Extimité

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EXTIMITÉ



BLAUE STUNDE - MORGENGRAUEN KATHARINA NUNNER SEMESTERPROJEKT DER OBERSTUFE 1920 TEXTILDESIGN STAATLICHE AKADEMIE DER BILDENDEN KÜNSTE STUTTGART 9. SEMESTER BETREUT VON PROF. KARL HÖING



INHALT _________________________________________________________

BLAUE STUNDE - MORGENGRAUEN 6 DAS PROJEKT 10 RECHERCHE: 13 INTERIEUR - INNENRAUM 14 EXTIMITÉ 18 GRUPPEN: 21 DRAMATIK 22 SPIEGELUNG/DOPPLUNG 24 INNEN-AUßEN/AUßEN-INNEN 28 BEWEGUNG 36 INTERIEUR INSZENIERT 39 INTERIEUR IM DESIGN 43 KOLLEKTION 47 MAKING-OF 80 QUELLENANGABEN 82


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BLAU E ST U N DE MORGEN GRAUE N Als Blaue Stunde wird die Zeit kurz vor Sonnenaufgang und kurz nach Sonnenuntergang bezeichnet, da der Himmel in dieser Zeit eine besonders intensive Blaufärbung aufweist. Dabei ist die Blaue Stunde je nach Wettersituation deutlicher wahrnehmbar, etwa bei klarem Himmel, kann aber bei bedecktem Himmel kaum erkennbar sein. Physikalisch betrachtet weist die Himmelsfarbe in der Blauen Stunde eine andere spektrale Zusammensetzung auf wie am Tag. Durch die Ozonschicht und den flachen Einfallswinkel der Sonneneinstrahlung erscheint die Färbung des Himmels zu dieser Zeit intensiver. Je nach Position dauert die Blaue Stunde nur einen kurzen Moment, wenn man sich am Äquator befindet. An den Polkappen kann sie zwei Wochen anhalten. In Mitteleuropa beträgt sie zur Sommersonnenwende am 21. Juni circa 50 Minuten. In der Fotografie wird der Zeitraum kurz vor der Blauen Stunde abends und kurz nach dem Sonnenaufgang morgens besonders gern genutzt. Diese Zeit wird auch als „goldene Stunde“ bezeichnet und ist bildlich abzuleiten von der noch sichtbaren tiefstehenden Sonne. Auch in der Blauen Stunde selbst können besonders leuchtende Aufnahmen erzielt werden. In dieser Zeitspanne weist künstliches Licht wie das von Straßenlaternen dieselbe Leuchtkraft wie das Blau des Himmels auf und bildet oft zusätzlich einen komplementären Farbkontrast. Die besondere Stimmung, die die Blaue Stunde erzeugt, wird sehr individuell wahrgenommen und gilt als Inspiration für Musik, Literatur und Kunst. In Gedichten wie im Jazz wird sie oft als melancholische Gefühlswahrnehmung aufgegriffen.

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„Unheim l i c h w i r d v i el meh r d as , was si c h v er s c hi ebt, w a s s i ch dor t entzi eht, w o ma n e s vermu tet ha tte u n d pl ö t z l i ch wieder a uf ta u c ht, w o es n i ch t hing eh ö r t. N i c h t di e Di n g e selbst sin d un h ei ml i c h , s o n d e r n ihr andaue r nd s i c h v er ä nder n d e s A r r a ngeme n t .“ aus „Unhei m l ich - In n en räu me von Edvard Mu n c h bis Max B e c km a nn“


