B lickwechsel Ausgabe 03 | Oktober 2008 | www.blickwechsel-hamburg.de | 2 €
[ Jugendzeitung Hamburger Waldorfschulen ]
Bildung
...und was heißt Schule für Dich?
Ein Blick ins Buch Und zwei ins Leben, Das wird die rechte Form Dem Geiste geben.
J. W.v. Goethe
editorial editorial Hamburg, 5. November 2008
Werkbericht
Nach dem Verkauf der letzten Ausgabe und der darauf folgenden Sommerpause ging es weiter – mit neuen Leuten und einer großen Verabschiedung: Simon, den ältesten unter uns, zog es nach bestandenem Abitur Richtung Australien. An dieser Stelle noch einmal ein Dankeschön für die verrichtete Arbeit! Simon wird uns in Form von Reiseberichten weiterhin erhalten bleiben. Nicht nur die Personenbesetzung hat sich geändert, auch die Heftstruktur entspricht nicht mehr ganz der alten. Laufend wurden neue inhaltlicheund gestaltungtechnische Ideen ausprobiert, umgesetzt – und dann doch wieder verworfen. Vorläufiges Endprodukt ist das, was Ihr jetzt in den Händen haltet. Vorläufig, weil wir gemerkt haben, dass es keinen wirklichen Endpunkt gibt, sondern jeden Tag neue Ideen auftauchen, die verwirklicht werden möchten. Und über eines sind wir uns jetzt im Klaren: Ohne Nachtschichten und Stress kurz vor dem Drucktermin geht es nicht!
Zum Titel
Blickwechsel erzählt eine Geschichte. Es erzählt die Geschichte eines jungen Menschen, der aufwacht und hinaustritt in sein Leben. Das allererste – aber auch grundlegende – ist die Frage: Wer bin ich? Also die Frage nach der eigenen Identität. Diese Frage zu beantworten ist jedoch weit mehr als nur ein kurzes Gedankenspiel, und unser junger Held oder unsere junge Heldin kann sie nicht lösen, beißt sich fest daran, bleibt stehen – Stillstand. Einziger Ausweg: Second life. Es nicht wahrhaben wollen, die Frage nach sich selbst nicht zufriedenstellend und jetzt sofort beantworten können, die Flucht in eine Zweitrealität, die erklärbar, erfassbar ist – oder zumindest so scheint. So weit, so gut. Doch was muss dieser Mensch mitbekommen, was muss er erfahren haben, um diese Momente der Sinnlosigkeit zu überstehen? Da kommt nun die Bildung ins Spiel. Und damit verbunden – die Schule. In der Situation, in der unsere Titelhelden stehen, hilft es herzlich wenig, Kurvendiskussionen und Geschichtsdaten reproduzieren zu können – nein, hier sind ganz andere Fähigkeiten und Kompetenzen gefragt – eine umfassende Persönlichkeitsbildung und Stärkung. Bietet die Schule von heute, die Bildung im herkömmlichen Sinne die Möglichkeit dafür? Oder vergrößert sie nur den Abgrund zwischen Second und First life? So also die Frage: Bildung ... und was ist Schule für Dich?
Mitmachen...
Blickwechsel lebt von den Menschen, die die Zeitung tragen. Menschen, die sich für die Zeitung engagieren, die sich damit auseinander setzen. Das kann auf ganz verschiedenen Ebenen stattfinden. Die eine will schreiben, der andere will sich um das Layout kümmern, jene wiederum hat Spaß am Fotografieren ... wo immer auch Deine Interessen liegen: Mach mit. Schick uns einen Text, ruf an, schreib ’ne Mail. Es gibt viele Wege, bei Blickwechsel dabei zu sein. Texte, neue Mitarbeiter und Ideen sind willkommen. Kontakt: mitmachen@blickwechsel-hamburg.de
Mit denk- und schreibwütigen Grüßen im Namen der Redaktion Lukas Stolz & Kim-Fabian von Dall‘Armi
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fakten 6
gesellschaft
Gold, Geld und Mensch 12 11. September - Chile 14
blickpunkt
Zu Besuch in der Unterwelt 7
grenzg채nger
Im Gespr채ch mit Stefan Aust 8
leichtelekt체re
Von wegen Buchhandlung 53 Lisbeth 53 Weshalb Handys modern sind 54
16
12
weg weiser
25
perspektive
lyrik
Drei Gedichte 55 Samstag 56
blickkultur
Portrait ... Paolo Coelho 58 Der Reisende in Sydney 60 Buchblick 62 Filmblick 64 Musikblick 65 Hörbuch: Generation Doof 66
Captura – Schule, Zukunft, Mensch 64 Yumendo 67 Methodos – Abi in Eigenregie 68 Ausblick / Kalender 70 Projektverzeichnis 72
hubiprobt ... Einwandern 73
38
63
58 titelthema 16
Worum es geht 18 Pakettheorie 20 Bildung | Wahrheit 22 Bildungssysteme Türkei | Deutschland 24 Auslaufmodell Abitur – Interview mit KlausPeter Freitag 28 Gipfelgefühle 32
Chance Armut – Bericht aus Peru 34 Diagnose: Tod – Bildung in Palästina 36 Pressespiegel 40 Lernen, Leiden, Leben 42 Ich würd‘s wieder tun 44 Es ist an der Zeit für eine Freie Bildungskultur 46
fakten fakten +++ In Kolumbien musste eine Kuh, nachdem sie einen Unfall verursachte, ins Gefängnis. +++ Counter-Strike Anthology (dt.) fand bisher 294.000 Kunden und liegt damit zahlengleich mit den Internet-Usern in Paraguay. +++ Ein Gesetz in Frankfort, Kentucky, verbietet es, die Krawatte eines Polizeibeamten abzuschießen. +++ Der schnellste Computer der Welt, der Roadrunner der US-Regierung, hat eine Leistung von 1000 Billionen Rechenschritten pro Sekunde. Damit ist er ungefähr so schnell wie ein 2.400 Meter hoher Stapel Laptops zusammen. Rechnet man mit 2 cm Dicke pro Laptop,
ergibt sich eine Anzahl von 120.000 Notebooks. +++ Für Schweine ist es körperlich unmöglich, in den Himmel hinauf zu sehen. +++ 50% der Weltbevölkerung haben nie einen Telefonanruf getätigt oder erhalten. +++ Ratten und Pferde können sich nicht übergeben. +++ 230 Millionen: So oft konnte Sony bereits eine Playstation verkaufen. Das ist die gleiche Summe, die die Hartz IV-Software an Mehrkosten verursacht – nicht insgesamt, sondern jährlich. +++ Wenn Du 8 Jahre, 7 Monate und 6 Tage schreien würdest, hättest du genug Energie produziert, um eine Tasse Kaffee zu erwärmen. +++ Der Orgasmus eines Schweins dauert 30 Minuten. +++ In Tonga hatte nur der König das Privileg, alle Mädchen des Landes zu entjungfern. Selbst im hohen Alter von 80 Jahren tat er dies noch acht Mal pro Woche. +++ Auf Kauai (Hawaii) darf nach Gesetz kein Gebäude größer als eine Palme sein. +++ Polarbären sind Linkshänder. +++ Eine Kakerlake kann 9 Tage ohne Kopf überleben, bevor sie verhungert. +++ Das Tragen eines Kopfhörers erhöht in nur einer Stunde die Anzahl der Bakterien in deinem Ohr um 700%. +++ In Deutschland darf man komplett nackt autofahren. Man darf allerdings nicht nackt aus- oder einsteigen, da man so die Öffentlichkeit stören würde. Das eigene Auto zählt dagegen als eigenes Grundstück. +++ Das Feuerzeug wurde vor dem Streichholz erfunden. +++ Weltweit werden 23% aller Photokopiererschäden von Leuten erzeugt, die darauf sitzen, um ihren Hintern zu kopieren. +++ In deinem ganzen Leben wirst du während des Schlafens ungefähr 70 Insekten und 10 Spinnen essen. +++ Urin leuchtet unter dem Blacklight. +++ Zungenabdrücke sind genau wie Fingerabdrücke einmalig. +++ 1 Milliarde Leute sind heute übergewichtig, und 15.000 Menschen sind ebenfalls heute an Hunger gestorben. +++ Über 75% aller Menschen, die dies hier lesen, werden versuchen, ihren Ellbogen zu lecken. Es geht wirklich nicht! +++ Einige Löwen paaren sich bis zu 50mal am Tag. +++ 46 Prozent der Studenten finanzieren sich über ihre Eltern. +++ Hawaii produziert ungefähr 320.000 Tonnen Ananas pro Jahr. +++ Schmetterlinge lecken an ihren 06 | Blickwechsel No. 3 | November 2008
Füßen. +++ Menschen und Delphine sind die einzigen Lebewesen, die aus Freude Sex haben. +++ 187 ist ein amerikanischer Polizeicode für Mord. +++ Als Busen bezeichnet man nicht die Brüste, sondern den Raum zwischen den Brüsten. +++ Aus der ZDV (Zentrale Dienstvorschrift) – dieses sind keine Witze sondern leider echte Zitate: 1) Bei Eintritt der Dunkelheit ist mit Nachlassen der Sicht zu rechnen. 2) Wenn das Wasser bis zur Brust reicht, hat der Soldat selbstständig mit Schwimmbewegungen anzufangen. 3) Beim Erreichen der Baumspitze hat der Soldat die Kletterbewegung selbstständig einzustellen. 4) Liegt der Kopf mehr als 20 cm vom Rumpf entfernt, ist der Tod festzustellen. 5) Bei Schnee und Frost ist mit auftretender Kälte zu rechnen. +++ Im antiken Griechenland wurde das Alter einer Frau nicht von ihrem Geburtstag, sondern von ihrer Hochzeit an gezählt. +++ In Paris gibt es ebenso viele Obdachlose wie leerstehende Wohnungen, jeweils 9000. +++ Elefanten sind die einzigen Tiere, die nicht springen können. +++ Man kann verschwitzten Schuhen den Gestank nehmen, indem man sie für einige Stunden mit Backpulver ausstreut. +++ Der durchschnittliche Regentropfen erreicht eine Geschwindigkeit von 35 km pro Stunde. +++ Das Auge eines Straußes ist größer als sein Gehirn. +++ Die meistverbreitete, nichtansteckende Krankheit auf der Welt ist Zahnausfall. +++ Seesterne haben kein Gehirn. +++ In Estland ist es untersagt, während der körperlichen Liebe Schach zu spielen. +++ Im Jahr 1983 verzeichnete der Vatikan 0 Geburten. +++ 27% der männlichen Studenten sind bezüglich ihrer Zukunft zuversichtlich, aber nur 15% der Studentinnen. +++ Die Einzahl von Grafitti ist Grafitto. +++ Die Pupillen weiten sich um mehr als 45% wenn man sich etwas ansieht, das einen anspricht. +++ Statistisch gesehen ist das sicherste Alter 10 Jahre. +++ Ukulele ist hawaiianisch und heißt: kleiner springender Floh. +++ In der Schweiz ist es gesetzlich verboten, eine Autotür zuzuknallen. +++ Die Speicherkapazität des menschlichen Gehirns ist etwa 4 Terrabytes groß. +++ In Oklahoma ist es verboten, ein Stück aus dem Hamburger eines Fremden herauszubeißen. +++ Die Hummel kann nach allen Gesetzen der Aerodynamik nicht fliegen. +++ In Großbritannien gibt es seit 1934 ein Gesetz, in dem steht, dass das Ungeheuer von Loch Ness, falls es dieses gibt, unter Naturschutz steht. +++ Es wurden bereits sieben Menschen von Meteoriten getroffen. +++ Das menschliche Gehirn weist mehr Nachrichtenverbindungen auf, als nötig wären, um jeden Menschen auf Erden direkt mit jedem anderen zu verbinden. +++ Die Vereinigten Staaten haben noch nie einen Krieg verloren, in dem Maultiere eingesetzt waren. +++ In den 20er-Jahren glaubte man, dass durch Jazz-Musik die sexuelle Hemmschwelle extrem sinken wurde. Daher wurde Jazz in vielen Städten verboten.
blick punkt
Zu Besuch in der Unterwelt Bunker in Hamburg Eine kleine Gruppe von 20 Leuten ist es, die sich am Samstag Mittag vor einem unscheinbaren Metallkasten neben der Bahnhofsmission des Hamburger Hauptbahnhofes sammelt. Normalerweise ist hier nichts Bemerkenswertes zu sehen, heute aber ist der Metallkasten geöffnet und eine steile Betonfläche ist sichtbar, die in die Tiefe führt. Ein Mitarbeiter des Vereins „Hamburger Unterwelten“ beginnt seine Einführung, und hinab geht es in ein dreistöckiges Labyrinth aus Beton, dem alten Steintorbunker. Zwischen Hauptbahnhof und Steintortunnel gelegen wurde dieser Bunker im Jahr 1943 gebaut, um eine 2700 Menschen umfassende Masse von Zivilbürgern der umliegenden Geschäftsstraßen während der anstehenden Bombenangriffe zu schützen. Insgesamt brachte das „Dritte Reich“ in Hamburg ein Netz von unterirdischen Gebäudekomplexen hervor, welches offiziell 47 Prozent der Gesamtbevölkerung vor sämtlichen damals bekannten Bomben hätte schützen können. Nach 20 Jahren der Stilllegung wurde der Steintorbunker 1963 anlässlich des Kalten Krieges modernisiert und erneut für den Schutz der Zivilbevölkerung vorbereitet, wobei nun der Schutz vor ABC-Waffen im Vordergrund stand. Deshalb musste im Bunker ein ausreichender Schutz vor radioaktiver Strahlung vorherrschen und außerdem eine streng einzuhaltende Anzahl von Insassen für mindestens 14 Tage zu versorgen sein. Die Anlage wurde zwar nach 1990 nicht mehr modernisiert, jedoch fanden bis 2000 regelmäßige Wartungen statt. Erst im Mai 2008 endeten die Finanzsubventionen der Stadt Hamburg für die Bunkeranlage. Alle Versorgungsmittel aus den 60er Jahren sind weiterhin eingelagert. Folglich eröffnet sich dem erstaunten Besucher der Blick auf eine riesige Betonburg, ausgestattet mit zuviel zum Sterben, aber auch zuwenig zum Leben. Bei Vollbesetzung wäre die Temperatur in 14 Tagen wohl kaum mehr auszuhalten gewesen. Nebenbei sollte ein strenger Schichtwechsel herrschen. Jeder sollte 16 Stunden auf einem Platz sitzen und 8 Stunden auf der Pritsche schlafen. Somit gab es Sitzplätze für 2/3 und Schlafplätze für 1/3 der Gesamtinsassen. Mahlzeiten sollten viermal am Tag aus Tüten und Wasser bereitet werden, Duschen wurden nicht eingeplant. Unglaublich, aber dies hätte vor 20 Jahren den Überlebenden eines atomaren Angriffs auf Hamburg geblüht, vielleicht auch noch heute. Stephan Töllner
Text: Cornelius Müller
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Im Gespräch Stefan Aust
grenz gänger
„Eine gute Zeitung spiegelt die Realität “
Der ehemalige Chefredakteur des „Spiegel“ spricht über Journalismus zwischen Manipulation und Aufklärung sowie über Gemeinsamkeiten der RAF und Al-Quaida.
