Bauhaus Sachsen
Bauhaus Saxony
GRASSI Museum fĂźr Angewandte Kunst Leipzig
GRASSI Museum of Applied Arts Leipzig
arnoldsche
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001 Marianne Brandt Selbstporträt, Dessau, 1926. GRASSI Museum für Angewandte Kunst Leipzig Marianne Brandt Self-portrait, Dessau, 1926. GRASSI Museum of Applied Arts Leipzig
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Bauhaus Sachsen
GRASSI Museum für Angewandte Kunst Leipzig
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GRASSI Museum of Applied Arts Leipzig
Olaf Thormann (Hg./ed.)
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014 Franz Ehrlich Rot, hell und dunkel, Dessau, 1927. Öl auf Holz und Hartfaserpappe. GRASSI Museum für Angewandte Kunst Leipzig Franz Ehrlich Rot, hell und dunkel, Dessau, 1927. Oil on wood and fibre-board. GRASSI Museum of Applied Arts Leipzig
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015 Franz Ehrlich Flächenüberlagerung, 1930. Öl auf Leinwand. Sammlung Freese Franz Ehrlich Surface overlay, 1930. Oil on canvas. Freese Collection
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National Tradition, or: The Yearning for the Essential
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Themen Themes
HANS-GEORG LIPPERT The first half of the twentieth century was a period of transition. Political, social and cultural changes followed one after the other in short intervals, which triggered a euphoric mood among some segments of the population but was experienced by the great majority as a time of crisis. From the 1920s on this led to two dramatically diverging design positions in architecture and urban design that, on the surface, appear very different. One position, not necessarily the version most compatible with the mainstream, subscribed to the idea characteristic of Western thinking that humans are capable of doing and changing things at will, believing in technological progress in the hope it will create a better world. Its motto was best expressed by the Berlin architect Bruno Taut: ‘Our earth, hitherto a bad place to live in, should become a good living space.’1 This belief prevailed at the Bauhaus as well and was expressed in an unfamiliar, radically different world of forms. ‘Presented to the public for the first time in 1922, it appeared to contemporaries as something completely novel, not as the result of a traditional continuum of German culture but grown out of war, revolution and economic collapse.’2 In other words it did not meet with the undivided enthusiasm the Bauhaus missionaries had anticipated but was frequently received as something latently dystopian. The other basic and far more prevalent attitude held by most Germans witnessed an ever growing contingency and complexity in the present that had been disturbing as far back as the German Empire. After the First World War, a desire spread
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for the return of being rooted in unambiguity and only the essential. Already in the nineteenth century, personal affirmation had been achieved by being involved in an artistic and historical narrative that displaced the authority of religion and church; for this reason a search for support in artistic tradition and the seemingly timeless myth of the nation took hold after 1918. In tandem both were considered a solid bulwark of middle-class art perception versus the assault of anti-bourgeois forces that were considered hostile to culture. Needless to say countless intersections existed between these two basic positions. Although Cornelius Gurlitt, doyen of the art and architectural history in Saxony, noticed in 1930 within architectural circles ‘a striving for modernity [and] frequently desperate attempts to create things of an unequivocally new kind’, he had already seen the beginnings of this tendency back in the time around 1900. ‘Even then a young architect […] was introduced to the kind of architecture taught by men such as Dülfer, Schumacher, Bestelmeyer, Högg, Hempel, Pölzig [sic], Tessenow and others.’3 To Gurlitt these were ‘creators of a new style who, although definitely innovative in overall planning, did not categorically reject forms in regard to details that had been developed in the past. That is to say, it was felt that the modern artist, too, belonged to an ancient people and was integral to its way of thinking and creating and that the expression of contemporary art needed to grow of out of existing forms. In this way a kind of architecture emerged that was also classified as German abroad’.4
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Crimmitschau
• Kaufhaus Schocken — Bernhard Sturtzkopf
LARS SCHARNHOLZ Auch in der 1929 rund 28.000 Einwohner zählenden Stadt Crimmitschau hat die moderne Architektur der Weimarer Zeit Spuren hinterlassen. Dort erhielt der Auftakt der altstädtischen Badergasse im Kreuzungspunkt des Mühlgrabens mit dem sachlich-kubischen Warenhausbau der Firma Schocken einen stadtgestalterischen Baustein, der den Eingang zur Innenstadt markiert. Der Kaufhausbau, auf nahezu L-förmigem Grundriss mit einer jeweiligen Flügellänge von etwa 30 Metern errichtet, schließt die Raumkanten der umliegenden Straßen. Im Blockinneren umfasst der Bau einen schmalen Lieferantenhof. Die Klinkerfassade, die durchlaufenden Fenster- und Brüstungsbänder und nicht zuletzt der markante Firmenschriftzug kennzeichnen den Bau als den Schocken-Warenhäusern zugehörig. In Materialität und Fassadengestaltung erinnert er an den Schocken-Bau von Erich Mendelsohn in Nürnberg. Dass sich Schocken zu einer weiteren Filialgründung in Sachsen entscheiden konnte, ist auf das erhebliche Wachstum der Region in den 1920er Jahren zurückzuführen. Nach der Eröffnung stellte sich die wirtschaftliche Entwicklung des Crimmitschauer Warenhauses als sehr positiv dar.1 Die deutsch-jüdischen Kaufleute Simon und Salman Schocken aus Zwickau bemühten sich schon früh um eine den Geist des
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Im November 1928 wird das Schocken-Kaufhaus eröffnet. Architekt ist der in Zwickau ansässige Bernhard Sturtzkopf, seit 1928 künstlerischer Leiter des Schocken-Baubüros, vorher Assistent bei Walter Gropius.
In November 1928 the Schocken Department Store opens. The architect is Bernhard Sturtzkopf, resident in Zwickau and since 1928 artistic director of the Schocken site office, before that assistant to Walter Gropius.
039 Kaufhaus Schocken Crimmitschau. Fotografie, 1929. Privatarchiv Jürgen Nitsche / Staatsarchiv Chemnitz Schocken Department Store Crimmitschau. Photograph, 1929. Private archive of Jürgen Nitsche / Staatsarchiv Chemnitz
Unternehmens projizierende Ästhetik.2 1919 entdeckte Salman Schocken die visionären Skizzen von Erich Mendelsohn, der dann 1925 das erste Schocken-Warenhaus in Nürnberg entwarf, später folgten die Bauten in Stuttgart und Chemnitz. Ein Entwurf von Mendelsohn für Aue wurde wegen der politischen Entwicklung in Deutschland nicht realisiert.3 Als bedeutende Bestandteile seines künstlerischen Gesamtwerkes bilden Mendelsohns Schocken-Warenhäuser ohne Zweifel den Ausgangspunkt einer neuen Warenhausarchitektur in Deutschland und Europa. Neben Mendelsohn prägten jedoch die Auftraggeber selbst das architektonische Außenbild des Unternehmens. Bereits vor dem Ersten Weltkrieg publizierte Salman Schocken Aufsätze in Fachzeitschriften zu Themen wie »Die Entwicklung der Warenhäuser in Deutschland und die kaufmännischen Voraussetzungen der Warenhausbauten« oder »Die Architektur des Warenhauses«. 1926 besuchte Salman Schocken das Bauhaus Dessau, traf dort mit den Meistern Lázló Moholy-Nagy, Wassily Kandinsky und Marcel Breuer zusammen. Die Verbindung zum Bauhaus war nicht allein für die Architekturgestaltung, sondern auch für die Werbegrafiken und Schrifttypen des Unternehmens von ausschlaggebender Bedeutung.4 Da Schocken nicht ausschließlich mit Mendelsohn zusammenarbeitete, beauftragte man das im Januar 1920 gegründete firmeneigene Architekturbüro mit der Planung in Crimmitschau. 1928 hatte Schocken den Bauhausschüler Bernhard Sturtzkopf als leitenden Planer eingestellt.5 Sturtz-
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kopf war zu diesem Zeitpunkt kein Unbekannter mehr: Während seiner Zeit am Bauhaus nahm er 1922 mit El Lissitzky, László Moholy-Nagy und Hans Arp am Kongress der Konstruktivisten in Weimar und Düsseldorf teil. In diesem Zusammenhang arbeitete er auch im De-Stijl-Kurs van Doesburgs in Weimar mit. Seine Kursarbeiten, wie die Studie für eine rein architektonische, aus dem Grundriß entwickelte Plastik, wurden zusammen mit den Entwürfen Hans Vogels mehrfach in Fachzeitschriften publiziert.6 Nach einer abgebrochenen Maurerlehre ging Sturtzkopf Anfang der 1920er Jahre an die Baugewerkenschule Weimar und schloss die Ausbildung mit der Reifeprüfung ab.7 Von 1923 bis 1927 studierte er am Bauhaus Weimar und Dessau. In dieser Zeit auch im Baubüro von Walter Gropius beschäftigt, arbeitete er 1924 am Haus Auerbach in Jena und 1926 an den Meisterhäusern und dem Bauhausgebäude in Dessau mit. Inwiefern er noch an weiteren Vorhaben des Baubüros von Gropius beteiligt war, ist nicht bekannt.8 Von 1928 bis 1932 war Sturtzkopf Chefarchitekt der Bauabteilung von Schocken, bis Kriegsbeginn freischaffender Architekt in Zwickau. Während dieser Zeit war er möglicherweise auch im Berliner Büro von Ludwig Mies van der Rohe beschäftigt.9 Über Studien oder Vorentwürfe zu seinen Kaufhäusern ist nichts bekannt. Auffällig ist jedoch, dass das Thema der Durchdringung architektonischer Körper, wie man sie Sturtzkopf in den Weimarer Kursen Theo van Doesburgs vermittelt hatte, in Crimmitschau und Waldenburg eine besondere Rolle spielte.
