art Archiv zusammengeführt haben. Aber sonst können wir auch gerne über gewisse Dinge sprechen. Die Schtorie mit der Stadterhebung. Für die Stadterhebung hätten wir zehntausend Personen gebraucht und wir waren aber noch ned so viele, um uns eine Stadt zu nennen! 1907 war das! Und dann ham sie damals gesagt, zählen wir die schwangeren Frauen mit, und bis vor 10 oder 20 Jahren hat es noch welche gebe, die da dabei waren bei den 27 Leuten die noch gefehlt haben. Und dann haben wir mit diesen damals noch Ungeborenen sogar über zehntausend Leute in Zuffenhausen gehabt! ¶ Meine Schwiegermutter ist das lebende Beispiel dafür gewesen! ¶ Aber für das was Sie suchen Herr Mayer, Geschichten über die schwäbische Gesellschaft, da gibts natürlich viel schwäbische Literatur. ¶ Bischof Luithlen, die hat verschiedene schwäbische Anekdoten festgehalten! Ich kenn zwei oder drei Bücher, wo schwäbische Anekdoten drin sind! Da können sie mich mal anrufen. ¶ Auch die Bücher vom Altoberbürgermeister Rommel gebe da einiges her! Und Thaddeus Troll und der Herr Mattern, Carl Götz schreibt auch schön über uns Schwaben! ¶ Aber Thaddeus Troll macht natürlich mehr so im Unterhaltsamen und bissle auf spaßhaft und unter dem Gesichtspunkt arbeitet unser Arbeitskreis natürlich nicht! ¶ Also natürlich, man trägt Heiteres als Anekdote bei, wem man so in ein bestimmtes Volk nei kucke will. Des is schon klar, dass das dann meistens auf die heitere, unterhaltsame Art macht. ¶ Ich hab vor kurzem was gelesen: „Wer schwäbisch schwätzt ist kei dummerle, sondern a cleverle!“ ¶ Der Herr Mattern, der ist ja aus Zuffenhausen, der hat also Anekdoten in Reimform festgehalten. Das lässt einen ein Blick in die schwäbische Seele werfen! ¶ Und sonst wärs halt der Herr Heinz, der viele schwäbische Sachen gesammelt hat. ¶ Und heute kommt in den Stuttgarter Nachrichten etwas über Dialekt, glaub zwei Seiten (...) ¶ Also ein schwäbischer Stammtisch sind wir nicht. ¶ Ouh ja des gibts au! Einen schwäbischen Stammtisch. Da gibts einen Stammtisch im Hotel Zeppelin, da können sie auch den Herr Mattern fragen. Helmut Mattern. Und jetzt auch so gesellschaftlich, mich interessiert auch sehr wie die Menschen hier so sind. Haben Sie das Gefühl das die Schwaben besonders sind? Oder anders, als jetzt zum Beispiel die Bayern? Haben Sie da so ganz persönlich das Gefühl, dass es da einen Unterschied gibt? Oder Dinge wo Sie sagen würden, dass macht einen Schwaben aus? Ja, es gibt schon ein paar Sachen! Sie lachen jetzt gleich, wenn ich sag Kehrwoche. Gibt es die in Bayern auch? Oder gibt es die in Bayern noch? Also so weit ich weiß hat es die Kehrwoche in Bayern in der Form nicht gegeben. Aber bei uns gibt es se! Oder gab se! Jetzt is se abgschafft, also offiziell. Der Rommel hat se abgschafft. ¶ Ich wollt grad sage, der Rommel, ehemaliger Bürgermeister, (wenn se da mal neigucke inna Buch) der hat einen tollen Humor gehabt, vorallem für schwäbische Besonderheiten. ¶ Und wenn wir schon bei den Politikern sind dann natürlich auch unser erster Bundespräsident Theodor Heuss, also des war ein Schwob! (schwärmend betont) ¶ Und dem hat man ein Leben lang angehört, also auch bei ganz offiziellen Reden, dassa a Schwob isch! Des hat ma einfach gehört, auch wenn er hochdeutsch gschwätzt hat! ¶ Oder versucht hat Hochdeutsch zu schwätze! ¶ In dem Buch von ihm/über ihn erfährt man auch viele authentische schwäbische Anekdoten! Da wird‘s Schwäbische wirklich so dargestellt wie es ist! Also echt schwäbisch! ¶ Weil des sind lauter solche Sache, Eigenschaften wie, dass ma „gnitz“ (=hinterfotzig, durchtrieben) und geizig isch und, dass man seinen Reichtum nicht nach außen trägt! Man ist „hälenga“ reich jetzt zum Beispiel! ¶ Aber was ist „hälenga“, des wisse sie ja auch ned! ¶ Achso, er weiß ned was Stuttgarts Menschen & Bürger


Interview mit dem Heimatgeschichtlichen Arbeitskreis Zuffenhausen

„hälenga“ isch! ¶ „Hälenga“ ist heimlich, irgendwas so ein bisschen hintenrum, so vernuschelt. ¶ „Mir Schwobe dern wie wen Ma kei Geld hätte und sind beleidigt wenns die andere glaube!“ ¶ Also es gibt a paar so Sprüche wo ma schon viel raushole kann! ¶ Der Schwabe untertreibt immer! Aber würden Sie dann sagen, dass das bei Ihnen auch so ist, also, dass das auf sie zutrifft? (von vielen Seiten verschmitztes Lachen) JaJa, hajo! ¶ Es gibt solche und solche! ¶ Ha ned auf alle hier! ¶ Ab und zu fällt mir schon immer wieder ein Spruch ein, auch hier in der Runde, aber wir sind ja jetzt kein Stammtisch und keine Witzrunde! ¶ Also ich weiß nicht ob sie schonmal was von „Gorgewitz“ gehört haben. Das sind Tübinger Weingärtner, Tübinger „Wengerda“ und die haben einen sehr derben Humor! Und da gibt es halt so Büchlein, wo also lauter solche Gorgewitz drin sind. Immer die „Gorge, die Wengerda“ gegen die Professoren und Tübinger. Und die sind schon nett und hintergründig und da trifft man schon bisschen den Charakter. Ob jetzt alle Schwaben so sind wie die „Gorge“ in Tübingen, das möchte ich bezweifeln, aber vielleicht ist schon was dran. ¶ Ja des stimmt Lilo, weil Schwaben, da hat sehr viel von der Sprache angefangen und schon 10 Kilometer außerhalb der Stadt, gibt es schon einen anderen Dialekt! Des hört man also genau, wo wer herkommt. ¶ Also bei uns ist ein Dorf (Lauterbach) 3 Kilometer weg von Stamberg und das hört man sofort! Das ist schon eher Richtung Badisch! ¶ Schon bei Feuerbach, Weilimdorf. ¶ Da hat mich mal eine neue Kollegin angesprochen. Ich bin vorgestellt worden und so. Und damals haben die „Mädle“ noch „Veschper“ geholt und irgendwann hat die also etwas gesagt und dann hab ich gesagt: Kommen Sie aus der Feuerbacher/Weilimdorfer Gegend? Also dieses Eck? Dann sie: Ja von Gerlingen! Und da war etwas, ein sprachlicher Unterschied, das hab ich gleich gemerkt! ¶ Und da gibts in der Stuttgarter Zeitung seit einigen Jahren eine Rubrik: „Auf gut schwäbisch“. Also da gehts um Wörter oder Begriffe, die nicht vergessen werden sollten. ¶ Aber das ist für Sie sehr schwierig zu lesen, das muss man laut vorlesen, weil wenn ich des hier leise lese, begreif ich es nicht, man muss es also laut vorlesen und dann schnall ichs. ¶ Und dann kommt der Dialekt raus. Und dann ist das aber auch so unmöglich schwäbisch geschrieben, dass man es dreimal hintereinander lesen muss und dann kommt man drauf, dass es zum Beispiel ned „koa“ sondern „koi“ heißt. ¶ Man kann es halt nicht schreiben, Schwäbisch kann man eigentlich nicht schreiben! ¶ Aber haben Sie nicht einen Studienkollegen, der Schwabe ist? ¶ Die sprechen ja gar nicht mehr schwäbisch! ¶ Das das ausgerechnet Sie machen sollen? Das ist schon eine Herausforderung! Ja das ist schone eine Herausforderung. Aber so lerne ich auch einfach die Gegend viel besser kennen. Und nette Leut! Ja genau! Hast du uns damit gemeint hä! Also was schon dazu gehört, hier sind es lauter Schwaben, die hier sitzen ¶ (Zwei Herren werfen ein) Na na na! ¶ Es sind ein paar Reingschmeckte ja, aber Sie schwätzen schwäbisch! (leicht brüskiertes Lachen) Oh je Oh je. ¶ Herr Mayer, wo wohnen sie? Ich wohn oben am Killesberg. Das ist auch ein Spruch: „Die einen wohnen oben am Killesberg, die andre wohnen droben am Hallschlag“ (...) Hallschlag isch Hartz4. Aber beide wohna oba. ¶ Als ich würde an ihrer Stelle mal in die Bibliothek gehen, z.B. hier in Zuffenhausen am Bahnhof ist eine, und wenn sie dort sagen die sollen ihnen die Bücher rauslegen, die sich mit schwäbischen Eigenschaften befassen, dann können sie dort Vieles herausfinden. ¶ Oder noch ein Tipp wär, dass sie mal in Gespräche & Erfahrungen