Sie waren auch mal bei einer Schülerzeitung tätig? So hab ich angefangen. Die Zeitschrift hieß übrigens „Wir“. Was für ein Schüler waren Sie denn ? Mein Lateinlehrer sagte: „Du bist nichts, du kannst nichts, alter Knabe, zieh dich in deine Redaktionsstube zurück“. Daran kann man sehen, dass ich nicht besonders gut in der Schule war. Ich hab mich so durch gemogelt, bin in der 10. Klasse sitzen geblieben, danach ging‘s wieder. Ich hab auch das Abitur geschafft, aber damit könnte man heute nicht viel studieren, glaub ich. War die Schule trotzdem ein Ort, an dem Sie etwas gelernt haben? Ja, eindeutig! Das bisschen, was ich weiß, habe ich auf der Schule gelernt. Das Interessante ist, dass man in der Schule von allen Gebieten etwas mitkriegt und gleichzeitig noch Zeit hat, sich umzuschauen und was zu lesen. Das ist die zeitliche Periode, in der man am meisten überhaupt im Leben lernt. Anschließend fängt man sowieso an, sich zu spezialisieren. Deswegen bin ich auch kein großer Freund von Spezialisierung auf der Schule. Ich finde es ist richtig, dass Leute sich mit Dingen beschäftigen, mit denen sie sich freiwillig nicht auseinandersetzen würden. Wie hat sich dann der Übergang von der Schule in den Beruf gestaltet? Ich kannte durch die Schülerzeitung den Herausgeber von Konkret und Ehemann von Ulrike Meinhof. Als ich fertig war, fragten mich die beiden, ob ich nicht zu Konkret kommen wolle. Wahrscheinlich, weil unsere Schülerzeitung ziemlich gut war. Dann hab ich am Tag nach dem Abitur, nachdem ich meinen Rausch ausgeschlafen hatte, morgens dort angefangen. Es gab also einen bruchloser Übergang von der Schülerzeitung zur anderen Zeitung. Sie haben gesagt, sie hätten eine ziemlich gute Schülerzeitung gemacht. Was zeichnet denn Ihrer Meinung nach eine gute Zeitung aus? Eine gute Schülerzeitung, überhaupt eine gute Zeitung, zeichnet aus, dass sie die Realität widerspiegelt. Ich glaube, wenn man eine Schülerzeitung macht, ist es wichtig, dass man sich einerseits mit der Gegenwart beschäf-
VITA / werke Stefan Aust (62), ist ein deutscher Journalist und Autor. Er war von 1967 bis 1969 Redakteur des linksgerichteten Magazins „Konkret“, bevor er 1970 Mitarbeiter des NDR wurde und dort für die Sendung „Panorama“ arbeitete. 1988 übernahm er die Leitung von „SpiegelTV“. Insgesamt 14 Jahre lang, von 1994 bis 2008, war er Chefredakteur des Nachrichtenmagazins „Der Spiegel“. Aufsehen erregte sein 1985 erschienenes Sachbuch „Der Baader Meinhof Komplex“, das die RAF thematisiert und jetzt als Vorlage für den gleichnamigen Kinofilm diente. Aust steht u.a. wegen angeblicher Vermischung privater und beruflicher Interessen sowie wegen Manipulationsvorwürfen in der Kritik. BÜCHER von Stefan Aust sind u.a.: „Der Pirat: Die Drogenkarriere des Jan C.“ „11.September. Geschichte eines Terrorangriffs“ FILME von Stefan Aust sind u.a.: „Stammheim“ – 1986 „Die RAF“ – 2007
tigt – mit Politik, mit Veränderungen auf der Welt – aber andererseits natürlich auch mit den spezifischen Problemen von Leuten, die zur Schule gehen. In einer der jüngsten Ausgaben des „Spiegel“ stand auf dem Titel „Der gefährliche Nachbar“, darunter ein Bild von Putin und einem Panzer. Ist das noch eine Spiegelung der Realität? Oder eher Propaganda? Danach dürfen Sie mich nicht fragen, ich bin da nicht mehr. Deswegen bin ich auch nicht mehr für die Titel und die Titelgeschichten verantwortlich. Ich war früher verantwortlich für alles, auch wenn ich es in Wahrheit nur bruchstückhaft kontrollieren konnte, aber jetzt bin ich wirklich nicht mehr zuständig. Und ich werde mich auch nicht über die Titelbilder und Titelzeilen meiner Nachfolger in irgendeiner Weise äußern. Wenn man so eine führende Position wie die des Chefredakteurs des „Spiegel“ besetzt, hat man ja schon eine gewisse Macht und Verantwortung. Wie geht man damit um – auch mit dem Anspruch, möglichst die Realität abzubilden? Als erstes muss man in so einer Position wissen, und das ist mir jede Minute klar gewesen, dass es geliehene Macht ist. Das heißt, durch eine bestimmte Funktion hat man einen gewissen Einfluss, Macht ist eigentlich
Wie sehen Sie die Zukunft der Printmedien in Deutschland? Ich habe immer gesagt, wir handeln mit Informationen und nicht mit Holz. Ob die Information auf Papier gedruckt ist, übers Fernsehen oder über das Internet kommt, ist sekundär. Es ist nur die Frage, auf welche Weise man die Inhalte zu den Leuten kriegt, und bisher hat sich nicht gezeigt, dass die Printobjekte überflüssig werden. Ich glaube, das wird auch nicht passieren. Nun zu einem anderem Thema, der RAF: War damals wirklich so ein Punkt erreicht, dass die Gründung einer Terrororganisation nötig erschien? Nötig war es ganz bestimmt nicht, sinnvoll war es auch nicht. Aber es sieht im Nachhinein danach aus, als sei das damals historisch angesagt gewesen. Das hört sich jetzt merkwürdig an, ich meine das folgendermaßen: Es gab ja eine Zeit, als überall auf der Welt Befreiungsbewegungen entstanden sind – gegen Kolonialismus, gegen Imperialismus, gegen alles, was mit -ismus zu tun hatte. Man wusste natürlich nicht genau, was für Regimes aus diesen Bewegungen entstehen würden. Und es gab eine große Welle von rebellierenden jungen Leuten auf der ganzen Welt, die sich mit diesen Befreiungsbewegungen solidarisierten. Ein Motiv war natürlich der Vietnamkrieg, gegenüber dem man sich zurecht empörte. In einer solchen Protestwelle, wenn Leute sich mit den Befreiungsbewegungen der dritten Welt identifizieren, gibt es natürlich immer welche, die nicht nur reden, sondern auch etwas tun wollen. Das haben dann einige getan, in einer bundesdeutschen Wirklichkeit, die nichts mit der Wirklichkeit lateinamerikanischer Diktaturen zu tun hatte, die auch nichts zu tun hatte mit dem NS-Staat. Das heißt, als erstes hat man sich die Realität umgedeutet, man hat aus einem etwas konservativen Rechtsstaat einen Polizeistaat herbeikonstruiert. Wenn man einmal die Realität auf diese Weise durch die Sehschlitze eines Panzerspähwagens betrachtet, kann man sich vorstellen, dass auch über Methoden nachgedacht wurde, die man sich vielleicht in einer faschistischen Diktatur vorstellen kann, aber nicht in einer Bundes-
...Mein grundsätzliches Ziel als Journalist ist immer Aufklärung im klassischen Sinne gewesen... nicht das richtige Wort dafür. Dieser Einfluss besteht durch die Institution, in der man sitzt. Das ist wie ein Autofahrer, der am Lenkrad sitzt. Er hat mehr Macht über das Auto, als jemand der hinten sitzt. Ich habe immer versucht, verantwortungsvoll damit umzugehen. Ich weiß jetzt nicht genau, ob mir das immer gelungen ist. Man muss darauf achten, dass man nicht gegen einen Baum fährt, dass man die Insassen, die hinten sitzen, nicht gefährdet, dass man schnell, aber vielleicht nicht zu schnell fährt, damit man auch ans Ziel kommt. Man muss also vernünftig, verantwortungsvoll und im Sinne seiner grundsätzlichen Ziele handeln. Mein grundsätzliches Ziel als Journalist ist immer Aufklärung im klassischen Sinne gewesen. Nicht mehr und nicht weniger. Das heißt, den Leuten die Hintergründe und Zusammenhänge zu bieten, die sie brauchen, um die Welt verstehen zu können. Aber man darf nicht beeinflussen. Ich glaube, wenn man versucht, Leute zu beeinflussen, ist der eigene Einfluss in sehr kurzer Zeit weg. Deswegen hab ich auch nie Parteipropaganda für irgendeinen Kandidaten gemacht. Haben Sie denn Angebote bekommen? Gut, ich mein‘, jede Partei versucht, mit dem Chefredakteur des „Spiegel“ auf gutem Fuße zu stehen. Wie genau versuchen die Parteien, mit der jeweiligen Person auf gutem Fuße zu stehen? Das Lockmittel ist immer, einem Informationen zu geben, in der Hoffnung, dass man auch gleichzeitig die dazugehörige Sichtweise übermittelt. Ich habe zu mir und anderen Leuten gesagt: Nimm die Informationen und die Akten, aber übernimm nicht die Sichtweise. Lass dir deine Unabhängigkeit nicht nehmen. 10 | Blickwechsel No. 3 | November 2008
Im Gespräch auf dem Gelände des NDR: Lukas Stolz, Daniel Schmidt, Stefan Aust, Nina Kühn (v.L.)
republik Deutschland der 60er oder 70er Jahre. Insofern war es grundfalsch und menschenverachtend, das war auch damals schon so. Aber man kann verstehen, im Sinne von Rekonstruieren, wie es dahin gekommen ist. Die RAF hat sich ja mit dem Ziel gegründet, Deutschland von dem Faschismus zu befreien und in den Sozialismus zu führen. Wenn man sich aber Personen wie Baader oder Meinhof anschaut, war das dann nicht auch eine persönliche Befreiung aus gesellschaftlichen Zwängen? Ich glaube, das Egoistische spielte dabei eine gewaltige Rolle. Sicherlich unterschiedlich bei den verschiedenen Figuren. Ich hatte ein Schlüsselerlebnis, als ich Akten von einem Interview gefunden habe, das nach dem Kaufhausbrand mit den Eltern von Gudrun Ensslin geführt wurde. Der Vater sprach, nach den Motiven seiner Tochter gefragt, von dem Begriff einer „ganzheitlichen Selbstverwirklichung, im Sinne eines heiligen Menschentums“, wortwörtlich. Da hat‘s mich gefröstelt, als ein Pfarrer eine menschengefährdende Brandstiftung als ganzheitliche Selbstverwirklichung betrachtete. Aber ich glaube, er hat kapiert, was da in dem Kopf seiner Tochter vorgegangen ist. Der Schrei des Menschen nach Unsterblichkeit. Das stammt von dem Anwalt, der sie vertreten hat. Es war eine Selbstverwirklichung durch die Tat, aber die Tat war eben eine Gewalttat. Im Zweifel haben die nicht davor zurück geschreckt, Leute in die Luft zu sprengen, aus Gründen der Selbstverwirklichung. Das ist natürlich, wie Sie zurecht sagen, ein sehr egoistisches Motiv. Ein Motiv, das für Terroristen in allen Ländern zu allen Zeiten zutrifft. Für die Islamisten heute genauso wie für die RAF damals.
Kann man denn die islamistischen Terroristen heute und die RAF-Terroristen damals überhaupt miteinander vergleichen? Ich glaube, sie haben eine gewaltige Ähnlichkeit. Erst einmal sind die islamistischen Terroristen von der Definition her Glaubenskrieger, so sehen sie sich ja auch. Das heißt, sie kämpfen gegen den Westen, gegen den Imperialismus. Das sind ganz ähnliche Ziele wie damals, sie werden nur religiös begründet und nicht sozialistisch-kommunistisch. Gemeinsam ist ihnen, dass es Kommunikation durch Terror ist. Terrorismus ist ja immer Kommunikation durch Gewalt. Man will auf irgendetwas, und vor allen Dingen auf sich selbst, auf sein Problem, aufmerksam machen. Wenn man sich die Terroristen vom Anschlag auf das World Trade Center anschaut, sind die mit einem Flugzeug rein geflogen, und zwar so, dass CNN auf Sendung gehen konnte. Als sie dann live sendeten, flog das zweite Flugzeug rein. Das war sozusagen die Perfektion von Kommunikation durch Terror. Insofern kann man, glaube ich, jedem Terroristen unterstellen, dass er es
...Terrorismus ist immer Kommunikation durch Gewalt... nicht nur für die Sache tut, sondern auch für sich selbst. Im islamistischen Terrorismus geht er ins Paradies ein, mit seinen 17 Jungfrauen. Nur wenn die sich dann alle teilen müssen, wird es auch ein bisschen eng. Oder er geht als Märtyrer in die Geschichte ein. Verändert sich durch Terrororganisationen das Verhältnis von Sicherheit und Freiheit nachhaltig? Ja! Man kann sich heute eigentlich nicht mehr vorstellen, wie das früher gewesen ist. Ich will jetzt nicht sagen, dass es nur die RAF gewesen ist, aber all dies hat dazu geführt, dass die Freiheitsrechte ziemlich eingeschränkt worden sind. Oder kann sich noch einer vorstellen, in ein Flugzeug zu steigen und keinerlei Leibesvisite unterworfen zu werden? Kann sich einer vorstellen, dass Polizisten mit normalen Mützen auf Großdemonstrationen gehen? Die sehen doch heute alle aus wie Mondmenschen. Man muss nur mal bei Airbus vorbeikommen, dann sieht man Kameras und einen riesigen Zaun rundherum. Diese privaten Sicherheitsdienste, die überall aus dem Boden schießen, zum großen Teil bestückt von ehemaligen Stasi-Leuten. Es gibt im Sicherheitsbereich eine große Aufrüstung, die natürlich auf solche Aktionen zurückzuführen ist. Vielen Dank für das Gespräch!
DIE FRAGEN STELLTEN: Daniel Schmidt, Nina-Marie Kühn & Lukas Stolz www.blickwechsel-hamburg.de | 11
gesell schaft
Gold, Geld und Mensch Über Geld redet man nicht. Wir tun es.
Täglich geht es durch unsere Hände, wir erledigen die langweiligsten Jobs, nur um es zu haben. Kurz: Es dient als Projektionsfläche für unsere Träume und Wünsche. Obwohl ein großer Teil unserer Gedanken und Taten um Geld kreist, wissen wir kaum etwas über seine Geschichte, seine Aufgaben und seine tatsächliche Wirkung in der heutigen Welt. Es wurde vom Menschen geschaffen, um den Handel zu erleichtern, um ihm zu dienen; doch heute scheinen wir dem Geld zu dienen.
Geld ist das, weshalb ich keine Hühner zum Einkaufen mitnehme. Das klingt zwar etwas merkwürdig, verdeutlicht aber die Notwendigkeit, aus der heraus Geld entstanden ist. Der direkte Tauschhandel, also z. B. ein Huhn gegen zehn Äpfel bringt folgende Probleme mit sich:
Probleme des direkten Tausches Es müssen sich erstmal zwei finden, die genau das im Angebot haben, was der andere will. Die Wahrscheinlichkeit, mit jemandem ins Geschäft zu kommen, ist also nicht sehr groß. Hinzu kommt, dass man sein Huhn oder andere Dinge, die man eintauschen will, zum Handel mit sich herumtragen muss, was nicht wirklich angenehm ist. Hat man dann jemanden gefunden, mit dem man tauschen möchte, beginnt der Streit, wieviel denn die Tauschobjekte eigentlich wert seien. Ich würde vier Hühner gegen eine Ziege tauschen, mein Tauschpartner will aber fünf Hühner.
