tagein, tagaus – mit der U5 zum Killesberg

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tagein tagaus





Tagein, tagaus mit der U5 zum Killesberg

von Katja Schrรถpfer


2019

Vorwort

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2020

„Ein Problem in Stuttgart? Das Pendeln dorthin.“ So sah ich vor einem Jahr meinen einstündigen Pendelweg von Echterdingen zum Killesberg.   Ich bin einer der vielen Menschen, die in ihrem Alltag auf Bus und Bahn angewiesen sind und verbringe im Jahr mehr als 340 Stunden in den öffentlichen Verkehrsmitteln. In den vier Jahren meiner Pendlerkarriere habe ich schon so einiges in den Bussen und Bahnen Stuttgarts und Umgebung erlebt und habe im Oktober 2019 angefangen diese Eindrücke in Tagebüchern zu sammeln. Entstanden ist dieses Buch mit den für mich wichtigsten bzw. eindrücklichsten Erfahrungen und Geschichten von Oktober 2019 bis März 2020 in Form von Tagebucheinträgen, Interviews, Fotografien, Illustrationen und Essays über diverse Themen.


Körperkontakt

8

Gewissensfrage

9

767 Kalorien

22

Guten Morgen

23

Ruhe

36

Peinlich

36

Kinder

37

Maria

42

Tagein, tagaus

43

Lächeln

52

Produktiv sein

76

Beschäftigung

77

Empathie

85


Stammplatz

86

Gelauscht

87

Rassismus

97

Geht's noch?

98

Zivilcourage

102

Kontext 1868 —2017 Der öffentliche Verkehr in Stuttgart

4

Stuttgart ist ein Pendlermagnet

10

Ist Kaffee das ultimative Pendlergetränk?

24

13 Dinge, die das Pendlen zur Hölle machen von Joel Golby

44

Lächeln in der Bahn

54

Zeitmanagement für Pendler von Marc Frewert

72

Die Zukunft von gestern

106

Fragen an zwei Fahrer der SSB

116

Radikale Ideen für die Zukunft von Habip Karadag

122

Mit Interviews und Kommentaren von Habip [S.20], Manuel [S.23], Benny [S.30], Heike [S.39], Florian [S.40], Ariane [S.42], Laurence [S.42], Stephanie [S.42], Ullie [S.42], Stephan [S.52], Aline [S.62], Rico [S.70], Peter [S.82], Alex [S.92], Yara [S.94], Daniel [S.104].


2019

08:52 —Stetten (F) Weidach

09:47 —Killesberg

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Kontext

2019

OKT

1868 —2017

1868

1922

1934

Nahverkehr in Stuttgart beginnt 1868 mit einer Pferdebahn. Die Stuttgarter Straßenbahnen AG entsteht 1889 durch den Zusammenschluss von zwei Pferdebahn-Gesellschaften. Doch schon sechs Jahre später werden die Rösser ausgespannt und durch Elektrizität ersetzt.

Der neue Hauptbahnhof wird eröffnet. Vorbei ist es mit dem Dampfbetrieb der Filderbahn.

Die SSB übernimmt Anteile der Kraftverkehr Württemberg AG (KVG). Die SSB erwirbt die Filderbahn und die Städtische Straßenbahn Feuerbach. Das Busnetz hat eine Länge von 82,5 Kilometer und befördert mit 32 Bussen und einem Anhänger 2,6 Millionen Gäste.

1895 Am 27. September wird die erste elektrische Strecke Berg-Charlottenplatz eröffnet. Es folgen weitere Strecken zwischen Schlossplatz bis Paulinenberg und Schlossplatz bis Marienplatz. Am Marienplatz wird ein doppelgeschossiger Betriebshof mit Drehscheibe eröffnet.

1900 Stuttgart hat jetzt 176.699 Einwohner. Es werden weitere Strecken eröffnet, (z.B. die Bopserlinie oder die Wilhelmalinie). 14 Millionen Fahrgäste werden befördert.

1904 Auf der Zahnradbahn wird sowohl elektrisch als auch mit Dampf gefahren.

1905 Fertigstellung des neuen Stuttgarter Rathauses am Marktplatz. Aus der „Filderbahn-Gesellschaft“ wird die Württembergische Nebenbahnen AG, Stuttgart.

1910 Mit 9,5 Prozent Steigung geht an der Werfmershalde die steilste Straßenbahnstrecke der SSB in Betrieb, sie wird bis 1972 befahren. Eine neue Polizeivorschrift regelt, dass das Ein- und Aussteigen auf der linken Seite (mit Ausnahme am Schlossplatz und an der Wartehalle Alter Postplatz) und das Ein- und Aussteigen während der Fahrt verboten ist.

4

1924 Das noch heute gültige Farbschema mit gelb, schwarz, weiß löst die blau-elfenbeinfarbene Fahrzeuglackierung ab. Am Pragsattel wird der Betriebshof „Pragwirtshaus“ errichtet und der Stuttgarter Rundfunksender beginnt zu senden. Zwischen dem Bahnpostamt am Rosenstein und verschiedenen Postämtern in der Stadt befördert die SSB jetzt Pakete. Wegen der wirtschaftlichen Stabilisierung beginnt bei der SSB eine Ausbauphase, die bis 1930 andauern soll und die als die dynamischste in der Geschichte der SSB bezeichnet wird. In diesem Zeitraum werden fast alle vor 1908 gebauten Fahrzeuge ersetzt.

1939 Am 22. April wird die Reichsgarten-schau eröffnet, dazu geht die Strecke Weißenhof bis Reichsgartenschau in Betrieb. Zum ersten Mal fahren 24 Wagen in Stahlbauweise, die sogenannten "Gartenschauwagen" und ein Aussichtswagen, der "Gläserne Stuttgarter". Das Straßenbahner Waldheim zieht vom Killesberg nach Degerloch um. Der Zweite Weltkrieg bricht aus. 1940 kommt es kriegsbedingt zu ersten Rohstoffrationierungen.

1925

1938

SSB, Stadt Stuttgart und Daimler-Benz AG gründen die „Stuttgarter Kraftwagenlinien-Gesellschaft mbH“ (SKG). In der Ulmer Straße wird eine Garage des Artillerie-Warenhauses angemietet. Arbeit erfordert Entspannung: Straßenbahner gründen einen Verein, damit sie auf dem Killesberg ein Straßenbahner Waldheim als Erholungsstätte bauen und finanzieren können. Die Hauptverwaltung der SSB zieht vom Marienplatz in die Friedrichstraße.

10. November "Reichskristallnacht" – Stuttgarter und Cannstatter Synagogen brennen. In Echterdingen wird der Stuttgarter Flughafen ausgebaut. Die SSB pachtet von der Stadt in Wangen ein Gelände als Gleislagerplatz, welches heute

1927 Der „Autoverkehrsverband Stuttgart GmbH“ (AVS) entsteht. Die Betriebsführung übernimmt die SSB. In Stuttgart entsteht die Weißenhofsiedlung.

1929 Das Jahr des Börsenkrachs - in den folgenden Jahren kommt es dann zur Wirtschaftskrise. Die ersten Straßenbahnwagen bekommen Polstersitze. Zum Waldfriedhof fährt man jetzt eine 536 Meter lange Seilbahn und mit einem Höhenunterschied von 87 Meter mit einer Steigung von 27 Prozent. Die Wagenhalle Cannstatt wird gebaut.

1941 Für Straßenbahnwagen gelten Verdunkelungsvorschriften. Der Straßenbahnbetrieb und Omnibusverkehr ist stark eingeschränkt. Die Personallage verschärft sich, nachdem Mitarbeiter zum Kriegsdienst eingezogen werden. Daher werden Frauen als "Schaffnermaiden" dienstverpflichtet. Auch Rentner werden wieder eingestellt.

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2020

Bevor ich über all die Erlebnisse meiner Pendelzeit berichten werde – hier eine kurze Übersicht zum Verkehrsverbund in Stuttgart und der SSB, die es mir überhaupt möglich machen hier in der Gegend hin und herzufahren. Der Verkehrs- und Tarifverbund Stuttgart GmbH (VVS) koordiniert den öffentlichen Personennahverkehr in der Landeshauptstadt sowie in den angrenzenden Landkreisen Böblingen, Esslingen, Ludwigsburg, Rems-Murr, Teilen von Göppingen und des Ostalbkreises. Die Aufgabe des VVS ist es für einheitliche Beförderungsbedingungen und einen abgestimmten Fahrplan zu sorgen. Eingeführt wurde der VVS-Gemeinschaftstarif im Zuge der Ablösung des Stuttgarter Vorortverkehrs am 1. Oktober 1978 durch die S-Bahn Stuttgart. Das war zunächst eine Tarifgemeinschaft zwischen der Deutschen Bundesbahn, der Deutschen Bundespost und fast allen Verkehrsmittel der Stuttgarter Straßenbahnen.   Der Nahverkehr in Stuttgart beginnt schon 1868 mit einer Pferdebahn. Die Stuttgarter Straßenbahn AG entsteht 1889 durch den Zusammenschkuss zweier Pferdebahn-Gesellschaften. Am 1. Juli 1982 wurde dann der VVS-Übergangstarif eingeführt, wodurch die Fahrgäste mit Monatskarte nicht nur die Verkehrsmittel der DB und SSB nutzen, sondern auch die Busse und Bahnen von rund 40 privaten Verkehrsunternehmen. Dieser Übergangstarif wurde 1993 abgeschafft und der Gemeinschaftstarif auf das gesamte Gebiet der vier Stuttgarter Umlandkreise ausgedehnt. Mit der Regionalisierung des Schienenpersonennahverkehrs wurde die Verbundgesellschaft am 1. Januar 1996 vom Unternehmens- zum Mischverbund. Durch die Tarifreform im April 2019 wurden die 52 alten Tarifzonen durch acht neue Tarifzonen ersetzt.

1944

1949

1976

2010

Eröffnung des Obus-Betriebs zwischen Obertürkheim und Oberesslingen mit 10 Bussen und vier Anhängern. Der Straßenbahnbetrieb wird dort stillgelegt. Schwere Fliegerangriffe verursachen erhebliche Schäden an Bahnanlagen, Fahrzeugen und Gebäuden. Die Gleisbauwerkstätte in Berg, die Hauptwerkstatt in Ostheim und die Wagenhalle Vogelsang werden völlig vernichtet. Von 852 Fahrzeugen werden 553 zerstört.

Der 1944 zerstörte Zahnradbahnhof am Marienplatz ist wieder aufgebaut. Am 24. Oktober wird als letzte kriegsbedingt stillgelegte Straßenbahn. strecke die Linie 3 wieder in Betrieb genommen. Der Güterverkehr (Gemüsetransport) wird eingestellt.

Im April fährt der letzte Zug der Linie 10 zum Killesberg und am Hauptbahnhof fahren die Straßenbahnen unterirdisch.Die SSB befördert mit 265 Bussen 31 Millionen Fahrgäste.

Dieselhybridbusse gehen erstmals auf Linie. Der Fasanenhof erhält seinen Schienenanschluss, 50 Jahre nach der entsprechenden Zusage. Der bewährte Bustyp O 405 verabschiedet sich bei der SSB nach 25 Jahren. Größte Reform des Liniennetzes seit Jahrzehnten.

1945 Fünf Millionen Kubikmeter Trümmer in Stuttgart. 58 Prozent des Gebäudebestands der Stadt sind Schutt und Asche. ändig eingestellt. Französische Truppen besetzen Stuttgart Im Juli beginnt die amerikanische Militärregierung. Sämtliche Neckarbrücken sind durch Zerstörung unbenutzbar und viele andere sind unterbrochen.

1946 Die SSB konzentriert sich darauf, auf vielen Linien den Verkehr wieder aufzunehmen, so z.B. in Cannstatt (Linie 13), Liederhalle —Bopser (Linie 7), Nordbahnhofstraße (Linie 5), Kunstakademie —Kochenhof (Linie 10), die Linien 2 und 21. Über den Neckar wird eine Behelfsbrücke gebaut. Die SSB beschafft 15 Triebwagen (sogenannte Kriegsstraßenbahnwagen) vom Hersteller Fuchs in Heidelberg, zwei Jahre später folgen acht weitere Wagen.

1955

1985

Stuttgart hat 600.000 Einwohner, nach einer Stagnation steigen die Beförderungszahlen auf 193 Millionen. Am Hauptbahnhof geht der Zentrale Omnibusbahnhof (ZOB) in Betrieb. Die SSB bestellt 50 Busse (O 320 H), die bis 1957 geliefert werden.

Erstmals steigen die Fahrgastzahlen seit langem um sechs Prozent auf 135 Millionen. Der erste serienmäßige Stadtbahnwagen DT 8 wird der SSB übergeben. Am 28. September startet der Stadtbahnbetrieb auf der Linie U3. Der Ausverkauf der GT 4 beginnt: die ersten Straßenbahnwagen gehen nach Freiburg und Ulm. In Sindelfingen schließt die Bushalle.

1960 — 61

1989

Die SSB setzt 1960 auf der Linie 6 erstmals einen schaffnerlosen Beiwagen ein. 1961 wird auf den Fahrzeugen UKW-Funk eingesetzt. In Berlin wird die Mauer gebaut. Die SSB schickt zwei Busse nach Westberlin. Die ersten 72 Ausländer werden bei der SSB beschäftigt.

Die Berliner Mauer ist gefallen: Zwei Busse und vier Fahrern unterstützen vier Wochen lang die Berliner Verkehrsgesellschaft. In Gerlingen öffnet das Straßenbahn- Museum seine Pforten. An SSB-Automaten können Kunden jetzt mit Kreditkarten bezahlen. Wer nach 20 Uhr von einer Haltestelle nach Hause gefahren werden möchte, kann sich beim Fahrer von Stadtund Straßenbahnen ein Taxi bestellen. „Taxi-Ruf“ heißt der Service. Auch der Bus braucht seinen eigenen Fahrweg: 50 Busfahrstreifen, über 8 Kilometer lang, stehen zur Verfügung.

1962 Es beginnen die Bauarbeiten für die erste Baustufe des U-Straßenbahnnetzes. Der erste Bauabschnitt umfasst die Strecke Holzstraße — Neckarstraße — Leonhardsplatz- Schillerstraße. Die legendäre Linie 3 zwischen Marienplatz und Schlossstraße wird aufgelassen. Studenten werden wegen Personalnot als Aushilfsschaffner eingestellt.

1970 An der Heidenklinge in Heslach geht der letzte Neubau für ein Straßenbahndepot in Betrieb. Dafür wird der Betriebshof Südheim geschlossen. Bei allen Straßenbahnfahrern können nun Fahrscheine gekauft werden. Für das mit 38 Millionen DM bis dahin größte Bauobjekt der SSB, der Hauptwerkstatt, wird Richtfest gefeiert. Als neuer Geschäftszweig wird das Touristikunternehmen SSB-Reisen gegründet.

1993 Mit der im April eröffneten U7 kommen Tausende von Gästen auf den Killesberg zur Internationalen Gartenbauaustellung. Die S-Bahn zum Flughafen und das P&R-Parkhaus in Degerloch werden eröffnet. Elektronische Anzeigetafeln an Haltestellen zeigen an , wann die nächste Bahn kommt. Zur Leichtathletik-WM fährt erstmals die U11 und die U6 bis Gerlingen.

2013 Vorläufig: Besucher dürfen nicht mehr auf den Fernsehturm. Zukünftig: Fritz Kuhn wünscht 20 Prozent weniger Autos in der Stadt. Zünftig: Nach 44 Jahren wieder Gleise zum Hallschlag dank der U12. Die Region beschließt ein Schienenpaket für die Filder mit zwei Stadtbahnstrecken und beauftragt die SSB mit dem Bau der Eisenbahnstrecke nach Neuhausen.

2014 Stuttgart hat 600.000 Einwohner, nach einer Erneut gehen Wasserstoffbusse bei der SSB auf Linie, diesmal als Dauereinrichtung. Schon ein Dutzend Dieselhybridbusse hat sich unter den Bestand gemischt. Beginn des Gleisbaus für die Stadtbahnstrecke nach Dürrlewang.

2015 —2017 Buslinie 92: Die SSB geht unter die FahrradAnhänger. Drei Tage im Sommer: Kirchentag, Freiluftkonzert und Großdemo verdoppeln mal kurz die Fahrgastzahlen. Stolze Spanierin: Historische neue Lok Santa Maria auf dem Killesberg. Die U 12 erreicht Dürrlewang, der neue Stadtbahntunnel unter der Heilbronner Straße löst den alten ab, die letzte SSB-Haltestelle wird barrierefrei. Deutschstunde: „Polygo“ heißt der neue Begriff für die Stuttgarter: die neue Mobilitätskarte der SSB. Der zweite neue Begriff lautet: „Feinstaubalarm“.

1994 Stuttgart wird Musicalstadt: "Miss Saigon" hat Premiere. Die Planungen für das Städtebauprojekt „Stuttgart 21“ werden vorgestellt. Die „Zacke“ fährt zum ersten Mal zur neuen Endhaltestelle Degerloch: Verlängerung der einzigen Nahverkehrs-Zahnradbahn.

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2019

17/10/19

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Körperkontakt

Wo sonst hat man so viel Körperkontakt mit Menschen als in einer überfüllten Bahn oder im Bus? Vermutlich im Club oder einer Bar. Aber selbst dort kommt man den Mitmenschen nicht zu nah, wenn man es nicht will. In der Bahn ist das anders. Wie etwa heute morgen. Ich kam mit dem Bus in Leinfelden mit krasser Verspätung an. Ich hatte noch genug Zeit um zur U-Bahn zu sprinten, dachte ich, und hab versucht mich damit zu beruhigen. Doch zu früh gefreut. Als ich nämlich aussteige sehe ich, wie gerade eine S-Bahn einfährt beladen mit einer Masse an Menschen, die wie ich ganz entspannt U-Bahn fahren wollen. Aber es ist alles andere als entspannt wenn sich alle diese Menschen wie Fische in eine kleine Sardinendose quetschen müssen. Mein Schritt beschleunigte sich und ich hoffte durch Glück noch irgendwo einen Platz zu erwischen. Ich lief schnell durch die Unterführung, die Treppen hinauf und suchte von außen nach einem Platz, der noch frei war. Gegenüber von mir, auf der anderen Seite des Bahnsteigs, stand eine Frau. Für einen kleinen Moment standen wir da wie in einem Western. Einem modernen Großstadt Western, in dem es um den allerletzten Sitz in der freien Bahn geht. Sobald einer sich bewegt läuft die Zeit und man tritt gegeneinander an. Auf der Suche nach dem einen lebensrettenden Sitzplatz. Ganz genau so war es natürlich nicht. Es gab nämlich keine freien Sitze mehr. Die Person vor mir kannte ich auch nicht und wir waren auch nicht in einem Western. Schade eigentlich, das hätte die ganze Sache ein wenig spannender gemacht. Ich steuerte also auf den nächstbesten Eingang zu und stellte mich in den Türbereich der U-Bahn wo sichschon eine Traube von Menschen angesammelt hat.

Um das ganze zu verbildlichen: Man kann sich die Situation ein bisschen wie Tetris vorstellen, nur dass die Leute nicht einfach verschwinden, wenn sich eine Reihe gebildet hat. Es wir immer ein bisschen enger und wehe da entsteht eine Lücke in die du nicht rein rutschst oder reinrutschen kannst. Wann hat man das Spiel verloren? Wenn du draußen stehst und nicht mehr rein kommst oder drinnen stehst und Angst hast nicht mehr raus zu kommen. Ist mir beides schon passiert. Aber – Übung macht den Meister und ich kenne mich mittlerweile mit den Spielregeln aus. Das heißt, dass ich weiß um wie viel Uhr am wenigsten oder wann am meisten los ist und ich weiß wann ich ankommen muss um noch sicher an meinen Stammplatz zu kommen. Heute musste ich kapitulieren und stehen bleiben. Das ist in der U-Bahn meist nicht so schlimm, weil viele mit der Zeit aussteigen und die wenigsten bis zum Killesberg fahren. Aber dennoch ist es immer besser von Anfang an einen Sitz zu haben. Am besten ganz hinten rechts am Fenster. Da ist man nämlich am besten Geschützt vor Rucksäcken, die einen erschlagen wollen, Ellenbogen, die einen erstechen können oder merkwürdigen Momenten, wenn die eigene Hand, die Hand eines Fremden berührt.

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29/10/19

MÄR

2020

Gewissensfrage

Ich bin öfter mal zu spät dran, wenn ich mich auf dem Weg zur U-Bahn mache. Sei es wegen schlechter Verbindungen oder Verspätungen. Oft kam es schon dazu, dass Menschen noch schnell den Türöffner betätigen damit ich noch in die U-Bahn reinrutschen kann. Letzendlich haben mir solche kleinen Gesten schon den ein oder anderen Tag gerettet. Oft genug rannte ich aber auch schon zur Bahn ohne Glück zu haben. Heute war wieder so ein Tag. Ich kam zu spät an der Station an, was ganz allein mein Fehler war, weil ich verschlafen hatte. Ich rannte also zur Bahn in der Hoffnung, dass irgendwer noch die Tür aufmacht um mir 10 Sekunden Zeit zu schenken. Die Bahn fuhr weg und als ich auf die nächste Bahn gewartet hatte, hatte ich mir überlegt: Ist es nicht einerseits total unfair, für alle die pünktlich an der Bahn sind, eine Tür aufzuhalten nur damit jene die zu spät sind noch mitfahren können? Dadurch verzögert sich die Fahrt für alle. Andererseits sind es nicht solche Gesten, die in unser immer schnelleren und "kälter" werdenden Gesellschaft wichtig sind?

Hältst du anderen Menschen die Türe auf oder drückst du auf den Türöffner damit andere noch die Bahn oder den Zug erwischen können oder sind die Leute deiner Meinung nach selbst schuld, wenn sie zu spät kommen?

Ein Kommentar von Dr. Dr. Rainer Erlinger, SZ-Magazin.

„Man kann versuchen, diese Art spontaner Hilfsbereitschaft mit den klassischen Werkzeugen der Ethik zu untersuchen: Nach Kant etwa müsste man prüfen, was geschieht, wenn das Aufhalten zum allgemeinen Gesetz würde: Einerseits wäre kein Heraneilender mehr enttäuscht; andererseits könnte im Extremfall, falls an der Haltestelle nach und nach weitere Fahrgäste eintreffen, der Zug nie abfahren. Jedenfalls würden alle Fahrpläne Makulatur. Eine Berechnung von Nutzen und Schaden im Sinne des Utilitarismus wird schwierig: addiert man die zusätzliche Wartezeit der einzelnen Fahrgäste, kommt womöglich weit mehr zusammen, als der Zurückgebliebene warten muss. Andererseits belasten jeden Einzelnen 10 oder 20 Sekunden Verzögerung der Abfahrt weniger als den einen 10 oder 20 Minuten bis zur nächsten Bahn.   Ein bisschen erinnern mich die Türaufhalter an einen Bankangestellten, der – um die Not in der Welt zu bekämpfen – nicht nur selbst spendet, sondern auch von den Konten der Kunden Geld überweist: Schließlich verdonnern die freundlichen Helfer in der S-Bahn die anderen Fahrgäste ungefragt zum Warten. Aus Sicht der Moral scheint also tatsächlich mehr gegen als für das Türenblockieren zu sprechen. Aber Ihr Einwand der kälter werdenden Gesellschaft lässt mich zögern: In der Tat halte ich die kommunikativen Aspekte von Handlungen, also die Botschaft, die von ihnen ausgeht, für sehr wichtig. Freundliches wie unfreundliches Verhalten ist ansteckend, pflanzt sich fort. Dem Herankeuchenden durch die sich schließende Tür den kategorischen Imperativ vorzuhalten taugt nicht gerade als Werbung für Moral und Hilfsbereitschaft – anders als die freundliche Geste des Aufhaltens. Deshalb erachte ich gegen alle Bedenken das Aufhalten der Tür vielleicht nicht in der Regel, aber doch in Einzelfällen als moralisch vertretbar.“

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Kontext

2019

Stuttgart ist ein Pendlermagnet

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2020

In Baden-Württemberg pendeln immer mehr Menschen zwischen Wohnort und Arbeitsplatz. Nach Angaben des Statistischen Landesamtes nahm die Zahl der Pendler im Südwesten zwischen 2015 und 2017 erneut deutlich zu. „Dies dürfte vor allem auf die gute Konjunkturentwicklung und die damit einhergehende Beschäftigungszunahme zurückzuführen sein“, vermutete die Behörde. Nach den neusten Zahlen stieg die Pendleranzahl um 5,2 % oder rund 165.700 Pendler auf fast 3,4 Millionen.   In ihrem eigenen Wohnort arbeiteten hingegen rund 2,3 Millionen Menschen, das sind 0,5 % oder 12.600 Menschen mehr als bei der letzten Zählung 2016. Zehntausende pro Jahr überqueren durch ihren Arbeitsweg auch Grenzen ins Ausland. Laut einer europäischen Statistik gab es mit 78.300 Pendlern in Baden-Württemberg im bundesweiten Vergleich den größten Pendlerstrom ins Ausland.

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Kontext

2019

Morgens in aller Frühe auf die Autobahn oder in den Zug, abends erst spät wieder zuhause ankommen – für Millionen Bundesbürgerinnen und Bundesbürger gehört Pendeln zum Alltag. Allen Bundesländern gemeinsam ist, dass die jeweils häufigste einfache Pendeldistanz unter 10 km liegt und das Auto, außer in den Stadtstaaten Berlin und Hamburg mit ihrem gut ausgebauten Netz an öffentlichen Verkehrsmitteln, das mit Abstand bevorzugte Verkehrsmittel für den Weg zur Arbeit ist. Deutschland erlebt derzeit einen Beschäftigungsboom. Das bedeutet auch, dass tagtäglich immer mehr Menschen von ihrer Wohnung zum Arbeitsplatz pendeln müssen. Der Berufsverkehr ist nach dem Freizeitverkehr der zweitwichtigste Verkehrszweck im Personenverkehr.1 Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) errechnete, dass ein Fünftel der rund 1.276 Mrd.2 Personenkilometer (Pkm), die in Deutschland 2016 zurückgelegt wurden, auf das Konto der täglichen Wege von und zur Arbeit gingen. Während der Berufsverkehr in Deutschland gegenüber 2008 um 13 % auf nun jährlich 239 Mrd. Pkm zugenommen hat, verzeichnete der gesamte Personenverkehr im genannten Zeitraum nur eine Zunahme um 8 % 3.   Ist die Mobilitätsbereitschaft der Erwerbstätigen infolge der Veränderungen am Arbeitsmarkt gewachsen und hat der Zeitaufwand für den täglichen Weg zur Arbeit durch das größere Verkehrsaufkommen und der damit verbundenen Belastung der Verkehrsinfrastruktur zwischen 2008 und 2016 zugenommen? Haben die merklich gestiegenen Preise für Sprit bzw. ein größeres Umweltbewusstsein bei den Berufspendlerinnen und -pendlern gar eine Verlagerung von motorisiertem Individualverkehr auf günstigere und/oder ökologischere Verkehrsmittel bewirkt? Nicht zuletzt aufgrund der Untersuchungen über negative gesundheitliche Auswirkungen der täglichen Pendelmobilität4 und der Debatte über Maßnahmen gegen den Klimawandel sind diese Fragen von hoher Aktualität. Antworten liefern die Ergebnisse eines Zusatzprogramms zum Mikrozensus über das Verkehrsverhalten der Pendlerinnen und Pendler in Deutschland, das alle 4 Jahre erhoben wird, zuletzt für das Jahr 2016. Die seit 2008 gestiegene Beschäftigung ist nicht mit höheren Pendeldistanzen einhergegangen. Die Anteile der Pendlerinnen und Pendler nach Entfernungsklassen blieben nahezu unverändert. Für gut die Hälfte der Erwerbstätigen in Deutschland lag 2016 die Arbeit in einem Umkreis von 10 km zu ihrer Wohnung. 30 % hatten täglich 10 km bis 25 km in eine Richtung zu pendeln und fast jeder Fünfte musste täglich einen mehr als 25 km langen Weg zur Arbeit zurücklegen. Darunter waren 5 % Fernpendlerinnen und Fernpendler mit einer einfachen Wegstrecke von mindestens 50 km. Die Entfernungsklassen sind in allen Bundesländern in dieser Reihenfolge besetzt, das heißt am häufigsten ist der Arbeitsweg kürzer als 10 km und am seltensten 50 km und länger. In den östlichen Flächenländern haben Pendlerinnen und Pendler im Durchschnitt häufiger lange Arbeitswege als in den westlichen Ländern. Zwar liegt der Anteil der Pendler mit Arbeitswegen unter 10 km im Osten etwas höher als im Westen, der Anteil der Pendler über 10 km — 25 km ist dort im Durchschnitt jedoch niedriger, der Anteil der Pendler über 25 km dagegen höher als in den westlichen Bundesländern.   Trotz nahezu unveränderter Distanzstrukturen hat sich der Zeitaufwand für den täglichen Arbeitsweg etwas erhöht. 2016 benötigten gut 72 % der Erwerbstätigen in Deutschland weniger als 30 Minuten auf ihrem Weg zur Arbeit. 2008 waren es noch 4 Prozentpunkte mehr. In allen Bundesländern brauchten die meisten Berufspendlerinnen und -pendler von 10 bis unter 30 Minuten für den Hinweg zur Arbeit. Im Bundesdurchschnitt waren es 49 % . Gleichauf mit 23 % lagen die Berufspendlerinnen und -pendler, die in weniger als 10 Minuten am Arbeitsplatz sind und für die der Weg zur Arbeit zwischen einer halben und einer Stunde dauert. Für nur 5 % sind es 60 Minuten und mehr.