DRAMATIK

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SPIEGELUNG/DOPPLUNG

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INNEN-AUßEN/AUßEN-INNEN

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BEWEGUNG

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DAS PROJE K T Die Blaue Stunde stellt ein täglich wiederkehrendes Naturphänomen dar, welches sehr individuell wahrgenommen wird. Es erweckt ambivalente Assoziationen und kann durch die besondere Stimmung und je nach Perspektive das Gefühl des „Unheimlichen“ hervorrufen. Beim Betrachten eines Sonnenaufgangs oder -untergangs faszinieren mich die romantischen Farbtönen, von rosa und orange bis hellblau. Ich nehme die intensiven Farbverläufe als besonders schönes Naturphänomen wahr. Gleichzeitig kann die Blaue Stunde auch im Sinne des Morgen-Grauens durch unscheinbare Veränderungen eine ambivalente Wirkung annehmen und unangenehme Gefühle auslösen. Zum Thema „Blaue Stunde - Morgengrauen“ habe ich zunächst auf eigene Fotografien zurückgegriffen, die über Jahre hinweg in der Blauen Stunde entstanden sind. Dabei fiel mir je nach Ort der Aufnahme zusätzliche Elemente auf, welche zusammen mit dem Himmel die Gesamtwirkung erzeugen. Bei der Analysierung der Aufnahmen ist der watteweiche Himmel zu erkennen, der Assoziationen zu romantischen Renaissancegemälden in weichen rosa bis hellblauen Farbverläufen weckt. Diesem stellen sich architektonische und andere Schattenelemente entgegen. Die zusätzlichen, oft nur als Silhouette erkennbaren oder verschwommenen Flächen ergeben einen Bruch im Bildaufbau und verstärken den Eindruck einer dramatischen Szene. Aus einer Auswahl von 7 Fotografien wurden Kriterien aus Bildaufbau, -elementen und Farbstimmungen gezogen, die als Grundlage für vier Gruppen von Textilien dienen. Diese werden in DRAMATIK, SPIEGELUNG/ DOPPLUNG, INNEN-AUßEN/AUßEN-INNEN und BEWEGUNG kategorisiert. Die Textilien greifen die Themen der Fotografien auf und eröffnen im Zusammenhang mit der weiter gefassten Recherche eine neue Ästhetik. Es entstanden Textilien für den privaten Innenraum, welche im Gewebe, Gestrick und weiteren Techniken umgesetzt wurden. Gestaltungskriterien für die Umsetzung sind starke Farbkontraste von Schwarz zu leichten Rosa-, Orange- und Blautönen, die die dramatische Wirkung ergeben. Daneben wird die Parallelität im Doppelgewebe mit unterschiedlicher Vorder- und Rückseite verdeutlicht. Verdopplung und Spiegelung von Elementen im Vollversatz sowie der Kreis und das Quadrat als Kleinmotiv werden als Kriterien eingesetzt. Bewegung wird durch verschwommene Optik, Irritationen und Fransen in die Textilien integriert. Die Kollektion umfasst Bezugs- und Vorhangstoffe, die von Teppich- und Tapetenentwürfen sowie Beleuchtungsobjekten ergänzt werden.

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RECHERCHE „ [...] o f ten the a r c hi tec t u r al spaces r a ther tha n the a ct o r s ta k e o n psyc ho l o gi c a l expr es si o n .“

Sh amim M. Mo min in „B ilder des Pri va t e n“


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INTERIEU R-IN N EN RA UM Das Interieur, aus dem Französischen „das Innere“, beschreibt in der Psychoanalyse das Innere des Menschen, welches nach Außen hin der Umwelt verborgen ist. Das Exterieur („das Äußere“) hingegen ist der Außenwelt offenbart und umfasst das Äußerliche einer Person wie Aussehen oder Kleidungsstil. Interieur und Exterieur bedingen sich gegenseitig - der Innenraum kann grundsätzlich nur als solcher bezeichnet werden, wenn auch ein Außenraum existiert, der diesen umschließt. Die Funktion des Innenraums ist der Schutz vor der Außenwelt. In der Architektur bezeichnet das Interieur den gestalteten Innenraum eines Hauses, der Möbel, Textilien und Objekte umfasst. Es ist der eingerichtete Innenraum, ein Zusammenhang von Dingen. Er ist der bewohnte, auf Bewohner zugerichtete Raum, ohne deren Anwesenheit vorauszusetzen. Oftmals spiegelt das Interieur in der eigenen Wohnung die innere Persönlichkeit und Psyche des Bewohners wider. Es trägt den „Abdruck seines Bewohners“. Der Begriff des Interieurs verbindet sich mit dem Raum des Privaten gegenüber dem Exterieur, welches Landschaft, Stadt oder öffentlichen Raum umfasst. In der Kunst gehört beim Interieurbild grundsätzlich der Betrachter zur räumlichen Bestimmung dazu. Indem er das Bild betrachtet, schaut er in den geöffneten Innenraum, einem Raum mit drei Wänden, hinein. Die Privatheit und Intimität des Raumes wird durch dessen Geschlossenheit gewährleistet, dem Betrachter aber nur zugänglich, wenn diese durchbrochen wird. Dadurch wird der Betrachter zum Mitakteur und zur vierten Wand. In der Fotostrecke „Stripping“ von Hubbart und Birchler zeigt sich in den Fotos die innere Verfassung der Protagonistinnen. In dem Interieur, in dem sie sich befinden spiegelt sich ihr Innerstes wider. Oftmals sind Innen- und Außenraum durch Türen oder Fenster gleichzeitig sichtbar und weisen auf den Zusammenhang von innerer und äußerer Verfassung hin. Leere und Einsamkeit ist in den verlassenen, leeren Innenräume sichtbar.