Erste Anfänge und Münzgeld Um die oben beschriebenen Probleme zu lösen, führte man vor langer Zeit einheitliche Zahlungsmittel ein, gegen die man alles andere eintauschen konnte. An verschiedenen Orten erfüllten verschiedene Gegenstände diese Aufgabe: Muscheln, kunsthandwerkliche Gegenstände, Gold oder Silber. Gemeinsam war diesen Dingen, dass sie selten und deswegen wertvoll waren. Doch wirklich bequem waren auch diese Sachen nicht, und so wurde im 7. Jhr. v. Chr. das Münzgeld eingeführt. Die Münzen erhielten ihren Wert, der aufgeprägt wurde, durch das Material, aus dem sie bestanden. Das änderte sich, als das Material knapper wurde. 12 | Blickwechsel No. 3 | November 2008
Die Münzen waren dann soviel wert, wie der Mensch ihnen an Wert zudachte. Der Wert, der auf der Münze stand, entsprach also nicht mehr dem Materialwert der Münze. Voraussetzung dafür war, dass alle an diese Idee des gedachten Geldes glaubten, denn diese Idee machte den Wert des „neuen Geldes“ aus.
Das Papiergeld Auch die Münzen waren nicht das Optimum: große Mengen stellten ein Risiko beim Transport und bei der Lagerung dar, weil sie, wie alle kleinen Wertgegenstände, vergleichsweise einfach zu entwenden waren. Hinzu kam, dass ihre Herstellung einiges kostete. Wohlhabende Händler brachten deswegen ihr Münzgeld zu einer Person ihres Vertrauens, z.B. einem Goldschmied, der es für sie aufbewahrte. Wollte Lukas Stolz *1991 ein Händler, der Geld einSchüler der 12. Klasse HamburgFarmsen. Seit einigen Monaten Begelagert hatte, etwas kauschäftigung mit dem Thema Geld, fen, gab er dem Verkäufer jetzt auch im Rahmen der Jahreseinen Schuldschein, auf arbeit. Zusätzlich angefeuert durch die bestehende Finanzkrise geht er dem die Summe und die den Fragen nach: Wie entstand Namen der am Handel Geld, was ist seine Wirkung in der beteiligten Personen verheutigen Welt, und was für Ideen für die Zukunft gibt es? Das Motto merkt wurden. Der Verdabei: Die Wirtschaft soll dem Menkäufer konnte mit diesem schen dienen, nicht umgekehrt. Schein zum Goldschmied
gehen , der das Geld für den Händler aufbewahrte, und sich dort das Geld abholen. Diese Scheine nannte man Wechsel. Schnell gab es Menschen, die auch dann mit Wechseln bezahlten, wenn sie kein Geld mehr beim Geldverwalter, in unserem Falle dem Goldschmied, hatten. Um diesem Missbrauch vorzubeugen, bekam man vom Geldverwalter, nachdem man sein Münzgeld dort abgegeben hatte, einen Schein, auf dem die eingelagerte Summe stand. Diese Scheine waren einfach und günstig herzustellen, es waren die ersten Geldscheine
Ursprung der Banken Geldaufbewahrer wie der Goldschmied waren die ersten Banker, sie verwalteten das Geld für mehrere Personen. Einfallsreiche Banker bemerkten, dass das Geld die meiste Zeit bei ihnen lagerte und immer nur ein kleiner Teil abgeholt wurde. Um mehr Geld verleihen zu können und damit auch mehr Einnahmen in Form von Zinsen zu bekommen, gaben sie Scheine aus, die keinen Gegenwert in Gold hatten. Geldscheine wurden also nicht nur dann ausgegeben, wenn jemand im Gegenzug Münzgeld einlagerte, sondern auch an Personen ausgehändigt, die Geld brauchten, aber keines hatten. Dieser Schritt ist der Ursprung des Kreditwesens und beschreibt die Funktionsweise der heutigen Banken. Ein Problem ist dabei sofort erkennbar: Angenommen, alle Menschen mit Geldscheinen gingen gleichzeitig zur Bank, um sich ihre Münzen abzuholen, wäre die Bank auf-
gang mit Geld erschwerte und den Handel bremste. Aus diesem Grund griff die Politik ein und bestimmte gesetzlich, dass es eine Bank pro Währung geben müsse, welche die Kontrolle über die Herstellung und Herausgabe des Geldes hätte. Zur Aufgabe dieser Banken gehörte es fortan, die Menge des Geldes den jeweiligen Marktsituationen anzupassen. Notwendig ist das, um eine Wertstabilität zu erreichen. Das heißt, dass man für eine bestimmte Menge Geld über einen längeren Zeitraum die gleiche Menge an Waren, z. B. Äpfel, erhält. Wird zuviel Geld in Umlauf gebracht, verliert es an Wert und verunsichert damit die Menschen. Den beschriebenen Wertverlust des Geldes, bedingt durch seinen Überfluss, nennt man Inflation.
Geld als Wertaufbewahrungsmittel [Funktionen des Geldes nach Brockhaus: Geld ist allgemeines Tausch- und Zahlungsmittel, Wertmaßstab aller Güter und Leistungen, Mittel zur Wertaufbewahrung ] Während sich die ersten beiden hier gennanten Funktionen aus dem bisherigen Text erschließen, muss die Definition als Wertaufbewahrungsmittel noch erklärt werden. Geld eignet sich hervorragend dazu, materiellen Wert aufzubewahren. Im Gegensatz zu allen natürlichen Dingen dieser Welt, die mit der Zeit zerfallen, ist Geld unbegrenzt haltbar, solange keine Inflation stattfindet. Einen Sack Kartoffeln kann man schlecht sehr lange Zeit lagern, er wird
Das schöne Gefühl, Geld zu haben, ist nicht so intensiv, wie das Scheißgefühl, kein Geld zu haben. Herbert Achternbusch
geschmissen, da sie nämlich nicht genug realen Gegenwert wie z. B. Goldmünzen hätte. Dieses Problem besteht auch noch heute, wie man an der aktuellen Finanzkrise sehen kann. Diese wurde ausgelöst, als man merkte, dass Banken Geld an Leute gegeben hatten, die nicht in der Lage waren, es zurückzuzahlen. Die Folgen waren ein massiver Vertrauensverlust, niemand wusste mehr, wem er trauen konnte und das Finanzsystem drohte und droht bis heute zusammenzubrechen. Doch zurück in die Geschichte:
Die Zentralbanken Schnell jedoch verlor man durch die große Anzahl verschiedener Währungen und Banken die Übersicht, was den Um-
durch Würmer und andere Tiere zersetzt. Geld hingegen gammelt nicht. Doch taucht da wieder ein Problem auf: Die Geldfunktionen stehen sich direkt im Weg. Geld kann seine ursprüngliche Funktion als Tauschmittel nicht mehr erfüllen, wenn es irgendwo bei jemandem auf dem Konto liegt. Als Wertaufbewahrungsmittel dient es nur noch einer einzelnen Person, aber nicht mehr der Allgemeinheit. Fazit: Geld ist also viel mehr als nur ein Tauschmittel, und es ist wichtig wie nie zuvor, dass wir uns damit auseinandersetzen und nach Lösungen suchen, um die bestehenden Probleme zu lösen. Wie drängend diese Probleme sind, zeigt die derzeitige Finanzkrise! www.blickwechsel-hamburg.de | 13
gesell schaft
11. September 1973 Putsch in Chile
Am 11.09.1973 wird die sozialistische Regierung Chiles unter Salvador Allende blutig gestürtzt. Mehr als 4000 Menschen werden getötet, Hunderttausende gefoltert und vertrieben. Unterstützt wird der Putsch von der CIA und anderen „westlichen Mächten“: Chile hat Symbolcharakter im Kalten Krieg. Viele Menschen in Europa und den Vereinigten Staaten sehen bei dem Datum „11. September“ nur noch Bilder von brennenden Flugzeugen und einstürzenden Türmen vor sich – kurz: die Ereignisse des 11. Septembers 2001, des Anschlags auf das World Trade Center und die USA. Doch für viele Menschen in Lateinamerika hat dieser Tag eine andere, nicht minder schreckliche Bedeutung. Auf diese Geschehnisse, die jetzt 35 Jahre zurückliegen, möch-
Im chilenischen Wahlkampf 1970 unterstützen die USA und die CIA die rechte Partei der Christdemokraten (DC) ohne deren Wissen durch finanzielle Hilfe. Für den Fall, dass trotzdem die sozialistische „Unidad Popular“ (UP) gewinnen sollte, gibt es schon Pläne für einen Putsch. Tatsächlich gewinnen die Sozialisten die Wahl sehr knapp, und Salvador Allende wird zum Präsidenten ernannt. Unter seiner Regierung sinken die Arbeitslosenzahlen, jedem Bürger steht
te ich gerne aufmerksam machen und damit einen anderen Blick auf den 11. September ermöglichen. An diesem Tag im Jahr 1973 putschte das Militär unter dem Kommando Augusto Pinochets gegen die sozialistische Regierung, es folgten 17 Jahre Diktatur Pinochets. Dieses grausame Ereignis, das noch im selben Jahr 20.000 Menschen aus Chile flüchten ließ, spielt heute in der Öffentlichkeit aber keine Rolle mehr. Sehr bezeichnend dafür ist die Gedenkfeier im Jahr 2003. An die USA dachte jeder, es wurden große Trauerfeiern abgehalten; von Chile, wo dieses Ereignis immerhin 30 Jahre zurücklag, wusste niemand. Besonders auffällig wird die Diskrepanz, wenn man sich anschaut, welche Rolle die USA und die CIA bei dem Putsch in Chile spielen. Doch dazu muss man etwas weiter ausholen:
eine kostenlose Schulbildung und Gesundheitsversorgung zur Verfügung, es kommt zur Verstaatlichung von diversen Institutionen. Durch die Investitionen in die Sozialreform steigt die Inflationsrate, es wird mehr Geld gedruckt, Chile gilt als nicht mehr kreditwürdig. Die CIA unterstützt die Anti-Allende-Propanganda in Chile, was weitreichende Folgen hat. Es kommt zu vielen Terroranschlägen, politische Morde der Rechten werden der UP in die Schuhe geschoben. So ruft Allende 1973 den Notstand aus und beruft Augusto Pinochet zum Oberbefehlshaber des Heeres. Vom Kabinett wird ihm das Misstrauen ausgesprochen. Am 10. September 1973 stimmt Allende einem Volksentscheid zu, doch soweit kommt es nicht mehr. Am 11. September um 6:20 Uhr erfährt er, dass die Flotte im Hafen
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von Valparaiso sich gegen ihn erhoben hat. Seine Versuche, Augusto Pinochet zu erreichen, bleiben erfolglos. Allende zieht sich mit seiner Familie und engsten Vertrauten in den Präsidentenpalast „Moneda“ zurück. Um 8:00 Uhr wird im Radio die Erklärung der Putschisten verlesen, es wird klar, dass Augusto Pinochet der Drahtzieher ist. Die Verfassung wird außer Kraft gesetzt. Allende wird zur Kapitulation aufgerufen. Aus Furcht vor den Putschisten senden nur noch einzelne Radiostationen die letzten Worte des Präsidenten an sein Volk: „[...] Ich werde nicht aufgeben! In diesem historischen Moment werde ich die Treue zu meinem Volk mit meinem Leben bezahlen. Sie haben die Macht, sie können uns überwältigen, aber sie können die gesellschaftlichen Prozesse nicht durch Verbrechen und nicht durch Gewalt aufhalten. [...]“ Allende fordert seine Familie auf, sich zu ergeben, bleibt selber aber in der „Moneda“. Dort wird er nach der Bombardierung gefunden; nach einer Obduktion geht man von einem Suizid aus. Nach der Machtergreifung durch Pinochet sagt US-Außenminister Henry Kissinger bezüglich des Putsches, dass die Vereinigten Staaten „es nicht getan haben, sondern nur die größtmöglichen Voraussetzungen dafür geschaffen haben“: Die Putschisten hatten finanzielle Hilfe der CIA, die auch Maschinengewehre und Tränengasgranaten stellten. Augusto Pinochet wird zum „Jefe Supremo de la Junta“ (Oberster Chef der Nation) ernannt. Das Estadio Nacional, das chilenische Nationalstadion in Santiago de Chile,
Hohn zum Trotz stimmte er das Lied „Venceremos“ („Wir werden siegen“) an, konnte es aber nicht zu Ende bringen, weil er vorher unter den Schlägen der Soldaten und ihren Maschinengewehren zusammenbrach und starb. Ihm zu Ehren wurde das Stadion 2003, an seinem 30. Todestag, in „Estadio Victor Jara“ umbenannt. Ich hatte in Chile die Möglichkeit, in der „Fundacion Victor Jara“ seiner Tochter Amanda zu begegnen. Sie wirkte nicht verbittert über den Tod ihres Vaters oder über die Grausamkeiten des Regimes, sondern wollte nur für die Gerechtigkeit (ganz konkret: eine Verurteilung der Mörder) kämpfen. Sie lebt die Verse aus Victor Jaras Lied „Stürme des Volkes“ (1973): „Der Stern der Hoffnung bleibt weiterhin der unsere.“ Im November 1973 soll im Estadio Nacional ein WMAusscheidungsspiel stattfinden. Die Zuständigen von der FIFA beurteilen die Lage in Chile als beruhigt. Die Gefangenen werden verlegt, was größtenteils bedeutet, dass sie einen Platz im Massengrab bekommen. Die Militärjunta erklärt das bisherige Geld für ungültig, wer noch Banknoten besitzt, die unter Allende gedruckt worden sind, riskiert sein Leben. Bei einer symbolischen Bücherverbrennung werden Bücher zum Thema „Cubismo“ (Kubismus) verbrannt, da der Titel fälschlicherweise mit „Kuba“ übersetzt wird und man eine Einflussnahme des Volkes durch Literatur „von den Roten“ fürchtet.