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einen Besen gehen, wissen sie was „a Besä“ isch? ¶ Straußwirtschaft sagt man sonst ¶ Also da gibts keine äh Menschen äh, ich darf jetzt nicht rassistisch werden, (leichtes Kichern von der Frau neben mir) da gibts nur Schwaben, da sind keine äh Türken oder äh Inder, Chinesen ¶ Und kaum Badenzer! ¶ also da wird richtig schwäbisch gschwätzt, das ist ein Stück Schwaben. ¶ Am Mittwoch den 20ten, da geh ich in den Besen, in den Stallbesen in Mühlhausen, der ist sehr zu empfehlen, der heißt Raith, und in Zuffenhausen gibts den Ulmer Besen! ¶ Aber des stimmt doch, da sind nur Schwobe, oder? ¶ Da sind nur Schwaben. (Andere: Aajjoo, Hanoi) Ja meistens schon. ¶ Oder dann halt welche die Schwaben gern haben, so. ¶ Ned bloß, da hats auch welche die wo hetzte, die man belehren muss! ¶ Und was auch typisch ist, da fallen jetzt wahrscheinlich alle über mich her, wenn ich des sag: Da Schwob, der schämt sich wegen seinem Dialekt und der Bayer ist stolz auf sein Dialekt! Also da ist ein bisschen was dran. ¶ Aber nicht nur der Bayer, sondern alle sind stolz, bis auf den Schwaben! ¶ Also Schwaben sind in sich gekehrt und zurückhaltend aber sie sind auf der ganzen Welt, so scheints, schon rumgekommen. Da gibt es einen netten Witz. (In sehr schwäbischem Dialekt erzählt) „Da ist mit dem Columbus einer mitgefahren, der war ein Schwabe und als sie an Land gekommen sind hat er rüber geschrien zu den Indianern: Ist da einer aus Böblingen? Dann hat einer von den Indianern zurückgeschrieen: Noi, aber einer aus Sindelfingen! (Sindelfingen ist der Nachbarort)“. ¶ Also ich würde sagen, das hilft alles nix mit Besenwirtschaft und zusammen sitzen, Sie brauchen da etwas Dokumentiertes, etwas aufgeschriebenes, da sind sie sicher. Sie müssen sich auch beschäftigen mit der Grenze von Baden – Württemberg und da sehen sie genau schon einen Unterschied in der Sprachweise. Als ich zum Beispiel fertig war mit dem Studium, hab ich bei der Firma Siemens angefangen. Und ich war ein Tag oder zwei dort und hab telefoniert und da hab ich gesagt: „des goht iddä“ und dann bin ich so aufgefallen! (Frau neben mir: Haja, da fällt ma auf!) und die haben mich so fertig gemacht, dass ich nie mehr gesagt hab: „des goht iddä“ obwohls bei uns Gang und Gäbe ist, des weiß jeder, was des heißt. ¶ Was nicht alle wissen, auch die Sportler nicht, da spielen nämlich die Schwaben, in Klammern der VfB, gegen die Badener aus Karlsruhe. Schwaben fängt aber im Elsass an und geht bis Augsburg und von Heilbronn bis St.Gallen, das sind alles Schwaben! ¶ Und das hab ich gelernt, die Einen haben gesagt das sind Alemannen und die anderen haben gesagt das sind Schwaben. Da ist der gleiche zusammengewürfelte Haufen, der gleiche zusammengewürfelte Haufen sind wir! ¶ Das geht bis in die Schweiz rein? ¶ JaJa, bis St.Gallen! ¶ Ja, noch weiter bis Chur! ¶ Ja gut, des ist eigentlich der Volksstamm, aber die Badener die sind ja...wobei der Badener kein gutes Haar lässt am Schwaben! ¶ Das ist so ein bisschen wie Franken und Oberbayern oder so...ja da ist es ja auch nicht so ganz koscher. ¶ Die Zwangsheirat! ¶ Kennt jemand von euch das Wirtshaus Theater? Das wäre ja auch noch etwas. Ein schwäbisches Theater, die spielen zur Zeit und da spielt ein hiesiger Friseur mit, den kennt man hier. Und am nächsten Sonntag Abend um 18 Uhr führen die vor. Gaststätte Neu(e) Wirtshaus. Das ist halt schwäbisch. ¶ Sie sollten vielleicht schon auch ein bisschen wissen wie der Schwabe entstanden ist, also geschichtlich und das das halt lang mit den Reichsstädten ¶ Und der armen Bevölkerung ¶ Und dass die Römer mal da waren und dass es von Frankreich beeinflusst ist, wir haben ja ganz viele französische Wörter zum Beispiel ¶ Heute noch! ¶ Dank Napoleon ist des! ¶ Wie schreibt man Mayer? M – A – Y – E – R Ganz vornehm! Hat ein Bekannter immer gesagt ¶ Ja mit Y, ganz vornehm, kein Schwab! ¶ Doch das war ein bayrischer Schwab! Das wäre lustig. Wer weiß, vielleicht waren meine Vorfahren ja wirklich Schwaben.

