Blickwechsel No.3 / Second Life

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B lickwechsel Ausgabe 02 | Juli 2008 | www.blickwechsel-hamburg.de | 2 â‚Ź

[ Jugendzeitung Hamburger Waldorfschulen ]

Second life

...und was ist deine Realität?


V SG SU SG LU SL IU ersuch es!

tell dich mitten in den Regen, laub an seinen Tropfensegen pinn dich in das Rauschen ein nd versuche gut zu sein!

tell dich mitten in den Wind, laub an ihn und sei ein Kind – aĂ&#x; den Sturm in dich hinein nd versuche gut zu sein. tell dich mitten in das Feuer, iebe dieses Ungeheuer n des Herzens rotem Wein – nd versuche gut zu sein! Wolfgang Borchert


Editorial

Hamburg, 10. Juli 2008

Werkbericht

Im Februar war Premiere – jetzt folgt der II. Akt – Blickwechsel geht in die zweite Runde. Einiges hat sich verändert. Die Arbeitsweise hätte nach dem stressigen Finish der letzten Ausgabe eigentlich organisierter, geplanter und zielgerichteter sein müssen, war sie auch, bis fünf Tage vor dem Drucktermin, als die vielen Baustellen plötzlich offensichtlich wurden. Trotz dieses Endstresses lief aber vieles besser. Die Redaktion spielt sich ein. Erwähnt werden müssen unser neuer Layoutspezialist, David Kurth aus Bergedorf, sowie Jochen Vieluf, dem wir zu verdanken haben, dass diese Ausgabe nicht so von orthographischen Fehlern strotzt wie die vorige. Trotzdem wurde wieder die Belastbarkeit der Redaktion geprüft. Macht euch selber ein Bild, ob sich die schlaflosen Nächte gelohnt haben. Und wir bleiben dabei – Blickwechsel: Der Name ist unser Anspruch und unser Programm.

Zum Titel

Es gibt Situationen im Leben, in denen man sich fragt: Was ist das denn hier? Was für ein Film läuft denn hier grad ab? Und man wundert sich und glaubt, man sei im falschen Film. Aber meistens ist es leider nicht der falsche Film. Es ist Real. Es ist die eiskalte Realität. Aber sie ist so seltsam, so unglaublich, so unannehmbar, dass man sie nicht als die eigene Realität begreifen möchte. Und man beginnt sie zu fliehen ... Aus diesen Beobachtungen an uns selbst und an anderen Menschen hat sich uns folgende Frage gestellt: Was heißt hier Realität? Denn was passiert, wenn man in obige Situation verstrickt ist? Man beginnt, eine zweite Realität aufzubauen, ein SECOND LIFE. Wir alle, so scheint es, leben in irgendeiner Form in einem solchen Second life. Das Eigentliche, das, worum es wirklich geht im Leben, das bleibt auf der Strecke. Wie weit die Entfernung vom Sein sich gestaltet, und wie unterschiedlich die Form der Entfernung aussehen kann – dazu mehr ab Seite 19. Wie in der vorigen Ausgabe auch ist so ein breit gefächerter Themenkomplex entstanden – alle verbunden durch die Frage: Second life ...und was ist deine Realität?

Einladung zum Mitmachen

Blickwechsel lebt von den Menschen, die die Zeitung tragen. Menschen, die sich für die Zeitung engagieren, die sich damit auseinander setzen. Und das kann auf ganz verschiedenen Ebenen stattfinden. Der eine will schreiben, die andere will sich um das Layout kümmern, der wiederum hat Spaß am Fotografieren ... wo immer auch deine Interessen liegen: Komm vorbei, MACH MIT! Schick uns einen Text, ruf an, schreib ’ne Mail, geh auf die Website ... es gibt viele Wege, bei Blickwechsel dabei zu sein. Texte, neue Mitarbeiter und Ideen sind willkommen. Kontakt: mitmachen@blickwechsel-hamburg.de Dem Aufruf in der ersten Ausgabe sind einige gefolgt – wer nun alles hinter Blickwechsel steckt, ist auf Seite 64 einsehbar.

Mit den besten Grüßen, im Namen der Redaktion, Simon Berg & Kim-Fabian von Dall‘Armi

Kleiner Nachtrag: Dem einen oder anderen mag es aufgefallen sein: Blickwechsel enthält immer noch keine einzige Seite Werbung. Das ist kein Zufall. Wir haben es so entschieden, weil wir es mit unserer Vorstellung von einem Blick-Wechsel nicht vereinbaren können. Eben deshalb ist die Zeitung auch auf Recyclingpapier gedruckt. www.blickwechsel-hamburg.de

Editorial | 03


Wegweiser Editorial 3 Fakten 6 Grenzgänger Im Gespräch mit Günter Wallraff 7

Titel: SECOND LIFE Second life – ein Selbstversuch 20 Aus. Für immer – Suizid 22 Was ist Realität? Was ist Wirklichkeit? 25 Momente aus Brasilien – Tagebuch 26 Das Dilemma der Jugend 28

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10 Gesellschaft ¡Ya Basta! – eine andere Welt ist möglich 10 Kein Öl mehr 12 Simbabwe – Freiheit? 13 Einblick Rücklick 14 Die WaldorfSV – Bundesweiter Schüleraustausch 16 Was ist Waldorfpädagogik ? (II) 17

24 Wohin fliehen? 30 trübung im wasserglas – Magersucht 31 Wer nichts hat, ist frei 32 Ein Treffen zu dritt – Schizophrenie 35 Mut zur Entscheidung – Depression 36 Gefangen in Freiheit 38 Paralellwelt Peru 39 Ein Leben auf Platte 40 Alles in Kopp – Drogen Von der Anarchie zu Autarkie 42 Es geht ums Sein 44


Leichte Lektüre Borris Hosen 45 Kerade und Grumme 46 Eier und Bücher 46 von wegen ... Suchen 47 Peter kam später 47

Blickkultur Porträt ... Sido 52 Sido – Ich und meine Maske 53 Der Reisende in Marrakesch 54 Buchblick 56 Filmblick 58

35

49

52 Lyrik Experiment: Kurzgeschichte – Die Resie 48 Raps 49 Resignation 49 Experiment: Gedicht – Der Traumweber 48 Tanzen ist ... 48 Kurzgeschichte II – Schwarz und Weiß 50

Musikblick 59 Hörbuch: Der Schatten des Windes 60 Ausblick 62 Hubi probt! Mission 2: Second life 65 Impressum 66


Fakten +++ Das Vermögen der drei reichsten Menschen der Welt entspricht den gesamten Bruttoinlandsprodukten der 48 ärmsten Länder +++ Dreifarbige Katzen sind fast immer Weiblich +++ Reis hat mehr Gene als der Mensch +++ Die Autotür eines Mazdas 3 lässt sich öffnen, indem man mit einem angebohrten Tennisball Luft ins Schloss bläst +++

Adolf Hitler wurde 1932 in Braunschweig als Beamter eingestellt, damit er deutscher Staatsbürger werden konnte. Er stellte sofort mehrere Urlaubsanträge und trat die Stelle nie an +++ Zwei drittel aller Menschen halten ihre Nase beim Küssen rechts +++ Wenn Kühe zu viele Karotten essen, wird die Milch rosa +++ In der deutschen Fahrradhauptstadt Münster werden jedes Jahr mehr als 6000 Fahrräder gestohlen +++ Spinnen können mit Hilfe des Windes und ihrer Fäden kilometerweit über offene Ozeane segeln und so neue Inseln besiedeln +++ Seit Mitte der Neunziger bieten viele schottische Imbissbuden frittierte Mars-Riegel an +++ Damit die US-Soldaten im Einsatz nicht zu viel Wasser mitschleppen müssen, können die Fertiggerichte notfalls mit Urin zubereitet werden +++ Sudoku wurde im 18.Jahrhundert von einem Schweizer erfunden +++ Menschen zwischen 56 und 65 sind in Deutschland sexuell aktiver als unter 25-Jährige +++ Matt Gröning, der Erfinder der Simpson ist Linkshänder. Daher sind auch fast alle Figuren bei den Simpsons Linkshänder +++ Das Wort „Schilderwald kann man in keine Sprache übersetzen +++ Das Wasser der Kokosnuss kann bei starkem Blutverlust als Serum injiziert werden +++ Fledermausmännchen haben entweder ein großes Hirn oder große Hoden. Beides zusammen geht nicht +++ Im deutschen Abfallrecht gibt es mehr als 10 000 Regelungen +++ Die erste Ampel der Welt stand 1868 vor den Londoner Houses of Parliament. Sie explodierte bereits nach kurzer Zeit +++ John F. Kennedy ließ sich von seinem Pressesprecher 1200 Havanna-Zigarren besorgen, bevor er das Embargo gegen kubanische Produkte unterschrieb +++ Karpfen der Art Xyrauchen versuchen ihr Feinde mit Augenrollen zu vertreiben +++ Die Fingernägel wachsen im Leben eines Menschen durchschnittlich 28 Meter +++ Die Teilnahme des japanischen Spielers Naohiro Takahara an der Fußball-WM in Deutschland sorgte in Tansania für Erheiterung. Sein Nachname bedeutet aus Kiswahili „will kacken“ +++ Indien boykottierte 1950 die FußballWM aufgrund eines Barfuß-Spiel-Verbots +++ In Australien 06 | Fakten

wurde eine Krötenart entdeckt, die so groß wie ein kleines Schwein wird und kleine Kälber frisst +++ Am Wochenende ist das Wetter schlechter als an Werktagen +++ Gottesanbieterinnen beißen beim Sex den männlichen Artgenossen oft den Kopf ab +++ Ein kuwaitischer Diplomat in New York bekommt durchschnittlich 246 Strafzettel im Jahr +++ Das Schweizer Militär nennt Brieftauben „selbstreproduzierende Kleinflugkörper auf biologischer Basis mit fest programmierter automatischer Rückkehr aus allen beliebigen Richtungen und Distanzen“ +++ Auf Al Capones Visitenkarte stand „Gebrauchtmöbelhändler +++ Whirlpool heißt auf Norwegisch „Boblebad“ +++ Beim Menschen machen die Hoden ein Tausendstel des Körpergewichts aus. Bei Fischen während der Paarungszeit bis zu einem Drittel +++ Im Schnitt produziert ein Hund täglich 350 Gramm Kot +++ Weibliche Frettchen sterben an Östrogenvergiftungen, wenn sie läufig sind und nicht gedeckt werden +++ Elefanten sind die einzigen Säugetiere die nicht springen können +++ Türken essen doppelt so viel Joghurt wie Deutsche +++ Nur zwei Prozent der Weltbevölkerung ist blond +++ Frauen kleiden sich an ihren fruchtbaren Tagen modischer und freizügiger +++ In Berlin regnet es täglich zehn Tonnen Taubenexkremente +++ Bei den Simpsons ist Gott die einzige Person mit fünf Fingern an den Händen +++ Handys heißen in Schweden „ficktelefon“ +++ In New York gibt es noch Wasserleitungen aus Bambus +++ Die Begriffe Wasserskisportclub, Frankreichtour und Hackentricktorschuss enthalten alle Vokale in alphabetischer Reihenfolge +++ Ein Verkehrszeichen kostet inklusive Montage 350€ +++ Ein Drittel aller Briten weiß nicht genau, welchen Beruf Shakespeare hatte +++ Der 100-jährige Krieg dauerte 116 Jahre +++ Zitronenlimonade enthält künstliche Aromen, Zitronenreiniger muss immer echte Zitronen enthalten +++ Hühnerküken haben einen Bauchnabel +++ Um sein Revier zu markieren, macht ein Pandabär einen Handstand und uriniert so hoch er kann auf einen Baum +++ Am 1. April 1957 sendete die BBC eine TV-Sendung über Sorgen Schweizer Bauern, weil ihre Ernte ihrer Spaghetti-Bäume so schlecht ausgefallen sei. Hunderte Zuschauer meldeten sich daraufhin mit der Frage, wie sie Spaghetti-Bäume anpflanzen könnten. Sie hatten den Aprilscherz nicht verstanden +++ Amsterdam hat eine Zone für Sex unter freiem Himmel eingerichtet. Im Vondelpark darf man zu jeder Abend- und Nachtstunde Sex haben +++

Zusammengestellt von: Samuel Hardenberg Blickwechsel No. 2 | Juli 2008


Grenzgänger

Im Gespräch mit Günter Wallraff

Fall. Aber es ist auch das Thema. Besonders junge Menschen haben ein Gerechtigkeitsgefühl. Sie haben sich noch nicht mit all dem abgefunNiemand hat mehr Missstände aufgedeckt als er. Enthüllungsjournalist Günter Wallraff (65) den, wo Älschleust sich immer wieder in Betriebe ein, um von den teilweise katastrophalen Arbeitsbedin- tere vielleicht sagen, man gungen berichten zu können. Seit den sechziger Jahren arbeitet er mit dieser Methode. Sein Weg könne doch führte ihn dabei von der Redaktion der BILD-Zeitung bis hin zu Industriebetrieben wie Krupp. nichts veränSeine letzten Recherchen führten ihn in ein Callcenter und eine Großbäckerei, die im Auftrag dern, es sei von Lidl arbeitet. Wir trafen ihn zum Interview vor einem Auftritt in einer Talkshow beim NDR. halt so. Jüngere haben da zum Glück noch Erwartungen und wollen die Welt nicht lassen, wie sie ist. Es gibt einen Spruch: Wer will, dass die Welt so bleibt, wie sie ist, der will nicht, dass sie bleibt.

BLICKWECHSEL: Herr Wallraff, wie verfolgen Sie das Desinteresse der Jugend im Hinblick auf Politik, auch mit Auswirkungen wie der Zuwendung zur NPD – vor allem in Ostdeutschland? Günter Wallraff: Ich verfolge das schon, habe aber den gegenteiligen Eindruck, nämlich dass in den letzten Jahren gerade die Jugendlichen wieder mehr soziales Gespür aufweisen. Ich merke das bei meinen Veranstaltungen: Es kommen wieder viel mehr Jugendliche. Das war eine Zeit lang nicht so. Der Osten ist ein Problem für sich. Ich habe fast 100 Veranstaltungen in den letzten Jahren gemacht, gerade in den Gegenden, in denen die Rechtsradikalen sehr beherrschend sind, die Jugendszenen infiltrieren und versuchen zu ködern oder auch mit Druck arbeiten. Wer da nicht bestimmte Symbole trägt, der muss mit Repressionen rechnen. Es wird Gewalt angewendet.Die Ursachen liegen vor allem in der großen Arbeitslosigkeit. Menschen, die keine Zukunft haben und sich ausgegrenzt fühlen und die dann noch ein Bildungsdefizit haben, sind anfällig für solche Rattenfänger. Sie kommen inzwischen geschickter her als früher, keine erschreckenden Glatzen mehr, sondern eher ein Outfit, was so ein bisschen nach Jugendbewegung aussieht. Da sehe ich ganz große Gefahren.

Warum sind die Themen, die Sie behandeln, für Jugendliche wieder interessant? Ich glaube, dass es nicht nur das Thema ist, sondern auch die Herangehensweise. Das heißt die List, mit der ich es schaffe, mich trotz meines Alters als ein Jüngerer einzuschleusen. Ich glaube, das sind auch jugendliche Vorstellungen: Tarnkappen-Effekt, als Schwächerer Stärkeren gegenüberstehen und vor allem das spielerische Element. Das alles spielt mit eine Rolle, dass ich Jüngere erreiche. Das ist eben nicht die knallharte Sozialreportage, und das ist bei meiner Arbeit auch wichtig. Ich habe nie verlernt zu spielen, sonst wäre ich vielleicht schon leicht paranoid, und das Gegenteil ist der www.blickwechsel-hamburg.de


Sie schaffen es immer wieder, sich in Konzerne einzuschleusen. Haben Sie da nicht Angst, entdeckt zu werden? Doch, das ist die einzige Angst, die ich habe. Ich bin sonst ziemlich angstfrei, nicht ganz, aber ziemlich. Aber das verfolgt mich schon, bis in Albträume hinein. Bei der Backfirma von Lidl schien mich jemand erkannt zu haben, etwa nach der Hälfte der Zeit. Der hat aber dichtgehalten und gesagt, gut, dass da jemand ist, der darüber berichtet. Es ist auch viel passiert, sie kriegen jetzt 25% mehr Lohn. Es erfolgte ein zu großer Druck der Öffentlichkeit. Der Unternehmer entschuldigte sich bei den Arbeitern. Das war zwar taktisch bedingt, erst mal klein beizugeben, aber immerhin. Die Unfälle sind gemilderter, und ich werde auch dran bleiben, damit es sich weiter verbessert.

Die Medien haben sich mit dem Internet stark verändert in den letzten Jahren. Zum Guten oder zum Schlechten? Ich sehe mehr positive als negative Erscheinungen. Es müsste aber eigentlich ein Schulfach geben, in dem man lernt, wie man seriöse von anderen Quellen unterscheiden kann. Das Internet wimmelt ja von Verwirrspielen und interessengeleiteten Informationen. Andererseits bleibt Unrecht, wo immer in der Welt es auch geschieht, nicht mehr geheim. Man kann alles erfahren, sogar im hintersten Winkel der Welt und mit einer Schnelligkeit, was früher sehr lange gedauert hat. Aber man muss es richtig nutzen lernen. Richtig angewandt könnte es einmal zu einer basisdemokratischen Entwicklung führen, wie es ja zum Teil schon ist.

Haben Sie jemals daran gedacht, Politiker zu werden? Nee! Ich habe schon zweimal sichere Bundestagsmandate von zwei verschiedenen Parteien angeboten bekommen.

Welche denn? Das möchte ich jetzt nicht verraten. Aber das war nie eine Frage für mich. Man muss sich einer Partei unterordnen, und ich bin Wechselwähler. Manchmal stand ich den Grünen nahe, manchmal der SPD, aber ich behalte mir vor, ihnen jeweils kritisch gegenüberzustehen. Die Linke unter 10% ist auch eine wichtige Kraft.

Sehen Sie Ihre Arbeit denn politisch? Manchmal wünschte ich mir die Privilegien eines Bundestagsabgeordneten. Über die Hälfte meiner Arbeit kommt nicht dem Broterwerb zugute, sondern ist eine soziale Hilfestellung. Ich versuche, mich nützlich zu machen, Anwälte zu besorgen, selber jemandem zur Seite zu stehen, hier und da mich bei einem Unrecht mit einzumischen. Ich wünschte mir, dass ich so etwas wie freies Fahren und Fliegen und vielleicht sogar eine Sekretärin hätte.

Sie werden also durch Idealismus angetrieben und nicht durch Geld? Geld war nie die Versuchung, nie! Auch zu einem Zeitpunkt, als es mir dreckig ging und ich in Fabriken malochte. Es kam ein gut gemeintes Angebot von dem Chefredakteur der IG Metall, der sagte: Hör mal, du ruinierst deine Gesundheit, du kannst Chefreporter beim „Gewerkschafter“ werden (Zeitung der Gewerkschaft). Ich habe gefragt, was dort meine Möglichkeiten wären, und er sagte, Politiker und Gewerkschaftsbosse interviewen. Ich wäre vor Langeweile gestorben, obwohl ich das Dreifache verdient hätte. Von einem Privatproduzenten hatte ich das Angebot, ein „Wallraff TV“ 08 | Grenzgänger

zu machen. Das war schon interessant. Ich hätte das viermal im Jahr gemacht, jeweils mit einem thematischen Schwerpunkt. Das fand er aber uninteressant, er wollte das jede Woche. Aber da gibt es schon andere, die das sehr gut machen Ich könnte das nicht in der Häufigkeit - vielleicht liegt es auch daran, dass ich ein bisschen faul bin.

Glauben Sie, dass Sie Einfluss auf die Politik nehmen konnten? Ich würde sagen, manche Menschen haben sich durch mich ein bisschen engagiert, hier und da Zivilcourage unter Beweis gestellt. Ich treffe immer wieder Menschen, die sagen, deine Bücher haben ganz Entscheidendes bei mir eingeleitet. Ich bin auch ein lebendes Beispiel dafür, dass Literatur zum Handeln bewegt. Ohne die Sachen von Böll, Borchert, Tucholsky, Brecht, die mir unser Deutschlehrer sehr nachhaltig vermittelt hat, wäre ich vielleicht nicht zu dieser Konsequenz meines Handelns in den frühen Jahren gekommen, wie etwa meine Kriegsdienstverweigerung. Ich war davor ziemlich desorientiert, ein Träumer mit meinem introvertierten Gemüt.

Wo sehen Sie den Punkt, an dem Sie den Weg eingeschlagen haben, den Sie heute gehen - war das bei der Bundeswehr? Ja, das war etwas, das man Schlüsselerlebnis nennt. Der Bundeswehr habe ich in der Hinsicht viel zu verdanken! (lacht)

In dem Buch „Der Aufmacher“ berichten Sie über Ihre Zeit bei der „BILD“. Sie erwähnen dort, dass ein einen Zusammenhang gebe zwischen Schreib - und Lebesnstil... Bei der „Bild“ war das eine Redaktion von Kettenrauchern und Säufern. Anders hielten das da etliche nicht aus! In der Zeit habe ich auch noch geraucht. Ich wollte mich dann aber absetzen und bin zu so einem Scharlatan gegangen, der damals für ein paar hundert Euro einem das Rauchen angeblich abgewöhnte. Der Redaktionsleiter machte gegen Geld Schleichwerbung für ihn und sagte: Esser, da gehst du hin. (Esser war Wallraffs Pseudonym bei der BILD) Es war üblich, dass der überall mitverdiente, auch im Rotlichtmilieu. Blickwechsel No. 2 | Juli 2008


Also bin ich da hingegangen, wurde von dem Mann mit einem Apparat geblitzt und war damit angeblich vom Rauchen entwöhnt. Ich erzählte dem Redaktionsleiter, dass es gewirkt habe. Immer wenn er mir eine Zigarette anbot, lehnte ich ab. Damit hatte ich erreicht, dass der Redakteur mich für naiv und blöde hielt, und ich konnte mich dadurch absetzen von der Gruppe.

Sie sprachen von Gruppenverhalten. Was sagen Sie zu den Fahnen, die man jetzt überall an den Autos sieht? Bei der WM `06 wollte man daraus einen neuen Patriotismus machen. Ich meine, wenn die Kinderchen mit ihren Fähnchen rumlaufen, das ist doch was Nettes. Aber man ordnet seine Identität unter. Ich bin auch nie einer roten Fahne hinterhermarschiert und hatte immer Probleme solchen Fetischen gegenüber. Ich habe eine Fahnenstange im Garten und habe oft überlegt, was hängst du denn da hin? Peace-Fahne, die Regenbogen-Farben, irgendwas Übergeordnetes. Das Schlimmste ist doch, wenn Menschen hinter einer Fahne hermarschieren. Nationalstolz ist etwas Ähnliches. Wer nichts Eigenes hat, worauf er stolz sein kann, braucht etwas Übergeordnetes. Das hat etwas sehr Trauriges. Der

Info

Der Aufmacher: Der Mann, der bei BILD Hans Esser war Taschenbuch – 274 Seiten Kiepenheuer & Witsch, Köln 1977. Ich - der andere: Reportagen aus vier Jahrzehnten Taschenbuch – 176 Seiten Kiepenheuer & Witsch, Köln 2002.

www.blickwechsel-hamburg.de

Info

www.guenter-wallraff.com

muss sich dann aber auch mit den negativen Seiten identifizieren und sich bewusst sein, dass wir nicht nur Dichter und Denker, sondern auch Richter und Henker hatten.

Kann das nicht auch eine Chance darstellen? Zum Beispiel das „Public Viewing“ wo man sieht, dass sich auch Immigranten mit diesem Land identifizieren? Das tun sie aber meistens nicht. Unglücklich wäre, wenn die Türkei Europameister wird. Da lebt wirklich ein so übertriebener Nationalstolz, das wird denen in den Schulen in die Köpfe geimpft. Und in den kurdischen Gebieten wird zur Demütigung der Kurden in die Felswände und in die Felder reingeschrieben „Ich bin stolz darauf, Türke zu sein“. Mein Gott, das ist übertrieben und schadet eigentlich dem Ansehen der Türkei!

Also Sie sehen das nicht als besonderes Problem Deutschlands, mit seiner zum Teil dunklen Vergangenheit, sondern als internationales Problem. Genau. Wenn die Franzosen sagen, ihr habt kein Nationalgefühl, sage ich, vielleicht haben wir euch ja etwas voraus. Vielleicht sind wir schon einfach ein bisschen internationaler. Wir haben nämlich ein hoch entwickeltes Umweltbewusstsein und eine Antikriegshaltung, die erreicht hat, dass der Schulterschluss mit den Amerikanern aufgekündigt wurde. Vielleicht haben wir das nicht mehr nötig und gehen in Richtung einer Weltgemeinschaft.

Sind Sie denn überzeugter Europäer? Also sagen wir so, als Deutschland eine Identität abverlangt wurde, hab ich immer gesagt, ich bin eigentlich Europäer. Jetzt wo Europa in den Vordergrund gestellt wird, versuche ich, Weltbürger zu sein. Ich bin aber auch Regionalist. Da, wo ich wohne, in Köln-Ehrenfeld, fühle ich mich wirklich wohl, ein sehr gemischtes Viertel. Ich versuche immer, den Bogen zu spannen zu anderen Kulturen. Die Menschen, die vergleichen können, die in zwei Kulturen aufgewachsen sind, die sich daraus positive Aspekte zu eigen machen können und negative Seiten hinter sich lassen können - das sind für mich die Menschen der Zukunft.

Jetzt haben wir kaum noch Zeit. Gibt es etwas, was Sie uns jungen Menschen mitgeben wollen? Seid nicht zu cool! Das Coole gilt immer als Schlagwort, das muss man sein. Zeigt Gefühle, Mitgefühle, Leidenschaft, Empathie und Neugierde! Zivilcourage und sich für Schwächere einsetzen!

Vielen Dank für diese Botschaft und das Interview!

DIE FRAGEN STELLTEN: Felix Behrens, Nina-Marie Kühn & Lukas Stolz Grenzgänger | 09


Gesellschaft

Mexiko - Es reicht! / Kein Öl mehr / Zimbabwe - Freiheit?

¡Ya Basta! Eine andere Welt ist möglich. Sie kommen aus dem Lakandonischen Urwald in Chiapas (Mexico) und erklären, Ya Basta („Es reicht“) und Eine andere Welt ist möglich. Sie sind maskiert, tragen Gewehre und reiten auf Pferden. Man sieht sie, die Guerilleros der EZLN (Ejército Zapatista de Liberación Nacional, deutsch: „Zapatistische Armee der Nationalen Befreiung“) und ertappt sich dabei, den Che Guevara der Moderne dort zu suchen. Sie sind das Ideale Bild eines jeden linken Romantikers, der,

dern zielen auf den allmählichen Aufbau einer andersartigen Macht von unten. International Bekannt wurde die EZLN und ihre Guerilleros am 1. Januar 1994, dem Tag des Inkrafttretens des nordamerikanischen Freihandelsabkommens NAFTA. Maskierte Guerilleros besetzten gleichzeitig fünf Bezirkshauptstädte, erklärten der mexikanischen Regierung den Krieg und ihren Willen, bis nach MexikoStadt zu marschieren. Nach 12 Tagen Kämpfe boten sie der

revolutionäre Abenteuer suchend, seine verstaubten Träume auf sie projizieren kann. Und doch ist an diesen rätselhaften Gestalten etwas anders. Sie streben nicht nach Macht, um so die Welt zu verändern – nein, sie wollen jedem einzelnen Macht geben: Wir kämpfen nicht um die Macht, sondern gegen die Macht! so die Parole der Zapatisten. Sie wollen keine neue Führung, sie wollen gar keinen Führer mehr. Sie wollen nicht nur Reden schwingen und debattieren, sie wollen Handeln. Sie wollen frei von Ideologien und vorgefertigten systempolitischen Zielen die leeren Begriffe von Demokratie, Freiheit und Gerechtigkeit („Democracia, Justicia, Libertad“) mit neuem Leben füllen. Im Gegensatz zu anderen Guerillabewegungen wollen die Zapatisten nicht die Macht im Staat übernehmen, son-

Regierung einen zeitlich unbegrenzten Waffenstillstand an und unterzeichneten 1996 die Friedensverträge von San Andrés, die weitgehende Autonomierechte für die indigene Bevölkerung Mexikos vorsehen. Allerdings wurde der Inhalt der Friedensverträge bisher von der mexikanischen Regierung nicht wie vereinbart in Gesetzesform gegossen, weshalb die EZLN seit August 2003 in Teilen von Chiapas eine de-Facto-Autonomie umsetzt. Dazu kommt, dass seit dem Friedensabkommen reguläre Soldaten sowie rechte paramilitärische Trupps immer wieder blutige Überfälle auf Zapatista-Territorium durchführen. Diese gipfelten im Überfall rechtsgerichteter Paramilitärs in Acteal am 22. Dezember 1997 auf eine zum Gottesdienst versammelte Gemeinde. Bei dem als „Massaker von Acteal“ bekannten Überfall

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Blickwechsel No. 2 | Juli 2008


töteten die Angreifer 45 Menschen, darunter Kinder und schwangere Frauen. Diese Angriffe gehören zu einer Strategie, durch welche die EZLN und die Bevölkerung Chiapas durch wiederholte Angriffe aufgerieben werden soll. Um nicht in Vergessenheit zu geraten und ihre Existenz und ihre Sicherheit zu gewährleisten richtet sich ihr charismatischer Sprecher (nicht Führer) Subcommandante Marcos immer wieder mit poetischen Botschaften an die Welt. Insbesondere durch die geschickte Nutzung des Internet erreichen die Zapatisten so eine Aufmerksamkeit und eine Bedeutung weit über Mexiko hinaus. Durch den Aufbau alternativer, autonomer (unabhängiger) und freier Strukturen sowie die faktische Gewaltfreiheit, die alle Elemente der zapatistischen Revolte sind, können sich weite Teile der globalisierungskritischen Bewegung mit den Zapatisten identifizieren. Wie diese fordern die Zapatisten Selbstbestimmung des Menschen und rufen zum weltweiten Kampf gegen die neoliberale Globalisierung auf. Ein wesentliches Motto der Zapatisten lautet Fragend gehen wir voran und bezeichnet sehr treffend das Verhältnis zwischen Theorie und Praxis. Sie reden nicht nur, sondern versuchen ihren selbstgesteckten Zielen gerecht zu werden. Sie leben ein anderes Zusammenleben bereits in ihren autonomen Gebieten vor. Aktuell ist die EZLN eine passive Miliz, die im Gegensatz zu 1994 nicht ständig unter Waffen ist, aber sofort mobilisiert werden kann. Vielmehr liegt der

gegenzutreten. Zur Autonomie gehören der Aufbau eines regierungsunabhängigen Gesundheits- und Bildungssystems, einkommen schaffende Projekte wie Kaffeplantagen und Schuhfabriken sowie Infrastrukturprojekte.