wird zum Konzentrationslager umgerüstet. Hier werden über 40.000 Menschen inhaftiert und gefoltert. Mindestens 3200 Menschen kostet das ihr Leben. Die Inhaftierten haben keinen Kontakt zur Außenwelt, die Soldaten wetteifern um die größten Grausamkeiten. Zu dieser Situation sagt der CDU-Generalsekretär Bruno Heck nach einer Besichtigung dieses Behelfskonzentrationslagers im Oktober 1973 nur: „Bei sonnigem Wetter ist das Leben im Stadion recht angenehm“. Im Estadio Nacional wurde auch Victor Jara gefangengehalten. Jara war ein chilenischer Sänger und Gitarrist, dessen Lieder oft die soziale Ungerechtigkeit zum Thema hatten. Die Soldaten brachen ihm die Hände und forderten ihn auf zu singen, schließlich sei er doch Sänger. Dem
Direkt nach dem Putsch wird der Militärjunta von dem zuständigen Abgeordneten der BRD bestätigt, dass Chile für Deutschland nun wieder kreditwürdig sei. Ein ähnliches politisches Verständnis in Bezug auf die Demokratie hatte auch CSU-Politiker Franz-Joseph Strauß: „Angesichts des Chaos, das in Chile geherrscht hat, erhält das Wort Ordnung für die Chilenen wieder einen süßen Klang“. Erst nach 17 Jahren Diktatur kommt es zu einem Regierungswechsel: der Christdemokrat Patricio Aylwin wird zum Präsidenten gewählt. Doch Pinochet hatte sich zu Amtsbeginn den Senatorenstatus auf Lebenszeit bestätigen lassen. Bis zu seinem Tod 2006 muss sich dieser Mann, der Tausende von Menschenleben auf dem Gewissen hat, keinem Verfahren stellen. TEXT: Lena Sternberg www.blickwechsel-hamburg.de | 15
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„...der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Worts Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt.“ Friedrich Schiller, Briefe zur Ästhetischen Erziehung des Menschen
David Kurth
Jule Willers
worum es geht ... Bildung ... und was ist Schule für Dich? Also: Was ist Bildung, was ist Schule? Was bedeutet Schule, was bedeutet Bildung heute? Und weiter: Was kann Schule sein – was kann Bildung sein? Bildung = Wissen? Schule = Klassenraum? Bildung ist mehr als nur Wissensvermittlung. Schule ist mehr als nur Klassenraum. Bildung ist alles, was mir begegnet, was mich formt. Schule ist der Ort, an dem das stattfindet. Dennoch kann die Institution Schule als Chance be- und gegriffen werden. Sie kann einen Grundstein legen, kann eine Fülle von Möglichkeiten und Fähigkeiten vermitteln, um sich selbst und die Welt zu begreifen. Sie kann uns dazu verhelfen, aus einem umfassenden Verständnis heraus eigene Interessen zu entwickeln und so zu einem auf eigenem Verstand begründet handelnden Individuum zu werden. Sie kann und sollte uns die Voraussetzungen bieten, kritisch zu denken und uns zu selbstständigen, aktiven Mitgliedern unserer Gesellschaft zu entfalten. Soweit zum Ideal. Was aber sind die Ziele der heutigen Bildung? Warum wird Bildung angeboten? Es scheint oftmals um blanken Nutzen zu gehen. Es geht darum, dass wir gebildet werden, um im gesellschaftlichen Kontext einsetzbar zu sein. So wie eine Maschine programmiert wird, damit sie funktioniert, so werden wir gebildet, um später in dem Gesamtgefüge zu funktionieren. Heutige Bildung geht also nicht von dem Menschen und den speziellen Fragen und Bedürfnissen des Einzelnen aus, sondern umgekehrt: Bildung geht aus von dem, wie der Mensch zu sein hat, damit er in das bestehende „System“ integrierbar ist. Andererseits ist die Institution Schule auch nur das, was wir aus ihr machen – oder nicht machen. Wir sind nicht nur Teilnehmer, sondern ein Teil, sogar der Grund, warum es Schule gibt.Veränderungen werden nur zustandekommen, wenn wir Schule selbst aktiv gestalten. Unsere Stimme ist entscheidend. Nutzen wir also die Schule, um nicht alles beim Alten zu lassen. Nutzen wir die Schule, um sie, uns und die Gesellschaft zu erkennen und zu prägen.
Bildung ...und was ist Schule f端r Dich?
David Kurth
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xyz + xy = Bildung Die Pakettheorie
Wissen ist stapelbar, Mister X tot und das Ziel von Bildung, den Menschen dem Arbeitsmarkt zuzuführen. Ein Blick auf die aktuelle Bildungssituation.
Wir reden von ca. zehn Paketen. Eng verschnürt ohne viel drum herum. In den Paketen befindet sich Lehrstoff. In jedem Paket eine Zusammensetzung. Zum Beispiel Deutsch oder Mathematik oder Englisch oder Chemie. Das DeutschPaket beinhaltet wiederum etwas kleinere, aber ebenso eindeutige und unverwechselbare Pakete. Faust I, Kulturepochen und ihre Dichter, die deutsche Grammatik. Mathematik bietet Platz für Algebra, Trigonometrie und das kleine Einmaleins. Mit unserer Geburt ist gesellschaftlich festgelegt, dass wir gute und erfolgreiche Menschen werden, wenn wir möglichst lückenlos jedes einzelne Paket im Inhalt kopieren und die Kopie in unserem Kopf aufbewahren. Ein guter und erfolgreicher Mensch bleibt in der Fortsetzung, wer das Prinzip des Paketekopierens nicht nur in seiner Schulzeit möglichst erfolgreich praktiziert, sondern auch im darauf folgenden Studium aus einer etwas größeren Paketanzahl besonnen wählt. Besonnen wählt, wer ein Paket, sein 20 | Blickwechsel No. 3 | November 2008
Leistungsvermögen voll ausschöpfend, kopiert. Leistungsvermögen in diesem Sinne ist die Fähigkeit, ein möglichst großes Paket erfolgreich kopieren zu können und so abzuspeichern, dass es auf Fragen hin abgerufen werden kann. Wir nennen das, zugegebenermassen etwas überspitzt dargestellt, „Bildung“ bzw. „Bildungsweg“. Aber die Geschichte geht noch weiter. Nehmen wir einen erfolgreichen Paketbewältiger. Nach „ordentlichem“ Abitur mit 1,8 Durchschnitt in einem vernünftigen Gymnasium schlägt Mister X direkt nach der Schulzeit den Studienweg ein und bringt mustergültig in sechs Semestern einen Bachelor mit der Paketkombination XYZ nach Hause. Im weiteren gibt es zwei Versionen:
*Version 1: Mister X war nicht dumm, verknüpfte die Studienentscheidung mit der voraussichtlichen Entwicklung des Arbeitsmarktes, und so wird eben seine Paketkombination von der Wirtschaft gesucht. Nach 50 weiteren Jahren, zwischenzeitlicher Heirat mit einer jungen Frau (Paket-
Wer jedoch bereit ist nachzudenken, muss die Kurzfristigkeit der Pakettheorie sogar erkennen, wenn er sein Denken in der Wirtschaft und nicht beim Menschen beginnt. Denn was die Wirtschaft langfristig sucht, sind nicht Fachgenies *Version 2: Schlechte Paketkombination. Unnachgiebiger Arbeitsmarkt. und Sozialidioten, nicht Mathematikgötter, die kreativ tot Mister X ist über- oder unterqualifiziert oder beides. Und im sind oder Deutsch-Asse, die nicht einmal die SelbstständigÜbrigen wird derzeit „ohnehin nicht eingestellt“. Alles für die keit besitzen, ein Eis zu bestellen. Gesucht werden vielmehr Katz (fürs Paket)? Die Dame in der Agentur für Arbeit rät selbstständige, denkfähige, flexible, sozialfähige und kreative Menschen mit Grundkenntnissen in zu Profilerweiterung. Mister X fragt sich, was einzelnen Wissensbereichen, die bereit er in seinem Leben außer Paketen (die keiner sind, sich und ihre individuellen Fähighaben will) gelernt hat. keiten weiterzuentwickeln, ihre Persönlichkeit zu entfalten und zuallererst sie Keine Sorge, auch Mister X in Version 2 stirbt, selbst zu sein. und hat, obwohl seine Paketwahl gesellschaftTatsächlich ist es jedoch gefährlich, lich wertlos ist, Kinder (gesellschaftlicher Wert aus der Wirtschaft den Blick auf den ist in unserem Bild die Integrationsfähigkeit Menschen zu richten. Darin liegt der am gegebenen Arbeitsmarkt). Benjamin Hohlmann *1983 Irrglaube, dass es beim Zusammenleben Zusammengefasst die These: Das Ziel des Geboren mitten im schönen Ruhrgebiet, in der Regel positiv denkend, um die Wirtschaft geht, diese Wirtschaft existierenden Bildungs- und Ausbildungsaber in diesem Artikel mit Laune, das Sinngebende ist. Dabei soll doch die system ist, Menschen im Sinne des ArbeitsUnmut loszuwerden. Waldorfschule Wirtschaft unser Leben unterstützen marktes in Paketkategorien auszubilden, sie Dinslaken bis 2002, Zivildienst in und helfen, unsere Bedürfnisse zu beSanta Cruz de la Sierra in Bolivien, vergleichbar zu machen (siehe u. a. ZentralabiGrundstudium der Rechtswissenfriedigen. Und unser Bildungssystem ist turisierung, Bachelorisierung) und schließlich schaften. Seit 2005 freischaffender darauf ausgerichtet, die Bedürfnisse der einem Arbeitsplatz zuzuführen. Schule und Idem-Mitarbeiter (www.idem-netWirtschaft zu befriedigen? work.org) und Projektorganisator Universität, ja Bildung im Ganzen, stehen un(Connectivity, projekt.tagung, IniWenn wir Bildung denken, dann ter dem Diktat der Wirtschaft, die Inhalte vortiative Development Training). Seit müssen wir immer bei uns selbst begingibt und Maßstäbe setzt. Der Mensch ist dank Ende 2007 zusätzlich Wirt im Unnen. Weil die Zustände überwiegend so ternehmen Mitte (www.mitte.ch). einheitlicher Lernstandards austauschbar, eine fehlorientiert sind, mein Vorschlag: Funktion im System. kombination AZy), einem Sohn (Schule für Spezialisierung in Fähigkeit Ω) fällt Mister X tot um.
Bedenklich ist, dass dem viele Menschen tatsächlich aus vollen Herzen und in nüchternem Zustand zustimmen und alles dafür tun, diesem um sich greifenden Phänomen Tür und Tor zu öffnen. Auch die Waldorfschule ist auf das Pferd aufgesprungen. Schauspiel, Jahresarbeiten, künstlerische und handwerkliche Fächer sind vielerorts auf dem Rückzug. Interessant dabei ist, dass Lehrer, Eltern und Schüler zusammen die Bewegung vorantreiben. Das gemeinsam angestrebte Ziel ist ein möglichst gutes Abgangszeugnis als Eintrittskarte in das Universitäts- und anschließende Arbeitsleben. Spätestens seit dem Zentralabitur ist auch die Waldorfschule zunehmend in den um sich greifenden Paketwahn verstrickt.
Lasst uns die Schule einreißen, die Universitäten schließen, (zumindest) als gedankliches Experiment. Dann stellen wir ins Zentrum der neuen Bildung den Menschen – was vielleicht erstmal naiv und abgedroschen klingt, zumal ja diverse Institutionen behaupten, genau das zu tun. Egal – ich schlage vor, es trotzdem und mit aller Konsequenz anzugehen. Abschlüsse wegdenken, Wirtschafts-Ängste wegdenken – der Mensch, und zwar jeder einzelne, ist ab sofort Bildungsziel. Sein Potential für sich und die Welt darf er entwickeln, sich erfahren und ausprobieren. Wir geben dem Individuum den Raum, den es braucht. Und der Raum ist offen. www.blickwechsel-hamburg.de | 21
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Bildung Wahrheit
Aus dem Bekannten das Unbekannte entwickeln.
Bildung und Wahrheit als Grundprinzipien eines Bildungsverständnisses, das dem Handeln der Autorin zugrunde liegt: sie ist Waldorflehrerin. So trägt der folgende Artikel den Zusatz: „Warum ich Waldorflehrerin bin“.
Im Jahre 1801 schreibt Heinrich von Kleist einen Brief an seine Verlobte. Sieben unwiederbringlich verlorene Jahre hat er beim Militär zugebracht und zuletzt nur noch Verachtung für Kasernendrill und Soldatenton übrig gehabt. Er hat den Dienst quittiert und ein Studium begonnen. Jetzt, da er sich mit der Philosophie Kants beschäftigt, kommen ihm erste Zweifel: Wir können nicht entscheiden, ob das, was wir Wahrheit nennen, wahrhaft Wahrheit ist, oder ob es nur so scheint. Die Frage treibt ihn um, denn Bildung und Wahrheit sind ihm unendlich kostbar: Ich hatte schon als Knabe mir den Gedanken angeeignet, daß die Vervollkommnung der Zweck der Schöpfung wäre. Ich glaubte, daß wir einst nach dem Tode von der Stufe der Vervollkommnung, die wir auf diesem Sterne erreichten, auf einem andern weiter fortschreiten würden, und daß wir den Schatz von Wahrheiten, den wir hier sammelten, auch dort einst brauchen könnten. Aus diesen Gedanken bildete sich so nach und nach eine eigene Religion, und das Bestreben, nie auf einen Augenblick hienieden stillzustehen, und immer unaufhörlich einem höhern Grad von Bildung entgegenzuschreiten, ward bald das einzige Prinzip meiner Tätigkeit. B i l d u n g schien mir das einzige Ziel, das des Bestrebens, W a h r h e i t der einzige Reichtum, der des Besitzes würdig ist. Das Wort Religion macht deutlich, was für eine existentielle Bedeutung Bildung und Wahrheitssuche für Kleist haben, und so führt der durch das Studium Kants ausgelöste 22 | Blickwechsel No. 3 | November 2008
Zweifel zu einer Lebensverzweiflung: Mein einziges, mein höchstes Ziel ist gesunken, und ich habe nun keines mehr. Die Intensität, mit der Kleist Bildung und Wahrheit als Grundlage seiner Existenz ansieht, wirft die Frage auf, was Bildung in der heutigen Zeit bedeutet und was wir darunter verstehen. Verkürzt und vereinfacht ausgedrückt meint Bildung heute hauptsächlich die Vermittlung und Aneignung von Wissen, das auf ein Leben in der Gesellschaft vorbereiten und es erleichtern soll. Vor allem die Schule hat die Aufgabe, für die Bildung der Kinder und Jugendlichen zu sorgen. Der pädagogische Bedeutungsaspekt von Bildung hat sich vor allem im 18. und 19. Jahrhundert herauskristallisiert, freilich mit einem reicheren Gehalt. So plädierte der französische Philosoph Rousseau für eine der menschlichen Natur gemäße Erziehung, die dem jungen Menschen dazu verhelfen sollte, sich selbst in Unabhängigkeit zu verwirklichen; Wilhelm von Humboldt verstand Bildung als Anregung aller Kräfte, die sich in der Begegnung mit der Welt und ihrer Aneignung entfalten sollten. Diese Auffassung kommt auch in dem Entwicklungsund Bildungsroman „Wilhelm Meisters Lehrjahre” von Goethe zum Ausdruck, in dem der Protagonist Wilhelm, der eigentlich Kaufmann werden soll, Mitglied einer umherziehenden Theatertruppe wird, durch die Begegnung mit verschiedenen Menschen und gesellschaftlichen Krei-