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„Man hat a l l zuo f t di e Gewo h nheit , das F r emda r ti ge dur c h e i n Gedanke ns pi el a uf da s Ver t r aute zurückzuf üh r en . I c h bem ü h e mich, das Ver tr a u te i n s F r e m dart i ge zur ü c kzu ver s etz e n .“

Ren é Magritt e (S urre a l i s t )


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EXT IM ITÉ EXTERIEUR X INTIMITÉ

„Das Un-Heimliche“ wird vom Psychoanalytiker Freud in seinem gleichnamigen Aufsatz (1919) als ein räumliches Phänomen interpretiert. Vertraut und bedrohlich zugleich ist es am Übergang zwischen Traum und Albtraum mehrdeutig und nicht konkret fassbar. Durch eine Verschiebung oder Bewegung kippt die Wirkung ins Bedrohliche. Ein Schatten, der sich über einen Gegenstand legt, verändert dessen Aussehen und wirkt dadurch fremd und unheimlich. Die beiden gegenteiligen Begriffe finden sich im Un-Heim-lichen wider. Das Heim(e)lige kann durch eine unscheinbare Veränderung ins Gegenteil dessen verkehrt werden und ändert somit auch seine Wirkung von vertraut in bedrohlich. Unheimlich (im Englischen: uncanny) ist eine subjektive Empfindung, welche Angst und Unbehagen erregt und den Menschen als verstörende Irritation oft in alltäglichen Situationen beunruhigt. Es bezeichnet das Unbekannte, welches unbewusst und unklar erscheint, da es verborgen bleibt. Die Dunkelheit zählt zu den Urängsten, da sie das Unbekannte tarnt und keine Orientierung gibt. Schwarz als Farbe der Dunkelheit erschafft einen Raum der Möglichkeiten. Tiefe Schwärze bewirkt eine starke Betonung der Farbigkeiten. Visuell verschwimmen Innen und Außen im Gemälde „Les mois des vendanges“ (Der Erntemonat) des Surrealisten René Magritte. Von Freud als „Angstraum“ bezeichnet, ist eine Szene wie aus einem Albtraum dargestellt, die einen Raum mit offenem Fenster zeigt. Durch das Fenster, welches Innen und Außen zugänglich macht, sind eine dichte Menge an Personen erkennbar, die durch das Fenster ins Innere starren. Der intime Innenraum wird dadurch nach Außen zugänglich und gleichzeitig die Außenwelt dem Inneren geöffnet. Exterieur und Intimität ergeben Extimité.

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GRUPPEN


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Die erste Fotografie (Abb.9) zeigt den farbigen Wolkenhimmel in pastelligen Farbverläufen. Durch schwarze hart konturierte geometrische Formen, die in die Bildfläche hineinragen, entsteht ein Bruch und somit eine dramatische Bildwirkung. Der Kontrast wird verstärkt durch die voluminösen Wolken im Hintergrund und den glatt wirkenden, architektonischen Flächen im Vordergrund.

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Kriterien für die Textilien: - Farbigkeit - Ebenen - Farbverlauf - Materialkontraste: weich gegen hart


DRAMA TIK

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In „L‘empire des lumière“ (Das Reich der Lichter) von René Magritte zeigt sich eine surreale Szene zwischen Nacht und Tag. In der unteren Bildhälfte ist ein Haus in Dunkelheit zu sehen, dessen Fassade nur durch eine Straßenlaterne erkennbar ist. Durch beleuchtete Räume in wärmerer Lichtfarbe werden zwei Fenster im ersten Stock sichtbar. Zur Mitte des Bildes schließen die Dachkonturen zwischen Baumwipfeln die Nachtszene komplett in Schwarz ab. Über den Baumwipfeln sind auf dem strahlend blauen Himmel helle Wolkenformationen flächig verteilt, die den „helllichten“ Tag suggerieren. Verbunden sind beide Bildteile durch einen großen Baum, der das Haus überragt und die Himmelsfläche überlagert. Im Gesamten ergibt sich eine surreale Szene aus zwei unterschiedlichen Tageszeiten. In sehr realistischem Stil gemalt wird erst bei längerem Betrachten der innere Widerspruch klar.