„Neigschmeckte“: Hinterlassen die Fremden in Baden – Württemberg ein „Geschmäckle“? Auf diese Idee könnte man kommen, wenn man sich die Bezeichnungen für die „neu“ zugezogenen Mitbürger ansieht: das badische „Neigschmechte“, das schwäbische „Reigschmeckte“ oder das kurpfälzische „Noiplackte“. Meist sind damit Zugezogene aus Norddeutschland gemeint, die den Dialekt nicht beherrschen. Vielleicht sind hier noch die alten antipreußischen Ressentiments lebendig, die vielen Badenern und Württembergern im 19. Jahrhundert gemeinsam waren. Oder handelt es sich um eine Gegenreaktion auf den vermeintlich vom Hochdeutsch ausgehenden Anpassungsdruck? Man ist schließlich stolz auf sich selbst. Das darf der Neubürger ruhig wissen. Aber Baden –Württemberg ist ein Zuzugsland. Von den 10,6 Millionen Baden –Württembergern waren im Jahr 2000 knapp 1,284 Millionen Ausländer. Wieviel Menschen aus anderen Bundesländern hier im Land leben, lässt sich nicht genau ermitteln. Sicher ist jedoch, dass kein anderes Bundesland so einen starken Anstieg an Bevölkerungszahlen vorweisen kann. Seit 1950 erhöhte sich die Zahl der hier lebenden Menschen um mehr als 4 Millionen. Die Zuwachsrate lag damit doppelt so hoch wie der Durchschnitt der alten Bundesländer. Das ist nicht allein der hohen Geburtenrate geschuldet, sondern vorallem durch Zuzug von außen zu erklären. Auch nach dem Fall der Mauer war ein sprunghafter Anstieg zu verzeichnen: Zwischen 1989 und 1993 kamen 700 000 Einwohner hinzu, viele davon aus der ehemaligen DDR (Statistisches Landesamt 1999, S. 34).

Haus der Geschichte Baden – Württemberg, Landesgeschichten. Der deutsche Südwesten von 1790 bis heute, Stuttgart 2002. S. 36.

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Ein rießiges, wenn auch nicht überall schönes und gemütliches, Weihnachtsspektakel: Der Stuttgarter Weihnachtsmarkt.


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Der Schlosspark ist sehr schรถn, vorallem im Sommer und Herbst.


Eine Stadt wahrnehmen

Achtung: Dieser Text ist aus meiner intensiven Beschäftigung mit dem Thema heraus entstanden, die Formulierung ist oftmals etwas abstrakt und eventuell sehr verschwurbelt. Weiter möchte ich darauf hinweisen, dass dieser Text auf keinen Fall den Anspruch hat, als wissenschaftlich – philosophische Arbeit angesehen zu werden. Vielmehr verstehe ich den Text als Aufschrieb meiner ganz persönlichen Gedanken. Es macht mir großen Spaß meine Gedanken niederzuschreiben. Außerdem befreit es mich ein wenig von der ständigen Grübelei über das Thema. Langsam nimmt mich das Projekt sehr ein und ich kann an nichts anderes mehr denken. Ich freue mich, wenn du diesen Text gerade liest und meine Gedanken zumindest ein bisschen nachvollziehen kannst. Dann hätte sich die viele Arbeit auf jeden Fall gelohnt!

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Lieber Leser, Sicher warst du schon einmal im Urlaub in einem anderen Land. Sicher hast du einmal einen Städtetrip in eine Stadt gemacht, in der du zuvor noch nie warst. Erinnere dich an diesen Trip und an den Moment an dem du die neue Stadt zum ersten Mal erblickt hast. Die sorgfältige Recherche über die Stadt, die du im Vorfeld betrieben hattest, scheint plötzlich hinfällig, da man in dieser Sekunde realisiert, dass nichts einen so echten Eindruck vermitteln kann, wie die tatsächlichen Anwesendheit des eigenen Körpers in der Stadt. Ich persönlich halte diesen Moment für einen Schlüsselmoment, in dem sich zu einem großen Teil die Qualität des Urlaubs, aber vorallem das Verhältnis zwischen dir und der Stadt entscheidet. Was passiert um dich herum? Wie riecht es? Wie fühlt sich die Luft an? Welche Geräusche hört man? Wie wohl fühlst du dich in diesen ersten Minuten in der neuen Stadt? Natürlich ist der Vorgang, der in deinem Gehirn stattfindet, wenn du dir eine Meinung über eine Stadt bildest, unglaublich komplex und von nahezu unendlich vielen Faktoren abhängig. Dennoch möchte ich aus der eigenen Erfahrung heraus behaupten, dass der erste Eindruck, wie in so vielen Lebensbereichen extrem wichtig ist.    Dabei darf nicht vergessen werden, dass alle Erfahrungen, die wir in der Zeit des Urlaubs mit der Stadt machen, durch die Dinge, die wir bereits im Vorfeld über die Stadt erfahren haben, sei es durch die Erzählung von Freunden, das Fernsehen, Bücher oder Filme, die sorgfältige Recherche als Vorbereitung auf den Urlaub und so weiter (und so weiter), beeinflusst werden. Dieser Beeinflussung kann man sich nicht entziehen, denn sie passiert größtenteils unterbewusst. Es ist also nicht möglich, eine Stadt, ab dem Moment der Ankunft, absolut unvoreingenommen wahrzunehmen und auf sich wirken zu lassen. Weiter ist davon auszugehen, dass all die Dinge, die wir über eine Stadt wissen ohne bereits die Erfahrung der eigenen Anwesendheit in dieser Stadt gemacht zu haben, ein rießiges Wirrwarr an Meinungen, Erfahrungen, Gerüchten und Klischees von anderen Menschen sind.    Lange Rede, kurzer Sinn. Was ich eigentlich mit diesem Text zum Ausdruck bringen möchte ist, dass jede Meinung, die wir von einer Stadt haben, selbst wenn wir sie bereits persönlich besucht haben, unvermeidbar von sehr, sehr vielen meist subjektiven Erfahrungen, Gefühlen und Informationen anderer Menschen, welche wir nicht kennen, beeinflusst werden. Der Schluss, der daraus gezogen werden muss ist, dass unsere Meinung letztendlich sehr fremdbestimmt ist. Ist der Ruf einer Stadt


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ein guter, so wird dir dein Aufenthalt dort mit hoher Wahrscheinlichkeit gut gefallen. Reist du aber in eine Stadt von der du zuvor viele schlechte Dinge gehört hast, so wirst du, wenn auch unbewusst, die Stadt ständig auf diese, dir zu Ohren gekommenen, negativen Attribute untersuchen.    Im Zuge meiner intensiven Beschäftigung mit dem Thema: das Image von Stuttgart, bin ich auf dieses Phänomen aufmerksam geworden. Ich denke die Stadt oder viel mehr das Image der Stadt leidet sehr unter diesem Phänomen. Ist die Lawine von negativen Informationen (Klischees, Gerüchte, Fernsehnachrichten, Zeitungsartikel, Erzählungen, etc. etc.) über eine Stadt, durch welchen Auslöser auch immer, erst einmal los getreten, beginnt sie sich exponentiell zu vergrößern und all das Positive einer Stadt unter sich zu begraben. Es braucht etwas Fundamentales um diese Lawine aufzuhalten. (Vielleicht dieses Buch?)    Eine Theorie, die mich angestoßen hat über die Wahrnehmung einer Stadt intensiver nachzudenken, ist die Theorie des Philosophen John Dewey. In seinem Buch: „Kunst als Erfahrung“, erläutert der amerikanische Philosoph einen eigenen, vom alltäglichen Verständis stark abzugrenzenden, Begriff der Erfahrung. Zwar bezieht Dewey den Begriff in seinem Text auf die Theorie der Kunst und das Betrachten eines Kunstwerks, aber ich bin der Meinung eine Stadt kann auch als Gesamtkunstwerk betrachtet werden. Im folgenden Abschnitt, einem Auszug aus meiner Hausarbeit über Deweys: „eine Erfahrung machen“ erläutert der Philosoph seine spezifische Unterscheidung zwischen dem bloßen Widerkennen von Dingen und dem aktiven Wahrnehmen von Dingen.    „Wichtig ist dabei, Perzeption von Wiedererkennen zu unterscheiden. Wir erkennen Dinge wieder, in dem wir den „bloßen Umriss als Schablone für das vorliegende Objekt“ benutzen. Ohne die Dinge bewusst wahrzunehmen, fällen wir stereotypische Urteile über sie. Erst wenn wir mit den Dingen in Kontakt treten, aktiv über sie „forschen“ und Informationen aufnehmen, entsteht ein Erkenntnisvorgang. Beim Wiedererkennen wird dem vorliegenden Objekt ein Etikett aufgeklebt, wie ein Verkäufer der unterschiedliche Ware sortiert und mit Etiketten versieht. Der Zweck des Etikettierens ist kein Zweck des Erkenntnisvorgangs. Im Gegensatz zum Wiedererkennen, ist der Erkenntnisvorgang „ganz und gar von Emotion durchdrungen“ . Die Erkenntnisse breiten sich in Form von Wellen nach und nach über das Erkenntnis empfangende Lebewesen aus. Die Aufnahme der Erkenntnisse ist als Phase der pas-