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OKT

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Nur marginale Veränderungen bei der Entfernung

Häufig kurze Arbeitswege, aber länger unterwegs


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Modal Split im Pendlerverkehr

Immer mehr Frauen steigen auf das Auto um

2020

Während sich der Anteil der Fernpendlerinnen und -pendler gegenüber 2008 kaum erhöht hat, stieg der Anteil der Erwerbstätigen mit Wegzeiten von 30 bis unter 60 Minuten gegenüber 2008 um mehr als 3 Prozentpunkte an. Im Gegenzug ist seit 2008 der Anteil der Personen mit Pendelzeiten unter 10 Minuten von 27 % auf 23 % im Jahr 2016 gesunken. Dies könnte die Folge stärker belasteter Verkehrswege, aber auch die Folge eines Umstiegs auf ein anderes Verkehrsmittel sein. Nicht ausgeschlossen ist allerdings auch die Möglichkeit, dass sich die Pendelzeiten aufgrund von Verschiebungen innerhalb der Distanzklassen erhöht haben; zum Beispiel, dass sich in der Klasse über 25 km bis 50 km heute mehr Pendler mit einer Pendeldistanz von 40 km und mehr befinden.   Das Pendeln zwischen Wohn- und Arbeitsort5 kann mit dem Pkw , der Bahn, dem öffentlichen Nahverkehr, zu Fuß oder auch mit dem Fahrrad erfolgen. Auch eine Kombination von verschiedenen Verkehrsmitteln, wie beim klassischen „Park and Ride“, ist möglich. Die Wahl des jeweiligen Verkehrsmittels bzw. einer entsprechenden Kombination hängt von drei Faktoren ab. Einerseits von der verfügbaren Infrastruktur und damit der Qualität der Anbindung, zum anderen von den Kosten, aber auch von den persönlichen Präferenzen der Pendlerinnen und Pendler. Dabei kann davon ausgegangen werden, dass der Arbeitsort möglichst zeit- und kostensparend, aber auch bequem erreicht wird6. Auch bei der Verkehrsmittelwahl kam es in den betrachteten 8 Jahren nur zu marginalen Veränderungen. Ein Trend weg vom motorisierten Individualverkehr und hin zu umweltfreundlicheren Alternativen lässt sich im Pendlerverkehr nicht beobachten. Ganz im Gegenteil: Allen Appellen zum Umstieg auf die öffentlichen Verkehrsmittel zum Trotz blieb das Auto mit deutlichem Abstand das mit Abstand bevorzugte Verkehrsmittel für den Weg zur Arbeit. Im Jahr 2016 nutzten 68 % der Erwerbstätigen in Deutschland einen Pkw für den Weg zur Arbeitsstätte, 3 % davon als Mitfahrer. Nur 14 % gaben Bus oder Bahn den Vorzug, 9 % der Erwerbstätigen nahmen das Rad und 8 % gingen zu Fuß. Gut 1 % nutzten Krafträder oder andere Verkehrsmittel.   Deutliche Unterschiede zeigen sich bei der Verkehrsmittelwahl von Berufspendlerinnen und Berufspendlern. Sieben von zehn Männern nutzten im Jahr 2016 das Auto. Von den Frauen steuerten nur knapp zwei Drittel die Arbeitsstätte mit dem Pkw an. Allerdings hat sich der Unterschied zwischen den Geschlechtern im Laufe der Zeit etwas verringert. Während bei Männern der Anteil der Selbstfahrer gegenüber 2008 in etwa gleich geblieben ist, steigen immer mehr Frauen in den Pkw (2008: 59 % , 2016: 64 % ). Im Gegenzug reduzierten sich im Zeitvergleich die Unterschiede bei der Nutzung der übrigen Verkehrsmittel. Frauen nutzten allerdings noch immer häufiger als Männer den öffentlichen Nahverkehr (Frauen: 16 % , Männer: 12 % ), schwangen sich auf das Fahrrad oder waren zu Fuß unterwegs. Dabei ist zu berücksichtigen, dass Frauen insgesamt geringere Entfernungen zur Arbeitsstätte zurücklegen. So wohnten im Bundesdurchschnitt 56 % der Frauen im Jahr 2016 im Umkreis von 10 km um die Arbeitsstätte, bei den Männern traf das nur auf 47 % zu. Vermutlich weil Frauen einen wohnortnahen Arbeitsplatz bevorzugen, da sie häufiger als Männer teilzeit- oder geringfügig beschäftigt sind und als berufstätige Ehefrauen und Mütter meist weitere Aufgaben zu bewältigen haben, die sich besser mit einer Arbeitstätigkeit in Wohnortnähe vereinbaren lassen. Aber auch ein mangelnder Pkw-Besitz könnte ausschlaggebend für die Wahl eines wohnortnahen Arbeitsplatzes sein. In Baden-Württemberg lebten 2016 zwei Drittel der Frauen in einem Umkreis von 10 km zum Arbeitsplatz. Sechs von zehn Frauen nutzten für den Arbeitsweg das Auto.

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Die regionale Infrastruktur sowohl an Arbeitsplätzen als auch an Verkehrsmitteln und Unterschiedliches Verkehrswegen dürfte für das Pendelverhalten7 ausschlaggebender sein als die zeitlichen Pendelverhalten in den Faktoren. So lagen 2016 in den Stadtstaaten Berlin und Hamburg beispielsweise die Anteile Bundesländern von Erwerbstätigen mit Wegen von unter 10 km über dem Bundesdurchschnitt, aber es sind mit 10 % bzw. 12 % deutlich unterdurchschnittliche Anteile von Erwerbstätigen mit Wegzeiten unter 10 Minuten zu beobachten. Eine erhebliche Sogwirkung des großen Arbeitsplatzangebotes einer Großstadt wie Berlin strahlt auch auf das benachbarte Brandenburg aus; von den dort lebenden Erwerbstätigen wechselten 25 % täglich das Bundesland (Bundesdurchschnitt 6 % ). So hatte ein knappes Drittel (31 %) von ihnen einen täglichen Arbeitsweg von mindestens 25 km pro Wegstrecke. Entsprechend benötigten Brandenburger mit einem Anteil von fast 39 % häufiger als Erwerbstätige aus anderen Ländern eine halbe Stunde und länger für den Weg zur Arbeit. Im Bundesdurchschnitt traf dies nur auf gut ein gutes Viertel (28 % ) zu, und von den baden-württembergischen Erwerbstätigen mussten nur 23 % mindestens eine halbe Stunde pendeln, obwohl sie in einem recht großen Flächenland leben. Hier sind die Arbeitsplätze nicht auf einen Standort konzentriert, sondern auf mehrere Zentren wie Stuttgart, Mannheim, Karlsruhe, Freiburg oder Ulm über das Land verteilt.   Auch bei der Verkehrsmittelwahl werden Unterschiede deutlich: In den Stadtstaaten Berlin und Hamburg mit ihrem gut ausgebauten Netz an öffentlichen Verkehrsmitteln nutzten 2016 immerhin 43 % beziehungsweise 41 % der Pendlerinnen und Pendler diese Möglichkeit. Umgekehrt fuhren vier von fünf saarländischen Erwerbstätigen mit dem Auto zur Arbeit. Besonders fahrradbegeistert sind die Bremerinnen und Bremer, von denen 20 % dieses Verkehrsmittel für den Arbeitsweg wählten, während man in Thüringen im Vergleich der Bundesländer am häufigsten zu Fuß ging. 12 % der Erwerbstätigen legten dort auf diese umweltschonende Art ihren Weg zum Arbeitsplatz zurück. Allerdings war auch für über die Hälfte der Erwerbstätigen in Thüringen der Weg zur Arbeit kürzer als 10 km. Bei den kurzen Arbeitswegen führt Sachsen mit einem Anteil von 56 % vor Thüringen (55 % ) und BadenWürttemberg (54 % ). Im Südwesten waren trotz der kurzen Arbeitswege hingegen keine höheren Anteile von Fußgängern und Radfahrern unter den Pendlerm und Pendlerinnen zu beobachten. Vielmehr entspracht der Landeswert hier, wie auch bei der Pkw-Nutzung, in etwa dem Bundesdurchschnitt. Im Land gibt es dadurch ein weit verstricktes Pendlernetz mit über hunderttausend Verbindungen: Aus der Vogelperspektive betrachtet, muss Baden-Württemberg während des Berufsverkehrs wie ein geschäftiger Ameisenhaufen wirken. Dabei verteilen sich die Pendler in Baden-Württemberg auf 139.200 verschiedene Pendlerströme bzw. Wohnort-ArbeitsortKombinationen. Fast zwei Drittel dieser Wohnort-Arbeitsort-Kombinationen sind dabei allerdings mit weniger als fünf Pendlern besetzt. Diese Vielzahl an kleinen Pendlerströmen umfasst nur 4,5 % des gesamten Pendleraufkommens. Dagegen konzentrieren sich 41 % des Pendleraufkommens auf die 1.200 größten Pendlerströme mit jeweils 500 und mehr Pendlern. Wie viele Personen ein Pendlerstrom zählt, hängt von der Größe und Attraktivität des Arbeitsortes ab. Auch die Größe des Wohnorts und seine Entfernung vom Arbeitsort spielen eine Rolle [Abb. 1, S. 23].   In den meisten Gemeinden pendeln mehr als 85 % der Arbeitnehmer, die dort ihren Wohnsitz haben. Der absolute Pendler-Magnet ist aber die Landeshauptstadt Stuttgart mit mehr als 265.000 Pendlern aus dem ganzen Land. Darauf folgen Mannheim und Karlsruhe. Diese beiden Großstädte ziehen täglich mehr als 110.000 Menschen an. Darauf folgen, Freiburg im Breisgau, Ulm, Heidelberg, Sindelfingen und Heilbronn [Abb. x, S. xx]. Verlassene Dörfer sind dabei eher selten. Die meisten Gemeinden mit hohen Auspendleranteilen sind tagsüber in der

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Regel nicht ausgestorben. Dennoch gibt es einige Gemeinden, die weder viele Arbeitsplätze, noch viele Einpendler haben. Sie sind untertags relativ leer. In 54 Städten und Gemeinden im Land sind untertags nur etwas mehr als die Hälfte der Menschen auch am Ort. Dagegen gibt es Städte, die durch Pendler regelrecht gefüllt werden: Neckarsulm, Abstatt, Waldenburg und weitere neun Städte und Gemeinden sind tagsüber sehr voll.   Leben und Arbeiten am Heimatort. Die kleine Gemeinde Bubsheim im Landkreis Tuttlingen ist darin landesweit Spitzenreiter: Satte 71 % der Bubsheimerinnen und Bubsheimer arbeiten vor Ort. Dort gibt es seit vielen Jahrzehnten eine funktionierende Industrieproduktion für Spezialteile. Mehrere Firmen produzieren dort. Viele Ortsansässige finden hier ihren Job. Solche Quoten von ortsansässigen Beschäftigten gibt es sonst nur annähernd in Städten wie Konstanz und Freiburg. Auch in Tuttlingen, Stuttgart und Karlsruhe kommen die Beschäftigten zu großen Teilen aus der eigenen Stadt.8

Abbildung 1 Diese Vielzahl an kleinen Pendlerströmen um-fasst nur 4,5 % des gesamten Pendleraufkommens. Dagegen konzentrieren sich 41 % des Pendleraufkommens auf die 1.200 größten Pendlerströme mit jeweils 500 und mehr Pendlern.

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Ohne Geschäfts- und Dienstreiseverkehr. Wird die Fahrleistung mit der Zahl der beförderten Personen multipliziert, ergibt das den Verkehrsaufwand gemessen in Personenkilometern (Pkm). Vergleiche Radke, Sabine: Verkehr in Zahlen 2018/19. Vergleiche Pfaff, Simon: Mobilität – Zahl der Pendler erreicht Rekord. Wiesbaden 2017. Eigener Pkw oder Firmenwagen. Vergleiche Ducki, Antje/Nguyen, Huu Tan: Psychische Gesundheit in der Arbeitswelt, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (Hrsg.), 2016. Vergleiche Schüller, Frank/ Wingerter, Christian: Berufspendler, in: Datenreport 2016, Destatis. https://www.swr.de/landesschau-bw/ pendeln-im-suedwesten/so-pendelt-baden-wuerttemberg/-/id=19680394/ did=21460250/nid=19680394/df5wzd/ index.html (letzter Zugriff: 15.06.20)

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Wie viele Einwohner arbeiten am Ort

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Die Gemeinde ist untertags

eher leer normal eher voll sehr voll

70 % › 50 % ‹ 50 % Abbildung 3

Abbildung 4

Um der Verkehrs- und Regionalplanung in Baden‑Württemberg Daten zum Berufsverkehr und der Verflechtung der regionalen Arbeitsmärkte bereitzustellen, ermittelt das Statistische Landesamt alle 2 Jahre im Rahmen der Berufspendlerrechnung die Tagespendlerströme zwischen Wohn- und Arbeitsortgemeinde der Erwerbstätigen. Auch diejenigen Erwerbstätigen, die in ihrer Wohngemeinde arbeiten, werden berechnet. Zum Kreis der berücksichtigten Erwerbstätigen zählen: sozialversicherungspflichtig Beschäftigte (73 % ), ausschließlich geringfügig entlohnte Beschäftigte (13 % ), Beamte, Richter, Beamtenanwärter, Dienstordnungsangestellte sowie Berufs- und Zeitsoldaten (5 % ), Selbstständige (10 % ).   Datengrundlage der Berufspendlerrechnung sind die Statistiken der Bundesagentur für Arbeit, die Personalstandstatistik, der Mikrozensus und die Volkszählung 1987. Die beiden letztgenannten Datenquellen dienen der Schätzung der Pendelverflechtung der Selbstständigen. Im Unterschied zu den übrigen Erwerbstätigengruppen gibt es für die Selbstständigen keine aktuelle Statistik, die Arbeits- und Wohngemeinde ausweist. Die Berufspendlerrechnung erfasst Erwerbstätige, die in Baden‑Württemberg wohnen und arbeiten oder zur Arbeit über die Landesgrenze ein- oder auspendeln. Damit werden auch Arbeitsmarktverflechtungen mit den umliegenden Bundesländern und teilweise auch dem benachbarten Ausland nachgewiesen. Allerdings sind Berufspendler, die in Baden‑Württemberg wohnen und im benachbarten Ausland arbeiten, mangels verfügbarer Daten nicht erfasst. Alle Datensätze der Erwerbstätigen wurden daraufhin überprüft, ob die Entfernung zwischen Wohn- und Arbeitsort ein tägliches Pendeln realistisch erscheinen lässt. Die aufgrund der Prüfkriterien unplausiblen Datensätze wurden nicht in die Pendlerrechnung aufgenommen.9

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Berufspendler im Bundesländervergleich 2016 nach Art der genutzten Verkehrsmittel Angaben in % Quelle: Mikrozensus 2016 Abbildung 5

Öffentlicher Nahverkehr Motorisierter Individualverkehr Fahrrad zu Fuß Berlin

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39

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Hamburg

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41

12

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Bremen

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Hessen

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Deutschland

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Bayern

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Nordrhein-Westfalen

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Brandenburg

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Baden-Württemberg

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Sachsen

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Schleswig-Holstein

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Niedersachsen

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Rheinland-Pfalz

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Sachsen-Anhalt

8

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11

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Thüringen

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74

6

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Mecklenburg-Vorpommern

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71

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Saarland

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Habip/Filderstadt/Student

รถffentlicher Raum Information Menschen 20

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Wie lange pendelst du in der Regel?

HA

Unterschiedlich, aber so im Durchschnitt so 50 Minuten bis eine Stunde. Also ich muss erst mit dem Bus fahren, dann mit der S-Bahn oder ich fahr mit dem Bus und steig dann in die U-Bahn und muss dann noch laufen.

KA

2020 KA

HA  Ja also Menschen, die sehr laut sprechen empfinde ich als sehr unangenehm oder Leute die laut telefonieren oder alkoholisierte Leute. Menschen die auf Randale aus sind. Musiker, die da dann rumlaufen und Geld wollen. Oder wenn Schulklassen oder Kindergartenklassen einsteigen, das mag ich auch nicht.

Hast du eine Lieblingsstrecke? KA

HA

Was wäre für dich denn eine unangenehme Situation?

Ja, ich nehm lieber die längere Strecke, weil ich Bus und UBahn angenehmer finde.

Hast du abgesehen davon das Gefühl, dass das Pendeln dein Privatleben beeinflusst?

HA  Hmm, also ich finde es beeinflusst mein Leben positiv, weil KA Warum das? man viel unterwegs ist. Man bewegt sich im öffentlichen Raum, man ist sozial und man bekommt viel mit. Man ist vielleicht sogar  HA  Ehm, weil die S-Bahn meistens voller ist, stressiger ist. Mal dynamischer und nimmt viel mit vom Tag. Wenn man jetzt nicht fühlt sich nicht so wohl, wie in der U-Bahn. Die S-Bahn ist eher pendeln würde und ich sag mal mit dem Auto fährt, dann ist man wie so ein Metallblech mit dem man da durch die Gegend fährt. so abgekapselt und man bekommt nicht so viel mit. Beim PenDas ist eher unangenehm. Stressig. Die U-Bahn ist angenehmer, deln kann man dann halt eher noch Gespräche mitbekommen, kleiner, harmonischer, angenehmer, weichere Sitze (haha). weiß wie Menschen so ticken, wie sie denken und was sie sagen. Manchmal bekommt man sogar noch ein paar Informationen mit. KA Mit dem Pendeln und Distanz hast du kein Problem? Zum Beispiel wenn eine Veranstaltung irgendwo stattfindet. Ja da gibt’s schon einige positive Sachen. HA     Ja ich hatte mir auch mal überlegt umzuziehen, aber mach ich wahrscheinlich nicht, weil die Wohnungen in der Stadt teue- KA Wenn du an der Infrastruktur hier in Stuttgart etwas rer sind, als jetzt in Filderstadt oder auf dem Land und, weil ich ändern könntest. Was wäre das? kein Problem hab mit dem Pendeln. Ich mach das ja schon mein ganzes Leben lang, ich bin das gewohnt. Ich finde es sogar ganz   HA  Hmm also ich würde die Infrastruktur auf jeden Fall wieder entspannt zu pendeln. ausbauen. Also mit Blick in die Zukunft, dass man die Automobilität weiter einschränkt und vermehrt auf den öffentlichen Verkehr KA Wie beschäftigst du dich, wenn du Pendelst? setzt. Vor allem auch mehr auf Express Busse, die dann zielgerichteter, schneller und weniger Stationen anfahren. Die U-Bahn HA     Ja, also meistens hör ich Musik oder les Texte für die Uni, be- weiter ausbauen, also Ortschaften miteinander vernetzen. antworte fragen oder denke nach. Beobachte Leute. Aber in der KA Regel höre ich Musik. Könntest du dir in Zukunft vorstellen, für längere Zeit lange Distanzen zu pendeln? KA Hast du dann das Gefühl, dass du die Zeit in der Bahn sinnvoll nutzen kannst?  HA  Das kommt drauf an, wie groß die Distanz ist. Ganz konkret gesagt ­– bis zu anderthalb Stunden würde ich auf mich nehmen.  HA  Auf jeden Fall. Man hat viel Zeit zu lesen! Aber was drüber hinaus geht wäre mir zu viel. Wenn man etwa zwei Stunden unterwegs ist wäre ich am Tag vier Stunden mit KA Gibt es Situationen aus deiner Pendlerkarriere, die Fahren beschäftigt. Das wäre mir zu weit. Aber für einen Job der dir in Erinnerung geblieben sind? mir Spaß macht würde ich über eine Stunde auf mich nehmen.  HA  Ja da kommen einige zusammen. Viele Situationen, die ei- KA Hast du mir noch 3 Wörter die du mit dem Pendeln nem im Kopf bleiben sind so unangenehm und nicht einschätzassoziierst? bar. Meistens sind da so unberechenbare Personen um die es dann geht oder Sitautionen, denen man am Liebsten aus dem  HA  Öffentlicher Raum, Information, Menschen. Weg geht. Das musst nichtmal was mit Aggression zu tun haben.

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767 Kalorien

Einen zuckersüßen Frühstücksriegel in der U-Bahn verdrücken, während du die Frau auf dem Sitz vor dir beobachtest, wie sie versucht, sich die Wimpern zu tuschen, ohne sich dabei die Augen auszustechen. Noch eine riesige Tüte Chips auf der Busfahrt nach Hause mampfen, weil du wieder bis 21 Uhr im Büro oder der Uni warst. Oder doch noch schnell zu McDonald's rennen, weil dein Zug mal wieder Verspätung hat. Wenn dir das bekannt vorkommt, keine Sorge. Du bist bei Weitem nicht der einzige, der schnell noch in öffentlichen Verkehrsmitteln etwas isst. Wie die britische Royal Society of Public Health (RSPH) berichtet, gaben 33 % der 1.547 befragten Pendler in Großbritannien an, dass sie wegen ihres langen Arbeitswegs mehr essen; 29 % meinten, dass sie insbesondere zu Fast Food greifen. In dem Bericht heißt es zusätzlich, dass sich dank der Snacks in UBahn und Co. jede Woche durchschnittlich 767 Kalorien zusätzlich anhäufen. Zu dieser besorgniserregenden Schlussfolgerung kamen die Forscher, nachdem sie die Pendler aus einer Liste von 12 Nahrungsmitteln und Getränken auswählen ließen. Darunter Alkohol, Limonaden und Muffins. Der beliebteste Snack war Schokolade, gefolgt von Chips. Und natürlich sind solche Selbsteinschätzungen nicht immer die zuverlässigste Quelle (niemand hebt sich doch noch irgendwas für später auf ). In Deutschland haben nur wenige Prozent der Erwerbstätigen keinen Arbeitsweg, der Rest muss in irgendeiner Art und Weise pendeln. Dazu nutzt die Mehrheit laut statistischem Bundesamt das Auto oder Bus und Bahn. Ähnlich die Situation in Großbritannien, wie die RSPH schreibt: 90 % der Erwerbstätigen pendelt — die Mehrheit davon mit dem Auto, dem Zug oder dem Bus, also weniger körperlich aktiv.

Der Bericht "Gesundheit in Eile" beleuchtet die Auswirkungen von Fahrten zur und von der Arbeit mit Bahn, Bus und Auto auf die Gesundheit und das Wohlbefinden der Bevölkerung. Längere Pendelzeiten sind mit erhöhtem Stress, höherem Blutdruck und BMI verbunden, und es steht weniger Zeit für gesundheitsfördernde Beschäftigungen wie Kochen, Sport und Schlafen zur Verfügung.

Wie die RSPH meint, können diese Erkenntnisse wichtig sein für den Kampf gegen Übergewicht. Um die Gesundheit der vielen Pendler zu verbessern, empfehlen sie, dass Junk Food nur noch in begrenzten Mengen an Bahnhöfen verkauft werden darf, um so die „ungesunde gastronomische Landschaft“ zu verändern, die durch Fast-Food, Cafés mit kalorienhaltigen Getränken im Angebot und Schnellrestaurants geprägt ist. Ich selbst hab auch schon sehr oft zu Fast Food gegriffen, als ich an Haltestellen längere Zeit warten musste. An den Meisten dieser Haltestellen, an denen ich viel Zeit Verbdingen muss gibt es Angebote für Fast Food. Das beste Beispiel dafür ist der Döner in Leinfelden direkt vor der Haltestelle, an der ich oft auf einen Bus warten muss. Vor allem im Winter sieht der Döner ziemlich kuschelig warm aus und sobald man dann hungrig und spät auf der Heimfahrt ist hat mein keine Chance einer warmen Portion Pommes zu widerstehen. Im Gespräch mit dem Guardian meint die Autorin des Berichts, Emma Lloyd, dass auch die Werbung an den Bahnhöfen daran schuld ist, dass die Leute mehr essen: „Es gibt sehr viele Pendler, die sich in den Bahnhöfen aufhalten, welche sowohl durch Werbung als auch durch das verfügbare Angebot (an Essen) Übergewicht begünstigen. Natürlich greifen die Menschen nach Essen mit Wohlfühlfaktor, um so der Langeweile oder dem Stress zu entgehen, das ist jedoch eine risikoreiche Strategie, wenn so viele Menschen übergewichtig und adipös sind.“ Vielleicht ist es wieder Zeit für die gute alte Stulle. Aber nur ohne Ei. Man will sich ja nicht den Zorn seiner Mitreisenden auf sich ziehen.1

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https://www.rsph.org.uk/our-work/policy/wellbeing/commuter-health.html (letzer Zugriff: 12.06.20)


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„Ich trinke morgens auch immer meinen Kaffee. Das geht gar nicht anders. Ich bin total apathisch, wenn ich mal keinen Koffein im Blut habe. Das merkt dann als erstes immer mein Busfahrer. Er kennt mich ja schon gut und grüßt mich dann trotzdem, auch wenn ich wie ein Zombie einsteige und keine Reaktion zeige.“ — Manuel K.