sen reiche Erfahrungen sammelt und zuletzt, obwohl er nach heutigem Verständnis recht wenig gelernt hat, einen geheimnisvollen Lehrbrief erhält, der das Ende seiner Ausbildung bescheinigt: Aller Anfang ist heiter, die Schwelle ist der Platz der Erwartung. Der Knabe staunt, der Eindruck bestimmt ihn, er lernt spielend, der Ernst überrascht ihn. (...)Der echte Schüler lernt aus dem Bekannten das Unbekannte entwickeln, und nähert sich dem Meister. Das Bekannte ist zunächst das, was ich schon kenne, was mir tagtäglich begegnet. Ich meine zum Beispiel, einen Menschen gründlich zu kennen, sein Aussehen, seine Stimme, seinen Gang, sein Verhalten. Plötzlich aber kann es geschehen, dass ich etwas Neues an ihm entdecke; ich werde neugierig, hake nach und verstehe allmählich das mir Unbekannte an ihm. Auch Erfahrungen, die ich mache, können zu etwas Bekanntem werden, bis ich über sie nachdenke und ihnen dadurch etwas Unbekanntes abgewinne. Ein Erlebnis ist mir in diesem Zusammenhang noch gut in Erinnerung: In der 11. Klasse absolvierten wir ein Industriepraktikum im Ruhrgebiet. Ich arbeitete in einer Fabrik, in der Kabel hergestellt wurden; mit achthundert Arbeitern, meist Frauen, saß ich in einer riesigen Halle am Fließband und musste in einem vorgegebenen Tempo Kabel löten. Abends kamen wir aus den verschiedenen Fabriken in der Jugendherberge zusammen, erschöpft von der ungewohnten Arbeit und gleichzeitig angeregt, über die gesellschaftlichen Verhältnisse zu diskutieren. Buchstäblich am eigenen Leibe war uns deutlich geworden, dass man nach so einem Arbeitstag eigentlich nichts Sinnvolles mehr tun kann. In einer Art naivem Idealismus waren wir zuvor davon ausgegangen, dass jeder Mensch die Welt verändern könne – das erschien uns nun maßlos arrogant. Durch die Erfahrung und die Auseinandersetzung damit bildete sich bei uns ein neues Verständnis von industrieller Arbeit und ihren Folgen, aus einer uns bekannten Anschauung hatte sich eine uns bis dahin unbekannte entwickelt, die uns innerlich bereicherte und uns in mancher Hinsicht veränderte. Diese Art von Bildung schließt an die ursprüngliche Bedeutung des Begriffes an, nach der Bildung mit Verfertigung, Bildnis, Gestalt gleichgesetzt wird und bilden heißt, einer Sache Wesen und Gestalt zu geben. In diesem Sinne rührt Bildung von Erfahrung und Erkenntnis her, die den Menschen
verändert und seinem Innern eine neue Konfiguration verleiht. Wer und was aber bildet mich? Die Welt, in der ich lebe, die Menschen, denen ich begegne, die Fragen, die sich daraus ergeben, bewirken in mir etwas Neues. Und zugleich bin ich auch der Bildner meiner selbst, wenn ich aus dem Bekannten das Unbekannte entwickle und dadurch zu neuen Einsichten und Gefühlen, vielleicht sogar zu neuen Handlugen komme, wenn ich mir selbst eine neue innere Form gebe, kurz: Wenn ich zum Plastiker, zum Schöpfer meiner selbst werde. Diese Auffassung von Bildung war für mich ein Grund, Waldorflehrerin zu werden, denn sie spielt in der Waldorfpädagogik als Ideal eine nicht unwesentliche Rolle: In der Unter- und Mittelstufe werden die Schüler mit den Inhalten bekannt; zunächst wird in sehr bildhafter und anschaulicher Weise erzählt, die Bilder können dadurch mit der Empfindung aufgenommen werden und in der kindlichen Seele weiterleben – der Inhalt wird zu gelebter Erfahrung. Mit dem Pubertätsalter lernen die Jugendlichen aus dem Bekannten das Unbekannte entwickeln, indem sie es mit der Erkenntnis durchdringen. Die Bildung von außen wird durch die Bildung von innen, vom eigenen Ich aus ergänzt. Dieser Bildungsprozess wird durch verschiedenste Erfahrungen in Kunst und Handwerk, durch die Welt- und Menschenbegegnung in den Praktika der Oberstufe, durch Klassenspiele, Jahresarbeiten und Klassenfahrten intensiviert und dynamisiert; er kann so vom ganzen Menschen ergriffen werden und darin gipfeln, dass das Selbst sich durch sich selbst erfasst und gestaltet. Was für Möglichkeiten tun sich auf: Jeder Mensch wird zum Bildner, der sich in Selbstbildung, Gruppenbildung, Menschenbil- Mona Doosry *1960 dung, Weltbildung darlebt! Besuch der Waldorfschule HamJeder Mensch wird zum burg-Wandsbek. Nach dem Abitur Studium der Germanistik und PhiloKünstler, der in einem sophie. Seit 1986 Oberstufenlehreschöpferischen Bildungs- rin für Deutsch und Kunstgeschichte prozess die Welt und sich an der Waldorfschule HamburgWandsbek. selbst verändern kann! www.blickwechsel-hamburg.de | 23
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Ideal Nutzen Bildungssysteme Türkei | Deutschland
Diskussionen über Integration, Religions- und Meinungsfreiheit sowie das Kopftuchverbot werden hierzulande behutsam geführt. In der Türkei dagegen wird zwischen den verschiedenen politischen Lagern mit harten Bandagen gefochten. Anhand dieses Konflikts kann man auch die Zweckorientiertheit von Bildung darlegen – und dass Bildung nicht aus reiner Freundlichkeit angeboten wird. Die Türkei boomt. Sie befindet sich inzwischen im erlauchten Kreis der zwanzig führenden Wirtschaftsnationen und hat eine Außenhandelsbilanz, die beinahe diejenige Russlands übertrifft. Trotzdem herrscht innenpolitisch nicht eitel Sonnenschein. Im Gegenteil, es knirscht gewaltig: Am 31. März 2008 eröffnete das türkische Verfassungsgericht ein Verfahren gegen die Regierungspartei, die AKP (Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung), das ein Verbot dieser Partei zur Folge hätte haben können. Die AKP, die 2007 mit 46,58% gewählt wurde, ist der kemalistischen Elite vor allem deshalb ein Dorn im Auge, weil sie sich als (gemäßigt) islamische Partei versteht. Das ist insofern wichtig, weil der Islam sich seit jeher nicht bloß als Religion, sondern auch als politische Richtung verstanden hat. Die erwähnte kemalistische Elite, deren Anhänger in der Türkei noch besonders stark in Verwaltung, Justiz und Militär vertreten sind, orientiert sich am Gründer des türkischen Einheitsstaates, Kemal Atatürk, der die Türkei Anfang des 20. Jahrhunderts einer Modernisierung unterzog. Dazu gehört bis heute insbesondere die Vorstellung eines einheitlichen Nationalstaats, unter anderem mit einer strengen Trennung zwischen Staat und Kirche („Laizismus“). Jetzt wird auch der zentrale Konflikt der beiden politischen Kräfte deutlich: Während die einen Religion und Politik gerne mehr in Einklang bringen würden (die Regie24 | Blickwechsel No. 3 | November 2008
rungspartei), wollen die anderen dies um jeden Preis verhindern. Die AKP hat diesen Konflikt inzwischen in den Bildungssektor verlegt und auf diese Weise auch die im Verbotsverfahren mündende Reaktion der Kemalisten provoziert. Man wolle ein weiteres Wahlversprechen nun einlösen, verkündete Ministerpräsident Erdogan im Januar 2008, und ließ sodann die Bombe platzen: Das absolute Kopftuchverbot an Hochschulen solle zeitnah aufgehoben werden. Damit nahm er eine Problematik in Angriff, die ihn politisch den Kopf hätte kosten können, denn die Kemalisten haben stets versucht, vor allem das Bildungswesen gemäß dem Verfassungsprinzip Laizismus vor jeglichem religiösen Einfluss zu bewahren. Zu diesem Zweck gründete das türkische Militär, das sich 1980 zum dritten Mal an die Macht geputscht hatte um nach eigener Aussage die verfassungsgemäße Ordnung wiederherzustellen, 1981 den türkischen Hochschulrat YÖK („Yülsek Ögretim Kurulu“). Am 6. November 1981 wurden dem YÖK, auf den die kemalistisch orientierte Armee bis heute einen wichtigen Einfluss hat, sämtliche Hochschulen unterstellt. Seitdem legt der Hochschulrat die Unterrichtsinhalte fest und achtet sehr genau auf die Einhaltung des Kopftuchverbots. Studentinnen in der Türkei (deren Bevölkerung statistisch immerhin zu beinahe 99% islamischen Glaubens ist), die sich weigerten, in der Univer-
sität ihr Kopftuch abzulegen, wurden vom Studium ausgeschlossen und durch die Polizei am Betreten der jeweiligen Institution gehindert. Nachdem das Kopftuchverbot an Hochschulen durch ein Gesetz, das am 9. Februar 2008 mit der nötigen ZweiDrittel-Mehrheit für Verfassungsänderungen verabschiedet wurde, indirekt abgeschafft worden war, reagierte die kemalistische Elite mit dem erwähnten Verbotsverfahren gegen die AKP und annullierte am 5. Juni 2008 die Verfassungsänderungen mit der Begründung, sie seien verfassungswidrig und verstießen gegen das Prinzip des Laizismus. Besonders interessant bei dieser ganzen Entwicklung ist, dass hier (ideologisch aufgeladene) politische Grabenkämpfe zweier Kräfte stellvertretend auf dem Gebiet der Bildung ausgefochten werden. Den Beobachter macht vor allem die Tatsache stutzig, dass hier anscheinend bezüglich des Bildungssystems Ziele verfolgt werden, die dem Zweck dienen, eine bestimmte Ideologie durchzusetzen: entweder die kemalistische oder die gemäßigte islamische Denkrichtung. Wenn man diese Vermutung für stichhaltig hält, dann muss man sich auch fragen, ob nicht Bildung und/oder das Bildungssystem selbst einem bestimmten Zweck bzw. Nutzen dienen. Wenn das der Fall ist, dann bedeutet das gleichzeitig, dass derjenige, der Bildung anbietet, ein bestimmtes Ziel mit seinem Angebot verfolgt. In diesem Fall stellt Bildung eine Art Ware dar: Bildung wird für einen Gegenwert angeboten. Zum Beispiel private Schulen, die wie Unternehmen funktionieren, bieten Bildung für den Gegenwert Geld an. Doch nicht jedem Bildungsangebot, das man gegen Geld wahrnehmen kann, liegt unbedingt das Motiv des Zwecks bzw. des Nutzens zugrunde. Es gibt auch Anbieter, die ein bestimmtes Ideal verfolgen und einen Gegenwert zur Kostendeckung benötigen. In diese Kategorie kann man wahrscheinlich auch die Waldorfschulen einordnen. Um ihr Ideal von Bildung umsetzen zu können, für das sie vom Staat nicht im ausreichenden Maße unterstützt werden, müssen sie, so behaupte ich, Bildung für einen Gegenwert anbieten – um den Aufwand kompensieren zu können. Die Grenze zwischen einem Ideal- und einem Zweck-motivierten Bildungsangebot wird dort überschritten, wo der Gegenwert, der für ein Bildungsangebot entrichtet werden muss, die Kostendeckung überschreitet. Man kann jetzt natürlich einwenden, dass auch ein Anbieter, der ein Ideal verfolgt, eigentlich nur eigene Zweckerfüllung betreibt. Auch wenn es ihm ein Bedürfnis ist, anderen Menschen völlig uneigennützig Bildung zukommen zu lassen, so entspricht sein Bestreben, dieses Ideal zu verfolgen, doch gleichzeitig der Befriedigung seines Bedürfnisses. Der Anbieter würde also im Grunde doch einen eigenen Zweck verfolgen. Das Zweck-orientierte und das Ideal-motivierte Bildungsangebot unterscheiden sich jedoch, trotz des eigentlich hinter dem Ideal versteckten Zwecks, in einer Eigenschaft: Der Zweck-orientierte Anbieter von Bildung betrachtet den Bildungsempfänger, also den Schüler oder
Studenten, als Objekt, z.B. als Handelspartner, der bloß zur eigenen Nutzenmaximierung dient. Der Ideal-motivierte Bildungsanbieter hingegen betrachtet den Bildungsempfänger als Subjekt mit ganz elementaren Rechten, z.B. mit dem Recht auf Bildung. Dieser Unterschied ist wesentlich: Beim Zweck-orientierten Angebot muss der Bildungsempfänger den Gegenwert erbringen – er ist also Objekt einer Art Handelsbeziehung. Beim Ideal-motivierten Angebot stellt allein das Bildungsangebot für den Anbieter den Gegenwert dar – der Bildungsempfänger braucht sich also nicht zu verbiegen, um einen Gegenwert zu erbringen, er kann sich als Subjekt entfalten. Diese Theorie kann exemplarisch am türkischen Bildungswesen aufgezeigt werden. In der Türkei müssen viele Bildungsempfänger selbst Geld für ihre Bildung aufbringen, also einen Gegenwert, z.B. Büchergeld. Dieses Büchergeld stellt jedoch eine Kostendeckung dar, ist also kein Anhalts-
punkt dafür, dass das türkische Bildungssystem Zweck-orientiert ist und den Bildungsempfänger als Objekt betrachtet. Allerdings gibt es in der Türkei eine achtjährige Schulpflicht, d.h. Kinder bzw. Jugendliche müssen eigentlich bis zu einem bestimmten Alter die Schule besuchen. Dieser Aspekt deutet auf ein Zweck-orientiertes Bildungssystem hin. Denn wenn Menschen gezwungen werden, egal, ob man www.blickwechsel-hamburg.de | 25
diesen Zwang positiv oder negativ bewertet, eine bestimmte Zeit ein Bildungsangebot wahrzunehmen, dann werden sie nicht als Subjekte betrachtet, die selbst entscheiden können, was sie wollen. Vielmehr soll die Schulpflicht gewährleisten, dass alle Staatsbürger einen bestimmten Wissensstand nach dem Ablauf der Schulpflicht haben. Und das ist ein Ziel, das vermittels des Bildungssystems verfolgt wird! Also dient Bildung in diesem Fall einem Zweck. Auch das Kopftuchverbot deutet darauf hin, dass die Schülerinnen nicht als Subjekte, sondern als Objekte betrachtet werden, frei nach dem Rousseau’schen Prinzip, dass man Menschen zu ihrer Freiheit zwingen müsse. In allen Ausführungen zur Zweck-orientierten Bildung und zum türkischen Bildungssystem habe ich den Gedanken vorausgesetzt, dass der Gegenwert nicht unbedingt dinglicher, also materieller Art sein muss, sondern auch immaterieller Art sein kann. Wenn zum Beispiel der türkische Staat bzw. die kemalistische Elite Bildung für einen Zweck anbieten, dann ist der Gegenwert nicht Geld, das zur Kostendeckung aufgewendet wird, sondern der Gegenwert besteht darin, dass die Schüler zu „wertvollen“ Staatsbürgern erzogen werden, die in ihren Vorstellungen den Prinzipien des nationalen Einheitsstaates genügen. Auch Waldorfschüler oder Schüler anderer privater Schulen können zwar davon ausgehen, dass das Geld, das
Schüler und Studenten im staatlichen deutschen Bildungssystem müssen sich diese Frage ebenfalls stellen. Auf den ersten Blick scheint das sehr abwegig zu sein, ist doch die Bundesrepublik eine Demokratie, die in einem außergewöhnlichen Maße auf die Rechte der Bürger und der Menschen Wert legt. In solch einem „freien“ Staat sollen Schüler, die überdies viele Rechte haben, nicht als Subjekte betrachtet werden? Ja, tatsächlich. Dass der Schüler im deutschen Bildungssystem nicht Subjekt, sondern Objekt ist, das eine bestimmte politische und moralische Wertevorstellung im Verlauf der Bildungsvermittlung annehmen soll, trat zwar früher noch deutlicher zutage. So hatten Schüler im Wilhelminischen Zeitalter bloß zu gehorchen (siehe „Professor Unrat“ von Heinrich Mann) und meine Großmutter erzählte mir, dass sie über Geschichte nichts wisse, weil sich in ihrer Schulzeit während des Dritten Reichs der Unterricht bloß um die Germanen gedreht hätte. Doch selbst heutzutage wird jeder deutsche Staatsbürger verpflichtet, die Schule bis einschließlich der 9. Klasse zu besuchen, was darauf hindeutet, dass er einem bestimmten Bildungszweck unterworfen wird. Außerdem muss der Lehrer zwar einigen Bestimmungen gerecht werden; wenn er diesen jedoch genügt, ist der Schüler ihm gegenüber zu absolutem Gehorsam verpflichtet.
ihre Eltern bezahlen, nicht dem Zweck der Profitmaximierung dient, sie müssen sich aber gleichzeitig fragen, ob sie nicht dem Zweck unterworfen sind, gemäß dem Bildungsideal der Waldorfschulen erzogen zu werden beziehungsweise erzogen worden zu sein. Ist es auch hier, wie im türkischen Bildungssystem, nicht vielmehr so, dass Bildung dem Zweck dient, ein bestimmtes Ideal zu erreichen, wodurch der Schüler wiederum zum Objekt wird? Denn Ideal-motivierte Bildung betrachtet Bildung selbst als Ideal, während z.B. im Falle des türkischen Bildungssystems Bildung nur scheinbar ein Ideal darstellt, aber tatsächlich dem Nutzen genügt, ein anderes Ideal zu erreichen, nämlich jeden Türken zum wertvollen Gesellschaftsmitglied zu erziehen.