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In der überregionalen Fachpresse fand der Bau in Crimmitschau kaum Erwähnung. Auch wird das neben den Bauten von Stuttgart, Nürnberg und Chemnitz abgebildete Kaufhaus Crimmitschau teilweise dem falschen Entwurfsverfasser zugeordnet.10 Nach 1933 geriet das Gebäude in Vergessenheit. Die Schocken-Häuser auf dem Gebiet der DDR wurden den Konsumgenossenschaften zugeordnet, ab 1967 wurde das Haus in Crimmitschau als »Kontakt-Warenhaus« geführt. Nach der politischen Wende konnte das heute denkmalgeschützte Kaufhaus noch bis Ende 1999 betrieben werden. Dann kam das Nutzungsende, bis heute steht der Bau leer. Es scheint kaum vorstellbar, dass dieses einzigartige Kaufhaus bisher unsaniert blieb: handelt es sich doch um ein bauhausnahes Kleinod, das zentraler Teil des modernen Bauerbes in Sachsen ist.11
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Fotografien von Charlotte Rudolph, welche die einzelnen Augenblicke in den Tanzabläufen Paluccas fixierten. →Abb. 057 In seinen Erklärungen zu den Skizzen wies Kandinsky auf zwei wesentliche Merkmale hin: »Einfachheit der ganzen Form« und »Aufbauen auf der großen Form«.18 Anders als Klee, der nach Möglichkeit Paluccas öffentliche Bühnenauftritte besuchte, bat Kandinsky die Tänzerin, in seinem privaten Dessauer Atelier Übungen vorzutanzen, die es ihm erlaubten, Bewegungsformeln wie Linien, Kreise und Dreiecke im Detail zu erfassen. Ebenso galt sein Augenmerk den Hochsprüngen, die er grafisch schematisierte, etwa als fünfeckige Fläche, gebildet durch den Kopf, beide Hände und die Fußspitzen. Als 1930 die Ehe Bienert-Palucca geschieden wurde, ging Mondrians Tableau an Friedrich Bienert zurück und wurde im Studio Paluccas nicht durch ein anderes Bild ersetzt. Sie habe an diesem Werk gehangen, so äußerte Palucca, und sei an einem Bild, das nicht jenem von Mondrian entsprochen hätte, nicht interessiert gewesen.19
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Gekürzte Fassung der Publikation in der Neuen Zürcher Zeitung, 17. 10. 2009, Nr. 241, S. 60. Max Bill, Die Komposition I/1925 von Piet Mondrian. In: Jahresbericht der Vereinigung Zürcher Kunstfreunde. Separatabdruck Zürich 1956, S. 3. Nebst dem Erwerb von Bildern ließ sich Ida Bienert 1926 Entwürfe für die Ausgestaltung ihres Salons mit Bibliothek anfertigen. Das Projekt kam jedoch nicht zur Ausführung. Piet Mondrian an J. J. P. Oud (undatiert, 1926). Zit. n. Joop M. Joosten, Piet Mondrian: Catalogue raisonné. Paris 1998, Bd. II, S. 318. Werner Schmidt (Hg.), Künstler um Palucca: Ausstellung zu Ehren des 85. Geburtstages. Staatliche Kunstsammlungen Dresden 1987, S. 23. Piet Mondrian, Neue Gestaltung. Neoplastizismus, Nieuwe Beelding (1925). Berlin 2003, S. 11. Huguette Duvoisin / René Radrizzani (Hg.), Gret Palucca: Schriften, Interviews, Tanzmanuskripte. Basel 2008, S. 149.
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Katja Erdmann-Rajski, Gret Palucca. Tanz und Zeiterfahrung in Deutschland im 20. Jahrhundert: Weimarer Republik, Nationalsozialismus, Deutsche Demokratische Republik. Hildesheim 2000. Piet Mondrian 2003, wie Anm. 6, S. 28. Duvoisin / Radrizzani 2008, wie Anm. 7, S. 152. Ebd., S. 15. Schmidt 1987, wie Anm. 5, S. 23. Ebd., S. 7. Interview von Radio DDR, 15. 12. 1980. In: Duvoisin / Radrizzani 2008, wie Anm. 7, S. 93. Paluccas Verhältnis zu den Bauhaus-Künstlern war respektvoll, blieb auf privater Ebene jedoch distanziert. Der Autorin mitgeteilt im persönlichen Gespräch mit Ursula Kasics, Tänzerin und ehemalige Palucca-Schülerin (1945 – 1948), Zürich 2016. Schmidt 1987, wie Anm. 5, S. 7. Wassily Kandinsky, Tanzkurven: Zu den Tänzen der Palucca. In: Das Kunstblatt, Jg. 10, 1926, S. 117. Ebd. Schmidt 1987, wie Anm. 5, S. 23.
• Gret Palucca, Piet Mondrian and the Bauhaus Ways to Abstraction in Dance and Painting Abstraction developed in a special way in the 1920s. In painting Piet Mondrian created a visual language that aimed at the utmost reduction of means. At the same time, the Bauhaus artists were beginning to go public with their concrete concepts. In the field of dance Gret Palucca was the one to open up new aesthetic possibilities for physical expression. A key picture from this constellation of new beginnings is the 1925 Tableau No. I, which once adorned Palucca’s Dresden studio. →Fig. 057 In its design and its history, the work conveys a glimpse of the overarching aesthetic ambitions of the era.1 VERENA SENTI-SCHMIDLIN
Tableau No. I , 1925 The 1925 composition features a square standing on one corner and a picture surface divided into five geometric constituents: a hexagon, two rectangles with unequal sides and two smaller triangles. These elements are demarcated by a configuration of black lines, a low-lying horizontal and two verticals, with a short, powerful beam formed on the left. The palette lends the whole reticence. The colour white determines the two large surfaces above the horizontal, light grey appears in the rectangle at the lower corner of the picture, yellow fills the smaller triangle on the right and dark blue accentuates the corner on the opposite side. According to Max Bill, who also experimented with the form of the square turned on its axis, these formats possess special significance because they lay emphasis on something new and look like ‘eruptions’ from the horizontal-vertical predominating in Mondrian.2 Turning the square by forty-five degrees breaks through, as it were, the stringent outer boundary while the rhythm and handling of line within remain unchanged. Fine art was a source of inspiration for Palucca from her early years. She was equally interested in classic works of art and contemporary art movements. Through her friend Ise Bienert, an art student at the Weimar Bauhaus, Palucca gained access to Bauhaus circles with which she would also later maintain close and productive ties. In 1924, when she was twenty-two, the dancer married Ise’s brother, the Dresden businessman Friedrich Bienert, who was a widely influential art collector and patron of the arts. Like his mother, Ida Bienert, who collected art and whose home was a regular meeting place for intellectuals, writers and artists such as Wassily Kandinsky and Paul Klee, Friedrich Bienert was a committed promoter of avant-garde movements. In circles like these Mondrian’s works were highly acclaimed at a time when his art was still little known in Germany.3 The theoretical writings on art that Mondrian published in the Bauhaus books in 1925 as Die Neue Gestaltung were the object of intense debate, notably fuelled by Will Grohmann, an art historian who was a close friend of Palucca’s. However, in retrospect Palucca could
058 Piet Mondrian Tableau No. I, 1925. Öl auf Leinwand. Kunsthaus Zürich, Vereinigung Zürcher Kunstfreunde. Ehemals im Besitz von Gret Palucca Piet Mondrian Tableau No. I, 1925. Oil on canvas. Kunsthaus Zürich, Vereinigung Zürcher Kunstfreunde. Once owned by Gret Palucca
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durch den Austausch mit Herwarth Walden und die Orientierung am Programm der Berliner Sturm-Galerie richtete sie ihr Interesse vor allem auf das geistig-visionäre Element in der Kunst. Programmatisch prägend für das Profil ihrer Kunstsammlung war zweifelsohne 1916 der Ankauf von Kandinskys großformatigem Ölbild Träumerische Improvisation (1913, heute Bayerische Staatsgemäldesammlungen, Neue Pinakothek). Die Präsenz des Gemäldes in der Eingangshalle der Bienert’schen Villa, wo die Hausherrin ihre Gäste zu empfangen pflegte, kann nicht hoch genug gewertet werden. Sie bekundete damit eindrücklich ihre Entschlossenheit, sich von tradierten ästhetischen Vorstellungen zu lösen und sich den neuen Dimensionen künstlerischen Gestaltens zu öffnen. Ida Bienert hatte 1888 als Tochter des schlesischen Textilindustriellen Suckert den Dresdner Mühlenbesitzer Erwin Bienert, einen der wohlhabendsten Männer Sachsens, geheiratet. Nach der Geburt ihres fünften und letzten Kindes 1895 widmete sie sich verstärkt ihren künstlerischen Interessen. Im Haus der Familie hielt sie eine Art offenen Salon ab, in welchem Künstler und Kulturschaffende, Schriftsteller und Wissenschaftler verkehrten. In den 1920er Jahren waren auch Walter Gropius und die Bauhausmeister Kandinsky, Klee und Moholy-Nagy, Lissitzky sowie Schwitters zu Gast. Ida Bienert konzentrierte sich beim Ausbau ihrer Sammlung weniger auf bestimmte Stilrichtungen, vielmehr begeisterte sie sich für eine junge Künstlergeneration, die mit neuen Darstellungsformen auf die Veränderungen der Zeit reagierte.