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In der zweiten Fotografie (Abb.11) sieht man den blauen Horizont vor einer schwarzen Fläche mit Lichtpunkten, einer Stadtsilouhette. Der surreale Effekt wird durch die Spiegelung der schwarzen Fläche erzeugt, welche sich an den Himmel anschließt und dadurch „unendlich“ wirkt,.Gleichzeitig entsteht eine bedrohliche dunkle Fläche zum oberen und unteren Bildrand hin. Es entsteht der Eindruck einer Parallelwelt.

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SPIEGELU N G / DOPPLUNG

In der dritten Fotografie (Abb.12) wird der Blick des Betrachters durch eine Glastür mit goldener Türklinke gelenkt und lässt den Innenraum mit hohem Türbogen und Holzfenster und Blick ins Grüne erkennen. Parallel dazu ist in der Spiegelung der Glastür die Hausfassade eines historischen Gebäudes mit Statuen auf dem Dach sichtbar. Eine weitere Tiefenwirkung ergibt sich durch die Spiegelung des inneren Fensters im glänzenden Fußboden des Innenraums. Durch die zahlreichen Ebenen entsteht ein Raum, der parallel mehrere Szenen gleichzeitig abbildet.

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In der Illusionsfotografie ist eine Tür ins „Nirgendwo“ sichtbar, die in den Himmel einer Naturszene gesetzt ist. Ein Mann mit Hut versucht, von einer Trittleiter aus durch die Tür zu klettern, die ins Schwarze zu führen scheint. Der Himmel wirkt durch die Tür wie eine greifbare Fläche, die durchdrungen werden kann und in eine andere Welt führt.

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In der Fotografie sind große runde Regentropfen auf einer Fensterscheibe erkennbar. In den Kreisformen spiegelt sich der Horizont mit Sonnenuntergang, verkehrt herum. Zudem werden Himmel und Wolken durch den Linseneffekt verzerrt. Es werden eigene kleine „Welten“ in den Kreisformen abgebildet.

Kriterien für die Textilien: - Farbigkeit - Streifen - Spiegelelemente - Quadrat: abstrahierte Fenster/Türöffnung

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In der dritten Fotografie (Abb.15) sind kreisrunde Aussparungen in einer dunklen Fläche abgebildet. Durch die Kreise wird der Blick auf verschwommene Flächen in der Ferne sichtbar. Dahinter lässt sich der Horizont und der leicht verfärbte Abendhimmel erkennen. Der Blick durch das „Guckloch“ in die Außenwelt, stellt klar, dass sich der Betrachter im Inneren befindet, es also ein Innen und Außen gibt.

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IN N EN -AU ßE N/ AU ßEN -IN NE N

In der vierten Fotografie (Abb.16) sieht man eine Dachterasse mit Sitzgelegenheiten und Tischen. Die Wände und Decke werden durch ein horizontales und vertikales Gitter aus Balken begrenzt, was eine Käfigwirkung erzielt. Durch den hölzernen Boden wird der wohnliche Charakter verstärkt. Gleichzeitig ist zwischen den Begrenzungsbalken der Himmel und Horizont in verfärbten Orangetönen erkennbar, was den Außenraum verdeutlicht. Innen und Außen vereinen sich zu einem neuen Raum, der trotz Offenheit begrenzt erscheint.

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Das „Ende der Welt“ ist ein Perspektiv, welches sich im barocken Schlossgarten von Schwetzingen befindet. Am Ende des dunklen Laubengangs ist ein Gemälde einer Flusslandschaft mit verfärbtem Himmel zu erkennen. Durch geschickt genutzten Lichteinfall erscheint das Bild realistisch und weist eine besonders leuchtende Farbigkeit auf. Eine starke Tiefenwirkung entsteht im Zusammenspiel mit dem zuführenden Gang und einem Architekturrahmen vor der Mauer. Die Konstruktion wirkt wie der Zugang zu einer anderen Welt, welche am Ende des Gangs deutlich hervorleuchtet und den Blick auf eine romantische Naturszene eröffnet.