siven Hinnahme zu bezeichnen, wobei das aufnehmende Lebewesen dem Gegenüber zunächst Energie entgegnen muss (aktive Handlung), um Energie zu empfangen. Der Autor beschreibt, dass bei der Perzeption von Kunstwerken zumeist zu wenig Energie des „Gesamtorganismus“ (Betrachter), für zu kurze Zeit, dem vorliegenden Objekt entgegengebracht wird, sodass ein Abschluss des Erkenntnisvorgangs ausbleibt. Um ästhetisch zu perzipieren, muss der Betrachter „Schöpfer seiner eigenen Erfahrung sein“. Er muss den Prozess, den der Künstler während des Schaffens durchlaufen hat, nachvollziehen und sich somit eine Erfahrung mit vergleichbaren Beziehungen schaffen. Sozusagen eine „Neuschöpfung“ der Erfahrung des Künstlers. Das bedeutet, Kunstwerke können nicht begriffen werden, wenn der Betrachter nicht bereit ist, genauso wie der Künstler, Arbeit zu leisten. Oder zu sehr in Konventionen gefangen ist, sodass er nicht in der Lage ist, die Erfahrung des Künstlers nachzuvollziehen.“    Auch wenn es nicht ganz einfach ist, die Brücke vom Kunstwerk zur Stadt zu schlagen, zumal bei der Stadt nicht ganz klar ist, wessen Kunstwerk sie eigentlich sein soll, denke ich dennoch, man kann Deweys Worte übersetzen. Wenn er sagt, es ist wichtig Perzeption von Wiedererkennen zu unterscheiden und uns auffordert aktiv auf Dinge (in unserem Fall eine Stadt) zuzugehen. Es reicht nicht, das was wir sehen, in uns bereits bekannte Schubladen einzuordnen, wir müssen auf eine Stadt eingehen, ihr Energie entgegenbringen und aktiv über ihre Beschaffenheit und ihren Charakter forschen. Der Mensch ist, aus einem Urinstinkt heraus, sehr schnell dabei neue, noch unbekannte Eindrücke den ihm bereits bekannten Informationen über die Stadt zuzuordnen. Gemachte Eindrücke mit den im Vorfeld über die Stadt gehörten Informationen abzugleichen, das ist total normal und menschlich, denn es gibt uns in ungewohnten und daher eventuell unangenehmen oder stressigen Situationen Sicherheit.    Um (nach Dewey)eine Stadt allerdings wirklich subjektiv, ehrlich und tiefgründig kennenzulernen, sollten wir Menschen diesen Instinkt ausschalten und uns sozusagen unvoreingenommen und abenteuerlustig auf eine neue Stadt einlassen. Wir müssen versuchen, alles Wissen, das wir im Vorfeld gesammelt haben, aus dem Kopf zu löschen. Alles was du während deines Städttrips erlebst sollst du unabhängig von Allem, außer deiner eigenen Wahrnehmung, bewerten. Nur so lernst du die Stadt richtig kennen und kannst dir eine echte Meinung bilden!


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FĂźr viele Studenten und Kulturelle ein ganz besonders spannender Ort in Stuttgart. Einer der vielen tollen Ausblicke vom denkmalgeschĂźtzten Altbau der Kunstakademie am Killesberg.


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Stuttgart ist im Umbruch, seit schon mindestens 20 Jahren kämpft diese Stadt für das Ansehen, das Sie verdient hat. Ich möchte meinen Teil dazu beitragen, weil ich mich hier wirklich wohl fühle.


Interview mit Future Franz

Hallo Future Franz. Ich freue mich sehr, dass du Zeit für mich und meine Fragen hast. Da ich selbst nicht aus Stuttgart komme und erst seit circa 2 Jahren in dieser Stadt lebe, ist es für mich sehr spannend mit dir, einem Stuttgarter Musiker, dessen Musik ich sehr, sehr cool finde, über die Stadt und natürlich auch ihre Musikszene sprechen zu können. Ja klar, also ich bin ja hier aufgewachsen und ich kann dir vielleicht etwas erzählen, aber ich hab bis jetzt auch noch nicht so aktiv darüber nachgedacht. Du bist also direkt in Stuttgart aufgewachsen? Ja halt da in der Nähe, also nicht direkt in Stuttgart, aber mit der Bahn zehn Minuten davon entfernt. Und du lebst auch immer noch dort? Genau. Ich war mal in Berlin ne Zeit, aber dann hat mich die Liebe wieder zurück gezogen. Wie nimmst du Stuttgart persönlich war, was würdest du sagen ist für dich Stuttgart, was macht diese Stadt aus? Also, ja das ist schwer zu sagen, aber ich finde das hat sich auf jeden Fall gewandelt. Aber so wie ich sie gerade wahrnehme, eigentlich jetzt irgendwie offener im Vergleich zu dem wie es noch vor 10 Jahren wahrgenommen habe. Ich mein vor 10 Jahren da war ich noch so voll so feiern und so viel halt. Da war ich schon immer im Keller Klub und halt immer dann auf den Partys und im Rokko und so unterwegs, also schon in der, sag ich mal, Nachtleben und in der Subkulturszene unterwegs und hab da auch mit meiner Band viel gespielt und deswegen hab ich da eigentlich immer schon so ein familären Eindruck, man hat sich irgendwie so gekannt. Da hat man auch so ne Szene, die ist halt rund um die Musik und mit Freunden war man dann feiern und da gabs halt immer die, ähm, halt wir so die, sag ich mal, die Rocker jetzt, die halt mehr so auf Rock abgefahren sind und dann gabs halt natürlich auch die, sag ich jetzt mal, die ganzen Theo (...), ich weiß nicht ob dir das was sagt? Ich habs auf jeden Fall schon mal gehört, aber ich weiß nicht so wirklich was du damit meinst. Ja, das ist halt so eine Partymeile, da sind so ein bisschen Schicki – Micki – Clubs und da fahren die halt dann mit ihren geilen Karren vor und machen dumme Sprüche und mucken rum halt. Und das war halt so ein bisschen: Ja ok, mit denen will man eigentlich nichts zu tun haben. Also das war immer so des Eine und ja halt dicke Karren und schlechte Musik. Das war so ein Teil den man wahrgenommen hat und das ist sich aber nie so in die Quere gekommen, weil man dann doch auch irgendwie immer für sich war und dann doch immer in seinem Dunstkreis sich bewegt hat. Und ich habs dann auch, sag ich mal, eigentlich schon eher spießig wahrgenommen damals, muss ich sagen, und ja halt schon sehr auf Arbeit fixiert und sehr so auf Schaffen. Also würdest du dann sagen, dass dieses „den Schwaben ist ihre Arbeit so wichtig“ – Klischee schon auch zutreffend ist? Ja das stimmt irgendwie schon. Also ich finde das ist kein Klischee. Klar, vielleicht schon, aber ich finde, das spürt man irgendwie schon, also als ich dann auch in Berlin gelebt hab, da hat ich den direkten Kontrast dazu und da hat man schon gemerkt, dass es einfach lockerer war und dass man da nicht so viel über Arbeit geredet hat und so gefragt hat: Ja was machst du denn beruflich? Das hat man da einfach nicht so oft gehört. Das war damals (in Stuttgart) schon irgendwie immer so des Ding: Ja wo schaffscht du? Und so. Es sind halt viele hier die halt einfach in der Autoindustrie arbeiten und alle meine Freunde haben feste Jobs, bei großen Firmen, bei Mahle, Daimler, Bosch, und da arbeiten die da alle und des machen die halt schon seit sie klein sind, ähh, was heißt klein sind, nach der Schule halt. Das ist einfach irgendwie der Gespräche & Erfahrungen