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Ihre Leidenschaft entzündete sich an abstrakten und konstruktivistischen Werken und an daraus erwachsenden Fragen zur modernen Architektur und zur Gestaltung des Lebensumfeldes. Will Grohmann erkennt bei ihr ein »aktuelles und schöpferisches zeitbewußtsein, das sich parallel der neueren kunst entwickelt hat, […] ein geistiges bedürfnis, der wunsch vielleicht nach erhöhung des lebensgefühls […]«.6 Zwischen 1920 und 1932 kaufte die Sammlerin etwa hundert Werke, unter anderem 57 von Klee,7 14 von Kandinsky, vier von Moholy-Nagy, vier von Lissitzky, sechs von Schlemmer, drei von Schwitters und eines von Malewitsch, ihr Sohn Fritz vier Werke von Mondrian, eines von Lissitzky, drei von Klee und sechs von Kandinsky. Mit diesen umfangreichen Erwerbungen konstruktivistischer Bilder nahm Ida Bienert eine solitäre Stellung in Dresden ein und zählte zu einer kleinen Gruppe frühester Förderer dieser Kunstrichtung in Deutschland, aber auch im internationalen Kontext. Das Programm des Bauhauses, die Trennung von freier und angewandter Kunst aufzuheben und Kunst und Technik als neue Einheit zu verstehen, entsprach ihren Überzeugungen. Schon mit der Orientierung an dem Berliner Sturm-Kreis war sie in Berührung mit den vielfältigen künstlerischen Positionen der Neuen Kunst gekommen. Bildende Kunst, Architektur, Musik, Dichtkunst und Bühne sollten das ganzheitliche Kunstverständnis propagieren. Das visionäre Konzept, welches die einzelnen künstlerischen Bereiche in einem sich befruchtenden Zusammenhang begriff, hatte Ida Bienert in hohem Maße beeinflusst. Nachdem Waldens Sturm zu Beginn der 1920er Jahren seine Vorreiter-Rolle bei der Propagierung der modernen Kunst verlor, wandte sich die Sammlerin verstärkt dem Bauhaus zu.8 Die Wertschätzung der Kunstschule beweist auch, dass ihre Tochter Ise seit 1922 am Bauhaus studierte. Allerdings sind erste Besuche Ida Bienerts an der Kunstschule erst ab 1925 belegt. So nahm sie am 28. März 1925 am Abschlussball des Bauhauses Weimar teil, wovon die Frau Paul Klees berichtet 9 und besuchte im Mai 1926 Klee in Dessau. Sophie Küppers und Ida Bienert Ida Bienerts Erwerbungen von Werken El Lissitzkys und Piet Mondrians sind auf das Engste mit dem Namen der Hannoveraner Kunstwissenschaftlerin Sophie Küppers verbunden, die Ausstellungen mit Arbeiten beider Künstler organisierte. Nach dem Tod ihres Mannes Erich Küppers hatte sie 1924 ihre Tätigkeit nach Dresden verlagert.10 Ida Bienert gewährte Unterstützung in Form großzügiger Gastfreundschaft. 1925 stellte Küppers eine bemerkenswerte Ausstellungsreihe mit Werken Lissitzkys in der Galerie Kühl und Kühn zusammen; es folgten im Anschluss Piet Mondrian und Man Ray sowie im Januar 1926 Fernand Legér, Georges Braque, Albert Gleizes, Robert Delaunay und Francis Picabia. Während dieser Zeit gewann sie die Sammlerin für das Vorhaben Lissitzkys, einen Ausstellungsraum innerhalb der Internationalen Kunstausstellung, die von Juni bis September 1926 in Dresden stattfinden sollte, zu entwerfen.11 Erfolgreich bemühte sich Ida Bienert um die Vermittlung des Auftrags bei
069 El Lissitzky Runder Proun, 1926. Ehemals Sammlung Ida Bienert. Fotografie. Sammlung Freese El Lissitzky Runder Proun, 1926. Once owned by Ida Bienert. Photograph. Freese Collection
070 Privatraum Ida Bienerts in ihrem Haus, Würzburger Straße 46, Dresden mit Kunstwerken ihrer Sammlung: v. l. n. r. Paul Klee Rosa, 1920, Alexander Archipenko Weiblicher Akt, 1912, Paul Klee Das Licht und Etliches, 1931, Alexander Archipenko Torso, 1912, und Paul Klee Kamel in Rhythmischer Baumlandschaft, 1920. Fotografie. Bienert-Villa Dresden, Würzburger Straße 46 Ida Bienert’s private room on the upper floor with works of art. From her collection: From left to right, Paul Klee, Rosa (1920), Alexander Archipenko, Weiblicher Akt [Female Nude] (1912), Paul Klee, Das Licht und Etliches [The Light and So Much Else] (1931), Alexander Archipenko, Torso (1912) and Paul Klee, Kamel in Rhythmischer Baumlandschaft [Camel in a Rhythmical Tree Landscape] (1920). Photograph.
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dem Kurator Hans Posse und dem Architekten Heinrich Tessenow.12 Nachdem sie bereits 1924 ein erstes Werk des Künstlers gekauft hatte, erwarb sie 1926 mit einem weiteren Proun-Bild jenes, welches im ausgeführten »Raum für abstrakte Kunst« in der Dresdner Ausstellung zu sehen war. Gleichzeitig setzte sich Ida Bienert seit 1924 mit Werken Piet Mondrians auseinander. Ende 1925 beauftragte sie ihn nach zwei Bildankäufen in der ihr eigenen Begeisterungsfähigkeit mit einem Raumentwurf für das Damenzimmer ihrer Villa. Dieser Auftrag fand weithin Beachtung. Handelte es sich schließlich nach der Ausgestaltung seines Pariser Ateliers um die einzige Entwurfsarbeit für einen anderen privaten Zweck. Sie erforderte, seine zu Beginn der 1920er Jahre unter dem Begriff Neoplastizismus zusammengefassten philosophischen und formalästhetischen Überlegungen konkret auf Raum und Architektur anzuwenden.13 Obgleich die Entwürfe, die eine dreidimensionale Erfahrung von Farbe im Raum im Zustand absoluter Ruhe und Harmonie versprachen, gefielen, gelangten sie nicht zur Ausführung.14 Über die Gründe wurde verschiedentlich gemutmaßt. Nahe liegt, dass es zu großen Tei-
len an einer ungenügenden Finanzierung des anspruchsvollen Unternehmens lag. Ida Bienert konnte nicht frei über größere Summen verfügen und war auf ihren Mann angewiesen, der zwar großzügig war, aber »dem Geschmack seiner Frau nicht mehr recht folgte«.15 Die unterschiedlichen Ideen der Ehepartner wurden hinsichtlich der Ausstattung ihrer Wohnräume offensichtlich. Wie wichtig Ida Bienert ihr Wohnumfeld war, zeigt sich in der Hartnäckigkeit, mit der sie Umbauten im Treppenhaus, dem Foyer und dem Damenzimmer im Bauhausstil durchsetzte. Unterstützung dafür holte sie sich bei befreundeten Künstlern. Involviert waren sowohl der Bauhausmeister Hinnerk Scheper als auch Kurt Schwitters, der im Januar 1927 berichtet: »In Dresden habe ich Frau Bienert einige Räume gestalten helfen und ihr zwei Merzzeichnungen verkauft.« 16 Investitionen im großen Stil ließen sich aber offenbar nicht in Einklang bringen mit den Wünschen Erwin Bienerts. An den Bau einer neuen Villa im Bauhausstil konnte kaum gedacht werden. Doch in welchem Maße lässt sich eine Gründerzeit-Villa nach Kriterien des Bauhauses umgestalten? Die engen Grenzen hat Ida Bienert
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114 Lyonel Feininger Gelmeroda, Blatt 1 der Meistermappe des Staatlichen Bauhauses, 1923. Holzschnitt. Kupferstich-Kabinett, Staatliche Kunstsammlungen Dresden Lyonel Feininger Gelmeroda, print 1 from the portfolio Meistermappe des Staatlichen Bauhauses, 1923. Wood cut. Kupferstich-Kabinett, Staatliche Kunstsammlungen Dresden
115 Lyonel Feininger Einfahrende Fischer, 1925. Feder, aquarelliert. Kupferstich-Kabinett, Staatliche Kunstsammlungen Dresden Lyonel Feininger Einfahrende Fischer, 1925. Ink pen as watercolour. Kupferstich-Kabinett, Staatliche Kunstsammlungen Dresden
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• Das Dresdner
Kupferstich-Kabinett
PETRA KUHLMANN-HODICK/BJÖRN EGGING Von den rund 450 Werken im Bestand des Dresdner Kupferstich-Kabinetts, die sich mit den Namen der am Bauhaus wirkenden Künstler und Künstlerinnen verbinden lassen, ist nur ein geringer Teil vor dem Zweiten Weltkrieg erworben worden. Bedeutsam sind in diesem Kontext vor allem die Arbeiten von Lyonel Feininger, ein Mappenwerk und verschiedene Publikationen von Wassily Kandinsky sowie eine Lithographie von Paul Klee. Nimmt man zunächst diese nicht sehr umfangreichen Bestände, die zudem durch die Beschlagnahmeaktion der Nationalsozialisten 1937 maßgeblich geschmälert wurden, in den Blick, so repräsentieren diese naturgemäß teils auch vor der Bauhaus-Zeit der Künstler liegende Schaffensphasen. Von den vier heute vorhandenen Lithographien von Max Burchartz wurde eine 1930 erworben, während eine weitere, die bereits 1920 in die Sammlung gekommen war, beschlagnahmt wurde. Die 13 Arbeiten von Gerhard Marcks, deren Erwerbung 1928 / 29 durch eine anonyme Stiftung ermöglicht wurde, repräsentieren das zeichnerische Werk des Plastikers bis zu dieser Zeit. Aus diesem Konvolut wurden nur die Zeichnung Zwei Frauenakte und zudem die 1931 erworbene Radierung Familie beschlagnahmt. Heute besitzt das Kabinett mit über hundert Positionen einen relativ umfangreichen Bestand.