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In dem Gemälde „Interior of Courtyard, Strandgate 30“ von Vilhelm Hammershoi ist eine ungewöhnlich schräge Perspektive von oben auf eine dunkle Hausfassade dargestellt. Die Dunkelheit nimmt von oben nach unten zu und verdichtet sich in einem schwarzen Torbogen zum rechten unteren Bildrand.Hinter den Fenstern ist ebenfalls nur dunkler Innenraum erkennbar. Von einem einzigen Fenster, welches nach außen geöffnet ist, wird Sonnenlicht reflektiert, welches zeigt, dass gegenüber Helligkeit herrscht.

Kriterien für die Textilien: - Kreisform - Farbverlauf von orange nach blau - Beidseitigkeit - Verschiebung

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INNEN- AUß E N-U N -HEIMLIC H

Das Gemälde des französischen Künstlers Edouard Vouillard zeigt sein Selbstporträt, welches zur Hälfte vom Schatten überdeckt ist. Die überschattete Hälfte bildet mit dem dunklen Hintergrund nahezu eine farbige Fläche in strukturiertem Olivgrün. Im starken Kontrast dazu leuchtet die andere Gesichtshälfte in hellem fleischfarbenen Rosa hervor, welche umrahmt wird vom satten Orangeton des Bartes und einem grellen Gelb der Haare. Daneben ist ein dunkelblaues Kleidungsstück erkennbar, welches auch den unteren Bildrand abdunkelt. Durch die Augen, die beide im Schatten liegen, wirft der Porträtierte dem Betrachter einen eindringlichen Blick zu. Aus der „dunklen Seite“ her kommend bewirkt dieser ein unheimliches Gefühl, welches durch die gesamte Farbkomposition des Gemäldes verstärkt wird.

Aus dem Küchenfenster meiner Wohnung beobachtete ich die verlassene Straße. Mich überkam ein unheimliches Gefühl, welches durch die stille Umgebung verstärkt wurde. Der Blick aus dem Fenster wird durch den schwarzen Balken am rechten Bildrand klar. Durch den Nebel werden die Lichtkegel der Straßenlaternen sichtbar. Zum unteren Bildrand ist ein parkendes Auto mit glänzendem Dach erkennbar. Die Szene wirkt durch die dunklen Flächen fast wie eine Schwarz-Weiß-Aufnahme.

Kriterien für die Textilien: - Farbigkeit - tiefes Schwarz - Streifen - Schatten/ Trübung 32


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D A R K C O LOU RS

Das Gemälde „Girl by the window“ von Edvard Munch vermittelt bereits in der gesamten Farbstimmung in dunklen Blautönen das Gefühl von Einsamkeit und Melancholie. Der Betrachter sieht eine Frau in hellem Nachtkleid am Fenster stehen, die den Kopf in die Hände gesenkt hat. Sie steht im Schatten des Zimmers, welches ein sehr dunkles Interieur aufweist. Im Stil des Pointilistismus wirken die dunklen Flächen lebendig, was man vor allem am Vorhang erkennen kann. Beim Blick aus dem Fenster sieht man gegenüberliegend ein helles Fenster, welches aber weit weg und unerreichbar scheint. Im Hinblick auf das Leben des Künstlers, welches von tragischen Ereignissen geprägt war, kann die Gesamtwirkung mit Traurigkeit und Einsamkeit beschrieben werden, die sich im tiefen Inneren (Interieur) eines Menschen vor der Außenwelt verborgen bleibt.

In Henry Magrittes „Un ami de ordre“ (Ein Freund der Ordnung, 1964) sieht man die Silouhette einer Person, deren Inneres mit einer Naturszene gefüllt ist. Diese zeigt Bäume unter dem Nachthimmel mit Mond in Blautönen gehalten. Der Hintergrund der Silouhette ist abstrakt in grauer bis schwarzer Struktur. Die konkrete Außenwelt wird im Inneren der Person dargestellt, der Hintergrund bleibt abstrakt im Dunkeln. Mit starkem Gegenlicht würde die Darstellung genau andersherum realistisch wirken - wenn die Silouhette schwarz und der Hintergrund die Naturszene zeigen würde.