Auf den ersten Blick scheint es ein Widerspruch zu sein, dass eine Erziehung, die auf eine liberale und individualisierte Wertvorstellung in den Köpfen der Bildungsempfänger abzielt, den Schüler zum Objekt und nicht zum Subjekt macht. Aber vor dem Hintergrund, dass der Bildungsanbieter die Sorge hat, der Bildungsempfänger könne eventuell einen solchen Wertekanon nicht von sich aus entwickeln, wird es verständlich, dass der Anbieter dem Empfänger die Wertevorstellung so sanft wie möglich beipulen möchte. Diese geschichtliche Entwicklung vom strengen Bildungssystem hin zum sanften Bildungssystem, das aber den Schüler in letzter Konsequenz immer noch als Objekt betrachtet, könnte man als „Subjektivierung des Objekts“ bezeichnen. Das neue Rezept heißt: Viel Zucker-
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Letzten Endes muss sich jeder Schüler oder Student, der brot, wenig Peitsche. Besonders deutlich wird die erwähnte ein Bildungsangebot wahrnimmt, dessen bewusst sein, dass Zweck-orientierte Erziehung dann, wenn Personen in ein die Werte, zu denen er „hin“-erzogen werden von ihrem Kulturkreis verschiedenes Bilsoll, keine allgemein gültigen Werte sind. dungssystem eintreten. Streng islamische Wer beweist denn, dass die Trennung von Migranten zum Beispiel, die nach DeutschStaat und Kirche besser ist als ein religiöser land kommen, werden die Trennung von Staat? Wer kann nachweisen, dass MeinungsStaat und Religion, also auch von Bildung freiheit wichtiger ist als die Sicherheit eines und Religionsunterricht, als ein Ziel der autoritären Systems? Bildung wahrscheinlich nicht anerkennen. *1987 Ob der Schüler aus Gründen der UnabSind ihre Kinder dennoch verpflichtet, Jakob Schäfer hängigkeit die Werte hinterfragen soll, die an diesem Bildungssystem teilzunehmen, So haben meine Eltern mich genannt. Mich beschreibt wohl am ihm vermittelt werden, oder ob er sie aus dann entsteht daraus natürlicherweise ein besten, dass ich kaum etwas desGründen der Kulturverbundenheit einfach Konflikt. Ein Konflikt, der in Deutschland illusionierender finde als mein stehin- und annehmen soll, auch das bleibt eine aktueller denn je und in der Öffentlichkeit tiges Unvermögen, einem Menschen das Gefühl des Schauderns und der Frage der Werte, die jeder subjektiven Weltständig präsent ist – nicht zuletzt aufgrund Fassungslosigkeit zu vermitteln, das vorstellung inne wohnen. einiger politisch-religiös motivierter Terror- mich packt, wenn ich mir die Unmöglichkeit der Existenz und AusWir Menschen jedoch müssen uns als Geanschläge in den letzten Jahren. dehnung von Raum im Nichts in sellschaftsmitglieder, insbesondere vor dem Die Bildungsvermittlung entwickelt aller Radikalität verdeutliche. Sprache Hintergrund der Integrationsdebatte, dain diesem Konflikt wie von selbst gleich- bzw. Begriffe als unzulängliches Abrüber klar werden, ob es sinnvoller ist, dass zeitig einen assimilativen (also einen „an- bild einer Idee schockieren mich. Bildung zur Homogenität einer Gesellschaft passenden“) als auch einen ausgrenzenden beiträgt, also ihr assimilativer Charakter Charakter. Für das Bildung empfangende gefördert wird, oder ob Bildung zur Heterogenität einer Objekt gibt es theoretisch zwei Möglichkeiten: Entweder Gesellschaft beitragen sollte, vielleicht nicht unbedingt als es ändert seine Vorstellung vom Nutzen der Bildung und ausgrenzende, aber als sozusagen vervielfältigende Kraft. passt sich an, oder es behauptet seine Vorstellung vom
Nutzen der Bildung, bleibt also dem beschriebenen Konflikt verhaftet und sucht deshalb nach Parallelstrukturen, um dem Konflikt so gut als möglich auszuweichen. Praktisch gibt es natürlich auch noch den Graubereich dazwischen. Hier wird versucht, Sonderregelungen und Ausnahmen zu ermöglichen, z. B. dass nicht alle Kinder zum Schwimmunterricht verpflichtet werden. Der soeben beschriebene Konflikt ist auch deshalb besonders problematisch, weil dieses „Integrationsproblem“ zu einem Konflikt innerhalb des Wertekanons führt, der in der Verfassung enthalten ist: Bei der Frage, ob Lehrerinnen ein Kopftuch tragen dürfen, konkurrieren beispielsweise die Meinungs- bzw. Religionsfreiheit mit dem Prinzip des Laizismus.
Hierzu gibt es viele Fragen: Hat nicht jedes Bildungssystem, das einen Nutzen verfolgt, einen mittelbar assimilativen Charakter, weil eben alle Bildungsempfänger diesem Nutzen unterworfen werden? Ist nicht auch jedes Bildungssystem, das einen bestimmten Zweck hat, ein Erziehungssystem, das den Bildungsempfänger unfrei macht? Unter dem Strich bleibt zu sagen, dass das staatliche Bildungssystem Deutschlands schleichend sein Bildungsziel verändert: hin zu einer von wirtschaftlichen Erwägungen beherrschten Erziehung. Schüler werden heutzutage früh mit Berufsorientierung und persönlichen Vermarktungsstrategien konfrontiert. Ob das zur Homogenität einer Gesellschaft beiträgt, vermag ich nicht zu sagen – zur Harmonie trägt es jedenfalls nicht bei. www.blickwechsel-hamburg.de | 27
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Abitur Ade? Zukunft | Abschluss | Schule
Im Gespräch mit Klaus-Peter Freitag [Mitglied im Bundesvorstand der Waldorfschulen] über bestehende und neue Formen des Abschließens, die Frage was zukunftsfähige Bildung ist und was der Inhalt der Schulzeit sein sollte. Herr Freitag, Sie arbeiten daran, dass eine Anerkennung und Gleichwertigkeit des „Waldorfabschluss“ mit anderen Abschlüssen erreicht und anerkannt wird. In welche Richtung geht Ihre Arbeit, damit das, was man 12 Jahre lang in der Waldorfschule erlernt, Außenstehenden an mehr als nur dem Notenzeugnis deutlich wird? Nach dem Motto: „Zeig was Du kannst“ entwickeln wir ein Abschlussportfolio, in dem deutlich wird, was man neben dem, was in dem normalen Zeugnis bewertet wird, noch gemacht hat. Die Besonderheiten der Schulzeit, also die handwerklichen und künstlerischen Unterrichte, das Fach Eurythmie, Jahresarbeiten, die ganzen Praktika, sämtliche Projekte in der Schulzeit sollen so dokumentiert werden, dass man damit wirklich etwas anfangen kann. Wenn man sich bewirbt, kann man sagen: Hier, schaut mal, das habe ich auch alles noch gemacht, und das findet dann durch die Abnehmer die Anerkennung. Die sagen: Wow, da will einer Schreiner werden und hat als Jahresarbeit einen Schreibtisch gebaut, der weiß, wovon er redet, der hat Fähigkeiten, so dass ich mit dem arbeiten kann. Dann bekommt er eine Lehrstelle. Ganz einfach. Wie sieht das mit der formalen Anerkennng aus? Wird das Portfolio auch als „staatlich anerkannter“ Abschluss vergeben werden können? Wir sind jetzt aktuell im Gespräch mit der Kultusministerkonferenz (KMK), wo wir genau dieser Frage nachgehen 28 | Blickwechsel No. 3 | November 2008
und sagen: Die Waldorfschulen sind jetzt fast 90 Jahre alt. Und seit ewiger Zeit tut Ihr so, als seien unsere Schüler keine richtigen Schüler, sei es bei den mittleren Abschlüssen oder beim Abitur. Könnt Ihr Euch nicht mal vorstellen, dass wir da eine andere Form finden, die uns gemäß ist? Denn momentan ist es so, dass wir bei jeder Veränderung, die die Gymnasien machen, mitmachen. Das kann es eigentlich nicht sein. Wir sind ja eine Schule in freier Trägerschaft, die ein besonders reformpädagogisches Konzept verwirklichen will. Das können wir nicht, wenn wir da mitmachen. Könnt ihr Euch also vorstellen, liebe Kultusminister, dass man eine Verordnung erarbeitet, die nur die Waldorfschulen betrifft, die uns mehr Rechte gibt und uns nicht permanent mit staatlichen Prüfungen, Vorschriften und dem ganzen Kladderadatsch zubaut ... Sie hatten mal erwähnt, dass sich Ihre Bemühungen nicht nur auf Deutschland beschränken ... Genau, das ist die nächste Ebene. In Europa gibt es ganz verschiedene Bildungssysteme. Und in dem tertiären Bildungsbereich, nach der Schulzeit, arbeitet man ganz stark mit direkten Leistungsvorlagen: Man zeigt über einen Kompetenznachweis, welche Fähigkeiten man hat. Es läuft jetzt gerade ein Projekt an, bei dem geguckt wird, inwieweit man ein europaweites Abschlussportfolio der Waldorfschulen entwickeln kann, das eben in dem tertiären Bereich seine Anerkennung findet. Sei es als Berufs- und Ausbildungsreife – um einen bestimmten Beruf ergreifen zu können, oder
auch um an die Universität gehen zu können, ganz egal. Ihr seht also, wir arbeiten an vielen Stellen, mit der total freien Einstellung: Es ist uns total egal, was der Staat sagt, wir arbeiten mit unseren Schülern, was wir für richtig und wichtig halten, bis dahin, dass wir mit dem Staat reden und überlegen, welche Verordnungen und Gesetzte möglich sind, um „innerhalb“ von festen Rechtsvorschriften etwas für unsere Schüler erreichen zu können. Welche Rolle spielt dabei das Abitur? Auslaufmodell! (lacht) Neben der Idee des europäischen Abschlussportfolios gibt es ja noch die Überlegung, das IB (International Baccalaureate) anstelle des Abiturs anzubieten. Wie ist da der Stand? Es gibt in Luxemburg eine Waldorfschule, die bereits das IB anbietet: in der 13. und 14. Klasse. Das heißt, Waldorfschulzeit und dann noch 2 Jahre oben drauf. Vor drei Jahren wurde dort der erste Abschluss gemacht. Vor einem Monat haben Gespräche in Genf stattgefunden (Genf ist der Sitz der IB Organisation, Anm. der Red. ), wo wir uns von deutscher Seite mal angeschaut haben, wie das denn so ist. Deren Ansatz ist ziemlich genial, und man könnte auch neue Prüfungsmodule mit denen zusammen entwickeln. Wir prüfen im Augenblick, ob wir nicht in eine Pilotphase einsteigen können, um dann tatsächlich das Internationale Bachaloriat an unsren Schulen zu beheimaten. Wir schauen uns die Prüfungsaufgaben an, und denken darüber nach, ob wir das mitmachen können oder ob es genauso schlimm ist wie das Abitur oder schlimmer oder einfacher, und wie eigene Module aussehen könnten. Es gibt zum Beispiel Schauspiel als Modul, also als Prüfungsfach, doch das wird jetzt nicht mit einer Klausur geprüft, sondern über eine Schauspielaufführung gewertet. Eine richtige Aufgabe ist noch, Deutsch als Prüfungssprache zu etablieren. Sie haben als Prüfungssprache Englisch, Französisch, Spanisch und Chinesisch. Also auch die Mathe- oder die Bioprüfung in Englisch oder Französisch – da hätten wir schon gerne Deutsch. Aber das Tolle ist, es gibt nur sechs Prüfungsfächer, und wenn man dann nicht besteht, muss man nicht alles nochmal neu machen, sondern nur die Module wiederholen, durch die man durchgefallen ist – das ist schon mal eine geniale Sache! Das IB ist eine international anerkannte Hochschulzugangsberechtigung. Wie sieht es in Deutschland mit der Anerkennung aus? Stimmt, es wird überall auf der Welt vorbehaltlos anerkannt – nur in Deutschland nicht, die gucken eben nochmal nach. Die KMK sagt, man muss Mathe und Naturwissenschaft haben, und die gibt es immer auf drei Levels, und eines davon muss auf high level sein.
Was genau ist nun der Unterschied zwischen dem IB und dem Abschlussportfolio? Welche verschiedenden Leitgedanken stehen dahinter, dass so intensiv an diesen beiden Modellen gearbeitet wird? Beim IB gibt es schon eine Organisation, mit Sitz in Genf. Da könnte man sich einklinken und durch Modifikationen, die uns gemäßer sind, eine Abschlussanerkennung bekommen – aber in einem bestehenden System. Bei dem anderen Weg gibt es noch nichts. Da geht es eben darum, dass man
Abschlussportfolio Das Abschlussportfolio ist eine neue Form der Leistungsbewertung und vermittelt auch für nicht direkt am Lernprozess Beteiligte ein Bild von dem, was der Schüler will, was er kann und welche Arbeitsschwerpunkte er hat. Es enthält neben dem Abgangs- bzw. Abschlusszeugnis wichtige Dokumente zu den Persönlichkeitsund Sozialkompetenzen sowie gegebenenfalls Arbeiten der Schüler. In der Mappe sollen enthalten sein: 1. Alle offiziellen schulischen Zeugnisse am Ende der 12. Klasse, wie etwa das Abschlusszeugnis (in verbaler und Notenform), sowie evtl. sonstige staatlich anerkannte Abschlüsse. 2. Gutachten, die es an der Schule gibt (z. B. zur Jahresarbeit oder zum künstlerischen Abschluss). 3. Schülerarbeiten (z. B. die Jahresarbeit). 4. So genannte Zertifikate zu sämtlichen nicht in den offiziellen Zeugnissen enthaltenen bzw. dort nicht ausreichend gewürdigten schulischen Aktivitäten während der Oberstufe, z. B. Praktika, Schauspiel, Kurse und Projekte, Klassenfahrten, Mitarbeit (z. B. in Arbeitskreisen, an der Schülerzeitung, im Schülerrat, u. ä.). 5. Das individuelle Kompetenzportfolio des Schülers über die eigenen Lernwege. Das Abschlussportfolio ermöglicht somit transparente Beurteilungsformen und unterscheidet sich damit von den alten Formen der Kenntnisabfrage, Beurteilung und Benotung.
etwas konzipiert – übrigens nicht nur für die Waldorfschulen, sondern ein generelles Verfahren –, das die Hochschulen dann ihrerseits anerkennen. Im Augenblick sind die Gespräche so, dass die Universität in Plymouth, England, formuliert, was eine Studienbefähigung ist. Wir setzen oben an, denn nicht wir können sagen, was eine Studienbefähigung ausmacht, das müssen die Universitäten sagen. Sie müssen sagen: So, das sind die Qualifikationen, die Kompetenzen, die man haben muss, um studieren zu können. Die nächste Phase wird sein, ein Verfahren zu bilden, das bestimmt, wie ein Portfolio aussehen müsste, das eben diese Kompetenzen dokumentiert. In einem Probelauf müssten Schüler an die Uni gehen, um zu studieren, und das würde evaluiert werden. Dann muss man schauen, wie sie zurechtkommen und wie aussagekräftig das Projekt ist.