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„Finde es schon schade, dass jetzt so viel Kultur stirbt durch diesen Kack – Bahnhof. Also ich würde mir da von der Stadt wünschen, dass die Subkultur anerkennen und das für wichtig einstufen. Dass das alles halt nicht dem Kapitalismus weicht! Das ist natürlich so der Wunsch eines jeden Kulturschaffenden und ja das wünsch ich mir, dass Stuttgart das checkt. Die sollen aufwachen! “ Future Franz ist, wie ich finde, eines der coolsten und authentischsten Gesichter der Stuttgarter Musikszene. Ähnlich wie die Band „die Nerven“ repräsentiert Future Franz für mich einen total eigenen Musikstil, eine irgendwie unbekümmerte, lässige, auch zum Teil sehr melancholische, persönliche Art, die ich auch mit der Stadt in Verbindung bringe, ohne, dass es mir möglich ist, diesen Charakter ausführlicher in Worte zu fassen. Am besten du hörst dir Future Franz Musik einfach mal selbst an, ich empfehle es dir!    Ich habe mich mit ihm über seine eigene Wahrnehmung der Stadt, die Wichtigkeit des Arbeitsplatzes, subkulturelle Institutionen, seine Erfahrungen mit der Musikszene der Stadt und viele andere interessante Dinge unterhalten. Es war ein sehr angenehmes und aufschlussreiches Gespräch mit ihm. Future Franz ist übrigens auch gut mit der Band „die Orsons“ befreundet über die du etwas auf den Seiten 44 – 47 lesen kannst.


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Industrie geschuldet, dass da schon so viele das als Weg gesehen haben und eigentlich so nichts anderes im Kopf hatten. Das war halt so gesetzt: Ja ok, man macht halt ne Ausbildung oder auch nach dem Studium geht man dann in so ne große Firma, weil da verdient man gut und man hat nen sicheren Arbeitsplatz und ich mein das ist ja auch, ich mein Bosch, wenn man da arbeitet, da kriegt man ja schon viel, also man hat ne Absicherung auf ne Art und das ist schon das was halt irgendwie so, also ich kann das wirklich sagen, dass das vielen im meinem Umfeld innewohnt so dieser Sicherheitsgedanke. Und das ist in Berlin ja eigentlich das Gegenteil. Ja, das ist wirklich interessant, dass du auch in Berlin gelebt hast. Wie war da so deine Erfahrung, weiß nicht ob du da mit vielen Leuten darüber geredet hast, aber wie war da so deine Erfahrung, wie wurde Stuttgart in Berlin wahrgenommen? Das kann ich mich jetzt gar nicht so direkt daran erinnern. Also klar man kennt halt auch dieses Schwaben – Klischee, die Vorurteile, die da immer so rumschwirren, aber das hat sich jetzt gar nicht so bestätigt. Also alle Berliner, die ich getroffen habe, die halt wirklich Berliner sind, die waren alle übelst korrekt und so: Ja ist ein blödes Vorurteil. Und deswegen war des da alles cool, also ich hab da nie so was Blödes über Stuttgart gehört. Würdest du von dir selbst sagen, du fühlst dich schwäbisch? Hast du da, in welcher Form auch immer, einen Bezug zum Schwäbischen, oder ist das was mit dem du dich überhaupt nicht identifizieren kannst? Also das ist tatsächlich ne Frage, die ich mir auch machmal stelle, weil eigentlich habe ich so ein sehr kreatives Wesen und bin da eigentlich so überhaupt nicht mit Sparen und so, also das ist mir so fremd irgendwie. Und ich fühl mich manchmal auch wirklich gar nicht schwäbisch, wenn ich so mein Umfeld ankucke, aber das kann man irgendwie schwer sagen. Aber irgendwie fühl ich mich dann auch doch schwäbisch. Ich hab irgendwie den Dialekt so drin und ich bin ja so aufgewachsen, aber ja doch ich fühl mich trotzdem noch, muss ich sagen, wenn ich so darüber nachdenke, so ein bisschen wie ein Außenseiter auf ne Art. Wenn ich halt jetzt nicht so diesen klassischen Weg gehe und keine Festanstellung habe, fühle ich mich schon auch immer noch wie ein Außenseiter, auch wenn ich damit (als Musiker) viel Geld verdiene. Das ist schon weird, da musst ich auch ne weile damit klar kommen, aber jetzt hab ich mich damit abgefunden. Ich finde das Stuttgart eine sehr musikalische Stadt ist. Also generell kulturell, aber besonders die Musikszene ist, im Vergleich zu München zum Beispiel, unglaublich vielfältig und vital. Im Nachtleben begegne ich sehr vielen DJs und so viele haben nebenbei Musikprojekte am laufen. Und das ist auf jeden Fall etwas das ich mit meinem Projekt ein bisschen mehr in das Schaufenster der Stadt Stuttgart stellen möchte. Nimmst du, als Stuttgarter Musiker, das auch so war, dass Musik in dieser Stadt eine besondere Rolle spielt? Jetzt wo du des gerade so erzählst, mir das mal so vor Augen führst, finde ich das schon gut, ich hab jetzt halt leider nie so richtig in anderen Städten gelebt, außer halt Berlin und das kann man irgendwie gar nicht vergleichen, das ist ja eine andere Liga, also Weltstadt eigentlich, aber jetzt für so Städte, in München wohnt meine Schwester, ich war da jetzt nicht so oft, kenn da auch ein paar Bands und hab da auch ein paar Auftritte gehabt und so und mehr kann ich da irgendwie schwer sagen. Aber ja ich hab Stuttgart eigentlich immer so schon als musikalisch wahrgenommen, man kennt ja auch ein paar