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In der sechsten Fotografie sieht man eine Häuserreihe vor dem tiefblauen Himmel, der Vordergrund ist dunkel und nicht konkret lesbar. Durch Bewegung beim Auslösen der Kamera ergeben sich Verzerrungen. Insbesondere werden Lichtpunkte zu leuchtenden Linien verschoben und überlagern die Häusersilouhette, die somit verfremdet wird.

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BEW EGUNG

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In der siebten Fotografie sind verschwommene Baumstämme vor grünen Astsilouhetten erkennbar. Durch den hellen Hintergrund wirken die Grüntöne sehr leuchtend und lebendig. Der Außenspiegel in der linken Bildecke gibt Aufschluss darüber, dass das Foto während einer Autofahrt aus dem geöffeten Beifahrerfenster geschossen wurde.

Kriterien für die Textilien: - Dunkle Farben - Verschiebung - Fransen - Streifigkeit

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INTERIEUR INSZENIERT



T H E O UTSIDE LIVIN G RO OM

Marcos Calamato, Makrofotograf

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In der Fotoreihe über das Interieur setzt der Künstler das heimische Wohnzimmer mit einfachen Mitteln in den Außenraum. Durch fehlende Wände und die große Straßenlaterne erscheint die Szene im unbegrenzten Raum zu spielen. Elemente wie Sessel, leuchtendem (Röhren-)Fernseher mit Tisch und Teppich schaffen den Eindruck einer vertrauten Wohnraumsituation. Durch eine undefinierbare farbige Lichtquelle, die im Hintergrund Baumsilouhetten erahnen lässt, wird der surreale Eindruck verstärkt.

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INTERIEUR IM DESIGN


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Die Textilien der Interieurkollektion finden Anwendung im privaten Wohnraum. Als Inspiration für Innenräume dienen schlichte Räume mit Holzdielenboden und dunkelblauen Wänden. In dem Wohnraum laden Sessel oder Sofa als Sitzgelegenheiten zum Verweilen ein. Weitere Einrichtungsgegenstände wie Kamin oder Gemälde verstärken den wohnlichen Charakter. Spiegelelemente geben dem Raum Tiefe und erzeugen weitere Ebenen. Natürliches Licht fällt durch große Fenster in den Raum. Vorhang und Teppich sowie Bezugsstoffe und Tagesdecken schaffen Verbindung von Mensch und Raum, psychischem und physischem Innen und Außen.

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INTERIEUR KOLLEKTION

In der Kollektion sind die Gruppen Dramatik, Spiegelung/ Dopplung, Innen-AuĂ&#x;en/AuĂ&#x;en-Innen und Bewegung widerekennbar. Einige Textilien weisen Merkmale auf, die in mehreren Gruppen thematisiert werden. Besonders durch die Kombination der Textilien untereinander ergibt sich eine abwechslungsreiche Zusammenstellung, die mithilfe der Beleuchtung in den Fotografien eine inszenierte Wirkung erzeugt.



DER ENTWURF FÜR EINEN BODENBELAG (RECHTS) SETZT SICH AUS GEOMETRISCHEN RECHTECKSFORMEN ZUSAMMEN. DIE VIELSCHICHTIGKEIT ERGIBT SICH DURCH ÜBERLAGERUNGEN DER EINZELELEMENTE. TROTZ DUNKLER FARBIGKEIT ENTSTEHT EINE BELEBTE STRUKTUR. IM ZUSAMMENHANG MIT DEM PLAID WERDEN GEOMETRISCHEN FORMEN MIT KLARER BEGRENZUNG AUFGEGRIFFEN.



DAS PLAID IST AUS EINZELNEN GESTRICKTEN STREIFEN ZUSAMMENGEFÜGT, WELCHE UNTEREINANDER VERWOBEN, EINE GESAMTFLÄCHE BILDEN. DURCH BEWEGUNG UND INTERAKTION DURCH DEN BENUTZER ERGEBEN DIE HELLDUNKLEN STREIFENRHYTHMEN IN IHREN VERSCHIEBUNGEN NEUE GEOMETRISCHE FORMEN.