Wert heute darauf, ihre Ziele der „Macht von unten“ praktisch zu erproben und umzusetzen: Ihre Autonomen Gebiete teilten sie in fünf regionale Verwaltungszentren („Caracoles“), in denen die „Juntas der Guten Regierung“ ihren Sitz haben. Die Juntas der Guten Regierung verstehen sich als rotierende (also stets wechselnde), basisdemokratische (also direkte Demokratie, in der alle Entscheidungen von den Betroffenen selbst beschlossen werden) Organe, die für alle Belange der jeweiligen Region zuständig sind und auch die Anliegen von Anwohnern bearbeitet, welche nicht zapatistisch sind. Die Zapatisten erklärten den Aufbau der Autonomiestrukturen zum strategischen Schritt, um der ihrer Meinung nach ignoranten, offiziellen Politik gegenüber der indigenen Bevölkerung Mexikos ent-

Aber ich glaube man sollte aufpassen, nicht so dahin zu schmelzen und sich dieser Revolutionsromantik hingeben. So ist keinem geholfen, nicht den Zapatisten und keinem anderen. Aber wir sollten die zentralen Anliegen erkennen und diskutieren. Die Frage nach einem neuen, nicht nach Macht und Profit orientierten System ist dringend notwendig zu stellen, da wir als mündige Bürger keinen Einfluss mehr haben auf die politische Elite. Jedenfalls wenn wir „nur“ einmal in 4 Jahren Kreuze machen gehen und uns nicht nach neuen Mitteln der Mitsprache umsehen. Halten wir uns an die Zapatisten und denken neu und voller Idealismus über Demokratie, Freiheit und Gerechtigkeit nach. Lasst uns nicht vergessen, was die Zapatisten sich auf die Fahnen schreiben: Eine andere Welt ist möglich.

www.blickwechsel-hamburg.de

Daniel Schmidt

*1989

12. Klasse der Waldorfschule Hamburg-Wandsbek. Engagiert sich seit langem für die Frage nach gesellschaftlichen Alternativen. Momentan starke Auseinaderstezung mit den Zapatistas und dem Neoloiberalismus.

Ich schaue mir dieses Treiben mit einer gewissen Faszination des fremden, abenteuerlichen und heldenhaften an. Aber ist es nicht nur ein verträumter, verklärender Blick auf etwas was dort vielleicht gut funktioniert aber hier unmöglich ist? Bin ich nicht auch so ein Abenteuer suchender, träumender Linker? Ich denke, ohne dieses Träumen könnte ich gleich in einem unpolitischen Denken verschwinden und mich den realen, ausschließlich nach Macht strebenden politischen Verhältnissen aufgeben. Ich bewundere die Zapatisten für ihren Mut und ihre Opferbereitschaft für eine bessere Welt. Sie müssen leiden unter den Angriffen der rechten Paramilitärs, aber halten durch für ihren freiheitlichen Traum.

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I

n den letzten Wochen machte es sich vor allem an den Tankstellen bemerkbar, dass es langsam knapp wird. Zwar nicht morgen, aber in absehbarer Zeit wird der Stoff, auf dem die Industrie und eigentlich unsere ganze Mobilität beruht, einfach nicht mehr da sein. Weite Teile unserer Zivilisation

TEXT: Lukas Stolz

Es gibt kein Öl mehr auf dieser Welt!

Die zur Neige gehenden Ölvorkommen zwingen uns umzudenken.

sind aufgebaut auf das schwarze Gold. Was passiert also, wenn es verschwunden ist? Die Landwirtschaft würde wieder auf Pferde umsatteln, nach Amerika käme man nur noch per Segelschiff, die Autobahnen erinnerten, einem Friedhof gleich, an vergangene Zeiten, Pakete bräuchten Wochen quer durch Deutschland, Bananen und Kokosnüsse blieben in ihrer Heimat, kurz, nichts ginge mehr. Da aber noch ein bisschen Zeit übrig bleibt bis zu dem Tag, an dem das letzte Tröpfchen Öl verpufft wird, werden Alternativen entwickelt. Ein paar interessante Gefährte, Technologien und Projekte, auf die wir in Zukunft angewiesen sein werden, wollen wir euch hier vorstellen. Dass die neuen Technologien greifbarer sind, als viele vielleicht denken, beweist die Tatsache, dass alle großen Autohersteller intensiv an Elektroantrieben für ihre Fahrzeuge arbeiten. In London wird bereits eine Elektro-SmartFlotte von 100 Gefährten getestet. Das Projekt soll bei erfolgreichem Verlauf später auch auf andere Ballungsgebiete der Welt ausgeweitet werden. Das Elektro-Auto ist zwar etwas teurer als das herkömmliche Modell, dafür sind die laufenden Kosten geringer, und es muss keine Maut an die Stadt bezahlt werden.

Der Motor leistet 41 PS, die Höchstgeschwindigkeit liegt bei 112 km/h und die Reichweite bei etwa 115 km, für den Stadtgebrauch also ausreichend. Die 136 Kilo schwere Batterie ist nach 8 Stunden wieder vollständig aufgeladen, für 80% braucht man nur 4 Stunden. Ein „voller Tank“ kostet dann ca. 2 Euro, bei einem Ottomotor wären es ca. 10 Euro. Hoffen wir also, dass dieser Idee Erfolg beschieden wird und wir auch bald in Hamburg davon Gebrauch machen können! Rund 10% ihres Einkommens geben Deutsche für Strom, Gas und Heizöl aus. Dieser Anteil wird noch weiter wachsen, sattelt man nicht auf neue Wärmeerzeuger um: Geothermie, die in der Erdkruste gespeicherte Wärme, wird immer mehr zum Heizen von Häusern benutzt. Sie lässt sich aber auch zur Energiegewinnung nutzen. Zum Fliegen gibt es bisher kaum praktische Alternativen. Deswegen wurde Atmosfair gegründet. Die Idee ist, dass Passagiere freiwillig für jeden Flugkilometer eine „Entschädigung“ zahlen und so den Aufbau von regenerativen Energieerzeugern fördern, wie Solar-, Wind- und Wasserkraftwerken. Auf der Website von Atmosfair gibt es auch einen Emissionsrechner, der die Schädlichkeit eines Fluges berechnet. Beispiel: Hin- und Rückflug nach Mallorca setzen pro Person etwa 860 kg CO2 frei. Zum Vergleich: Ein Kühlschrank „verbraucht‘‘ im ganzen Jahr etwa 100 kg CO2, ein Auto etwa 2000 kg CO2 bei 12.000 km. Das klimaverträgliche Jahresbudget eines Menschen liegt jedoch bei 3.000kg CO2 ! Schon ein Fünftel der weltweit genutzten Elektrizität wird aus Wasserkraft produziert. Allerdings oft mit verheerenden Folgen, wenn Riesenprojekte wie der Drei-Schluchten-Staudamm in China gebaut werden. Es geht aber auch anders: Kleinere Flusskraftwerke, deren Voraussetzung ein Gefälle ist, sind die schonende Alternative zu den großen Dämmen. Die durch das Gefälle vorhandene Energie wird mittels Turbinen in Strom umgewandelt. In Geesthacht beispielsweise ist zwar kein Gefälle vorhanden, dafür aber Nachts zuviel Strom, der nicht ins Netz eingespeist wird. Mit dieser überschüssigen Energie wird Wasser in einen höher gelegenen See gepumpt – und tagsüber fließt es durch Turbinen wieder hinunter und erzeugt somit Strom. Die Pumpen werden inzwischen auch mit Sonnen- und Windenergie angetrieben. Dank dieser guten Ansätze ist eine Wende in der Energie- und Ressourcenpolitik noch möglich, doch es ist notwendig, dass diese Ideen weiter unterstützt und umgesetzt werden. Zum Beispiel mit dem Wechsel zu einem Ökostrom-Anbieter oder mit dem Kauf eines Elektrofahrzeugs. Denn nicht zuletzt werden bereits Kriege um Rohstoffe – und vor allem um Öl – geführt.

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S

imbabwe liegt im Süden von Afrika. Es ist eines der ärmsten Länder auf diesem Planeten und hat mit über 100.000 Prozent die höchste Inflationsrate der Welt. Von den etwa 11 Millionen Einwohnern sind 80% arbeitslos. Die Menschen hungern, da es kaum Lebensmittel gibt, die sie

TEXT: Inga Schulz

Freiheit in Simbabwe?

Ein Land zwischen Diktatur und Demokratie.

kaufen könnten, auch wenn sie genügend Geld hätten. Ausländische Beobachter sagen, dass Robert Mugabe, der Präsident Simbabwes, das Land heruntergewirtschaftet habe, obwohl es reiche Rohstoffvorkommen hat. Am 29. März dieses Jahres fand die Präsidentenwahl statt, bei der die Einwohner Simbabwes die Chance gehabt hätten, einen neuen politischen Führer zu wählen, der das Land aus der Krise hätte führen können. Diese Wahl war allerdings genauso unfrei und verfälscht wie die vorigen fünf auch. Schon seit 1960 ist Mugabe in Simbabwe politisch aktiv, aber erst 1980 wurde

1987 wurde er schließlich Präsident, gleichzeitig schaffte er das Amt des Vizepräsidenten ab. Durch seine völkerrechtswidrigen Handlungen geriet Mugabe weiter in Verruf. Nach den letzten Wahlen, im März 2007, wurde die Bekanntgabe der Ergebnisse einen Monat lang hinausgezögert, die ersten Hochrechnungen sagten einen Sieg Morgan Tsvangirais von der „Movement for Democratic Change Partei‘‘ (MDC) voraus. Simbabwes Noch-Präsident zeigte sich daraufhin nicht mehr in der Öffentlichkeit, und manche gingen schon davon aus, dass er sich komplett zurückziehen oder ins Exil gehen würde. Doch einen Monat nach der Wahl erklärte er, dass keiner der beiden Kandidaten die absolute Mehrheit gewonnen habe, und ordnete daraufhin eine Stichwahl an, die auf Ende Juni angesetzt wurde. Bis dahin schüchterte er weiter Menschen ein, die Tsvangirai wählen könnten. Dieser floh daraufhin sicherheitshalber ins Ausland. Wieder in Simbabwe, wurde er unverzüglich festgenommen und inhaftiert – und nach einiger Zeit wieder freigelassen. Doch Mugabes

er Ministerpräsident. Zu dieser Zeit sagte er, man müsse mit den Weißen, unter deren Kolonialherrschaft die Simbabwianer zuvor gelitten hatten, zusammenarbeiten. Mugabe schaffte es sogar, eines der besten Bildungssysteme Afrikas in Simbabwe aufzubauen. Bald darauf aber begann er Mitglieder einer anderen Partei umbringen zu lassen. Wahrscheinlich, weil sie seinen damaligen Gegner unterstützten.

Gewaltbereitschaft spiegelte sich in noch weiteren Aktionen vor der Wahl wider: Als man 16 zu Tode gefolterte Anhänger der MDC fand, vermutete man stark, dass Mugabes Partei dafür verantwortlich sei. Außerdem ist Tandai Biti, die zweitwichtigste Person in der Oppositionspartei, u.a. wegen Hochverrats angeklagt, ihm droht die Todesstrafe. Kurz vor der Wahl nun müssen die Einwohner ihre Satellitenschüsseln abbauen, da sie keine Informationen der Oppositionspartei empfangen dürfen. Bei der Stichwahl ist es Polizisten und Soldaten nur genehmigt zu wählen, wenn Vorgesetzte bei ihrer Wahl dabei sind. All diese „Maßnahmen‘‘ sind offensichtliche Verbrechen gegen die Menschenrechte. Ich wünsche den Menschen in Simbabwe, dass in Zukunft mit Tsvangirai ein gerechterer Präsident regieren wird und dass Mugabe sich letztendlich vor dem internationalen Gerichtshof in Den Haag verantworten muss.

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Gesellschaft | 13


Einblick

Rückblick Vergangenes aus den Schulen in Hamburg.

Oberstufenkonzert in Harburg Am 7. & 8. März 2008 war es in der Rudolf-Steiner-Schule Hamburg-Harburg wieder so weit. Das jährliche Oberstufenkonzert fand statt. Auch dieses Jahr gab es wieder auf verschiedenen Bereichen was für die Ohren. Chor und Orchster boten gemeinsam einige Auszüge aus der Oper „Carmen“ dar. Hierzu gab es anfangs mehrere Rhythmen von der Trommelgruppe welche dies mal ihre Teilnehmerzahl auf über 30 Schüler ausweitete. Auch dieses Jahr war es wieder ein voller Erfolg!

Unter dem Milchwald – Klassenspiel der 12. Klasse Bergstedt „Unkonventionell und kurzweilig“ trifft es wohl ganz gut. Das Stück gewährte Einblick in den Tagesablauf der Bewohner eines kleinen Dorfes, mit ihren Ticks und Angewohnheiten. Nicht auf eine durchgehende Handlung im klassischen Sinne kam es an, sondern auf den Moment, der vor allem vom Witz lebte. Mehrere musikalische Einlagen (Gesang, Gitarre und Rhythmus à la Stomp) spickten das Ganze und wurden mit mächtigem Applaus honoriert. Auch das, bei Klassenspielen nicht unbedingt garantierte, hohe schauspielerische Niveau trug zur Qualität der beiden Abende bei. Erfrischend!

We got Rythm! Das etwas andere Chorkonzert „Broadway-Life Live“ am 29. April 2008 in der Rudolf-Steiner-Schule Hamburg-Wandsbek Das mit diversen Tanzeinlagen und Medleys präsentierte Chorkonzert der 9. und 10. Klassen bescherte allen Zuhörern und -schauern einen abwechslungsreichen, unterhaltsamen Abend. Spätestens beim Auftritt der Bigband der Schule kam echtes Broadway-Feeling auf – und beim Drummer-Solo geriet der Saal schier aus dem Häuschen. Ein flotter Abend für alle Generationen – einige sah man auf dem Nachhauseweg beschwingt über die Straße tänzeln ...

Dornröschen – Eurythmieabschluss der 11. Klasse Bergedorf Ein leichtes, dunkles Rot erhellt die Bühne und mit den ersten Klaviertönen bewegen sich die jungen Eurythmisten auf die Bühne. Sie bewegen sich anmutig zu den Klängen eines Stückes von Tschaikowsky. Immer wieder führen ihre Wege zusammen, doch man sieht den Zwiespalt, den Zorn, aber auch die Zärtlichkeit der Musik in den Bewegungen. Die letzten Töne verklingen, das Licht wird dunkler, und der zweite Part des Eurythmie-Abschlusses beginnt. Mit wunderschönen Gewändern und Bewegungen wird die Geschichte von Dornröschen erzählt. Mit Witz und Leichtigkeit bewegt sich die Klasse auf der Bühne und bringt so das Publikum zum Schmunzeln. Ein kräftiger Applaus belohnt die lange und harte Arbeit der 11. Klasse. 14 | Einblick

Blickwechsel No. 2 | Juli 2008


WaldorfSV – Kreative Plattform und Netzwerk als Impulsgeber für die deutschen WaldorfschülerInnen und Schulen

„Ich kann meine Schule nicht mehr sehen!“ Auch an einer Waldorfschule fällt dieser Satz immer mal wieder. Aus allen möglichen Gründen kann einem die eigene Schule mal für eine Zeit auf die Nerven fallen. Doch was sagen einem Freunde und Eltern dann „Nun, das geht jedem mal so...“ sicherlich, das ist auch richtig. Aber warum sollte man sich das dann antun, wenn es auch anders geht? Einfach mal für eine Weile auf eine andere Waldorfschule gehen, mal etwas anderes sehen, rauskommen. Das ist die Idee hinter dem Bundesweiten Waldorfschüleraustausch der WaldorfSV (Bundesweite Waldorfschülervertretung). Ab nächstem Schuljahr soll es möglich sein, so die eigene Schule teilnimmt, eine Epoche an einer anderen Waldorfschule und in einer Gastfamilie zu verbringen. „Wer eine Reise tut...“ das Sprichwort kennen sicher viele, es ist ja auch nichts neues, wer Reist, wer neues erlebt dessen Horizont erweitert sich. Aber es muss ja gar nicht immer weit in die Ferne gehen, auch innerhalb von Deutschland lassen sich viele Erfahrungen sammeln. Das ist – neben de m Effekt für den Einzelnen – die zweite Komponente des Austauschs. Gute Ideen an seine eigene Schule mitbringen, Konzepte vergleichen, sehen wie anderswo unterrichtet wird. Der Austausch selbst wird über eine Internetseite ablaufen. Über eine einfache Suche wird man hier herausfinden können, wann welche Schule welche Epoche anbietet.

Sobald die richtige Epoche gefunden ist, muss man sich nur noch anmelden und die Bearbeitungsgebühr von fünf Euro zahlen, den Rest erledigt das Austauschteam. Ein paar Wochen später bekommt der oder die Teilnehmer/in dann einen Zeugnisvordruck für die Epoche, die Adresse ihrer Gastfamilie (so sie keine eigene vorgeschlagen hat) und eine Bestätigung über den Austausch. Direkt mit Beginn des nächsten Schuljahres wird in allen Bundesländern die Werbung für den Austausch anlaufen in der Hoffnung, dass sich möglichst viele Schulen beteiligen. Um teilnehmen zu können muss die Schule ihren Epochenplan zur Verfügung stellen sowie die die Teilnahmebedingungen unterschreiben. Der Austausch wird vorerst nur für die Klassen 8-11 angeboten. Ihr würdet auch gerne mal was neues sehen und trotzdem weiter Schule haben? Schaut nach den Ferien WaldorfSV – Bundesvertretung mal unter www. der Waldorfschüler waldorfsv.de nach oder fragt in Euhttp://waldorfsv.de rer Schule ob die Info@waldorfsv.de TeilnahmeunterNächste Tagung: lagen schon da 14. - 16. November 2008, sind!

Info

Berlin

Info

WaldorfSV...

... BwSABundesweiter Schüleraustausch.

Faust – wir wagen es Das Werk: Komplex /// facettenreich /// aussagekräftig Die Inszenierung: 44 Darsteller /// 15 Betreuer /// 7 Stunden Das Projekt: Aufregend /// umfangreich /// größenwahnsinnig Die Bühne: 600 Meter Latten, 3000 Schrauben, 25 Liter Leim Das Marketing: 10 000 Flyer, 50 Plakate, 1 Website Die Kostüme: 200 Teile ,150 m2 Stoff, 500 Rollen Garn FAUST – und wir wagen es! Die 12. Klassen der Waldorfschule Wandsbek haben es gewagt: Vier Tage lang, von Donnerstag, dem 29. Mai, bis Sonntag, dem 01. Juni 2008, stand alles unter dem Motto: FAUST – der Tragödie erster und zweiter Teil. Für diejenigen, die es verpasst haben, gibt es einen Trost: Es gibt noch einige Exemplare der 90-seitigen Dokumentation zu dem Projekt – Bestellungen an faustprojekt@gmail.com oder auf der Website: faust12.de www.blickwechsel-hamburg.de

Einblick | 15


Was ist Waldorfpädagogik?

Teil II: Waldorfpädagogik als Erziehung zur Freiheit

1. Freiheit durch Vielfalt Unser Nachbarskind mag den Handarbeitsunterricht am liebsten, ihre Schwester freut sich besonders auf Rechnen oder Sport. Das Prinzip der Allgemeinbildung ist in der Waldorfschule von Anfang an vorhanden. Die Fächervielfalt im theoretischen und praktischen Bereich bietet eine Fülle von Möglichkeiten, aus der sich jedes Kind, jeder Jugendliche das aussuchen kann, was er mag oder woran er arbeiten möchte – Geistes- oder Naturwissenschaft? Eurythmie oder Sport? Handwerk oder Kunst? Oder beides? Der Entfaltung von

Im folgendem Text wird die Autorin, Mona Doosry, Lehrerin für Deutsch und Kunstgeschiche an der RudolfSteiner-Schule Hanburg-Wandsbek, versuchen, einen kleinen Einblick in die Grundlagen der Waldorfpädagogik zu geben. Der Artikel erscheint in drei Teilen. In dieser Ausgabe nun Teil II.

Freiheit ist ein hohes Gut. Im Alltagsleben mit seinen Pflichten

und Zwängen sehnen wir uns häufig danach: Einmal das machen, wozu wir Lust haben; im Moment aufgehen, Sport treiben, Musik hören oder die Natur genießen ... und dabei unbeschwert und glücklich sein. Neben diesem Freiheitsgefühl gibt es die Sehnsucht nach Freiheit als einem Ideal. Viele Menschen kämpften und kämpfen um ihre geistige Freiheit und nehmen dabei körperliche Unfreiheit in Kauf. Freiheit bedeutet für sie, sagen zu können, was sie denken, eigene Entscheidungen zu treffen und ohne familiäre, kirchliche oder staatliche Bevormundung zu handeln. Diese Form der Freiheit setzt allerdings einiges voraus: eine starke, selbstbewusste Persönlichkeit; die Fähigkeit, sich von der Meinung anderer unabhängig zu machen und eigene Urteile zu bilden; die Bereitschaft, nicht nur für sich, sondern aus Verantwortung für andere Menschen zu handeln. Eben um diese Voraussetzungen geht es der Waldorfpädagogik, wenn sie als Erziehung zur Freiheit verstanden werden will. Die wesentlichen Grundzüge dieses Erziehungsideals möchte ich im Folgenden skizzieren.

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Fähigkeiten sind kaum Grenzen gesetzt. Und doch: Bei allen Vorlieben gilt es auch, an den zunächst unliebsamen Fächern teilzunehmen und dadurch einseitige Fähigkeitsbildung zu verhindern. – Ich kann nicht singen, aber ich kann es lernen ...! Alle Kräfte sollen angeregt, der ganze Mensch soll angesprochen werden. In der Oberstufe könnte die frei gewählte Vertiefung hinzukommen. In der Waldorfschule HamburgWandsbek ist ein Anfang gemacht: Hier können sich die Schüler ab der 11. Klasse aus sechs handwerklich-künstlerischen Fächern drei aussuchen, in der 12. Klasse stehen im Fachunterricht Pädagogik, Musik und Ethik zur Auswahl; außerdem besteht zweimal im Jahr die Möglichkeit, zwischen verschiedenen Epochen zu wählen. Rudolf Steiner geht in seinem Menschenbild von der Selbstentwicklung des Kindes und Jugendlichen aus, durch den allgemeinbildenden Unterricht wird man sich seiner Stärken und Schwächen und damit seiner selbst bewusst; wie oben bereits ausgeführt, ist das eine wichtige Voraussetzung für ein Handeln in Freiheit.

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2. Freiheit durch Kunst Am Beispiel der Kunstanschauung Friedrich Schillers möchte ich zeigen, worauf es hier ankommt: Nach Schiller ist der Mensch dann unfrei, wenn er nur dem folgt, was Vernunft und Pflicht ihm vorschreiben, wenn er einseitig dem sogenannten „Formtrieb”, d. h. dem Denken folgt. Er ist ebenso unfrei, wenn er hauptsächlich seinen Neigungen nachgibt und nach Lust und Laune handelt; er verschreibt sich dann dem „Sachtrieb”, also dem Drang, die Welt mit allen Sinnen zu erfahren. Wir merken, dass beide Seiten zum Menschen dazugehören und für das Dasein notwendig sind. Wir erleben aber auch, dass „Kopf- und Bauchmensch” meistens in Konflikt miteinander geraten – einfacher ausgedrückt: Soll ich Schularbeiten machen oder Geige üben oder lieber den Wunsch ausleben, auf dem Sofa zu liegen, Schokolade zu futtern und fernzusehen? In der Kunst werden, so Schiller, die Zwänge der einseitig ausgeübten Triebe aufgehoben, indem ich den Stoff, das Material, zu dem mich mein Sachtrieb drängt, mittels des Formtriebes, also aus der Idee heraus, gestalte. Wenn ich zum Beispiel plastiziere, aus dem Ton ein Objekt herausarbeite, bin ich mit beiden Trieben gleichermaßen tätig und dadurch in einem ausgeglichenen, von den Zwängen befreiten Zustand. Ein Kunstwerk, eine lebendige Gestalt entsteht, die Materielles und Ideelles miteinander vereint. Künstlerisch tätig sein heißt also: Freiheit erüben. Deswegen nehmen die vielfältigen künstlerischen Fächer in der Waldorfschule einen so großen Raum ein.

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3. Freiheit durch Erkenntnis Will ich frei handeln, so wurde bereits ausgeführt, muss ich die Motive meines Handelns selber bestimmen; dafür aber ist es notwendig, dass ich die Situation, in der ich als Handelnder stehe, durchschaue. Ich muss mir ein Urteil darüber bilden und daraus einen Beweggrund für mein Handeln ableiten. Es ist das wesentliche Prinzip des Epochenunterrichtes in der Oberstufe, die Urteilskraft der Jugendlichen anzuregen und auszubilden, häufig gerade dadurch, dass die Inhalte, die in der Unter- und Mittelstufe gefühlsmäßig und durch eigenes Tun aufgenommen worden sind, gedanklich durchdrungen werden. Zentrale Epochen in der dritten Klasse sind z.B. die Ackerbau- und Hausbauepoche, die inhaltlich in verwandelter Form noch einmal in der zehnten Klasse auftreten, wenn die Entwicklung vom Nomadentum bis hin zur Sesshaftwerdung behandelt wird. Je höher die Klassenstufe, umso wichtiger das eigenständig gewonnene und begründete Urteil.

4. Freiheit durch Sozialität Waldorfschüler lernen und leben von der ersten bis zur zwölften Klasse in einem festen Klassenverband. Das hat die Gefahr, dass allzu feste Verhaltensweisen eingeschliffen und einmal eingenommene Rollen nicht wieder aufgegeben werden können. Wenn es gut läuft, ist mit diesen gemeinsamen Jahren aber auch ein sozialer Lernprozess verbunden, der in Auseinandersetzungen und im Vertreten eigener Positionen ebenso seinen Ausdruck findet wie im Üben von Toleranz und Rücksichtnahme. Was aber hat das mit Freiheit zu tun? Wenn ich lerne, eine Haltung den anderen gegenüber einzunehmen, wenn ich Erfahrungen mit den verschiedensten Formen der Menschenbegegnung habe, dann ist damit auch der Rahmen abgesteckt, in dem ich später tätig bin: als möglichst frei Handelnder innerhalb einer Menschengemeinschaft, für die ich Verantwortung übernehme.

Einblick | 17


5. Freiheit durch projektorientiertes Lernen Bei jeder bewusst durchgeführten Handlung geht es letztlich darum, Ideen zu verwirklichen, dabei Fehler zu machen, aus den Fehlern zu lernen und eben daran neue Ideen zu bilden, die wiederum nach Verwirklichung drängen ... Beim projektorientierten Lernen und Handeln steht eben dieser Prozess im Vordergrund. Die Jahresarbeit zum Beispiel könnte man als „Ich-Projekt” bezeichnen; schließlich geht es darum, ein selbst gewähltes Thema selbstständig auszuarbeiten und das Ergebnis der (Schul-)Öffentlichkeit zu präsentieren. Das Klassenspiel, besonders in der zwölften Klasse, ist wohl eher als ein „Wir-Projekt” zu verstehen, denn das Ziel wird in Gemeinsamkeit verfolgt, jeder der Teilnehmer trägt mit seinem Schauspiel, mit seiner Arbeit am Bühnenbau, an den Kostümen, am Programmheft zum Gelingen des Ganzen bei. Dies alles geschieht aber in einem Rahmen, in dem man Fehler machen darf (und soll) und durch die begleitenden Lehrer entsprechende Hilfe erhält.

Mona Doosry

Noch einmal zusammengefasst: Freiheit heißt, dass ich aus mir

selbst heraus tue, was mir sonst andere vorschreiben würden. Ich handle dabei mit individueller Prägung aus meinen eigenen Ideen, aus Verantwortung für die Welt und andere Menschen. Wenn Waldorfpädagogik sich als Erziehung zur Freiheit versteht, so bezeichnet sie damit ein Ideal, dem in der Praxis manches entgegensteht, ja sogar widerspricht, wie zum Beispiel die verschiedenen Abschlussprüfungen in der Oberstufe, die das staatliche Bildungswesen von uns verlangt. Dessen ist sich auch Rudolf Steiner bei der Gründung der Waldorfschule bewusst gewesen. Dennoch lohnt es sich, an diesem Ideal festzuhalten, das sich unter anderem auch in dem Grundsatz Rudolf Steiners wiederfindet, dass jede Erziehung Selbsterziehung im umfassenden Sinne sei. Für das kleine Kind bieten der Erwachsene und später der Lehrer und der Unterrichtsstoff die Möglichkeit, sich zu einer Persönlichkeit heranzubilden; der Jugendliche muss lernen, zu einer aktiven und bewussten Selbsterziehung überzugehen, und schließlich muss sich auch der Erziehende selbst ständig um Selbstentwicklung bemühen. Waldorfpädagogik kann dies alles nicht mit Zwang erreichen, ebenso wenig durch antiautoritäre Prinzipien oder Beliebigkeit; vielmehr geht es vor allem in der Oberstufe um das Engagement des Einzelnen für das, was er als richtig erkannt hat, um die Verantwortung für das, was er tut. Das ist nur unter Einsatz des Willens möglich, der zwar durch den Unterricht angeregt und erübt werden kann, letztlich aber von jedem Einzelnen selbst ergriffen werden muss. Eben dies zu tun steht in seiner Freiheit!