Von Lyonel Feininger gelangten bis 1933 zwei Zeichnungen und zwölf druckgrafische Werke in die Sammlung, eine Auswahl, in der sich Feiningers Entwicklung bis zu seinem Eintritt in das Bauhaus überzeugend repräsentieren ließ. Den Auftakt der Sammlung bildeten drei Holzschnitte (alle drei wurden beschlagnahmt), die 1925 von der Galerie Neue Kunst Fides erworben worden waren. Die frühe Feininger-Sammlung umfasste ferner zwei aquarellierte Federzeichnungen, die 1926 aus dem Graphischen Kabinett Erfurth erworbenen Einfahrenden Fischer von 1925 →Abb. 115 und das aus der Galerie Neue Kunst Fides bezogene Blatt Treptow a. d. Rega VII von 1926, eine Lithografie, sechs Radierungen und zwei weitere Holzschnitte. Beschlagnahmt wurden zwei der Radierungen und sämtliche Holzschnitte. Nach dem Krieg kamen dann erneut 17 Positionen in die Sammlung, darunter ein umfangreiches Konvolut mit 51 Zeichnungen und 20 graphischen Blättern, dessen Erschließung gerade erst in Angriff genommen wird. Auch Wassily Kandinskys Mappenwerk Kleine Welten, das 1930 in der Kunsthandlung von Heinrich Kühl für das Kabinett angekauft wurde, fiel der Beschlagnahmung anheim. Die programmatisch angelegte Werkfolge datiert von 1922, dem Jahr der Berufung des Künstlers an das Bauhaus nach Weimar. Kandinsky stellte hier in vier Lithographien, vier Holzschnitten und vier Radierungen abstrakte Kompositionen zusammen, in denen er sich mit den inhaltlichen und gestalterischen Optionen und Ausdrucksdimensionen der unterschiedlichen Graphischen Techniken beschäftigte. Nur
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wird, so kann davon ausgegangen werden, dass es sich um Zitate Wagenfelds handelt, wie inhaltliche Parallelen zu seinen zeitgleichen Texten zeigen.4 Darunter findet sich auch die an der NS-Diktion orientierte, bemerkenswert doppelbödige Aussage »Es gibt eine Ausstellung entarteter Gebrauchsgegenstände, die geht über das ganze Reich: die Schaufenster in den Städten sind voll davon – und die hierfür Verantwortlichen sagen, daß diese Handelsware dem ›Geschmack des Publikums‹ entspreche, mithin dem kulturellen Niveau des deutschen Volkes!«5 Ergänzend zu diesen Texten geben 20 im Mittelteil der Broschüre platzierte Fotografien einen Überblick über wichtige Werke Wagenfelds, wobei hier die Auswahl auf Entwürfe der 1930er Jahre konzentriert ist. Die entsprechenden Fotos fertigte das bekannte Atelier von Louis Held in Weimar in einer an der Objektfotografie der Neuen Sachlichkeit orientierten Bildsprache an. Aus der Ausstellung gelangten keine Objekte in den Sammlungsbestand des Görlitzer Museums. Nachdem der aufgrund seiner NSDAP-Mitgliedschaft 1945 zunächst entlassene Asche
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1948 wieder zum Direktor der Städtischen Kunstsammlungen ernannt worden war, holte er dies jedoch nach. Im Zuge einer Profilierungskonzeption der sächsischen Museumslandschaft war den Städtischen Kunstsammlungen zwischenzeitlich das Thema Glas als Sammlungsschwerpunkt zugeordnet worden. Asche erwarb daher in den Jahren 1948 bis 1951 rund 140 Objekte, die Wagenfeld für die VLG entworfen hatte, sowie zusätzlich fünf Ideenskizzen. →Abb. 127 Dadurch verfügt das Kulturhistorische Museum Görlitz heute über einen umfangreichen Sammlungsbestand zu Wilhelm Wagenfeld.6 Einige dieser Gläser sowie die Ideenskizzen wurden von 1951 bis 2009 in einem eigenen Ausstellungsbereich des Museums im Barockhaus Neißstraße 30 zusammen mit Arbeiten des ehemals bei Görlitz ansässigen Gestalters Richard Süßmuth dauerhaft präsentiert. Gegenwärtig zeigt das Museum mehrere Teile des Kubus-Geschirrs dauerhaft in der »Galerie der Moderne«, die der Kunst des 20. und frühen 21. Jahrhunderts in Görlitz und der östlichen Oberlausitz gewidmet ist.
126 Wagenfeld-Ausstellung in den Städtischen Kunstsammlungen Görlitz, 1940. Fotografie. Städtische Kunstsammlungen Görlitz Wilhelm Wagenfeld exhibition at the Städtische Kunstsammlungen Görlitz, 1940. Photograph. Städtische Kunstsammlungen Görlitz
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• Wilhelm Wagenfeld — An Industrial Artist
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A Special Exhibition at the Städtische Kunstsammlungen Görlitz, 1940 Like so many German museums, the Städtische Kunstsammlungen Görlitz [Görlitz Municipal Art Collections] were closed to the public on the outbreak of the Second World War. In March 1940 the museum changed to a policy of opening again on special occasions but early in 1941 closed its doors permanently.1 During the months of seeming normality in 1940, Sigfried Asche, director of the Städtische Kunstsammlungen, mounted an ambitious special retrospective of the work of the designer Wilhelm Wagenfeld. It took up where early Wagenfeld exhibitions with a focus on contemporary works from the fine and applied arts from Upper Lusatia and Silesia at which objects by Wagenfeld had been shown had left off. The Görlitz museum had begun to focus on Wagenfeld – who had studied at the Bauhaus – ever since he became art director at Vereinigte Lausitzer Glaswerke (VLG) in Weißwasser, some 50 kilometres north of Görlitz in 1935.2 The special Wagenfeld retrospective was held in a groundfloor hall in what was then the main building of the museum, known as the Oberlausitzer Gedenkhalle [Upper Lusatia Memorial Hall] (now the City of Zgorzelec Dom kultury). Historic photographs →Fig. 126 and a twenty-four-page brochure →Fig. 124 + 125 convey some idea of the Wagenfeld show.3 Presented in glass display cases and also free-standing on tables, the pieces provide an overview of Wagenfeld’s work from his days as a student at the Weimar Bauhaus through his collaboration with Glaswerk Schott in Jena and on up to his designs for the VLG in Weißwasser. The lamps, now famous as the Wagenfeld Bauhaus lamps, and the fireproof cookware Wagenfeld designed were also on display, as were the then latest VLG products, including the Kubus range in tableware and vases and bowls from the Rauten line in glass. The show also presented some Wagenfeld designs for Fürstenberg Porcelain and the Württembergische Metallwaren Fabrik. Artist’s impressions for the pieces exhibited as well as photographs of more objects designed by Wagenfeld rounded off the show. The text of the exhibition brochure included an introduction by Sigfried Asche, who had been outlining decisive innovations in the applied arts field since the late nineteenth century and had showed where Wagenfeld’s place was within that development. The introduction was followed by a brief Wagenfeld CV, for which the artist is certain to have assembled the most important facts himself. His Bauhaus studies are subsumed under the concise heading ‘Hernach [Afterwards] Bauhaus Weimar’. The second part of the brochure provides comments on Wagenfeld’s principles of design collated in aphoristic collage form. Even though no author’s name is given for these comments, it is safe to assume that they are quotes from Wagenfeld himself, as parallels in content with contemporary texts of his show.4 Among the comments is KAI WENZEL
Anmerkungen 1
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Jasper von Richthofen, Kriegsverlust und Beutekunst: Der schwierige Umgang mit kriegsverlagerten Kulturgütern am Beispiel des Kulturhistorischen Museums Görlitz. In: Görlitzer Magazin, 23/2010, S. 72. Vgl. Walter Scheiffele, Wilhelm Wagenfeld und die moderne Glasindustrie. Stuttgart 1994. Wilhelm Wagenfeld. Ein Künstler in der Industrie. Städtische Kunstsammlungen Görlitz. Görlitz 1940. Hier das Exemplar: Oberlausitzische Bibliothek der Wissenschaften Görlitz, Sig. L IX 834. Hergestellt wurde die Broschüre von der Druckerei B. G. Teubner Dresden/Leipzig. Da die Ausstellung nicht nur in Görlitz, sondern u. a. auch im
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Stadtmuseum Bautzen gezeigt wurde, entstand der Katalog noch in einer alternativen Ausgabe, bei der der Schriftzug »Städtische Kunstsammlungen Görlitz. Gedenkhalle. Kaisertrutz« auf dem Titel entfiel. Wilhelm Wagenfeld, Künstlerische Formprobleme der Industrie. In: Schlesische Stimme, April 1940; ders., Drei Jahre Aufbau und Entwicklung einer Entwurfswerkstatt in der Glasindustrie. In: Glastechnische Berichte, 17/1939. Wilhelm Wagenfeld 1940, wie Anm. 3, S. 23. Der Bestand beinhaltet auch Objekte, die in Kooperation mit Gestaltern wie Walter Dexel für die VLG entstanden.