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Guten Morgen

Was macht einen guten Morgen für mich überhaupt aus? Die Antwort kam mir ziemlich schnell. Kaffee. Mehr brauch ich erstmal nicht, weil mein Körper sonst nicht funktioniert. Das merken vor allem die Menschen, die mich morgens antreffen. Wenn ich keinen Kaffee getrunken habe, gibt es auch keine Reaktion. Das Anmachen der Kaffeemaschine ist meine erste Amtshandlung am Tag und ein Teil einer festen Alltagsroutine wie bei vielen anderen Menschen auch. Kaffeetrinken nimmt mittlerweile aber schon so einen wichtigen Platz ein in meiner Routine, dass, wenn ich mal zu spät dran bin und keinen Kaffee machen kann, meine Laune ziemlich darunter leidet. Da ich recht oft spät dran bin, nehme ich mir meinen Kaffee meistens in einem Becher mit und trinke ihn unterwegs. Ich warte üblicherweise bis ich in der Bahn sitze. Warum weiß ich nicht. Ich denke, es ist eine Gewohnheit, die man sich aneignet, wenn man viel Pendeln muss. Heute morgen war das alles anders. Wir hatten keinen Kaffee mehr im Haus und nachdem ich die Vorratsschränke durchwühlt und nichts gefunden hatte musste ich mich eben ohne Kaffee auf den Weg machen. In Echterdingen gibt es einen Kiosk und wie in jedem Kiosk gibt es auch dort Coffee to go. Also was macht ein Koffein Junkie wie ich? Ich trinke meine braune Brühe eben dort, wenn es nicht anders geht. Zigaretten, Kaffee, Bier und Zeitungen werden hier vermutlich am meisten verkauft, weil die Kunden größtenteils Pendler sind.

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Ist Kaffee das ultimative Pendlergetränk?

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Der Kaffee am Morgen ist für mich durch das Pendeln zu einem wichtigen Teil meiner Morgenroutine geworden. Da ich meistens zu spät dran bin um daheim ganz entspannt meine Tasse zu trinken, nehm ich mir meinen Kaffee ganz einfach in einer Thermoskanne mit, um den Kaffee dann in der U-Bahn zu trinken. Eine Zeit lang habe ich auch meinen Kaffee to go an dem ein oder anderen Kiosk geholt, aber ich konnte mich nicht so richtig mit diesen Bechern anfreunden. Das letzte Mal saß ich im Bus und hatte mir kurz davor einen Kaffee geholt. Ich hatte auf den Plastikaufsatz verzichtet. Ich hatte aber nicht daran gedacht, dass die Busstrecke voller Schlaglöcher ist. Am Ende vom Tag kam ich mit einem großen Kaffeefleck zwischen meinen Beinen und einer weiß braun gefleckten Jacke daheim an.   Was ich die letzen Wochen und Monate beobachten konnte ist, dass ich nicht die Einzige bin, die mit einem Kaffee morgens an der Haltestelle wartet oder in der Bahn sitzt. Sei es in einer Thermoskanne oder einem Pappbecher. Kaffee ist also nicht nur bei mir ein Bestandteil der Morgenroutine. Ich habe mich also gefragt, wie der Kaffeekonsum in hierzulande aussieht bzw. wie viel und wann wir Deutschen Kaffee trinken und ob es gesund oder doch eher ungesund ist.

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Laut einer repräsentativen Umfrage unter mehr als 5500 berufstätigen Kaffeetrinkern, die Tchibo zusammen mit Brand eins Wissen und Statista für den Tchibo Kaffeereport 2019 durchgeführt hat gehört für 62,5 % der Arbeitnehmer in Deutschland das Kaffeetrinken ganz klar zum täglichen Ritual im Job. Susanne Resch von Brand eins Wissen zu dem Report No. 8: „Kaffee und Arbeit“:   „Wir wollten es wieder genau wissen und haben in unserer Umfrage mehr als 5500 Kaffee- Was macht trinker in Deutschland nach ihren Routinen und Vorlieben gefragt. Und über die Antworten Kaffee mit gestaunt. Menschen mit flexiblen Arbeitszeiten beispielsweise konsumieren häufiger Kaffee meinem Körper? als Schichtarbeiter. Leitende Angestellte deutlich mehr als Arbeiter. Computerfachleute mehr als Betriebswirte. Auch bei Ort und Zeit gibt es unterschiedliche Präferenzen, genau wie zwischen Unternehmensgrößen, Geschlechtern oder Altersklassen. Sogar das Arbeitsverhältnis macht offenbar einen Unterschied. So ist zum Beispiel eine saubere Kaffeemaschine für mehr als 62 Prozent der Angestellten in Teilzeit ein wichtiges Thema – aber nur für gut 40 Prozent der Selbstständigen. Genau umgekehrt verhält es sich beim Geruch: 60,3 Prozent der Selbstständigen und Einzelunternehmer empfinden ihn als wichtig, aber nur 45,6 Prozent der Vollzeitangestellten. Einigkeit hingegen besteht über sämtliche Arbeitsverhältnisse, Arbeitsorte und Positionen hinweg bei den Gründen für den Kaffeekonsum.“   Die Umfrage ist sehr breit gefächert und untersucht auch den Kaffeekonsum auf den Weg zur Arbeit. Ich hatte die Vermutung, dass sehr viele Menschen die Zeit beim Pendeln nutzen um Kaffee zu trinken, doch ich lag falsch. Tatsächlich beantworteten im Schnitt 68,4 % der Befragten mit Nein (fast) nie, als es um die Frage ging, ob sie Kaffee auf dem Weg zur Arbeit konsumieren. Diejenigen die auf dem Weg zur Arbeit Kaffee trinken, machen dies meistens in den Öffentlichen oder im Auto. (Das macht auch Sinn, denn Kaffee trinken und Fahrrad fahren ist wohl keine allzu gute Kombination.) Mich hat es auch überrascht, dass viele, wie ich auch, einen Becher bzw. Mehrwegbecher benutzen, auch wenn sie außerhalb ihren Kaffee holen. Einige benutzen jedoch nach wie vor einen Pappbecher, was nicht unbedingt nachhaltig ist. Diese Becher sieht man dann vor allem morgens stapelweise auf den Mülleimern oder auch allzu oft nebendran auf dem Boden verteilt.1   Heute übersteigt der jährliche Pro-Kopf Konsum von Kaffee den von Mineralwasser und sogar Bier. Diese Mengen werfen die Frage auf, ob ein hoher Kaffeekonsum sich auf unsere Gesundheit auswirkt. Ich selbst habe lange geglaubt hochgradig abhängig zu sein. Oft habe ich das Gefühl morgens ohne Kaffee nicht handlungsfähig zu sein oder sogar Entzugserscheinungen zu bekommen, wenn ich länger kein Koffein zu mir genommen habe. Zudem sind meiner Erfahrung nach viele Menschen der Überzeugung, dass die gerösteten, gemahlenen und aufgebrühten Bohnen eine Strapaze für das Herz und ein Risikofaktor für Infarkt und Schlaganfall sind. Die neueren Studienergebnisse zur gesundheitlichen Wirkung von Kaffee bestätigen diese Ängste jedoch nicht, im Gegenteil: Kaffee hat zahlreiche positive Effekte – auf das Gehirn, den Stoffwechsel und sogar auf Herz und Kreislauf. Es gibt allerdings Einschränkungen. Denn nicht jeder Mensch verträgt das schwarze Gebräu und seine Wirkstoffe, allen voran Koffein und Chlorogensäure. Das gilt nicht nur für Kinder, denen der bittere Sud ohnehin nicht schmeckt. Manche Erwachsene sind genetisch nicht für den Kaffeegenuss ausgerüstet. Meistens ist es aber eine Mengenfrage, ob Kaffee Herzrasen oder Magenschmerzen auslöst. Wissenschaftler der Universität von Edinburgh veröffentlichten im Dezember 2017 im „British Medical Journal“ Ergebnisse aus 201 Überblicksstudien zu Kaffee und Gesundheit. Insgesamt fanden sie 19 positive Effekte auf die Gesundheit. Demgegenüber standen nur sechs negative Effekte. In der Studie heißt es: „Röstkaffee ist ein komplexes Gemisch aus über 1.000 bioaktiven Verbindungen mit potenziell therapeutischen, antioxidativen, entzündungshemmenden und krebshemmenden Wirkungen.“

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Die Effekte von Kaffee

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Kaffee ist ein Wachmacher für Körper und Geist. Denn zum einen verengt Koffein die Gefäße, das Herz muss das Blut mit mehr Druck pumpen, das Gehirn und der Rest des Körpers werden optimal mit Blut versorgt. Zum anderen blockiert Koffein den Botenstoff Adenosin im Gehirn, der schläfrig macht. Laut Neurowissenschaftlicher Steven Miller aus Maryland ist der ideale Zeitpunkt für eine Tasse Kaffee am Vormittag sei zwischen 9.30 und 11.30 Uhr. Dabei sind 400 Milligramm Koffein am Tag völlig unbedenklich, wenn es um unsere Gesundheit geht. Eine Tasse mit 100 Milliliter Kaffee enthält zischen 50 und 60 Milligramm Koffein. Mehr als drei bis vier Tassen sollten es dann aber auch nicht sein. Das schadet nur den wenigsten Menschen, sie bringen nur ab einer gewissen Menge keinen weiteren Nutzen. Studien legten außerdem nahe, dass das Herzrisiko durch Kaffee viel geringer ist, als es dem Kaffeebohnen Aufguss lange Zeit zugeschrieben wurde. Auf den Blutdruck scheint der Konsum kaum Einfluss zu haben. Die Ergebnisse der einzelnen Studien nicht jedoch nicht einheitlich.   Ein im Januar 2019 veröffentlichter Überblicksartikel von US-Forschern im „Journal of the American Heart Association“ kam ganz allgemein zu dem Schluss, dass Kaffee das Risiko für Herzleiden nicht erhöht. Australische Forscher untersuchten 2019 die Daten von rund 350.000 Personen im Alter von 37 bis 73 Jahren und fanden heraus, dass zu viel Koffein sehr wohl zum Herzrisiko wird. „Sechs Tassen sind der Wendepunkt, an dem sich Kaffee negativ auf das Risiko einer Herz-Kreislauf-Erkrankung auswirkt“, schreiben die Autoren in dem „ American Journal of Clinical Nutrition“. Zu einem ähnlichen Ergebnis war zuvor bereits eine in Harvard durchgeführte Metastudie mit insgesamt knapp 1,3 Millionen Teilnehmern gekommen: Menschen, die zwischen drei und vier Tassen Kaffee pro Tag tranken, hatten das geringste Risiko, eine Herz-Kreislauf-Erkrankung zu erleiden. Diejenigen, die täglich fünf oder mehr Tassen Kaffee konsumierten, hatten ein erhöhtes Risiko. Doch das mit Abstand größte Risiko, eine Herz-Kreislauf-Erkrankung zu erleiden, hatten Personen, die überhaupt keinen Kaffee tranken. Da Koffein den Herzschlag beschleunigt, wurde es Menschen mit Herzproblemen früher ganz davon abgeraten Kaffee zu trinken. Eine Vergleichsstudie hat vor kurzem gezeigt: Selbst wer unter Herzrhythmusstörungen leidet, verschlimmert seinen Zustand durch mäßigen Kaffeekonsum nicht. Gefährlich kann Koffein allerdings für Menschen mit Herzproblemen werden, die genetisch bedingt den Stoff Koffein schlechter verstoffwechseln können.   Nach Einschätzung der Internationalen Krebsforschungsagentur (IARC) der WHO gibt es verlässliche Belege für einen Schutzeffekt gegen Krebs von Leber und Gebärmutter. Für andere Krebsarten lässt sich zumindest ein von Kaffee ausgehendes Risiko nicht erkennen. Insgesamt ist die Studienlage laut IARC aber noch unklar und widersprüchlich. Wissenschaftler aus den USA und Israel berichteten kürzlich, dass Kaffeetrinken das DarmkrebsRisiko verringere. Das Getränk enthalte Inhaltsstoffe wie Antioxidantien, die zur Gesundheit des Darms beitragen, erläuterten sie. Am spannendsten ist die Tatsache, dass Kaffee nicht körperlich abhängig macht, wie zunächst von mir vermutet. Wer jeden Tag viel Kaffee trinkt, verträgt irgendwann mehr davon als jemand, der sich nur einmal in der Woche eine Tasse genehmigt. Dessen Herz wird auch nach einem dreifachen Espresso nicht viel schneller schlagen und Kaffee wird ihn nicht am Einschlafen hindern. So geht es etwa der Münchner Lebensmittelchemikerin Sara Marquart, die über Kaffeeröstung promoviert hat. Sie hat in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung einen täglichen Konsum von zehn Tassen eingeräumt. Der Kaffee habe hat bei ihr aber kaum mehr physiologische Wirkung wegen des Gewöhnungseffekts. „Kaffee ist eine psychoaktive Substanz, macht aber nicht süchtig. Wir sind eher nach dem Ritual süchtig“, sagt die Kaffee-Expertin. „Wir“ das sind die starken Kaffeetrinker, die für die 31-Jährige bei mindestens vier Tassen täglich beginnen.

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Wird den „Vieltrinkern“ der Kaffee plötzlich verweigert, können sich durchaus Entzugssymptome entwickeln, vor allem Kopfschmerzen. Marquart erklärt das so: „ Adenosin-Rezeptoren im Gehirn nehmen bei Kaffeekonsum Koffein auf. Fällt das Koffein weg, kommt wieder Adenosin zum Zug und dadurch entstehen Kopfschmerzen.“ Auf Kaffee verzichten sollten die Kaffeeliebhaberinnen, wenn sie schwanger sind. Mehr als eine Tasse sollte es dem Kind zuliebe nicht sein. Denn das Koffein erreicht über die Plazenta den Fötus, der diese Substanz kaum abbauen kann. Koffein hemmt das Wachstum und führt zu einem geringen Geburtsgewicht. Für stillende Mütter sind dann wieder zwei Tassen okay. Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) kam in einem 2015 veröffentlichten Gutachten zu dem Schluss, dass bis zu 200 mg Koffein am Tag während der Stillzeit unbedenklich seien. Mit dieser in zwei Tassen Kaffee zu je 150 Milliliter enthaltenen Menge käme ein Säugling und seine noch wenig belastbare Leber zurecht.2   Allen Pendlern, die das hier lesen und die wie ich ihren Kaffee unterwegs trinken, empfeh- Kaffeebecher sind le ich, sich unbedingt einen Mehrwegbecher für Kaffee zuzulegen. Einweg Pappbecher sind eine Belastung für bekanntlich sehr umweltschädlich.Also besser die Finger davon lassen! Viele Becher wer- die Umwelt. den als "wilder Müll" weggeworfen. Ebenso wie Plastiktüten, die in der Umwelt landen, besteht auch bei Einweg-Bechern die Gefahr, dass der Kunststoff des Bechers durch Abrieb zu Mikroplastik (also sehr kleinen Plastikpartikeln) wird. Diese Partikel können dann ins Wasser oder in den Boden gelangen, mit nicht absehbaren Folgen für Mensch und Umwelt. Da unsere Gesellschaft immer mobiler wird, ist der Trend zum flexiblen und schnellen Essen und Trinken unterwegs ungebrochen. Die Zahl derer, die beruflich pendeln, wächst, und auch die Wege in der Freizeit werden länger. Auch Kaffee zum Mitnehmen wird dementsprechend immer beliebter. Die Kehrseite ist: Stadtreinigung und Kommunen haben mit wachsenden Abfallbergen, überfüllten Mülleimern und mit dem so genannten wilden Müll zu kämpfen, der zu einem großen Teil aus Einwegbechern besteht. Der Müll der Einwegbecher macht bis zu 15 Prozent des Volumens der vorhandenen Abfalleimer im städtischen Bereich aus. Die Entsorgung der auf Plätzen und Grünflächen hingeworfenen Becher verursacht für die Städte und damit für alle, die Steuern und Abgaben zahlen, unnötige Kosten. Mit dem Wegwerfen setzt oft Verwahrlosung ein, denn wenn die Umgebung schon vermüllt ist, sinkt die Bereitschaft von Passanten, ihren Müll ordentlich zu entsorgen. Mittlerweile gibt es natürlich einige Alternativen. Von den biologisch abbaubaren Bechern bis zu jenen mit Pfandrückgabe. Wenn man unterwegs Kaffee trinkt, dann sollte man auch beginnen auf diese Details zu achten und nachhaltiger zu handeln. Für den nachhaltigen Konsum ist es dabei nicht entscheidend was wir konsumieren, sondern auch in welchem Maß. Natürlich wissen wir alle, dass durch weniger Kaffeekonsum auch weniger Fläche für den Kaffeeanbau gerodet, weniger Wasser verbraucht (immerhin werden 140 Liter für eine Tasse Kaffee benötigt) und weniger CO2-Emissionen durch den Transport entstehen würden, um nur einige zentrale Aspekte zu nennen. Nichtsdestotrotz erfordert die Anpassung des Maßes an Konsum viel Überwindung. Es ist mit Sicherheit unbequemer den eigenen Kaffeekonsum zu überdenken und auf die ein oder andere Tasse zu verzichten, als genau so weiter zu machen wie zuvor.3

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1 2 3

https://www.tchibo.com/servlet/cb/1302442/data/-/Kaffeereport2019.pdf https://www.focus.de/gesundheit/ernaehrung/gesundessen.html https://www.verbraucherzentrale.de/wissen/umwelt-haushalt/abfall

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Interview

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müde zu spät stressig 30

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Meine Verbindung um 5 Uhr morgens war tatsächlich auch die erste Verbindung und in der Winterzeit is die oft ausgefallen. BE     Von Hamburg nach Oldenburg, das sind zwei bis zweiein- Drittes Wort – ja gut es war auch nicht so nice, dadurch dass ich halb Stunden im Zug pro Strecke, vier Mal die Woche. irgendwie in diesem neuen Studium auch neue Leute kennengelernt habe. Man konnte sich eben nicht privat connecten sonder KA Gleicht der Spaß am Studium das Pendeln wieder nur auf der fachlichen Ebene in der Uni, da ich oft relativ schnell aus? zur Bahn musste. KA

Wie lange hast du immer gependelt?

BE   Ja auf jeden Fall. Es ist ja jetzt erst das zweite Semester, und es könnte sein dass es nächstes Semester so ist, dass ich nicht mehr pendeln muss und dann wärs am Ende nur ein Semester gewesen in dem ich so lange pendeln musste. KA

Also hättest du es auch noch länger trotz der langen Fahrt durchgezogen?

BE   Glaube schon ja. Aber so am Ende vom Semester hat mich das ganze schon sehr fertig gemacht, weil ich meinen Rhythmus komplett umstellen musste. Ich musste teilweise um 5 aus dem Bett, damit ich halt um 8 ankomm. Am Ende vom Semester habe ich dann teilweise zu viel Kaffee auf der Fahrt getrunken.

KA

War Umziehen jemals eine Option für dich?

Also ich bin ja recht kurz davor mit meiner Freundin zusammen gezogen. Das war alles recht spontan. Bis Anfang des Semesters gab’s da noch zwei andere Optionen in Bezug auf mein Studium, was ich mir auch hätte überlegen können. Ja dann ist es am Ende eben das geworden. Dann dachte ich mir an einem gewissen Punkt, dass ich meine Entscheidung eher darauf gründen sollte was ich studieren will nicht auf den Umständen. Dann dachte ich, ich probiere es mal.

BE

KA

War das arg anstrengend Uni und Privatleben unter einen Hut zu bekommen?

BE   Unter der Woche definitiv. Ich hab unter der Woche original gar nichts gemacht außer freitags, weil ich an dem Tag nur um 10 BE     Also anfangs war man noch so richtig motiviert und hat eine Vorlesung hatte und dann Abends noch zur Bandprobe gedann auch zwei Stunden gearbeitet. Ich hab halt gemerkt, je hen konnte. Das war so das einzige was ich unter der Woche gemehr das Semester voran geschritten ist, desto weniger hab ich macht habe. Aber ansonsten, wenn du dann am Abend nach meine Zeit dann auch genutzt. Die Handy Verbindung zwischen Hause kommst, willst du ja auch nichts mehr machen. Noch ein Hamburg und Bremen ist so beschissen, also man hat nicht mal bisschen mit der Freundin chillen, etwas zu Abend essen und sein Handy an dem man rumfummeln kann. Ich hab dann mor- dann ins Bett, weil man wieder früh aufstehen muss. gens eher nochmal eine halbe Stunde Schlaf nachgeholt. Meistens hab ich dann schon versucht meine Aufgaben nachzuholen. KA Also deine drei Wörter sind müde, zu spät und? KA

Mit was hast du dich beim Pendeln beschäftigt?

BE   Hm, ich sag als drittes Wort 'gestresst'. Also weil ich war dadurch schon recht gestresst und bin mit Kopfschmerzen nach Hause gekommen, weil sich eben der Kopf total verkrampft hat und alles BE     Ja, auf jeden Fall. Es ist mit Sicherheit ein bisschen ruhiger. so angespannt war. Weil ich immer so am Hin und Her und dann Also es gibt nicht so die Leute die dann so rumbrüllen, wie z.B. in hier schnell zum Zug und ich habe da noch eine Vorlesung. der S-Bahn aber ja es ist generell einfach privater. Man hat weniAlso trinkst du viel Kaffee wenn du unterwegs bist? ger mit den Leuten zu tun und kann sich besser auf die eigenen KA Dinge konzentrieren und quatscht dann auch mit keinem. Ich fand das ganz angenehm – also so angenehm wie es zumindest  BE   Ne, eigentlich nie. Ich hab das ab und zu mal zum Beginn von meinem Studium gemacht. Halt hin und wieder ein zwei Tassen sein konnte. Kaffee. Wirklich angefangen täglich zu trinken hab ich erst durch KA das Pendeln. (...) Dadurch hab ich auf jeden Fall mehr Kaffee geWelche 3 Wörter verbindest du mit dem Pendeln? trunken. BE     Das erste was mir einfällt ist Müdigkeit. Zu spät – ich war sehr oft spät dran weil die Verbindung super unzuverlässig war. KA

Das ist auf jeden Fall entspannter als mit S-Bahnen und Bussen umher zu gurken.

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Interview

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19/11/19

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Ruhe

Haltestelle Universität nach Schwabstraße. Es sind zwar nur etwa fünf Minuten die man in dem Tunnel verbringt wenn man von Echterdingen zum Hauptbahnhof mit der S-Bahn fährt. Jedoch sind das die längsten fünf Minuten der gesamten Fahrt. Ich beobachte sehr oft Leute die davon ausgehen, dass man jeden Moment an der Haltestelle Schwabstraße ankommt. Die Leute stehen auf und stehen eine Weile bis sie merken, dass sie noch weitere vier Minuten entspannt hätten sitzen können. Aber anstatt sich doch wieder hinzusetzen bleiben sie stehen, als würden sie sich und den anderen nicht eingestehen wollen, dass sie falsch lagen. Heute hat die ewig lange Fahrt besonders viel Spaß gemacht! Meine heutige Nebensitzerin auf der Fahrt zwischen Uni und Schwabstraße: Falsche Wimpern, ein andauerndes Tippen mit den Gelnägeln auf den Bildschirm, Kaugummikauen und aus ihren Kopfhörern hörte man ziemlich laute Musik. Ein Wunder, dass ihr Trommelfell noch nicht geplatzt ist. Ich bin kein Typ Mensch der sich schnell reizen lässt beim Bahnfahren. Meistens habe ich selber Kopfhörer auf um so wenig wie möglich von den Geräuschen um mich herum mitzubekommen. Tja, nun hatte ich meine Kopfhörer heute vergessen (was eh schon schlimm genug ist) und wusste nicht genau, wie ich mit der Situation klar kommen sollte. Ich versuchte mich auf ein Buch zu konzentrieren. Wenn man sich aber ein Mal auf ein Geräusch konzentriert hat – dann ist das Geräusch da. Tippen, Schmatzen, Musik, Schmatzen, Tippen. Ich konnte mich nicht mehr konzentrieren und da ich eh schon komplett genervt war, hatte ich kein Problem damit die Person neben mir anzustupsen. Letztendlich hat sie die Musik dann auch leiser gemacht, aber so richtig befriedigt war ich dann auch nicht als ich gemerkt habe, dass ich mich so verhalten habe, als hätte ich einen Stock im Arsch. Ich will doch bloß meine Ruhe haben.

Für alle, denen es auch so geht: Der Hasenbergtunnel. Der 5,5 km lange Tunnel überwindet, bei Überdeckungen von 12 bis 125 m, einen Höhenunterschied von 154 m. Im Anschluss an die Station Schwabstraße steigt er zunächst mit einer Steigung von 34,6 Promille an und erreicht nach viereinhalb Kilometern bzw. 154 Höhenmetern im Bereich der Station Universität seinen höchsten Punkt. (Quelle: Der Tunnel. Verbindungsbahn der S-Bahn Stuttgart: Dokumentation ihrer Entstehung von Jürgen Wedler und Karl-Heinz Böttcher.)

22/11/19

Peinlich

Ich saß heute Abend in der S-Bahn von Stuttgart nach Echterdingen. Ich war außer Atem, weil ich schnell rennen musste um die Bahn noch zu erwischen. Es war ziemlich voll, die meisten Plätze waren besetzt und der Geräuschpegel ziemlich hoch. Kurze Zeit später, ich wollte gerade nach meinem Handy schauen, hörte ich Musik. Keine nervige Musik zu der man nur die Augen verdreht, sondern gute Musik. Musik, die ich gerne höre. Deshalb dachte ich, dass es doch viel schöner ist bei der unbekannten Person mitzuhören. Wie oft kommt das schon vor, dass jemanden in der Bahn trifft mit exakt gleichen Musikgeschmack. Nach einer Weile merkte ich – das hörte sich doch ganz nach meiner Playlist auf SoundCloud an. Das ganze viel mir erst nach 3 Stationen auf und auf einmal wurde mir klar, dass da niemand mit dem gleichen Musikgeschmack ist. Ich habe 15 Minuten lang meine eigene Musik gehört, über das Handy in meiner Hosentasche. Ich will gar nicht wissen, was die Menschen um mich herum gedacht haben.

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27/11/19

MÄR

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Kinder Ich bin müde. Will mich einfach nur irgendwo anlehnen, die Augen zu machen und an einem anderen schönen Ort mit Meer und Palmen aufwachen. Aber nein das geht nicht, weil die Scheibe neben mir so aussieht als hätte jemand versucht mit seinem Pausenbrot die Scheibe zu putzen und ich mich sonst nirgends anlehnen kann. Sicherlich waren das wieder irgendwelche Kinder, deren Mutter zu abgelenkt durch das Handy war. Beobachtet habe ich das schon oft. Das letzte Mal, als ich abends mit dem Bus nach Hause gefahren bin, saß ein Kind vor mir, das mit den Beinen nicht auf den Boden kam. Der Junge musste so um die sechs gewesen sein und kickte die ganze Zeit gegen mein Schienenbein mit seinen dreckigen Schuhen. Das fiese war ja, dass der Frechdachs dabei gelächelt hat. Richtig provokant. Und die Mutter hätschelte mit einer Hand ihren Sohn, als wäre er ein Engelchen und mit der anderen Hand tippte sie auf ihrem Handy rum. Ich dachte nun, ich geb der Frau die Gelegenheit ihrem Jungen zu erklären, dass das nicht okay ist fremde Menschen zu kicken. Wäre vermutlich eine lehrreiche Situation gewesen für den Knirps. Aber nach vergeblichen Versuchen mit der Mutter Augenkontakt aufzunehmen, wartete ich bis der Bus hielt, nahm den Knirps und schmiss ihn aus dem Bus. So hab ich mir das zumindest vorgestellt.   Die Realität lief anders ab. Ich hab den Jungen genervt angeschaut, hab versucht zu lächeln und ihm erklärt, dass er aufhören soll mit seinen Beinen zu wackeln. Die Mutter schaute mich an, dann ihren Sohn. Ich dachte okay ­– jetzt wird sie doch wohl gleich was sage. Aber nein. Sie zuckte mit ihren Schulter und hatte nur ein beiläufiges „Sorry“ für mich übrig während sie wieder ihren Sohn tätschelte.

Dieser Moment, wenn du einen Schulranzen im Gesicht hast und der Träger nicht mitbekommet, dass er dir mit seinem Ding auf dem Rücken eben eine ordentliche Backpfeife gegeben hat.

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Interview

2019

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Was ist das Peinlichste, das dir in der Bahn passiert ist?