*1960

Besuch der Waldorfschule HamburgWandsbek. Nach dem Abitur Studium der Germanistik und Philosophie. Seit 1986 Oberstufenlehrerin für Deutsch und Kunstgeschichhte an der Waldorfschule Hamburg-Wandsbek.

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Titel

Second life ...und was ist deine Realit채t?


Second life Unser irdisches Leben

hat Konkurrenz aus dem Internet.

FOTO: David Kurth

Schaut man im Internet einmal nach, entdeckt man schnell viele „real life“-Spiele, in denen man sich eine zweite Identität aufbauen kann. Was hat es damit auf sich, ist das Leben dort vielleicht viel lohnenswerter, und kommt man da überhaupt wieder raus, wenn’s dann doch nicht so gut ist? Diesen Fragen wollte ich auf den Grund gehen und wagte den Sprung in die neue und abenteuerliche Welt des „Second Life“. Das ist der für sich sprechende Name eines Online-Games, in dem sich die Spieler ihre eigene Welt erschaffen können.

„Ihre Welt, Ihre Fantasie“ ist auf der offiziellen Website zu lesen. Und weiter: „Möchten Sie interessante Leute kennenlernen? Sich einer Community anzuschließen ist eine gute Möglichkeit, gleichgesinnte Bewohner zu treffen. In einer freundlichen Gemeinschaft werden Sie sich gleich wie zu Hause fühlen. In Second Life haben schon unzählige Freundschaften, Liebesbeziehungen und Geschäftspartnerschaften im >echten Leben< ihren Anfang gefunden.“ 20 | Titel

Seit 2003 gibt es diese „Online 3-D Infrastruktur‘‘ in der die Benutzer über so genannte Avatare interagieren können. Bald soll nach Angaben der „Computer Bild“ sogar eine Handy-Version erscheinen. Wer denkt, das Ganze wäre nur was für gefrustete Teens, wird überrascht sein zu hören, dass immer mehr Firmen aus dem realen Leben eine Niederlassung in der virtuellen Welt erschaffen. T-Mobile, die Post und Adidas sind nur wenige aus einer langen Liste Blickwechsel No. 2 | Juli 2008


von Konzernen. Diese Firmen können dort für wenig Geld Marktverhaltensforschung betreiben und schauen, wie Produkte ankommen, bevor sie produziert werden. Mehr als 11 Millionen Accounts gibt es inzwischen, doch „ruhen“ viele Figuren, und wirklich aktiv ist nur eine weitaus geringere Anzahl. Für Menschen, die sich als gebildet betrachten, gibt es eine virtuelle Zeitung – die von echten Menschen des Axel Springer Verlags produziert wird. Reicht das nicht, kann man immer noch eine Vorlesung in einer virtuellen Universität besuchen, die von einem „echten“ Professor gehalten wird. Der interessanteste Schnittpunkt mit unserer herkömmlichen Welt ist aber das Geld. Die Internet-Währung „Lab Dollars“ kann beim Anbieter nämlich in echte, harte USDollar umgetauscht werden: Die „Second Life“-Wirtschaft ist also in unsere „first life“-Wirtschaft eingebunden. Deswegen gibt es bereits Menschen, die in der virtuellen Welt virtuelle Gegenstände, die sie dort erschaffen haben, verkaufen und das damit verdiente virtuelle Geld in echtes Geld umtauschen. Wegen des schlechten Wechselkurses ist diese Möglichkeit jedoch nur für absoloute Hardcore-Gamer als Jobersatz in Erwägung zu ziehen. Man hat also eine de facto grenzen- und gesetzeslose Welt, in der alles möglich ist. Trotzdem, so ein Experte, legen die meisten Spielfiguren ein Verhalten an den Tag, das sehr stark an das im echten Leben erinnert. So bauen sich viele erst mal ein Haus, kaufen sich ein Auto und gestalten ihre Spielfiguren wie Menschen, obwohl ganz andere Lebewesen möglich wären. Auch das Aussehen dieser Figuren lässt darauf schließen, dass die Benutzer häufig ihre Wünsche aus der echten Welt auf das Spiel projizieren: Braun gebrannte, wahlweise muskulöse oder vollbusige, durchtrainierte Figuren mit einer modischen Frisur sind überwältigend oft zu sehen. Ein weiterer Traum, in der virtuellen Welt wahr gemacht, ist schneller und unkomplizierter Sex. Ein paar Klicks und man ist mittendrin. Ach, wäre das doch nur immer so einfach! Nachdem jetzt also die Grundzüge des Spiels geklärt sind, komme ich zum Selbstversuch: Ich wählte den „ersten Basic Account“, der kostenlos, dafür in seinen Funktionen aber eingeschränkter ist als die beiden anderen kostenpflichtigen Accounts. Das Programm runterladen, installieren, kurz die nötigen Anmeldedaten (Vor- und Nachname für das Second Life, Email-Adresse und Geburtsjahr) eingeben, auf „Account erstellen“ klicken, fertig. Man befindet sich nun auf „Orientation Island“, einer Insel, auf der man sich erst einmal mit dem Spiel zurechtfinden soll, die grundlegende Bedienung lernt und sich sein Äußeres gestaltet. Ich habe mich für eine Frau entschieden und kann die „Body Parts“ und „Clothes“ meinen Wünschen angleichen. Dazu gehören: Form (alle wichtigen Körperteile), Haut, Haar, Augen sowie Schuhe, Unterhosen, Röcke etc. www.blickwechsel-hamburg.de

Mit Mühe habe ich nun also eine halbwegs passable weibliche Person, die eher einfach gekleidet ist, erschaffen. Will man kommunizieren, klickt man auf die gewünschte Figur, worauf sich ein Chatfenster auftut, in dem die Unterhaltung stattfindet. Man kann auch vorgefertigte Gesten wie „Whistle“ oder „Clap“ benutzen, um seine Aussage zu unterstreichen. Mir wurde das alles aber ziemlich schnell zu langweilig, weshalb ich zwei andere Funktionen ausprobierte: Fliegen und Teleportieren. Zusätzlich zu den normalen Fortbewegungsarten kann sich die Spielfigur in die Lüfte erheben und über die Landschaft gleiten oder sich direkt an einen anderen Ort beamen. Auch das verliert aber recht schnell seinen Reiz, nicht zuletzt wegen der miserablen Grafik, sodass ich mich auslogge und was „richtiges“ mache. Sofort merke ich, wie sich die Grafik verbessert, genauso der Sound. Ich kann zwar nicht mehr fliegen, dafür aber normal gehen und hab auch ein paar mehr Gesten zur Verfügung. Fazit des ersten Versuchs: Um Spaß an dem Spiel zu haben und die viel gepriesenen Möglichkeiten auszuprobieren, braucht man eine gewisse Übung. In erster Linie, glaube ich, bedarf es jedoch zwei anderer Grundvoraussetzungen, dieses Spiel attraktiv zu finden: Viel Zeit und wenig Freude am echten Leben. Wirklich ernsthaft spielen kann man dieses Spiel nur in Ermangelung sinnvoller und interessanter Tätigkeiten im „first life“. Schafft man es nicht mehr, seine Träume und Ideen in die echte Welt einzubringen, ist das „Second Life“ eine scheinbar geeignete Projektionsfläche, da bequemer und schneller. So viel zu meiner eigenen Meinung. Dem ersten Experiment folgten noch ein paar weitere, eher bescheidene Annäherungsversuche an das Spiel, doch immer wieder, meistens schon nach 10 Minuten, verlor ich das Interesse. Ich habe mich nicht „wie zu Hause“ gefühlt und konnte auch keine „Liebesbeziehung“, geschweige denn virtuellen Sex oder „neue Geschäftspartner“ finden. Es ist mir also nicht gelungen, den Erfolg dieses Online-Spieles nachzuvollziehen. Dafür bin ich in meiner Ansicht gestärkt worden, mit meinem Leben etwas Wertvolles in der Hand Lukas Stolz *1991 zu haben, für das es 11. Klasse der Waldorfschule Hamburg-Bergstedt. bis auf Weiteres keine Erfreut sich des wahren Sounds beim ernsthafte KonkurCellospielen und der wahren Grafik renz gibt! beim Erklimmen der höchsten Gipfel.

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Aus. Für immer. „Es kommt nur darauf an, jeden Tag keinen Selbstmord zu begehen.“ Albert Camus

sie als einzige hier. im regen. allein. ihr weg. es lag vor ihr, ein graues band. bis zum horizont und noch weiter, unendlich weit. in unregelmäßigen windungen zog es sich durch die grüne landschaft. ab und zu fuhr ein auto vorbei und spritzte sie nass. die blonden strähnen klebten ihr im gesicht. gut, dass niemand sie so sehen konnte. rote, verheulte augen; schwarze ränder darunter; gesenkter kopf; manchmal ein verzweifeltes seufzen; verlaufene schminke. sogar auf ihrem oberteil waren schon einzelne farbkleckse zu sehen. und das schlimmste: die roten striemen im gesicht. jetzt kratzte sie schon wieder, riss sich ihre wange auf, konnte es einfach nicht sein lassen. der regen brannte auf dem offenen fleisch. wieder und wieder fuhren ihre finger durch dieselbe wunde. so lange, bis sie das auto hinter sich hörte. sie zuckte erschrocken zusammen, drehte sich weg, verbarg ihr gesicht in den händen. obwohl das eigentlich unsinn war. wer sollte sie hier sehen können? zumindest niemand, vor dem sie sich verstecken müsste. sie ließ die hände langsam wieder sinken. die roten rücklichter verschwanden eben am horizont. eigentlich hatte sie es satt, das ewige versteckspielen. jeden morgen unmengen von schminke, keine kurzen röcke oder andere kurze kleidung. und das alles nur, damit niemand ihre roten striemen sah, weder im gesicht noch an den beinen. aber sie konnte es auch einfach nicht sein lassen. angefangen hatte alles vor anderthalb jahren, damals, als er sie verlassen hatte. alles war so richtig schön kliescheehaft. wenn das mal das einzige gewesen und geblieben wäre! sie hatte sich geschworen, niemals einem jungen hinterherzulaufen, geschweige denn, wegen einem zu heulen. nein, das wollte sie nicht. aber dann war da das gefühl. eine riesige, offene, große wunde, aus der all ihre schönen erinnerungen wie wundwasser ausströmten und nur die demütigungen und trauer zurückließen. und niemand, mit dem sie reden konnte, den sie anrufen konnte: die eine freundin war im training, die andere ließ sich verleugnen, die nächste wollte sie

sofort zurückrufen. sie hielt den schmerz nicht mehr aus, „sofort“ konnte eine ewigkeit bedeuten, sie musste jetzt irgendetwas tun. sie fühlte sich mit sich selbst gefangen. föhn in der badewanne? – nicht, dass das nicht funktionierte, das wäre nur schmerzhaft! pulsadern aufschneiden? – zu große schweinerei! schlaftabletten? – woher sollte sie die bekommen, es war schon nach acht! so ging sie einfach an den medizinschrank, nahm unüberlegt eine dose nach der anderen heraus. eine rote kapsel. eine blaue tablette. dann noch die mit den punkten. ein paar tropfen, ein paar schlucke, jetzt war sowieso alles egal. als sie wieder zu sich kam, war sie im krankenhaus – magen ausgepumpt. ihren eltern erzählte sie was vom vollrausch – keine ahnung, was da passiert sei. woher die striemen kämen?- woher solle sie das denn wissen? und ab da verließ sie nicht mehr ungeschminkt ihr zimmer. sie war die fröhlichkeit in person, der klassenclown, immer für andere da, wenn sie gebraucht wurde. zumindest nach außen. die striemen und die narben davon brauchte ja niemand zu sehen. durfte niemand sehen. denn das war sie nicht, wie man sie kannte und wie sie zu sein hatte. sie durfte eigentlich gar nicht heulend diese straße lang laufen. das war der part von anderen. sie hatte glücklich zu sein. 22 | Titel

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n dem vorigen Text versuche ich auf lyrische Weise von meiner eigenen Erfahrung zu berichten, euch zu sagen, dass der Suizid in unserer Gesellschaft durchaus eine Realität ist. Ich habe den Begriff „Suizid“ bewusst gewählt; nicht weil ich besonders gebildet klingen möchte, sondern weil ich finde, dass sowohl in „Freitod“ als auch in „Selbstmord“ eine gewisse Wertung liegt, die ich hier nicht mit hineinbringen möchte. Jedes Jahr scheiden weltweit etwa eine Million Menschen (1 000 000) „freiwillig“ aus dem Leben, das sind täglich über 2700 Menschen. In Deutschland sind es 2006 laut Statistischem Bundesamt 9765 Menschen gewesen, die Suizid begangen haben, wobei ein deutlicher Unterschied zwischen den Geschlechtern festzustellen ist. Es nahmen sich 3 mal mehr Männer als Frauen das Leben. Der Anteil der Menschen, die durch einen Suizid sterben, ist höher als der derjenigen, die durch Verkehrsunfälle, Drogen und AIDS zusammengezählt umkommen (in Deutschland). Die Anzahl der Suizidversuche liegt um ein 10- bis 20faches über den offiziellen Zahlen der „Suizidopfer“. Trotz einer aufgeklärten Gesellschaft beschäftigt man sich hier mit einem heiklen Thema. Es ist daher anzunehmen, dass die sogenannte Dunkelziffer noch weit über der offiziellen Rate liegt. – Nicht bei jedem, der an Drogen stirbt, ist es ein Unfall. – Auch wenn sich ungefähr die Hälfte der Betroffenen durch Erhängen, Ersticken, Erdrosseln oder Stran-

I

„aus dem Leben zu schleichen“. Ich war in einer unschlüssigen Situation; schließlich beschäftigt man sich mit einer Frage, deren Konsequenzen man möglicherweise nicht rückgängig machen kann. Ich stellte nach außen jemand anderen dar, hatte nur mich, um über diese Frage zu diskutieren. Erst in dem Moment, in dem ich mich für den Suizid entschlossen hatte, machte sich Erleichterung in mir breit. Ich fühlte mich plötzlich erlöst, unglaublich leicht, fast so, als könnte ich fliegen. Ich wollte mir von der Gesellschaft nichts mehr vorschreiben lassen, für mich hatte der Suizid seine unmoralische Seite verloren. Ich wollte eine eigene Entscheidung treffen, nicht mehr ständig auf irgendjemanden Rücksicht nehmen müssen. Ich wollte würdevoll „Abschied nehmen“. Ich habe zu diesem Zeitpunkt auf die Menschen geflucht, die mich davon abgehalten haben. Heute glaube ich, durch diese unmittelbare Konfrontation mit dem eigenen Ich und einer Entscheidung zwischen den Realitäten, zwischen dem Tod und dem Leben, um eine Erfahrung reicher zu sein und für mich ein schöneres Leben führen zu können. Ich habe immer noch im Hinterkopf, dass es die Möglichkeit des Suizides gibt, um allem zu entfliehen. Gerade dadurch empfinde ich aber vieles als einfacher, kann mich von vielem besser differenzieren, gehe mehr Wagnisse ein. – Es gibt ja noch eine Hintertür. – Ich habe das Gefühl, mich immer wieder bewusst entscheiden zu können und hinter diesen Entscheidungen deswegen auch voll stehen zu können. Es reicht schon ein Sommerregen, dass ich glücklich

gulieren, 10% durch einen Sturz in die Tiefe und 8% durch sogenannten Medikamentenmissbrauch (=>Vergiftung) umbringen, gibt es viele weitere Methoden, die einen Suizid als Unfall tarnen können. Es gibt mittlerweile diverse Internetseiten mit Tipps dafür. Der Suizid ist eine Realität geworden, mit der wir umzugehen lernen müssen. Es kann jeder aus dem eigenen Bekanntenkreis sein, der sich zu diesem Schritt entschließt: Jeder 100. Mensch stirbt durch Suizid.

bin. Ich kann den Augenblick genießen; vielleicht auch, weil ich weiß, wie es sich in mir anfühlte, als ich mich endgültig zu dem Suizid entschlossen hatte.

Ich habe die Suizidgedanken lange Zeit mit mir herumgetragen, mich nach außen anders gegeben, als ich nach innen war, mir im Prinzip zwei verschiedene Realitäten geschaffen. Eine Äußere, in der es mir „gut ging/gehen musste“, und eine Innere, die nur den geeigneten Zeitpunkt abwartete, um sich www.blickwechsel-hamburg.de

P.S. Vielleicht mag in diesem Text einiges nach einem Befürworten des Suizides klingen. Wenn ich sage, ich habe das Gefühl, um eine Erfahrung reicher zu sein, so möchte ich diese niemandem wünschen. Denn Suzid ist immer eine Flucht. Das Leben hat so vieles, was es lebens- und Autorin. *1989 liebenswürdig macht und Die Autorin möchte nicht genannt „man ist so unendlich werden, da sie sich wünscht, dass der Text getrennt von der Persönlange tot“. (frei nach Karl lichkeit verstanden werden soll. Valentin) Titel | 23


FOTO: David Kurth 24 | Titel

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ibt es die eine Realität, die eine Wirklichkeit? Hat nicht vielmehr jeder Mensch seine eigene Realität, wie er seinen eigenen Standpunkt hat in der Welt? Wenn ich mit meiner Mutter spazieren gehe, weist sie mich oftmals auf Dinge hin, die ich nicht wahrgenommen habe, im Frühling etwa auf die Blütenknospen, im Sommer auf

kenne ihren Platz in der Welt, sie ruhe ganz in sich. Das gibt mir Kraft, denn ihre Realität scheint so richtig zu sein; dadurch, dass ich die ihre teile, kann die meine nicht vollkommen falsch sein. Wenn ich auf Reisen bin, habe ich das Gefühl, angekommen zu sein. Ich nehme die Realität anderer Menschen im direkten Kontakt durch meine eigene wahr, und dadurch, dass wir eine Realität teilen (dadurch hat meine Realität Raum die blühenden Pflanzen. Bevor sie mich darauf aufmerksam zu sein, wie sie ist), wird sie realer, weil größer. Wenn ich gemacht hat, waren diese Knospen, diese Blüten nicht Teil auf Reisen bin, nehme ich, ähnlich wie bei den Spaziermeiner Realität, ich wusste nichts von ihrer Existenz, da ich gängen allein, viel mehr wahr und befinde mich stärker in sie nicht wahrgenommen habe; und dennoch – sie existie- dieser Abgrenzung Ich und Welt – wodurch die Welt und ren, unabhängig von meiner Wahrnehmung. ich uns näher kommen. Meine Realität muss ich pflegen, ich muss sie beständig erweitern, doch darf ich sie nicht ins Wenn ich Zeitung lese, vom Leid vieler Menschen in Chi- zu Abstrakte ausufern lassen; um mich um meine Realität na und Birma, dann werden sie Teil meiner Realität, ohne zu kümmern, brauche ich Zeit. Meine Freundin, die, wie dass ich sie greifen könnte oder dass meine bloße Wahrneh- es mir scheint, ihren Platz in der Welt, ihren Standpunkt mung ihrer Existenz etwas an ihrer Lage verändern würde. kennt, hat diese Zeit für ihre Realität. Sie nimmt oder lässt Vieles, von dem ich höre, das ich sehe, sie sich nicht, sie hat sie. kennenlerne, war mir vorher nicht beUm anzukommen in der Welt, muss ich wusst, ohne dass ich das Dasein dieser ein Bewusstsein für meine Realität entwiDinge oder Lebensweisen ausgeschlosckeln, und wenn ich Zeit für dieses Besen hätte, doch vorher gehörte es nicht wusstsein habe, dann kann ich es pflegen, zu meiner Realität. (Persönliche) Reerweitern und mit anderen teilen. Dann alität hat mit Bewusstsein und Wahrschaffe ich mir meine Realität, weil ich sie nehmung zu tun. Manchmal gehe ich gestalte. allein spazieren, nehme oder lasse mir Es gibt den Vorwurf gegen das Prinzip der Zeit, sehe mir meine Umgebung genau Waldorfschule, den Schülern werde eine an, rieche, fühle, ertaste sie; erschließe heile Welt vorgegaukelt, die es nicht gebe sie mir. Dann gehe ich ganz auf in der – ist ihre Realität dann unreal? Beruht unDiane Rossier *1989 12. Klasse der Waldorfschule Hamsinnlichen Wahrnehmung der Dinge, sere Realität nicht auch darauf, wie wir sie burg-Wandsbek. nehme mir Zeit, alles Seiende, alles wahrnehmen und gestalten? „Das Lebendige hat die Gabe, sich Lebendige zu würdigen. Wenn ich nur Vieles, das Menschen tun, wird, wie mir nach den vielfältigen Bedingungen äußerer Einflüsse zu bequemen und als Entdeckerin durch die Schreberscheint, getan, ohne dass ein Mensch sich doch eine gewisse errungene entgärten gehe, dann vergesse ich mich die Zeit genommen hat, die Realität, die schiedene Selbstständigkeit nicht aufselbst, oder anders ausgedrückt, ich Sachlage wahrzunehmen. Ähnlich wie zugeben.“ J. W. Goethe bin ganz bei mir, weil ich die Welt von ich, wenn ich mit meiner Mutter spaziemeinem Standpunkt aus anschaue und ren gehe, mir keine Zeit nehme, meine nicht mit halbem Auge auf mich selbst Realität zu erweitern, und die Existenz der schiele. Dann habe ich meinen Platz in der Welt, und mei- knospenden Natur um mich herum nicht wahrnehme. Ich ne Realität ist das Wichtigste, weil es in dem Moment kei- konzentriere meine Aufmerksamkeit nur auf das Gespräch ne andere Realität gibt außer meiner. und achte nicht auf den Rest, sodass ich später nichts darüLese ich Zeitung, höre Radio, sehe fern, dann nehme ich ber zu sagen wüsste, wiese meine Mutter mich nicht darauf andere Realitäten wahr. Die Realität der Menschen in Chi- hin. na scheint mir wichtiger, beinahe näher, beinahe realer Unsere eigene Realität kann schnell sehr selektiv werden, zu sein als meine eigene. Manchmal zweifle ich dann am und für mich jedenfalls ist Zeit sehr wichtig, denn ohne sie Sinn meiner Realität, sie wird abstrakt, und ich sehe wie wäre meine Realität unvollständig und ich würde handeln, von außen auf sie herab. Durch den Blick von außen fin- ohne meinen Ausgangsort zu kennen. de ich meinen Platz nicht immer wieder, manches scheint Um zu einem Ziel zu gelangen, bedarf es aber eines Ausabsurd. gangspunktes. Doch gibt es Unterschiede in der Realität? Ich habe eine gute Freundin, bei der ich immer das Gefühl habe, sie

Was ist Realität? Was ist Wirklichkeit?

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Momente aus Brasilien Tagebuch. 14. September 2007

Jeden Tag gehe ich unter derselben Brücke „Ponte da Santa Catarina“ vorbei ... sie ist groß, sehr dunkel und vor allem unheimlich. Trotzdem habe ich eigentlich keine Angst. Manche Brasilianer denken sowieso schon, ich sei entweder naiv, lebensmüde oder einfach etwas verrückt, dass ich mich so gewagt durch diesen Moloch von Stadt bewege. Wie auch immer, es wohnen jedenfalls einige Menschen unter der Santa Catarina, die jedoch bei Tageslicht wie von dem Erdboden verschluckt sind und nur im Schatten der Nacht anzutreffen sind. Menschen, die auf der Strasse leben ... Menschen, die miteinander ein hartes Schicksal teilen. Ich weiß nicht wieso, aber irgendwie habe ich das Gefühl, diese Leute kennenlernen zu müssen. Keine Ahnung, was mich reitet ... Im Nachhinein kann ich es mir kaum erklären, woher ich den Mut nehme, aber eines Tages spreche ich sie an ... Ich verlasse die Strasse und wage mich auf die andere Brückenseite ... Alle starren mich komisch an – Augen voller Misstrauen durchbohren mich. Ich friere. Ein kleines Mädchen ist etwas frecher und spricht mich an. Sie fragt mich, ob meine blauen Augen echt seien und wieso ich denn eine andere Augenfarbe als sie habe ... Dies überrascht mich, und ich antworte, dass ich dies leider auch nicht wisse, aber dass ich aus einem anderen Land komme, weit weg von Brasilien. Wir spielen etwas miteinander. Ein etwas älteres Mädchen mit einem steinernen Gesichtsausdruck kommt auf mich zu, das einer Maske sehr ähnlich sieht und wunderschöne, aber sehr traurige große Augen hat ... Der Großvater erzählt mir dann die Geschichte ... Vom Vater, der drogenabhängig ist und für den es keine Hoffnung mehr gibt, vom Mädchen mit dem steinernen Gesicht, das sich für 4 Réis (ca. 2 Euro) prostituieren lässt, und von der Mutter, die an AIDS erkrankt ist. Der Bruder ist momentan im Gefängnis. Ich sitze da und merke, wie ich innerlich zittere ... So viel Trauriges auf einmal erlebe ich sehr selten ... Ich verstehe nichts mehr von Gerechtigkeit ... Wissen schafft Verantwortung – doch ich weiß nicht, was ich tun soll, es ist irgendwie schon zu spät. Für alle.

18. Oktober 2007

Oft denke ich an das Leben auf der anderen Seite des Ozeans. Manchmal wünsche ich mir sogar, dort zu sein. Doch mein Platz und meine Aufgabe ist im Moment hier, auch wenn es mir nicht immer gleich leicht fällt, zu sehen, warum genau und was ich eigentlich hier tue – tun muss oder will. Nun bin ich schon einen Monat hier, und langsam habe ich das Gefühl, auch etwas zurückgeben zu können von dem, was ich in so großer Menge empfangen kann. Ich lerne so viel. Ich lerne von und durch die Menschen, durch das Leben, die Sprache, die Einstellung und meine eigene Arbeit. Natürlich ist es nicht immer genauso rosig, oft schon habe ich an mir gezweifelt, ob ich wohl den Herausforderungen gewachsen bin, aber normalerweise bin ich gewillt, mich ihnen zu stellen. Es tut sehr gut, sich mit Menschen zusammenzutun, die manchmal Ähnliches erleben, ähnliche Gedanken haben und einfach auch krass auf sich gestellt sind (so wie ein paar der anderen Freiwilligen). Was mich sehr interessiert, aber manchmal auch sehr verwirrt, sind die Geschichten und Biografien der Menschen hier ... Obwohl ich vieles schon weiß, oder mit vielem gerechnet habe, ist die Realität immer wieder was anderes, was Erschreckendes. Oft muss ich einfach schnell ein Plätzchen suchen, wo ich ganz allein bin, um kurz zu verdauen und mich wieder zu sammeln, so lächerlich das auch klingt.


07. November 2007

Alles ist durcheinander. Mein Leben ist oft eine riesige Farbkugel, ein buntes Chaos und eine lustige Wiese mit den verschiedensten Pflanzen ... Doch nun ist es anders. Gerade ist es gar nicht lustig ... Ich scheine im Moment alles Mögliche anzuziehen ... neben allen möglichen mysteriösen Krankheiten auch vor allem aber Leute (Freunde) mit unglaublich schwerwiegenden Problemen, denen man sich vielleicht ein Leben lang stellen muss ... Ich bin Fiorina Brotbeck *1988 richtig ausgelaugt. Ich bin total kaputt von diesem Wochenende. lebt in der Schweiz, Mitbegründerin der Jugendorganisation “Free The Ich weiß eigentlich auch nicht so genau, wo ich hier bin, aber Children Switzerland”, Teilnahme am ich weiß unterdessen, dass man jeden Moment mit einem Notfall Weltsozialforum in Porto Alegre 05, rechnen muss ... Ich verstehe immer mehr, wie es hier tatsächlich und an der Netzwerkconfernez “Connectivity 06” von IDEM, Mitleiterin läuft in der Favela. Wenn man aus einem Land wie der Schweiz eines Workcamps in Tansania 07, kommt, kann man sich kaum vorstellen, wie korrupt die Polizei Matura an der FMS Solothurn 07, hier ist. Schon einige Male habe ich jemanden getroffen, der von letztes Jahr längerer Sozialdienst in Projekten in Sao Paulo, Brasilien der Polizei beraubt und heftig verprügelt und geschlagen wurde. Nun, auf der Suche nach neuen Es wundert mich nicht, dass die Mafia hier perfekt organisiert ist Aufgaben und Studienmöglichkeiten. und schon so viele Mitglieder hat. Wer würde nicht Revolte wollen, wenn er indirekt vom Rechtssystem geschlagen wurde ... Das macht mich wütend. Die Gefängnisse hier sind die Hölle. Die Insassen treten spätestens im Gefängnis alle in die Mafia ein. Sie gehen wegen Diebstahl rein, manchmal warten sie jahrelang erfolglos auf einen Prozess und kommen als trainierte Killer und Mörder wieder raus. So läuft das. Von der Polizei muss ich als Ausländerin aber absolut keine Angst haben, die würden mir nie was tun, das könnten sie sich niemals leisten, wegen dem Ruf. Manchmal wünsche ich mir so fest etwas wie einen Bielersee, oder so etwas wie ein kleines unschuldiges Wäldchen. Doch ich will eigentlich auch kämpfen und durchhalten. Heute wollte eines meiner Kinder in der Vorschule einen anderen umbringen ... Ich sagte, dass ich das nicht lustig finde, wenn man solche Sachen sagt und auf andere Menschen zielt ... und das auch noch zum Spaß ... Da meinte er: „Wieso? Mein Vater tut das doch auch!“... Keine Ahnung, was da abgeht... Da kann ich auf jeden Fall nichts mehr sagen. Was mich im Moment aber so richtig wütend macht, sind die Drogen. Jeder und jede hat Probleme damit ... Absolut alle ... Jeder kriegt es. Diese scheußliche Schnüffeldroge, die vor allem Straßenkinder bevorzugen, bekommt man in jedem Kiosk. Das Drogen erfunden wurden, war einer der größten Fehler (obwohl für die Medizin Wunder wirkend) ... Ich war mir selten so bewusst, wie nahe sich Tod und Leben sein können ... Aber es ist nur ein Schritt ... Ich schätze jeden Tag, den ich noch leben darf. Ich schreibe Tagebuch, weil ich sonst nicht einschlafen könnte – einfach um ein paar Erlebnisse zu verdauen oder für eine Weile loszuwerden. Es braucht gerade so viel Kraft. Alles ist vergänglich. So unglaublich vergänglich ... Das wusste ich zwar schon vorher, war mir dessen aber niemals so krass bewusst, wie jetzt ... Das Leben ist einzigartig.

