Walpurgis Nights Dream

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NACHTS

WALPURGIS NIGHT’S DREAM

RAUM FÜR VIELE WELTEN

REALITÄTEN UND FANTASIEN

AND YET, A SINGLE GLANCE GIVES HERE, SOMETHING THAT WILL LAST ALL YEAR.

RAUM FÜR VIELE WELTEN

ESSAY VON IRIS MARIA VOM HOF

Joachim Baldauf, renommierter Vertreter der internationalen Modefotografie, zeigt in dieser Publikation eine neue, bislang unbekannte Seite seines Schaffns. Inspiriert von Johann Wolfgang von Goethes „Walpurgisnacht“ in Faust I und Faust II bilden seine Portraits, Studio- und Outdoormotive den Inhalt in künstlerischer Freiheit ab. Aufregend, freizügig und erotisch: Hexen, Sirenen und Zauberer der Anderswelt, Schatten im Zenit des Mondes, Waldgeister und Gestalten in ihren höllischen Paradiesen oder Unwesen und seltsame Irrlichter bespielen den unerschöpflchen Raum des menschlichen Seins. Unbetitelt im Einzelnen, die dargestellten Motive erzählen sich selbst oder ergänzen sich gegenseitig. Tiefgründig verstrickt und geprägt durch schwerelos-leichten Humor provoziert der deutsche Fotograf Joachim Baldauf die Fantasie der Betrachtenden.

Oh Walburga, wie bist du nur in den Hexensabbat der „Walpurgisnacht“ hineingeraten? Du, eine Heilige, Äbtissin, gelehrte Frau und Schutzpatronin der Seefahrer. Ausgerechnet du, die Schutzheilige gegen böse Geister, wirst Namensgeberin der unseligen Possen am Brocken im Harz. Und das jedes Jahr in der Nacht zum ersten Mai, Walburga, am Gedenktag deiner Heiligsprechung um 870 nach Christus. Eine gemeine kalendarische Überschneidung! Die keltische Tradition des Mondfestes „Beltane“ hat dich erwischt. Ein Ritual, das den Beginn des Sommerhalbjahres als Hochzeitsfest zwischen Himmel und Erde feiert, ein Ritual, das Fruchtbarkeit und Segen bringt. Mann und Frau und Vieh im Freudentaumel, eine ausschweifende Orgie zu Ehren der Natur. Aberglaube? Afterglaube wie die christliche Kirche im Mittelalter argwöhnt. Im Rahmen der Christianisierung vor rund 1000 Jahren wird dem heidnischen Spektakel am Brocken Mores beigebracht. Die guten Sitten, Anstand und Lebensart werden nun vom Klerus vorgegeben, Abweichungen an Körper und Geist zur Sünde stigmatisiert, später als Hexenkult geahndet. Es herrscht übrigens ein weitverbreiteter Irrtum vor, die Hexenverfolgung sei in der aufklärungsfeindlichen Zeit des Mittelalters geschehen. Die ersten Hexenverfolgungen finden in der Renaissance statt, beginnend um 1400 bis zu ihrem Höhepunkt Mitte des 16. Jahrhunderts. Hinrichtungen gibt es bis Ende des 18. Jahrhunderts. Millionen von weiblichen Opfern werden gezählt plus zirka 10 bis 15 Prozent Männer.

Während seiner Recherche zur „Walpurgisnacht“ für die Tragödie Faust I und Faust II studiert Johann Wolfgang von Goethe mehrere Werke barocker Hexenliteratur in der Weimarer Bibliothek. Der Hauptanklagepunkt für Hexerei fußt auf Unzucht mit dem Teufel. Das lustvoll Fleischliche stellt generell das Böse und das Teuflsche dar und muss deshalb ausgemerzt werden. Soweit die historische Beweislage.

Schaurig schön: Kindheitserinnerungen an furchterregende Hexen wie in Hänsel und Gretel oder Die Hexe aus der Rue Mouffetard oder die Baba Jaga der russischen Märchen. Das Bild der bösen Hexe sitzt tief eingegraben in unseren Köpfen. Ausgewiesen böse männliche Hexer tauchen dagegen kaum in den Märchen auf und wenn, dann sind sie Magier und Zauberer mit einem gleich viel besseren Image. Das zur Märchenwelt. Die Inquisition im Spätmittelalter und in der Frühneuzeit geißelt Männer, wenn sie als abtrünnige Häretiker eingestuftwerden und die Institution Kirche infrage stellen. In der Verfolgung der als Hexen verdächtigten Frauen erweisen sich Zivilgerichte und Laienrichter als besonders grausam und unerbittlich. Die Zivilgerichte berufen sich auf den päpstlichen Aufruf zum heiligen Krieg gegen die weiblichen Verbündeten des Teufels. In einem Klima der klerikalen Feindschaft gegenüber Frauen zeigen sich die Hexenverfolger von der weiblichen Sexualität zugleich besessen und verängstigt. Laut Hexenhammer, der offiziellen Legitimation zur Hexenverfolgung, sind Aussagen bezüglich Form und Größe von Luzifers Penis von höchstem Interesse. Von der phallischen Form des Besenstiels der zum Brocken fliegenden Hexen gar nicht zu reden. Über den Symbolgehalt der ebenfalls verteufelten schwarzen Katzen könnte man in diesem Zusammenhang spekulieren. Frauen der höheren Schichten dürfen sich vom Verdacht der Unzucht mit dem Teufel meist freikaufen, die niederen Stände sind Männern wie Inquisitoren, Priestern und Pastoren, Folterern, Gefängniswärtern, Richtern und Henkern hilflos ausgeliefert. Die Angehörigen der Beschuldigten nehmen die angeklagten Frauen selten in Schutz, um nicht selbst in den Verdacht der Hexerei zu geraten. Nach Auffassung der amerikanisch-italienischen Philosophin Silvia Federici mündet der Terror gegen Frauen in einer tiefen psychologischen Entfremdung zwischen Männern und Frauen. Eine besonders bittere Rolle verkörpern die gebrandmarkten Heilerinnen.