Interview mit Future Franz

Größen, die da herkommen und immer wieder kommen da so musikalische Perlen hervor, wo man sich denkt: Hä, ok, wie kann des aus Stuttgart sein? Und dann denkt man sich schon: Okay, ja irgendwie ist auch geil, dass Stuttgart jetzt schon, sag ich jetzt mal, musikalisch schon so ein gutes Image hat und sich das auch wandelt. Ich mein vor 20 Jahren Freundeskreis waren da ja und da war Stuttgart halt schon so ne Hip – Hop – Stadt, das war deutschlandweit bekannt und darauf kann man schon so ein bisschen stolz sein, wenn man halt so lokalpatriotisch denkt. Gerade so „die Nerven“ und „Heisskalt“, die sind dann irgendwie schon auch besonders. Und ja ich hab auch aufgelegt und da gabs ja auch diese „Kaputt raven“ – Partys, wo die Subkultur außergewöhnliche Rave – Musik gespielt hat, was dann schon auch für so ne Stadt wie Stuttgart krass ist. Das waren halt rießen Partys und da kamm halt so richtig krasse Techno – Mukke wo du dir denkst: Ja, ok, das hält man eigentlich keine zwei Stunden aus, aber das war jedes Wochenende randvoll dort und alle haben sich abgeschossen. Was war eigentlich nochmal die Frage? Ich weiß gar nicht ob ich das beantwortet hab? Ob du findest, dass die Musikszene in Stuttgart etwas besonderes ist? Ja das ist für mich schwer zu sagen, also irgendwie sagt mir mein Gefühl schon: Ja, aber dadurch, dass man hier aufgewachsen ist und nie was anderes gesehen hat, außer halt Berlin und das kann man wie gesagt nicht so wirklich vergleichen, kann ich das nicht so gut beurteilen. Also ich hab mich ja schon immer in Subkulturkreisen bewegt und da war des halt immer so Underground. Also mit den ganzen Hardcore – Bands, so diese Hardcore – Punk – Richtung das war damals, so vor 20 Jahren immer in so Jugendhäusern, da war man immer in so einem kleinen Kreis, da war das schon was Besonderes das es das gab, auf jeden Fall. Aber man hat das dann auch nicht so hinterfragt, ob das jetzt in anderen Städten auch so ist. Aber wir haben auf jeden Fall mit der Band damals so, wurden wir halt auch für andere Städte gebucht und da war das irgendwie ähnlich. Da gab es halt auch so um diese Musik rum Freunde, die halt dann andere Bands cool finden und die dann einladen und da war man dann so über die Musik verbunden und hatte dann auch so Parallelen zwischen den Städten bemerkt. Aber dann ist es schon so, dass diese Szene schon auch davon lebt, dass es Subkultur ist und wenn das irgendwie mehr Aufmerksamkeit bekommt das alles gar nicht mehr so gut funktioniert, oder? Ich stelle mir halt die Frage: Wäre es möglich, dass in zehn, zwanzig Jahren, wenn jemand von Stuttgart redet, nach Porsche und Mercedes als dritten Punkt von der krassen Musikszene in Stuttgart spricht oder ob das alles dann sehr schnell ähnlich kommerziell wie Porsche und Mercedes werden würde und dann eben nicht mehr cool ist. Achso, ich glaub wenn die Musik irgendwie was, wenn da was entstanden ist, was so aus der Subkultur entsprungen ist, was irgendwie davor nicht gehört war und etwas Besonderes ist, dann glaub ich verdient das auch ne Aufmerksamkeit und das finde ich dann tut dem Image, oder wie man dann über Stuttgart redet, nichts Schlechtes. Wenn man zum Beispiel „die Nerven“ nimmt, ich finde die haben halt schon so nen Style entwickelt, so ne Wut und Düsternis, also ich weiß nicht ob die diesen Style entwickelt haben, aber die sind auf jeden Fall so Vertreter von diesem Genre von Rock, auf den man doch auch aufmerksam wird und dann auch Bands wie „Tocotronic“ aufmerksam werden und mich macht das dann irgendwie so ein bisschen stolz auf Stuttgart oder darauf, dass das hier hervorgebracht wurde. Ja und Bands wie „die Nerven“ sind ja schon auch ein Zeichen, dass es hier nicht nur um Hip –Hop geht, sondern auch in vielen anderen Musikgenres progressive und prägende Leute und Bands aus Stuttgart kommen. Gespräche & Erfahrungen

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Ja klar. Ich glaub das hängt auch viel mit den Wagenhallen zusammen. Dass „die Nerven“ schon auch eher, sag ich mal in Anführungszeichen, Kunstlied drin stecken, also nicht so, sag ich jetzt mal, Dummrock oder Saufrock, also da ist schon irgendwie auch ne Deepness mit drin und ich hab so des Gefühl, also es gibt ja diese „Rocket Freudenthal“, ich weiß nicht ob die dir was sagen? Ja, war sogar schon auf nem Konzert von denen im „alten Schweden“, das war ziemlich cool. Ah geil, ja die Liveshows sollen ja voll krass sein oder? Ja das Konzert war sehr beeindruckend. Aber kommen die auch aus Stuttgart? Ja, also nicht direkt. Ich glaub die kommen sogar tatsächlich aus Freudenthal, das ist hier in der Umgebung. Und die sind aber auch, soweit ich weiß, mit den Wagenhallen connected und am Start und das ist ja schon auch eine Art, also ich denke gerade laut, ich glaub, dass das alles so zusammen hängt, dass da halt auch viele Künschtler sind und dass halt da so dieser Spirit, dieser Kunst – Spirit, die Stadt auch mit trägt, das glaub ich schon, ich bin da auch nicht so wirklich drin aber ich war da ein paar Mal auf Partys und kenne ein paar Leute und ja da sind schon viel Freigeister, die da so rum schwirren. Ja das stimmt, die Wagenhallen sind auf jeden Fall ein sehr besonderer und einzigartiger Ort in Stuttgart, den es in dieser Form sicherlich in nicht all zu vielen deutschen Städten gibt. Eigentlich ein utopischer Ort, an dem alles möglich zu sein scheint und man sich komplett frei entfalten kann. Ja auf jeden Fall, also wenn es so um Image und Kunst und Stadt und Kultur geht, dann sind die Wagenhallen eine richtig gute Adresse. Ja und auch die Aka (Staatliche Akademie der Bildenden Künste Stuttgart) ist ja irgendwie auch offensichtlich, dass da viel entsteht, wenn da so ne kreative Institution ist und es sich dort irgendwie alles so weiter streut. Gibt es irgendetwas, das du dir für die Zukunft für Stuttgart, auch im Bezug auf das Image, wünschst? Ja schon, wenn ich jetzt, also ich hab mir da noch nie Gedanken gemacht, aber wenn ich jetzt kurz darüber nachdenke find ich es schon schade, dass jetzt so viel Kultur stirbt durch diesen Kack – Bahnhof. Also ich würde mir da von der Stadt wünschen, dass die Subkultur anerkennen und das für wichtig einstufen. Dass das alles halt nicht dem Kapitalismus weicht! Das ist natürlich so der Wunsch eines jeden Kulturschaffenden und ja das wünsch ich mir, dass Stuttgart das checkt. Die sollen aufwachen !!1! Das ist ein sehr guter Satz, um dieses wirklich wichtige Thema abzuschließen! Hier meine letzte Frage an dich: Hast du einen Lieblingsplatz oder Lieblingsort in Stuttgart? Tatsächlich bin ich nicht mehr so oft in Stuttgart, ja also irgendwie mag ich den Marienplatz und ich finde da, wo ich am Anfang gesagt hab, dass die Stadt offener wird, finde ich irgendwie, ich weiß nicht ob das jetzt wirklich offener geworden ist, aber das hat schon so ein bisschen mehr Berlin – Niveau, wenn dann halt alle da rum hängen und Kaffee trinken und auf der Straße chillen. Und man sieht auch jetzt nicht nur so Männer in Anzügen, sondern halt auch viele Frauen und alternative Menschen und irgendwie mag ich es da. Ich mag‘s Galao (Cafe Galao), das find ich cool, da häng ich ab und sonst: Hauptbahnhof. (kurze Pause) Echt? Nee. Das ist der Platz den ich am wenigsten mag. Gut Aka mag ich auch immer noch, vorallem die Rundgänge und so. Hey Future Franz, vielen Dank für das echt aufschlussreiche und angenehme Gespräch mit dir. Vielleicht sieht man sich ja mal auf dem Rundgang. Ja klar voll gerne, hat Spaß gemacht.