„Ich bin Anfang Januar wie üblich mit dem Fahrrad zur Arbeit gefahren, hatte aber vergessen, dass ich abends einen Termin in Degerloch hatte. Eigentlich ja kein Problem, da ich aber im Dunkeln nicht den Radweg durch den Wald fahren wollte, mir die Alternative für die Weinsteige aber wegen des Verkehrs wenig attraktiv erschien, habe ich mich dazu entschieden, die Zacke vom Marienplatz bis nach Degerloch zu nutzen. Die hat für die Fahrt eine Fahrradplattform, auf der ich mein Rad sicher anbinden konnte. Vom Marienplatz ging es steil bergauf. Da es meine erste Fahrt der Zahnradbahn war, habe ich die Haltestellen aufmerksam ver folgt, um rechtzeitig auszusteigen. Laut Internet dürfen Fahrräder nur an der Endstation ausgeladen werden. An der für mich vermeintlichen Endstation bin ich schnell aus der Bahn gehüpft, um mein Fahrrad loszubinden – dann hörte ich ein Klingeln, diesen fiesen Klingelton der Bahn, wenn etwas im Weg steht oder die Leute zu langsam aus- und einsteigen. Ich dachte, ich sei zu langsam und fing hektisch an, an den Bändeln zu rupfen, um mein Rad loszumachen. Es klingelte weiter – ich dachte, ich sollte mich noch mehr beeilen und wurde noch hektischer. Dann kam einer der Schaffner raus uns brüllte mich an, ich möge bitte schleunigst wieder in die Bahn steigen, schließlich sei das Entladen der Räder erst an der Endstation erlaubt. Ich hatte mich nicht getäuscht, das Signal galt mir – aber nicht, weil ich zu langsam war, sondern weil ich das Fahrrad

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gar nicht hätte losbinden dürfen. Zurück in der Bahn haben mich alle Mitfahrer gefühlt vorwurfsvoll angeschaut – klar, hat ja auch jeder mitbekommen, das ich etwas falsch gemacht habe. Das Signal war ja nicht zu überhören. Es war mir sehr peinlich und als wir gefühlt drei Sekunden später an der Endstation angekommen waren, da meinte ein älterer Herr freundlich zu mir, dass ich junge Frau hier nun endlich aussteigen dürfe. “ — Heike L.

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Interview

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Florian/Filderstadt/Familienvater

ÖPNV Zeit Stress 40

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KA

Willst du noch ein bisschen was von dir erzählen? Zum Beispiel über deinen Pendelweg.

FL   (...) Von der Haltestelle von meiner Arbeitsstelle bis nach Fürstenfeldbruck hat es circa 40 Minuten gedauert, also sprich auch noch andere Seite von München. Das Zweite war, also in Stuttgart beschwert man sich schon andauernd über den VVS. In München hingegen gibt es auch zu viele Leute, es ist zu wenig und eine zu veraltete Infrastruktur. Die S-Bahnlinien, die U-Bahnen, Regionalbahnen und sonst was, die sind gerade morgens und nachmittags voll bepackt und komplett überfüllt. (...) Also die Probleme, die ich hatte waren ein Mal Versprätung. Die waren so eng getaktet, das heißt, wenn die Bahn vor dir Verspätung hatte oder zwei Bahnen vor dir, hat das halt die ganze Strecke blockiert. Die Strecken in München sind relativ lang, dementsprechend entsteht dadurch ein großer Rückstau, wenn da was passiert. Das heißt, ich konnte auch eigentlich nicht wirklich fest planen. Die 40 Minuten, die laut Fahrplan geplant waren, die hab ich ein Mal eingehalten, als ich von Donnerstag auf Freitag um 12 Uhr Nachts eine S-Bahn genommen hab. Einfache Strecke. Ich hab probiert, mir die Zeit vernünftig zu gestalten. Hab dann halt versucht Whatsapps zu beantworten oder online Zeitung zu lesen aufm Handy, Podcasts zu hören, irgendwie sowas, aber mir ist auch aufgefallen, dass es auf Dauer schon ziemlich geschaut hat. Es waren halt zweieinhalb Stunden im Durchschnitt mit Warten und so, die man halt so nicht besser nutzen konnte und mit der Zeit wars wirklich anstrengend.     Ich musste viel planen ich konnte nicht spontan sein. Wenn ich abends noch ins Kino wollte oder so musste ich auch gucken, wie fahre ich da jetzt am besten bzw. mal eben nach Hause und dann wieder zurück, das ging nicht, eben wegen der langen Strecke. Auch wenn ich dann mal irgendwas anderes machen wollte. KA

Das hört sich alles ziemlich stressig an, ja.

FL   Ja – war stressig. Ehm es ist so, dass du in manchen Bahnen, also sitzen konntest du komplett vergessen, du hast teilweise ein richtiges Gruppenkuscheln gehabt in manchen Zügen. Du hast da einfach geschwitzt, weil kaum Sauerstoff drin war, es total eng war. Du hattest da wirklich keinen Freiraum. Wie gesagt, wenn etwas Wichtiges war und du bist früh aufgestanden um früh bei der Arbeit zu sein und dann fuhr eine S-Bahn nicht, das passiert in München auch häufiger, dann die nächste hat Verspätung gehabt, wie da auch noch so viele Leute drin sitzen. Du kommst dann obwohl du früher los bist, später an als geplant und der Kunde ist dann genervt.

2020 KA

Da kann der Tag so gut starten wie er will und wenn das nicht mitspielt, dann hat das einen Effekt auf den ganzen Tag meistens.

FL   Genau, dann ist die Teamleiterin auch noch wütend, weil du später kommst. Ja, also es zieht sich dann halt wie ein Rattenschwanz, es ist dann nicht nur der ÖPNV, sondern es beeinflusst dann auch andere Dinge. Persönlich muss ich jetzt sagen, also das ist jetzt das wichtigste an der ganzen Sache, ehm es war am Anfang noch oke, die ersten paar Wochen und Monate, aber je länger da mit dem pendeln gedauert hat, desto schlimmer wurde es eigentlich. (...) Es war definitiv eine Einschränkung in der Lebensqualität. KA

Also würdest du sagen, dass dein Privatleben da durchaus gelitten hat.

FL   Durchaus gelitten. Wenn ich jetzt die Wahl hätte, würde ich lieber, ehm, in der Nähe einer großen Stadt wohnen und dann z.B. jetzt in Plochingen oder Schorndorf arbeiten und wohnen, auf Stuttgart bezogen, dass man am Wochenende, wenn man Zeit hat, immer noch reinfahren kann. Dann hat man ein Mal die Woche diese Notwenigkeit in die Stadt rein und wieder raus zu fahren, aber halt nicht jeden Tag fünf Mal die Woche oder sechs Mal. Also wie gesagt, es geht auf Dauer auf die Nerven. KA

Würdest du aber auch, ich mein das war jetzt sehr viel negatives, sagen, dass das pendeln mit den Öffentlichen auch was positives hat. Wenn wir jetzt schon bei vor und Nachteilen sind.

FL   Also Positives jetzt an dem Pendeln war, das was ich gerade eben gesagt habe, das ich versucht habe die Zeit möglichst angenehm zu nutzen und ein anderer Vorteil den ich halt hatte, war, selbst wenn ich das Ticket für den ÖPNV, das was ich mehr bezahlt hab weil ich weiter außen gewohnt hab und das gegen die geringeren Mietkosten stellen würde. Das hat halt in dem Sinne eine bessere Lebensqualität, weil ich einfach vergleichsweise weniger für das WG Zimmer bezahlt hab. Ich hatte auch sehr viel Natur um mich herum, das was man z.B. in der Stuttgarter Innenstadt nicht hat oder auch in anderen Städten, das hatte ich halt sehr viel.

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2019

03/12/19

OKT

NOV

DEZ

Maria

Im Gegensatz zu mir scheint der Tag für einige um mich herum erst anzufangen. Neben mir sitzt eine Gruppe Jugendlicher. Ich schätze so um die 17/18, die eine Plastikflasche rumreichen, in der Mal Apfelsaft drin war. War. Denn der Geruch nach billigem Wodka Energy ist ziemlich penetrant und erinnert mich an meine eigenen Eskapaden, als ich selbst in dem Alter war. Bah. Mir wird übel. Zu viele schlechte Erinnerungen kombiniert mein Kopf mit dem Geruch. Es ist als würde ich diese Zeit innerhalb von 2 Sekunden wieder durchleben. Um mich abzulenken, versuche ich meine Kopfhörer zu finden, doch bevor ich den Kabelsalat aus meiner Tasche fischen konnte, bemerke ich wie eine Frau vor mir steht. Sie ist recht klein und lächelt mich an. Ihre Geste verrät was ihre Intention ist. „Eine Spende“ sagt sie mit gebrochenem Deutsch. Oft weiß ich nicht, was ich in solchen Momenten tun soll. Sucht man jetzt nach Kleingeld und unterstützt sowas oder gibt man das was man hat, da man mit denen teilen sollte, die weniger haben als man selbst. Man kennt die Geschichten der Menschen nicht und weiß nicht, wie sie in die Situation gekommen sind. Noch immer lächelt sie mich an. Irgendwas sagte mir, dass sie eine gute Seele war. Es kann natürlich sein, dass ich total naiv bin und auf vorgetäuschte Nettigkeit reinfalle, aber das war mir in dem Moment egal. Ich kramte nach meinem Geldbeutel. Doch ich hatte nur noch 10 Cent. Ich holte meinen Apfel aus der Tasche, den ich mir als Snack für den Heimweg mitgenommen hatte und drückte ihr beides in die Hand. Sie bedankte sich. Ziemlich oft. Ich streckte ihr die Hand entgegen, stelle mich vor und fragte nach Ihrem Namen. Als sie merkte, was ich von ihr wollte, nahm sie meine Hand und sagte Maria. Sie bedankte sich und ging weiter. Nebenan ging das Trinkgelage weiter.

„Ein Mal war ein Straßenmusiker in der Bahn. Die gehen einem meistens eher auf den Nerv. Dieses Mal war es anders. Er hat angefangen zu singen und man hat richtig die Tränen in manchen Augen gesehen. Ich hatte richtig Gänsehaut. So, so, so schön. Es haben auch 75 % der Leute Geld gegeben.“ — Ariane R.

„Also ich geb da aus Prinzip nichts. Ich mein das sind doch meistens so Drückerbanden und oft bekommen die davon doch gar nichts. Sowas will ich nicht unterstützen.“ — Laurence M.

„Ich kenn da einen älteren Herren den ich total oft morgens sehe. Er ist sehr symphatisch und sammelt dort unter anderem auch Flaschen. Ich kaufe ihm dann immer einen Kaffee anstatt ihm Geld zu geben. Mittlerweile mache ich mir sogar schon sorgen, wenn er nicht da ist.“ — Stephanie G.

Ich habe schon so getan, als würde ich schlafen, als so jemand an mir in der Bahn vorbei gelaufen ist. Mir ist das so unangenehm. Ich irgnoriere das lieber, dann gehen sie von allein wieder weg.“ — Ullie W.

Wie reagierst du, wenn dich jemand in den Öffentlichen nach Kleingeld fragt?

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17/12/19

MÄR

2020

Tagein, tagaus

Das Pendeln kennt keine Jahreszeiten. Das ist mir eben an der Haltestelle klar geworden, als ich da so im Regen stand. Es ist recht egal, welche Jahreszeit ist. Der Weg bleibt der gleiche. Im Sommer regt man sich über die schlechte Luft und verschwitze Rücken auf und im Winter über die abgefrorenen Glieder beim Warten. Tagein, tagaus.

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Kontext

2019

OKT

13 Dinge, die das Pendeln zur Hรถlle machen.

von Joel Golby

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2020

Busse, Züge, U-Bahnen – wer hasst sie nicht? Mal hast du dein Buch oder deine Musik vergessen und wirst vor Langeweile minütlich hibbeliger. Mal siehst du zu, wie der LTE-Empfang aufflackert und wieder stirbt, und fühlst dich jedes Mal, als hätte dir jemand einen Arm ausgerissen. Aber an langen Fahrten mit den Öffentlichen führt kein Weg vorbei, vor allem nicht in der Zukunft. Denn die Großstädte werden irgendwann ohnehin den Superreichen gehören. Der Rest von uns wird sich ins Umland verziehen, weil das Leben in der City unbezahlbar ist. Dort arbeiten müssen wir dann trotzdem, also werden wir alle zu Langstreckenpendlern und -pendlerinnen. Geteiltes Leid ist bekanntlich halbes Leid, deshalb ist hier eine Liste über alles, was den Arbeitsweg mit den Öffis so furchtbar macht.

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Kontext

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2019

OKT

Rennen ist entwürdigend.

Ich habe das Rennen-um-Öffis-zu-erwischen im Alter von 22 Jahren hinter mir gelassen und es seitdem keine Sekunde bereut. Wenn es mein Schicksal ist, zu spät zu kommen, dann füge ich mich dem Schicksal. Joggen? Einen platschenden Kaffeebecher in der einen Hand, in der anderen ein halb gegessenes Croissant, derweil piep-piep-piepen die sich schließenden Türen und das Herz hämmert. Plötzlich in den Zug stolpern, schnaufend und rotwangig, und alle schauen auf und starren mich an? Nein, danke. Ich gehe mit einem würdevollen, gemäßigten Tempo auf dieses Verkehrsmittel zu. Und wenn es mein Schicksal sein sollte, es zu erwischen, dann wird das Universum einen Weg finden.

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Verstehen die Menschen wie Denken geht?

Ich weiß, ich klinge jetzt wie ein Stand-up-Comedian und diese Routine ist bereits auserzählt, aber was ist nur mit den Leuten los, die versuchen einzusteigen, sobald sich die Türen öffnen? Was geht in ihren Köpfen vor? So funktioniert das nicht. Aber sie versuchen es trotzdem. Und ich versuche, es zu verstehen, aber mein Blutdruck schnellt in die Höhe und am Ende bin ich nur verschwitzt und genauso schlau wie vorher. Niemand versteht, warum die Menschen so sind. Aber ich werde nicht aufhören, darüber nachzudenken.

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Alte Menschen brauchen Sitze.

Ich hasse es, wenn eine alte Person in den Bus steigt. Sie haben zwei Strategien, um Sitze zu verlangen: einige fragen einfach, ob sie sich setzen können. Ich bin Engländer und finde so viel Direktheit derart verstörend, dass ich eher vor Schreck aufspringe als aus Rücksicht. Oder sie stehen einfach da, mitten im Zwischengang. Sie existieren einfach nur in deinem Blickfeld vor sich hin, aber das auf so passiv-aggressive Weise, dass du genau weißt: Sie wollen deinen Sitz. Eigentlich habe ich mir mal geschworen, keine Gnade zu zeigen, aber das hält man schlecht aus, wenn sie da vor einem stehen. Sie starren, du schwitzt, ihre Beine zittern, du schaust weg. Wo müssen alte Menschen so früh morgens überhaupt hin? Ihr könnt doch den ganzen Tag eure langsamen, mühevollen Besorgungen machen. Warum zur Stoßzeit? Neun Uhr morgens gehört den Leuten, die noch den vollen Preis für ihr Ticket zahlen, sorry. Wenn ihr es mit der Rush Hour aufnehmen könnt, dann könnt ihr auch mal stehen. (Du dachtest, alle Engländer sind höflich und zuvorkommend? Mitnichten, Milady.)

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Monatstickets kaufen ist wie sterben.

Der Geldautomat piept und weigert sich, auch nur einen Zehner auszuspucken. Meist passiert das kurz vor Zahltag, und jedes Mal ist es ein Schock, weil du aus einer allgemeinen, existentiellen Angst heraus nie deinen Kontostand checkst. Aber Monatstickets zu kaufen, ist dieses eklige Gefühl mal tausend. Du stehst ewig an, um eine ordentliche Portion deines Einkommens abzutreten, nur damit du zweimal am Tag in einem Scheißzug deinen Arbeitsweg bestreiten kannst. Der Scheißzug stinkt nach Kanalisation, hat augenmissbrauchende Muster auf den muffigen Sitzen (von denen du sowieso nie einen erwischst), es ist immer zu heiß oder zu kalt, und aus irgendeinem Grund bleibt das Ding einmal die Woche für etwa 40 Minuten in einem Tunnel stehen. Nun kommst du entweder zu spät zur Arbeit oder zu spät zum Abendessen, so oder so sind alle sauer auf dich.

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2020

Irgendwer bedient die Fenster immer falsch.

Warum machst du im Winter die Fenster auf, Kumpel? OK, schon stickig hier drin, aber besser, als vollgeregnet zu werden. Warum machst du im Sommer ein Fenster zu, meine Beste? OK, es kommen Fliegen rein, ist aber besser, als zu sterben. Und warum malst du an einem verregneten Tag mit deinen Fingern auf der beschlagenen Fensterscheibe? Du weißt schon, dass diese Feuchtigkeit der kollektive Atem aller Mitfahrenden ist? Im Grunde steckst du gerade deine Hand in den Mund des gesamten Busses und fährst dir danach mit denselben Griffeln übers eigene Gesicht. Was auch immer für eine Mega-Grippe du dir damit anlachst, du hast sie verdient. Du könntest auch gleich den Boden ablecken.

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Der Schienenersatzverkehr.

Ein Ort, an dem die Gesetze der Zivilisation nichts gelten. Aber ein Gutes hat das tägliche Gependel ja: Alle kennen ihren Platz, ihre Linie, ihre Abfahrtszeit. Wir haben so eine Art stillen Respekt voreinander und vor der Tatsache, dass du ein rücksichtsloses Arschloch sein musst, um einen Sitz zu ergattern. Aber es gibt Grenzen, wir rammen einander keine Ellbogen ins Gesicht, immerhin müssen wir genau diese Gesichter am nächsten Morgen wiedersehen. Aber wenn ein Zug spontan ausfällt und dafür Ersatzbusse fahren? Gnade euch Gott. Ich würde dir die Pulsschlagader mit den Zähnen rausreißen, bevor ich noch mal eine Viertelstunde auf den nächsten Ersatzbus warte. Für einen Sitz in diesem Bus bin ich bereit, noch mehr zu tun. Ich werde deine Familie finden.

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Du hast Buch und Kopfhörer vergessen

und hast jetzt absolut nichts zu tun. Ach ja, die Kopfhörer waren in der anderen Jacke. Shit. OK, dann eben das Buch, das du seit drei Monaten in Ein-Seiten-Portiönchen liest. Na toll, das waren die letzten zwei Seiten, nach fünf Minuten bist du durch. Und jetzt musst du auch noch das Buch rumschleppen. Der menschliche Geist schmilzt und zersetzt sich ohne ständige Unterhaltung, das ist wissenschaftlich bewiesen. Du liest den Klappentext auf deinem Buch. Du starrst aus dem Fenster auf den Verkehr. „Was, wenn der Bus auf einer Tropeninsel verunglückt“, überlegst du, „und dann müssen diese Leute hier versuchen, eine neue Zivilisation zu gründen?“ Wer wäre dann deine Braut oder dein Bräutigam, fragst du dich. Wen würdest du in einem Machtkampf umbringen? Den Glatzkopf bei der Tür, keine Frage. Der wäre fällig. Wahrscheinlich würdest du ihm eine Kokosnuss über die Glatze ziehen. (Deine Zähne rot vom Blut des gemeuchelten Feindes.) Hmm. Vielleicht liegt ja irgendwo eine Boulevardzeitung rum, dann kannst du diese viel zu realistischen Szenen aus deinem Hirn verdrängen. (Du, brüllend im Lendenschurz, mit blutigen Handabdrücken auf dem Oberkörper.) Gibt's hier nirgends eine Seite von einem Schundblatt? Komm schon. (Du schreist, bis du heiser bist, deine Stimme verhallt im endlosen Tropenhimmel.) Ah, endlich ein bisschen Boulevard-Unterhaltung. Was wäre der Mensch ohne sie.

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Kontext

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2019

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„Können Sie mal bitte aufrücken?"

Ich verstehe, dass man das hin und wieder sagen muss. Öffentliche Verkehrsmittel sind so was wie ein kompliziertes Stück Performancekunst, dessen einzige Botschaft lautet: „Die meisten Menschen haben keinerlei räumliches Bewusstsein.“ Aber dieser Satz ist trotzdem einer der schlimmsten, die ein Mensch aussprechen kann. „Können Sie mal bitte aufrücken? Es wollen noch Leute einsteigen.“ Ich hätte nie den Mut, das zu sagen. Ich würde eher in eine Ecke gedrängt zwischen zwei schwitzenden Touristen ersticken, wie eine welke Sonnenblume an die sich schließenden Türen gepresst, als in einem vollen Verkehrsmittel laut zu sprechen. Den Mut, so etwas auszusprechen, in allen Ehren, aber: Scheiß auf diese Leute. So ein Zug kommt alle paar Minuten. Scheiß auf euch alle. Hier hinten ist auch kein Platz, du Pfosten! Niemand hier rückt wirklich weiter, wir bewegen einfach nur sinnlos die Füße hin und her! Weil kein Platz ist! Halt die Fresse!

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Am Gleis gibt es eine Stelle,

wo der Farbstreifen am Boden besonders abgenutzt ist. Dort sind die Türen, wenn der Zug hält, und dort steht er und wartet, ein klein wenig zu nah am Abgrund, seine Mails lesend. Du musterst ihn von Kopf bis Fuß: Anzug, Hemd, (noch) keine Krawatte, Laufschuhe. Ab und zu bearbeitet er im Zug ungeniert sein Gesicht mit einem Elektrorasierer. Er hat ein Kindle in einer Klapphülle. Er bewegt sich wie ein Fisch im Wasser: als Erster durch die Tür, die Schulter senken, nach rechts abbiegen, mit perfekter Beherrschung und Eleganz in den Sitz sinken. Er trägt kabellose Kopfhörer. Fängt Minuten vor seiner Station an, seine Tasche zu packen. Die Effizienz seiner Bewegungen hat etwas Deprimierendes: so antrainiert, so festgefahren. Wie lange machst du diesen Job schon, Kumpel? Wie oft bist du schon um fünf Uhr morgens aufgestanden? Er steht jeden Tag am Gleis, hat nie Urlaub. Du kennst irgendwann seinen Anzug-Zyklus: montags und mittwochs blau, dienstags und donnerstags anthrazit, und freitags mal kein Sakko, ein bisschen Spaß muss sein. Moment – sind das die Umrisse deiner Füße, die sich da in der Farbspur am Gleis abzeichnen? Du ... oh Gott, du trägst einen Anzug! Du rennst auf die Toilette (du weißt genau, wo die Toiletten sind, dieses Gleis kennst du wie deine Westentasche). Dort klatscht du dir Wasser ins Gesicht und schaust in den Spiegel: Es ist sein Gesicht. Du hast auf deinem Kindle schon 200 Seiten von deinem aktuellen Buch gelesen. Du bist dazu verdammt, sein Leben zu führen, für den Rest deiner Tage.

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Niemand weiß, wie man einen Rucksack hält.

Rucksäcke gehören auf den Rücken. Bis zu dem Moment, in dem du einen Bus, eine Bahn oder einen Zug betrittst. Nun nimmst du ihn von deinem Rücken und hältst ihn ordentlich an der oberen Schlaufe vor deinem Körper, und zwar mit deinen Händen. Wenn du mir deinen unnötig riesigen Fjällräven ins Gesicht donnerst, schlage ich zurück. Ein Auto fahren darf man auch nicht ohne Führerschein. Unfassbar, dass wir nicht alle Rucksackkäufer einem Praxistest unterziehen, bevor man den Laden verlassen darf.

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Nur Creeps missachten die natürlichen Sitzgebote.

Die Sitzwahl im Bus ähnelt der Wahl des richtigen Pissoirs. Nur wenn nichts anderes frei ist, wird es akzeptabel, den Platz neben einem Besetzten zu wählen. Wer sich nah an andere setzt, obwohl es noch andere Plätze gibt, ist automatisch suspekt. Wenn du das bei mir machst, überlege ich die gesamte restliche Fahrt nervös, was du vorhaben könntest. Furchtbar schlecht riechen? Mich abstechen? Reden? Es kann nichts Gutes dabei rauskommen, wenn man die Naturgesetze ignoriert.

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2020

Die bekannten Gesichter um dich herum.

Ach ja, den Typen kennst du. Der macht immer kurz ein Kreuzworträtsel und schaut dann eine Folge Family Guy auf seinem Tablet. Die Frau da verputzt auf dem Heimweg immer einen kleinen Behälter Sellerie. Da ist das Mädel mit dem schlechten Haarschnitt, die dir mal hinterhergejoggt ist, weil du deine Fahrkarte verloren hattest. All diese Leute mit ihren Gesichtern, ihren kleinen Ticks und Gewohnheiten. Aber stell dir mal vor, wenn einer dieser Menschen tatsächlich das Wort an dich richten würde. Ekelhaft. „Ganz schön heiß heute“, sagt der Typ, der immer im Anzug in die Arbeit fährt, aber mit hochgekrempelten Hemdsärmeln nach Hause kommt. Sei still, Typ, ich hab dich nicht um deine Lebensgeschichte gebeten.

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Die schreckliche Erkenntnis,

dass all deine düsteren Gedanken über die anderen Leute auch in den Köpfen der anderen herumgeistern – über dich. Für die anderen bist du nur ein Statist oder eine Statistin in ihrem monotonen Leben. Vermutlich seht ihr euch jetzt täglich, bis jemand umzieht, einen neuen Job bekommt oder stirbt. Zum Leben muss man nun mal arbeiten, und die meisten von uns können es sich nicht leisten, dort zu wohnen, wo sie arbeiten. Aber die ganze Zeit, die du damit verbringst zur Arbeit und wieder heim zu fahren, frisst deine Seele und deine Freizeit auf. Du kannst nach Feierabend zwar ein paar Bier trinken gehen, um dem vollgestopften Rush-Hour-Zug zu entgehen, aber dann stehst du da, angetrunken mitten in der City, mit einem fettigen Stück Bahnhofspizza in der Hand, weil du so spät nach Hause kommen wirst, dass Abendessen nicht mehr drin ist. Dein Leben wird zu einer Routineschleife: aufwachen, duschen, anziehen, Schlüssel, Tasche, raus, billiges Frühstück und Kaffee holen, am Gleis warten, da kommt der Zug, drängeln – zum Glück hast du einen Sitz erwischt, du brauchst ihn, du bist nämlich so unendlich müde. Du liest denselben Satz in deinem Buch wieder und wieder, aber die Bedeutung kommt einfach nicht in deinem Hirn an, denn du bist so, so müde. Hin und zurück, hin und zurück – jeden Tag, bis du in Rente gehst. Du hast eine Thermotasse gekauft, um unterwegs deinen Kaffee zu trinken, aber das lässt dich auch nicht gelassener in die Zukunft blicken. Oh Gott, hier muss doch irgendwo eine Boulevardzeitung rumliegen ...