DER EXPERIMENTELLE PAPIERENTWURF GREIFT DIE WEICHHEIT DER HELLEN FARBTÖNE DES HIMMELS AUF. MIT WOLLIGEM GARN SIND STREIFEN DURCH DAS PAPIER GESTICKT, WELCHE IM GESAMTEN EINE ÜBERGEORDNETE ORGANISCHE STREIFENSTRUKTUR ERGEBEN. DER ENTWURF IST ALS GEWEBEENTWURF FÜR EINEN TEPPICH IN WEICHER WOLLQUALITÄT GEDACHT.



DAS EXPERIMENTELLE GEWEBE ZEICHNET SICH DURCH FRANSENKANTEN AUS, WELCHE DEM TEXTIL ZUSÄTZLICH DYNAMIK VERLEIHEN. IN DER FARBIGKEIT UND HAPTIK WERDEN WEICHE PASTELLTÖNE ALS HIMMELSFARBEN AUFGEGRIFFEN. DIESE WERDEN VON ZUSÄTZLICHEN SCHWARZEN KETTFÄDEN KONTRASTIERT. DER ENTWURF IST FÜR EIN SITZMÖBEL SO ANGEDACHT, DASS DIE FRANSEN AN MÖBELKANTEN PLATZIERT WERDEN KÖNNEN.



DER VORHANGSSTOFF DRÜCKT DIE IDEE DER AMBIVALENZ IN SEINER BEIDSEITIGKEIT AUS. ZWEI IN IHRER OPTISCHEN UND HAPTISCHEN WIRKUNG STARK UNTERSCHEIDBARE SEITEN SPIEGELN DIE PARALLELITÄT WIDER. BLAUE KETTFÄDEN FINDEN SICH ALS PUNKTMUSTER AUF DER DUNKLEN SEITE WIDER, WÄHREND EINE WEICHE MOHAIRQUALITÄT DIE GEGENSEITE IN ZARTEN ROSÉUND APRICOTTÖNEN BILDET.



EIN SPIEL AUS LICHT UND SCHATTEN WERDEN MIT DER EXPERIMENTELLEN HALB-TRANSPARENTEN STRUKTUR ERZEUGT. IN DER DUNKLEN MATERIALITÄT FINDEN SICH ERST AUF DEN ZWEITEN BLICK BUNTE FARBAKZENTE. HINTERLEUCHTET ERGIBT SICH EINE DIFFUSE LICHTWIRKUNG.



IM VORHANGSTOFF FINDET SICH DER BETRACHTER SELBST IN DEN APPLIZIERTEN SPIEGELQUADRATEN WIEDER. DURCH DIE TRANSPARENTE QUALITÄT BEWAHRT DER STOFF SEINE LEICHTIGKEIT UND SPIELT MIT DEM GEDANKEN DES SPIEGELNS UND HINDURCHSEHENS. IN DER FOTOGRAFIE SCHEINEN DIE QUADRATISCHEN APPLIKATIONEN IN DER DUNKELHEIT ZU SCHWEBEN.



DER BEZUGSSTOFF GREIFT DIE FARBKONSTELLATION DER „UNHEIMLICHKEIT“ IN EINEM STREIFENRHYTHMUS AUF. DURCH DIE DUNKLEN KETTFÄDEN ERGIBT SICH IN DER VERTIKALEN EINE STREIFIGE SCHATTENWIRKUNG, DIE ÜBERGEORDNET EIN KARO BILDET.



DER PAPIERENTWURF IST DENKBAR ALS GEBWEBE IN VORHANGQUALITÄT, WELCHER IN DEN WEIßEN STELLEN TRANSPARENTE FLÄCHEN ZEIGT. DAS KARO LEBT DURCH DIE DYNAMIK VON STRUKTURIERTEM FONT UND ÜBERLAGERTEN PINSELSTREIFEN UND SETZT EINEN KONTRAST ZUM ANTHRAZITFARBENEN GEWEBE UND DEM SCHWARZEN FLOR.



DER TEPPICHENTWURF IN SCHWARZ THEMATISIERT DIE DUNKELHEIT. IN DER TIEFEN SCHWÄRZE, DIE DURCH DEN FLOR INTENSIVIERT WIRD, SIND BLAUE GARNFÄDEN EINGEARBEITET, DIE DER DUNKELHEIT FARBE GEBEN.