16. Juni 2008:

Nun ist wieder viel Zeit vergangen und ich bin schon wieder in der Schweiz – nach fast acht Monaten in Südamerika. Ich bin gut zu Hause gelandet, aber irgendwie noch nicht ganz auf dem Boden angekommen. Schon seit einer Weile versuche ich nun, mich hier wieder zurechtzufinden. Ich frage mich, wo bloss mein neugeborenes intensives Lebensgefühl geblieben ist. Habe ich es an der Grenze etwa zurückgelassen? Und was soll ich jetzt überhaupt mit meinem Leben anfangen? Studieren? Ich kann mir das bei mir im Moment überhaupt nicht vorstellen, irgendwo zu studieren. Mein Leben war mir in letzter Zeit eine sehr krasse Uni mit grossen und sehr heftigen Herausforderungen. Aber ich wüsste ja auch gar nicht, was überhaupt. Kann man „Lebenserfahrung“ oder „Gerechtigkeit“ studieren? Ich habe jedenfalls noch nie davon gehört. Gibt es so was in Deutschland? Die Schweiz ist ja so klein, wie immer gescherzt wird, dass ich mich jetzt wohl doch etwas umsehen muss. Oder ich verreise einfach wieder. Fragt mich jetzt bloss nicht, wie meine Realität aussieht, man sieht ja, wie es mir geht. Titel | 27


Das Dilemma der Jugend Wie das Spiel mit dem Wasser Versuchst du, mit dem Wasser zu spielen, wird dir immer etwas entgehen. Versuchst du, es in deine Hände zu nehmen, rinnt es aus allen Ritzen. Das Wasser ist schillernd und vielseitig, es bestimmt unser Leben, richtig fassen lässt es sich jedoch nicht. Einerseits ist die Jugend die Generation der Hoffnung, die noch das größte Recht besitzt, Kritik zu üben, zu rebellieren, Richtlinien über den Haufen zu werfen – kurz einfach mal am „Rad zu drehen“. Auf der anderen Seite aber lastet ein unheimlicher Druck auf uns: Entscheidungen müssen getroffen werden, Spezialisierungen haben zu erfolgen, nur eine solide

ursprünglichen Idealen nichts mehr zu tun. Wichtig ist, dass das Ideal eindeutig bestand und der Mut, dafür zu kämpfen ,vorhanden war. Auch die 68er Bewegung konnte noch eindeutige Kritik an der Gesellschaft üben, und ihre Bestreiter hatten noch den Enthusiasmus und die Euphorie, sich dieser Kritik voll und ganz hinzugeben, nach einer neuen Realität zu suchen und so gegen bestehende Tabus und Gesetzmäßigkeiten vorzugehen. Heute scheint es kaum noch Tabus oder gesellschaftliche Normen zu geben, die wirklich gebrochen werden könnten, außer vielleicht jene, die noch die Würde des Menschen bewahren. Andererseits genießen wir unglaublich viele Möglichkeiten und Freiheiten, die uns erlauben, den Weg zu gehen, den wir für uns persönlich gehen wollen. Jedoch stellen sie auf der anderen Seite eine enorme Reizüberflutung dar, welcher nicht jeder gewachsen ist. Dazu kommt, dass die Gegensätze „gut und falsch“ sich heute nicht mehr so trennen Klara M. Koraus *1989 Leipzig, Sachsen. Bis zur 7. Klasse lassen. Sie vermischen sich ,und Waldorfschülerin, danach staatlicher plötzlich ist das, was gestern Schulweg. Gerade Abitur beendet noch verpönt war, heute plötzund voraussichtlich 2009 ein Jahr in Schweden, um auf einem Baulich in. Wo soll man da bitte anernhof zu arbeiten. Studiumswunsch: setzen, um etwas zu verändern? Grafik- oder Produktdesign. Wie viele Informationen braucht man überhaupt, um die SituatiAusbildung führt zum Erfolg und somit zum notwendigen on ganz und gar einschätzen zu können und sich somit überÜberleben. Die Anpassung ist deshalb enorm, und die eige- haupt erlauben zu können, Kritik zu üben? Es ist unheimlich nen Ideale rücken mehr und mehr in den Hintergrund, inso- schwierig – da ist es nicht verwunderlich, dass sich manche fern man überhaupt noch fähig ist, diese zu definieren. in eine zweite Realität flüchten, resignieren oder sich mit Wenn ich versuche, einen Vergleich mit der Vergangenheit billigen Informationen zu schnell abspeisen lassen und sich zu ziehen, lässt sich deutlich erkennen, dass es früher starke zurückziehen. Ein passendes Beispiel ist sicher das Internet, Strömungen innerhalb der Jugend gab, die viel stärker und welches Unmengen von Informationen bietet und dennoch nicht so vereinzelt waren wie heute. Da wären beispielsweise das Hauptforum für jene ist, die sich vom realen Leben entdie nationalen Bewegungen im 19. Jh. zu nennen, die aus fremdet haben. So z.B. Second Life, in dem sich Menschen den Bestrebungen nach nationaler Einheit und der Sehn- ein zweites virtuelles Leben aufbauen können, das sich paralsucht nach größerem Mitspracherecht entstanden sind. Die lel zur Wirklichkeit abspielt und durch das schnell der Bezug jungen Menschen, meist Studenten und Akademiker, hatten zum Leben verloren gehen kann. Vor allem ist es tückisch, ein eindeutiges Ziel: Sie wollten Politik zur allgemeinen Sa- dass das Handeln dort keine wirklichen Konsequenzen nach che machen, sie wollten dem Menschen als Individuum eine sich sieht. Somit kann man im Second Life in dem Glauben Würde geben, ihn aus den Klauen der Obrigkeit befreien und überleben, das Leben mit seinen Entscheidungen sei einfach. dem Volk als Gemeinschaft neue Kraft verleihen. Was spä- Wenn jemand aber dann diese Grenze zwischen der virtuellen ter daraus entwuchs, ist eine andere Sache und hatte mit den und der realen Welt nicht mehr zu ziehen vermag, wird er in 28 | Titel

Blickwechsel No. 2 | Juli 2008


der Realität jämmerlich versagen. Denn dort folgen die Konsequenzen des Handelns Schlag auf Schlag. Doch zurück zum richtigen Leben. Man kann sich ja immer noch damit beruhigen, etwas weniger Fleisch zu essen, die Milch ab und zu mal beim Biobauern zu holen oder auf Freilandeier zu achten. Doch die Tierquälerei geht dennoch weiter. Und die Milch schmeckt gleich gut ... es ist sehr schwierig, nach seinen Prinzipien zu leben, und viele setzen sich nicht mal mehr damit auseinander. Es ist sogar schon so weit gekommen, dass sich Universitätsprofessoren darüber wundern, dass sich keine Studentenbewegung gegen die neue Studienordnung (Bachelor und Master) formiert. Es gibt, wie schon erwähnt, einfach zu viel zu beachten. Ein Durchblick ist nicht so leicht, und mit dem eigenen Leben muss sich schließlich auch noch auseinandergesetzt werden. In der Schule wird nichts über Familienplanung, Finanzierung des eigenen Haushaltes oder den Umgang mit den Arbeitsmarkt- und Versicherungssystemen gelehrt. Auch das stürzt noch, wie ein gewaltiger Wasserfall, nach dem Abitur oder der Ausbildung auf uns ein. Aber um nicht alles ganz negativ zu sehen: Es gibt natürlich auch heutzutage noch Menschen, die sich engagieren. Da wären beispielsweise einige Bewegungen der Linken oder die Feministen zu nennen, welche sich politisch beteiligen. Oft werden sie zwar belächelt und als Idealisten, Ökos oder als realitätsfern abgestempelt, doch wird dabei oft vergessen, dass durch Bewegungen wie diese nach und nach die Rechte erkämpft wurden, die für uns heute selbstverständlich sind. Das sind für mich Menschen mit Idealen und Prinzipien, die versuchen, Kritikpunkte aufzuspüren, sie näher beleuchten und sich ihre eigenen Gedanken machen und diese vor allem zu realem Engagement ausbauen. Weiterhin könnte man „Jugend forscht“ zu jenen dazuzählen, die versuchen weiterzudenken, etwas verändern wollen, aktiv sind ... Sie kritisieren zwar nicht im direkten Sinne, doch gelingt es ihnen eben durch das Forschen, nötige Änderungen und Verbesserungen herbeizuführen. Sie rebellieren nicht, sondern fügen sich ein und spezialisieren sich, doch auf eine andere Art und Weise, die ich wiederum als sehr positiv betrachte. Sie werden allerdings im sozialen Leben ebenso mit Belustigung angesehen oder gar als Freaks abgestempelt: Eine derartige Spezialisierung erscheint vielen wiederum als suspekt. Sie könnte man dennoch als eine der großen Hoffnungsträger der Gesellschaft bezeichnen ... Wir können unsere Generation als die Generation betrachten, die mit dem Wasser spielt. Wir können unsere Verantwortung nicht fassen, aus jeder Ritze unserer geschlossenen Hände tropft es unaufhörlich. Wir werden von den schillernden Möglichkeiten überschäumt, die wie ein reißender Strom über uns hinwegbrausen. Doch bin ich überzeugt, dass wir das Image „Generation doof“1 abschütteln können, uns aus unserer kleinen in die „große Welt“ aufschwingen und es somit schaffen können, zwei Realitäten zu einer werden zu lassen: unsere eigene und die allgemeine. Denn die Gesellschaft spiegelt sich in jedem Einzelnen wieder, und jeder Einzelne hat Einfluss auf die Gesellschaft. Und wenn wir das wissen – und ich bin sicher, jeder weiß es - müssen wir nur noch wollen – dann funktioniert es. Mior hams nämlisch och faustdick hintern Ohrn! ... das müssen wir nur mal ein bisschen häufiger zeigen. 1

Buch von Anne Weiss und Stefan Bonner, Generation doof: Wie blöd sind wir eigentlich? Ist witzig geschrieben und betrachtet unsere Arschgeweih- tragende Jugend mit viel Humor. www.blickwechsel-hamburg.de

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Wohin fliehen?

Auf der Suche nach einem zweiten Leben

S

Isabella Bopp

*1991

10. Klasse der Waldorfschule Hamburg-Wandsbek. Schreiben, das ist für mich spielen mit Bildern, Leben, Geschichten. Das ist für mich aufmerksam machen auf Dinge, die diese Aufmerksamkeit verdienen und sonst nicht bekommen. Das ist für mich Freiheit.

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onntagnachmittag. Ich bin weit entfernt. Weit entfernt von meiner Familie, von meinem Zuhause, von meinen Freunden. Weit entfernt auch von dem Regen draußen vor dem Fenster, weit entfernt von mir selbst, von meinem Leben. Ich bin in einer anderen Welt. Sie ist fremd und aufregend. Voller neuer Dinge, Eindrücke, Menschen und anderen Wesen. Es ist eine schwarz-weiße Welt, eingeschlossen, versteckt hinter Worten. Meine Augen fliegen über das Papier, nehmen die Buchstaben in mich auf, verflechten sie zu Wörtern, Klängen und aus dieser Melodie werden Bilder, Geschichten. Ein zweites Leben. Wohin führt mich das? Ich stelle mir die Menschen in dem Buch vor. Wie sie handeln, wie sie fühlen. Ich lerne sie kennen. Und unweigerlich versetze ich mich selbst in ihre Situation. Ich ärgere mich, wenn die Protagonistin ihren Unterdrücker nicht anschreit. Ich hasse den bösen Zauberer, der die Prinzessin in einen blauen Vogel verwandelt hat, auf dass sie ihren Prinzen nie heiraten kann. Und mit jeder Geschichte, die ich lese, mit jedem Bild, das ich in mich aufnehme und gestalte, reist mein Geist in andere Welten. Aber das bin immer noch ich. Das bin ich, die eine Meinung dazu hat. Das bin ich, die sich Magnolienbäume vorstellt, arabische Märkte. Das ist kein zweites Leben. Das ist meines, meine Fantasie. Ist die Fantasie ein zweites Leben? Ein Leben, in das ich mich flüchten kann, vor der Realität? Ich sitze auf einer Bank in der Sonne. Es ist Sommer, und ich habe ein Eis in der Hand. Neben mir sitzt eine Freundin. Ich weiß, dass sie da ist. Ich brauche sie dazu nicht ansehen. Wir reden miteinander, und sie erzählt mir, sie habe sich tätowieren lassen. Plötzlich sitze ich nicht mehr auf der Parkbank. Ich laufe durch die Stadt, auf der Suche nach etwas. Aber was suche ich überhaupt? Meine Schritte klatschen auf dem nassen Asphalt. Auf einmal stehe ich vor einer Tür. Ich gehe hinein ... und wache auf. Ein Traum. Ein zweites Leben. Was geschieht mit mir in einem Traum? Ist das ein Leben, was parallel zu meinem „wachen“ Leben abläuft? Ein Leben, das es sehr wohl gibt, welches ich aber nur Bruchstückhaft einsehen kann? Nachts kann ich meine Träume nicht steuern. Sie passieren mir einfach. Was ist dann also mit Tagträumen? Sind das richtige Träume? Sie kann ich steuern, kann sie auf Dinge lenken, die ich schön fände, die ich noch einmal machen will ... Denn das bin auch ich. Das sind meine Träume. Sind die Träume ein zweites Leben? Ein Leben, in das ich mich flüchten kann, vor der Realität? Ich liege in der Sonne. Wolken ziehen über mich hinweg, ein Wind fährt mir über das Gesicht. Eine Stimme singt mir ins Ohr, webt feine Klänge in die Luft. Musik. Ich höre sie, liege nur da und lausche. Und ich tanze. Lasse mich von der Melodie tragen und höre nur noch, bin nur noch Ohr. Ein zweites Leben. Was macht die Musik mit mir? Die Töne treffen meine Gefühle, und so entsteht ein Tanz aus Leben und Musik, der nicht mehr getrennt werden kann. Und ist es nun dies? Ist die Musik ein zweites Leben? Ein Leben, in das ich flüchten kann, vor der Realität? Ich versuche es. Ich versuche zu fliehen vor diesem Leben. Vor einem Leben, von dem ich nicht weiß, wo es hinführt. Von dem ich nicht weiß, was es mit sich bringt. Versuche, mir ein zweites Leben zu schaffen. Ein einfaches ... Wie dumm! Denn es gibt kein zweites Leben. Es gibt nur dieses eine. Dieses eine, das es zu nutzen gilt. Dieses eine, wunderschöne, mit all seinen Momenten. Dieses eine, in dem ich, Isabella, als diejenige, die ich bin, rieche, fühle, schmecke. In dem ich lebe. Blickwechsel No. 2 | Juli 2008


trübung im wasserglas Magersucht. Eine Erfahrung.

Ein erhebendes, ein berauschendes Gefühl. Ich fühle mich gut, so verdammt gut. Endlich bin ich ich, das, was ich sein wollte, auch wenn es nur einen kurzen Augenblick dauert. Ich denke, ich kann die Welt verändern, zumindest einen kleinen Teil davon: meine Welt. Ich sehe mich von Außen, sehe, dass ich es schaffen kann, wenn ich nur genug Wille besitze, wenn ich nur dieses elende Stück Dreck, das meinen Namen trägt, endlich bekämpfen und auslöschen kann. Wenn nur endlich ich siegen kann, über Gefühle, über Ohnmacht, Verzweiflung, Hass und Wut. Gegen mich. Mich besiegen, und das leisten was ich leisten soll. Diese minderwertigen Geschöpfe kotzen mich an, denn sie besitzen nicht genug Willen. Dass sie nicht einmal an sich halten können, sondern immer nur schwach und kläglich sich selbst erliegen. ACH So wie ihr, bin ich nicht. Ich bin stark, und diese meine Stärke führe ich euch jeden Tag vor Augen. ICH SCHREIE SIE LAUT HINAUS Nur ihr wollt es nicht hören, so wie ihr nie etwas hören wollt, was nicht unmittelbar etwas mit euch zu tun hat. Fahrig und zitternd fährt sie sich durch die in Strähnen herabhängenden dunklen Haare. Früher scheinen diese Augen von innen geleuchtet zu haben. Früher. Es scheint, dass sie ihren ganzen Willen darauf richtet, das zitternde Glas Leitungswasser hinunterzuwürgen, jeder Schluck eine Überwindung. Vor ihr ein angebissener Apfel, an der Bissstelle schon braun, und immer noch unverändert vor ihr liegend. Ist das ein Mensch? Oder vielleicht doch nur eher ein menschenähnliches Wesen, das, am letzten Zipfel der Lebensschnur hängend, seinen nicht zu bendigenden Willen demonstriert? Ich sehe sie und frage mich warum. Und ich schreie es in die Welt. Ich hasse dich, du verdammte, biestige Krankheit, dich, die du vorgaukelst, im prallen Leben zu stehen. Und dabei nimmst du alles, ALLES. Bis man nur noch ist, Haut und Knochen. www.blickwechsel-hamburg.de

Olga Schapiro

*1986

geboren in Moskau, studiert in Fulda Sozialwissenschaften mit Schwerpunkt interkulturelle Beziehungen. Titel | 31


die Handlungen und ihre Folgen werden vielmehr zu den Herren der Person. Der Mensch steht somit nicht mehr in fruchtbarer Beziehung zu sich selbst und der Außenwelt. Die Gründe für diese Entfremdung sind vielschichtig. Im Laufe der Evolution hat sich der Mensch Selbstentfremdung und künstliche Konsumbefriedigung als Phänomen der Moderne. von der Natur Gedankenkreise um den Film „Fight Club“. entfernt und eine Kultursphäre geschafFrüher blätterte ich Pornohefte durch, heute sind es Möbel- fen. In dieser spielen der Fortschritt und technische Errunkataloge. Es scheint, als sei ich ein Sklave des Ikeanestbau- genschaften zunehmend eine wichtigere Rolle – deswegen handelt es sich bei der Entfremdung auch um ein Phänotriebes geworden. [Jack Taylor] aum jemand wird „Fight Club“ nicht gesehen haben. men der Moderne, das zukünftig noch zunehmen wird. Der In Chuck Palahniuks Roman, den David Fincher 1999 einzelne Mensch ist nur noch ein kleiner Teil einer Riesenverfilmte, wird nicht nur die Sinnlosigkeit des Lebens, maschinerie, der zu funktionieren hat. Mit zunehmender sondern auch die Gewalt in unserer heutigen Gesellschaft Globalisierung und dem damit verbundenen Ziel von Prothematisiert. Oft fragt sich der Zuschauer, was die Män- duktivitätssteigerung schwinden die Persönlichkeitsbedürfner nur zu den brutalen Kämpfen getrieben haben kann, nisse und -rechte. Es kommt zur totalen Ausbeutung des die keineswegs nur reine Fiktion sind. Selbst in der Stadt Menschen. Gleichzeitig verstärkt die Verstädterung die Anonymität. So ist der Mensch nicht nur sich Güstrow (M-V), wo ich lebe, gibt es in selbst, sondern auch gegenüber Arbeit, geheimen Kellerwohnungen sogenannte Mitmenschen und Konsumgütern fremd. „Cage Fights“, wo junge Männer Kämpfe Daraus schlussfolgert Erich Fromm, dass in Käfigen austragen. Die Gewalt, wie sie die Entfremdung in unserer heutigen Zeit im Film „Fight Club“ thematisiert wird, nahezu TOTAL ist. Das Leben würde ist also mitnichten nur ein fernes Ereignis erdrosselt, menschliche Bedürfnisse wie amerikanischer Großstädte. Selbstbestimmung, schöpferisches Tun, Bei genauerem Hinschauen kann man jeWissbegier und unabhängiges Denken im doch die Ursachen der Gewalt und eine Keim erstickt werden. mit einhergehende Gesellschaftskritik im Die Folgen der Entfremdung sind psyFilm entdecken: Der Protagonist Jack Jamila Al-Yousef *1989 chische Regression (z.B. SchlafstöTaylor repräsentiert nämlich bestens den Abiturjahrgang des Barlach-Gymnasiums, Güstrow (M-V). Im Rahmen rungen, Schizophrenie), Abstumpfung entfremdeten und in vielerlei Hinsicht des Abiturs intensive Auseinanderset(emotionale Kälte), Zerstörung (gewaltkonsumsüchtigen Menschen der moderzung mit Erich Fromm. Schrieb drei same Kämpfe wie im Fight Club) und nen Gesellschaft. Letzteres wird nicht Jahre für die Jugendredaktion der SVZ, der größten Tageszeitung in Flucht (unter anderem in den Konsumnur im obigen Zitat deutlich – der PerM-V. Während dieser Zeit starkes drang oder in eine eigen erdachte Welt). sönlichkeitsverlust aufgrund gesteigerten Engagement für politische und musiKonsumdrangs zeigt sich auch in Jacks kalische Belange ihrer Stadt. MomenErich Fromm beschreibt diese Flucht in tan steht der Umzug nach Hamburg folgender Aussage: Ich fragte mich, welche an. Voraussichtlich ab Ende des Jahden Konsum als Grund und/oder gleichEsszimmergarnitur am besten zu meiner res in Argentinien und später in Engzeitige Folge der Entfremdung vom Persönlichkeit passte. land, um Internationale Beziehungen seienden Ich. Dass diese Befriedigung Die Beziehung zu Personen wird also und Musik zu studieren. künstlich ist, begründet er wie folgt: Nordurch Konsumgüter ersetzt – ein marmalerweise kaufen wir Dinge, weil wir sie kantes Merkmal der Entfremdung nach Erich Fromm. Jack kann als hervorragendes Paradebeispiel brauchen – sie also einen gewissen Nutzen haben – oder für Fromms Untersuchungen zu Entfremdung und Kon- weil man sich daran erfreuen möchte. Heutzutage kaufen sumdrang verstanden werden. Die gesellschaftskritischen die meisten Menschen der westlichen Welt aber weder aus Schriften und Bestseller machten den deutsch-amerika- Nützlichkeit noch aus Freude – so auch Jack. Als einsamer nischen Psychoanalytiker und Philosophen zu einem der Geselle benötigt er sicher nicht mehrere 32- teilige Geschirrsets oder monatlich eine neue Couch von Ikea. Der Luxus einflussreichsten Denker des 20. Jahrhunderts. Als ein Phänomen der Moderne beschreibt er die Entfrem- wird zu einer kurzzeitigen, künstlichen Befriedigung. dung, die nach seiner Definition eine Erlebnisweise ist, bei Leider scheint man nämlich in unserer verbrauchshungrigen der der Mensch sich selbst als Fremden empfindet. Man Konsumgesellschaft die Begriffe „Besitz“ und „Existenz“ ist nicht mehr der Urheber der eigenen Taten, sondern gleichzusetzen. Das bedeutet, man erwirbt Dinge, um sie zu

Wer nichts hat, ist frei.

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haben und seine Prestige-Bedürfnisse zu stillen. Das Sein des Menschen tritt dabei in den Hintergrund. Denn Statussymbole wie Markenkleidung, teure Autos oder große Häuser sind wichtiger, da sie unseren gesellschaftlichen Rang erkenntlich machen sollen. Doch betrachten wir Jacks Leben nun etwas genauer. Er ist Rückrufkoordinator einer renommierten Autofirma, jedoch völlig unzufrieden am Arbeitsplatz. Zugleich steht er nicht in fruchtbarer Koexistenz zur Außenwelt und lebt mit seiner Ikeasucht vereinsamt sowie anonym in einer amerikanischen Großstadt. Dass in seinem Leben etwas nicht stimmt, bemerkt Jack spätestens als er seit über einem halben Jahr Schlafstörungen hat. Der Arzt, den er deswegen aufsucht, hält ihm nur sarkastisch vor, er müsse erst einmal sehen, wie schlecht es den Hodenkrebserkrankten ergehe, die sich jeden Dienstag bei der Selbsthilfegruppe „Wir bleiben Männer“ treffen. Tatsächlich besucht Jack die Selbsthilfegruppe, wo er sich als gesunder „Parasit“ unter die krebskranken Männer mischt. An dieser Stelle beginnt nach den Pornos und dem Ikeakaufdrang seine dritte Sucht: die Selbsthilfegruppensucht, denn endlich wird Jack Aufmerksamkeit und Beachtung entgegengebracht: Einem Sterbenden hört man eher zu. Bei fast jedem Treffen konnte Bob, das Riesenbaby, ihn zum Weinen bringen, wodurch Jack erstmals wieder Emotionen zuließ: An Bobs Titten gepresst zu weinen war wie Urlaub. Auch seine Schlafstörungen gehen zurück: Nicht einmal Babys schlafen so gut. Wenn ich nach Hause ging, fühlte ich mich lebendiger als je zuvor. In mir hauste kein Krebs oder Blutparasit. Ich war die kleine warme Mitte, um die sich die Welt drehte. Jeden Abend starb er in diesen Selbsthilfegruppen und wurde am nächsten Morgen neu geboren. Bei den Männern jegliche Hoffnung zu verlieren bedeutete für ihn die pure Freiheit. Kurz darauf brennt jedoch seine Wohnung ab, weswegen er sich bei Tyler Durden einnistet, den er zufällig auf einer Geschäftsreise kennengelernt hat. Beide stellen fest: Erst wenn du alles verloren hast, hast du die Freiheit, alles zu tun. So beginnt Jack sowohl dem Konsumdrang als auch der Selbsthilfegruppensucht zu entfliehen. Mit Tyler gründet er den geheimen Fight Club, der in kurzer Zeit immer mehr Zuspruch erhält. Dabei handelt es sich keineswegs um gescheiterte, arme „Penner“ von der Straße: Viele der Männer sind Angestellte in noblen Hotels oder Firmen, aber ebenso selbstentfremdet wie Jack. Sie versuchen durch ihre gewaltsamen Kämpfe an den Nullpunkt zu gelangen – der einen Ausweg aus den gesellschaftlichen und materiellen Fesseln bedeuten soll. Der Fight Club entwickelt sich jedoch schnell zu einer kleinen Armee, die sich gegen das System wendet und vor nichts mehr zurückschreckt. Ihr Anführer, Tyler Durden, befindet die Gewalt als einzig wahres Mittel. Er bezeichnet sich selbst als Anarchist. Wer nichts hat, ist frei. Ihm geht es, im Gegensatz zur Gesellschaft, darum, dass jeder eine uneingeschränkte Persönlichkeitsentwicklung erfahren soll. Durden ist für die Zerstörung und gegen die Anhäufung von Besitz, denn das sinnfreie Konsumstreben blockiere die geistige Weiterentwicklung. Du bist nicht dein Job. Du bist nicht das Geld auf deinem Konto. Nicht das Auto, das du fährst. Nicht der Inhalt deiner Brieftasche. Und nicht deine blöde CargoHose! Du bist der singende, tanzende Abschaum der Welt ... [Jack Taylor] So fragwürdig die Brutalität auch ist – der Gewalt im Fight Club kann man eine entscheidende Funktion beimessen: Sie gibt den Männern das Gefühl, wieder Sinn im eigenen Sein zu erkennen. Durch die Regeln, die in der quasireligiösen Gemeinschaft aufgestellt wurden, genießen zunächst alle Männer das Recht auf Gleichheit. Sie können ihren Mut beweisen, und es entsteht ein für sie in der Gesellschaft zuvor nicht mehr spürbares Zusammengehörigkeitsgefühl. www.blickwechsel-hamburg.de

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Menschen sterben jedoch durch Entfremdung den seelisch-geistigen Tod. Schon Mark Aurel stellte fest: Nicht den Tod sollte man fürchten, sondern dass man nie beginnen wird zu leben. Ähnliches hielt auch Samy Deluxe in einem seiner ersten Raptexte fest: Ich will nicht wie die anderen schon beim Leben sterben. Doch desto sinnloser einem das Leben erscheint, um o größer ist auch die Angst vor dem existenziellen Nichtsein – dies erkannte der Philosoph Leszek Kolakowski. Er geht darüber hinaus davon aus, dass der Mensch sich erst im Angesicht des Todes seiner Existenz bewusst wird. Und genau das tat Jack durch die Selbsthilfegruppenbesuche und schließlich die lebensgefährlichen Kämpfe. Ob das aber die richtige Wahl auf der Suche nach Sinn im Leben ist? Kolakowski fährt fort, dass das endliche Dasein nur dann als sinnvoll empfunden und die Angst vor dem biologischen Tod ertragen wird, wenn man in aktiver Koexistenz zur Außenwelt steht. Der Psychologe Dr. Mihály Csikszentmihaly probiert die Gewalt auf andere Art und Weise zu erklären. Er spricht hierbei von Grenzerweiterung durch den sogenannten „Flow-Effekt“. Csikszentmihaly geht davon aus, dass der Mensch sich außerhalb seines Alltags Herausforderungen sucht, um sein Leben als etwas Sinnvolles wahrzunehmen. In Hobbys, wie z.B. Bergsteigen, Musik, Schach oder Basketball kann die Person alles geben, um Bestleistungen zu erbringen. Das Ziel ist die Grenzerweiterung. Bei dieser verspürt man dann den „Flow“, dessen Merkmale das Vergessen von Alltagssorgen, das völlige Aufgehen in der Tätigkeit, das Gefühl, Teil eines Größeren zu sein, sowie hohe Konzentration sind. Der „Flow“ treibt uns an, immer weiter zu streben – und ist damit auch ein Merkmal der Evolution. Die einzige Voraussetzung für den Flow ist, dass sich die Herausforderungen und Fertigkeiten in der Waage halten müssen. Wenn die Männer im Fight Club miteinander kämpfen, greifen sie zu immer brutaleren Mitteln, die sie dann auch außerhalb des Fight Clubs anwenden und zivile Einrichtungen angreifen – so wollen sie ihre Grenzen erweitern. Deswegen beschreibt Dr. Mihály Csikszentmihaly auch, dass es ein „Flow mit Seele“ sein müsse, der unsere ethischen Richtlinien mit einbezieht. Doch von Moral kann bei dem Fight Club ebenso wenig die Rede sein wie von wahrer Sinnsuche im Leben.