Görlitz
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144 Vitrine mit Metallgerät des Bauhauses Dessau in der Ausstellung Europäisches Kunstgewerbe 1927 im Grassimuseum Leipzig. Fotografie. GRASSI Museum für Angewandte Kunst Leipzig Showcase with metal objects of the Bauhaus Dessau at the exhibition European Arts and Crafts 1927 at the Grassimuseum Leipzig. Photograph. Grassi Museum of Applied Arts Leipzig
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Porzellan-Manufaktur Berlin an. Am stärksten waren jedoch jene Bauhäusler präsent, die inzwischen an die Kunstgewerbeschule Burg Giebichenstein gewechselt hatten: ab 1925 Marguerite Friedlaender, Gerhard Marcks, Benita Koch-Otte, später dann Erich Dieckmann, Wolfgang Tümpel, Rudolf Wildenhain, Hans Wittwer und andere.24 Eines der wohl spektakulärsten Ereignisse, neben den turnusmäßig stattfindenden Messen, war die von 6. März bis 10. September 1927 veranstaltete Ausstellung Europäisches Kunstgewerbe. Sie fand in der Presse national wie international große Beachtung. Das Bauhaus zeigte neben Metallarbeiten handgewebte Stoffe und somit nur einen kleinen Teil seiner Produktion. Bildlich überliefert ist nur eine Vitrine mit Metallgeschirren, →Abb. 144 überwiegend von Marianne Brandt →Abb. 145, ergänzt durch Arbeiten von Wilhelm Wagenfeld, Otto Rittweger, Hans Przyrembel →Abb. 284 und Wolfgang Tümpel. Die Leipziger Volkszeitung wünschte sich, »daß in der deutschen Abteilung das Bauhaus in Dessau nachdrücklicher mit seinen Leistungen gezeigt« würde und »wie dort vorbildlich und konsequent, ohne jede Konzession gestaltet wird«.25 Die neuartigen Produkte des Bauhauses stießen mit ihrem strengen Design zunächst nur bei einem kleinen Kreis auf Interesse. An der Folgeausstellung im März 1928 war das Bauhaus als Institution nicht mehr beteiligt. Auch an der 1928 organisierten Schaufensterschau, die neue Wege der Reklame aufzeigte, war nur Josef Albers als Vertreter des Bauhauses mit einer Gestaltung für »Drei-S-Werk«,
Sprechmaschinennadelfabrik Schwabach, vertreten.26 →Abb. 199 Doch anlässlich der Neueröffnung des Grassimuseums 1929 zeigten Bauhaus und Burg Giebichenstein in parallelen Sonderausstellungen ihre Leistungsstärke. Während die hallesche Schule eine Präsentation ihres gesamten Spektrums offerierte, lenkte Hannes Meyer den Fokus auf die Volkswohnung aus dem Bauhaus. →Abb. 149–151
145 Marianne Brandt Ovale Konfektdose Dessau, um 1926/27 Silber, getrieben, gelötet. GRASSI Museum für Angewandte Kunst Leipzig, erworben auf der Grassimesse 1930 Marianne Brandt Oval candy jar. Dessau, c.1926/27 Silver, embossed and soldered. GRASSI Museum of Applied Arts Leipzig
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• The Bauhaus at the Grassi Fairs
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Die Entwurfs- und Modellmesse, deren Leitung Graul nach massiven Unstimmigkeiten mit dem Messeamt im Herbst 1921 niedergelegt hatte, bestand nur noch bis Frühjahr 1926 fort. Die Kunstgewerbeschulen waren bereits seit der Frühjahrsmesse 1924 nicht mehr vertreten. 2 Dem Ortsausschuss gehörten neben Walter Gropius der Direktor der Baugewerkenschule Paul Klopfer und der Direktor der Staatlichen Kunstsammlungen Wilhelm Köhler an. 3 Von der Staatlichen Kunstakademie Düsseldorf war zumindest schon die Textilklasse vertreten. Im Jahr darauf gehörten neben Halle und Düsseldorf auch die Kunstgewerbeschulen Magdeburg und Nürnberg zu den Ausstellern. 4 Landesarchiv Thüringen – Hauptstaatsarchiv Weimar (LATh-HStAW), Staatliches Bauhaus Weimar, Nr. 61, Bl. 56. 5 Olaf Thormann et al., 125 Jahre Museum für Kunsthandwerk Leipzig/Grassimuseum Teil 2/1. Die Museumschronik: Von den Anfängen bis zum Jahr 1929. Leipzig 2003, S. 139. 6 Ebd., S. 149; im Brief vom 24. 1. 1924 schreibt Gropius an Graul vom Vortrag am Tag zuvor (LATh-HStAW, Staatliches Bauhaus Weimar, Nr. 61, Bl. 1). 7 LATh-HStAW, wie Anm. 6. 8 Ebd., Bl. 4. 9 Ebd., Nr. 59, Bl. 5, Festlegungen vom 26. 2. 1924. 10 Ebd., Bl. 6. 11 Ebd., Nr. 61, Bl. 14. 12 Volker Wahl (Hg.), Das Staatliche Bauhaus in Weimar: Dokumente zur Geschichte des Instituts 1919 bis 1926. Weimar 2009, S. 231. Weiterführende
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Informationen zum Modehaus Gerson und der Firma Wilhelm Vogel s. den Beitrag von Evelyn Schweynoch, S. 59–60. Zit. n. Wahl, wie Anm. 12, S. 702. LATh-HStAW, Staatliches Bauhaus Weimar, Nr. 59, Bl. 7–9, Niederschrift Walter Gropius, 8. 3. 1924. Ebd., Nr. 61. Ebd., Nr. 59, Bl. 24. Ebd., Nr. 59, Bl. 29–32, Objektund Preislisten. Allein 15 verschiedene Schachbretter, aber nur vier Stoffe waren im Angebot. Zit. n. Wahl, wie Anm. 12, S. 231, Bericht von Direktor und Syndikus Lange über die wirtschaftlichen Aussichten des Staatlichen Bauhauses vom 19. 10. 1924. LATh−HStAW, Staatliches Bauhaus Weimar, Nr. 59, Bl. 27 u. 26, Notiz L. Moholy-Nagy, 4. 9. 1924. Zit. n. Thormann, wie Anm. 5, S. 149. Ebd., S. 165. Ebd., S. 167 (Schreiben von Graul an den Rat der Stadt, 17. 7. 1926) und S. 168. Die Zeitschrift Bauhaus meldet Anfang Juli 1928 in zwei kurzen Notizen unter der Überschrift Industrie und Bauhaus die Zusammenarbeit mit der Körting & Mathiesen A. G. Leipzig (Kandem) und mit Schwintzer & Gräff Berlin. Siehe hierzu Angela Dolgner: Die Kunstschule Burg Giebichenstein und das Bauhaus in Weimar, Dessau und Berlin – ein Vergleich. In: Jahrbuch für hallische Stadtgeschichte 2009. Halle (Saale). Leipziger Volkszeitung, 10. 3. 1927. Thormann et al., wie Anm. 5, S. 194/95.
ANGELA DOLGNER On 1 April 1919 Walter Gropius opened the State Bauhaus in Weimar. Almost at the same time, the art historian and director of the Leipzig Kunstgewerbemusem, Richard Graul, suggested establishing a Design and Trade Fair as a ‘place of exchange for artists and manufacturers’. It was held by the Leipzig trade fair office under Graul’s directorship for the first time from 27 April to May 1919 and is considered the forerunner of the Grassi Fairs organised by the Grassimuseum itself, independent of the trade fair office, from the autumn of 1920 on.1 With such a trade show, Graul hoped to counterbalance the commercial mass-produced goods offered at other fairs and to make a mark by way of high-quality standards. After the museum leadership introduced a strict vetting system, the Grassi Fairs soon became an internationally recognised forum for the applied art elite and for promoting the collaboration between artists and industry. While the first design and trade fair in the spring of 1919 took place without a vetting team, Graul recognised very quickly that quality control and the authority of a jury were absolute necessities. For the Autumn Fair an admissions committee had already been appointed, and the establishment of local boards in all major cities was suggested; the local committee in Weimar had a business office at the State Bauhaus.2 The central admission committee consisting of top-level artists from Germany and Austria as well as industrialists and dealers made the final decisions on who was accepted. Among the jurors were Peter Behrens and the directors of the applied art schools, Bruno Paul and Richard Riemerschmid; two Bauhaus members, Walter Gropius and Gerhard Marcks, were also involved from the very beginning. Museum Director Graul took over the chairmanship.
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The Weimar Bauhaus The Handwerker- und Kunstgewerbeschule Burg Giebichenstein in Halle (Saale), which many Bauhaus members transferred to after 1925, was the first art institution to have exhibited together as a closed group at the Design and Trade Fair, back in the autumn of 1919.3 For the Spring Fair the following year, at least three women from Weimar were represented, including Gunta Stölzl. In subsequent years the Bauhaus exercised restraint. The Staatliche Porzellan-Manufaktur Meissen [Meissen State Porcelain Manufactory] presented works by Gerhard Marcks, such as his Leuchterreiter [Horseman Candlestick], designed in 1919 and acquired by the Kunstgewerbemuseum in 1921. For the Spring Fair of 1923, Gropius initially tried to have a rug by Ida Kerkovius displayed. However, the anticipated sale to raise the necessary funds for the planned comprehensive Bauhaus exhibition in Weimar failed to materialise.4 From 15 August to 30 September 1923, the State Bauhaus made its public debut with products and designs not in Leipzig but in its own space in Weimar. On 1 September 1923 Richard Graul was a guest of the Bauhaus, not least to promote his
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• The Josef Albers Windows at the Grassimuseum
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zutage, Bildquellen werden fotogrammetrisch ausgewertet. 2010 erklärt die Ostdeutsche Sparkassenstiftung gegenüber dem GRASSI Museum für Angewandte Kunst ihre Förderbereitschaft für eine Rekonstruktion, wobei die Machbarkeit und der hohe ideelle Wert für das gesamte Museum inzwischen außer Frage stehen. Mit Prof. Christine Triebsch von der Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle und der Glasmalerei Peters GmbH Paderborn werden versierte Partner gewonnen, die auch die letzten Rätsel der Fenster lösen. Nun können in der Glashütte Lamberts, die das traditionelle Verfahren der Herstellung von mundgeblasenem Überfangglas noch beherrscht, die Glastafeln hergestellt werden. Es handelt sich um klares Echtantikglas mit Doppel-Überfang: weiß-opak und gelblich-grün sowie um gelblich-grünes Echtantikglas mit weiß-opakem, aufgerissenem Einfach-Überfang. Weitergehende farbliche Abstufungen ergeben sich durch eine Wahl der Tafelausschnitte, die unterschiedlich intensive Tönung aufweisen, und deren Anordnung. Schwarzlotauftrag sowohl auf Außen- wie Innenseiten akzentuiert die Flächen. Insgesamt 4.419 polierte Keil- und Flächenglasschliffe bündeln das Licht und verlebendigen die sich im Verlauf des Tages ohnehin unterschiedlich wahrnehmbar darbietenden Fenster. Die stetige Veränderung der kompositionell klar strukturierten Fenster ist einzigartig. Der »flirrende, energiegeladene Charakter« der von Albers entworfenen Fenster habe den Gebäuden »die sie zierten, einen lebendigen Ausdruck des Neuen gegeben«, so nochmals Nicholas Fox Weber – ein Attribut, das sich im GRASSI Museum auch heute prüfen lässt. Anmerkung: Dieser Beitrag basiert auf einem in den Leipziger Blättern, Heft 49/2006, S. 4–6, veröffentlichten Artikel des Autors.