REALITIES AND FANTASIES

BIOGRAPHICAL THOUGHTS BY JOACHIM BALDAUF

In my childhood, the world is a different one

La Grande-Motte, the southern French satellite town by the sea, concrete castles on the mountain in the winter sports resort of Flaine. Heavily made-up women rubbed with Tiroler Nussöl sun oil, sunbathing topless. Moustachioed men with blow-dried hairstyles in skipy swimming trunks. We children are drinking Capri Sun in the outdoor pool. Italian music is playing, and skinny people smoking cigarettes and eating grilled chicken and chips swap partners. The Concorde, the Starfighter, my parents’ orange Beetle convertible. My brother and I dressed like twins. The A-frame holiday bungalow on the Adriatic Sea, the TGV and the Centre Pompidou. The Nanas by Niki de Saint Phalle, the children’s programme Sendung mit der Maus. All colourful and exciting.

And the adults are endlessly discussing masturbation, terrorism, the Cold War, divorce, the oil crisis and nuclear power plants on colour TV, while we children are still outside in the evenings. And I’m in another world. With dinosaurs in dark Allgäu forests, with a Viking on the high seas. In a Boeing 747, with a disco inside and in the biggest igloo in the world. I speak every language, and I am a singer, fashion designer and astronaut. And I have a beard like D’Artagnan. Religion and Nosferatu are scary to me. Not fairy tales, legends, ghosts and witches. Nor naked people – I like looking at them. But when I watch the news, it gives me nightmares.

You have too much imagination, says the teacher. I find him boring and can’t understand why Karl-Marx-Stadt is supposed to be ugly and why you’re not allowed to use the Walkman at school during break time. The English teacher is beautiful and doesn’t wear a bra; the music teacher wears tight white jeans and is young. We sing songs by Bob Dylan and Cat Stevens in class. My mum listens to ABBA, my dad helps with the housework and I get nice Christmas presents. I think Lego is great. And books. And my cassette recorder. Our cat, the poodle and the tortoise. Starship Enterprise and Space 1999. I can decorate my room however I want, and I don’t have to take a midday nap. My grandparents tell me exciting stories from another time, and my grandad is Baron Münchhausen.

I fall in love with Brooke Shields and Jeff Bridges and dream on. I want to know what sex feels like. I swarm over Kim Wilde and John Travolta and swap posters. The posters bring the big wide world into my teenage bedroom. I listen to punk and new wave on Swiss radio and on my stereo. I read Erica Jong and Charles Bukowski, for whom I am too young, and feel grown up. I buy my first SLR camera with my pocket money and feel like I’m on a high. Magic wrapped in metal with which I create parallel worlds. I photograph the sky and the girls from the village. I experiment with double exposures and filters and lay the foundations for my future work. I am in Brussels on a student exchange programme and am fascinated by the human diversity and the Atomium. I move to the city to study and take the camera with me – so too the boy from the Allgäu mountain village.

HÖLLISCHE PARADIESE

INFERNAL PARADISES

EUCH IST KEIN MASS UND ZIEL GESETZT. BELIEBT’S EUCH, ÜBERALL ZU NASCHEN, IM FLIEHEN ETWAS ZU ERHASCHEN, BEKOMM’ EUCH WOHL, WAS EUCH ERGETZT. NUR GREIF MIR ZU UND SEID NICHT BLÖDE!

NO GOAL OR MEASURE’S SET FOR YOU. DO AS YOU WISH, NIBBLE AT EVERYTHING, CATCH AT FRAGMENTS WHILE YOU’RE FLYING, ENJOY IT ALL, WHATEVER YOU FIND TO DO. NOW GRAB AT IT, AND DON’T BE STUPID!

ES SCHWEIGT DER WIND, ES FLIEHT DER STERN, DER TRÜBE MOND VERBIRGT SICH GERN. IM SAUSEN SPRÜHT DER ZAUBERCHOR VIEL TAUSEND FEUERFUNKEN HERVOR.

THE WIND IS QUIET: A STAR SHOOTS BY, THE SHADOWY MOON DEPARTS THE SKY. THE MAGIC CHOIR’S A RUSH OF SPARKS, THOUSANDS SHOWER THROUGH THE DARK.

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