Viele Theorien versuchen auf die Gewaltfrage im Fight Club eine Antwort zu geben – der Philosoph Karl Jaspers würde sicherlich die These vertreten, dass die Menschen sich erst durch den Kampf (gelöscht)ihrer Sterblichkeit bewusst würden. Jaspers unterscheidet den Tod nämlich in existenzielles und vitales Nichtsein. Mit Letzterem meint er den biologischen Tod. Die meisten 34 | Titel

Manchmal vermag uns ein durch den Asphalt brechender Löwenzahn die tägliche Frage nach dem Sinn des Lebens eindrücklicher und überzeugender nahezulegen,als eine ganze Bibliothek philosophischer Schriften. Es bedarf nur des Willens jeder einzelnen Person, in eben diesem Naturspiel die Stärke und Kraft des Löwenzahns zu begreifen, durch die er sich als Individuum bewusst gegen den materiellen und zerstörerischen Zwang der Gesellschaft wehrt. So könnte Jack Taylors schizophrene Gestalt des Tyler Durdens wie sich am Ende des Filmes herausstellt, auch als Löwenzahn verstanden werden, der versucht, durch den Asphaltteppich zu ragen. Doch gewiss ist die Gewalt nicht das richtige Mittel, sich gegen die starren, erniedrigenden Umstände sowie die eigene Sinnlosigkeit aufzulehnen. Nietzsche sagte einst, man dürfe nicht vom Leben verlangen, dass es einen übergeordneten metaphysischen Sinn habe. Denn: Unser Leben hat nur ganz genau so viel Sinn, als wir ihm selber zu geben imstande sind.

Blickwechsel No. 2 | Juli 2008


Schizophrenie Ein Treffen zu dritt.

Ich soll über meine Erfahrungen mit Schizophrenie schreiben? Ich sitze etwas träge in meinem Zimmer, höre irgendeinen verrückten Remix mit dem Titel „Relax, take it easy“, was ich normalerweise nicht höre, nicht dass du mich falsch einschätzt. Es ist heiss und irgendwie so stickig. Ich schaue in den Himmel hinaus und versuche mich in der Zeit etwas zurückzubeamen. Es ist wahr, ich kann mir ungefähr ein Bild darüber machen, was so abgehen kann in einer schizophrenen Phase. Ich arbeitete in einer psychiatrischen Tagesklinik, wo ich als damals 17jährige mit krassesten Problemen konfrontiert wurde. Jeder Tag stellte eine grosse Herausforderung dar. Ich schaffte es anfangs nicht, mich abzugrenzen, und weinte manchmal abends. Ich fragte mich jeden Tag, ob ich wohl mit meinen Absonderlichkeiten nicht auch ein wenig „krank“ bin ... Bis ich eines Tages Ihn treffe. Ich lerne ihn am Bahnhof kennen, als ich auf den Zug warte. Es ist Nacht. Ich habe zwar keine Angst, sehe aber ungewöhnlich viele merkwürdige Kreaturen auf den Bahnhofanlagen herumschleichen. Egal, mein Zug soll ja bald kommen. Er setzt sich neben mich. Ich weiss bis zum Schluss nicht, wie er heisst. Er sitzt dicht neben mir und starrt mich mit weit aufgerissenen und gehetzten Augen an. Dies alles macht einen sehr beängstigenden Eindruck. Trotzdem bleibe ich ruhig. Ich denke mir schon, dass er entweder gerade mit Drogen experimentiert oder aus einer Klinik abgehauen ist. Zwei Polizistinnen gehen an uns vorbei. Die eine wirft einen kurzen musternden Blick auf uns. Sie geht weiter. Mein Nachbar jedoch beginnt zu zittern und die hässlichsten Fluchwörter zu flüstern, fest auf die verschwindende Polizistin fixiert. Er erzählt mir seine Geschichte. Er kommt aus Deutschland, ist aber mit einer Schweizerin liiert. Die sperrte ihn in eine Klinik. Er brach jedoch aus und befindet sich nun auf dem Weg zu ihr, um sie aus der Welt zu schaffen, wie er immer wieder betont. Ich sitze still da, überlegend, wie ich am besten handeln könnte. Aggressiv dreht er sich zu mir und fragt mich provozierend, ob ich nicht etwas Angst hätte vor ihm. Nein, das habe ich nicht. Er zieht dann tatsächlich ein riesiges, glänzendes Messer aus der Tasche, liebkost es mit irrem Blick, sich wie in einer anderen Welt befindend. Leicht geschockt, versuche ich sanft auf ihn einzureden. Nur mit viel Anstrengung schafft er es schliesslich, mir eine Weile zuzuhören. Er fragt mich, wo ich wohne, ich gebe ihm eine falsche Auskunft. Er fragt mich, ob er diese Nacht vielleicht bei mir Unterschlupf finden könnte. Ich verneine höflich. Da flippt er aus, steht auf, dreht sich im Kreis und schreit permanent „Ich hasse mich, ich hasse mich ...“ Ich weiß nicht mehr, was ich tun soll. Die wenigen Menschen, die es bisher noch um uns herum hatte, verschwinden nun diskret aus unserer Umgebung. Ich packe ihn entschlossen am Arm und helfe ihm mit nachdrücklicher Geste auf die Bank zurück. Ich zwinge ihn, mir in die Augen zu schauen, und halte ihm eine Standpauke. Ich weiss nicht, was in mich gefahren ist, ich weiss doch, dass er echt Probleme hat. Schliesslich schweige ich, etwas beschämt. Es ist still. Dann höre ich ein leises Weinen. Unbeweglich wie aus Marmor geschliffen sitzt er da – Tränen tropfen aus den steinernen Augen, den Blick in die Ferne gerichtet. – Plötzlich sieht er wie ein Kind aus. Alles verändert sich. Mit leiser Stimme erzählt er nun eine andere Geschichte, eine Geschichte aus einer unbekannten Welt. Aus einer seiner vielen Realitäten. Seine Diagnose sei Schizophrenie. Doch er könne gar nichts damit anfangen. Sein sehnlichster Wunsch wäre es, fliegen zu können. „Wo würdest du dich dann hinbegeben?“, frage ich. „In die Wüste, wo ich niemanden verletzen, niemanden fast umbringen und nicht eingesperrt werden kann. Ich habe es satt, mich zusammenreissen zu müssen, damit ich nicht abgefüllt werde. Klar spinne ich, aber nicht wegen dieser Farbe, die ich nun mal bei jedem Menschen sehe. Weißt du, ich kann nichts dafür, dass ich diesen Nebel um alle mit den verschiedensten Farben sehe. Und wenn der König mir mit befehlender Stimme ins Ohr donnert, dass ich meinen Bruder umbringen soll, dann hasse ich den König und tue dies sicher nicht mit Vergnügen, sondern dann muss ich eben einen Befehl befolgen, sonst werde ich selbst gehängt. Bitte verstehe mich doch, ich will nichts Böses! Die Wüste wäre wirklich die Erlösung.“ Er lächelt mich an. Ich lächle zurück. Irgendwie bin ich berührt und weiß nicht einmal weshalb. Wer ist schizophren? Klar, derjenige, der eben spinnt. Und er ist sicherlich verrückt. Aber wer spinnt denn nicht? Oder haben wir solche Dinge einfach zu unterdrücken gelernt? Ich frage mich, wie deine Realität denn aussieht – ist sie die Wahrheit? TEXT: Fiorina Brotbeck www.blickwechsel-hamburg.de

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dialog

Was ist Depression und was heisst es, deprimiert zu sein?

Deprimiert sein bedeutet, dass du die Möglichkeit hast, selbst rauszukommen, durch gute Gedanken und das Bewusstsein. Doch bei einer richtigen Depression hast du nicht mehr die Möglichkeit, dir selbst zu helfen. Es gibt verschiedenste Stufen. Mit der Zeit kannst du die Stufen selbst einschätzen, doch dies ist ein langer Weg. In den schwersten Stufen muss man definitiv in die Klinik, denn dann ist die Suizidgefährdung einfach zu groß. In schwierigsten Momenten ist der Tod die einzige Lösung: Er bedeutet eine Auflösung. Niemand, der diesen Schmerz nicht wirklich selbst erlebt hat, kann verstehen, was das bedeutet. Doch du kannst es bis zu einem gewissen Punkt nachvollziehen oder dir vorstellen.

Suizid – es braucht doch sehr viel Mut zu dieser Entscheidung?

Schon, aber wenn die Verzweiflung und der Schmerz so gross sind, dass die Konsequenz dieser Entscheidung nur noch die Erlösung bedeutet, dann ist der Mut Nebensache. Doch trotzdem – es ist schon ein gewaltiger Schritt.

Was ist der Anfang einer Depression?

Alles erscheint dir gefühlsmäßig nur noch ausweglos. In der Anfangsstufe einer Depression solltest du es aber noch schaffen, dir selbst herauszuhelfen, wenn du es erkennst und Bewältigungsstrategien entwickelst. Ich glaube, bei Künstlernaturen (und da zähle ich ziemlich viele dazu) ist es schwieriger, die haben oft einen Hang zum Depressiven. Wenn es dann so stark ist, dass du in die Klinik musst, dann spielt einfach nichts mehr eine Rolle. In einer starken Depression ist dir dann einfach alles wertlos und egal. In diesem Falle bin ich für medikamentöse Behandlung. Denn wenn man noch richtig denken kann, dann sieht man nur noch die eigenen Fehler und die sind plötzlich ganz grosse Monster …

Und bei dir, wie war es da?

Gedanken im Dialog mit dem Künstler Rolf Scherer

Ich kam in eine Familie, die unbeweglich, streng und im katholischen Sinne immer nur Himmel und Hölle sah. Viel hängt bei einem Kind mit der Erziehung zusammen, ob das Kind die Möglichkeit hat, wirklich dies zu tun, was es glücklich macht. Ich merke heute, dass ich viel verdrängt habe aus meinem Leben. Die Hauptsache ist eigentlich, dass man von der Mutter einfach geliebt werden möchte. Ich wollte dies, doch ich bekam nie Liebe von ihr. Aber ich bin überzeugt, sie tat alles, was sie konnte. Es fand in mir eine starke Auseinandersetzung zwischen dem Rolf, den meine Eltern gerne gesehen hätten, und dem Rolf, der mein wahres Ich darstellte, statt. Für mich wurde bald klar, dass ich in den Bereich bildende Kunst gehen wollte. Ich konnte aber in keine Schule, denn ich hantierte immer nur als Autodidakt, und ich wurde auch nicht rechtzeitig gefördert. Steiner sagte schon, dass es Momente in der Entwicklung gebe, die besonders gefördert werden sollten, weil sie so enorm wichtig seien.

Und die Kunst begann ... ... schon in der Schule, denk ich, wurde aber immer unterdrückt. Erst kurz vor seinem Tod sagte mein Vater, ich sei ein Künstler. Mit der Mutter war es immer noch nicht einfach, sie benahm sich auch sehr merkwürdig meinen eigenen zwei Töchtern gegenüber. Aber ich bin nun am Verarbeiten von all diesen Dingen. Musste mich aber erst mal schon auch einfach etwas distanzieren. 1996 begann dann die Depression mich anzugreifen, je mehr meine eigentliche Identität zum Vorschein kam, desto schlimmer wurde es. Es begann mit einem undefinierten Unwohlsein, erst mal einfach mit vielen Fragen und mit unzähligen Dingen, die ich einfach hinterfragen musste. Ich besuchte schon seit meinem 25. Lebensjahr regelmässig den Psychologen, und der wies mich dann 1996 in eine Klinik ein, weil man mich für einen Moment lang nur noch mit Medikamenten behandeln konnte. Was ich immer sehr schätzte, waren die Gruppentherapien. Nun, von diesem Zeitpunkt an war ich immer mal wieder in der Klinik mit einer ganzen Reihe von Aufenthalten dort. 2002 habe ich mich dann von meiner Partnerin getrennt und bin allein in eine kleine Wohnung gezogen, das war viel besser dann. Ich war sicherlich einmal pro Jahr in der Klinik.

Rolf Scherer *1962

in Biel/Schweiz geboren, 9 Jahre Rudolf Steiner Schule Biel, ein Jahr katholisches Internat, 4 Jahre Lehre zum Schreiner, Geschäftsübernahme vom Vater, Abbruch / Wendepunkt, Hauswart der RSS Biel, dann lange Zeit immer wieder in Kliniken, nun freischaffender Künstler.


Und dann kam ja der Alkohol noch hinzu … Ja, Alkohol spielt leider auch eine grosse Rolle in meiner Biografie. Das Schlimmste, was du machen kannst, ist Alkohol mit Medikamenten zu mischen ... das ist echt grauenvoll. An Weihnachten 2005 kam ich dann notfallmässig wieder in die Klinik, diesmal auf Entzug. Seit diesem Aufenthalt geht es mir besser. In den Werkstätten dort habe ich ganz viel gearbeitet, ganz viele künstlerische Sachen kreieren können, und ich konnte ganz viel von dem tun, was ich immer schon tun wollte.

Was genau ist da passiert, denn seither geht es nur noch bergauf mit dir … Ich denke sogar, richtig angefangen hat mein Leben erst, als ich von der Alkoholentzugsklinik zurückkam. Ich gewann ein starkes Bewusstsein dafür, dass ich allein für mich verantwortlich bin und jeden Schritt selbst entscheiden kann. Vor allem aber konnte ich einen Teil meiner Ängste endlich ablegen.

mut Zum Beispiel was?

Diese Angst, in eine Bar oder ein Café zu gehen und mich an einen Tisch zu setzen, an dem schon jemand sitzt. Es spielt dabei überhaupt keine Rolle, ob es Bekannte von mir sind oder nicht. Ich hatte einfach Angst, weil mich das unangenehme Gefühl überwältigte, für niemanden interessant genug zu sein und nur zu stören. In der Therapie lerne ich jedoch, mir Selbstüberwindungsaufgaben zu stellen, um so meine Ängste zu bekämpfen. Die Verbindlichkeit ist auch so eine andere Sache. Ich wollte immer Termine absagen, wenn es mir nicht so gut ging, denn ich hatte keinen Mut und keine Lust mehr. Ich versuchte mit der Zeit jedoch, mich selbst zu überreden, doch hinzugehen. Aber das ist schon eine hohe Schule für Depressive, dann sich zu überwinden und doch hinzugehen.

Mut zur Entscheidung

über den ewigen Kampf mit der Depression.

Psychose – was kommt dir dazu in den Sinn? Das lernte ich natürlich früh durch und mit meinem Bruder kennen, der schon als junger Mensch richtige Psychosen hatte. An einer Psychose erkennt man manchmal grosse Parallelen mit Drogenerfahrungen, mit einem Trip in eine andere Dimension. Du bist in diesem Zustand komplett losgelöst von allem – deine Wahrnehmung wird komplett durcheinandergebracht, sodass nichts mehr real ist, wie wir es erleben. Mein Bruder hatte dieses „Besessen-Sein“ wie man einen solchen Zustand früher nannte.

Manisch sein bedeutet ...

Du bist geil, unheimlich, ausgeflippt ... Ich habe in einer manischen Phase schon viele verrückte Dinge gemacht. Hatte aber eigentlich sehr selten einen solchen Trip. Bei manchen Leuten kommen in dieser Phase sehr tierische Züge ans Tageslicht. Zum Beispiel die Sexualität ist plötzlich nicht mehr normal, sondern eher etwas sehr Tierisches. Du verlierst die Kontrolle.

Was möchtest du jungen Menschen von heute mit auf den Weg geben? (überlegt eine Weile) Alles immer zuerst zu hinterfragem, und verantwortungsvoll zu handeln. Die Jugend ist wie eine Knospe, die Licht, Wasser und Nährstoff braucht, und wenn die Jugend auf solch nährstoffhaltigen Boden treffen würde, was Politik, Bildung, Familie und Umgebung betrifft, dann ist die Jugend die Zukunft, unsere Blüte.


Es ist ein schöner, warmer Sommertag im Juni. Ich sitze an einem kleinen Tisch am Rande eines Platzes, Kaffee und Ziga rette genießend. Mitten auf dem Platz ist ein Brunnen, das Wasser sanft bewegt, kleine Wellen drängen zum Rand. Mein Blick fällt auf eine Taube, die da an dem Brunnen hockt, ihre Füßchen in das Wasser gestellt, und ab und an ihr Köpfchen in das kühle Nasse des Brunnen steckt. Um sie tobt das Leben, Menschengewimmel. Gehetzt hasten sie vorbei, beladen mit Einkäufen, ihrer Geschichte, ihrem Schicksal. Und inmitten diese eine Taube, die einfach da ist. Sie denkt nicht, was morgen sein wird, denkt nicht an das, was gestern war. Sie lebt einzig und allein für das, was gerade ist, für den Moment, das Jetzt – und alles andere ist für ihr SEIN nicht relevant. Da hüpft und rennt ein kleines Mädchen einer Plastiktüte hinterher, die von dem Wind über den Platz getrieben wird. Der Wind spielt mit der Plastiktüte, wirbelt sie hin und her, und das Kind spdem Wind, spielt mit der Plastiktüte, wirbelt genauso verspielt über den Platz, nur diese eine Tüte, diesen wehenden Schweif vor Augen. Seine Füße beschreiben eine undeutliche, planlose Spur am Boden, endlose Kreise. Auch das Kind denkt nicht an das Morgen, denkt nicht an das, was gestern gewesen – es läuft vor Freude strahlend dem abgerissenen Stück Plastik hinterher und versucht es zu erhaschen.

Gefangen

in

Und ich sitze am Rande des Platzes und frage mich: Was wird morgen sein? Was war gestern? Wohin? Woher? Und ich beobachte die Taube am Brunnen, die IST, ich beobachte das Kind auf dem Pflaster vor dem Brunnen, das IST. Wie gerne wäre ich so unbeschwert! Wie gerne wäre ich wie die Taube, wie das Kind – nichts, was an mir lastet, nichts, was meine Flügel bannte!

Freiheit

G e danke nk re ise.

Ich sitze da und bin gefangen in der Möglichkeit der Freiheit.

Kim-Fabian v. Dall‘Armi *1989

12. Klasse der Waldorfschule Hamburg-Wandsbek. Geboren und aufgewachsen in der Schweiz. Ausgedehnte Reisen durch die ehemalige Sowjetunion. `06 Auslandsaufenthalt in Kapstadt/Südafrika. Seit dem die Frage, wie Raum gestaltet werden werden kann und muss, der wirkliches Mensch-Sein zulässt.

Wie schön wäre es, einfach nur der Plastiktüte hinterherzujagen, einfach nur die Füße in das kalte Wasser zu stellen. Aber ich bin Mensch und kann und muss denken. Ich bin Mensch und habe zu verantworten, habe zu antworten: Ich habe mich dem zu stellen, was mir begegnet.

Ich habe die Unbedarftheit des Kindes eingetauscht gegen die Möglichkeit zu denken. Muss an das Morgen denken, an die Konsequenzen meiner Handlungen, an die Folgen meines Tuns, an das, was ich in dem Vergangenen getan habe. Das ist mein größter Fluch – und mein größtes Geschenk.

Dennoch möchte ich auch einfach nur in dem Moment frei sein. Das tun, was mir gerade in diesem Moment ein Bedürfnis ist, und sei es der Wunsch, einem vom Winde verwehten Plastikfetzen nachzujagen. Einfach sein. Ohne Verzicht, ohne Abstriche. Diese beiden Ebenen liegen im Konflikt miteinander. Einerseits selbstbestimmt, unabhängig von inneren und äußeren Trieben leben, andererseits einfach nur dem Moment folgen. MOMENT, nicht denken, dem Gefühl folgen, einfach das tun, was gerade ist – DAS DRUMHERUM – denken, bewusste Entscheidungen treffen, die Vernunft und den Verstand zum Prüfer des Seins werden lassen. Und ich drücke mich vor dieser Entscheidung, vor dieser Verantwortung. Mache weder das eine noch das andere, hier ein bisschen, da ein bisschen, schaffe mir eine Scheinrealität, in der beides lebt. Und wieder fällt mein Blick auf jene Taube. Jetzt schaut sie gen Himmel, das kleine Köpfchen leicht schräg, und dann spannt sie ihre Flügel und fliegt, fliegt der Weite entgegen. Und ich sitze da und singe von Freiheit: ein zahmer Vogel, die Flügel gebunden durch mein Denken, durch meinen Verstand, während die Taube fliegt, wild und unbeherrscht ... Ratlos schlürfe ich meinen Latte macchiato und drücke den Stummel meiner Zigarette in dem Aschenbecher auf dem Tisch aus. 38 | Titel

Blickwechsel No. 2 | Juli 2008


F

ür so manch einen ist der (Schul-)Alltag geprägt von der Flucht in virtuelle Parallelwelten. Sich den Pflichten dieser Welt entziehend, wird der Vorzug einer Welt gegeben, in der man sich die Probleme selbst aussucht, sie gar nicht erst entstehen oder in der man sie einfach wegklicken kann. Hier werden die Kleinen ganz groß, die sonst keuchenden Schlappmacher bekommen nun auch einen Platz auf dem Treppchen, und die graue Maus von nebenan sieht plötzlich aus wie MySpace-Nixe Tila Tequila. Doch der Avatar muss keineswegs das zweite Ich der lebenden Loser unserer Gesellschaft sein. Er kann als Möglichkeit dienen, den Schein äußerer und materieller Makellosigkeit zu erzeugen – das unformulierte Ziel unserer Neidgesellschaft – und ein Leben zu führen, in dem man sich keine Gedanken über die Konsequenzen des eigenen Handelns machen muss. Die Kausalität in der virtuellen Welt ist auf das World Wide Web reduziert. Da hier, in der „realen Welt“, die Kaffeepreise beim Tchibo an der Ecke jedoch Einfluss auf das Wohlbefinden südamerikanischer Kaffeebauern haben, muss man wohl von einem Abhängigkeitsverhältnis oder zumindest von einer Verbindung unseres eigenen Handelns und den Ereignissen an noch so weit entfernten Orten dieser Erdkugel sprechen. Dieser damit verbundenen Verantwortung – vielen ist sie gar nicht bewusst – kann man sich nicht entledigen, aber man kann sie versuchen auszublenden, man kann sich in Welten flüchten, in der andere Gesetze gelten. Dass dabei schon Menschen aus Erschöpfung und Wassermangel gestorben sind, erscheint in diesem Zusammenhang als makabre Parallele zu einer weiteren Parallelwelt: die Dritte Welt. Hier verdursten die einen, weil sie vergessen haben zu trinken, und dort verdursten die anderen, weil sie nichts zu trinken haben. Ich werde mich am 1. September dieses Jahres ebenfalls den mir bekannten Strukturen entziehen und mich in einen Teil dieser weiteren Parallelwelt begeben. Doch es ist weniger eine Flucht aus der Realität als in die Realität. Zwölf Monate werde ich im Rahmen einer entwicklungspolitischen Initiative (weltwärts) in der Nähe von Lima, Peru, Englisch und Deutsch unterrichten, Theaterprojekte begleiten und weitere Projekte betreuen. Die „Freunde der Erziehungskunst Rudolf Steiners“ sind Träger dieses Projektes, sie vermitteln, unterstützen und tragen mein Vorhaben. Beruhigend, schon jetzt „Freunde“ zu haben, die mich dorthin begleiten (auch wenn ich nicht die Erziehungskunst Rudolf Steiners bin), da ich doch von all meinen Freunden hier Abschied nehmen muss. Mit dem Eintauchen in diese Welt omnipräsenter Armut und Grundbedürfnisse, die uns hier doch häufig so fern erscheinen, beginnt auch für mich ein neues, ein „zweites Leben“.

Alexander Repenning *1989

Abiturient der Waldorfschule Hamburg-Wandsbek. Ballverknallt und langer Lulatsch, liebt das Lachen und die vielfältige Verwendung von Worten. Jüngst ins Erwachsenenleben gestoßen, sind die Augen nun nach Peru gerichtet, wo im September wieder ein Platz in der Schule wartet: Aber diesmal einer mit dem Rücken zur Tafel. Grünschnabel im Blickwechsel und noch grün hinter den Ohren, grüne Augen und grüne Grundorientierung - das gibt begründete Hoffnung für die Zukunft.

Parallelwelt Peru – und du?

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Als frisch gebackener Abiturient weit davon entfernt, mit beiden Beinen im Leben zu stehen, kann die Reise nach Peru vielleicht eine Möglichkeit für mich sein, mit dem kleinen Zeh nach einem standfesten Plätzchen im Leben zu suchen. Ich bilde mir nicht ein, mit meinem Projekt die Welt verbessern zu können – vielleicht schaffe ich es ja, in diesem einen Jahr mir selbst näher zu kommen und dabei niemandem im Wege zu stehen. Zwar werde ich die Kinder unterrichten, doch viel mehr als sie von mir werde ich von ihnen lernen. Sicher werde ich vom und über das Leben lernen und vielleicht, ganz vielleicht auch mit meinen Fähigkeiten entwicklungspolitische Hilfe leisten. Und wahrscheinlich, sehr wahrscheinlich werde ich in einem halben Jahr über diese Zeilen schmunzeln. Meinen Bemühungen, den Idealismus eines Weltverbesserers einzuschränken, bleibt nun noch hinzuzufügen, dass ich die Reise vor allem antrete, weil ich Lust darauf habe – genau wie die meisten Spieler von „Second Life“ und Co.

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Ein Leben auf Atchi Platte lebt sein zweites Leben. Auf der Straße.

TEXT UND FOTO: Pia Dombrowski, Moritz Thörl

E

r trägt eine rote Mütze, eine schwarze Lederjacke, eine grüne Hose und schwarze Stiefel. Nichts würde ihn von einem ganz normalen Menschen in der Mitte von Hamburg unterscheiden – nur eins, er sitzt am Straßenrand mit seinem Hund und bettelt um Geld. Viele Menschen gehen an ihm vorbei, würdigen ihn keines Blickes, fragen sich nicht, wer der eigentlich ist, der hier jeden Tag sitzt. Wir haben uns diese Frage gestellt und ihn angesprochen. Und er hat uns freudig von seinem Leben erzählt. „Ich komme aus Frankreich“, sagt Atchi, 28 Jahre alt. „Ich habe 100 km südlich von Bordeaux gelebt. In meiner Stadt lebten nur 8 000 Menschen. Der Ort heißt Bayonne. Es liegt ganz nah an Spanien, und ich mag die kleine Stadt dort sehr. In meiner Jugend wollte ich immer Geschichtslehrer werden. Ich habe die Schule besucht. Ich bin von 12 bis 16 Jahren auf ein College gegangen und dann auf eine höhere Schule, doch ich war nicht gut in der Schule, nicht gut genug, um Lehrer zu werden. Ich mochte Elektrotechnik sehr gerne und ich habe mein Diplom geschafft“, seine Stimme erfüllt sich mit Stolz, und mit einem Lächeln sagt er, „doch ich war nicht gut genug.“ Er macht eine Pause und fährt dann fort. „Meine Eltern sagten, ich habe zwei Möglichkeiten, ich kann zum Militär gehen oder ich muss auf die Straße. Ich wollte nicht zum Militär, denn ich mag es nicht, was man da alles machen muss, und so ging ich auf die Straße. Das ist nun neun Jahre her.“ „Bist du pazifistisch?“, fragen wir ihn. Er lacht. „Nein. Das bin ich nicht wirklich, und doch mag ich das Militär nicht. Ich bin dann viel herumgereist, und vor drei Jahren bin ich nach Deutschland gekommen. Ich bin viel schwarzgefahren, doch manchmal habe ich mir auch mit anderen Leuten eine Gruppenkarte geteilt. Ich war schon 40 | Titel

in vielen Städten von Deutschland: in Berlin, Frankfurt und Rostock. Doch in Hamburg bin ich nun am längsten. Ich werde hier bleiben, denn es ist die schönste Stadt von ganz Deutschland.“ „Gab es einen Grund, warum du nach Hamburg gekommen bist?“ Bei dieser Frage lächelt Atchi. „Es war wegen eines Mädchens.“ „Hast du noch Kontakt zu deiner Familie?“ „Nein, seit sechs Jahren weiß ich nichts mehr von ihnen. Aber ich bin nicht traurig. Ich habe meine Familie hier gefunden, die, mit denen ich hier schlafe. Wir arbeiten zusammen und schnorren auch zusammen für Essen. Doch wir sitzen nicht zusammen, denn wenn die Polizei auf eine Gruppe mit mehr als drei Obdachlosen aufmerksam wird, dann verlangen sie deinen Pass zu sehen, und ich habe keinen. Ich habe meinen verloren, doch ich will auch keinen haben. Die Polizei hier kennt mich, und sie gaben mir ein Stück Papier und das reicht. Ich bin auch ein Ruhiger. Ich greife keine Menschen an, wenn sie mir kein Geld geben, auch dann nicht, wenn ich Alkohol getrunken habe. Ich habe mal viel Alkohol getrunken, ich war Alkoholiker, doch seit drei Monaten habe ich keinen Schluck mehr zu mir genommen. Aber ich brauche meine Zigaretten und mein Heroin, sonst halte ich das hier nicht aus. Ich hasse das Schnorren, und wenn ich nicht mein Heroin habe, dann geht es nicht. Manchmal rauche ich zwei Joints am Tag.“ „Aber wie geht das mit dem Geld? Das ist doch ziemlich teuer!“ „Es geht, ich bezahle 25 Euro und der Alkohol ist auch viel billiger hier in Deutschland. Eine Flasche Wodka kostet 5 Euro, in Frankreich ist es das Doppelte. Ich verdiene so 30 bis 40 Euro in der Woche, manchmal, das ist gut.“ „Was magst du wirklich nicht an deinem Leben auf der Straße?“ „Ich hasse das Schnorren. Ich mag es nicht, aber ich habe keine andere Chance. Einen guten Schlafplatz habe ich auch. Ich schlafe unter der Bühne (an der Davidswache auf der Reeperbahn). Das Licht geht so um ein Uhr aus und ich gehe um drei oder vier Uhr schlafen, dann schlafe ich so bis um elf und gehe dann schnorren. Ich bin glücklich, und ich mag, es mit den anderen zusammen zu sein. Man lernt viele Leute kennen.“ In uns steigt Zweifel auf, ob er wirklich an diesem Platz eine Chance hat, seinen Traum noch zu verwirklichen. Doch Atchi ist mit seinem neuen Leben zufrieden, und im Moment will er nichts anderes. Blickwechsel No. 2 | Juli 2008


Alles in Kopp

Exklusivbericht über den gewollten Drogenmissbrauch einer verlorenen Generation.