Aber ich glaube, es gibt eine Basiskompetenz um studieren zu können. Ich selbst habe aus meinem Studium die Erfahrung gemacht – ich habe Mathematik studiert –, dass ich inhaltlich nicht so fit gewesen bin wie die Gymnasiasten. Aber ich habe ganz andere Fähigkeiten gehabt, ich habe zum Beispiel eigenständiger arbeiten können, und dadurch war ich viel eher in der Lage zu studieren. Genau das habe ich bei der Jahresarbeit gelernt. Das hatte ich den anderen voraus. Was sind also Basiskompetenzen, um studieren zu können? Die Universitäten sollten Das wäre also dann frühestens in 10 Jahren abgeschlossen... Sie sagten, jetzt einfach mal beschreiben, was sie als soldass die Arbeit schon angelaufen ist. Was sind also die nächsten Schritte? che sehen. Aber eines ist mir wichtig: Wir dürfen Mal differenziert: Zuerst zum IBO. Ich hatte ja erzählt, wir waren in nicht nur schauen, was die Abnehmer von Luxemburg, wir waren in Genf, und wir werden uns wollen. Denn Schujetzt im Herbst eine Tagung machen, wo wir mit le hat nicht nur die Fachkollegen auf die vom IBO gestellten PrüAufgabe, Menschen für fungsaufgaben einen Blick werfen, um uns klar zu die Abnehmer vorzumachen ob wir das können oder nicht, und was bereiten. Es gibt einen genau verändert werden müsste. Bereich – an der Stelle Zum europäischen Abschlussportfolio: Da bin ich rigoros – da bin ist jetzt ein Antrag auf Fördermittel an die EU ich als Lehrer nur für gestellt worden und gerade vor kurzem auch bedie Schüler zuständig, willigt worden. Es sind jetzt aus acht Ländern und ich schaue überWaldorfschulen dabei, die als Pilotschulen das euhaupt nicht darauf, was ropäische Abschlussportfolio entwickeln möchten. die „Außenwelt“ will. Es In Deutschland gehören Potsdam und Bochum ist für die Schüler, und dazu. wenn ich jetzt das doDann gibt es in Nordrhein-Westfalen die Situkumentiert bekomme, ation, dass ab 2009 die mittleren Abschlüsse (Rewas er oder sie an der alschulabschluss) nicht nach der zwölften, sondern Stelle geleistet hat, nur nach der elften Klasse gemacht werden müssen, so für sich, ganz egoiswie in Hamburg jetzt schon. Da ist für uns die Frage: „Man kann für Klausuren büf- tisch, dann ist das völlig Was machen die Schüler, die die Waldorfschulzeit in Ordnung. Für mich feln und ackern – zu Ende machen, aber nicht Abi machen möchten? hat das ein viel höheres Was bekommen die denn am Ende der 12. Klasse? das Entscheidende der Schul- Gewicht als das, was die Da läuft das Projekt „Abschlussportfolio 2010“. zeit ist aber nicht die Vorberei- Außenwelt will. 2010 soll es ein Abschluss-portfolio der Waldorftung darauf.“ Nochmal zu der vorischulen in Nordrhein-Westfalen geben. Aber nicht nur für die, die abgehen, sondern für alle. Auch die, die das Abi machen, gen Frage: Momentan steigen verstärkt Stifsollen ein solches Portfolio bekommen. Ganz ohne staatliche Anerkennung, tungen als Finanziers in das Universitätswesen ein. Und es ist ja nicht so, dass eine aber um etwas zu haben, mit dem sie dann in die Welt gehen können. Stiftung einfach so spendet, sondern es gibt Sie hatten vorhin erwähnt, dass die Frage, was eine Studienbefähigung immer eine bestimmte Absicht, ein Förderausmacht, von der Uni festgesetzt werden müsse, und sich danach das ziel. Wenn beispielsweise die Stiftung von Konzept des Portfolios richten wird. Da kommt bei mir die Frage auf: BMW eine Uni finanziert, besteht da nicht Nach welchen Maßstäben richtet sich die Uni? die Gefahr, dass eine zu große Abhängigkeit und Fokussierung auf die Wirtschaft entDas Abitur ist zwar eine allgemeine Hochschulzugangsberechtigung, aber steht? Kurz: Stehen die Anforderungen der lang noch keine Hochschulbefähigung. Wir wissen ja, dass in der Zwi- Wirtschaft oder die Bedürfnisse und Interesschenzeit 60 Prozent der Studienplätze durch die Universitäten selber ver- sen des Menschen im Vordergrund? geben werden. Es ist ein Unterschied, ob ich Sozialwissenschaft studiere oder Ingenieurswissenschaft. Da braucht es verschiedene Qualifikationen. Hm – (überlegt eine Weile). Ich sehe diese 30 | Blickwechsel No. 3 | November 2008
Gefahr auch, überhaupt kein Frage. Aber richtig gute Unternehmer, die gucken nicht einfach linear auf die Vergangenheit und entnehmen daraus die Kriterien, um Zukunft zu gestalten, sondern ein gutes Unternehmen geht genau den umgedrehten Weg: Es schaut aus der Zukunft auf die Gegenwart. Und die Zukunft sind die Menschen, die man ausbildet. Das ist auch so in der Lehrerbildung. Wenn wir heute Lehrer ausbilden, und als Kriterien nehmen, was in den letzten 30 Jahren gut war in der Schule, dann fährt
VITA Klaus-Peter Freitag, geb. 1958, studierte nach dem Besuch einer Waldorfschule, in der er auch eine praktische Ausbildung absolvierte, Mathematik, Philosophie und Erziehungswissenschaften. Nach der Ausbildung am Institut für Waldorfpädagogik Witten-Annen wurde er selbst Waldorflehrer und war 18 Jahre in der Oberstufe einer Waldorfschule tätig. Jetzt ist er Sprecher der nordrhein-westfälischen Waldorfschulen und Dozent am Institut für Waldorfpädagogik in Witten. Er arbeitet darüber hinaus überregional für die Waldorfschulen in der Bundeskonferenz des Bundes der Freien Waldorfschulen, in den Arbeitskreisen „Zukunft der Abschlüsse“, „Qualität“ und „Öffentlichkeitsarbeit“. Auch ist er tätig im Initiativkreis des European Council for Steiner Waldorf Education für ein europäisches Abschlussportfolio sowie im Initiativkreis der Pädagogischen Sektion in Deutschland. Neben den Fragen der Alterssicherung für Lehrerinnen und Lehrer sind seine Hauptarbeitsfelder die Qualitätsentwicklung der Schulen sowie die Gestaltung moderner Prüfungsformen und Abschlüsse. Klaus-Peter Freitag ist verheiratet und Vater von drei Kindern.
das gegen die Wand. Man muss fragen: Was ist Zukunft? Wir bilden ja Menschen aus für Menschen, die noch gar nicht geboren sind. Das heißt, wir bilden Menschen aus, die Menschen befähigen müssen, unter Zuständen zu leben und handeln, die wir uns heute noch gar nicht vorstellen können. So, und da heraus muss man die Frage stellen, wie die Ausbildung aussehen muss, damit das überhaupt möglich wird. In Europa nennt man das Life-long-learning: Die Befähigung der Menschen, sich das Leben lang weiterzubilden und vor allem auch auf Ideen zu kommen, die heute noch kein Mensch haben kann. Können Sie auf Grundlage Ihrer Arbeit sagen, was für Kernkompetenzen nötig sind, um Zukunft zu gestalten? Was müsste ein junger Mensch sich an Kompetenzen erarbeiten, welche Kompetenzen müsste Schule vermitteln, damit der Mensch in der Zukunft bestehen kann, und so wiederum die Zukunft gestalten kann? Das ist unglaublich schwer, weil das eine Beschreibung von Inhalten wäre, die ich ja gerade nicht als Inhalt bestimmen will... (kurze Pause) Ich will es trotzdem mal versuchen: Schüler, die wirklich Rückgrat entwickelt haben, die auch so etwas wie ein Basiswissen haben, rechnen und schreiben können, das ist ja klar, die sozialkompetent sind, die gelernt haben, mit Menschen umgehen zu können, Konflikte austragen zu können und die ihren Willen gestärkt haben, die wirklich etwas wollen, das sind Menschen, die für diese Aufgabe gewappnet sind. Sehen Sie das Abi in dem Kontext als fördernd an, weil man sich gegen Widerstand zur Wehr setzen muss, um „Es“ trotzdem zu machen, oder eher als Stein im Weg, der eigentlich den Willen brechen könnte oder die eigenen Impulse vernichtet? Abitur ist nicht das Tollste, aber man kann es machen. Als Lehrer jedoch muss man sich immer darüber stellen, sich mit den Schülern zusammensetzen und sagen: So, dass müssen wir jetzt machen, denn wenn ihr studieren wollt, gibt es momentan leider keinen andern Weg. Und dann machen wir das jetzt mal gemeinsam und packen das. Aber das Eigentliche ist etwas anderes. Dann kann man trotzdem für Klausuren büffeln und ackern – das Entscheidende der Schulzeit ist aber nicht die Vorbereitung darauf. Eine Frage noch: Würden Sie einem Schüler empfehlen, das Abitur zu machen oder eher, sich andere Wege zu suchen, diese Kompetenzen zu erwerben? Wenn es um Rückgrat und um Willensbildung geht – ist da das jetzige Abitur nicht eher eine Vorbereitung auf das, was gefordert wird, also auf das Vergangene, während diese Kernkompetenzen, die das „Menschsein“ ausmachen, darin gar nicht zum Tragen kommen? Weiß ich nicht genau. Wenn ein Schüler zu mir kommt und sagt: Ich will unbedingt Arzt werden, dann werde ich ihm sagen: Da hast Du keine Alternative – oder sehr wenig Alternative, da musst Du das Abitur nehmen. Wenn der sagt, ich weiß es noch nicht so genau, dann werde ich ihm nichts sagen. Denn es kommt ganz auf den Menschen an. Aber es ist eigentlich egal, was man macht, denn man wird nicht dadurch Mensch, dass man nun Abitur macht oder irgendetwas anderes. Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führten Valentin Hacken und Kim-Fabian von Dall‘Armi www.blickwechsel-hamburg.de | 31
Gipfel Gef端hle
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Lukas Stolz
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Authentische Momente gegen die Endlichkeit des Seins. Bildung als Lebenskunst.