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OLAF THORMANN ‘The stairwell windows bring a contemporary feel and fulfil their envisioned function of brightening the interior walls that are painted plainly in all white by subtle atmospheric gradations of colour.’ A sentence that both mediates and creates distance at the same time. It can be found in a description of the building written by the architects Zweck & Voigt for the inauguration of the Grassimuseum in 1929. Zweck & Voigt had illuminated the double-flight stairwell connecting four floors by eighteen narrow windows – some of them 8 metres high – that were arranged in three groups of six. The glazing, with a total of 100 square metres, however, was not part of their assignment. The director of urban development, Hubert Ritter, had taken on the supervision of the construction and in 1926 contacted the renowned Berlin company Puhl & Wagner, G. Heinersdorff, which specialised in mosaics and stained-glass painting, ‘for reasons of artistic design and in order to create the right kind of lighting’. In 1927 the managing director, Gottfried Heinersdorff, reminded him in a letter why: ‘because you knew that you could not get this job done properly in Leipzig’. Ritter needed to be aware that the centrepiece of the construction would be appraised in the context of the ambitious exhibition planned by the Kunstgewerbemuseum (today GRASSI Museum für Angewandte Kunst): Europäisches Kunstgewerbe 1927 [1927 European Arts and Crafts]. What was important to him, as the letter by Heinersdorff mentioned earlier elucidates, was the firm’s reputation, not the specific design: ‘You had explicitly left the choice of finding the most suitable artist to work with to us, and after many different trials and errors […] we finally decided to entrust Mr. Albers of Dessau with this task, who was completely unknown to you until this point.’ The painter, designer and art educator Josef Albers, who was made Master after the move to Dessau in 1925, had dedicated himself to glass at the Weimar Bauhaus (after having already been introduced to the craft of stained glass by his father) and established a special workshop there. He had worked with stained glass designs since 1927; glass panel painting followed later. Although also active in many other fields, one of his most innovative achievements lies in the art of planar glass design. As of 1925 he worked for about four years in the so-called thermometer style: subtly balanced, calm, precise geometrical arrangements, dominated in most cases by stripes stacked on top of each other. Albers restricted colour, form and media, and with this minimum of means, he achieved a maximum of unusual and characteristic effects. His glass paintings are ‘luminous and mysterious, like cut diamonds, and stand out from the mundane in material and quality’ (Nicholas Fox Weber). Albers had been in contact with the company Puhl & Wagner, G. Heinersdorff since 1921. The communication intensified and Heinersdorff’s initial reserved-sceptical attitude toward Albers gave way to approval. Apart from smaller glass
161 Anni Albers Farbsiebdruck, 1983. Nach einem Entwurf für einen Bodenteppich, 1925. Sammlung Freese Anni Albers Coloured screen print, 1983. After a design for a floor carpet, 1925. Freese Collection
162 Probefeld für die Rekonstruktion der Fenster im Treppenhaus des Grassimuseums Leipzig. Mundgeblasenes Überfangglas, veredelt u. a. durch Schliffe und Schwarzlotmalflächen. GRASSI Museum für Angewandte Kunst Leipzig Test field for the reconstruction of the windows in the staircase of the Grassimuseum Leipzig. Mouth-blown flash glass, refined by cuttings and areas painted with black stain, among others. GRASSI Museum of Applied Arts Leipzig
163 Anni Albers Farbsiebdruck, 1983. Nach dem Entwurf für einen Wandbehang, 1926. Sammlung Freese Anni Albers Coloured screen print, 1983. After a design for a wall hanging, 1926. Freese Collection
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paintings that the Berlin company manufactured according to Albers’s designs, the collaboration culminated in two construction-bound projects for the Ullstein Publishing building in Berlin Tempelhof and for the Leipzig Grassimuseum. The clinker-clad printing house of Ullstein Publishing that defines the cityscape was built between 1925 and 1927 after designs by Eugen Schmohl (1880–1926) and presented itself as a cathedral of industry inspired by an Expressionist enthusiasm for the Gothic. In two entrance halls twenty-three windows, a total of 170 square metres, needed to be designed; Albers’s designs were ready in November 1925. Although Anneliese Fleischmann, whom he married in 1925, was a granddaughter of the publishing company’s founder, Leopold Ullstein (1826– 1899), the assignment was apparently not handled via family connections but through Heinersdorff directly. The Ullstein windows were installed by the end of 1927. The projects in Berlin and Leipzig clearly overlapped. Albers’s designs for the Grassi windows were submitted by October 1926, barely a year after the Ullstein designs. That same month the company in Berlin started the work. While awarding contracts was a matter for the building authorities,
aesthetic judgements fell within the purview of the Kunstgewerbemuseum. On 24 November its director, Richard Graul, together with Hubert Ritter, looked at the first samples. The following day Heinersdorff wrote to Graul: ‘This project’s advantage […] lies in its (pardon the pretentious wording) classic simplicity that will not prompt anyone to ask who the designer was; not even an artist who was not given a chance to let loose in this space could feel insulted.’ Then everything happened quickly. Ritter informed the committee in charge. Graul noted, after a conversation with Mayor Karl Rothe, on 29 November, that he [the latter] gave his consent. On 3 December Heinersdorff travelled to Leipzig with samples and designs, and on the same day, the structural engineering committee commissioned the Berlin company to execute the project at the cost of 12,600 Marks (of which 800 Marks Albers was to receive as remuneration). In early 1927 the artist made some additional minor changes to the design; the glass was then produced in Berlin and installed in the Grassimuseum in the early days of March. Albers and his colleagues utilised, as Nicholas Fox Weber put it, ‘the magic of the right angle to demonstrate the unique,
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• Neue Linien:
Grafik und Kommunikation
PATRICK RÖSSLER Der Paukenschlag kam aus Leipzig, sein Hall war über die Grenzen des Deutschen Reiches vernehmlich, aber seine Auswirkungen wurden in der öffentlichen Wahrnehmung dem Weimarer und Dessauer Bauhaus zugeschrieben: Der um 1925 einsetzende Wandel der Drucksachengestaltung hin zu einer »Neuen«, »Funktionalen« oder »Elementaren Typographie« kann als ein fundamentaler Umbruch (»iconic turn«) in unserer Medienwahrnehmung begriffen werden und stellt eine der wichtigsten Innovationen dar, die vom Bauhaus und seinem Umfeld ausgingen.1 Wesentlich befördert wurde die Verbreitung der modernen Auffassung im Layout von Büchern und Akzidenzen allerdings durch das im Oktober 1925 in Leipzig erschienene Sonderheft elementare typographie →Abb. 215, das der gerade 23-jährige Jan (Iwan) Tschichold für das einflussreiche Fachblatt Typographische Mitteilungen (die Zeitschrift des in Leipzig ansässigen Bildungsverbandes der deutschen Buchdrucker) zusammenstellte und das in einer Auflage von 20.000 Exemplaren alle relevanten Akteure des grafischen Gewerbes und des Druckereiwesens erreichte.2 In seinem Zehn-Punkte-Manifest3 proklamierte Tschichold vieles, was er unter anderem der Lektüre von László MoholyNagys Aufsatz Die neue Typographie im Katalog zur Weimarer Bauhaus-Ausstellung 1923 entnommen hatte.4 Deren prägender Eindruck auf den gebürtigen Leipziger, der seit 1919 an der Staatlichen Akademie für graphische Künste und Kunstgewerbe studierte und dort später auch in der Lehre tätig war, hat sein Weggefährte, der Künstler und Gebrauchsgrafiker Werner Doede, plastisch beschrieben. Beide waren »1923 nach Weimar zur unvergeßlichen ersten Ausstellung des Bauhauses gefahren, gepilgert, besser gesagt. […] Wir nahmen dies alles auch auf als eine Idee, die uns lebenslang mit dem Weimarer Erlebnis verbunden geblieben ist […] Die Zukunft erschien uns wieder lebenswert«.5 Oder wie es Friedrich Friedl später zusammenfasste: »Das entscheidende Erlebnis dieser Zeit war für ihn [Tschichold, d. Verf.] der Besuch der ersten Ausstellung von Arbeitsergebnissen des Bauhauses in Weimar. Obwohl es zunächst ein Schock war, erkannte er sofort die Qualität dieses fundamental Neuen, und er warf sich mit seinem ganzen Fachverstand in diesen Stil.«6 Das Grundprinzip dieses »Stils« beruht darauf, dass Typografie nur noch mit den allernotwendigsten Mitteln arbeiten sollte, um ihren Zweck in kürzester, einfachster und eindringlichster Form zu erreichen. Als Typen, so Tschicholds Diktum, scheiden alle nationalen Schriften (also auch die deutsche Fraktur) mangels allgemeiner Verständlichkeit zwingend aus. Zu bevorzugen ist die Groteskschrift als elementare Form in allen Variationen, Versalien dienen der Betonung. Der Mittelachsensatz ist als Gestaltungsprinzip überholt, die unbedruckte Fläche hingegen als Element mit Bildwirkung ebenso zu berücksichtigen wie die Fotografie als überzeu-
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gendes Abbildungsmittel. Ornamente sind wegzulassen, stattdessen verwendet man einfache Formen wie Linien, Quadrate, Kreise oder Dreiecke – aber auch nur dann, wenn sie sich zwingend in die Gesamtkonstruktion einfügen, die bevorzugt der DIN-Normierung entspricht. Ansonsten sollen die Zeichen und Linien des Setzkastens genügen; um »das Sensationelle Neuer Typografie zu steigern«, können jedoch vertikale und schräge Zeilenrichtungen angewendet werden.7 In seinen Nachbemerkungen schreibt Herausgeber Jan Tschichold schließlich: »das vorliegende Heft war ursprünglich als Bauhausheft gedacht«.8 Die Abkehr hiervon erklärt er damit, dass das Bauhaus nurmehr »ein Stützpunkt der Kampflinie für die neue Kultur« sei und deshalb Ideen auch von nicht dem Bauhaus angehörenden Künstlern aus der ganzen Welt vertreten sein sollten. Das Bauhaus als Einrichtung oder die dort tätigen Typografen werden in seiner Einführung deswegen nur aufzählend erwähnt, und zwar als »unabhängige Parallelbewegung« zum russischen Konstruktivismus, dessen Programmatik dagegen prominent im Heft platziert ist. Viel Raum nimmt freilich Moholy-Nagys Artikel über das Typo-Photo ein, und unter den zahlreichen Illustrationen im Heft finden sich Abbildungen eines Fotoplakats, zweier Bauhaus-Briefköpfe und des Prospekts für die Bauhaus-Bücher (inkl. der Postkarte) von Moholy-Nagy; außerdem von Herbert Bayer, damals gerade zum Leiter der Reklamewerkstatt am Bauhaus ernannt, zwei Anzeigenentwürfe, eine Geschäftskarte, ein Signet und ein Beispiel für das von ihm entworfene Notgeld für den Staat Thüringen. Diesem vielversprechenden Auftakt folgten nach Tschicholds Wechsel an die Münchener Meisterschule für Deutschlands Buchdrucker (1926) leider keine weiteren Leipziger Initiativen, die wesentlich zur Verbreitung der Neuen Typografie beigetragen hätten. Tschichold selbst sprach im Rückblick von »der damaligen geistigen Elite Leipzigs, die mir immer zäh-konservativ und allem Neuen abgeneigt erschienen ist«.9 Zwar fand in den Typographischen Mitteilungen weiterhin eine rege Diskussion der Fachleute über das Für und Wider der neuen Gestaltungsprinzipien statt, aber durch eine geschickte Öffentlichkeitsarbeit und die konsequente Anwendung in den eigenen Drucksachen gelang es gerade dem Dessauer Bauhaus eher unbeabsichtigt, dass der Trend in der Öffentlichkeit als »Bauhaus-Typografie« wahrgenommen wurde – was man aus heutiger Sicht wohl eine Meisterleistung des Brand Marketing nennen würde. Dabei hätte auch in Leipzig hinreichend Potenzial bestanden, den Weg der typografischen Moderne weiter konsequent zu beschreiten. Mit der Buchmesse und der Deutschen Bücherei, renommierten Druckereien und Schriftgießereien, einer blühenden Presselandschaft und namhaften Organisationen wie dem erwähnten Bildungsverband der Deutschen Buchdrucker existierten ähnlich günstige Voraussetzungen wie beispielsweise in Frankfurt, um ein modernes Gestaltungsprogramm zu etablieren. Wie halbherzig dies im Vergleich angegangen wurde, lässt sich sehr schön an den beiden offiziellen, die jeweilige Stadt thematisierenden Periodika veranschaulichen. In der Main-