N

ach jedem versoffenen Wochenende und einem im Halbdelirium verbrachten Sonntag stellte sich mir die eine Frage: Wer hat eigentlich den Alkohol erfunden? Inzwischen formuliere ich die Frage anders: Warum geht es nicht mehr ohne? Von den Eltern hört man nur das Ge genteil. Man hört, dass es bei ihnen auch ohne Drogen ging. Glaubwürdig erscheint mir das mit Blick auf ihren pädagogischen Auftrag jedoch nicht. Glaubwürdiger klingen da schon eher die Berichte von Freunden, die von ihren „Heldentaten im Suff“ erzählen. Nüchtern betrachtet klingen diese „Zerstörungsbeichten“ eher schlapp und kindisch, gleichzeitig aber auch lustig und hemmungslos. Es liegt wohl an den im Suff ausgelebten Instinkten oder besser gesagt den „inneren Drängen“ die den Reiz des „Alkoholmissbrauchs“ ausmachen. In einem Alltag, der von gehemmten und spießigen Erwachsenen geprägt ist, ist die „Flucht“ in den Alkohol vielleicht die einzige Möglichkeit, aus Zwängen und Rastern auszubrechen. Die Schuld bei den Erwachsenen zu finden, fällt mir als Jugendlichem sicherlich leichter, als bei mir selber mit dem Suchen anzufangen, doch die ganze „Schuld“ kann gar nicht bei den „Erwachsenen“ liegen. Die letzte Entscheidungsinstanz bin sicherlich – garantiert – ich selbst. Aber warum mach ich es denn dann überhaupt? Sogar wenn ich weiß, dass Alkoholkonsum ein Zeichen von Schwäche und bestimmt eine Gefahr ist ... Es klingt schon beängstigend, wenn man jeden Montag von Neuem von Schlägereien, Messerstechereien oder Komatrinkern hört. Vor allem klingt es abstoßend. Doch trotzdem gibt man www.blickwechsel-hamburg.de

sich wieder die Kante. Das Bedürfnis, aus dem Alltag auszubrechen und „einen druff zu machen“ ist größer als das Wissen: „Morgen geht‘s mir wieder schlecht.“ Für vier, fünf Stunden „Ekstase“ gibt man seinem Körper bleibenden Schaden mit. Ein hoher Preis. Das muss man sich mal vorstellen! Eigentlich spricht alles gegen den Alkoholmissbrauch. Trotzdem sind Aktionen wie „Flatratesaufen“ (Saufen zum Pauschalpreis) oder Wettkampfsaufen (Saufen bis zum bitteren Ende) vor allem bei Jugendlichen angesagter denn je. Die Ursache des Problems ist wohl doch in unserem Sozialgefüge zu suchen: „Cliquenzwänge“ und „Ablenkversuche“ sind wohl die Hauptgründe. Schon pervers. Jugendliche versuchen, sich von ihren Problemen „abzulenken“. Müssen ja wohl große Probleme sein, denn das ist doch sonst eher das Ding von gescheiterten Existenzen. Sicherlich sollte man sich mal an den Kopf fassen und darüber nachdenken: „Tut die Flasche jetzt not oder nicht?“ Denn so groß dürfen die Probleme nicht sein, und die „Flasche“ ist auch nicht die richtige Medizin dagegen. Alle sollten sich mal Gedanken über ihren und den allgemeinen Alkoholmissbrauch machen. Flatratepartys darf es nicht geben, denn hier ist der Absturz quasi im Preis inbegriffen. Bevor ich zum Schluss komme, sollte festgehalten werden, dass Feiern nicht verboten werden sollte und auch nicht Alkohol (um Gottes willen). Aber trotzdem. Simon Berg *1988 Ein bisschen NachdenAbiuturient der Waldorfschule ken hat noch keinem Hamburg-Wandsbek. Chefkoch und Surfleherer, Hängegeschadet. Was man mattenjunkie, nächtes Jahr zur Ausabschließend aber noch landskorrespondenz nach Australien sagen muss: Es saufen verbannt. Buchhalter und eine 6 in nicht alle ... bis jetzt. Mathe ... Titel | 41


Von der Anarchie zur Autarkie Auf der Suche nach einer neuen Lebensform. Eine Erfahrung. Deutschland, anfang der 70-er Jahre. Wir kämpften in un- bensfertigkeiten hinausging. serer Kleinstadt für ein selbst verwaltetes Jugendzentrum, Das war damals die Hauptmotivation für uns: Ein möglichst demonstrierten gegen Fahrpreiserhöhungen, liefen uns die unabhängiges, autarkes Leben erschien in Anbetracht der daFüße auf Demos wund, diskutierten uns die Köpfe heiß. Was mals herrschenden Weltuntergangstimmung – in Erwartung uns damals antrieb, war die Hoffnung auf ein gerechteres, der nächsten Ölkrise oder eines Super-GAUs – die bestmögmenschlicheres Leben frei von Fremdbestimmung und Kon- liche Lebensform zu sein. sumterror. Bald jedoch kämpften die verschiedenen poli- Nach dem Praktikum hatten wir Know-how, aber kein Geld. tischen Gruppierungen wiederum gegeneinander … 1979 Wir schauten uns nach einer passenden Kommune um – fanhatten wir, mein damaliger Lebensgefährte den aber keine. Die einen meditierten nur, und ich, von den politischen Grabenkämpwährend der Garten von Unkraut überwufen die Nase voll und bereiteten uns auf ein chert wurde, die anderen erprobten SelbstSelbstversorgerleben vor. Denn wenn man erfahrung bis zum Abkotzen (AA-Kommunicht in der Stadt den „Widerstand“ orne…). ganisierte, dann gab es für „WeltverbesseEs war die Zeit des erbitterten Kampfes um rer“ noch eine Alternative, man ging „aufs die effektivste Art, die Gesellschaft und das Land“, vorzugsweise in „Landkommunen“, Individuum umzukrempeln. wurde „Aussteiger“ und baute dort Hanf, Am Ende fanden wir eine Ruine auf dem Kartoffeln und Ähnliches an. Land, in der wir 5 Jahre mietfrei wohnen Man musste allerdings genau hinsehen, durften. Wir fingen an, zu renovieren – daFreya F. Röbbert *1956 ob es sich um „echte“ Aussteiger handelte. bei lernten wir, Dächer zu decken, Wände 1975 Abitur. 1976-1986 KunstDie meisten waren – in unseren Augen – zu verputzen, try and error. Zum Beispiel handwerk, seit 1980 Selbstversorger, 1986-1992 diverse Jobs, Reisen unechte; das heißt, sie bekamen Arbeitslohält normaler Kalkputz nicht auf alten nach Afrika, 1989 Geburt meisengeld, Bafög etc. „Staatsknete“ hieß das Lehmdecken, d.h., zunächst schon, bis der ner Tochter, 1992 Ausbildung zur damals, und es galt als chic, „den Staat“ Lehm über Nacht aufgeweicht ist und am Atem-, Sprech- und Stimmlehrerin, 1996 Berufstätig als Angestellte, seit möglichst schlau auszutricksen und mit anderen Morgen noch größere Löcher als 1999 in eigener Praxis dem Geld dann fröhlich einen Joint rauzuvor an der Decke klaffen … chend in der Hängematte zu liegen. Wir gruben den Rasen Meter für Meter Wir gehörten – was mich heute immer um. Die Nachbarn äugten misstrauisch: Im noch mit Befriedigung erfüllt – zu den „echten“. Nach einem Garten gedieh alles prächtig. Wir kauften Ziegen, die Milch sechsmonatigemnPraktikum auf einem der ersten Bio-Bau- gaben und machten Kefir und Käse. Ein bisschen Gemüse ernhöfe in Oberösterreich bei zweifellos echten Aussteigern und Käse verkauften wir auf dem Markt, ein bisschen Kunst(Selbstversorger, die konsequent ohne Maschinen ihre Felder handwerk, wir brauchten nicht viel. bebauten und mit Pferden arbeiteten) hatten wir schon mal Die ersten Jahre lebten wir ohne Auto, ohne Telefon. Wir einen entscheidenden Vorteil – wir hatten alles von der Pike lebten wie in der Dritten Welt inmitten der ersten. auf gelernt und erfahren, dass wir hart arbeiten konnten. Im Sommer kam gerne Besuch – der oft etwas beleidigt war, Nach insgesamt 6 Monaten hatten wir alle nötigen Grundla- wenn Arbeit anstand, die nicht warten konnte. Wir machten gen der Selbstversorgung erlernt und nebenbei eine Lebens- unser Heu mit der Sense und trugen es auf dem Rücken, in schule absolviert, die weit über das Vermitteln von Überle- Bettbezüge gestopft, auf den Heuboden. 42 | Titel

Blickwechsel No. 2 | Juli 2008


Im Winter ließen die Besuche dann immer wieder stark nach. Viele Berührungspunkte mit den „normalen“ Menschen gab es nicht. Bei den Nachbarn, in der Familie galt man wohl als „Spinner“, bei einigen Freunden als „aufrichtig“, wer höflich kundtun wollte, dass er uns schlicht für verrückt hielt, sagte, wir seien „sehr mutig“, bei den Ex-Politicos galten wir als „Verräter“, bei den Staatsknete-Landfreaks als „verbissen“ .... Wir selber fanden uns konsequent. Konsequent alles in die eigenen Hände zu nehmen bedeutete, sich autark zu fühlen und sehr mühsam voranzukommen. Es gab eben kein Geld, um etwas zu beschleunigen oder Hilfe beim Bauen anzuheuern. Das Haus wurde nur sehr langsam bewohnbar. Wir hatten uns hoffnungslos übernommen, konnten das aber anfangs nicht einschätzen und wurden dessen erst im Laufe der Jahre gewahr. Als ich nach sechs Jahren den Platz verließ (aus Gründen der Auseinanderentwicklung, immerhin hatte diese Partnerschaft 11 Jahre gehalten, davon waren wir 6 Jahre „Selbstversorger“), war das Haus immer noch nicht fertig renoviert. Sechs Jahre meines Lebens auf einer „Wohnbaustelle“... anstrengend! Immer das vor Augen, was noch nicht fertig war ... das konnte schon frustrieren. Im Nachhinein kann ich die andere Seite sehen: all das, was wir geschaffen haben – z.B. einen wunderbaren, fruchtbaren Garten, der uns mit allem (außer Getreide) versorgte. Vielleicht hätten wir alles mehr genießen können, wenn wir nicht ein Bild des perfekten Selbstversorgerprojektes, so wie es in den schönen Büchern abgebildet war, vor Augen gehabt hätten. So standen da vor dem Ziegenstall eben die Badewannen, in die das Regenwasser aus der kaputten Dachrinne lief. Na und? Hatte auch etwas poetisches. Der Nachteil dieses Lebens? Kaum noch Berührungspunkte mit der „normalen“ Gesellschaft und den arbeitenden Menschen zu haben, dementsprechend wenig Kontakte. Die Herausforderung: Den Tag selbst zu strukturieren, sich Ziele zu setzen, die Arbeit aufzuteilen, einzuteilen, zu entscheiden, was wichtiger ist – die Wand verputzen oder den Ziegen die Klauen schneiden? Und wenn beides gleich wichtig ist, wer setzt sich durch? Die Vorteile: Wenig Klamotten zu brauchen: Arbeitshose, Hose für die Stadt, fertig. Kein Bedarf an Deko- oder Aufhübschartikeln. Einfache, überprüfbare Strukturen und ein unmittelbares Feedback. Vergessen, die Stalltür richtig zu schließen? Dieses Jahr keine Erbsen, denn die Ziegen, diese überaus schlauen Biester und Feinschmecker noch dazu, haben das für einen kleinen Betriebsausflug in den Gemüsegarten genutzt … 30 Jahre später, Besuch bei den Aussteiger- Zieheltern, damals Pioniere des Bio-Landbaus, nun umgeben von Biohöfen. Ihre Kinder, mittlerweile erwachsen, beklagen sich bitter darüber, dass sie „wie vor hundert Jahren“ aufgewachsen seien. www.blickwechsel-hamburg.de

Kinder von Aussteigern haben sich eben nicht aus freien Stücken für ein Aussteigerleben entschieden … Bei einem Ausflug zu unserem ehemaligen Haus auf dem Land stelle ich fest: Von unserem Projekt ist nach 30 Jahren außer einem wieder im Verfall befindlichen leerstehenden Haus und eingeebnetem Garten nur ein riesiger Weidenbaum als einziges äußerlich sichtbares Zeichen unseres Überlebensexperimentes übrig geblieben, das war mal eine Bohnenstange … Im Rückblick, nunmehr selbstständig in eigener Praxis, kann ich erkennen, wie sehr meine Aussteiger-Zeit mich geprägt hat. Kein Wunder, dass ich nicht „fremdbestimmt“ angestellt sein mag, lieber mehr Arbeit in Kauf nehme und dafür mein Projekt ganz individuell gestalten kann. Ich genieße außerordentlich den intensiven Kontakt mit vielen Menschen, den ich durch meine Arbeit habe, ich genieße auch das viele positive Feedback – beides Dinge, von denen es in der Selbstversorger-Zeit so gut wie nichts gab. Und: Wenn es hart auf hart kommt, kann ich mein Wissen übers Dachdecken und den Gemüseanbau wieder aktivieren … das gibt mir Sicherheit. Den Garten meines Freundes habe ich auch schon ein bisschen umgegraben und ein Gemüsebeet angelegt … Die Grundlagen unseres so komfortablen Lebens zu kennen, Schafe geschoren, Wolle gesponnen, gefärbt, gewebt, daraus etwas genäht zu haben – das gibt mir ein gutes Gefühl. Sicher ein wichtiger Grund dafür, mein Kind auf die Rudolf- SteinerSchule geschickt zu haben, denn dort werden diese Grundlagen, die grundlegenden „Kulturtechniken“ der Menschheit, vermittelt. Auf diesem Hintergrund kann man doch erst die darauf folgenden Entwicklungen schätzen, einschätzen und beurteilen und einen eigenen Standpunkt dazu einnehmen.


Wenn ich erwache, tauche ich von einem Traum in den anderen ein. Manchmal frage ich mich, wann ich aufwachen werde aus einem Meer von Träumen, und ein bisschen fürchte ich mich.

Es geht ums Sein

Das Haus, das Gelände und die Natur geben mir einen Raum, der groß genug ist, die Fragen eines jungen Menschen aufzunehmen, ohne dass sie erdrückend sind. Ist ein Mensch nicht so Naturwesen, dass sich durch die Bewährung im Sein der Hunger nach jeglichen Bedürfnissen der Menschheit außerhalb der Zeit stillt? Oder ist das bedingungslose, gegenwärtige Sein das Begreifen von Zeit? Zahlen, Fragen, Buchstaben schießen durch meinen Kopf.

Ich möchte versuchen, aus Gefühlen Bilder zu malen, um teilhaben zu lassen an dem, was mich glücklich macht. Ich lebe in und auf einer Baustelle. Mein Leben ist eine Baustelle. Fragt mich einer, was ich mache, sage ich, ich bin Mensch und ich lebe. Fragt mich einer warum, sage ich, ich will die Wahrheit. Ich stelle meine Fragen ehrlich und ich suche nach den ehrlichen Antworten, die nur ich selbst mir geben kann. Und fragt mich einer, wer ich bin, bleibe ich stumm. Wenn ein Tag nach meinem Erwachen beginnt, so beginnt nicht die Zeit. Es öffnet sich eine Tür, hinter der ich ein Zeiterlebnis haben könnte. Ich tanze. Meine Gedanken tanzen. Vom Holzholen, Schneidern oder Gesprächeführen bis zum Zuhören von Erlebnissen einer anderen Welt tanze ich. Der Tag ist immer von Neuem gefüllt, und ich bewege mich immer wieder neu, mein Leben bewegt mich und ich bewege mein Leben. Der Winter bringt Graue und Nässe, und doch ist es hell und fröhlich. Die Wärme bringt mir das Feuer, das ich entfachte. Einen Teil meines Lebens verbringe ich nun in einer zeitlosen Zeit. Die Zeit rauscht auf mich zu, geht durch mich hindurch und oft lächelt sie mich dann von hinten an. Mit einem glücklichen Lächeln gebe ich ihr meine Antwort und denke: Schön, dass du da warst, ich habe dich gar nicht bemerkt. 44 | Titel

Die Wolken reißen den Horizont auf, ein strahlendes Rot zieht mich in die Ferne. „Es ist wie es ist“… sagt die Liebe und einen Moment werde ich nicht gefragt, wer ich bin und was ich tue. Wenn ich für einen Bruchteil das Herz des Lebens pochen höre und ich sehe, wie sich der Atem hebt und senkt, dann bekomme ich ein Gefühl von grenzenloser Liebe, von Schönheit und Reichtum. Ein Moment, in dem ich begreife, dass das ein Geschenk meines Lebens ist. Die Zeit stülpt sich um, ich stehe in ihr und sie atmet wie ich. Der Horizont wird zur Zukunft, in die ich schaue. Ich bin. Ohne Verzicht. Ein Vogel gleitet langsam durch die Luft, lässt sich auf dem stählernen Strommast nieder, der zwischen mir und dem Horizont steht. Jemand ruft meinen Namen – und es geht weiter. Nicht selten vergesse ich die Zeit, auch wenn ich arbeite. Ich verfalle dann in eine Stille, in der ich meinen Gedanken und Fragen nachgehe. Fange an zu philosophieren, male Bilder oder bewundere die Schönheit des Materials. Automatisch fließt die Liebe und Schönheit, die ich empfange, in die Materie und alles wächst zu einem größeren Reichtum heran.

Ruth Veron

*1988

Waldorfschulabschluss in Dortmund, lebt in Hugoldsdorf (MV). Mitarbeit bei „captura“, Projekt Hugoldsdorf. Langzeitpraktikum in der Schneiderei des Hagener Theaters, Projekt Yumendo, Eurythmie-Kostüme zu „Eliot“, Isrel/Palästina-Aufenthalt Sommer `07, Kostüme zu „Coruna“, Praktikum im Textilatelier Asta Rutzke, eigene Kostümprojekte, Kostüme zu „Verlorene Liebesmüh“ für die Tschekh-off Players Berlin.

Vier Monate habe ich jetzt in alten Wänden gelebt. Der Putz bröckelt ab, wenn ich mit den Fingern an die Wände klopfe, meine Arme sind weiß, wenn ich mich an sie lehne, der Nagel fällt heraus, nachdem ich ihn hineinschlage. Ich habe den Boden nicht behandelt, das Fenster ist undicht. Meine Fragen orientierten sich zur Nacktheit. Was ist Leben? Wer bin ich? Nach den vier Monaten, in denen ich mir und dem Leben immer näher gekommen bin, habe ich begonnen, die Wände auch zu entkleiden, bevor sie eine neue Hülle bekommen. Blickwechsel No. 2 | Juli 2008


Leichte Lektüre n e s o H orri‘s

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Leichte Lektüre | 45


Die Krumme und die Gerade. Ein jeder Waldorfschüler wird in seiner ersten Schulstunde an diese beiden elementaren Formen herangeführt. Die Gerade, ein Strich, und die Krumme, ein Halbkreis ... Ist schon etwas aufgefallen? Mir im ersten Moment auch nicht. Erst 8 Jahre später bei der Verabschiedung unseres Klassenlehrers fiel mir auf, wie falsch die NamensEin Appell an die durchdachte Namensgebung. gebung doch ist. Rein optisch betrachtet beginnt nämlich das Wort Gerade mit einer Krummen und das Wort Krumme mit einer Geraden. Wäre es da nicht andersherum besser? Krumm: Das klingt hart und aufrecht. Wohingegen Gerade sich weich und elastisch anhört. Die idealen Namen wären demnach also Grumme und Kerade. Ist der Unterschied zu höhren? Wie strikt und hoch doch plötzlich die Kerade klingt, wie einschmeichelnd und geborgen die Grumme? Somit bin ich für eine Umbenennung der Beiden,

TEXT: Isabella Bopp

Kerade und Grumme

Eier und Bücher

Beides Produkte der Drucklegung.

E

ier und Bücher sind Produkte der Drucklegung. Dabei ist der Druck der unumgängliche Akt der Hervorbringung bereits zur Reife gediehener Erzeugnisse. Der Druck, der die Hervorbringung eines Eis gewährleistet, ist die Kraft, die sich in sinnreichen Muskelkontraktionen, der Druck, der die Hervorbringung eines Buches gewährleistet, ist die Kraft, die sich in sinnreichen Hebelkontraktionen umsetzt. Muskel und Hebel sind die sinnreichen Instrumentarien der Drucklegung. Das Huhn beziehungsweise der Drucker müssen drücken, um zu legen. Sie müssen den Widerstand, den der gedrückte Körper, im einen Falle das Ei, im anderen das Buch, dem Muskel- beziehungsweise dem Hebelinstrumentarium entgegensetzt, notfalls mit Nachdruck überwinden. Es kommt dem Huhn und es kommt dem Drucker darauf an, den optimalen Druckpunkt zu finden, um im Akte der Drucklegung der Druckfestigkeit des Eies und des Buches zu begegnen. Ein dergestalt optimal gedrücktes Ei und ein dergestalt optimal gedrucktes Buch sind ausgesprochene Wertprodukte, und so sind auch nur ein in diesem Sinne gut gelegtes Ei und ein in diesem Sinne gut verlegtes Buch als Spitzenerzeugnisse zu betrachten. Diese Spitzenerzeugnisse sind im besten Falle Unikate. Ein sorgfältig gelegtes einzelnes Ei und ein sorgfältig verlegtes einzelnes Buch stehen der Massenproduktion von Eiern und der Serienproduktion von Büchern entgegen. Es kommt nicht zu Remittenden (verschmutzte, vergilbte oder anderweitig beschädigte Bücher, die der Buchhandel an den Verlag zurücksendet). Während die Ausschussware hässlich und geschmacklos ist, außen und innen, ist das Spitzenerzeugnis schön von außen und es schmeckt von innen heraus. Beide, Ei und Buch, sorgfältig hervorgebracht, sind schön und schmecken. Keine anderen Erzeugnisse sind der Kategorie des Geschmacks folgenschwerer unterworfen als das Ei und das Buch: Ein hässliches und geschmackloses Ei und ein hässliches und geschmackloses Buch rufen Abscheu hervor, und es kommt zu allergetischen Scheußlichkeiten, zu Pickeln im Gesicht, zu Fußschweiß und Nesselfieber. Weiß der Himmel, wie viele laufen herum, sind gelb im Gesicht und haben Ringe unter den Augen, und man denkt, sie hätten ein verdorbenes Ei verschlungen, und dabei war es ein Buch! Oh ihr trügerischen Idiosynkrasien (Eigenheit, Überempfindlichkeit), wenn man nur wissen könnte, wo der Widerwille herrührt! Huhn und Drucker sind Ästheten, oh ja, obwohl sie nicht einmal die eigentlichen Schöpfer des Buches sind. Schöpfer des Eies und Schöpfer des Buches sind undurchsichtigere Wesen, sie haben erzeugt, was jene hervorbringen. Rührige Proteine, wie sie wandelnd schaffen, mal glühendes Feuer, mal fließendes Wasser, ein konvulsives proteisches Ringen, das am Ende nur den entsprechenden Druck braucht, um ans Licht des Tages zu treten.

QUELLE: „Das Buch der Bücher“ P.S.: Diese Drucklegung ist nicht legal. 46 | Leichte Lektüre

Blickwechsel No. 2 | Juli 2008


TEXT: Isabella Bopp

von wegen...

...Suchen

I

ch sitze hier vor meinem mehr oder weniger leeren Bildschirm und suche ... Ich suche ein Dokument, das ich letzte Woche geschrieben habe. Die Betonung liegt auf suchen, weil das entsprechende Dokument einfach nicht zu finden ist. Es war eine recht gute Idee, und ich hatte auch gar nicht so wenig geschrieben ... Wenn ich es denn geschrieben habe. Ich bin mir da nämlich nicht mehr so sicher ... Es kommt vor, dass Dinge verloren gehen. Wo sie hin verschwinden, das ist die große Frage! Sockenpaare zum Beispiel. Meine Socken lieben es, getrennte Wege zu gehen. Einer davon führt zwangsläufig ins Reich des Zaunkönigs, und das Ende vom Lied sind meine zweifarbig besockten Füße. Aber auch Ringe ... Im Laufe der Zeit hatte ich viele Ringe. Die waren auch wirklich schön, und ich habe sie alle geliebt. Aber nach ungefähr einem Jahr pflegten sie zu verschwinden. Das führte meist zu einer groß angelegten Suchaktion, einer verzweifelten Isabella und einem sehr unordentlichen Zimmer. Das Zimmer musste natürlich auf Mutters Geheiß hin unverzüglich wieder in einen übersichtlichen Zustand gebracht werden, wobei dann gleich noch ein paar Dinge verschwanden – ich suche bis heute eine kleine Porzellanrobbe namens Robbi (oh ja, Kinder können so einfallsreich sein). Nun, im Zeitalter des Computers und der Speicherung dürften also die Dinge nicht mehr so schnell verloren gehen. Der gegenteilige Beweis findet sich hier ... Mehr oder weniger ... Wo aber verschwinden die Dinge hin? Cecilia Ahern hat ein Buch darüber geschrieben. „Vergiss mein nicht“ heißt es. Darin gibt es ein Land, in dem die

verschwundenen Dinge landen. Menschen genauso wie Socken, Uhren, Schmuckstücke, Autoschlüssel, Kleidungsstücke ... halt alles, was so verloren geht. Das ist eine schöne Vorstellung. Ein ganzes Land voller verlorener Dinge. Oder verschwundener Dinge. Können Dinge eigentlich verschwinden? Kann etwas einfach aufhören zu existieren? Wenn ich sage, ein Gefühl ist verschwunden, was ich vorher noch gefühlt habe, ist es dann verschwunden? Ist es nicht viel eher noch vorhanden, aber nicht in meinem Bewusstsein? Und wie steht es mit etwas ganz Materiellem. Kann ein Stein verschwinden? Ein völlig realistischer Mensch, der aus Logik heraus antwortet, wird verneinen. Ein Stein kann nicht verschwinden. Wenn ein Stein da ist, dann ist er da. Aber ein Stein kann sich auflösen, in seine Bestandteile zerfallen ... also aufhören, „Stein“ zu sein. Und was ist jetzt das, was daraus übrig geblieben ist? Die kleinen Bestandteile? Wie wird aus „Bestandteil“ „Stein“? Lauter Fragen, aufgeworfen, weil ein einziges schlichtes Dokument nicht aufzufinden ist. Man verliert sich schier in der endlosen Kette von verlieren ... „Das Haus verliert nix“, sagt meine Mutter immer. Ich denke doch ... Das Haus hat schon ziemlich viel verloren. Früher waren das dann die „Hauswichte“. Die haben in den kleinen, verborgenen Ecken und Winkeln des Hauses gewohnt, und wenn man ihnen zu lange nichts zu essen hingestellt hat, haben sie aus Rache irgendwelche Sachen geklaut. Man musste ihnen dann etwas zu essen geben, und manchmal tauchten die Dinge wieder auf ... Mit der Zeit verloren unsere Hauswichte zwar ihre Glaubwürdigkeit, nicht aber ihre Effektivität. Nun frage ich mich: Sind auch die Hauswichte interaktiv geworden? Wer weiß, vielleicht wohnt unter meinem Zimmerfußboden eine ganze Armee von Hauswichten, die alle an einem winzigen Laptop sitzen und meine Daten klauen ... Ich werde demnächst mal wieder ein paar Rosinen neben dem Regal deponieren ...

Peter kam später. TEXT: Torben Wirtz Das ist so, weil eine kleine Blume nicht aus sich heraus beginnt zu schweben, sie hatte vergessen, das Fundament zu hinterfragen. Vielmehr ist es der hohe Drang, der alles andere vergessen lässt. Es ist Monopoly, weil alles andere Erkenntnis wäre und auch der Kerzenständer nur bedingt durch sich besteht. Die Kraft der gefühlten Gedanken ist der autarke Bestandteil dessen, was in Einsamkeit die Zweisamkeit zu sehen fähig ist. Als die Maske sich im Inneren angesiedelt hatte, war der Stuhl schon längst überwunden. Kein Blick hätte ihn von hier noch befreien können. Erst der Glanz des Abschieds von allem, was im kindlichen Bewusstsein lebt, ließ ihn das Höhre erkennen und annehmen. Der Spiegel war das Letzte, was noch schlief. Ein Gedanke an das Nichts in allem. In anderer Weise flog die Taube dem Dada entgegen. Die Motivation dorthin ist immer dieselbe, Abbruch, Umbruch, Aufbruch. Die Flasche ist zum Trinken da. Der Inhalt zum Genießen. Lache, Lache, Lache der Blüte in den Bauch. So lasse es in dankbarer Erinnerung ziehen und erwache, wenn du aus schlafenden Schachteln dich selbst zu erfüllen suchst. Jack die Bohne war pünktlich!

Peter kam später

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Lyrik

Reisen | aufregend | Knistern | glitzernd | Resignation | berauschend | rebellisch | verlassen | Rapsfeld | verwaschen

Die Reise

Die Reise begann nicht aufregend. Sie saß auf dem Rücksitz des Autos und starrte gelangweilt auf das grellgelbe Rapsfeld, an dem sie entlangfuhren. Ihre Familie war auf dem Weg in ein verlassenes kleines Dörfchen, und zu ihrem Unglück hatten sie sie mitgenommen. Sie seufzte resigniert. Das T-Shirt, welches sie trug, hatte ihre Mutter verwaschen. Nun glitzerte es wie das Top ihrer kleinen Schwester. Durch die Hitze wurde die Luft im Auto immer schlechter, deshalb öffnete sie das Fenster und ließ sich von der frischen Luft berauschen. Kurze Zeit später hielten sie an. Angekommen im Nirgendwo. Allerdings lag ein Knistern in der Luft. Etwas Rebellisches machte sich in ihr breit. Das könnte doch ein interessanter Sommer werden, oder?!

