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Junge Adventisten
Junge Adventisten
Haben wir heute Gäste unter uns?“, fragte der Gemeindeälteste bei der Begrüßung der Gemeinde und strahlte vom Podium herunter. Ich sank noch tiefer in meinen Sitz, schaute in meine Bibel und bemühte mich, so unauffällig wie möglich zu sein. Dann folgte die gefürchtete Aufforderung des Gemeindeältesten: „Ich darf alle, die heute zum ersten Mal unseren Gottesdienst besuchen, einladen, aufzustehen.“
Mein Freund stieß mich an. „Steh auf“, flüsterte er fröhlich. „Das bist du!“ Mit einem erzwungenen Lächeln schnellte ich hoch, winkte der Gemeinde etwa eine Millisekunde lang zu und ließ mich sofort wieder auf meinen Stuhl fallen. Mein Herz schlug unverhältnismäßig schnell, obwohl ich wusste, dass die Gemeinde einfach freundlich sein wollte, und das auch grundsätzlich schätzte. Doch ich fühlte mich unwohl und war nervös.
Ich bin ein introvertierter Mensch. Es gibt verschiedene Arten von introvertierten Menschen. Nicht alle entsprechen dem Stereotyp, schüchtern zu sein oder keine Menschen zu mögen, allerdings sind viele normalerweise ruhiger und fühlen sich wohler, wenn sie nicht im Mittelpunkt stehen. Introvertierten Menschen ist gemeinsam, dass sie der Umgang mit anderen Menschen Kraft kostet und sie ruhige Zeiten für sich allein brauchen, um diese Kraft zurückzugewinnen. Als Christin habe ich oft das Gefühl, dass die Gemeinde für Extrovertierte gemacht ist, von der Art wie wir uns begrüßen bis zu hin zu unseren bevorzugten Evangelisationsmethoden. Wie können wir also eine Atmosphäre schaffen, in der sich introvertierte Menschen wohlfühlen? Diese Frage habe ich in den sozialen Medien gestellt und einige Meinungen darüber bekommen.
Die meisten introvertierten Personen mögen es nicht, in einem Raum voller Fremder in den Mittelpunkt gerückt zu werden oder sich unter die Leute mischen und Smalltalk führen zu müssen. Ich habe folgende Alternativen für die Begrüßung von Gästen im Gottesdienst bekommen: „In meiner Gemeinde lassen wir die Gemeindeglieder aufstehen und dann diejenigen begrüßen, die noch sitzen.“ „Ich bin froh, wenn ich in einer Gruppe nicht aufgefordert werde, etwas über mich zu erzählen.“ „Ich würde gern von jemandem individuell begrüßt werden, der sich persönlich und aufrichtig für mich interessiert. Ich tue mir schwer damit, auf Menschen zuzugehen, aber ich möchte das Gefühl haben, dazuzugehören.“
Eine positive Atmosphäre für Introvertierte zu schaffen, geht über das Begrüßen von Gästen hinaus. Es hat Auswirkungen darauf, wie wir Gemeinde gestalten. Dazu gehört, dass Gaben und Talente geschätzt werden und zum Einsatz kommen, die nicht so sehr auf die Öffentlichkeit ausgerichtet sind, denn nicht jeder tut sich leicht damit, an Türen zu klingeln oder fremde Leute anzurufen. Es kann sogar bedeuten, neue Formen von Gottesdiensten zu schaffen; jemand schlug vor, Gottesdienste im Wald zu halten, Elemente der Stille und der Kunst einzubauen und kreative, künstlerische Gestaltungselemente einzusetzen. Jemand anders schrieb, wie sehr er sich eine Hausgemeinde mit höchstens zehn Personen wünschen würde, die während der Woche ebenso am Leben der anderen teilhaben, wie am Sabbat.
Die Gemeinde ist eine vielfältige Gemeinschaft, das hat Gott so gewollt. Paulus beschreibt das sehr schön mit dem Bild vom Körper: „Gott hat unseren Körper mit vielen Gliedern und Organen geschaffen und jedem Körperteil seinen Platz gegeben, wie er es wollte … Ja, es sind viele Teile, aber nur ein Körper. Das Auge kann nicht zur Hand sagen: ‚Ich brauche dich nicht.‘ Und der Kopf kann nicht zum Fuß sagen: ‚Ich brauche dich nicht.‘… So bildet ihr gemeinsam den Leib von Christus, und jeder Einzelne gehört als ein Teil dazu.“ (1 Kor 12,18.20–21.27 NLB) Ganz gleich welche Persönlichkeitstypen wir sind oder welche Gaben wir haben, jeder von uns hat einen einzigartigen, wichtigen Platz im Leib Christi. Wir sind aufgerufen, Bereiche in der Gemeinde zu schaffen, in denen sich alle Menschen willkommen und geschätzt fühlen können.
Lynette Allcock hat an der Southern Adventist University in Collegedale, im US-Bundesstaat Tennessee studiert und lebt jetzt in Watford, Großbritannien, wo sie für Adventist Radio London Sendungen produziert und moderiert.