Den kompletten Artikel nochmal zum Nachlesen unter: https://www.vice.com/en_uk/article/wjbvmy/the-absolute-worst-things-about-your-commute

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Lächeln

Nachdem ich heute morgen im Bus gemerkt hatte, dass ich meine Kopfhörer vergessen habe, war ich mir sicher, dass die Fahrt einfach nur langweilig und zäh wird. Ich setz mich in der U-Bahn also vor eine ältere Dame. Ich lächelte sie freundlich an. Sie ignoriert das gekonnt. So richtig erwartet, dass sie zurück lächelt habe ich nicht.   Eine Zeit lang hatte ich versucht die Mitmenschen, denen ich in der Bahn begegne anzulächeln. Die Leute Lächeln zu wenig hab ich mir damals, vor ein paar Wochen gedacht. Die finsteren Mienen und das frostige Klima. Das hat mich mit der Zeit ziemlich genervt und ich wusste, wenn ich etwas ändern will, dann muss ich das selbst in die Hand nehmen. Ich wollte also wissen, wie die Leute reagieren wenn man sie anlächelt, ich habe nämlich noch nie genauer darauf geachtet. Ohne ein Gespräch starten zu wollen. Einfach anlächeln. Ich hab ziemlich unterschiedliche Reaktionen zurück bekommen. Oft bekam ich eins zurück, was mich dann gefreut hat. Manchmal hingegen wurde ich ignoriert, wodurch ich mir dann ziemlich doof vorkam. Hin und wieder bekam ich auch verstörte Blicke zurück, so als könnten die Menschen nicht verstehen warum ich meine Mundwinkel so verziehe. Abgesehen von den Reaktionen, die ich bekam, fiel mir auf, dass sich meine eigene Laune hin und wieder zum besseren gewendet hat, vor allem wenn ich eine positive Reaktion bei seinem Sitznachbarn beobachten konnte. Im Nachhinein denke ich, dass ich mittlerweile viel öfter Menschen anlächle, weil mich das Thema lang beschäftigt hat. Dabei hab ich nicht mehr die Erwartung, eine Reaktion zurück zu bekommen, sondern freue ich mich dann einfach, wenn mein Gegenüber ein kleines Grinsen übrig hat. In der Hoffnung, dass diese Person das Gefühl wieder an einen anderen Fremden weiter geben wird. Natürlich sitze ich nicht die ganze Zeit grinsend im Bus. Das wäre selbst mir zu anstrengend und in dem Fall auch nicht mehr ernst zu nehmen. Aber ich glaube ein nett gemeintes Lächeln ist eine wichtige Geste, vor allem unter Fremden. Es bereichert nämlich nicht nur die Person vor sich, sondern auch einen selbst. An die, die mir nicht glauben oder es für unnötig halten – probiert es einfach selbst aus. Da ich keine Musik hören konnte nahm ich mein Zeichenbuch raus, weil ich mir vorgenommen hatte mehr zu zeichnen.   Da die Dame nur deprimiert aus dem Fenster schaute, nutzte ich die Chance und versuchte die Situation einzufangen. Ich erinnere mich noch an die drei älteren Damen die in dem Vierer neben mir saßen. „Das Herz bekommt keine Falten“ sagte eine und allesamt fingen an wie junge Mädchen zu kichern. Ich horchte auf. Sowie auch die ältere Dame vor mir. Sie schmunzelte, und schaute mir in die Augen, als wolle sie sagen „irgendwie haben sie ja recht.“

„Ich selbst kann Dir nur eine Story aus alten Tagen erzählen, bin mal ein halbes Jahr nach Feuerbach gependelt. Nach kurzer Zeit haben mich alle in der S3 Abfahrt kurz vor 6 in Schwaikheim gekannt. Wie ich das hinbekommen habe? Ganz einfach, einsteigen, die Leute direkt anschauen und erstmal laut einen guten Morgen wünschen. Und das jeden Tag. Antwort bzw. Gruß zurück gab es so gut wie nie, aber gekannt haben die mich alle. Was sie dabei gedacht haben will ich gar nicht wissen.“ — Stephan M.

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Lächeln in der Bahn

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„Ein Lächeln ist die kürzeste Verbindung zwischen zwei Menschen“.   Diese Aussage wird dem dänisch-amerikanischen Pianisten und Komödianten Victor Borge zugeschrieben. Genau diese Verbindung sollten wir, meiner Meinung nach, öfter nutzen. Ich selbst habe versucht mehr darauf zu achten, vor allem beim Pendeln, wo man auf so viele Fremde trifft. Anstatt sich also nur mit sich selbst zu beschäftigen und sich immer wegzudrehen und wegzuschauen, wenn es tatsächlich mal zu Blickkontakt kommt ­– einfach mal anlächeln und schauen was passiert.

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Lächeln hat eine autosuggestive Wirkung. Das zumindest belegen etliche seriöse Studien wie z.B. die des Psychologen Robert Soussignan, in welcher er 2002 nachwies, dass selbst ein künstliches Lachen die Stimmung hebt. In der Studie mussten 96 Teilnehmer und Teilnehmerinnen Alter von 21 bis 28 einen Stift auf unterschiedliche Arten zwischen ihr Zähne nehmen. Einige mussten das Schreibgerät so halten, sodass sie unfreiwilligen lächelten. Anschließend mussten die Probanden Videos bewerten. Wer aufgrund der Stifthaltung gelächelt hatte, beurteilte die Filme weitaus positiver, und zwar schlicht deswegen, weil er oder sie besser gelaunt war. Grundlos lächeln ist also kein Quatsch, sondern kann glücklich machen, unabhängig davon, ob wir einen Grund dazu haben.   Außerdem: Wer jemanden lächeln sieht, lächelt fast automatisch mit. Das hat Sophie Scott vom University College in London im Jahr 2006 herausgefunden: Unser Gehirn spiegelt positive Emotionen besonders stark wieder. Sie spielte in ihrer Studie Personen verschwenden menschliche Laute vor, wie etwa Gelächter, Jubel aber auch ängstliche Geräusche. Über ein Hirnscan wurde beobachtet was sich in den Gehirnen der Probanden währenddessen abspielte. Das Ergebnis: Die Emotionen erzeugten unterschiedliche Resonanzen, wobei das Gehirn besonders bei positiven Gefühlen reagierte.1   Während meiner Recherche habe ich außerdem herausgefunden, dass das Lachen einen weitaus positiveren Effekt auf den Körper hat als man denkt. Ich will damit nicht andeuten, dass man mitten in der Bahn lauthals anfangen sollte zu lachen, aber falls ihr euch danach fühlt, dann lasst es raus. Denn insgesamt sind beim Lachen rund 300 Muskeln der Gesichtsund Atemmuskulatur beteiligt. Bei intensiven Lachen nimmt die Lunge viel Luft auf, wodurch Sauerstoff vermehrt in den Körper gelangt. Es kommt dadurch zu einem anregenden Einfluss auf das Herz-Kreislauf-System, das Verdauungssystem und auf die Muskulatur des Rumpfes. Die wichtigsten Atemmuskeln entspannen sich, die Lunge und der Brustkorb werden gedehnt. Schlaffe Muskeln werden wieder aktiviert und verspannte Muskeln lockern sich. Nach der "Aufregung" durch den Lachanfall entspannt sich der Körper wieder. Die Arterien weiten sich, der Blutdruck sinkt wieder, es folgt ein Entspannungszustand.   Lachen wird auch medizinisch eingesetzt: Herzinfarktpatienten lachen unter ärztlicher Aufsicht, verringern dadurch ihren Blutdruck und damit die Gefahr eines erneuten Infarktes. Mit dem Lachen kommt das Wohlbefinden. Das kann nicht nur subjektiv empfunden, sondern auch biologisch belegt werden. Im limbischen System, einer evolutionsgeschichtlich alten Region im Gehirn, liegt das Zentrum für Gefühle. Hier werden während des Lachens Glückshormone (Endorphine) produziert, die in die Blutbahn gelangen. Das merken wir daran, dass die Stimmung steigt. Aber Lachen bewirkt noch etwas anderes im Körper: Während Endorphine freigesetzt werden, wird die Ausschüttung des Stresshormons Adrenalin unterdrückt. Die kurzzeitigen Veränderungen im Hormonhaushalt können so stark sein, dass sie helfen Schmerzen zu lindern. Sogar das Immunsystem wird durch das Lachen angeregt. Sogenannte Antikörper, die der Körper zum Schutz vor Bakterien und Viren braucht, werden neu gebildet. Lachen hat also mindestens drei positive Auswirkungen auf den Körper: Die Abwehrkräfte werden gestärkt, der Stresspegel sinkt und zudem bringt der Hormonschub Glücksgefühle.2   Aber zurück zum Lächeln. Woran erkenne ich überhaupt ob ein lächeln ernst gemeint ist? Um das zu erkennen muss man auf die Augen des Gegenübers achten. Benannt ist das echte Lächeln nach dem französischen Psychologen Guillaume-Benjamin Duchenne. Er bemerkte in Studien im 19. Jahrhundert, dass beim ehrlichen Lächeln nicht nur die Mundwinkel nach oben gezogen werden, sondern auch in den Augenwinkeln kleine Fältchen zu sehen sind – das so genannte Duchenne-Lächeln. Lächeln kann einem Menschen aber auch Probleme bereiten, vor allem wenn man es z.B. durch den eigenen Beruf dauernd machen muss, da

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Lächeln macht glücklich

Mitlächeln funktioniert fast automatisch

Die positiven Effekte des Lächelns

Das ehrliche Lächeln


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solche Berufe psychisch gefährdend sind. Dieter Zapf von der Universität Frankfurt untersuchte für seine Studie im Jahr 2005 etwa 4000 Personen. In Fragebögen und Experimenten fand er heraus: Die Dauerlächler waren besonders Burnout-gefährdet und anfällig für Depressionen. Besonders betroffen waren Stewardessen, Verkäufer und Mitarbeiter von CallCentern.   Was ich mit diesem Beitrag bezwecken will, ist nicht alle Menschen zu Dauerlächlern zu machen. Das wäre merkwürdig und eventuell sogar ungesund, wenn man das Gefühl hat man müsste durchgehend seine Mundwinkel verziehen. Ich verstehe auch, dass man nicht immer Lust hat zu Lächeln oder mit fremden Menschen zu kommunizieren. Aber falls das frostige Klima der Bahn und die finsteren Mienen dich manchmal aufregen, wenn du irgendwo unterwegs bist, dann weißt du jetzt was du zu tun hast. Du kannst durch einen kleine Geste eine andere Atmosphäre schaffen. Nicht nur für dich, sondern auch für andere. Natürlich wird nicht jeder dich anschauen und zurück lächeln, aber viele werden es.3

1 2 3

https://www.alltagsforschung.de/die-psychologie-des-lachelns/ (letzter Zugriff: 18.05.19) https://www.planet-wissen.de/gesellschaft/psychologie/lachen/pwieistlachenwirklichgesund100.html (letzter Zugriff: 18.05.19) Vgl. 1

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Aline/Echterdingen/Studentin

Bahn Zeit Kälte 62

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Hast du auch Mal überlegt dort hinzuziehen, wenn du jetzt schon so lange pendelst?

AL   Ja also im Grunde genommen kenne Ichs nicht anders. Wie gesagt, ich pendel ja schon seit der 5. Klasse. Und mein Freund wohnt auch hier, wir wohnen in der Eigentumswohnung von seinem Patenonkel, super günstig. Es wäre einfach Quatsch da wegzuziehen. Zumal wir zwei Hunde haben, also eine Wohnung zu finden wäre eh ein Problem. Ich lese total gerne, und sonst komme ich nicht dazu, außer in der Bahn. Wenn ich z.B. grad eine Serie suchten muss, dann sag ich okay die Stunde in der Bahn ist dann eben meine Serienzeit, oder ich les ein Buch, was für das ich mir sonst weniger die Zeit nehmen würde. KA

Also würdest du sag, dass du die Zeit gut nutzen kannst, wenn du sie dir so einteilst.

AL

Ja, also ich mach selten was für die Uni, außer wenn ich spät dran bin. Also wenn ich verheilt hab was zu lesen, oder eine Aufgabe zu machen, dann kann ich das auch in der Bahn machen, da wir mir nicht schlecht oder so. Aber eigentlich nutz ich die Zeit dann eher für so privaten Kram. KA

Hast du dir dann auch schon sowas wie Angewohnheiten angeeignet, wenn du schon so lang pendelst? Damit meine ich Alltagsroutinen.

AL   Also die Kopfhörer sind immer dabei, die hängen praktisch am Handy immer dran. Ehm ich hab einen Tee immer dabei, wobei ich den gar nicht in der Bahn trinke, sondern erst an der PH. Das mach ich in der Bahn eigentlich nicht. Ich peile immer die Sitze in der Bahn an, die so hoch und runter klappbar sind, da sitzen oft nicht so viele Menschen. Das ist mir dann schon wichtig sitzen zu können. Wenn man nicht sitzen kann, ist das schon ziem-lich ätzend. Wenn ich dann aber mal sitz, ist es mir egal wer oder was neben mir sitzt. KA

Du kannst dann also schon gut abschalten, würde ich jetzt mal so sagen.

AL   Verrückt ist, ich weiß nicht ob man das unbewusst hört, wenn die Haltestelle da ist, oder man da so eine Gefühlszeit hat. Aber egal wann ich Bahn fahr, ob ich nachts total betrunken bin, ich steig immer da aus wo ich muss. Mir ist das noch nie passiert, dass ich zu weit gefahren bin obwohl ich auch oft schlafe, entweder morgens oder nachts. Ich bin noch nie zu weit gefahren.

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Hast du schon die ein oder andere Bekanntschaft gemacht, weil man sieht ja meistens immer dieselben Gesichter, wenn man regelmäßig fährt. Oder bist du da eher jemand, der sich abkapseln will.

AL   Zu Schulzeiten ja, ich erinner mich an eine Frau, eine Sekretärin, das war in der 5., 6. Klasse oder so, neben der bin ich immer gesessen und wir haben immer geredet. Dann auf ein Mal war sie weg, ich weiß noch wie schlimm das für mich war, weil sie einfach nicht mehr gekommen ist. Ich wusste ja nicht ob was passiert war, oder ob sie umgezogen ist. Also ich weiß es nicht, aber irgendwann war sie eben nicht mehr da. Aber sonst eigentlich nicht. Zur Schulzeit waren es dann einige Freundinnen, die zumindest einen Teil der Strecke mit mir gefahren sind. Aber jetzt beim Studieren, ne. Da hab ich meine Ohrstöpsel drin, hör Musik, schau meine Serie oder les mein Buch. KA

Würdest du denn sagen, dass das Pendeln auch dein Privatleben beeinflusst. Z.B. Hobbies, Beziehungen, Freunde.

AL   Ehm ja, also mein studentisches Leben. Was ich nicht mach, obwohl Ichs gerne machen würde ist, abends an der PH irgendwelche Sportkurse oder Tanzkurse mitmachen oder Bartouren, die gemacht werden für die ganzen Studis. An sich Studentenpartys. Mach ich einfach nicht, weil es sich nicht lohnt da eine Stunde hinzupendeln und dann nachts irgendwann wieder zurück. Dafür bin ich einfach zu wenig Student. Ich habe meinen Freund zu Hause und meine beiden Hunde und das ist mir viel zu anstrengend. Wenn ich in der Nähe von der PH wohnen würde, dann würde ich auf jeden Fall so Kurse mitmachen. Die sind halt meistens immer abends sind mal um 19 Uhr oder mal mit feiern gehen, aber das fällt dementsprechend einfach flach. KA

Was genau bereitet dir Freunde an den Öffentlichen, also gibt es da was du sagst okay das finde ich entspannt, das finde ich gut daran. Ich hatte nämlich auch einige Gespräche mit Menschen, die das eher mit Stress verbunden haben. Aber du scheinst das dann doch wirklich eher anders zu sehen.

AL   Ja, also ich pendel eigentlich gerne. Ich hab auch ein Auto, also ich hätte auch die Möglichkeit mit dem Auto nach Ludwigsburg zu fahren. Das sind aber auch ein Mal finanzielle Gründe. Es ist einfach billiger mir ein Studiticket zu kaufen als täglich mit dem Auto zu fahren. Zeitlich schenkt sich nicht viel. Also wenn ich mit dem Auto fahr, dann bin ich vielleicht 20 Minuten schneller.

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Aber die Chance auf keinen Stau auf der A81 kommt ein Mal im Monat oder so. Somit bin ich sogar schneller mit der S-Bahn. Und dann noch diese ganze Parksucherei. Da find ich das Bahnfahren auf jeden Fall stressfreier. Und ich find es ist so eine Zeit am Tag, bei der man gezwungen ist sich hinzusetzen und nichts zu tun. Da hast du einfach Zeit, je nach Mensch, nochmal was für Uni oder für die Arbeit zu lesen oder zu machen oder noch zu entspannen oder nichts zu tun. Ich versteh manche Leute, z.B. einer Freundin wird es richtig schlecht, wenn sie in der Bahn liest. Da ich damit keine Probleme hab, genieß ich die Zeit eigentlich eher. Ätzend ist es im Winter, wenn man dann irgendwo und er Kälte steht und warten muss, und nicht weiß ob die Bahn kommt oder nicht. KA

Zum Abschluss würde ich von dir gerne noch drei Wörter wissen, die dir bei dem Wort Pendeln einfallen.

AL   Bahn, Zeit und Kälte. KA

Welche Tipps würdest einem gestressten Pendler, aus deiner eigenen Erfahrung heraus, mitgeben?

AL   Überlegen was man an sich gerne macht, wofür man sich aber nie die Zeit nimmt. Im Winter häkle ich immer. Also einfach Sachen, die man schon immer mal machen oder lernen wollte. Vor allem mit den digitalen Medien kann man mittlerweile fast alles immer und überall machen. Die Bahnen haben ja auch fast alle WLAN.

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An welche Situation in den Öffis, kannst du dich besonders gut erinnern?

Es muss so vor etwa 8 Jahren gewesen sein, als ich im Rems-Murr Kreis ein gebrauchtes Fahrzeug eines Autohändlers abholen wollte. Also in Echterdingen rein in die S3 und mit meinem Monatsticket gutgelaunt auf den Weg. Doch nach einiger Zeit beschleicht mich ein sehr mulmiges Gefühl, weil meine Geldbörse mit 6500 EUR Bargeld gut gefüllt ist und sicher für Ganoven jetzt ein lohnendes Ziel darstellt. In meinem Abteil sitzen nun – so der Anschein – ausschließlich Mafiabrüder, Knastis und Drogenabhängige, alle mit einem lüsternen Blick auf meine Jackentasche, in der die wertvollen Scheine eine verdächtige Beule verursachen. Ständig schweift mein Blick umher, anders als sonst beim Pendeln zur Arbeit, wer wird wohl nun auf mich zukommen und mit vorgehaltener Waffe die Aushändigung des Zasters erzwingen?   Die Fahrt wird immer unangenehmer, Panik steigt auf und die Tropfen auf der Stirn vermehren sich unablässig. Es kommt der Tunnel nun, bestimmt geht das Licht aus, es wird Schreie und Schüsse geben. Am Schluss liege ich sicherlich auf dem Boden, niedergestreckt und komplett ausgeraubt. Mein letztes Stündlein hat wohl geschlagen. Aber, aber, ruhig Blut. Die Dame mir gegenüber mit Mitte 60 sieht eigentlich gar nicht soo gefährlich aus. Ok, man kann es nie wissen. Oder wie sieht es mit dem tattowierten Sonnenbrillenträger am ganz anderen Ende des Abteiles aus? Er schaut tatsächlich jede 2. Minute in meine Richtung.

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Schon äusserst verdächtig. Allerdings bin ich es, welcher ständig glotzt und sicher einen eigenartigen Eindruck bei den anderen Gästen hinterlässt. Oh – Sommerrain, noch 2 Stationen – ich könnte es schaffen. Jetzt Fellbach. Nur noch eine. Jetzt gleich geht die Türe auf und bisher kein Überfall. Puhh, geschafft. Waiblingen Bahnhof. Ich steige aus und erreiche mit zitternden Knien den Taxistand, welcher mich ohne weiteren Vorkommnisse aber mit viel belanglosem Gelaber zum Autohändler bugsiert. Lustig war noch das erstaunte Gesicht des Taxifahrers, als ich ein Geldbündel aus der Jacke zauberte und mit einem 200er Schein die Fahrt von 12,50 EUR bezahlen wollte, bestimmt hat er mich für ein Mafiamitglied gehalten. — Rico P.

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Zeitmanagement fĂźr Pendler

von Marc Frewert

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Pendler haben von mit einem der wichtigsten Güter zu wenig: Zeit.   Pendeln kostet viel Zeit, meist auch noch viel Geld und damit auch viel Stress und geht auf die Gesundheit. Allerdings kann man an allen 4 Punkten arbeiten um jeden einzelnen Punkt zu verbessern.   Wie das geht? Teilweise mit gar nicht mal viel Aufwand. Man muss nur anfangen einige Stellschrauben zu finden, anpassen und optimieren. Doch welches sind die richtigen Stellschrauben? Und wo fange ich da an? Darauf will ich in den folgenden Tipps mal eingehen.

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Routinen und Gewohnheiten

Fangen wir mal mit dem meiner nach wichtigsten Punkt an: Gewisse Dinge sollten einfach automatisiert ablaufen. Eine gute Morgenroutine hilft dir gut und schnell vom Bett aufzustehen und in den Tag zu starten. Hier solltest du nicht lange überlegen was du frühstückst und anziehst und einpackst. Richte dir dein Frühstück du deine Klamotten am Vorabend hin. Am besten als Teil deiner Abendroutine. Du sparst dir so Zeit und Energie. Und auch eine Abendroutine ist ideal um den Tag gut zu beenden und den nächsten gut vorzubereiten. Hier ist es am besten den nächsten Tag vorzubereiten und so stressfrei ins Bett gehen zu können. Ein gutes Buch lesen und Ruhe (kein Fernseher) helfen hier Wunder.   Profipendler nutzen noch eine Mittagsroutine um die Tagesplanung anzupassen und Energie zu tanken und sich zu bewegen. Hier nimmst du dir am besten 10 bis 15 min von deiner Mittagspause und gehst 5 — 10 spazieren und passt 5 min lang den Rest deiner Tagesplanung an. So kannst du flexibel auf Unerwartetes reagieren.

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Gute Planung

Im Idealfall hast du eine Wochenplanung und jeden Morgen (oder auch am Abend davor) eine Tagesplanung. Gerade als Pendler ist es wichtig, Pufferzeiten einzuplanen bei wichtigen Terminen. Natürlich auch für abends. Du willst mit deiner Frau oder Partner ins Kino? Das ist ziemlich blöd, wenn du da dauernd zu spät kommst. Das belastet. Daher solltest du versuchen, deine Tage und auch deine Woche so zu planen, dass du alles wichtige unterbekommst. Oder du erkennst schon vorher, dass du manche Termine nicht wahrnehmen kannst. Besser vorher absagen als zu spät absagen oder zu spät kommen. Und dafür ist eine Wochen- und Tagesplanung nötig.

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Eine Alternative haben

Was ist damit gemeint? Damit meine ich, dass du deine Pendelstrecke so planen solltest, dass dir Alternativen offen stehen. Zum Beispiel wenn ein Zug ausfällt oder ein Zug Verspätung hat. Dann sollte nicht erst die große Suche nach der Alternative losgehen. Gleiches gilt für den Pendler mit dem Auto. Welche Ausfahrten können bei Staus die richtigen sein? Wo kann ich entlang fahren, wenn die Autobahn gesperrt ist? Wichtig ist ebenfalls zu wissen, wann die Hauptverkehrszeiten auf den Strecken sind. So kann ich mir die Strecke, falls möglich, anders gestalten. Eine weitere Alternative kann auch sein, dass du direkt weißt, es geht heim ins HomeOffice. Eine Alternative welche innerhalb von 5 sek entschieden ist. Du solltest gar nicht erst überlegen müssen, welche die klügste Alternative ist.

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Eine Aufgabe

Pendeln ohne etwas zu tun, ist nicht gut. Nur stumpf im Auto zu sitzen und Radio hören oder in Bahn vor sich hin dösen ist für einen Berufspendler auf Dauer keine gute Idee. Du brauchst eine Aufgabe, die du erledigen kannst. Gerade in der Bahn gibt es so viele Möglichkeiten. Und auch im Auto sollte nicht nur das Radio laufen. Der Zeit beim Pendeln einen Mehrwert geben ist sehr wichtig und erleichtert das Pendeln ungemein. Es sorgt für weniger Stress und du kannst deine Zeit sinnvoll zu nutzen. Unterschätze das nicht. Suche dir eine regelmäßige Aufgabe. Eine Aufgabe kann zum Beispiel regelmäßige Weiterbildung sein. Durch das Lesen von Büchern, Blogs oder Podcasts/Hörbüchern. Oder du arbeitest an sonstigen privaten Projekten oder Recherchen dafür. Im Auto kannst du per Freisprecheinrichtung telefonieren und so mit Freunden und der Familie in Kontakt bleiben. Vor allem versuche Dinge, welche du normalerweise sonst Abends daheim machst, in die Pendelstrecke zu legen. Im Zug zum Beispiel Sachen recherchieren, Kontoführung, etc. Das geht mittlerweile alles gut vom Laptop aus. Und im Auto genauso: Anrufe bei der Versicherung. Geht super im Auto. Anrufe bei Freunden? Vertreibt einem prima die Zeit. Und so hat man Abends noch genug Freiraum, um wertvolle Zeit mit der Familie zu verbringen.

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Pendeln ist pure Entspannung

Wie kommt man dazu Pendeln als pure Entspannung anzusehen? Nun, da kann man recht einfach an sich selber arbeiten. Du sitzt im Zug und hast keinen Empfang. Du wolltest doch eh schon lange mal wieder dir eine Stunde Pause vom Handy gönnen. Also mach das doch einfach. Mal das neueste Album der Lieblingsband komplett anhören? Geht perfekt im Zug und Auto. Versuche dir solche Entspannungsoasen zu bilden während dem Pendeln. Schaue aus dem Fenster, höre coole Musik im Auto. All das entspannt dich und gibt Freude. Probier es einfach mal aus.   Zum Abschluss kann ich dir nur empfehlen: probiere das Pendeln entspannter anzugehen. Und geplant. Versuche die Zeit zu nutzen. Am besten für Dinge, bei denen du dann daheim oder auf der Arbeit Zeit einsparst. Ebenfalls solltest du es, vor allem im Zug, zum Entspannen nutzen. Einfach mal aus dem Fenster schauen und nichts tun. Etwas was sich mittlerweile so gut wie jeder wünscht. Und du als Berufspendler kannst das andauernd machen. Und plane deine Woche. Versuche alle Termine so einzuplanen, dass die wichtigen Termine nicht zu kurz kommen. Und wenn du diese Tipps umsetzt, kommst du dem entspannten Pendeln schon deutlich näher.

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Produktiv sein

Ich hab mich immer gewundert wie es Menschen schaffen in der U-Bahn oder S-Bahn zu arbeiten. Es ist ja nicht so, dass wir ganz entspannt in einem Regio oder einem ICE sitzen, wo die allgemeine Athmosphäre, ich sag mal, arbeitsfreundlicher ist. Da hat man einen kleinen Tisch zum aufklappen, die Leute verhalten sich in der Regel ruhig und es stoppt nicht minütlich. Wenn ich Bahn fahre (in der Regel S-Bahn und/oder U-Bahn), dann ist es kaum möglich sich ernsthaft auf eine Sache zu konzentrieren. Die ganze Zeit fährt die Bahn an und stoppt wieder, Menschen steigen ein und aus und wirklich viel Platz hat man, vor allem morgens, eh nicht. Aber es gibt sie, die arbeitswütigen, denen 8 Stunden im Büro nicht genug sind. Ob das wirklich auf alle Arbeitenden in der Bahn zutrifft weiß ich nicht, aber manchmal empfinde ich es schon als etwas übertrieben. Ich bezieh mich da auf die Sorte, die ihre Telecom-Meetings am liebsten in einer vollen Bahn abhalten oder Laut mit ihren Kollegen über das Handy diskutieren müssen.   Da die Bahn voll ist, müssen die Leute dementsprechend laut in dein Ohr brüllen, damit man auch unbedingt mitbekommt, was so ansteht. Ich weiß ich klinge ein wenig zynisch, auch andere Leute brüllen unkontrolliert in ihre Handys, aber genau diese Sorte ist mir heute eben aufgefallen. Ich selbst saß auch schon oft mit meinem Laptop auf dem Schoß da, weil ich schnell noch etwas fertig machen muss. Das habe ich zwei Mal gemacht. Das eine Mal ist mir mein Laptop von meinem Schoß gerutscht, das andere Mal hab ich ihn mit Kaffee getauft. Ein weitere Chance gibt mir mein Laptop glaube ich nicht. Arbeiten in der Bahn ist also nicht so meine Form der Produktivität. Ich musste mich in letzter Zeit also anders beschäftigen. Wenn ich so zurück denke, saß ich immer wie die meisten meiner Mitmenschen am Handy oder habe Musik gehört. Also total passiv und unaufmerksam.