TEXT: Camilla Schröder

Der Traumweber

Tanzen ist…

Sanfter Wind Schatten gleiten vorbei Durch deine Welt Ein Zauber wird frei

Tanzen ist Rhythmus und Schwung ohne Zügel Tanzen ist Fliegen unsichtbarer Flügel

Ein Teil deines Lebens Verbirgt sich im Zwielicht Du suchst ihn vergebens Und findest ihn nicht

Tanzen ist Spaß und sich vergnügen Tanzen ist Leben in vollen Zügen

Im alten Wald Im Dunkel der Bäume Sitzt eine Gestalt Und spinnt deine Träume

Tanzen ist Liebe und sich vereinen Tanzen ist Träumen mit deinen Beinen

TEXTE: Helena Jacoby, FOTO: David Kurth

Experiment: Kurzgeschichte 10 Minuten. 10 Begriffe. 48 | Lyrik

Blickwechsel No. 2 | Juli 2008


Raps

Ich liebe meine hellblaue, verwaschene, inzwischen gelbe Jeans. Sie erinnert mich immer an die unbeschwerte Zeit die ich mit meiner Freundin verbracht habe. Wir sind oft gemeinsam verreist. Nie wirklich weit weg, aber immerhin sind wir gemeinsam von zu Hause weggefahren. Wir sind oft nach Schleswig-Holstein gefahren, oft an die Ost- oder Nordsee. Fast jedes Mal haben wir ein Rapsfeld gefunden, durch welches wir stundenlang gerannt sind, bis wir uns vor Erschöpfung einfach in den Raps haben fallen lassen. Es war ein berauschendes Gefühl von Freiheit, welches uns mit einer Flutwelle überrannte. Am schönsten war es wenn wir ein Rapsfeld gefunden haben, was an keiner Straße lag. Ein verlassenes Rapsfeld in einer verlassenen Welt. Wir haben uns oft vorgestellt, die einzigen Menschen auf

der Welt zu sein. Es war aufregend, sich lange mit dem Gedanken zu beschäftigen, bis wir es am Ende fast selbst geglaubt haben. Manchmal, wenn es warm genug war, sind wir bis spät in die Nacht in einem Rapsfeld liegen geblieben und haben uns die glitzernden Sterne angeschaut und haben darüber nachgedacht, ob es auf einem anderen Planten – nicht hier auf unserem, denn hier waren wir ja die einzigen – auch zwei Mädchen gibt, die dieselben Gedanken haben wie wir. Vielleicht sind diese Mädchen ja viel rebellischer als wir. Vielleicht stellen sie sich gegen alles, was von den Erwachsenen für gut geheißen wird. Mädchen, die ihre Träume leben. Mädchen die nie resignieren würden. Niemals. Bist du so ein Mädchen?

TEXT: Cosima Pereira Köster

Resignation

Sie sieht aus dem Fenster. Die leuchtend gelben Rapsfelder, eingebettet in saftig grüne Wiesen, rauschen an ihr vorbei. Ohne die Schönheit der Farben zu erfassen, sieht sie hinaus, in die Ferne. Gelb. Gelb wie die Rapsfelder, das war ihre Lieblingsfarbe gewesen. Damals. Da hatte sie diese Farbe glücklich gemacht. Die Erinnerungen, verwaschen ohne Konturen, tauchen vor ihrem inneren Auge auf. Die aufregenden Zeiten. Damals, als sie sich rebellisch gegen alles aufgelehnt hatte. Das ist nun lange her. Trotzdem erfasst sie immer wieder dieses berauschende Gefühl, wenn sie daran denkt. Alle waren genauso rebellisch wie sie, wollten was ändern, waren bereit, alles dafür zu geben. Sie hatten sich einen Schwur geleistet. Doch außer ihr erinnert sich niemand mehr. Jetzt sitzt sie verlassen auf dem Bahnsteig. Die Kälte schleicht sich langsam und unerbittlich unter ihre Klamotten. Es war eine glitzernde Welt. Eine glitzernde Welt ohne Glamour. Es ging um Liebe. Es geht immer um Liebe. Nie wieder hatte es so bei ihr geknistert wie während dieser aufregenden Zeit. Die Resignation trübt ihren Blick. Ein Kälteschauer lässt sie unwillkürlich erzittern. Sie hat den bitteren Nachgeschmack, den jene Zeit mit sich gebracht hat, akzeptiert. Sie wird jetzt reisen. Wohin, weiß sie noch nicht. Weg von den Erinnerungen, den gelben Rapsfeldern.

TEXT: Zandile Darko

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Rubrik | 49


Schwarz und Weiß

TEXT & GRAFIK: Charlotte Heller

Gegensätze, die sich brauchen.

Schwarz sitzt in einem dunklen, engen Loch und wartet. Wartet, ohne zu wissen worauf. Schwarz hat sich ganz klein gemacht, damit niemand es sehen kann. Es fühlt sich ausgegrenzt. Man sagt, es sei nicht wie alle anderen. „Woran kann das nur liegen?“ wundert es sich und ist ganz traurig. Die Zeit vergeht, und das Schwarz sitzt noch immer in seinem Loch, bereits ganz verzweifelt. Schwarz hält die Unzufriedenheit, die es auffressen will, nicht länger aus, wird ganz böse und gräbt sich langsam noch tiefer in sein Loch aus dunkler Erde. Dabei wird es in seinem Abgrund noch schwärzer, als es schon ist. Alles, was in die Nähe dieses Abgrundes gerät, wird auf der Stelle verschluckt. Kein Wunder, dass Schwarz so viele Farben in sich trägt, es nimmt sie alle auf, lässt sie in seinen Abgrund laufen wie in eine Falle. Schwarz steht alleine da. Es ist mächtig und eigenständig zugleich. Was es will, bekommt es auch, denn es hat Durchsetzungsvermögen. Wenn es seinen Willen durchbringen will, kann es auch sehr unangenehm, ja sogar ganz aggressiv werden. Schwarz ist ein Einzelgänger. Von den anderen bunten Farben wird es ausgegrenzt, weil es sie ärgert, ihnen Schrecken und Bangen einjagt. Doch es will eben gerne alleine sein und somit verschluckt es alles, was in seine Nähe kommt. Es glaubt, besser zu sein als die anderen bunten Farben. Es gibt nur eine einzige weitere unbunte Farbe, mit der auch Schwarz manchmal beisammen ist und diese akzeptiert. Und diese unbunte Farbe ist Weiß. Denn Schwarz weiß, dass es auch Weiß manchmal so ergeht wie ihm. Aber Schwarz ist nicht immer so selbstbewusst, wie es aufzutreten versucht. Es gibt Tage, an denen Schwarz besonders merkt, dass es nicht alleine existieren kann, sondern noch eine zweite Hälfte braucht, die es ergänzt. Diese Farbe kann nur Weiß sein. Denn auch Weiß hat das Problem, dass es von den bunten Farben nicht als Farbe angenommen wird. Die anderen sagen, es sei keine Farbe, sondern ein Zustand. Doch das kann Weiß nicht verstehen. Es will weder daneben stehen noch in der Mitte, weil es alle Farben in sich vereint hat. Nein, Weiß ist bescheiden und möchte einfach als das akzeptiert werden, was es auch ist, als eine Farbe. Ja, vielleicht ist Weiß wirklich nicht bunt oder nur dann, wenn man ihm in die Augen schaut, denn dann kann man tatsächlich all die bunten schönen Farben sehen, die es in sich trägt. Es fühlt sich jedoch lebendig. Es ist nicht so wie Schwarz, das sich vor Trauer und Qual in einem Loch vergräbt. Nein, Weiß ist fröhlich und liebt die Weite, es genießt, wenn es sich ausbreiten darf, ohne dabei gestört zu werden. Es genießt das Licht und die Wärme in der Nähe der Sonne, es genießt, wenn es sich am Ozean ausbreiten kann und den Eindruck des Vollkommenen vermitteln darf. Es liebt es, andere glücklich zu machen und ihnen den Blick für das Gute zu öffnen. Es versucht sich abzulenken und nicht an dem festzuhalten, wie die Situation ist, sondern den Blick auf das Schöne und Gute zu richten. Das kann es auch gar nicht. Es kann aus diesem Grund auch Schwarz nicht wirklich verstehen, warum es bei solchen Problemen wie der Ausgrenzung als Nichtfarbe in Depressionen verfallen muss, bis es sich selber zerstört. Weiß sieht da keinen Sinn drin. Es ist viel zu glücklich mit seiner Existenz, mit seinem Dasein. Doch wenn irgendwo Hilfe benötigt wird, ist es sofort zur Stelle, es weiß immer Hilfe, denn es ist klug und außerdem sehr genau, sodass keine Fehler auftreten. Alles wird von Weiß durchdacht, bevor es seine Kraft irgendwo einsetzt. Dafür lässt es sich auch, wenn es Winter wird, als Schnee auf Berg und Tal, in Höhen und Tiefen nieder. Es möchte den Ausgleich von der dunklen kalten Zeit durch Frieden und Freude in den Herzen schaffen. Also macht Weiß sich auch auf den Weg um Schwarz aus seinen Depressionen zu verhelfen, damit es nicht in der Dunkelheit vergehen muss, sondern von dem Leben außerhalb des „Lochs des Todes“, wie Weiß es manchmal nennt, etwas mitbekommt. Schwarz nimmt die Aufforderung gerne an und verbringt einige Zeit mit Weiß, bis es ihm wieder besser geht und es allein sein möchte. Doch es braucht ab und zu diese Nähe zu Weiß und vor allem die Gewissheit, dass es hinter dem Hügel, in dem es eingegraben in seinem Loch wohnt, Hilfe holen kann. Genau wie Schwarz merkt auch Weiß, dass es eine zweite Hälfte braucht, die es ergänzt, dass es nur existieren kann, wenn es Schwarz an seiner Seite hat, dass es lebenswichtig ist, dass es eine weitere Farbe gibt, die nicht ist wie es selber, sondern das Gegenteil, damit sie sich ergänzen können. Schwarz und Weiß verstehen, dass das Dasein aus Leben und Tod, aus Oben und Unten, aus Vorne und Hinten, aus Tag und Nacht, aus Gut und Böse, aus Warm und Kalt, aus Gerade und Krumm besteht. Sie haben bemerkt, dass sie einander brauchen.

50 | Lyrik

Blickwechsel No. 2 | Juli 2008


Blickkultur

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FOTO: Danish P. Valiyandi danish@danishpv.com

Rubrik | 51


Porträt ...

... Sido Das Gesetz bedeutet nichts für mich, ich geb schon immer ´nen Fick

drauf, was richtig ist. Sido

P

rovozierende Texte, aggressive Posen und die verchromte Totenkopfmaske. So oder ähnlich lautete die allgemeine Beschreibung des Berliner „Ghettorappers“ Sido, vor einigen Jahren. Noch immer spaltet er die Öffentlichkeit, doch erregen seine Texte längst nicht mehr so viel Aufsehen. Während früher Tracks wie der „Arschf*cksong“ sogar Politiker und Jugendschützer auf den Plan riefen, sind die Songs aus den letzten Alben massentauglich geworden. Die aktuellen Charterfolge bestätigen dies. Alles begann mit Beats aus der Playstation. Sido, damals 17 Jahre alt und noch bei dem Berliner Undergroundlabel Royalbunker unter Vertrag, veröffentlichte gemeinsam mit B-Tight als RoyalTS (Tight und Sido) sein erstes Tape „Wissen, Flows, Talent“. Damals stand s.i.d.o. noch für „scheiße in dein Ohr“, doch der markante Stimmfall und der aggressive Unterton waren schon unverkennbar. Nach dem Wechsel zu Aggro Berlin änderten B-Tight und Sido ihren Namen in A.i.d.s. (Alles ist die Sekte). Die Sekte wurde von B-Tight und Sido nach dem Ende von RoyalTS ins Leben gerufen. Später schloss sich noch Tony-D den beiden an. Die Gruppe hielt sich in der Anfangszeit von Aggro Berlin zurück. 2007 gründeten Sido und B-Tight ihr eigenes Label: „Sektenmuzik“. Dort nahmen sie weitere Rapper unter Vertrag, die allgemein als „Die Sekte“ bekannt wurden. Auffallend ist der brutale, Gewaltverherrlichende und Frauenfeindliche Charakter der Songtexte. Doch betont die Sekte, dass diese Songs für Insider und Menschen geschrieben seien, „die diesen Humor verstehen“. Erste Tapes, die Aggro Ansagen, wurden indiziert und haben inzwischen fast historischen Charakter. Inzwischen war das Label mit dem Sägeblatt in ganz Deutschland bekannt. Gegründet am 1. Januar 2001 von Specter, Spaiche und Halil, ist Aggro Berlin zum größten Hip-Hop Label Deutschlands geworden. Bekannt wurde das Label durch die Förderung von Nachwuchskünstlern, die bewusst mit dem Image des „Gangsta-Rappers“ spielen. Allen Kritikern zum Trotz unterstützt Aggro Berlin auch heute noch „Skandalrapper“ wie Fler. Ursprünglich wurde das Label nur für Sido und B-Tight gegründet. Die Gründer erkannten ihr Talent auf einer Show des Labels Royalbunker und nahmen die beiden prompt unter Vertrag. Der folgende Erfolg belohnte ihr Risiko. Drei 52 | Blickkultur

Jahre später startete Sido seine Solokarriere. Sein erstes Soloalbum „Maske“ kommt vor Veröffentlichung 2004 direkt auf den Index. Erhältlich ist das entschärfte Album „Maske X“. Nun muss sich Sido Beschuldigungen stellen. Aus der Hip-Hop Szene wirft man ihm vor, den Gangster nur zu Imagezwecken zu spielen, und in einschlägigen Foren werden Diskussionen über Aggro Berlins Marketingstrategie geführt. Es ist schwer, die Grenze zwischen bewusster Inszenierung und der eigentlichen Person Sido zu ziehen. So ist nicht einmal der bürgerliche Name des selbst ernannten „Superintelligenten Drogenopfers“ bekannt. Höchstwahrscheinlich heißt er jedoch Paul Würdig – aber es sind auch Versionen wie Sigmund Gold im Umlauf. Gleiches galt auch für das Gesicht des Aggro Berlin Rappers, was er bis zum Jahr 2005 unter einer verchromten Maske versteckte. Auch wenn wenig über Sidos Privatleben bekannt ist, weiß man, dass der aus dem Märkischen Viertel stammende Rapper einen Sohn (Name unbekannt) und eine Schwester hat. Gleiches gilt auch für die schulische Bildung: Während aus offiziellen Quellen des Labels Aggro Berlin verbreitet wird, Sido sei aufgrund von Drogenkonsum von der Bettina-von-Arnim-Oberschule (Gesamtschule) geflogen, halten sich doch hartnäckige Gerüchte, dass der Berliner sogar die Allgemeine Hochschulreife mit 1,8 bestanden habe. Texte wie „Ich hab die Schule verkackt und zwar so schlecht wie Blickwechsel No. 2 | Juli 2008


keiner“ (aus „Mama ist stolz“) oder „Der Lehrer redet, ich schlafe, es war ihm sowieso lieber, wenn ich mal nichts sage“ (aus „Halt dein Maul“) suggerieren jedoch etwas anderes. Interessant ist, wie sehr „Sido“ zwischen seinem Leben als Kunstfigur und seinem Privatleben unterscheidet. Trotzdem weiß man, dass er seit 2005 mit der in der ProSieben Castingshow „Popstars“ bekannt gewordenen Sängerin Doreen Steinert liiert ist. Ab September diesen Jahres wird Sido selber als Juror in dieser Sendung zu sehen sein. Auch dies dürfte Teil des langsamen Imagewechsels des einstigen Pöbelrappers sein. Diese Wandlung lässt sich auch an den Alben erkennen: Während die Aggro Ansagen noch regelmäßig auf dem Index landeten, sind die aktuellen Alben wie „Ich“ und „Ich und meine Maske“ in dieser Hinsicht nicht mehr gefährdet. Das Album „Maske“ bzw. „Maske X“ bildete dabei den Übergang zwischen dem alten Schockmusikimage und den neuen MainstreamProduktionen. Trotzdem man ihm den Wechsel vom einstigen „Bad Boy“-Image zum „Saubermann“ der Hip-Hop Szene vorwerfen kann, klingen seine Lieder noch immer nach dem Sido, den man kennt. Dies liegt zum einen an den genialen Features des neuen Albums, aber zum anderen an seinem unverwechselbaren Humor. Gerade die gewisse Selbstironie und der nötige Abstand, mit dem er die Dinge betrachtet, die intelligenten und gleichzeitig dreisten Texte sowie seine Einstellung vermitteln immer noch das über die Jahre geprägte Bild des Maskenmannes aus Berlin. Und so ist zu erwarten, dass das „Superintelligente Drogenopfer“ auch in Zukunft seine Erfolgsserie fortsetzen wird.

TEXTE: „MC Snipe“ und Simon Berg www.blickwechsel-hamburg.de

Ich und meine Maske

Ich bin jetzt ein Goldjunge mit Goldplatten, Goldotto, Goldschwanz und Goldzunge. Sido

Mit dem seinem am 30. Mai 2008 erschienen Album „Ich und meine Maske“ liefert der bei Aggro Berlin unter Vertrag stehende Hip-Hopper Sido, das Verbindungsstück zwischen seinen bereits erschienen Soloalben „Maske“ und „Ich“. Das Album stieg unmittelbar nach Veröffentlichung auf Platz eins der deutschen und Platz zwei der Schweizer und Österreichischen Charts. Die Tracks „Augen auf“ und „Halt dein Maul“ erschienen bereits am 16. Mai 2008 als Singleauskopplung und führen unter anderem immer noch die Verkaufsstatistik der Sido-Tracks im iTunes Music Store an. Das „Superintelligente Drogenopfer“ bleibt auch im jüngsten Album seinem unverwechselbaren Stil treu. Die bewusst provokanten Texte, der lakonische Unterton, aber auch die Selbstironie gehören mittlerweile ebenso zu Sido wie seine verchromte Totenkopfmaske. Gleichzeitig werden mit Titeln wie „Nein!“ aber auch neue Akzente gesetzt. Der Song wurde zusammen mit Sidos Freundin Doreen Steinert aufgenommen, die Beats wirken frisch und fast poppig. In Anlehnung an Titel wie „Mama ist stolz“, „Ein Teil von mir“ und „Mein Testament“ wurden erneut zum Teil biografische Elemente für die Geschichte der Tracks verwendet. So beschreibt Sido in „Ich und Maske“ seine Hassliebe zu seiner charakteristischen Kopfbedeckung. Fans von Aggro-Hip-Hop werden ihren Spaß an Tracks wie „Pack schlägt sich“ und „Jeder kriegt, was er verdient“ haben. Mit „Danke!“ schlägt Sido aber auch ruhigere und nachdenkliche Töne an. Den Hauptproduzenten Paul NZA und Marek Pompetzki die bereits maßgeblich an der Produktion des Vorgängeralbums „Ich“ beteiligt waren, ist erneut eine abwechslungsreiche Kombination aus gewohntem Aggro Berlin Hip-Hop und neuen Beats gelungen. Auch Anhänger von „Peilermann & Flow“ kommen wieder auf ihre Kosten, dafür sorgen Peilerman & Flow Teil 5-8 sowie drei weitere Skits am Ende des Albums. An den Witz der ersten Peilerman & Flows vom Album „Ich“ reichen sie jedoch nicht ganz heran. Das Album in der Standard Edition, aber auch die um zehn (hörenswerte) Tracks reichere Premium Edition ist für Hip-Hop Sympathisanten in jedem Fall einen Kauf wert. Mit dem nötigen Abstand betrachtet dürfte „Ich und meine Maske“ sich auch eignen, um die Zahl der potenziellen Aggro Berlin Anhänger weiter zu vergrößern. Bis zum nächsten Album dürfte es allerdings etwas dauern, also bis dahin: immer schön aggro bleiben.

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Marrakeschs Herz Sind die Gassen die Adern der Stadt, so ist der große Marktplatz, Djemaa el Fna, das Herz. Zwar touristisch, dennoch beeindruckend. Im morgendlichen Dunst werden Stände aufgebaut, Schlangenbeschwörer sitzen unter einem Schirm, alles bereitet sich auf einen heißen, staubigen Tag vor. Mittags werden die Touristen ausgenommen, jeder versucht hier, seinen Teil vom Kuchen abzubekommen: aufdringliche Stadtführer, Orangensaftverkäufer, Souvenirverkäufer, Kutschenfahrer, Restaurantbesitzer. Es lärmt und wuselt, es pulsiert. Der ganze Zauber dieses Ortes aber entfaltet sich mit den Abendstunden. Aus dem Boden wachsen unzählige Garküchen, ein würziger Geruch von Gebratenem liegt in der Luft. Üppiges Essen und die Überredungskünste eines Angestellten lassen mich an einem der Tische Platz nehmen. „Von allem etwas“ ist das Motto, und so kommt es dann auch: Berge von paniertem Fisch, köstliches Rindfleisch, heiße Kartoffeln, Spieße mit gebratenem Gemüse, orientalische Soßen, warmes Brot. Nachher, vor Glück und Essen fast platzend, die Überraschung in Form der Rechnung. Nicht etwa der erwartete Schnäppchenpreis, sondern eine Summe, die denen in europäischen Hauptstädten durchaus gewachsen ist. Egal, hat der Mann eben Glück gehabt, es geht weiter. Zu den Trommlern, zu dem Teil des Platzes, der eine große Bühne ist für alle, die sich hier treffen, um ihre Hände spielen zu lassen auf den gespannten Fellen. Oft nicht nur für die Zuschauer, sondern für sich selbst. Es ist ein wichtiger Teil der Kultur, des Lebens, das merkt man auch als Reisender. Jung und Alt, Arm und Reich, so was zählt nicht mehr, der Rhythmus vereint.

Der Reisende in Marrakesch

Marrakeschs Mofas In diesen lärmenden Zweirädern spiegelt sich ein Wesenszug der Menschen hier wider, wenn man das so sagen kann. Ein Pragmatismus, der in Deutschland oft von Regelungen und Gesetzen ersetzt und verhindert wird, ist hier allgegenwärtig. Vierköpfige Familien finden auf den schmalen Sitzbänken ebenso Platz wie riesige Stoffballen und Teppiche. Einzige Regel scheint das Achten auf andere Verkehrsteilnehmer zu sein, Hupen dient der Kommunikation und nicht ausschließlich dem Ausdruck von Ärger. Kennzeichen gibt es für Gefährte unter 50 km/h nicht, jeder darf sie fahren und fährt sie, vom barfüßigen Kind bis zum kuttenbedeckten Greis. Gefahren wird dann auch wirklich überall, in den engsten Gassen, zwischen Fußgängern und Töpfen – im Sekundentakt knattern sie vorbei. Scheinbar wahnsinnig und irre, aber es funktioniert, keinen Unfall habe ich gesehen.

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Blickwechsel No. 2 | Juli 2008


Marrakeschs Adern Ein undurchschaubarer Wirrwarr von Wegen schlängelt sich durch diese Stadt: Kurze, Lange, Breite, Schmale, Schöne, Schmutzige, Leere, Überfüllte. Von Letzteren gibt es am meisten, voll mit Touristen, Eseln, Ständen und Mofas. Gemeinsam ist diesen Gassen, dass sie alle über Umwege zum Mittelpunkt der Stadt führen und gesäumt sind von oft etwas schiefen, erdfarbenen Häusern. Ich gehe durch eine der lauten Straßen, knatternd rasen Mofas an mir vorbei, rufen Menschen. Dann plötzlich und unverhofft – der Eingang zu einer ruhigen Gasse. Schlafend schlängelt sie sich zwischen den Häuserwänden hindurch, gesäumt von kleinen Bäumen. Doch kaum ein paar Schritte hineingegangen, werde ich von einem Jungen hinausgeschickt, warum, weiß ich nicht. Vielleicht bin ich nicht der Erste, den diese Ruhe inmitten der geschäftigen Stadt fasziniert, vielleicht soll dieser Ort seinen Charakter bewahren.

TEXT & FOTO: Lukas Stolz www.blickwechsel-hamburg.de

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Blickwechsel No. 2 | Juli 2008

TEXT: Simon Berg

Die Welt ohne uns – Reise über eine unbevölkerte Erde Alan Weisman Piper Verlag, München 2007
 Gebunden, 378 Seiten, 19,90 €

Er schreibt einen „Fantasieroman“. Doch er macht es gut, was Bestsellerlisten auf der ganzen Welt bezeugen. Das Buch entstand aus einem Aufsatz, den Weisman in dem Wissenschaftsmagazin „Discover“ veröffentlichte und der ein reges Feedback erhielt. Am Ende bleibt mir die Erkenntnis, dass, egal wie sehr wir die Umwelt einschränken, benutzen und ausnutzen, die Natur uns überleben wird.

Genau diese Frage hat sich Alan Weisman gestellt und sie in dem Buch „Die Welt ohne uns – Reise über eine unbevölkerte Erde“ beantwortet. In seinem wissenschaftlichen Roman über eine Welt ohne uns beschreibt er den unaufhaltsamen Siegeszug der Natur. Er schreibt über in Wolkenkratzern nistende Adler, über aussterbende Ratten und Kakerlaken und über Flüsse mitten in Manhattan. Doch ist diese Vorstellung utopisch. Ein Experte sagt in dem Buch: Kein Virus könnte jemals alle sechs Milliarden Menschen erwischen. [...] Tatsächlich dienen Epidemien zur Stärkung einer Art. In seinem Epilog folgert Weisman, dass eine 1-Kind-Politik zu einer Symbiose zwischen Erde und Mensch führen könnte. Demnach würden 2100 nur noch 1,6 Milliarden Menschen die Erde besiedeln und diese entlasten.

in Gedankenexperiment: Stell dir vor, Zack – alle weg. Und jetzt? Was würde passieren, wenn von jetzt auf gleich alle Menschen verschwinden würden? Was würde mit all unseren Hinterlassenschaften geschehen? Den Atomkraftwerken, Bahnstrecken, Brücken, Städten?

TEXT: Isabella Bopp

Die Eleganz des Igels Muriel Barbery dtv, Mai 2008 14,90 €

ie Concierge Renée Michel arbeitet und wohnt in einem Herrschaftshaus mitten in Paris. Für die Familien, die in dem Haus wohnen, ist sie unsichtbar. Sie ist die, die fehlt, wenn sie mal nicht da ist, von der man dann aber nicht sagen kann, dass es sie ist, die fehlt. Im selben Haus lebt die zwölfjährige Paloma. Sie ist das Kind reicher Eltern, hat eine große Schwester und sie ist die, die alle komisch finden. Die beiden haben aber eine Seite, von der keiner etwas weiß. Renée spielt allen das Bild der klischeehaften Concierge vor. Sie versucht mit allen Mitteln, übersehen zu werden. Akribisch pflegt sie das Image der verschrobenen, hässlichen, dummen Angestellten reicher Leute. Hinter dieser Fassade versteckt sich jedoch eine sehr intelligente und aufmerksame Frau ... Paloma ist ebenfalls intelligenter, als man es ihr ansieht. Und auch sie spielt allen etwas vor. Beide beobachten ihre Umwelt von ihrer Warte aus und gehen versteckt durch den Tag ... Bis eines Tages ein neuer Mitbewohner einzieht, der hinter das sorgfältig aufgesetzte Bild der beiden schaut. Und eine Realität zutage fördert, die alle Hausbewohner überrascht. Sehr komisch, dabei aber auch sehr feinfühlig malt Muriel Barbery ein Bild unserer Gesellschaft. Und schreibt nebenbei einfühlend die Geschichte zweier Menschen, die gefangen sind in einem Klischee, das ihnen von dieser Gesellschaft aufgedrückt wird.

D

... aber nicht gesehen werden.

Wir sind dann mal weg ...

„E

Augen die sehen ...

Was wäre wenn ...


Mein Kühlschrank und ich

Liebe das Land

Schafsliebe

TEXT: Isabella Bopp

Wilde Schafsjagd Haruki Murakami btb, Oktober 2006 305 Seiten, 9,00 €

Der namenlose Ich-Erzähler macht sich zusammen mit seiner Freundin mit den schönen Ohren auf, ein Schaf mit Zauberkräften zu suchen. Sie folgen der Spur des Schafes und verlieren sich dabei immer mehr in einer Welt, in der zweifelhaft ist, was geschieht und ob es das überhaupt tut. Dabei spinnt sich die Handlung wie ein Detektivroman über verschiedene Hinweise, ist aber in dem unverkennbaren Stil Murakamis gehalten. Die anfangs noch etwas träge dahinplätschernde, bruchstückhafte Handlung verdichtet sich zum Ende hin zu einem rasanten Finale und entlässt den Leser schließlich etwas benommen von diesem Rausch in seine eigene Welt.

in ganz normaler, durchschnittlicher Mann. Ein Mädchen mit den schönsten Ohren der Welt. Ein rätselhaftes Schaf mit Zauberkräften. Und ein Mafiaboss. Aus diesen Zutaten entsteht die außergewöhnliche Geschichte um einen mittelmäßigen Mann, in dessen Leben nie etwas wirklich Außergewöhnliches passiert ist. Bis, ja bis er ein Mädchen kennenlernt und sich in ihre Ohren (und auch in sie) verliebt. Kurz danach bekommt er einen Anruf von seinem Arbeitskollegen, es geht um ein Foto. Auf dem Foto ist eine Schafherde mitten in der Landschaft von Hokkaido zu sehen, was an und für sich nichts Ungewöhnliches ist. Doch dann taucht ein schwarz gekleideter Mann auf. Und damit geht die Schafsjagd los.