„Wagenhallen statt Hallen voller Wägen“ – mehr Subkultur, weniger Protzerei!    Wenn du mehr über die Wagenhallen wissen willst, dann empfehle ich dir das Semesterprojekt von meinem guten Freund und Kommilitonen Karl Will. Er hat sich mit den Wagenhallen oder viel mehr dem großen Problem beschäftigt, dass in Stuttgart immer öfter subkulturelle Freiräume den großen und gierigen Unternehmen und Investoren weichen müssen. Teile der Wagenhallen fallen der Gentrifizierung zum Opfer und werden bald Geschichte sein. Lies dir deshalb Karls Buch darüber durch, informiere dich und leiste dieser Entwicklung Widerstand, danke!


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Diesem Slogan auf einem „Stuttgarter Hofbräu“ – Plakat ist nichts weiter hinzuzufügen.


Über den Film „Denk nicht an Stuttgart“

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Eine intensive Auseinandersetzung mit der Wahrnehmung und dem Image der Stadt Stuttgart. Der Animationsfilm „Denk nicht an Stuttgart“ erzählt von einem Tag im Leben der Hauptfigur. Der Name der Hauptfigur ist „Egal“ und er ist keine wirkliche Persönlichkeit, vielmehr eine neutrale, einen Mensch imitierende Person, eine Person ohne Identität oder Heimat. Man kann „Egal“ keinem Herkunftsland zuordnen, denn er ist nicht real existent.    Die Hauptfigur spricht: „Mein Name ist Egal und ich komme aus einer identitätslosen Welt. Alles an mir ist neutral und ich kenne keine Heimat. Mein Leben ist ein Brei, ein nicht definierbares Gemisch aus Raum und Zeit. Ich weiß selbst nicht ob ich Dinge wirklich erlebe oder das alles ein besonders merkwürdiger Traum ist und ich irgendwann hoffentlich aufwache. (...) In der Arbeit muss ich blau tragen, sogar im Gesicht! Wenn du siehst wie ich hier arbeite und es oft so wirkt, als würden meinen Gedanken während dieser monotonen Arbeit in einen Tagtraum abdriften, hast du recht. Aber nimm das Gesehene bitte ohne Wertung auf. Damit meine ich, stecke mich nicht in eine deiner vielen Schubladen oder ordne mein Verhalten einem Klischee zu, nur weil das ein urmenschlicher Instinkt ist und es dir Sicherheit gibt (Vgl. „eine Stadt wahrnehmen, S. 76 – 77). Sicher vergleichst du die Bilder, die du gerade siehst, mit bestimmten Ideen und Vorstellungen von Dingen in deinem Kopf. Du glaubst nicht, dass ich einem identitätsneutralen Raum entsprungen bin. Die Szenen aus meinem Alltag lassen in dir erste alternative Theorien zu meiner Herkunft entstehen. Ich kann mir gerade sehr gut vorstellen in welche Schubladen du mich steckst, was du mir anhand dieser oberflächlichen Bilder alles an Eigenschaften und Attributen zuordnest. Aber du weißt doch gar nicht wie ich bin? Bist du wirklich so oberflächlich? Du kennst mich doch gerade erst ein paar Sekunden und unterstellst mir derartige Dinge? Zugegeben, Ich arbeite in einer Autofabrik, das ist ein klassischer Männer – Job. Aber wieso ziehst du daraus direkt den Schluss, dass ich ein Auto – Narr sei? Du denkst alle seien Auto verrückt in meinem Umfeld. Das ist Schwachsinn, ich hasse Autos, ich bin ganz anders als du denkst. Du klischeebeladener Mensch urteilst voreilig.“    Der Titel des Films „Denk nicht an Stuttgart“ ist als Aufforderung an den Zuschauer zu verstehen, die Kulisse des Films keine reell existente Landschaft. Wenn du dich während des Ansehens dabei ertappt hast, die Kulisse , trotz oder vielleicht sogar gerade wegen der Aufforderung des Filmtitels, mit Stuttgart Stuttgarts neues Image

zu assoziieren, bist du in eine Falle getreten. Eine Falle namens Klischee. Du gehörst zu der Sorte von Menschen, die ihre Wahrnehmung und Beurteilung von Dingen, meist ohne sich dessen bewusst zu sein, durch Vorurteile, Stereotype und Klischees beeinflussen lassen. Wobei das nicht zwangsläufig heißt, dass du ein schlechter Mensch bist. Das Verlangen neu erlebte, visuelle Eindrücke so schnell wie möglich in uns bekannte Kategorien einzuordnen ist ein Ur – Instinkt von uns Menschen. Außerdem ist es eine wirklich fiese Sache, den Film „Denk nicht an Stuttgart“ zu nennen, um im Nachhinein zu behaupten, jeder der an Stuttgart gedacht hat ist ein oberflächlicher Mensch. Die Moral des Films ist nicht das Aufdecken deiner Oberflächlichkeit, denn dafür ist dieser Möchtegern – Test viel zu oberflächlich und unprofessionell. Die Aussage des Films ist, dass wir Menschen uns öfter darüber bewusst werden sollten, wie sehr unsere eigene Wahrnehmung, Beurteilung und Meinung von Dingen durch andere beeinflusst wird. Das ist sicherlich nicht immer verkehrt. Allerdings können wir selten bestimmen von wessen Meinung wir eigentlich gerade beeinflusst werden. Niemals können wir wissen oder nachprüfen, ob das Klischee oder Gerücht, welches wir meinen, mit unseren eigenen Augen bestätigt gesehen zu haben, wirklich der Wahrheit entspricht oder die Wahrheit auf dem Weg der tausend Weitererzählungen (oral oder multimedial) abhanden gekommen ist. Weiter können diese ursprünglichen Wahrheiten immer nur als subjektiv, niemals als objektiv betrachtet werden.Um das Thema wieder zurück auf die Stadt, genauer, auf die Stadt Stuttgart zu bringen, möchte ich sagen, dass ich im Zuge meines Projekts den Eindruck bekommen habe, dass die Stadt und das Image von Stuttgart, seit vielen Jahrzenten Opfer dieser, von der Öffentlichkeit bestimmten oberflächlichen Meinung ist. Dabei entsteht die öffentliche Meinung aus eben genau diesen sehr subjektiven und durch Weiterverbreitung stark überzeichneten Informationen.    Daher mein Appell: Beurteile Stuttgart erst, wenn du dir sicher sein kannst, dass deine Meinung aus nichts anderem ensteht, außer deiner eigenen Wahrnehmung. In diesem Sinne: „Denk gerne an Stuttgart, denke viel; die Stadt ehrlich zu lieben, das ist das Ziel!“


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Filmstills aus dem Animationsfilm „Denk nicht an Stuttgart“.


Über den Film „Denk nicht an Stuttgart“

Stuttgarts neues Image

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Für Stuttgarts neues Image braucht es natürlich auch ein neues Erscheinungsbild. Das neue Image – Shirt in Zitronengelb.