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Musik ist nach wie vor super wichtig für mich. Aber ich habe angefangen, die zwei Stunden am Tag so abwechslungsreich wie möglich zu gestalten. Zu der Strategie gehören Podcasts, heruntergeladene Serien (die man dann auch nur in der Bahn schaut), Nachrichten und Onlinemagazine lesen, Menschen zu zeichnen und eben dieses Tagebuch zu schreiben. Früher aufstehen und zur Bahn zu gehen mag ich zwar immer noch nicht, aber ich denke, ich mache das Beste aus meiner Fahrtzeit.


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Beschäftigung

Sicherlich, sind die Zeichnungen nicht perfekt, aber es ist trotzdem spannend ,die Gesichter, Haltungen oder Bewegungen in einem Bus oder der Bahn mal genauer zu studieren, anstatt sich eine Stunde lang mit dem Handy zu beschäftigen. Was ich bisher sagen kann ist, dass ich aufmerksamer geworden bin und dadurch (unabsichtlich) schon den ein oder anderen spannenden Geschichten oder lustigen Aussagen zuhören konnte.

Ich war mal wieder am Zeichnen. Etwas das ich in letzter Zeit, als ein perfekter Zeitvertreib in der Bahn erwiesen hat. Es dauerte an dem Tag nicht lang bis sich eine Frau vor mich setzte und begann, ohne dabei einmal Luft zu holen, sich mit mir zu unterhalten. Eigentlich war ich in meiner kreativen Blase und wollte nicht unbedingt mit anderen Menschen interagieren, aber die Frau war mir auf Anhieb absolut sympathisch. Sie schien mir einer sehr aufmerksame Person zu sein. Nicht wie viele andere, die sich in der Bahn die meiste Zeit mit Kopfhörern und ihrem Handy beschäftigen. Sie war voller Elan und Energie, dass es irgendwie auf mich abgefärbt hat. Wir unterhalten uns nur recht kurz über meine Zeichnungen und sie empfahl mir einige Ausstellungen in Stuttgart. Wir wünschten uns gegenseitig noch einen schönen Tag, als sie schliesslich am Hauptbahnhof ausstieg. Obwohl unsere Begegnung nur so kurz war musste ich noch lange über sie nachdenken.   Ich finde Menschen klasse, die einen so vollkommen für eine Sache motivieren können, wie sie es z.B. mit den Ausstellungen getan hat. Das ist bei mir morgens vor meinem ersten oder zweiten Kaffee gar nicht so einfach. Ich hätte außerdem nicht gedacht, dass mein Skizzenbuch so faszinierend auf Menschen wirkt. Es kam bis jetzt schon öfters vor, dass Menschen zu mir rüber geschielt haben um zu sehen, was ich da mache. Daraus ergab sich dann hin und wieder ein kurzes Gespräch oder ein nettes Lächeln. Ich denke hingegen nicht, dass die Menschen, die ich studiere für meine Zeichnungen, sich dessen bewusst sind. Hin und wieder bemerkte der/die ein oder andere, dass ich sie oder ihn anstarre, was dann ziemlich unangenehm war. Bisher habe ich mich nämlich noch nicht getraut auf Menschen zuzugehen und sie zu fragen ob ich sie zeichnen kann. Aber ich denke, dass das alles eher kontraproduktiv wäre. Ich will nämlich nicht, dass die Menschen sich zu beobachtet fühlen, da sie sonst ihre Haltung verändern würden.

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Peter/Echterdingen/Ingenieur

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Wie lange bist du schon am Pendeln?

2020 KA

Wie beschäftigst du dich während den Fahrten?

PE

Im Grunde pendle ich schon seit meinem Studium und durch meine Arbeit pendle ich auch. Also seit 1989, also 31 Jahre.

PE   Es gibt nur zwei Sachen, die ich mache. Entweder ich spiele ein Spiel auf meinem Handy. Das zweite ist: Menschen beobachten. Natürlich denkt man auch nach über den Tag. Aber im WeKA Wie sieht der Arbeitsweg bzw. deine Pendlerfahrten sentlichen – Beobachten, Muster erkennen und die Menschen anin der Regel aus? schauen. Ich betrachte oft die Schuhe. Wenn jemand eine tolle Uhr hat aber abgeratzte Schuhe hat dann fällt mir das auf. Oft be PE   Ich hab ja eigentlich 2 Pendlerstrecken. Ein Mal nach Feuer- obachte ich auch Menschen die fast einschlafen und hoffe, dass bach und nach Renningen. Da hab ich mehrere Möglichkeiten sie an ihrer Haltestelle pünktlich raus kommen. Gesprächsfetzen und kann mir die Strecke sogar aussuchen. Entweder Auto, was sind manchmal auch amüsant. Dann hör ich einfach zu natürlich ich nicht so gerne mache aus Umweltschutzgründen und weil es ohne zu spannen. (...) Ich spiel auch immer ein Spiel mit mir selauf Dauer nervt. Ich kann also Bus, S-Bahn und U-Bahn fahren ber, wie eine Wette mit mir selbst. Ich versuche zu erraten, wer oder Auto, Park and Ride und U-Bahn. Park and Ride ist mir am als nächstes aussteigt und wette praktisch gegen mich selbst. (...) liebsten, weil ich auf dem Rückweg immer Probleme habe mit der Ich will nicht so einer sein der immerzu in sein Handy starrt. Ich Busverbindung habe. spiele hin und wieder ein Spiel und beobachte dann eben Menschen. Wenn mich jemand versucht zu erreichen, dann wimmel KA Bereitet dir die Distanz zur Arbeit große Probleme ich den Anrufer eher ab. Mich stören diejenigen die so laut teleoder eher weniger? fonieren. Das wirkt dann immer so, als wären sie wichtig. Ich vermeide es, Arbeit mit in die Bahn zu nehmen um Abstand zu ge PE   Als ich im Studium war ist mir das nicht groß aufgefallen. winnen zur Arbeit. Mit dem Auto war das als ich jung war vollkommen okay und cool. Aber je älter man wird umso näher würde ich gerne an mei- KA Emfpindest du das Pendeln eher als entspannt oder ner Arbeitsstelle wohnen. Das hat was mit dem Alter zu tun. Ich doch eher als stressig? denke, wenn man dann in der Bahn sitzt dann empfindet man das eher als verlorene Zeit und das resultiert dann wiederrum in  PE   Eher enspannt. Weil man sich ja nicht groß kümmern muss. einem sehr negativen Gefühl. Wenn ich allerdings direkt an mei- Im Auto muss man immer so angestrengt sein. Stressig ist es nicht, ner jetzigen Arbeit wohnen würde, dann wäre mir das zu nah. wenn mich was stresst, dann ist das die Tatsache dass es verloIdeal wären 15 —20 Minuten. Ich hingegen pendel 60 Minuten. rene Zeit ist. 15-20 Minuten ist okay aber eine Stunde. Puh. KA

Welche Gewohnheiten haben sich bei dir mit der Zeit zu das Pendeln etabliert?

PE   Zeitliche Gewohnheiten gibt es natürlich und damit auch Verkehrsmittelgewohnheiten bis hin zu Platzpräferenzen. Mit dem Effekt, dass ich merke, dass andere das auch tun. Dementsprechend gleicht jeder Tag dem anderen. Eine dickliche Frau steigt z.B immer mit mir ein und weil sie übergewichtig setzt sie sich immer auf einen großen Einzelsitz. Ich kenne sie mittlerweile so gut vom Sehen, dass ich weiß, dass sie das nicht mag, wenn man sie beobachtet wie sie sich dort setzt oder aufsteht. Das sind solche Routinen von anderen die man eben beobachtet. Ich bevorzuge die Vierersitze und setze mich immer an die Gangseite. Ich mag das nicht, wenn man Menschen ansprechen muss, wenn man raus muss. Ich bin sehr groß. Ich steig auch immer an der selben Stelle ein und aus, damit ich meinen Anschlusszug erwischen kann. Andere machen das auch. Die haben dieselben Gewohnheiten wie ich und da komm ich dann wieder auf den Punkt zurück: Jeder Tag gleicht dem anderen.

KA

Gibt es Situationen, an die du dich erinnerst, wenn du an das Pendeln denkst?

PE   Durchsagen, durch die man gezwungen wird auszusteigen ohne dass man weiß ob es weiter geht oder nicht das ist richtig übel. Es ist eher ungewöhnlich, dass man nicht mehr weg kommt hier in Stuttgart. Aber es kam schon mal vor. Das ist immer eine unangenehme Situation. KA

Abschließend hätte ich gerne noch, dass du mir drei Wörter nennst, die du mit dem Pendeln verbindest.

PE   Gelb, Rot, Rost. Gelb ist die U-Bahn, rot sind die S-Bahnen und rostig sind die Schienen, die man sieht wenn man aus dem Fenster nach unten schaut.

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24/01/20

MÄR

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Empathie Heute hatte ich ein sehr „intensives“ Gespräch mit meiner Sitznachbarin. Das war auf dem Heimweg in der S-Bahn. Ich weiß nicht mehr genau, wie wir ins Gespräch gekommen sind, aber wir kamen recht schnell zum Thema Wohnungssuche in Stuttgart. Ich hatte ihr erzählt, dass mich diese ganze Pendelei nervt und ich schon auch Lust hätte in die Stadt rein zu ziehen. Ich merkte, wie sie bei dem Satz eine Augenbraue leicht hochzieht. Sie meinte daraufhin, warum ich hier her ziehen wollen würde bei diesen Preisen. Ich weiß nicht warum, aber mit dem Thema hatte ich wohl einen Nerv getroffen und was folgte war schon fast ein Monolog über horrende Mietpreise, Abzocke und Politik. Es kam wie ein Wasserfall aus ihr raus und ich wusste nicht wohin mit mir. Ich denke nicht, dass es ihr aufgefallen wäre, wenn ich bei einer Station unbemerkt ausgestiegen wäre. Ausprobiert habe ich es nicht, weil ich gehofft hatte, dass sie selbst irgendwann einfach aufsteht und geht. Aber neeein. Ich saß fest und lächelte und nickte. Nach einer Weile dachte ich mir irgendwas muss heute doch gewesen sein bei der Frau, dass sie so auf dieses Thema reagiert und sich mir so offenbart. Ich lies sie weiter reden und dann kam der Punkt, der alles erklärte. Sie räumte ein, dass sie seit einem halben Jahr nach einer Wohnung sucht, kurz vor einem Rausschmiss steht, Angst hat auf der Straße zu landen und heute wieder eine Absage bekommen hätte – Sie wüsste nicht, was sie falsch gemacht hat. Oh man, hab ich mir gedacht, das ist viel auf ein Mal. Ich versuchte sie ein wenig aufzumuntern aber keine Chance. Aus dem Wasserfall wurde eine tränenreiche Überschwemmung. Ich kramte in meiner Tasche nach Taschentüchern, doch konnte keine finden. Ein älterer Herr, der neben mir im Vierer saß, bemerkte meine Suche.   Er bot mir meine Taschentücher an mit den Worten, dass meine Freundin sie eher gebrauchen könnte als er, und dass sie sich nicht solche Sorgen machen muss. Oh Gott war der Opi süß. Ich nahm sie dankend an und reichte sie weiter. Die Dame, ich schätzte sie so auf Anfang 30, schien plötzlich peinlich berührt zu sein, als ich ihr die Taschentücher hinhielt. Es war, als würde ihr durch meine Geste erst bewusst werden, was die letztem 10 Minuten passiert ist. Sie fing an sich zu entschuldigen. Ich erklärte ihr, dass alles okay sei. Ich selbst habe auch schon das Weinen angefangen in der Bahn, wegen viel banaleren Dingen. Das eine Mal habe ich geweint, weil das Ende von „das Schicksal ist ein mieser Verräter“ so mitgenommen hatte. Ich erinnere mich noch an die verwirrten Blicke, die mir zugeworfen wurden. Als hätten die Menschen noch nie jemanden Weinen sehen. Das andere Mal hatte ich am Morgen das Auto meines Vaters zerkratzt. Die Bahn war total überfüllt und ich habe in der Bahn eine halbe Stunde lang gepumpt wie ein Marienkäfer, weil mich das emotional so mitgenommen hatte. Natürlich hat niemand gefragt, was mit mir los sei. Das wäre mir auch unangenehm gewesen. Eine Frau hatte mir dann wortlos und mit einem netten Lächeln ein Taschentuch angeboten. Ich weiß nicht warum aber das hatte wirklich geholfen. Wie auch immer. Ich stieg in Echterdingen aus und wünschte ihr noch viel Erfolg bei der Suche. Ich habe sie seitdem nicht wieder gesehen, was vielleicht sogar ein gutes Zeichen ist.

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10/02/20

OKT

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DEZ

Stammplatz Hast du einen Lieblingsplatz, wenn du mit den Öffentlichen fährst? Setzt du dich auch mal neben eine sympathisch aussehnende Person oder suchst du nach dem letzten freien Vierer in der Bahn? Lieber am Fenster oder im Gang? In Fahrtrichtung oder dagegen?

Was mich unter anderem zu einem waschechten Pendler macht? Ich habe meine Routinen und Angewohnheiten, wenn ich mit den Öffis fahre. Ich hab mit der Zeit herausgefunden, wie ich mir die zwei Stunden am Tag, die ich in den Öffentlichen verbringe für mich am Besten totschlagen kann. Ich habe zum Beispiel immer meine Thermoskanne dabei an der ich die ganze Fahrt über nuckeln kann. Die ist mittlerweile wie an meiner rechten Hand festgewachsen und man wird mich vermutlich nicht ohne das Ding antreffen. Weiterhin habe ich für mich die beste Verbindung in die Stadt gefunden. Ich habe die drei verschiedene Verbindungsmöglichkeiten. Da ich S-Bahn fahren nicht mag, fahr ich fast immer lieber 10 Minuten länger und nehme dafür die U-Bahn. Dadurch bin ich zwar 70 Minuten unterwegs – dafür kann ich aber schön aus dem Fenster schauen und auf meinen Stammplatz sitzen. Im Vergleich zur S-Bahn ist die U-Bahn einfach viel entspannter. Es ist kleiner, langsamer, hat größere Fenster und fährt nicht immer durch endlos lange Tunnel. S-Bahnen stressen mich hingegen. Das liegt vermutlich daran, dass ich immer zu Rush Hour Zeiten mit der S-Bahn gefahren bin und mich immer mit gestressten und schlecht gelaunten Menschen in den Eingangsbereich quetschen musste und zu viel Körperkontakt am Morgen ist nichts für mich. Idealerweise erwischt man einen Platz am Eingangsbereich, wo man sich noch an eine der Trennwände lehnen kann. Aber wenn man mal nicht so weit kommt und man eingequetscht zwischen den Menschen stehen bleiben muss, fühlt man sich wie eine Ölsardine im Glas. Der einzige Vorteil dabei ist, dass man nicht umfallen kann – und wenn dann würde man recht weich auf seine Mitmenschen fallen.   30 Minuten in der Bahn zu stehen ist schon auch anstrengend. Ich bevorzuge meinen Stammplatz in der U-Bahn. Dadurch dass ich durch meine Busverbindung früher als die anderen Menschen, die morgens zur Arbeit fahren, an der U-Bahnstation bin habe meistens Glück und kann mich auf meinen Platz setzen. Ganz hinten in Fahrtrichtung links. Von dort aus hat man alles im Blick. Ich mag es nicht, wenn sich hinter mir viel abspielt und ich niemanden beobachten kann. (Nach dem Prinzip suche ich mir außerdem auch meinen Platz im Restaurant aus) Nachdem ich ja auch viel zeichne, ist das auch der perfekte Platz um unbemerkt die Menschen um sich herum zu analysieren, idealerweise ohne das sie merken dass ich sie zeichne.

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Jeden Mittwoch um 09:16 Uhr in Leinfelden. Jeden Mittwoch derselbe Sitzplatz.


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13/02/20

MÄR

2020

Gelauscht

Was man nicht so alles hört, wenn man in der Bahn oder dem Bus sitzt. Es ist ja nicht so als würde man aktiv zuhören, aber manche Leute reden oder telefonieren so laut, dass man einfach nicht anders kann als hinzuhören. Mehr oder weniger freiwillig. Ich habe ziemlich vielen Gepsrächsfetzen lauschen dürfen und will niemanden mit unnötigen Geschichten langweilen. Deshalb habe ich euch die ein oder anderen Geschichten zusammengefasst auf die wesentlichen Punkte. Eurer Fantasie sind keine Grenzen gesetzt. So wie das eben ist, wenn man zusammenhangslosen Sätzen lauscht.

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Interview

2019

Alex/Stuttgart/Student

alltäglich gebunden monoton 92

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MÄR

KA

Pendelst du schon lange?

2020 KA

Hast du das Gefühl, dass du die Zeit beim Fahren sinnvoll nutzt?

AL   Hmm so ungefähr seit vier Jahren. Nein Stimmt nicht – drei. Ne. Also in unserer heutigen Zeit, wo man digitalisierte Skripte und so jederzeit dabei hast, aufm Handy, Ipad, Tablet – man könnte die Zeit eigentlich echt nutzen um sich Themen sich  AL   Ehrlich gesagt nicht, Nein. Ich bin gerne unabhängig. Ich schonmal anzugucken für den Vorlesungstag oder Nacharbeiten bin davor immer selber mit dem Auto gefahren und hab’s einfach oder irgendwas für die Uni machen. Im Endeffekt nimmt man gemocht im Endeffekt unabhängig meinen eigenen Platz zu ha- sich manchmal vor aber man macht’s eh nicht. Ich erwisch mich ben und dann zu fahren wo ich hin möchte. Auch sein nur der jeden Tag wie ich die Zeit im Endeffekt eigentlich sinnlos benutz. Weg zur Arbeit, der immer gleich ist. Für mich ist das dann trotzdem individueller als jeden Tag zur gleichen Uhrzeit mit der glei- KA Kannst du während der Fahrt auch mal entspannen chen Bahn zur gleichen Zeit mit den gleichen Leuten mit dem oder abschalten? gleichen Sitzplatz meistens sogar. Weil jeder hat dann doch seinen eigenen Sitzplatz in der Bahn und den siehst du dann auch AL     Hm ne also entspannen tut’s nich. Auto fahren ist entspanjeden Tag wieder an der selben Stelle. Da passt man sich dann nender, weil man da seinen eigenen Raum hat. Ich bin so einer auch an. Man hat dann selber auch immer den eigenen Platz, da- der gerne für sich diese 30 Minuten Mal ist. Man ist ja dann den durch ist das ganze dann auch viel monotoner. ganzen Tag wieder unter Leuten oder Arbeitskollegen oder Kommilitonen. Da find Ich's dann auch mal ganz entspannt allein zu KA Wäre das Pendeln mit dem Auto eine Option für dich? sein (...). Deshalb ja, find ich das im Auto eher entspannt, weil man dann Zeit hat. Man kann da mit sich selbst reden, Leute anschreiAL     Ja, also bei mir es so, dass ich Bahn fahre, weil es, wenn en, laut singen. Aber so richtig stressig ist das Bahnfahren nicht. man’s hochrechnet, Bahn fahren einfach günstiger ist. Dadurch, Es ist halt schon eher auf der entspannteren Seite, das kann man dass ich Student bin, bekomm ich ja auch vergünstigte Fahrti- schon sagen, aber wenn man es jetzt vergleicht mit dem Auto ckets, das StudiTicket zum Beispiel. Ich mein man hat als Student oder Motorrad fahren, find Ichs auf jeden Fall stressiger als das eh nicht so unendlich viel Geld. Dann ist auch die Parkplatzsitua- Pendeln. tion in Esslingen sehr miserabel. KA Hast du eine Erinnerung ans Bahn fahren, die dir so KA Also einmal die Kostenersparnis und die Parkim Kopf geblieben ist? situation in Esslingen. AL     Ja, das war im RegionalExpress von Esslingen zum HauptAL     Genau, Genau. Also am Liebsten fahr ich eigentlich Regio, bahnhof. Ich glaub das war in der Weihnachtszeit. Da hat sich also Regionalbahn, weil gefühlt ist es von Lärmpegel viel niedri- mitten im Zug, irgendein Obdachloser angepisst und ausgezogen. ger. Das kannst du im Endeffekt damit vergleichen, als würdest Dann stand der da in Unterhose. Er stank nach Pisse, das war du ehm mit dem ICE fahren. Die Diskretion ist da viel größer als übel. Hat sich dann versucht umzuziehen und war im Endeffekt z.B. in der S-Bahn. Im Regio ticken die Leute ganz anders, da re- völlig außer sich. den die Leute viel ruhiger als in den alltäglichen Verkehrsmitteln KA wie Stadtbahn oder S-Bahn. Beeinflusst dich das Pendeln in deinem Privatleben? AL

KA

Und magst du das Pendeln?

KA

Du hattest vorhin erwähnt, dass du deinen Sitzplatz hast. Was ist dein Sitzplatz?

AL   Meistens hinten in der Ecke rechts an der Scheibe. Das sind ja meistens so Vierersitze in der U-Bahn und da hab ich immer schon meine Richtung, wenn ich einsteige. Mach mich meistens automatisch schon auf den Weg und wenn dort jemand sitzt dann ist man meisten so aus der Fassung.

AL   Schwer zu sagen ob's wirklich so ist. Aber man redet sich manchmal ein, dass man weniger Zeit hat, wenn man pendelt, als wenn man mit dem Auto fährt. Da ist es aber auch wirklich unterschiedlich, das darf man nicht pauschalisieren. KA

Kannst du mir zum Abschluss noch 3 Wörter nennen, die du mit dem Begriff Pendeln verbindest?

AL   Alltäglich, Gebunden, Monoton

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Interview

2019

OKT

NOV

DEZ

Was ist das Schönste, das dir beim Pendeln wiederfahren ist?

„Es muss Ende September gewesen sein. Da hab ich mal wieder im Parkhaus Deglerloch Albstrasse mein Auto, glücklicherweise ohne Blessuren und langes Suchen nach einem breiten Parkplatz, abgestellt hatte. Als ich die Treppen hochgelaufen bin, auf dem fast einsamen Bahnsteig, hab ich einen kleinen Gegenstand auf dem Boden gesehen: eine braune lederne leicht abgewetzte Brieftasche, nicht sehr groß, kaum größer als eine Kreditkarte, jedoch in der Dicke mit beträchtigem Ausmaß. Natürlich hebe ich sie reflexartig auf und blicke mich um. Ist der Besitzer möglicherweise gerade in der Nähe? In diesem Augenblick fährt die U15 ein, meine Bahn und es bleibt gerade keine Zeit zu überlegen. Kurz nach dem Einsteigen in das Abteil sehe ich ein Pärchen und einen älteren Fahrgast in den gleichen Wagen kommen, und ich beschließe zunächst meine „Beute“ in näheren Augenschein zu nehmen. Aha, ein junger Mann hat den Verlust zu beklagen. Ein provisorischer Personalausweis steckt in der obersten Kreditkartenlasche mit der Abbildung eines 19 jährigen syrischen Staatsbürgers Ismail, gemeldet im Raum Karlsruhe, weiterhin einige unleserliche weitere Karten und ca. 85 EUR Bargeld Das Passbild ist nicht sehr scharf und jener scheint nicht im Zugabteil zu sitzen. Oha, hier gibt es noch einen kleinen abgegriffenen Zettel mit einer handschriftlich notierten mobilen Telefonnummer und dem geheimnisvollen Namen „Larissa“.

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MÄR

2020

Nun gut, der beste Weg den Besitzer rasch zu finden könnte also über diese Dame führen. Ich warte bis zu meiner Haltestelle in der Sieglestraße ab, ein Telefonat in der U-Bahn halte ich nicht für angebracht, zu viele neugierige Ohren. Am anderen Ende meldet sich eine verdutzte Larissa und vermutet zunächst einen üblen Scherz. Schnell wird ihr aber klar, dass ein Wohltäter die Rückgabe eines verlorenen Geldbeutels des Freundes ankündigt. Glücklicherweise ist jene Larissa gerade zusammen mit Ismail im Stuttgarter Raum und rasch ist ein Übergabetermin vereinbart. Bereits ca. 12 Minuten später stehen 2 sichtlich erleichterte mir nicht ganz unbekannte junge Menschen vor mir mit den Worten „er ist gerade bei mir zu Besuch und ein Verlust seiner Unterlagen hätte sehr viel Ärger verursacht, gerade weil er auch im Asylannahmeverfahren steckt .“   Im weiteren Gespräch wird nunmehr auch klar, dass die beiden mit mir in Degerloch eingestiegen sind, ich den jungen Mann jedoch aufgrund des mittlerweile stark veränderten Aussehens nicht erkannt hatte. Larissa und ihr Partner waren heilfroh, die Brieftasche unversehrt und so schnell wieder zu haben und ich war auch erleichtert, dass alles so ein gutes Ende genommen hatte.“ — Yara N.

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OKT

NOV

DEZ


JAN

FEB

17/02/20

MÄR

2020

Rassismus Ich war auf dem Weg zur Uni. Der Bus war recht spät dran und gut besetzt. Wir hielten also in Echterdingen am Bahnhof und eine Frau stieg ein. Blond, klein, circa Anfang 50. Sie liess sich Zeit beim Einsteigen, obwohl der Bus schon 10 Minuten Verspätung hatte. Bevor sie sich endlich setzen konnte, fuhr der Bus los, die Frau kam aus dem Gleichgewicht und fiel auf den Boden. Ich saß 3 Meter von ihr entfernt und konnte alles beobachten. Natürlich drehten sich alle um, da der Fall, bzw. ihr lautes fluchen nicht zu überhören war. Der Mann hinter ihr war recht schnell bei ihr und bot ihr seine Hand an um ihr aufzuhelfen. Sie lag noch auf dem Boden wie ein Marienkäfer, der nicht mehr hochkommt. Sie bemerkte, wie jemand hinter ihr aufhelfen wollte. In dem Moment als ihr bewusst wurde, dass ihr Gegenüber eine dunkle Hautfarbe hatte zog sie ihre Hand zurück und schrie unüberhörbar, dass er sie doch in Ruhe lassen soll und dass er sie geschickt hätte. Natürlich war der Mann verwundert über ihre Reaktion, wollte er ihr doch nur aufhelfen. Anstatt dankbar zu sein, beschuldigte Sie den Mann nun sie gestoßen zu haben. Nicht nur der Mann war perplex, sondern auch alle Mitfahrer, die wie ich, die die Situation beobachtet haben (So kam es mir zumindest vor).   Langsam versuchte sie sich mit aller Mühe aufzurichten. Niemand rührte nur einen Finger um ihr zu helfen. Ein alter Mann der direkt neben ihr saß, sah sie missbilligend an und sprach aus, was vermutlich alle anderen gedacht hatten: „Ihnen kann man nicht mehr helfen. Machen sie den Mann nicht für ihr Missgeschick verantwortlich“. Die Frau sah sich um, doch niemand ergriff Partei für die sie oder wollte ihr helfen. Sie rappelte sich auf und setzte sich auf den nächstbesten Platz. Doch die Situation war noch nicht vorbei. Sie murmelte vor sich hin. Ich konnte nicht genau hören, was sie redete aber ich bin mir sehr sicher dass sie sich immer noch über den Mann aufregte, den sie für ihr Unglück verantwortlich machte. Wir fuhren los. Anstatt sich endlich zu beruhigen wurde sie immer lauter und fuhr den Mann plötzlich von hinten an. Er soll sich endlich bei ihr entschuldigen und „da hast du jetzt nichts mehr zu sagen“. Ich saß perplex da und ich ärgere mich bis heute darüber, dass ich nicht laut geworden bin. Ich wusste nicht, was ich sagen soll. Doch ich wusste auch, es half nicht die Dame anzuschreien. Es schien, dass es nicht das erste Mal war, dass der Mann in so einer Situation war. Er ging nicht auf die Dame ein, sondern unterhielt sich mit zwei anderen Personen und mit dem Busfahrer. Dieser hielt bei der nächsten Station, stieg aus seiner Fahrerkabine und stellte sich vor die Frau. Er warf sie aus dem Bus, mit den Worten, dass er so ein Verhalten in seinem Bus nicht toleriert. Solche Situationen sind keine Einzelfälle in der Bahn. Ich selbst habe zwar selten so eine krasse Situation erlebt, wie an diesem Tag, aber hier handelt es sich um ein großes gesellschaftliches Problem.