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Ein Schaf, ein Zauber, eine Liebe. ... damit begann die Jagd

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Mit dem Kühlschrank durch Irland Tony Hawks Goldmann Verlag, 2000 248 Seiten,

ine durchzechte Nacht, eine verlorene Wette, ein Verlierer, ein Kühlschrank, vier Wochen Zeit und 42.195 Kilometer Strecke zu bewältigen. So hört sich der Plot des „Erfahrungsberichtes“ von Tony Hawks „Mit dem Kühlschrank durch Irland“ an. So macht er sich auf den Weg, einmal um Irland herum. Sein Begleiter, der kleine quadratische Kühlschrank, ist immer dabei und eine Hilfe, wenn es darum geht, zwischenmenschliche Hemmschwellen zu überbrücken. Hilfe leistet ihm auch ein Radiomoderator, der Autofahrer immer wieder auf den Tramper mit dem Kühlschrank aufmerksam macht. Die ersten Tramperfahrungen sind für Hawks trotzdem eher ernüchternd. Interessant sind aber auch die Zeiten zwischen trampen und schlafen, in denen er sich meistens in Pubs aufhält. So hat das Buch nicht nur seine Geschichten parat, sondern auch die seiner Begegnungen. Der Komödiant Tony Hawks hat ein Buch geschrieben, das man an windigen Frühlings-, schönen Sommer-, verregneten Herbst- oder grauen Wintertagen liest. Es ist Pflichtlektüre. Es ist ein „Dauerschmunzelroman“, und zwar immer dann, wenn er über Männer mit einem Zahn, Schafauktionen, Liebe in der Hundehütte, Todesmeldungen fürs All oder Autogrammstunden mit seinem Kühlschrank spricht. Es ist ein„Backpackerroadmovie“. Tony Hawks macht klar, dass das Leben eine Frage ist, die untersucht und gelebt, und kein Problem, das gelöst werden muss. Er beschreibt sein Verhältnis, seine Liebe zu einem Land und dessen Bewohnern. Es ist ein „Gute-Laune-Buch“, an dessen Ende man weiß, „welches Verhältnis Mensch und Kühlschrank unter freiem Himmel entwickeln“.

TEXT: Simon Berg

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Der Berg ruft ...

Bis einer weint ...

Scarface

Into The Wild

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Vmm Flüchtling zum Drogenboss. carface“ gehört bis heute zu den umstrittensten Gangsterfilmen der Filmgeschichte. Seinerzeit von Kritikern aufgrund rauer Sprache und exzessiver Gewalt verissen, kommt ihm heute die verdiente Ehre zu, der erste moderne Gangsterfilm zu sein. Brian De Palma gelingt der Sprung von den „sauberen“ Messerstechereien und Schießereien aus „Der Pate“ zu dreckigen Tötungsszenen und kaltblütigen Ermordungen. „Scarface“ beginnt mit der Öffnung des kubanischen Hafens Mariel im Mai 1980. 125.000 Oppositionelle und Kriminelle setzen nach Amerika über. Einer ist „Toni“ Montana (Al Pacino), der, von einem Drogenboss angeheuert, gemeinsam mit seinen Kumpanen einen hochrangigen Kommunisten erledigt und als Gegenleistung eine „Greencard“ erhält. Die berüchtigte „Kettensägenszene“ gibt nun den Auftakt zu Antonio Montanas Erfolgsgeschichte. Al Pacino verbreitet bei jedem Auftritt eine elektrisierende Präsenz, mit der er alle anderen Schauspieler an die Wand spielt. Die Rolle des skrupellosen Drogenbosses ist ihm auf den Leib geschnitten. Die Filmmusik ist ebenso gut: Der Popstil passt wunderbar zum bunten Miami der 80er und ist ausschlaggebend für den damals neuen und ungewohnten Stil des Films. Nicht zuletzt durch die immer brutaleren und hemmungsloseren Horrorfilme der Neuzeit hat die Brutalität in „Scarface“ an provozierendem Charakter verloren und dem Film zu seiner heutigen Bedeutung verholfen.

Drehbuch: Oliver Stone(d) Regie: Brian De Palma Musik: Giorgio Moroder Erscheinungsjahr: USA 1983

TEXT: Simon Berg 58 | Blickkultur

Vom Habe-Mann zum armen Mann ufgewachsen in wohlhabenden Verhältnissen und auf dem besten Weg in eine erfolgreiche Karriere, lässt ein junger Student alles Materielle hinter sich und verschreibt sich dem Leben als Landstreicher. Er bricht auf. Wortlos. Er hinterlässt eine Schwester, die er liebt, Eltern, die nicht wissen, wer er ist, seine Freunde. Vor ihm liegen Straßen, Schienen, Begegnungen, dann die Wildnis Alaskas und schließlich der Tod. Es ist die wahre Geschichte des Christopher McCandless, welche Jon Krakauer (aus Erzählungen und Aussagen) als Roman verfasste und welchen nun der Regisseur und Schauspieler Sean Penn verfilmte. Sean Penn ist hauptsächlich als Schauspieler bekannt – seine erfolgreichste Rolle spielte er in „Mystic River“, für die er den Oscar und den Golden Globe erhielt. Doch auch als Regisseur ist Sean Penn erfolgreich. Für die Verfilmung des Dürrenmatt-Romans „Das Versprechen“ mit Jack Nicholson in der Hauptrolle wurde er für den Goldenen Bären nominiert. Mit „Into The Wild“ ist ihm ein nachdenklicher, ungewöhnlicher und aufregender Film gelungen. Die Rollen sind gut besetzt (Emile Hirsch, Vince Vaughn, William Hurt). Die Musik ist jedoch etwas launisch (Eddie Vedder – Pearl Jam) und in manchen Szenen zu aufdringlich. Ein wenig mehr Stille hätte dem Film gut getan, der sonst überzeugt –jedoch nicht auf ganzer Linie. Manchmal folgt Penn den Irrwegen der Buchvorlage und verliert sich. Trotzdem empfehlenswert. Drehbuch: Sean Penn, John Krakauer (Romanvorlage) Regie: Sean Penn Musik: Eddie Vedder Erscheinungsjahr: USA, 2007

TEXT: Samuel Hardenberg Blickwechsel No. 2 | Juli 2008


Jah Fakoly –

Leonard Cohen –

Francafrique

New Skin for the Old Ceremony

Reggae macht Politik

Neuer Produzent, neuer Stil – altes Album

D

L

er von der Elfenbeinküste stammende Tiken Jah Fakoly, eigentlich Doumbi Moussa Fakoly, kritisiert in seinen Liedern die Missstände in Afrika. Besonders die Afrikapolitik der französischen Regierung sieht sich seinem musikalischen Kreuzfeuer ausgesetzt. Francafrique wird sie genannt, jene fragwürdige Verbindung zwischen französischen Politikern und afrikanischen Diktatoren. Schon früh gründete Tiken Jah Fakoly seine eigene Band und wurde mit ihr national bekannt. 1998 gab er in Paris sein erstes Konzert in Europa und sicherte sich damit einen Platz auf der internationalen Musikbühne. Francafrique, sein sechstes Album, wurde nach dem Erscheinen 2002 Auslöser für Morddrohungen und Morde in seinem Freundeskreis. Doch sein politisches Engagement litt nicht unter diesen Vorfällen. Trotzdem verließ er sein Land kurz darauf um nach Mali ins Exil zu gehen. Das Album überzeugt mit fröhlichen Reggaerhythmen. Doch trotz des französisch-afrikanischen Sounds bleiben Worte hängen. „…la politique francafrica…Angola…dictature… “ Musik für gute Laune, mit „Nachdenkmassage“.

Mit dem Album „New Skin for the Old Ceremony“ brach eine neue Ära der Lieder Leonard Cohens an, was wahrscheinlich auch von dem Einfluss des neuen Produzenten John Lissauer herrührt. Die instrumentale Besetzung ist reicher und vielfältiger (z.B. mit Bläsern). Dieses Album trägt noch mehr Revolutionäres mit sich: Es ist das erste Album Cohens, wo nicht ein Bild von ihm als Cover, sondern zwei Engel zu sehen sind. Außerdem ist es das einzige von Leonard Cohens Alben, das nicht das Wort „Songs“ im Titel hat.

Leonard Cohen – New Skin for the Old Ceremony Genre: Folk / Singer-Songwriter Jahr: August 1974 Label: Columbia Records Preis: ca. 10€

TEXT: Nina-Marie Kühn

TEXT: Hannah Zewu-Xose

Tiken Jah Fakoly – Francafrique Genre: Roots-Reggae Jahr: 2002 Preis : 18,95€ (Amazon)

eonard Cohen – Mit ihm verbinden viele das Ruhige, ja vielleicht Depressive. Lasst euch auch vom Gegenteil überzeugen! Leonard Cohen zeigt in diesem Album eine wildere und lautere Seite, als so mancher es von ihm gewohnt ist („Leaving Greensleaves“ z.B.). Aber auch altbekannte Lieder wie „Who By Fire“ oder „Chelsea Hotel no2“ werdet ihr in diesem Album wiederfinden. In dem altbekannten, ruhigen Stil.

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Info

Um zu verstehen, wie unterschiedlich ein Hörbuch sein kann, sollte man diesen Oberbegriff in drei kleinere unterteilen. Hörbuch fasst alle drei gut zusammen, da es nur vorgibt, dass ein Text, der in schriftlicher Form vorliegt, vertont wird:

Die Lesung: Dies ist das Buch, oft in gekürzter Fassung, meist von einem Schauspieler oder dem Autor selbst gelesen. Beispiel: Donna Leons Commissario Brunetti (Steinbach sprechende Bücher)

Das Hörspiel: Hier wird das Buch nicht einfach nur gelesen. Zu einer guten Hörspielproduktion gehört ein Dramaturg, welcher in Zusammenarbeit mit dem Autor das Buch so umschreibt, dass es Leben bekommt. Es bedarf hier also nicht nur eines guten Sprechers, sondern gleich mehrerer. Außerdem sorgt ein Regisseur – wie beim Film – für die Dosierung der verschiedenen Ausdrucksmittel, wie Sprache, Musik, Effekte. Beispiee: Der Schatten des Windes (der Hörverlag)

Das Feature: Dies ist vergleichbar mit einem Dokumentarfilm fürs Ohr. Es ist nicht ausschließlich literarisch, sondern wirkt oft eher wie eine Reportage, gemischt mit Musik und/oder Textstellen aus Büchern und Interviewausschnitten. Die Aussage, das Feature verhalte sich zum Hörspiel wie die Dokumentation zum Spielfilm, trifft es wohl ganz gut. Beispiele: Kabarettgeschichten. Werner Finck. Ein Porträt (hr Audio)

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Info

P.S. Seiten zum Stöbern: www.vorleser.net www.jokers.de www.audible.de www.buecher.de

DER SCHATTEN DES WINDES Jedes Buch hat eine Seele, die dessen, der es geschrieben hat, und die Seele derer, die es gelesen haben. Immer wenn ein Buch in andere Hände gelangt, wächst sein Geist und wird stark.

E

s ist das düstere Barcelona um 1945, in dem der 10-jährige Daniel Sempere durch seinen Vater den „Friedhof der vergessenen Bücher“ entdeckt. Benommen von den geheimnisvollen dunklen Gängen, den Gerüchen und Geschichten, die auf den Regalen, hinter den Buchdeckeln lauern, streift er durch die Bibliothek. Am Ende eines langen Ganges findet er ein in rotes Leder eingeschlagenes Buch, auf dem in goldenen Lettern „Der Schatten des Windes von Julián Carax“ prangt. Dieses Buch soll er ein Leben lang bewahren und dafür Sorge tragen, dass es nicht in Vergessenheit gerät, so will es die Tradition. Noch ahnt Daniel nicht, welchen Stein dieses Buch zum Rollen bringen wird. Doch schon am nächsten Morgen will er mehr wissen, über den Autor, dessen Geschichte seine Nacht gestohlen hat. Ein alter Antiquar und Freund des Vaters gibt erste Anhaltspunkte. Aber der junge Sempere wird sich erst unglücklich verlieben, wird älter werden, bis er Julian Carax´ Biografie ganz erfasst, seine eigene ein Stück weiter lebt und erschreckende Parallelen zu Carax´ Roman „Der Schatten des Windes“ entdeckt. Carlos Zafón schafft einen packenden Roman von zwei Liebesgeschichten, die aufeinanderprallen und sich mit einer Wirklichkeit messen müssen, in der nicht immer klar ist, wann Realität aufhört und Fiktion beginnt. In Martin Zylkas Hörspielbearbeitung verschwimmen die Grenzen des Realen zu einem grandiosen Hörerlebnis! Matthias Schweighöfer gibt dem Jugendlichen Daniel eine authentische Stimme. Und mit einem Aufgebot an erstDer Schatten des Windes klassigen Sprechern, wundervoller südlänCarlos Ruiz Zafón discher Musik und einer aufregend realen Genre: Roman mit einem Tontechnik, ist diese CD ein Paradebeispiel kriminalistischen Hauch. für ein gelungenes Hörspiel! Format: Hörspiel / 2 CDs

TEXT: Hannah Zewu-Xose

Verlag: der Hörverlag

Blickwechsel No. 2 | Juli 2008


Ausblick


enderKalenderKalenderKalenderKalenderKalenderKalende

Antiracist action camp 16. bis 24. Aug. 08

Antiracist action camp

Vom 16. bis zum 24. August 2008 wollen wir in Hamburg aktionistisch campen. Aktionsschwerpunkte werden FRONTEX, die europäische Grenzschutzagentur, die in militarisierter Form Menschenabwehr betreibt und durch ihre Einsätze im Mittelmeer bekannt ist, der Hamburger Flughafen, seine Sammelabschiebungen und die Ausländerbehörde mit ihrer menschenverachtenden Politik sein. Wir fluten den Flughafen! /// Wir gehen zur Ausländerbehörde und geben den Tätern Gesichter! /// Wir fahren nach Lübeck zur FRONTEX-Ausbildungsstätte! Und wir wollen diskutieren, uns vernetzen, internationale ExpertInnen einladen. und, und, und. ... sky‘s not even the limit. Wir freuen uns auf dich!!! Die CamperInnen Anmeldung und weitere Infos: www.camp08.antira.info

Anderzeit II – Ästhetische Erfahrung 1. bis 5. Okt. 08

Erkenntnis- und Bildungsprozesse

›Was ist an der Zeit?‹ lautet die Ausgangsfrage dieser Veranstaltung. Das Motto ist ›Vier Tage Gespræch – Ein Forum für Gegenwartsfragen in der Erkenntnisdimension der Anthroposophie‹. ›Æsthetische Erfahrung‹ steht in diesem Jahr über den Tagen. Æsthetische Erfahrung gemeint als ein Weltzugang: das Feld der sensiblen Eindrücke, das Feld des empfänglichen Willens, das Feld der Erkenntnis- und Bildungsprozesse. Welche Möglichkeiten eröffnen sich, um die Kluft von Leben und Bewusstsein anzugehen? 92 Stunden unter Menschen, vom Check-In bis zum abschließenden Mahl. Drei Veranstaltungsreihen durchziehen das Forum. Am Vormittag steht die Grenze zwischen Wissenschaft und Leben im Fokus hochkarätiger Denker. Im Nachtkaffee sammeln sich kleinere Vorträge, Musik und Theater zur ›Æsthetischen Erfahrung‹, zum ›Rätsel des Anderen‹ und zu ›Lebensentwürfen‹. Die Nachmittage stehen unter dem Motto ›Menschen sind Themen‹. Mehr als dreißig einzigartige Gespräche, Installationen und Expeditionen zu je einer Stunde, in Gruppen mit maximal zehn Teilnehmern, sind angelegt. Johannes Nilo und Philipp Tok Gœtheanum Schweiz | anmelden@anderzeit.com | WWW.ANDERZEIT.COM

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Blickwechsel No. 2 | Juli 2008


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Engagement und Bewusstsein ‘08 Zwei Wochen Training für junge Menschen mit Orlando Bishop und Nicanor Perlas

Alle Probleme und Aufgaben, ob persönlich oder global, sind Fragen an unsere eigene Identität: Aus welchem Bewusstsein heraus wurden die heutigen Probleme und Strukturen geschaffen? Aus welcher Intention heraus gestalte ich mein Leben?
Wie kann ich kreativ Ideen schöpfen, die die Kraft haben, alte Strukturen zu verwandeln? Wie kann ich solche Ideen in mein Leben integrieren und wirksam machen? Anmeldung und Informationen: www.engage08.de

20 .Juli bis 1. Aug. 08

werde der du bist | sei der du wirst

Freies Jugendseminar Stuttgart Studium? Ausland? Ausbildung? Chillen? Heiraten?

Einjährig

… oder möchtest Du Dir erst mal einen Überblick verschaffen und Dir Zeit nehmen, Dich selbst besser kennenzulernen? Es gibt eine Möglichkeit, mit jungen Menschen aus aller Welt ein Jahr zusammenzuleben und an Deinen Fragen zu arbeiten. Eine Möglichkeit, Einblick in so unterschiedliche Gebiete wie Wirtschaft, Philosophie, Kunst und Naturwissenschaften zu erhalten und ihren Sinn und Zusammenhang zu erleben. Dabei können die Arbeitsmethoden der Anthroposophie kennengelernt und kritisch hinterfragt werden. Am Freien Jugendseminar in Stuttgart kannst Du wesentliche Fähigkeiten für Deinen Berufs- und Lebensweg in Dir entdecken und entwickeln. Interesse bekommen? Lust, mal reinzuschnuppern? Dann melde Dich! (Hospitation zum gegenseitigen Kennenlernen ist nach Absprache gerne möglich!) Das Jahr ist in Trimester unterteilt, Beginn ist jeweils Januar, Mai und September Freies Jugendseminar Stuttgart E-Mail: info@jugendseminar.de www.jugendseminar.de

www.blickwechsel-hamburg.de

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nderKalenderKalenderKalenderKalenderKalenderKalende

festival.forum 26. bis 23. Juli 08

Jugendtagung am Goetheanum I Dornach, Schweiz

Die diesjährige Sommertagung der Jugendsektion am Goetheanum wird die Form eines Forums mit Festivalcharakter haben. Ein festival.forum. Junge Menschen, die innovativ und initiativ in der Welt stehen, werden ein vielseitiges Angebot von parallel laufenden Gesprächs- und Arbeitsgruppen, Podien, Vorträgen und mehr stellen, aus dem die Teilnehmer sich täglich ihr eigenes Programm wählen. Junge Künstler werden das Programm begleiten, in Bewegung bringen und farbenfroh gestalten. Im Mittelpunkt stehen der junge Mensch und die Fragen und Themen, die er mitbringt. Was bringt uns dazu, für eine zukunftsfähige Welt zu arbeiten? Welche Gedanken entstehen während dieser Arbeit? Was sind zeit-relevante Themen, Ideale, Paradigmen? Die intensive Auseinandersetzung dieser jungen Menschen mit verschiedensten Themen macht sie zu Experten ihrer Interessenbereiche und somit zu wertvollen Beiträgern für die Welt und somit auch für das festival. forum. Das festival.forum will die Jugendkräfte, den sogenannten Impuls, den junge Menschen in die Welt bringen können, ins Blickfeld rücken. Das festival.forum richtet sich an alle Generationen und zielt darauf, über Grenzen anthroposophischer und nationaler Kreise hinaus junge und ältere Menschen zu erreichen. Mit einem beweglichen Programm bietet das festival.forum sowohl für Menschen aus der Umgebung ein Wochenend-Event als auch für internationale Gäste eine Konferenz über 5 Tage. Kontakt: info@youthconference.org www.youthconference.org

YIP – Youth Initiative Program 25. 08. 08 bis 19. 7. 09

YIP – One year of making sense

YIP (Youth Initiative Program) ist ein internationales Hochschulprogramm in Järna, Schweden, welches von einer Gruppe junger Menschen aus mehreren Ländern organisiert wurde und von einem globalen Netzwerk von Initiativen und Einzelnen unterstüzt wird. Ein Training für Sozialunternehmer (Social Entrepreneurs), die eine positive Veränderung in der Welt wünschen und möglich machen wollen. Sechzig junge Menschen aus der ganzen Welt zwischen 18 und 25 Jahren werden ein Jahr lang zusammen leben und studieren. Vielseitige Workshopleiter aus allen möglichen Bereichen (Soziales, Wirtschaft, Umwelt, Philosophie, Politik, Engagement etc.) werden das Programm täglich füllen, dazu gibt es künstlerische und praktische Aktivitäten, Sozialeinsätze im Ausland und Praktika vor Ort. Eine Idee zu formen und umzusetzen ist nicht immer leicht. Im YIP sollen die Teilnehmer die Werkzeuge erlernen, ihre Initiativen umsetzen zu können und sich so aktiv an der Gestaltung kultureller, sozialer, wirtschaftlicher und ökologischer Impulse zu beteiligen. YIP beginnt am 25.08.2008 das erste Mal. Die Deadline für Anmeldungen ist gerade verlängert worden: Bis zum 31. Juli besteht die Möglichekit, sich anzumelden. Mehr auf www.yip.se

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Blickwechsel No. 2 | Juli 2008


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Hubi probt! Hubi, unser Versuchskaninchen und nervötender Querulant aus dem fernen Bayern, ist uns dieses Mal ein bisschen aus dem Ruder gelaufen. Die selbsterdachte Mission: Ein unkonventionelles Gespräch, das möglichst (k)einen Bezug zu unserem Titelthema haben sollte. Heraus kam, wie ihr unten lesen könnt, eine wirklich nicht alltägliche Unterhaltung.

Mission 2: Second life Auf Bahnhöfen, in Einkaufsstraßen, wer kennt diesen Anblick nicht? Zusammengesunkene Gestalten, mehr oder weniger (meistens weniger) unauffällig, still oder wild, betrunken und haltlos brabbelnd sind sie vielen Passanten ein steter Dorn im Auge. Mit einigen durften wir uns über ihren scheinbaren Ausstieg, über Beweggründe und ihre Auffassung vom Leben unterhalten. Unsere Interview-Partnerin drängte sich uns im wahrsten Sinne des Wortes mehr auf, als dass wir sie ansprachen. In der Mönckebergstraße gerierten wir mit ihr auf Kollisionskurs, und einmal von ihren müden, verschleierten Augen erspäht, erwies sie sich als äußerst hartnäckig, ihren neusten Errungenschaft zwischenmenschlicher Gesprächskultur auch so lange wie möglich habhaft zu bleiben. Die Mittefünfzigjährige, nur in zerschlissene Hotpans und ein ebenso unpassendes wie grellgelbes Shirt gekleidete Frau (Name aus Gründen der Diskretion unterschlagen) ist in der Tat ein bunter Hund, viele der Passanten kennen sie schon und sind die laute und ranzige Art gewöhnt. Wir ließen uns also nicht lange bitten, und boten ihr einen Platz vor Double-Cafe an. Hubi: „Verzeihung können wir Ihnen helfen?“ Obdachlose: (verneint, überlegt und lässt sich dann doch neben uns nieder) „Nein! Ich bin hässlich. Furchtbar hässlich, schau mich nicht an!“ Hubi: „Oh, finden Sie, aber warum brüllen Sie so?“ Obdachlose: „Deutschland ist feige! Ihr seid alle feige! (unverständliches Gebrummel seitens der Obdachlosen) Ich brauche niemanden und warum also einen Pass?!“ Hubi: „Was meinen Sie mit Pass? Obdachlose: (sie springt auf und geht aufgebracht neben uns auf und ab.) „Nein, kein Pass! Ich brauche keinen, ich will keinen. Die Schweine, die haben mir gesagt, ich brauche einen Pass weil ich da sonst nicht bleiben darf.“ Hubi: „Die Polizei?“ Obdachlose: „Nein, die Stasi! Sie sind zu mir gekommen, und da haben die Schweine gemeint, ich soll meinen Pass zeigen, du musst wissen, ich habe keinen.“ Hubi: „Die Staatssicherheit? Sind Sie sicher? Wir sind hier in Hamburg.“ Obdachlose: „Natürlich bin ich sicher, so sicher, wie du 5000 Jahre alt bist. Wusstest du das? Dass du so alt bist? Deutschland ist alt, wir sind alle alt.“ (Nun vergingen etwa zehn Minuten, in www.blickwechsel-hamburg.de

denen sie auf und ab geht. Gehetzt wie ein in die Enge getriebenes Tier wirkend, tritt sie auf ein parkendes Auto ein. So ihr erhitztes Gemüt abgekühlt, setzt sie sich, als wäre nichts geschehen, wieder zu mir.) Hubi: „Was tun Sie eigentlich hier den ganzen Tag über?“ Obdachlose: „Ich suche meinen Sohn, Du siehst aus wie er, nur war er nicht so hässlich. Bist du mein Sohn?“ Hubi: „Nein, tut mir leid. Sagen Sie, wovon leben Sie?“ Obdachlose: „Ich lebe nicht, ich habe doch keinen Pass, wie soll ich so leben? Wusstest du, dass Gänseblümchen sehr gut essbar sind? Morgen kommt der große Kollaps, dann haben wir nur noch Gänseblümchen, wir alle werden nur noch von Gänseblümchen leben.“ Hubi: „Nun gut, aber wie kommen Sie überhaupt zu dieser Einstellung? und seid wann leben Sie so?“ Obdachlose:: „Du hörst aber auch nie richtig zu, ich hab doch gesagt, dass ich nicht lebe, dazu braucht man einen Pass. Ich lebe schon immer so, seit ich denken kann, suche ich meinen Sohn.“ Hubi: „Und Sie können sich nicht erinnern, wann genau das war?“ Obdachlose: „Nein, kann ich nicht“ Hubi: „Was denken Sie über Ihre Zukunft, welche Ambitionen haben Sie? Obdachlose: „Ich brauche keinen Pass! Und wenn der Zusammenbruch kommt, esse ich Gänseblümchen, mehr brauche ich nicht.“ Hubi: „Gut, vielen Dank für das erhellende Gespräch.“ Obdachlose: „Denken Sie an die Blümchen.“ (Im Abgehen reißt sie noch eine der zur EM allgegenwärtigen Deutschlandfahnen von einem Auto und geht zügigen Schrittes dem Hauptbahnhof entgegen.) Etwas verdutzt und unbefriedigt bleiben wir noch einen Moment vor Double-Cafe sitzen, aus so einem Gespräch ist es schwer Rückschlüsse zu ziehen. Auch blieb die Frage offen, ob Gänseblümchen wirklich so genießbar sind (der Test bewies, ohne jeglichen Zweifel und zur enormen Ernüchterung des Probanden, Gegenteiliges). Und wie wahrscheinlich viele von euch bemerkt haben mögen, blieb auch der „totale Kollaps“ noch aus. Dennoch schien unsere „Interviewstin“ trotz ihrer unsteten Lebenssituation vollauf von sich überzeugt zu sein und ihr Leben unter den gegebenen Umstanden zu genießen, Der von uns gesponserte Kaffeemag einen nicht geringen Anteil daran getragen haben. Bis demnächst, der Gänseblümchen fressende

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Mitarbeit an dieser Ausgabe: Alexander Repenning Charlotte Heller Christopher Gade Camilla Schröder Cosima Pereira Köster Daniel Schmidt Felix Behrens Fiorina Brotbeck Freyer Röbbert Jamila Al-Yousef Jon Hams Klara M. Koraus Mona Doosry Olga Schapiro Rolf Scherer Ruth Veron Torben Wirtz Ein großer Dank an: Gemeinnützige Treuhandstelle Hamburg (GTS) e.V. Landes-Arbeits-Gemeinschaft der Hamburger Waldorfschulen Rudolf-Steiner-Haus Hamburg, Jochen Vieluf Sowie an alle Menschen, die mit Ihrem Zutun dazu beigetragen haben, dieses Projekt zu ermöglichen.

David Kurth *1990

Schule: Bergedorf Job: Layout Kontakt: kurthie@hotmail.com

Schule: Wansbek Job: Sekretärin Kontakt: Hannah.zx@gmail.com

Hubertus Schwarz *1990

Schule: Bergstedt Job: Hubi probt! Kontakt: hubertus.schwarz@gmx.de

Kim-Fabian von Dall‘Armi *1989

Inga Schulz *1991

Schule: Wandsbek Job: Chef, Titelteil, Kalender, V.i.S.d.P. Kontakt: vondallarmi@gmail.com

Impressum Wer ist Wer

Hannah Zewu-Xose *1992

Schule: Altona Job: Neuling Kontakt: inga.schulz@online.de

Isabella Bopp *1991

Schule: Wandsbek Job: Leichte Lektüre, Sekretärin Kontakt: isabella@annettebopp.de

BLICKWECHSEL persönlich.

Lukas Stolz *1991

Schule: Bergstedt Job: Gesellschaft Kontakt: lukas.vancover@gmail.com

Moritz Thörl *1990

www.blickwechsel-hamburg.de info@blickwechsel-hamburg.de c/o Rummelsburger Str. 78, 22147 Hamburg Druck Drucktechnik Altona www.drucktechnik-altona.de Kontodaten BLZ: 200 505 50 Kto. Nr. 1232411023 Kontoinhaber: Simon Berg Blickwechsel ist eine nichtkommerzielle, unabhängige Jugendzeitung. Die Zeitung finanziert sich nicht durch Werbung, sondern über Fördergelder und Spenden sowie den Verkauf. Blickwechsel erscheint bis zu 4 mal im Jahr bei einer Auflagenstärke von 1000 Stück. Die nächste Ausgabe zum Thema: Bildung... und was ist Schule für Dich? ist für Oktober ’08 angesetzt.

66 | Impressum

Schule: Altona Job: Website Kontakt: mor_th@gmx.de

Pia Dombrowski *1991

Nina-Marie Kühn *1991

Schule: Bergedorf Job: Schreiberling Kontakt: sunshinepia@hotmail.de

Schule: Nienstedten Job: Grenzgänger Kontakt: nina_5765@yahoo.de

Samuel Hardenberg *1991 Schule: Harburg Job: Fakten Kontakt: san66@gmx.de

Simon Berg *1988

Schule: Wandsbek Job: Chef, Blickkultur, Finanzen Kontakt: mail@simonberg.eu

Zandile Drako *1989

Schule: Altona Job: Lyrik Kontakt: zandile89@hotmail.de Blickwechsel No. 2 | Juli 2008


M SW AD ES PA EE UE N ensch

chall und Rauch, ein inzig kleines Sandkornstückchen m weiten Strand es grossen Ganzen.

in riesig funkelnd eifenblasenmeer rächtig schillernd in llen Farben.

inzigartig, gewaltig in gleißender Lichtball

niform, vergänglich in verglimmender Schein. ichts und alles

Kim-Fabian von Dall Armi


Ausgabe 02 | Juli 2008 | www.blickwechsel-hamburg.de | 2 â‚Ź


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