215 Umschlag des Sonderhefts elementare typographie der Fachzeitschrift Typographische Mitteilungen, hrsg. von Jan Tschichold, Heft 10/1925 Cover of the Typografische Mitteilungen, no. 10/1925, ed. by Jan Tschichold
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• Pedagogical Exchange On the Connection of Students and Teachers of the Bauhaus with the Staatliche Akademie für graphische Künste und Buchgewerbe in Leipzig and the Städtische Kunstgewerbeschule Since its reorganisation in 1875, the Kunstakademie Leipzig had developed into a hybrid school with multistage training programmes in handicraft subjects, academic master classes and workshops as well as extended evening classes as a further training facility for workers from all areas of the book trade, which at the time defined the city both economically and socially. With its relocation into the especially erected academy building in 1890, the model of a workshop theory was then also implemented in terms of space, in which artistic and creative designs were combined in the realisation of technical craftsmanship. Depending on the respective educational needs, different lengths of attendance at the academy were possible. From 1900 on the academy was completely oriented towards the book as a final product. The subjects taught now focused on typography, typeface design and various methods of reproduction. Artistic subjects were offered in the basic classes. One of the most influential professors from 1907 on was Hugo Steiner-Prag, who worked as an illustrator, typographer, stage designer and specialist author. From April 1917 to February 1924, Irmgard Sörensen-Popitz studied ‘design for the overall field of the book trade, illustration, and free and applied graphic art’ as well as the ‘drawing of ornamental shapes’ primarily in his master class. During her studies she received awards for poster designs. In addition to that she took lessons in drawing, anatomy, materials science and typographic art with Hermann Delitsch and Jan Tschichold, who at that time held lectures and taught evening classes at the academy and intensively addressed the new typography trends in Russia, the Netherlands and Germany.1 In 1924 and 1925 Söre Popitz went to Weimar for further studies at the Bauhaus and afterwards worked as a graphic designer in advertising in Leipzig. Just prior to the turn of the century, the Kunstakademie Leipzig had included photography as a reproduction technique into its teaching programme and conducted research and experiments in this field. Emanuel Goldberg, a scientist and inventor, taught here between 1907 and 1917; he developed the tripod-independent Kinamo camera, which became the essential tool of the modernist experimental filmmakers, also for László Moholy-Nagy. Goldberg’s successor was the American Fritz Götz, an outstanding expert in translating photographs into publications. He developed the training workshops for image printing into a model for a contemporary manufacturing facility and practiced the latest technologies there, such as ‘the new screen-printing method, which seems to be suitable for improving photo-mechanical printing methods, particularly in terms of aesthetics’.2 JULIA BLUME
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Hans-Joachim (Hajo) Rose hatte von 1930 bis 1933 am Bauhaus Dessau und Berlin studiert und kehrte aus der Kriegsgefangenschaft nach Dresden zurück, wo er an der dortigen Kunstgewerbeschule von 1949 bis 1953 als Dozent für Gebrauchsgrafik und Schrift lehrte, bevor er durch Versetzung an die Fachschule für angewandte Kunst Leipzig kam und dort in der Fachklasse Werbegrafik unterrichtete. Wie an den anderen Hoch- und Fachschulen der DDR begegnete man der Rezeption der Moderne mit Vorbehalten. In der Beurteilung seiner Tätigkeit in Dresden hieß es: »Herr Rose begann seine Entwicklung am Bauhaus. Das hat zur Folge, dass er sich bis heute ungeheuer mühen muss, um den Formalismus des Bauhauses zu überwinden.«11 Hajo Rose blieb bis 1958 an der Fachschule und war anschließend freiberuflich in Leipzig tätig. →Abb. 257–259 Anmerkungen 1
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Sächsisches Staatsarchiv Leipzig (SStAL), 20199, Studentenakte134. Sächsisches Staatsarchiv Dresden (SStAD), 11125, 18115, 20, Brief von Fritz Götz an die Akademieleitung, 7. 2. 1925. SStAD, 11125, 18079, 33, Brief vom 3. 9. 1923 an das Wirtschaftsministerium. SStAL, 20199, Studentenakte 99. SStAL, 20199, Studentenakte122.
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SStAL, 20199, Studentenakte 125. SStAL, 20199, Studentenakte 93. SStAL, 20199, Studentenakte 123. 9 SStAD, 11125, 18078, 109. 10 SStAL, 20199, Personalakte 40, Brief von László Moholy-Nagy an Walter Tiemann, 15. 6. 1928. 11 Beurteilung durch Rudolf Bergander, 27. 5. 1953, Archiv der HGB, PA (FAK).
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257 Hajo Rose Entwurf mit g. Wasserfarben, Tusche, Mittelteil eingeklebt. GRASSI Museum für Angewandte Kunst Leipzig Hajo Rose Design with g. Watercolours, drawing ink, centre part glued in. GRASSI Museum of Applied Arts Leipzig
258 Hajo Rose Landschaft mit Hochhäusern und See, Leipzig, 1970er Jahre. Foliencollage auf Zeichenkarton. GRASSI Museum für Angewandte Kunst Leipzig Hajo Rose Landscape with highrise buildings and lake, Leipzig, 1970s. Foil collage on drawing cardboard. GRASSI Museum of Applied Arts Leipzig
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Leipzig
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While the artistic subjects followed the usual academic teaching repertoire, the Reproduction Department was confronted with ever new challenges due to rapid technical developments. Fritz Götz conveyed this latest state of the art technology in such a way that attendance of these classes was particularly attractive for students who wanted to take up a profession in just these fields. The article ‘Leipsic’s Art in Book Making’ by Joseph Pennell in The New York Times (8. 10. 1922) contributed to an international image boost. Those interested in this range of classes included those who either studied at the Bauhaus later on or came from there to Leipzig for further training. The attitude of the Academy’s director Walter Tiemann towards the Bauhaus was highly sceptical at the beginning: ‘The exhibition of the Bauhaus made quite a depressing impression on the visitor. The intention to create thorough practical workmanship is overlaid by an anaemic, way too abstract aestheticism, the roots of which can only be found in the most primitive expressions of art, with which art snobbery likes to deal very much today.’3 In contrast its master student Jan Tschichold carried his enthusiasm aroused by the Weimar Exhibition of 1923 into the Academy – his evening lectures on typography and script attracted a remarkable audience. The attendees included Walter Dirks, who between March 1922 and July 1923 studied for three semesters at the Leipzig Academy and signed up for photography and retouching, drawing for photographers, and optics and chemistry. To these he added typography classes
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with Hermann Delitsch, who at that time was assisted by Jan Tschichold.4 Between 1930 and 1932 Dirks then studied at the Bauhaus in Dessau. In summer 1925 Lucia Moholy applied with Fritz Götz for the photomechanical training workshops at the recommendation of Academy teacher Georg Mathey. →Fig. 256 In the subsequent winter semester, she studied with him and attended classes on perspective with Helmut Weissenborn as well as lectures in chemistry, physics and optics.5 At the same time as her, Walter Peterhans started his studies, which lasted from October 1925 to July 1926. During his studies the head of the Department for Reproduction Photography changed; Fritz Götz was succeeded by Carl Blecher, a proven expert in and author of modern printing methods. In addition Peterhans attended scientific lectures on chemistry.6 Irene Bayer, née Hecht, even signed up at the Leipzig Academy twice (November 1923 – January 1924 and October 1926 – February 1927). Here, too, Georg Mathey was the intermediary, because it was he who in October 1923 asked to be allowed to accept her as a student of lithography and simultaneously forwarded her request to be allowed to attend the evening classes with Walter Buhe and Jan Tschichold. Besides lithography she signed up for typography classes with Hermann Delitsch, reproduction photography and retouching with Carl Blecher, and drawing for photographers.7 In October 1923 the Leipzig-born Georg A. Neidenberger began attending evening classes at the Staatliche Akademie
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301 bauhaus vorhangstoffe gewebt gittertülle. Aufgeblättertes Musterbuch, ca. 1933. The Museum of Modern Art, New York (alle Abbildungen auf dieser Doppelseite) bauhaus woven curtain fabrics lattice tulles. Opened up sample book, c. 1933. The Museum of Modern Art, New York (all figures on this double page)
302 Otti Berger / Lilly Reich Bauhaus-Vorhangstoff gewebt nr. 208/8 (Detail Rückseite). Baumwolle, Kunstseide Otti Berger / Lilly Reich Woven bauhaus curtain fabric no. 208/8 (detail of reverse side). Cotton and artificial silk
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Otti Berger Bauhaus-Vorhangstoff gewebt nr. 209/4 (Detail). Baumwolle, Kunstseide Otti Berger Woven bauhaus curtain fabric no. 209/4 (detail). Cotton and artificial silk
304 Bauhaus-Gittertüll nr. 308/309/310 (Detail). Baumwolle Bauhaus lattice tulle nos 308/309/310 (detail). Cotton 302
305 Bauhaus-Vorhangstoff gewebt nr. 205 (Detail). Baumwolle Woven bauhaus curtain fabric no. 205 (detail). Cotton
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Lengenfeld
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Schkeuditz
1930/31 wird das von Hans Wittwer entworfene Restaurant des Flughafens Halle-Leipzig erbaut. An der Ausstattung sind die Bauhäusler Marguerite Friedlaender, Franz-Rudolf Wildenhain und Benita Koch-Otte beteiligt.
The restaurant of Halle/ Leipzig Airport, designed by Hans Wittwer, is built in 1930/31. The Bauhaus members Marguerite Friedlaender, Franz-Rudolf Wildenhain and Benita Koch-Otte are involved in the furnishings.