Aus einer Analyse1 des Sachverständigenrats deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR) von 2018 geht hervor, dass 48 Prozent der Menschen mit äußerlich erkennbarem Migrationshintergrund Diskriminierung erfahren haben . Die Zahl steigt auf 5 %, für diejenigen, die zudem nicht akzentfrei deutsch sprechen. Von den Menschen mit Migrationshintergrund, die sich äußerlich nicht von der Mehrheitsbevölkerung unterscheiden, berichteten 17 % von erlebter Diskriminierung. Auch lässt sich fremdenfeindliches Gedankengut lange nicht nur am Rande der Bevölkerung finden: Laut der "Mitte"Studie2 der Friedrich-Ebert-Stiftung von 2019 vertreten rund 19 % der Deutschen fremdenfeindliche Werte, rund sieben Prozent haben rassistische Einstellungen, das heißt sie werten Menschen aufgrund ihrer biologischen Merkmale oder Abstammung ab. Eine Studie der Universität Leipzig aus dem Jahr 2018 kommt zu dem Ergebnis, dass 24 % der Deutschen ausländerfeindliche Auffassungen vertreten. Die fremdenfeindlich-motivierten Straftaten stiegen 2018 nach Angaben des Bundesinnenministeriums um 20 % im Vergleich zum Vorjahr.3 Ich werde mich wohl noch viel mit der Problematik auseinander setzen zu müssen um zu begreifen, wie groß das Problem wirklich ist. Was man aber immer machen kann ist Zivilcourage zu zeigen und sich für seine Mitmenschen einzusetzen wie es etwa der Busfahrer heute gemacht hat! 1 2 3

https://www.svr-migration.de https://colorful-germany.de https://www.bmi.bund.de

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2019

25/02/20

OKT

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DEZ

Geht's noch?

Menschen können so komisch und merwürdig sein. Vorab: das war heute die unangenehmste Situation, in der ich jemals war. Zumindest beim Bahnfahren. Das hat alles harmlos angefangen. Und zwar stehe ich in Echterdingen am Bahnhof und warte auf die S-Bahn. Ich höre Musik und denke mir nichts Böses als ich in die Bahn einsteige und mich in einen Vierer setze, wo schon ein Mann Platz genommen hatte. Ich hatte ihn nicht wirklich beachtet, ihm lediglich zugenickt, weil ich mich schräg vor ihn gesetzt hatte. Die Bahn an sich war nicht sonderlich voll. Es war schon Mittag. Ich schaue also aus dem Fenster und merke, wie mein Bein und das meines Gegenübers sich streifen. Wenn sich fremde Körperteile in der Bahn unbeabsichtigt berühren ist das immer komisch. Angenommen, der Typ wäre ein junger gutaussehender Mann gewesen, dann hätte ich vielleicht kein Problem damit gehabt. Aber das war nicht der Fall. Er sah aber auch nicht so aus als würde er etwas Seltsames im Schilde führen. Recht normal, Ende 30, dunkler Teint. Ich zog mein Bein also zurück, schaute ihn an und stempelte die ganze Situation als Versehen ab. Sowas kann passieren.   Ich schaue wieder raus und keine Minute später, spüre ich wieder was an meinem Bein. Hat sich der Typ doch tatsächlich breitbeinig hingesetzt um mein Bein zu berühren. Ungläubig schaue ich ihn an. Ein Versehen, wie ich anfangs glauben wollte, war das sicherlich nicht mehr. Doch der Typ spielt weiter an seinem Handy als wüsste er nicht was los ist. Ich schiebe mich also ganz an die Wand der Bahn. Ich denke mir nur, dass er sich vor mir sicherlich nicht so weit ausbreiten würde. Tja, falsch gedacht. Ein paar Minuten später sitzt der Typ in einem halben Spagat vor mir und reibt sein Bein an meinem. Demonstrativ. Ich schaue ihn an, werde wütend und und rufe laut: „Geht's noch? Checken Sie nicht dass ich darauf kein Bock hab. Bleiben Sie gefälligst auf ihrem Sitz und lassen Sie mich in Ruhe!“. Ich kann nicht mehr einschätzen wie energisch ich wirklich war, aber der Typ hat sich absolut erschrocken. Ihm ist fast das Handy herunter gefallen. Er ist zwar nicht gegangen, aber nach meiner Ansage hat er sich gefühlt keinen Millimeter von seinem Platz bewegt. Er hat wohl wirklich nicht damit gerechnet, dass ich mich wehre, sonst hätte er sich vermutlich auch nicht so erschrocken.   Von meinen Mitmenschen gab es keinerlei Reaktion. Natürlich hatte ich die Situation unter Kontrolle, aber als ich laut geworden bin und versucht hatte, Augenkontakt mit meinen Sitznachbarn nebenan aufzubauen, haben diese nur schnell weggeschaut, als hätten sie nichts mitbekommen.

Ich könnte von mir und von Freunden noch mehr solche und krassere Geschichten erzählen. Eines fällt dabei auf: Wegschauen können die Menschen besonders gut. Auch in kritischen Situationen. Natürlich gibt es auch echte Helfer, das will ich nicht bestreiten, aber dennoch ­– meiner Erfahrung nach lässt die Hilfsbereitschaft der Menschen zu wünschen übrig. Wie schätzt du die Hilsbereitschaft deiner Mitmenschen ein und würdest du ab wann greifst du in eine Situation ein bzw. bietest deine Hilfe an?

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MÄR

2020

Was ist das Traurigste, das dir beim Pendeln wiederfahren ist? Ich erinnere mich noch an eine Situation zu meinen Praktikumszeiten, das muss Ende 2018 gewesen sein. Während meiner morgendlichen Fahrt zur Arbeit mit der S-Bahn von Universität bis Hauptbahnhof und dann U-Bahn bis zur Sieglestraße, hatte ein etwas älterer Herr in der S-Bahn bei dem Platz vor den Türen einen Schwächewanfall und ist zusammengeklappt. Direkt daneben stand eine Frau, die sich auch direkt gekümmert hat. Ich saß ein paar Plätze weiter und hab mich erst kurz umgeschaut, ob noch jemand anderes bereit ist zu helfen. Das Ergebnis fand ich sehr erschreckend: Einige Fahrgäste „gafften“ und machten keine Anstalt zu helfen, andere ignorierten die Situation bewusst, wieder andere wirkten schon fast erleichtert nach dem Motto „es hilft ja schon jemand, dann muss ich ja nicht“. Danach ging ich zu der Frau um ihr zu helfen.   Zusammengefasst: Wir haben über den Notruf den Zugführer verständigt, dass bei der nächsten Station schon ein Arzt alarmiert werden soll und wir da den Herrn aus dem Zug befördern werden. Der Herr kam dann auch relativ schnell zu sich, also nichts Wildes. Was mir am eindrücklichsten aus der Situation hängen geblieben ist, war tatsächlich der Eindruck der nahezu nicht vorhandenen Hilfsbereitschaft der Mitfahrer. — Matthias L.

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2019

OKT

NOV

DEZ

Wie reagierst du? 1

Du stehst an einer Bushaltestelle mit einer handvoll Menschen, die wie Du zu recht später Stunde auf den Bus warten. Sie bekommen mit wie einige Meter neben ihnen ein Mann anfängt Menschen anzupöbeln. Er bleibt vor einer jungen Dame stehen, die auf einer Bank sitzt und hebt seine Faust. Nun pöbelt er sie an und scheint kurz davor zu sein sie zu schlagen. Die Frau kennt den Mann offensichtlich nicht.

Die Menschen um das Mädchen haben nicht eingegriffen, sondern sich weggedreht. Selbst bei versuchen des Mädchens Augenkontakt herzustellen wurde sie nicht beachtet. Da sie nicht die Polizei rufen konnte (aus Angst die Aggressionen ihres Gegenübers noch weiter zu schüren) harrte sie aus und wurde 10 lange Minuten beleidigt und angepöbelt. Sie konnte sich nach einiger Zeit der Situation entziehen und nahm ein Taxi. Niemand griff ein oder rief die Polizei. Seit diesem Tag hat sie Angst davor sich Nachts an diesem Bahnhof aufzuhalten.

2

Du befindest sich in der Stadt und sind auf dem Weg zur S-Bahn Station um Heimzufahren. Auf deinem Weg zur Haltestelle siehst du einen scheinbar leblosen Körper am Rande liegen. Dir fällt auf, dass die Menschen einen großen Bogen um diese Person machen.

Eine Frau empfand die Situation als verdächtig und ist vorsichtig auf die Person, die auf dem Boden lag, zugegangen. Die Person auf dem Boden war offensichtlich obdachlos und nicht bei Bewusstsein. Die Frau schüttelte den Mann bis er zu Bewusstsein kam. Dieser war jedoch nach wie vor nicht wirklich ansprechbar und schien verwundet. Sie forderte einen Passanten auf den Notarzt zu rufen und wartet mit dem Obdachlosen bis er versorgt wurde. (Nachtrag: Der obdachlose Mann wurde anscheinend verprügelt und von seinen Angreifern zurückgelassen.)

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05/03/20

MÄR

2020

Zivilcourage

„Mut, den jemand beweist, indem er humane und demokratische Werte (z.B. Menschenwürde, Gerechtigkeit) ohne Rücksicht auf eventuelle Folgen in der Öffentlichkeit, gegenüber Obrigkeiten, Vorgesetzten und anderen vertritt.“1 Mir ist es wichtig dieses Thema anzusprechen, weil ich glaube, dass sich jeder Mensch bewusst sein sollte, dass die eigene Stimme zählt und es in der Gesellschaft mehr als wichtig ist, sich für humane und demokratische Werte einzusetzen. Ich habe mich ja schon mit dem Thema Rassismus und Belästigung auseinander gesetzt und mit einigen Menschen darüber gesprochen, die in kritischen Situationen waren oder beobachtet haben. Viele der Geschichten hatten etwas gemeinsam – Tatenlosigkeit. Die Geschichten sind alle sehr unterschiedlich und man könnte jetzt natürlich kritisieren, dass man deshalb nicht pauschalisieren darf. Auf der rechten Seite erzähle ich zwei dieser Geschichten, die sich so abgespielt haben. Überlegen Sie sich selbst, wie Sie regiert hätten und ob Sie mit dem Handeln der Menschen, die vor Ort waren, einverstanden sind.

Solche Situationen treten im Alltag auf, man ist nie darauf vorbereitet – sollte es aber sein. Oberste Maxime ist: Niemand soll sich in direkte Gefahr bringen, jede und jeder soll die Kontrolle über den eigenen Handlungsspielraum haben. Egal, wie wir uns verhalten, ob wir aktiv werden oder schweigen, wir können uns der Verantwortung dennoch nicht entziehen. Ob wir mutig oder feige sind, die Konsequenzen haben wir jeweils mitverursacht. Ich glaube es bringt überhaupt nichts, lauthals Menschenrechte einzufordern, wenn man nicht bereit ist diese Werte auch im alltäglichen Leben zu schützen und sich selber dafür einzusetzen. Dafür ist es nämlich mitunter erforderlich, der eigenen Bequemlichkeit entgegenzuhandeln, die eigene Zögerlichkeit, Unsicherheit oder Feigheit zu überwinden.   Zivilcouragiertes Handeln ist in der Regel gewaltfrei und geht oft freiwillig von einzelnen Menschen, aber auch von Menschengruppen, aus. Sozialer Mut ist nicht nur in „akuten“ Not- und Bedrohungssituationen gefragt, die meist unerwartet entstehen und baldiges Eingreifen erfordern. Es kann sich auch um ein Geschehen handeln, das sich wiederholt, um länger andauernde Problemsituationen und kritikwürdige Zustände. Hier entstehen Konfliktpotenziale häufig erst allmählich und Handlungsdruck baut sich nur schrittweise auf. Zivilcourage zeigt sich nicht nur durch spontanes Eingreifen oder Sich-Wehren, sondern genauso durch überlegtes, geplantes, organisiertes Handeln zeigen. Am Arbeitsplatz, in Institutionen und im politischen Bereich.2

1  Synonyme für den Begriff „Zivilcourage“ sind laut Duden: „Beherztheit, Charakter, Entschlossenheit, Furchtlosigkeit, Haltung, Mut, Rückgrat, Standhaftigkeit, Courage, Mumm, Traute (...).“ 1

Klaus-Peter Hufe (2020). Zivilcourage: Mut zu Widerspruch und Widerstand. Edition Konturen.

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Interview

2019

Daniel/Filderstadt/Servicetechniker

Verspätung Üde Lernzeit 104

OKT

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JAN

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MÄR

2020

DA

Ich habe mich ehrlich gesagt nie als Pendler gesehen bis du KA Hast du schon Bekanntschaften gemacht? mich darauf angesprochen hast bzw. wir geredet haben. Mit meinem Beruf muss ich immer ziemlich viel rumfahren, weil ich Ser-  DA   Ne morgens will ich meine Ruhe haben, da will ich nicht unvicetechniker bin. Da ist ein Arbeitstag manchmal nur Fahrtzeit. bedingt reden. Ist ja auch nicht üblich. Jeder schaut in das Handy. Jeder setzt sich in ein leeres Vierabteil. Vor dem Smartphone, war KA Mit den Öffentlichen bist du sonst nicht unterwegs? das sicherlich anders und noch eine gute Gelegenheit andere Menschen kennenzulernen. Das ist jetzt nicht mehr so. DA     Während der Schulzeit war ich mit den Öffentlichen unterwegs. Knapp eine Stunde pro Strecke – je nach Bahnverspätung. KA Du würdest das Auto dem Öffentlichen Verkehr also Privat eigentlich nie. vorziehen? KA

Du hast also viel mit dem Auto und viel mit der Bahn gependelt. Was bevorzugst du?

DA

Ganz klar mit dem Auto. Da ist man ungebundener und man hat eine viel entspanntere Atmosphäre als in der Bahn. Außerdem kann man laut Musik hören.

DA   Absolut. Dadurch, dass es sich meinen Berufsalltag nicht ergibt, fahr ich definitiv lieber Auto. Angenommen es gäbe eine gute Infrastruktur und eine Station in der Nähe von der Arbeit, dann könnte man sich das überlegen. Ab weil das nicht so ist, will ich auch nicht auf den Komfort eines eigenen Autos verzichten. KA

KA

Warum bist du dann nicht auch während der Schulzeit mit dem Auto gefahren?

Was würdest du sagen ist der Nachteil vom Pendeln mit dem Auto.

DA     DA

Weil der Stadtverkehr echt ziemlich übel ist. Die Strecke am Hauptbahnhof vorbei ist richtig übel, da will man morgens nicht obren fahren. Außerdem sind die Parkgebühren in der Stadt sehr teuer, wenn man überhaupt einen Parkplatz findet.

KA

Hat das Fahren mit den Öffentlichen deiner Meinung nach auch Vorteile?

DA

Ja, dadurch dass ich absolut kein Morgenmensch bin ist das auf jeden Fall eine entspanntere Zeit als müde und verschlafen im Auto zu sitzen und mich zu konzentrieren. Da kann man dann sitzen und noch langsam wach werden. Die Zeit konnte ich auch ganz gut nutzen, weil ich in der Bahn meistens noch lernen konnte oder sonst was vorbereiten konnte. In dieser Hinsicht, war das Bahn fahren schon okay.

KA

Konntest du die Zeit also gut nutzen bzw. auch Mal entspannen?

Das ist meistens teurer und man kann die Zeit nicht sinnvoll nutzen. Gerade wenn man lange Strecken fahren muss ist das ziemlich anstrengend. Abgesehen davon muss man sich morgens konzentrieren auch wenn man noch ziemlich müde ist. Ein Mal musste ich 7 Stunden für 5 Minuten zu einem Kunden Fahren und dann wieder am selben Tag zurück fahren. Da war ich zwar mit einem Kollegen unterwegs, die Strecke bin ich aber allein gefahren. Da kann man sich halt nicht wirklich anders beschäftigen als vielleicht einen Podcast zu hören oder sich zu unterhalten, weil man sich konzentrieren muss

KA

Das erste Was mir einfällt, wenn du ans Pendeln denkst.

DA

Ein Typ, der in die S-Bahnmülleimer gekotzt hat, weil er wohl vom Wasen kam. Du riechst es in den Bahnen, wenn der Wasen stattfindet.

KA

Welche 3 Wörter verbindest du mit dem Pendeln?

DA

Kam auf die Fahrgäste an, die mitgefahren sind. Wenn ne- DA     Verspätung, öde und Lernzeit. benan eine heftige Diskussion war, dann konnte man sich dementsprechend weniger konzentrienen. Oder wenn jemand geschmatzt hat. Das kann ich nicht ausstehen. Aber das aller schlimmste waren aber die Verspätungen. Das war am Anfang vom Jahr ziemlich heftig. Dadurch bin ich dann auch mehr U-Bahn als S-Bahn gefahren, weil die zuverlässiger waren. In der Bahn entspannen kann ich nicht.

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Die Zukunft von gestern.

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1910 entstand ein reich illustriertes Buch „Die Welt in 100 Jahren“, ein viel beachtetes Werk über eine damals ferne Zukunft , das anders als die literarischen Visionen jener Zeit von Experten verschiedener Bereiche geschriebene und möglichst sachliche Prognosen versammelte. Herausgeber und Autor war Arthur Brehme, ein 1858 in Deutschland geborener Journalist und Schriftsteller. Ihm gelang es, Spezialisten zu finden, die sich profunde Gedanken über eine Zukunft zu machen, in der sie persönlich schon seit langem das Zeitliche gesegnet haben würden.   Es entstand zu jener Zeit ein Werk, das inhaltlich durchaus schon ein wenig in Richtung Futurologie unserer Tage weist. Ganz gewiss kann man die heutige Arbeit der Zukunftsforscher, die mit Hilfe unermesslicher Menge von Daten und Rechnerkapazitäten vorsichtig gewisse Trends für kommende Jahrzehnte vorauszusagen suchen, nicht mit jenem Buch vergleichen. Aber immerhin, die Fachleute von 1910 haben einige Treffer „aus der Lostrommel der Zukunft“ gezogen, wie Goethe es ausgedrückt hat, die erstaunlich sind.

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In seinem im Buch abgedruckten Essay „Das drahtlose Jahrhundert“ berichtet Robert Stoss Telephon in der über das zukünftige Telephon in der Westentasche, ja man kann mit Fug und Recht behaup- Westentasche ten, dass er eigentlich über das iPhone schreibt, jenes Utensil, welches uns in unseren Tagen täglich und in tausendfacher Menge nicht nur beim Pendeln begegnet.   Stoss wagt folgende Prognose1: „Die Bürger der drahtlosen Zeit werden überall mit ihrem „Empfänger“ herumgehe, der irgendwo, im Hut oder anderswo angebracht und auf einer der Myriaden von Vibrationen eingestellt sein wird, mit der er gerade Verbindung sucht. Einerlei, wo er auch sein wird, er wird bloß den Stimmzeiger auf die betreffende Nummer einzustellen brauchen, die er zu sprechen wünscht und der Gerufene wird sofort seinen Hörer vibrieren oder das Signal geben können, wobei es in seinem Belieben stehen wird, ob er hören oder die Verbindung abbrechen will [...] .Aus seinem Wege von und ins Geschäft wird er seine Augen nicht mehrdurch Zeitungslesen anzustrengen brauchen, denn er wird sich in der Untergrundbahn, oder auf der Stadtbahn, oder im Omnibus oder wo er grad fährt, und wenn er geht, auch auf der Straße, nur mit der „gesprochenen Zeitung“ in Verbindung setzen brauchen, und er wird alle Tagesneuigkeiten, alle politischen Ereignisse und alle Kurse erfahren nach denen er verlangt. Und ist ihm damit nicht gedient, sondern steht sein Sinn nach Höherem, so wird er sich mit jedem Theater, jeder Kirche, jedem Vortrags- und jedem Konzertsaal verbinden und an der Vorstellung, an der Predigt, oder an den Sinfonieaufführungen teilnehmen können, ja, die Kunstgenüsse der ganzen Welt werden ihm offen stehen, denn sie Zentrale der Teleharmonie wird ihn in Paris, Wien, London und Berlin ebenso verbinden können, wie mit der eigenen Stadt.“ Selbst in der Wolle gefärbte „Trekkies“, also Verehrer des unendliche Weiten umfassende Star-Trek-Universums, hätten es wohl auch noch Anfang der 90iger Jahre des 20. Jahrhunderts kaum für möglich gehalten, dass der von ihren Helden jederzeit und überall mit sich getragene „Klapp-auf-klapp-zu“ Kommunikator in wenigen Jahren zum selbstverständlichen Begleiter der Menschheit gehören würde, mit Möglichkeiten, von denen nicht einmal Mr. Spock zu träumen gewagt hätte.   Ein unerschütterlicher Glaube im unaufhaltsamen Fortschritt der Technik , in der Politik Reisen in der Zukunft und in Gesellschaft und Kultur prägen die 22 Aufsätze des vorgenannten Werkes. Besonders interessant ist auch ein gewagter Blick in die Zukunft hinsichtlich der Mobilität der Menschen des 21. Jahrhunderts. So wird vorausgesagt, dass eine physische Präsenz bei Treffen oder Meetings überkommen sein wird2: „Monarchen, Kanzler, Diplomaten, Bankiers, Beamte und Direktoren werden ihre Geschäfte erledigen und ihre Unterschriften geben können, wo immer sie sind. Direktoren einer und derselben Gesellschaft werden ganz ruhig eine legale Versammlung abhalten können, wenn der Eine auf der Spitze des Himalaya ist, und der Andere in einer Oase der afrikanischen Wüste, der Dritte in irgend einem Badeort und der Vierte sich gerade auf einer Lustreise befindet[...]. Überall ist man in Verbindung mit allem und jedem.“ Solle aber auch einmal eine Reise notwendig sein, so stehen dem fernen Bürger mannigfaltige Möglichkeiten offen. Von „fabelhaften“ Umgestaltungen des Reisens ist die Rede, sei es auf dem Lande per Bahn oder in der Luft per modernstem solargetriebenem Luftautomobil oder auf hoher See mit neuartigem Apparat zur Erkennung von Hindernissen aller Art. Das Radar ist in seinen Grundzügen damit beiläufig beschrieben. Nichts ist unmöglich, superschnelle Verbindungen werden prognostiziert ob unter dem Meer oder auch weiterhin unter der Erde. Wenngleich auch die Vernetzungen und Geschwindigkeiten der Fortbewegung scheinbar keine Grenzen kennen, es geht immer um auch darum, die Sicherheit des Reisenden zu gewährleisten. Gerade die damals verheerenden Bahnunfälle geben nun ausreichend Anlass, eine bessere Zukunft mit erstaunlichen Safety-Vorkehrungen im Schienenverkehr vorherzusagen.

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Der nicht näher beschriebene Apparat „ Aerophor“ wird 2010 so vollkommen arbeiten, dass ein Zugführer zu jeder Zeit den Überblick über die Strecke behalten wird und rechtzeitig vor Kollisionen und unvorhergesehenen Ereignissen zuverlässig gewarnt ist. Einen Zusammenstoss wird es somit nie wieder geben können. Schöne neue Welt der Technik! Das Buch zeigt die Möglichkeiten und auch Grenzen der damaligen Experten auf, es zeigt aber auch im vorliegenden Falle der modernen Interpretation der Kommunikation und Mobilität eine bemerkenswerte realistische Vorhersage.

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Die Welt in 100 Jahren, 5. Nachdruck Ausgabe Berlin 1910, S. 35ff Die Welt in 100 Jahren, 5. Nachdruck Ausgabe Berlin 1910, S. 44ff

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Was machen die Fahrer der SSB eigentlich, wenn sie mal aufs Klo müssen? Was passiert, wenn man verschläft? Solche Fragen kamen mir schon so oft in den Sinn als in der Bahn oder dem Bus saß. Ich habe gefragt und bekam einige interessante Antworten von Marcel einem Stadtbahnfahrer und Daniel einem Busfahrer der SSB.

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DA   Die anderen Verkehrsteilnehmer nehmen einen gelegentlich falsch wahr. Ein Bus hat keinen Bremsweg von einem herkömm MA  Ich bin April 2017 zur SSB gegangen und werde sie aber zum lichen PKW und da man Fahrgäste (Menschen) und keine leblose 30.06.20 wieder verlassen, da ich als gelernter Lokführer gerne Ware befördert, kommt es teilweise zu brenzlichen Situationen, wenn andere Verkehrsteilnehmer vor einem rausziehen und eiwieder richtige Eisenbahn fahren möchte. nen zu einer schärferen Bremsung zwingen. Dies ist für die FahrKA Was genau ist dein Job bei der SSB und wie kann gäste ebenfalls sehr unangenehm, weil eine Luftdruckbremse man sich den Alltag in deinem Beruf vorstellen? deutlich mehr zupackt. Daher nerven mich solche Leute, die kopflos am Straßenverkehr teilnehmen. Außerdem nerven mich FahrDA     Ich arbeite bei der SSB als Busfahrer. Einen geregelten und gäste, welche sich immer aufregen, wenn man mal ein oder zwei stupide gleich ablaufenden Alltag gibt es nicht, worüber ich aber Minuten später ankommt, dabei aber vergessen, dass wir im flieauch froh bin, da dies nichts für mich wäre. Aber im Normalfall ßenden Verkehr der Großstadt mitschwimmen und sich Verspäkutschiert man acht Stunden lang verschiedene Bevölkerungs- tungen daher leider nicht immer vermeiden lassen. schichten, Kulturen, Altersgruppen und Charaktere durch die Stadt Stuttgart und das Umland. Man bildet quasi die Brücken KA Was machst du, wenn du während der Fahrt ganz dringend auf die Toilette musst? zwi-schen den Menschen. Dabei ist man natürlich gewillt sicher ans Ziel zu kommen. Aber neben der Fahrtätigkeit zählen natürlich auch die Betreuung der Fahrgäste zur Tätigkeit. Genauso aber MA     Dann habe ich Pech gehabt. Also man muss schon seinen auch der Informationsaustausch mit den Kollegen in den Pausen. Gang zur Toilette planen. Aber das bekommt man ja heraus, da Abwechslung macht den Job aus. Kein Tag ist wie der andere, wo- man seinen Körper ja kennt. durch es schwer ist einen Tag genau darzulegen.  DA   Da wir an jeder Endhaltestelle eine Toilette haben, kann man KA Was gefällt dir besonders gut an deinem Job? es sich im Normalfall bis dahin verkneifen. Sollte es, aufgrund von Abweichungen im Betriebsablauf aber dennoch knapp wer MA  Ganz klar die Abwechslung. Jeder Tag ist anders und hat ein- den mit dem aushalten, so ist es möglich an einem Unterwegshalt fach andere Herausforderungen. aufs WC zu gehen, was durch die Betriebsleitstelle auch akzeptiert wird. Es handelt sich schließlich um ein menschliches BeDA     Mir gefällt besonders der abwechslungsreiche Ablauf in die- dürfnis. sem Beruf. Man weiß nie, wann man in einen Stau gerät, wann es eine Umleitung aufgrund einer Störung gibt, wann man eine Stö- KA Schaust du wirklich immer auf die Tickets von den rung am Fahrzeug hat oder wann ein Fahrgast etwas von einem Einsteigenden? braucht und was einen am nächsten Tag erwartet. Jede Fahrt auf einer Linie ist anders und keine Runde gleicht der nächsten oder DA     Wenn ich ehrlich bin, nein! Aber auf manchen Linien bleibt der davor gefahrenen. Die Gegebenheiten ändern sich von Run- nicht die Zeit, wenn man Anschlüsse erreichen möchte, man Fahrde zu Runde und die Überraschung ist immer gegeben. Außer- gästen Tickets verkaufen muss oder andere unvorhergesehene dem liebe ich es mich mit meinem bis zu 19,75 m langen 360 Grad Dinge den Betriebsablauf beeinträchtigen, die Zeit kosten. Da ist Panoramabüro durch enge Straßen zu schlängeln und dabei si- einfach der zeitliche Aufwand zu hoch jeden Fahrschein einzeln cher anzukommen und was gibt es bitte schöneres als einem. anzuschauen. Sichtprüfung beim Einstieg an der Vordertüre geSonnenaufgang oder -untergang entgegen zu fahren mit dem nügt da völlig und bei uns prüft der Prüfdienst regelmäßig. Kaffee in der Ablage und bei Wind und Wetter draußen zu sein, aber trocken zu bleiben? KA

Seit wann bist du Stadtbahnfahrer bei der SSB?