DER VORHANGSTOFF ZEIGT ÃœBER DAS GESAMTE FORMAT EINEN VERLAUF VON HIMMELSFARBEN VON DUNKELBLAU NACH ORANGE. ANGELEHNT AN DER FOTOGRAFIE MIT RUNDEN FENSTERN SPIELT SICH DIE FARBIGKEIT IN DEN KREISFORMEN AB. ZUSAMMEN MIT DEM SCHWARZEN FONT ENTSTEHT EINE RUHIGE GESAMTWIRKUNG.



DER VORHANGENTWURF MIT DEN BREITEN QUERSTREIFEN ERZÄHLT IN MALERISCHEM DUKTUS VON DER IDEE DER PARALLELWELT, DIE AM ENDE DES VERFÄRBTEN HIMMELS BEGINNT. DYNAMIK WIRD DURCH DEN TROCKENEN PINSELSTRICH AN DEN RÄNDERN DER SCHWARZEN STREIFEN ERZEUGT.










MA KI N G-O F I M PRES S IO NS


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BILDQUELLEN nach Abbildungsnummerierung

Titelbild und Fotografie S.6, Katharina Nunner, 2020 Fotografien 1-7, (Abb. 2, 3, 4, 5, 9, 11, 12, 14, 15, 16, 17, 20, 23, 24), Katharina Nunner, 2019 6. und 7. Fotografien der Fotoserie „Stripping“ von Hubbart und Birchler, aus „Bilder des Privaten, Das fotografische Interieur der Gegenwartskunst“; Lars Spengler, transcript Verlag Bielefeld, 2011 8. Gemälde „Les moins des vendanges“, 1959, René Magritte, https://www.pauloeuvreart.com/reproductions/magritte/magritte-le-mois-des-vendanges. html 10. Gemälde „L‘empire des lumière“, 1949-1964, René Magritte https://www.artsy.net/artwork/rene-magritte-lempire-des-lumieres-13 13. Illusionfotografie, Tür ins Nirgendwo https://i.pinimg.com/originals/85/3e/f8/853ef8707648e8dc491cf8b12304a003.jpg 18. Gemälde, „Interior of Courtyard, Strandgate 30“ von Vilhelm Hammershoi, 1899 https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Vilhelm_Hammersh%C3%B8i_-_Interior_of_Courtyard,_Strandgade_30_-_Google_Art_Project.jpg 19. Selbstporträt, Edouard Vouillard https://www.tuttartpitturasculturapoesiamusica.com/2012/08/edouard-vuillard-1868-1940french-post.html 21. Gemälde „Girl by the window“, Edvard Munch, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Edvard_Munch_-_The_Girl_by_the_ Window_-_2000.50_-_Art_Institute_of_Chicago.jpg 22. Gemälde „L‘amie de l‘ordre,“ 1964, René Magritte https://artist-magritte.tumblr.com/image/172884003699 25. Fotografie, „The outdoor living room“, Marcos Calamato, https://www.trendhunter.com/trends/marcos-calamato 26. Inspiration Interieur 1, https://www.delightfull.eu/en/projects/112?utm_source=jtarvainyte&utm_medium=moderninteriordesigninspiration&utm_campaign= 27. Inspiration Interieur 2, https://furniture.knitpic.site/chaise-longue-in-yellow-velvet-in-salon-bleu-canard/ 28. Inspiration Interieur Spiegel, https://www.sediarreda.com/de/zubehor/spiegel/p-to7501-tonin-casa-sunset-7501 S.50-83: Designfotografien Interieurprojekt Extimité, Katharina Nunner 2020


LITERATURQUELLEN chronologisch nach Verwendung

1. Die Blaue Stunde in der Fotografie: https://www.foto-kurs.com/blaue-stunde.php 2. Die Blaue Stunde, allgemein: https://de.wikipedia.org/wiki/Blaue_Stunde 3. Die goldene Stunde, allgemein: https://de.wikipedia.org/wiki/Goldene_Stunde_(Fotografie) 4. Unheimlich, Definition https://de.wikipedia.org/wiki/Unheimlich 5. Unheimlich, Innenräume von Edvard Munch bis Max Beckmann The uncanny home, Interiors from Edvard Munch to Max Beckmann, Kunstmuseum Bonn, Hirmer Verlag 2016 6. Bilder des Privaten, Das fotografische Interieur der Gegenwartskunst; Lars Spengler, transcript Verlag Bielefeld, 2011



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