Ein neues Erscheinungsbild

Das neue Image – Shirt in Sonnenuntergangs – Gelb.

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Das neue Image – Shirt in weiß. P.S.: Wenn du Interesse an einem T – Shirt hast, schreib einfach eine E – Mail mit gewünschter Größe und Farbe an: jakob.mayer@stud.abk-stuttgart.de


neues Erscheinungsbild

Stuttgarts neues Image

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Die feierliche Verรถffentlichung des neuen Images von Stuttgart.


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Ein neues Erscheinungsbild

Stuttgarts neues Image

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Die zu sehenden Plakate sind alternative Entwürfe für das Animationsfilm – Ankündigungsplakat. Da ich alle hier zu sehenden Entwürfe gerne mag und es mir wirklich schwer fiel mich für eine Version zu entscheiden, sind die besten Entwürfe auf den Vorgänger- und Nachfolgeseiten zu sehen. Schließlich sind auch sie in der Lage Stuttgarts neues Image plakativ und gut verständlich darzustellen.


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Eine Illustration des neuen Images von Stuttgart, als monumentale Bildhauerei ausgestellt in einem Leuchtkasten.


Abschluss

Lieber Leser, an dieser Stelle ist das Buch inhaltlich am Ende angekommen. Ich möchte dies zur Gelegenheit nehmen, meine Gedanken am Ende dieses langen und intensiven Projekts mit einem Fazit abzuschließen. Zunächst einmal möchte ich sagen, dass die letzten zwei Semester sehr lehrreich für mich waren. Ich habe mit unserem Projekt: „Ein Problem in Stuttgart“ nicht nur einiges an Wissen in gestalterischen Fragen erlangt, sondern auch, und das ist denke ich das wertvollste Ergebnis, zur Stadt Stuttgart ein deutlich vertrauteres Verhältnis erlangt. Ich habe so viele Erfahrungen im Bezug auf die Menschen, die Geschichte, die Gegenwart und die Zukunft dieser Stadt gesammelt. Auch wenn mir Stuttgart schon vor diesem Jahr sehr ans Herz gewachsen war, ist es nun am Ende dieses Buches ein deutliches Gefühl von Vertrautheit und Loyalität gegenüber dieser Stadt.    Ein elementarer Teil dieses Projekts, ohne den das alles hier gar nicht möglich gewesen wäre, möchte ich nun noch einmal besonders hervorheben. Es sind all die Menschen, die in welcher Weise auch immer, einen Teil zum Inhalt dieses Buches beigetragen haben. Angefangen bei den 9 unglaublich netten und hilfsbereiten Mitgliedern des Heimatgeschichtlichen Arbeitskreises Zuffenhausen, denn der Besuch ihrer monatlich stattfindenden Sitzung im Rathaus von Zuffenhausen war nicht nur eine große Ehre, sondern auch ein verheißungsvoller Start in das Projekt. Nach anfänglich großer Nervosität, habe ich schnell gemerkt wie sehr ich im Kreis des Arbeitskreises willkommen bin und wie offen die 9 Mitglieder mir und meinen Fragen gegenüber waren. Denn ehrlich gesagt war es anfangs meine größte Sorge, dass die ich als junger Student, nicht aus Stuttgart, nicht einmal aus Baden – Württemberg kommend, mit meinen Fragen zum Image der Schwaben Argwohn oder Misstrauen auslösen könnte. Ich hätte diese Reaktion total nachvollziehen können. Heimat, Identität und Herkunft sind schließlich nicht ganz einfache Themen. Doch an dieser Stelle möchte ich meine Zuneigung für Schwaben explizieren. Ich bin begeistert von der Freundlichkeit, Redseligkeit, Offenheit, Entspanntheit und Besonnenheit der Menschen aus Stuttgart und Umgebung, die ich im Zuge dieses Projekts kennenlernen durfte. Außnahmslos gute Erfahrungen habe ich im Kontakt mit Leuten gehabt, die einen Beitrag zu diesem Buch beigesteuert haben. Natürlich kann man es kritisch sehen, alle Menschen über einen Kamm zu scheren und sollte von der vergleichbar kleinen Menge an Stuttgartern, die ich bis hierhin kennenlernen durfte, nicht auf die

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Allgemeinheit schließen, denn so entstehen, wie wir gelernt haben, Vorurteile und Klischees. Aber ganz ehrlich, wenn ich sage: „Stuttgarter/Schwaben sind freundliche, sehr humorvolle und auch selbstironische, bodenständige Menschen, die zufrieden und im Reinen mit sich selbst sind“ ist das ein Satz, der Stereotypen erschafft und meiner Meinung nach trotzdem der Wahrheit, beziehungsweise meiner Erfahrung und somit meiner subjektiven Wahrheit, entspricht.    Zu guter letzt möchte ich nochmal kurz auf das Image von Stuttgart im Bezug auf die Darstellung der Stadt nach außen zu sprechen kommen. Wenn mich im Zusammenhang mit diesem Projekt jemand fragen würde: „Was ist denn eigentlich dein konkreter Vorschlag, was würdest du ändern? Und wie würdest du vorgehen, wenn du wirklich in der Verantwortung stündest, das Image der Stadt zu gestalten und es in eine neue Richtung zu führen?“, dann würde ich so oder so ähnlich antworten: „Ich glaube für diese Stadt liegt der Beginn oder die Einleitung eines langwierigen Image – Wandlungsprozesses in einer radikalen, provokativen und nach Aufmerksamkeit schreienden Imagekampagne. Damit meine ich eine radikale Veränderung der Darstellung und Selbstwahrnehmung der Stadt von heute auf morgen. Die Beendigung des glattgebügelten, auf Wirtschaftskraft und Statussymbole ausgelegten, oberflächlichen Selbstverständnisses der Stadt, zu Gute eines dilettantisch naiiv angehauchten aber ehrlichen Umgangs mit den Stärken und Schwächen dieser Stadt. Was ich damit konkret meine kann ich mit folgenden Slogans zum Ausdruck bringen: „Stuttgart ist Hoch- und Subkultur, nicht Autoprotz und Bahnhofsschrott!“ oder noch konkreter: „Wagenhallen statt Hallen voller Wägen – mehr Subkultur, weniger Protz!“.    Mir ist sehr wohl klar, dass die wirtschaftliche Stärke Stuttgarts und vorallem die Tatsache, eine wichtige Autostadt zu sein, ein fester Bestandteil der Identität dieser Stadt ist. Ich denke aber es ist an der Zeit zu verstehen, dass diese Stadt, erstens, so viel mehr zu bieten hat und zweitens, die Zukunft der Automobilbranche, gerade in Zeiten der Corona – Krise, sehr ungewiss ist. Sich für immer auf die Strahlkraft der beiden großen Automobilhersteller zu verlassen wäre grob fahrlässig. Stuttgart kann und muss in der Zukunft neue Wege gehen und sich von innen nach außen anders verstehen.“    Der Animationsfilm und die Bilder und Plakate der vorherigen Seiten, können dabei als weitere, beispielhafte Verdeutlichungen meiner Idee, der neuen Wahrnehmung Stuttgarts dienen.


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Impressum: Schrift: Adelle Sans Ara Bilder: Sofern keine Quelle angegeben: © Jakob Mayer Ich danke allen Leuten, die bei der Umfrage mit gemacht haben, die sich für ein Interview bereit erklärt haben, meiner Familie, Robert Wenzel, Sophie Kraft, Gerwin Schmidt und allen die sich für mein Projekt interessiert haben. Danke!


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