329 Hans Wittwer Flughafenrestaurant Schkeuditz, 1930/31. Fotografie von Hans Finsler. Sammlung Freese Hans Wittwer Airport restaurant Schkeuditz, 1930/31. Photograph by Hans Finsler. Freese Collection
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• Das gläserne Flughafenrestaurant von Hans Wittwer in Schkeuditz
ANGELA DOLGNER Auf dem Flughafen Leipzig / Halle in Schkeuditz stand einst eine Ikone des Neuen Bauens der 1920er Jahre, die in der Fachpresse hoch gelobt wurde: Das 1931 realisierte Restaurantgebäude von Hans Wittwer gehöre, so Sigfried Giedion, »zu den Bauten, an denen sich symptomatisch der Stand« der damaligen Architektur nachprüfen lasse. Es sei zu den wenigen Ergebnissen zu zählen, »die ihre Bedeutung über die Jahre hinaus behalten werden«.1 Wittwer selbst äußerte sich nur zu den funktionalen Aspekten seines Baus, die Bewertung der architektonischen Idee und Konstruktion überließ er anderen. Im August 1927 war Wittwer einer Einladung des Leiters der Bauabteilung und späteren Direktors am Bauhaus Hannes Meyer nach Dessau gefolgt, mit dem er zuvor in Basel in einer Bürogemeinschaft zusammengearbeitet hatte. Im März 1928 zum Meister der neuen Bauabteilung gewählt, gewann er mit Meyer den Wettbewerb um die Bundesgewerkschaftsschule in Bernau.2 Da dieser jedoch die Autorenschaft für sich allein beanspruchte, verließ Wittwer das Bauhaus und folgte im Februar 1929 einem Ruf als Lehrer der Fachklassen für Architektur und Raumausstattung an die hallesche Kunstgewerbeschule Burg Giebichenstein.3 Die Stadt Halle beauftragte ihn zudem mit einem Großprojekt für den Flughafen, dessen Übernahme er bereits zwei Monate zuvor zugesagt hatte.4 Der Traum vom Fliegen war längst Wirklichkeit geworden. Der Luftverkehr entwickelte sich als zuverlässige Verbindung über immer größere Entfernungen und der Flughafen in Schkeuditz avancierte zu einem der wichtigsten Luftverkehrsknotenpunkte in Deutschland. Im April 1927 nahm der Flughafen Halle / Leipzig den regelmäßigen Liniendienst auf. Im Unterschied zur Standortentscheidung durch das Reichsverkehrsministeriums hatte Leipzig jedoch andere Flughafenplanungen verfolgt. Die Stadt beteiligte sich daher nicht an der Finanzierung und trat auch nicht der im März 1928 gegründeten Flughafengesellschaft Halle / Leipzig bei.5 Einst in der preußischen Provinz Sachsen gelegen, gehört das Flughafengelände heute zum Freistaat Sachsen: Aus dem von Halle geplanten Flughafen Halle / Leipzig wurde später Leipzig / Halle.6
Entwurf Ursprünglich hatte der Architekt und Direktor der halleschen Kunstgewerbeschule Paul Thiersch 1926 das Mandat zur Gesamtplanung erhalten. Seine großzügig projektierte, axialsymmetrische Anlage mit einer Frontlänge von 500 Metern blieb Fragment. Realisiert wurde nur eine Flugzeughalle. Nach Thierschs Tod bekam Wittwer im Frühjahr 1929 den Auftrag für ein Abfertigungsgebäude. Er lieferte Entwürfe, die sich in mehreren Planungsphasen grundlegend wandelten. Finanzielle Zwänge führten schließlich zu der Forderung nach einer etappenweisen Ausführung, auf die sich Wittwer im Herbst 1929 konzeptionell einstellte, indem er vorschlug, Empfangsgebäude, Restaurant, Wohnhäuser, Werkstätten und Garagen in
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separaten Bauten ohne räumliche Verbindung unterzubringen. Die Flughafengesellschaft entschied sich jedoch zunächst nur für die Errichtung des Restaurants, die übrigen Gebäude wurden zurückgestellt.7 Undatierte Skizzen zeigen eine intensive, variantenreiche Formensuche. Zum einen lehnt sich das Restaurant an eine lange Wandscheibe, die Windschutz garantiert. Zum anderen zeichnete Wittwer gewellte oder gefaltete Fassaden, die der Starrheit des Baukörpers entgegenwirken und von innen unterschiedliche Blickwinkel auf das Flugfeld bieten. Terrassen werden auf unterschiedliche Weise eingebunden: seitlich angeordnet, um die Ecke geführt oder über die gesamte Gebäudebreite hinausgreifend. Den ursprünglich seitlich angeordneten Treppenaufgang zur Terrasse verlegte Wittwer schließlich als zweiläufige Anlage – »eine sich als Brücke emporwölbende Freitreppe in Eisenbeton«8 – in die Gebäudemitte. Das konstruktive Gerüst von Stütze und Riegel bildet sich in der großzügig verglasten Fassade im Vorprojekt vom März 1930 noch deutlich ab. Erst die Ausführungszeichnungen vom Juli 1930 präsentieren das Restaurantgebäude in seiner endgültigen Form. »Die Befreiung des Obergeschosses von Nebenräumen, Einbauten ermöglichte nun eine schwungvollere und konsequente Durchbildung seiner Architektur«, resümierte Wittwer im August 1930.9 Statt eines Pultdaches kamen nun zweiarmige Kragstützen zum Einsatz, auf denen ein leicht geknicktes, nach innen geneigtes Flachdach ruhte. Sie boten größtmögliche Freiheit in der Grundrissgestaltung und wurden zum tragenden architektonischen Gestaltungselement. Wie selbstverständlich ermöglichten sie eine allseitige Glasummantelung. Diese transparente Hülle ließ für das Restaurant im Obergeschoss einen Raum von schwebender Leichtigkeit entstehen.
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Schkeuditz
Bau und Nutzung Das Gelände war eben, ohne Baumbestand und bauliche Konkurrenz. »Das allmähliche Entschwinden der Maschinen in der Ferne und ihr Heranfliegen« verbinde sich »mit den Bildern der weiträumigen Landschaft zu Eindrücken ganz besonderer Art, am ähnlichsten vielleicht solchen, wie eine flache Küste sie uns empfinden läßt«, bemerkte Wittwer.10 Durch eine künstliche Geländestaffelung, die wesentlich zur Wirkung des Gebäudes beitrug, erhob sich der quaderförmige Baukörper nach der einen Seite in zwei, nach der anderen in drei Stockwerken. Ein viertes, äußerlich nicht sichtbares Geschoss für Wirtschaftsräume war in das Erdreich eingelassen. Die über die Gebäudebreite hinausgreifende und die Horizontale betonende, gegenüber dem Fußbodenniveau des Gastraumes tiefergelegte Terrasse verschränkte Innen- und Außenraum, Restaurant und vorgelagertes Freiluftcafé miteinander. Das Kellergeschoss nahm die Kühlräume auf, das Sockelgeschoss die Wohnung des Wirtes, vier Unterkunftsräume und eine Kantine für Piloten, Betriebs- und Wirtschaftsräume. Das Erdgeschoss beherbergte den Gastraum für Fluggäste, die Küche und die Wohnung des Flughafendirektors. Das Restaurant im Obergeschoss bot 100 Gästen Platz. Die Kapazität des Außenbereichs belief sich auf 800 Personen.
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Waldheim
1930 Die Firma Albert Walde beginnt mit der Serienfertigung von Möbeln nach Entwürfen des Bauhäuslers Peter Keler.
1930 The company Albert Walde starts series production of furniture based on designs by the Bauhaus member Peter Keler.
352 Peter Keler (Entwurf) Ausführung: Fa. Albert Walde, Waldheim. Armlehnstuhl PK 102, um 1930. Holz, Rohrgeflecht. Jan Keler Peter Keler (design) Execution: Company Albert Walde, Waldheim. Armchair PK 102, c.1930. Wood, wickerwork. Jan Keler
353 Peter Keler Prospekt der Firma Walde, Waldheim, mit Stuhlentwürfen von Peter Keler und Fotografie zweier Keler-Stühle. Papier, bedruckt, Fotografie, montiert. Jan Keler Peter Keler Brochure of the company Walde in Waldheim, with chair designs of Peter Keler with attached photograph of two Keler chairs. Paper, printed, photograph, attached. Jan Keler
Nächste Doppelseite: Double page overleaf: 354 Prospekt der Firma Walde in Waldheim mit Stuhlmodellen von Peter Keler. Papier, bedruckt. Jan Keler Brochure of the company Walde in Waldheim with chair models of Peter Keler. Paper, printed. Jan Keler
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Waldheim
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Zwenkau
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Die große stehende Figur des Treppenhauses erhält durch den Blick von dem auf sie zulaufenden Flur des zweiten Stockwerks eine zusätzliche Bedeutung. Der schmale Raumabschnitt, von dem Türen zur Küche, Wohnhalle und Toilette führen, erhält nur durch ein kleines Mattglasfenster von der doppelgeschossigen Wohnhalle Licht. Wie unter dem Dach des äußeren Eingangsbereichs finden sich an der Decke einfache und großflächige Farbformen. Die Raumgestaltung setzt sich in der Wohnhalle mit überbautem Nebenraum – Bibliothek und Sitzecke mit Kamin – fort. Eine schwarz-weiße angeschnittene Kreisform an der Hallenwand wird an der Decke des niedrigeren Raumteils fortgeführt. Hier benutzte Schlemmer die Wirkung von glatten, polierten
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Flächen als Kontrast zu schwarzen und weißen Feldern. Vor dem Fenster bildet an der Decke eine schwarze Form den Abschluss; optisch leitet eine weiße Form mit geschwungenen Konturen zur Sitzecke und zum Kamin über, dadurch setzt sich in den malerischen Formen die Bewegungsrichtung des in den Raum Eintretenden fort. Hauptwand Wohnhalle Eine gänzlich andere Form- und Materialsprache, besonders durch das neuartige Material Metalldraht, zeigt die Gestaltung der Hauptwand in der doppelgeschossigen Wohnhalle. Die Wandfläche misst 5,35 × 6,25 Meter und wird oben rechts durch den vorspringenden Flur um 0,25 Meter verkleinert.
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