KA

Gibt es etwas was dir nicht gefällt bzw. was dich gelegentlich nervt?

MA

Ehrlich gesagt, nein. Klar man ist im Schichtdienst aber es hat auch Vorteile.

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Hast du durch deinen Beruf schon gute Bekanntschaften mit Fahrgästen gemacht?

DA  Das kommt schon mal vor, dass man sich mit einigen Fahrgästen, gerade auch mit „Stammkunden“ öfters unterhält und sich daraus engere Freundschaften oder Bekanntschaften ergeben. Wobei sich das ja durch die Corona-Pandemie zunächst reduziert hat. Die meisten meiner Fahrgäste habe ich allerdings positiv in Erinnerung. Und der ein oder andere bleibt einem längerfristig im Gedächtnis. Und das vermag was heißen, wenn man bedenkt, dass man täglich mehrere Tausend Leute befördert. KA

Hast du eine Lieblingsstrecke?

MA  Ja die Linie U12/U15.  DA  Zu meinen liebsten Linien zählt die Linie 92. diese verkehrt von der Stuttgarter Stadtmitte durch bis nach Heslach Vogelrain. Fahrzeit auf dieser Linie sind 78 Minuten. Aber sie führt einen einmal quer durch zahlreiche Gebiete, welche landschaftlich schön anzusehen sind, wie bspw. das Schloss Solitude mit der Haltestelle im Schlosshof. Außerdem vereint diese Linie Stadt- und Überlandabschnitte und man fährt vom Innenstadttempo 40 km/h bis Landstrassentempo 80 km/h alles, was fahrerisch eine Abwechslung ist und mir persönlich am meisten Spaß bereitet. Die Vielfalt der Topographien und Gegebenheiten küren diese Linie zu meiner absoluten Lieblingslinie. KA

Als Mitfahrer hat man ja die ein oder anderen Regeln zu beachten – gibt es Dinge die dir als Fahrer verboten sind?

MA  Eigentlich ist alles nicht erlaubt. Also während der Fahrt essen, trinken oder Musik hören ist ein no Go. Trinken ist okay, wenn man es macht, während man an einer Haltestelle die Fahrgäste aus- und einsteigen lässt.

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Was passiert, wenn du verschläfst bzw. ist dir das jemals passiert?

MA  Das passiert mal. Wir sind alle nur Menschen. Jedenfalls kommt dann beim Frühdienst die sogenannte Reserve zum Einsatz. Die fährt dann erstmal bis man zum Dienst kommen kann. Es kann ja auch Mal sein, dass man krank wird.   Dann ist es das selbe Prinzip. Natürlich passiert das einem in der beruflichen Laufbahn schon mal. Ich denke auch, dass es eine menschliche Sache ist, dass man mal einfach den Wecker nicht hört.   Aber dann heißt es dennoch nicht gleich in Panik verfallen. Einfach anrufen und da wir bei der SSB immer Reserven an Fahrern für solche Fälle haben, springt dann ein Kollege für einen Teil des Dienstteil ein und man selbst übernimmt dann den Bus wieder bei Ankunft auf der Arbeit.

DA

KA

Wartest du auf Leute die zu spät dran sind - hast du dafür einen gewissen Spielraum?

MA

Ehrlich gesagt nein. Es gibt einen Fahrplan und daran muss man sich halten. Denn ein Anschluss wartet auch nicht. Ist einfach klar getaktet.

DA

Wenn man nicht gerade eine sehr hohe Verspätung hat, so dass der Nachkurs schon in wenigen Minuten hinter einem auftaucht, so kann man schon mal den ein oder anderen mitnehmen. Aber sobald der Blinker einmal links gesetzt ist, so werden keine Türen mehr geöffnet und es werden auch keine Türen außerhalb vom Haltestellenbereich mehr geöffnet, da dies einfach eine Gefährdung darstellt und eine rechtliche Frage ist. KA

MA

In deiner bisherigen Zeit - gab es schon besondere Ereignisse, die dir in Erinnerung geblieben sind?

Leider ja. Ich habe schon einen Unfall gehabt mit einem FahrNatürlich gibt es die StVO, die einem ja schon Regeln fest- radfahrer. Zum Glück war er nur leicht verletzt. setzt, wo man sich natürlich auch als Berufskraftfahrer dran halten muss. Aber entspricht gibt es auch Dinge wie telefonieren DA     Natürlich, da man fast jeden Tag auf Tour ist und dabei unter während der Fahrt, oder ablenkende Tätigkeiten während der Menschen ist, so erlebt man doch schon das ein oder andere Fahrt, welche Wahrnehmung des Verkehrsgeschehens beein- sehr prägnante Erlebnis. Auf der Linie 71 blieb beispielsweise trächtigen, die einem untersagt sind. Vorschriften und Regeln mal ein Rollator im Bus zurück und ich wusste genau, dass eine sind auch in der sogenannten Dienstanweisung für den Fahr- Person mit diesem Rollator den Bus bestieg. Am Endpunkt, übridienst mit Bussen (DFBus) niedergeschrieben. gens Standort eines großen Altenheim, stand nur der Rollator noch im Bus und ich fragte mich, wie die Person ohne diese Hilfe den Bus verließ. Oder erst vor kurzem entleerte jemand auf der Linie 42 Wandfarbe im hinteren Bereich des Busses und man

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fragte sich, wie dies unbemerkt geschehen konnte?! Oder auf der Linie 43 steigt immer eine ältere Dame bei uns Busfahrern vorne ein und überreicht uns bei jeder Fahrt ein kleines Geschenk in Form von Süßigkeiten. Oder eines Abends auf dem Nachtbus konnte es ein Liebespaar wohl nicht erwarten bis sie zu Hause ankamen, nein, sie begann sich plötzlich im Bus auszuziehen und zu küssen.   Es gibt so viele Dinge, die man erlebt, und teilweise auch Dinge, die man nie zuvor dachte, dass man sie erleben würde. Und schon gar nicht im Bus, jedoch bringt dieser Job einfach die unterschiedlichsten Dinge mit sich. KA

Was man von dir als Fahrer erwartet ist klar - aber was erwartest du von deinen Fahrgästen?

MA  Pünktlich sein und die Türe nicht blockieren, wenn noch einer angerannt kommt. Das sind alles Verspätungen, die man vermeiden kann.  DA  Ich erwarte von meinen Fahrgästen zunächst einmal ein wenig Respekt gegenüber mir und meinen Kollegen, denn schließlich sind wir diejenigen, die für eine sichere und kundenorientierte Beförderung sorgen und uns im Straßenverkehr voller Konzentration bewegen. Dabei kann man uns schon mit kleinen Gesten würdigen, wie bspw. beim Einstieg ein „Hallo“, was viele Menschen einfach nicht über die Lippen bekommen. Wir sind auch nur Menschen und beißen nicht. ;)   Außerdem das Verständnis dafür, dass wir, so sehr wir uns auch bemühen, den Fahrplan nicht immer einhalten können, denn wir sind nun mal Teilnehmer im Straßenverkehr und das ist keine Konstante, sondern eine Variable, die sich von Minute zu Minute verändert und schon mal vor eine Herausforderung stellen kann. Außerdem würde ich mir wünschen, dass die Entsorgung seines Abfalles im Fahrzeug unterlassen wird, denn ein gelber Bus ist nicht automatisch auch ein gelber Sack und dafür gibt es schließlich auch Mülleimer an Haltestellen und öffentlichen Orten.   Und dazu ergänzend wünsche ich mir bei manchen Leuten, dass sie ein wenig Knigge und Verhalten an den Tag legen, welches sie auch privat zu Haus tun würden, sprich bspw. die Sitze nicht zu beschmutzen, oder die Füße auf dem Sitz aufzulegen, oder sicherheitsrelevante Einrichtungen aus den Fahrzeugen, wie bspw. die Nothämmer, nicht zu entwenden.   Ansonsten erwarte ich nur, dass ein friedliche Miteinander während der Fahrt herrscht, denn jeder besteigt einen Bus mit dem selben Ziel: Nach Hause zur Familie zu kommen!

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Radikale Ideen fĂźr die Zukunft

von Habip Karadag

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In Städten und Metropolen drängen sich Straßen an Straßen um einen fließenden Verkehr zu ermöglichen. Doch einem Verkehrskollaps durch überladenen Straßen und einem extremen Autoverkehr scheint nichts mehr im Wege zu stehen. Es sind neue, innovative und radikale Ideen gefragt. Ingenieure stehen unter steigendem Entwicklungsdruck, um die besten Konzepte und Lösungsvorschläge zu konzipieren. Im Besonderen in indischen und chinesischen Großstädten bahnt sich das Problem des Verkehrszusammenbruchs an.   Seit 2013 stieg die Produktion und die Anzahl der Autos auf indischen Straßen enorm. Da hatte der sowiesoschon chaotische Mopedverkehr noch nicht einmal seinen Höhepunkt erreicht. Indien sucht nach smarten Konzepten und der Personal Rapid Transit, kurz PRT scheint ein solch ein Lösungsansatz zu sein.

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Seine weiße Farbe und die fünf Sitze sorgen für sein hybrides Erscheinungsbild, fast wie ein Mini-Zugwaggon. Er ist Teil des britischen Start-Up Unternehmens Ultra-PRT, eines neuen Verkehrssystems. Die Idee sind Kabinen, mit Platz für fünf Passagiere, er soll sich leise, elektrisch und vor allem autonom bewegen. Auf meterhohen Stelzen sollen Lasersensoren die kleinen Shuttles in ihrer Fahrspur halten, ein integrierter Zentralcomputer berechnet die gewünschte Fahrrichtung zum Ziel und hält somit nicht wie Bus und Bahn an jeder Station an, sondern fährt direkt zum Ziel. Nicht nur in bestimmten Metropolen – auf der ganzen Welt, international arbeiten Stadtplaner, Ingenieure und Politiker an Lösungen um den überladenen Verkehr zu entzerren. Zur Aufrechterhaltung der städtischen Mobilität müssen neue Wege beschritten werden, Innovation und smarte Ideen sind gefragt. Dabei hat sich das Konzept breitere Straßen und neue Leitsystem zu bauen nicht vollständig bewährt. Die immer mehr auftretenden Staus können kaum zurück gehalten werden. So suchen Stadtplaner zusammen mit Unternehmern auch Wege den Nahverkehr besser zu gestalten und individueller auf Personengruppen zu zuschneiden. Nicht eine autogerechte Stadt, sondern ein stadtgerechter Nahverkehr ist das Ziel.   Schon seit Jahren werden in Städten wie Wuppertal, Morgantown und Düsseldorf Schwebebahnen erprobt. Doch im heutigen digitalen Zeitalter sind viel ausgeklügeltere, schnellere, individueller und umweltfreundlichere Systeme möglich. Der fahrerlose Transport, das autonome Fahren hat viele Fortschritte gemacht und macht es immer noch. Der Personal Rapid Transit ist nur ein Beispiel von vielen veschiedenen Möglichkeiten für den Transport ohne Fahrer. Auch selbstfahrende Busse und Autos, die sich automatisch zu einer Art Kolonne zusammenschließen sind im Gespräch. Das Interesse an diesen innovativen Techniken ist in den letzten Jahren gestiegen und höher denn je. In den weltweit größten Messezentren zum Thema städtische Mobilität treffen sich internationale Experten und enorme Besucherzahlen. Laut den Experten und der UNO soll es bis 2025 rund um den Globus 27 Megacitys mit mehr als zehn Millionen Einwohnern geben. Die Folge sind Million von Einwohner, die in die Städte ziehen und eine unvorstellbare Zahl an Stau produzieren werden. Durch den wachsenden Wohlstand kaufen sich die Menschen auch ein Auto, wie in den chinesischen Städten zu beobachten ist. Die Zahl der Autos stieg in Peking von vier bis auf über fünf Millionen. Dieses Problem erkennen auch die sogenannten Stadtväter in Dubai, die sich in den Emiraten für eine vollautomatische Metro auf einer Stecke von 50 Kilometern entschieden haben. Diese Metro wird nicht von einem Fahrer, sondern von einem Computer gesteuert. Ziel war nicht nur ein pünktliche und sichere Fahrt, auch der preiswerte Betrieb spielte eine entscheidende Rolle.   Das Unternehmen Siemens in München hat weltweit bereits über elf solcher RoboterMetrolinien gebaut. Laut dem Unternehmen investieren chinesische Großstädte mehr als 440 Millionen Euro pro Jahr in Züge. Somit wächst der internationale Markt für U- und Stadtbahnen seit 2015 auf über 2,7 Milliarden Euro. Auch in nordamerikanischen und europäischen Ländern und Städten rechnet Siemens mit zweistelligen Zuwachszahlen. Aber auch selbstfahrende Metros und Bahnen sind teuer, sie bewegen sich auf fest angelegten Routen, wer woanders halten will muss umsteigen. Das Start-Up Unternehmen Ultra glaubt mit seinen Personal Rapid Transits eine smarterer Lösung für indische Städte gefunden zu haben. Mit dem indischen Unternehmen Fairwood ist bereits eine acht Kilometer lange Strecken geplant. Dabei soll sich die Strecke auf drei Meter hohen Stelzen erstrecken, auf denen dann schließlich über 300 Kabinen/Taxis/Shuttles sich fortbewegen. Es sind sieben Stationen geplant, an denen die Passagiere aufgesammelt werden und somit ca. 6000 Fahrgäste pro Stunde transportieren kann, also rund 35 Millionen pro Jahr. Und das vorbei an Staus, Ampeln und Unfällen.

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Personal Rapid Transit

Der fahrerlose Transport als ein Modell der Zukunft

Erste Versuche


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Wie sollen diese Systeme inegriert werden?

Das Projekt Sartre der EU

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Die innovativen Kabinen sollen sich auf ihrer Stelzen-Strecken zukünftig fortbewegen, wie die Daten die täglich sich im Internet befinden bewegen. Ziel ist es bis zu 70 Prozent weniger Energie pro Person und Kilometer zu verbrauchen als ein Auto und ca. die Hälfte weniger als ein Bus. Ebenso die Kosten für die Produktion und die Inbetriebnahme des Systems soll deutlich unter den Kosten von öffentlichen Verkehrsmittel liegen. Bereits in England am Londoner Flughafen Heathrow wird das neue Verkehrssystem auf einer Strecke von 4 km getestet. Ein Zentralrechner steuert die Shuttles, die mit einem Akku- und einem Elektromotor ausgestattet sind. Je nach dem ob sich eine Shuttle zu einer Haltestelle hin oder von ihr weg bewegt, bremsen oder beschleunigen die Motoren die jeweilige Kabinen. An den entsprechenden Terminals haben die Passagiere vor Fahrtbeginn die Möglichkeit das gewünschte Fahrtziel zu benennen und sich ein Ticket ausdrucken zu lassen, das sie dann wiederum an einem Lasergerät halten müssen und steigen im nächsten Schritt in das Shuttle ein für die Fahrt. Die bis zu 30 % schmaleren Fahrbahnen im Vergleich zu Straßenspuren sind etwa zwei Meter breit. Auf diesen Fahrbahnen fahren dann die Kabinen im Abstand von zwei bis drei Sekunden einander vorbei. Computergesteuerte Systeme sollen bei möglichen Unfallsituationen die Kabinen automatisch bremsen. Wenn dieses innovative System vollkommen ausgebaut ist, soll es mit einem smarten Netzwerk vergleichbar sein. Ein intelligentes Netzwerk mit verschiedenen Abzweigungen, unterschiedlichen Umleitungen und Haltebuchten. Wenn es gewünscht ist, können die Shuttles auch in den Passagen von Shoppingmalls oder Gebäudekomplexen anhalten. Abhängig davon wie sich das System zukünftig durch die Stadt erstrecken soll.   Auch wenn Indien einen idealen Markt für dieses System von Fahrerlosen Taxis oder Kabinen bietet, ist es auch in weiteren Megacitys notwendig, um den überladenen Verkehr und Straßen zu entzerren und somit zu entlasten. Auch Länder wie die USA, Schweden und Großbritannien zeigen großes Interesse an diesem smarten System. Dabei ist die erprobte Technik schon so ausgereift, dass sie auch in komplexen Millionen Städten ihre Anwendung finden kann. Laut dem Unternehmensführer Phil Smith gebe es schon über ein Dutzend an Interessenten für das neue System der fahrerlosen Shuttles. Jedoch ergibt sich ein Problem für die superleichten Kabinen, sie lassen sich zwar auf dünnen Pfeilern bauen, doch bieten die engen Straßenschluchten zu wenig Platz für das neue System. Deswegen wird in der spanischen Stadt Catellon eine gemischte Form von automatisierten und manuell betriebenen Kabinen getestet. In der spanischen Stadt pendeln eine Form von Hight-Tech-Busse mit abgasfreiem Elektroantrieb zwischen dem Stadtzentrum und der Universität auf zwei angelegten Spuren von einer Länge von mehr als 40 Kilometer. Zwar besitzen die HightTech-Busse einen Fahrer, doch das Lenken, das Bremsen und das Beschleunigen geschieht automatisch. Sensoren und Kameras sorgen dafür das sich der Bus in der entsprechenden Fahrspur bewegt. Nur wenn der Bus auf Straßen lenkt auf denen sich auch normale Autos bewegen muss der Fahrer die Kontrolle übernehmen. Doch wenn es mittlerweile viele ausgereifte und smarte Konzepte und System gibt, die den Verkehr auslasten können und einen möglichen Kollaps verhindern können, steht die Frage im Raum, ob die Menschen auf das Statussymbol Auto verzichten können.   Mit diesem sozialen Problem setzt sich das von der EU geförderten Projekt namens Sartre auseinander. Das Kürzel Sartre steht für: Safe Road Trains for Environment. Die Lösung hinter dem Projekt soll eine bestimmte Funktechnik sein, die die Fahrzeuge während der Fahrt zu festen Kolonnen aneinander koppelt. Integrierte Computer übernehmen dann die Steuerung, das Bremsen und die Beschleunigen. Die Erprobung dieses System erfolgt auf einer Strecke in Göteborg bei dem Autohersteller Volvo. Die ersten Tests wurden dabei sehr erfolgreich absolviert.

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Bei den Tests fuhren zwei Autos mithilfe von Fahrassistenzsystemen vollkommen automatisch hintereinander her. Die Kommunikation der Autos erfolgt dabei über Radiowellen, wenn der Vorausfahrende beschleunigte, beschleunigte der Hinterherfahrende ebenso, bremste der eine, bremste der andere auch. Beide Systeme taten das selbe parallel ohne jegliche Zeitverzögerung. So sollen in der Zukunft die Berufspendler künftig die Möglichkeit besitzen das Steuer während der Fahrt loszulassen und anderen Tätigkeiten nach zugehen, wie Zeitung lesen oder im iPad Emails checken. Sobald dann der Fahrer sich seinem Ziel nähert übernimmt er wieder das Steuer und schert aus der Kopplung der Kolonne wieder raus. Die hinter ihm gekoppelten Fahrzeuge rücken dann nach vorne hin wieder auf. Dazu sagte der Koordinator Tom Robinson vom britischen Technologieunternehmen Ricardo folgendes: „Die Fahrzeuge sparen rund 20 Prozent Kraftstoff, sind seltner in Unfälle verwickelt und brauchen auf der Autobahn weniger Platz, weil sie deutlich weniger Sicherheitsabstand benötigen“. Zudem erhöht die neue Technik die Fahrtsicherheit. Schließlich können Computer die Schrecksekunden und Unaufmerksamkeitsmomente der Fahrer berechnen und schneller reagieren.   Doch bevor dieser Traum von automatisierten Transports allerdings Wirklichkeit werden Hindernisse kann müssen noch ein paar Hindernisse überwunden werden. So gilt in der Bundesrepublik Deutschland das Recht, dass jeder Fahrer für sein Fahrzeug verantwortlich ist. Wenn es nun in einem vollautomatisierten Fahrsystem und Verkehr keine Fahrer mehr gibt, ist die rechtliche Frage der Haftung ungeklärt. Hinzukommt die unterschiedliche Stadtplanung und Architektur der einzelnen Städte auf der Welt, denn nicht in jeder Stadt ist der Raum oder die Notwendigkeit für solche innovativen Systeme vorhanden. Befinden sich in einer Stadt zu enge Straßen kann der Ausbau einer solchen Technik nicht ausreichend erfolgen, um zur Verkehrsentlastung zum Tragen zu kommen. Es scheinen sich doch für einige innovative Konzepte noch viele Komplikationen und Hindernisse zu ergeben, die erst gelöst werden müssen, damit wir von solchen Zukunftsszenarien als Realität sprechen können. Aufgrund solcher Hindernisse geht das chinesische Unternehmen Shenzhen Huashi Future Parking Equipment einen ganz anderen Weg. Die Idee hinter ihrem Konzept ist die Gestaltung eines brückenähnlichen, strombetriebenen Superbus. Dieser Superbus soll auf am Straßenrand eingelassenen Schienen bis zu 1400 Passagiere transportieren können. Dieser brückenähnliche Superbus soll sich dann auf über vier Metern Höhe, wie eine Ungetüm über der Straße wölben, während zu gleich Autos, Motorräder und Fahrräder unter ihm hindurch kriechen. Die Idee wirkt auf den ersten Blick ziemlich irrwitzig und kurios. Dabei zeigt dieses seltsame Konzept in welchen kreativen und radikalen sich diese smarten Projekte wiederspiegeln müssen, um den Verkehrsproblemen Herr zu werden. Der Superbus fand bereits in Peking Anwendung. Falls jedoch das Konzept am Boden sich nicht bewähren soll, so versetzt man den Superbus eben in die Lüfte. Als vor Jahren das Geschäft mit Skiliften des österreichischen Marktführers Doppelmayr ins Stocken gerat sorgten dessen Ingenieure für das ausarbeiten einer Idee: Warum sollte man Menschen in von Stau geplagten Städten nicht genau so befördern können wie die Skifahrer zu ihren Pisten?   Diese österreichische Idee ist bereits Realität geworden. Die Juwel Box in Singapur ist ein Weitere Konzepte solches Konzept und wurde bereits eröffnet. Sie kommt aus dem Hause Doppelmayr und bietet eher eine Luxusvariante von Seilbahn. Die in der Seilbahn eingebauten Plexiglas-Fenster bietet nicht nur einen unglaublichen Ausblick auf die Stadt, auch das Innendesign ist mit Leder, Sound-System, Minibar und Glasboden ausgestattet. Diese Juwel Box soll jährlich bis zu 1,7 Millionen Passagiere anlocken. Die Strecke verläuft dabei vom Festland über den Hafen von Singapur nach Santas Island, man schwebt in den Gondeln über der Stadt hinweg.

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Das österreichische Unternehmen Doppelmayr will dieses System auch in vielen anderen Städten etablieren. Ein anderes System namens Shweeb. Ebenfalls über der Erde schwebend aber pedalbetrieben soll als eine Einschienenbahn fungieren. In aerodynamisch geformten und durchsichtigen Plexiglaskabinen, die an einer Schiene angebracht sind, strampeln die Passagiere selbst zu ihrem Ziel. „Das ist die ideale Fortbewegung für staugeplagte Städte“ so der neuseeländische Erfinder Geoffrey Barnett. Für ihn sind die Kapseln eine optimale Lösung, denn der Fahrer ist in der Lage seine Hände frei für andere Aktivitäten, wie Telefonieren zu benutzen. Auch die reibungsarmen Aufhängungen sind windschlüpfrig gestaltet und somit eindeutig schneller als beispielsweise ein Fahrrad. Zu der Muskelanstrengung ein Vergleich: ein Fußgänger verbraucht 100 Watt bei einem Tempo von 5, eine Kapsel soll bei Tempo 25 nur 33 Watt verbrauchen. Das klingt zwar alles total verrückt, aber Shweeb funktioniert. In einem Vergnügungspark in Rotorua in Neuseeland wurde bereits ein Prototyp des Kapselsystems getestet. Bei den Test erreicht die Fahrer eine Geschwindigkeit von bis zu 70 Kilometern pro Stunde. Das Konzept konnte sich sogar bei einem von Google geleiteten Ideenwettbewerb gegen 150.000 Mitstreiter durchsetzen. Das Resultat, Google finanziert mit 1,05 Millionen Dollar das Projekt.   Das sind die technischen, innovativen und ausgeklügelten Ideen vieler Denker. Doch es geht auch roher, so wie in Bogota der Hauptstadt Kolumbiens. In der Stadt werden jeden Sonntag die meisten Straßen für Autos gesperrt und die Einwohner nutzen regelmäßig das Fahrrad. Es findet dort sogar ein Fahrrad-Fest statt. Die Einschränkungen scheinen ein solch positive Resonanz gehabt zu haben, dass sogar die spanische Stadt Sevilla einen allsonntäglichen Bann für Autos verhängen will.

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S. 5, © Archiv SSB

S. 32/33, © Romina Vetter, 2020

S. 66/67, © Romina Vetter, 2020

S. 88, © Romina Vetter, 2020

S. 89, © Romina Vetter, 2020

S. 128/129, © Romina Vetter, 2020

S. 132/133, © Romina Vetter, 2020


Impressum Konzept und Gestaltung

Katja Schröpfer

Fotografien

Katja Schröpfer, Romina Vetter

Schrift

Acumin Variable Concept

Cover

Katja Schröpfer

Besonderer Dank gilt

Prof. Gerwin Schmidt all den Personen, die meine vielen Fragen so offen beantwortet haben und für die vielen aufschlussreichen und netten Gespräche.

Außerdem

Alicia Godel Romina Vetter Lasse Langner

„Tagein, tagaus mit der U5 zum Killesberg“ entstand im Rahmen der Projekte der Klasse Prof. Gerwin Schmidt, Studiengang Kommunikationsdesign an derStaatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart im 3. und 4. Semester 2019/2020


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