Mir schoss da gestern ein Gedanke durch den Kopf: Wo- gehe ja mit einem Vergangenheitsverständnis an die Fragen für macht man das eigentlich alles? Also: Wir sind auf den der Zukunft heran. Paglia Orba, das Matterhorn Korsikas, gestiefelt. Früh morErfahrung, so mag es ein anderer nennen. Man sei ergens um 6 Uhr los, waren dann um kurz nach 7 Uhr auf fahren und könne die Dinge, die auf einen einstürzen, andem Gipfel und um 8.30 Uhr wieder unten. Da müht man gemessen und mit Bedacht erkennen und ergreifen. Aber so sich den Berg hinauf, kraxelt, klettert, steigt – ist oben. Und kann doch kein Fortschritt, keine Entwicklung geschehen, dann? Kurz genießen, Gipfelluft schnuppern und wieder oder? runter. Und was bleibt? Wozu macht man das Ganze eiDamit komme ich zu der Frage, wozu dann Bildung gentlich? überhaupt eine Rolle spielt, beziehungsweise welche Rolle Lukas antwortet auf meine Frage ganz pragmatisch: sie spielt? Ich stehe im Leben, wachse an Dingen, bilde mich „Um oben zu stehen, für das Gipfelgefühl.“ – „Ja, aber was – und dann bin ich eh tot. Weg. Wie nie da gewesen. Das bleibt?“, frage ich. Darauf kann er mir auch keine Antwort heißt, dass das Leben tödlich ist. So oder so. Und dass es geben. deshalb nur durch seine Finalität zu begreifen und zu versteUnd da frage ich mich, ob es nicht möglich ist, dieses hen ist. Alles ist endlich – und somit taucht die Frage auf, Gipfelgefühl zu erreichen, ohne 1600 km warum soll ich überhaupt gut im Leben zu fahren, ohne 300 € auszugeben, ohne stehen, wenn ich ja eh sterbe? Warum will diese äußerlichen Faktoren. Es muss doch ich überhaupt diese Gipfelgefühle erleben, möglich sein, all das auch dort zu erreichen, wenn ich – früher oder später – doch sterwo man gerade ist, es in jedem konkreten ben werde? Was ist dann das Warum dieser Moment erfahrbar zu machen Gipfelmomente, das Wofür, die Aufgabe Lukas scheint meinen Gedanken erraten der Bildung? zu haben und sagt, dass dieses Gipfelgefühl Die einzig mögliche Antwort scheint Kim-Fabian v. Dall‘Armi ja nicht nur beim Besteigen eines Berges mir von meinem momentanen Standpunkt *1989 entstehe, sondern auch bei der Gestaltung aus der Gedanke, dass diese Momente auNach langem Hin und Her der Entoder bei Abschluss eines Projektes. Er führt thentische Momente sind, die eben der schluss, doch durch die Abi-Mühle zu gehen - derzeit Vorbereitung auf Blickwechsel als Beispiel an. Gut, stimmt, Nichtigkeit des Lebens – der Endlichkeit diese vielgelobte Eintrittskarte in der aber nur weil das gleiche Phänomen an – etwas entgegensetzen. Momente, in deWaldorfschule Hamburg-Wandsbek. anderer Stelle ebenfalls auftaucht, ist das nen ich erfahre, dass das Leben lebenswert Seit Beginn der 12. Klasse starke Auseinandersetzung mit der Schule noch lange keine Legitimation für dessen ist, obwohl es endlich und vergänglich ist. und der Schulfrage, besonders im Vorhandensein. Auch Blickwechsel ist da Und es wäre somit die Aufgabe der BilRahmen der Jahresarbeit. Hauptfrage nicht ausgenommen. Bumm, fertig, im dung – der Schule –, den Menschen an didabei bleibt: Wie kann und muss Raum gestaltet werden, der wirkliches Druck, verkauft – und dann? Was bleibt? ese Nichtigkeit zu gewöhnen, ihm die AuMenschsein zulässt? Wofür? gen zu öffnen für die Endlichkeit des Seins Es bildet. Ich wachse an Blickwechsel, an und dann den Mut zu vermitteln, den er jeder Ausgabe, ich eigne mir Fähigkeiten braucht, um für sich und andere eben diean, erweitere mein Kompetenzprofil. Aber es bleibt die Fra- se authentischen, wahren Momente zu schaffen und zu gege bestehen: Wofür? Wenn ich ein Projekt nach dem ande- stalten, welche die Nichtigkeit außer Kraft setzen. ren abschließe, „Gipfelgefühle“ erlebe und dann von diesen Und nicht: Finalität leugnen, banale Gründe vorschiezehre, dann bin ich ja ein ewig „Gestriger“, einer, der aus ben und Szenarien erschaffen, die vermitteln, die Gründe der Vergangenheit lebt und schöpft. Soll das so sein? Soll des Lernens seien Familie, Ausbildung, ein Platz in der Geich mich als Mensch aus dem Vergangenen kräftigen, mich sellschaft, eine hohe Stellung, Geld. Denn Materialismus daraus stärken – und womöglich noch über das Vergangene scheint mir ein Versuch zu sein, der Finalität zu begegnen. identifizieren? Wenn das so ist – und wenn ich ehrlich bin, Ersetzender Konsum ist hier das Stichwort. ist es so –, dann kann ich doch niemals den Aufgaben der Bildung heißt also: lernen zu leben. Der Ort, an dem das Zukunft direkt ins Gesicht schauen und diese ergreifen: Ich passiert: die Schule. www.blickwechsel-hamburg.de | 33
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Chancen Armut Lehren und Lernen in Lima
Bildung vermitteln, Bildung in die Welt tragen. In eine vollkommen andere Welt als wir sie kennen. Eindrücke eines Lehrers, der bis vor kurzem selber Schüler war. „Good morning Mister Professor Alex!“ Mit diesen Worten werde ich zurzeit fast täglich begrüßt. Ich unterrichte die ersten drei Klassen, außerdem helfe ich noch bei der Inszenierung eines peruanischen Theaterstücks der neunten und zehnten Klasse und assistiere im Sportunterricht. Ich werde mit der zehnten Klasse deutsche Lieder singen, mit der zweiten Aquarellbilder malen und Gitarre spielen lernen, damit ich die Lieder im Unterricht begleiten kann. Nicht, dass ich all dies gut könnte, aber es muss gemacht werden, es wird gebraucht. Es wird gebraucht: das ist der Leitsatz der peruanischen Schulrealität. Die Bildungssituation in diesem Land ist verheerend, der deutsche Pisa-Schock wirkt dagegen lächerlich. Kluften tun sich auf, wo Nivellierung das Ziel ist. Die kostenlosen, aber vernachlässigten staatlichen Schulen stehen den gut ausgestatteten, teuren Privatschulen, die unterbezahlten und häufig unausgebildeten Staatsschullehrer den gut ausgebildeten Pädagogen der Privatschulen gegenüber. Unterbezahlt heißt: ein Grundschullehrer, der alleine die sechs Klassen einer Unterstufe unterrichten muss, bekommt ein Monatsgehalt von 400 Soles (ca. 100 €) – die gleiche Summe, die ich monatlich von dem Freiwilligenprogramm aus Deutschland als Taschengeld bekomme. Ein Gehalt, das kaum zum Überleben reicht und somit viele Lehrer zu einem Zweitjob zwingt. Unausgebildet heißt: mittlerweile haben gut zwei Drittel der Staatsschullehrer keine abgeschlossene Ausbildung oder ausreichende Qualifizierung für ihre Unterrichtsfächer. Leider wird sich das wohl bald ändern. Leider, weil Präsident Alan Garcia nun alle Lehrer einem Leistungs- und Qualifizierungstest unterziehen will. Und zwei Drittel werden diesen Test nicht bestehen, womit sie ihre 34 | Blickwechsel No. 3 | November 2008
Lehrerlaubnis verlieren. Keine Lehrer, kein Unterricht, kein Lernerfolg. So hart und einfach klingt die Gleichung der (möglichen) zukünftigen Bildungssituation in Peru. Ein Grund mehr, sein Kind auf eine der vielen Privatschulen zu schicken, die mittlerweile ein Viertel der in Peru existierenden Schulen ausmachen. Die Entscheidung, welchen Weg das Kind gehen wird, welche Chancen es später hat, wird also schon bei der Einschulung getroffen. Pauschal gesagt: die Reichen bleiben reich, die Armen bleiben arm. Diese Art von Teufelskreis findet sich auch in der Diskrepanz der Schulqualität von Stadt und Land wieder. Das Budget der immer wieder aufblitzenden Schulreformen wird in die städtischen Schulen investiert, da dort aufgrund besserer Ausgangssituation und Ausstattung nicht so viel Geld benötigt wird, die ländlichen Einrichtungen hingegen werden vernachlässigt. Dies im Bewusstsein ziehen die armen Bauern und Landarbeiter in die Stadt, womit der Regierung wiederum Grund und Ansporn fehlen, in ländliche
Gebiete zu investieren. Hinzu kommt, dass viele Schüler aus armen Familien (und die leben vorwiegend auf dem Land) neben der Schule noch arbeiten müssen, so dass die Abbruchrate höher wird, je weiter man sich von der Stadt entfernt. Zuguterletzt spielt auch das Geschlecht eine Rolle. Die Jungen gehen durchschnittlich länger zur Schule, sie schaffen es häufiger bis zum Abschluss, sie haben bessere Chancen auf Studien- und Arbeitsplätze. Dieses konservative – um nicht zu sagen „rückständige“ – System hängt stark mit dem katholisch geprägten Rollenbild von Mann und Frau zusammen, ist also auch ein Spiegel für die gesellschaftliche Situation Perus. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass es hier im Colegio Waldorf Cieneguilla anders herum zu sein scheint: In den oberen Klassen haben die Damen die Überhand, die männlichen Vertreter sind wesentlich seltener, aber immer mit hängenden Schultern anzutreffen. Vor allem bei den Theaterproben kann man diese Eigenheit – ich hoffe nicht sagen zu müssen „Eigenschaft“ – beobachten. Dass dies in Deutschland anders ist, wage ich nicht zu behaupten, aber es gibt sie, die Unterschiede. Im Sportunterricht, in der Unterrichtswahl und -gewichtung, im Verhältnis zu den Lehrern. Bei meiner ersten Sportstunde war ich erstaunt zu sehen, dass die Mannschaften nach Jungs und Mädchen aufgeteilt wurden – und dass die Mädchen keineswegs langsamer, lustloser oder leistungsschwächer als die Jungs waren. Sie haben Wettrennen gewonnen, Volleyball-, Handballspiele. Das hatte ich von meiner Schulzeit anders in Erinnerung. Aber nicht nur im Gegeneinander stehen sich Schülerinnen und Schüler in nichts nach. Sie alle tanzen. Gemeinsam. Alle Oberstufenklassen (7.-11. Klasse) haben hier Tanzunterricht zu peruanischer Folklore. Den Versuch, mir das mit deutscher Volksmusik vorzustellen, habe ich erfolglos und mit einem Lächeln auf den Lippen abgebrochen. Aus dem Lächeln wurde ein Grinsen, als ich mir dies mit meinen ehemaligen Lehrern vorstellte; denn hier tanzen – zur Freude der Schüler – die Lehrer in ihrer Mittagspause fleißig mit. Nächste Woche haben wir eine Aufführung in Lima, der Hauptstadt von Peru, in dessen Vorort ich wohne. Ich lehre also nicht nur, was ich in Deutschland gelernt habe, sondern ich lerne auch, was Peru mich lehren kann. Diese Gewissheit lässt mich hoffen, dass auch die Kinder stetig dazulernen und ich bald von allen mit den Worten „good morning Mister Alex“ begrüßt werde.
Alexander Repenning
*1989
Ehemaliger Schüler der Waldorfschule Hamburg-Wandsbek. Ballverknallt und langer Lulatsch, liebt das Lachen und die vielfältige Verwendung von Worten. Jüngst ins Erwachsenenleben gestoßen, sind die Augen nun nach Peru gerichtet, wo er seit September wieder einen Platz in der Schule hat: aber diesmal mit dem Rücken zur Tafel. Grünschnabel im Blickwechsel und noch grün hinter den Ohren, grüne Augen und grüne Grundorientierung - das gibt begründete Hoffnung für die Zukunft. www.blickwechsel-hamburg.de | 35
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Diagnose Tod Vom Schüler zum Attentäter
Bildung ist das höchste Gut der Palästinenser. Doch durch die israelische Besatzungsmacht wird Schülern und Studenten auch der freie Zugang zur Bildung verwehrt. Mangelnde Bildungs- und Kulturmöglichkeiten führen neben den prekären politischen Umständen und einem explosiven Gemisch von instrumentalisierter Bildung und Religion zu einer Hoffnungslosigkeit, die eine Generation jugendlicher Märtyrer heranzüchtet hat – und sie sind jederzeit bereit zu sterben. Wenn ich an Palästina denke, verwandle ich mich in einen Drachen mit Bauchweh, der all seine Wut über die Ungerechtigkeit im Nahen Osten am liebsten in tausenden Fakten ausspeien und die Unwissenden zum nachdenkenden Verstummen bringen möchte! Mein Mitteilungseifer kennt dann keine Grenzen. Ich denke an den Beginn des Konfliktes, all die historischen Hintergründe um Herzl, das doppelzüngige Spiel Großbritanniens, die zionistischen Terroranschläge, von denen die wenigsten wissen; auch denke ich an den uneingehaltenen Teilungsplan, die arabischisraelischen Kriege, die großen palästinensischen Flüchtlingsströme, die Flüchtlingslager in und außerhalb Palästinas und deren Situation heute; ich denke an unzählige Massaker und Militärangriffe auf der einen und Selbstmordanschläge auf der anderen Seite, an Gaza als Großraumgefängnis, an die Hamas, den Bau der Apartheid-Mauer, unzählige Checkpoints, neue Siedlungen in den besetzten Gebieten… 36 | Blickwechsel No. 3 | November 2008
Doch der größte Funke meiner Wut entfacht sich am Versagen der Weltgemeinschaft, die, trotz unzähliger UNO-Resolutionen und Friedenspläne, die Situation der von Israel unterdrückten palästinensischen Bevölkerung keineswegs verbessert hat, sondern tatenlos zusieht, wie Israel sich weiterhin über internationales Recht hinwegsetzt. Mit diesem Artikel jedoch möchte ich mich auf ein mit alledem in Zusammenhang stehendes Thema beschränken, denn da gibt es noch etwas, das mich stark bewegt, wenn ich an das „Heilige Land“ denke: Es ist die Situation von Kindern und Jugendlichen in Palästina, von jungen Menschen, die gar nicht das unbeSCHWERTe Kindsein kennen und denen es erSCHWERT wird, eine gute Bildung zu erreichen, weil sie unter den Schikanen einer Besatzungsmacht leiden, die mit zur „Heranzüchtung“ religiöser Fanatiker beiträgt, welche dann „im Namen Gottes“ ihr Leben als Märtyrer beenden wollen. Wohl kein deutscher Schüler wird sich vorstellen können,
wieviel Hass und Trauer ein so junger Mensch schon in sich tragen kann. Zehntausende palästinensische Schüler erleben in ihrer Kindheit ein psychisches Trauma nach dem anderen: Nicht nur dass 69 Prozent wegen der miserablen Wirtschaftslage unter der Armutsgrenze (weniger als 2 $ am Tag) leben; sie müssen außerdem zusehen und miterleben, wie ihre Eltern, Geschwister, Verwandte oder Bekannte von israelischen Soldaten gedemütigt oder gar ermordet werden. Doch auch vor ihnen machen Grausamkeit und Gewalt der Besatzungsmacht keinen Halt. November 2004: Tarik und Samer sind 10 Jahre alt, als sie von der Schulbank auf den Boden fallen. Um ihre mageren Kinderkörper bildet sich eine Blutlache. Diagnose: Tod.Sie starben im Kugelhagel. Das israelische Militär hatte wie nicht selten zuvor gezielt eine palästinensische Schule angegriffen. Diesmal die UN-Schule in Rafa. In den letzten sieben Jahren starben mehr als 1000 Kinder und Jugendliche. Sie wurden durch Militärangriffe oder teilweise sogar auf offener Straße erschossen. 1189 Schüler und Studenten kamen zudem in israelische Gefängnisse. Viele von ihnen warten dort immer noch auf ein Gerichtsverfahren. Und von den rund 2200 Schulen, die in der Westbank oder dem Gazastreifen stehen, wurden bisher ca. 1300 von der israelischen Regierung geschlossen, rund 500 teilweise geschlossen, 279 vom israelischen Militär mit Raketen und Munition angegriffen (darunter sogar eine katholische Blindenschule) und 13 in Militärkasernen umgewandelt. „Aktuell finden wöchentlich Gasbombenangriffe auf eine Schule im palästinensischen Dorf Belaan statt, welches an der 9 m hohen und fast 800 km langen Apartheid-Mauer liegt“, erzählt Tahani Abu Daqqa, die palästinensische Ministerin für Jugend, Sport und Kultur. Der Bau dieser Apartheid-Mauer, nach israelischer Leseart „Sicherheitszaun“ und nach deutscher „Trennmauer“, wurde 2003 unter Sharons Regierung begonnen. Seither hinderten auch Beschlüsse des Internationalen Gerichtshofs Israel nicht daran, das Vorhaben fortzusetzen und durch Enklavenbildung ganze palästinensische Ortschaften von ihrer Umgebung abzuschneiden. Das hat zur Folge, dass die Menschen auch dort wie
Gefangene leben. Sie können nicht zur Arbeit oder ihre Felder bestellen, ins Krankenhaus und ebensowenig zur Schule. „Das zeigt, dass Israel auch den freien Zugang zur Bildung verweigert“, fährt Abu Daqqa fort. Wie die Mauer hindern auch unzählige Checkpoints hunderttausende Schüler, Lehrer und Studenten tagtäglich daran, zu ihrer Bildungseinrichtung zu gelangen. Das Passieren der Grenzkontrollen kann mit Wartezeiten von bis zu 20 Stunden verbunden sein. Um diese Sperren zu umgehen, versuchen manche über lange Umwege durch die Berge zu der jeweiligen Schule zu gelangen – wie schon mein Vater vor 40 Jahren. Doch die Lage habe sich verschärft, erklärt Abu Daqqa: „Durch den Mauerbau kommen viele nun gar nicht mehr zu den wichtigsten öffentlichen Einrichtungen wie Krankenhäusern oder Schulen.“ Die restriktive Abriegelungspolitik Israels hat für die palästinensische Bevölkerung dramatische Folgen: Wissensvermittlung- und -erwerb sind nur sehr beschränkt möglich. Ein weiteres Beispiel zur Verdeutlichung: Eine alte Kindheitsfreundin mit Namen Lamma studiert in Ramallah Informatik und Technologie. Allein im letzten Studienjahr verpasste sie zwei Examen, weil sie an israelischen Checkpoints festgehalten wurde, was eindeutig gegen internationales Recht verstößt: Nach der UNCharta muss eine Besatzungsmacht die Bewegungsfreiheit der ihr unterstehenden Bevölkerung gewährleisten. Doch dank der Apartheid-Mauer und plötzlich errichteter Straßensperren können Unterrichtstermine und Prüfungsfristen oftmals nicht eingehalten werden. So kommt es nicht selten zu Exmatrikulationen der palästinensischen Studenten. Dank einer raffiniert ausgerichteten Besatzungspolitik hat Israel eine nicht-gesellschaftsfähige Generation in den besetzten palästinensischen Gebieten herangezüchtet. Dies gilt vor allem im Hinblick auf den seit Monaten abgeriegelten Gaza-Streifen, mit dessen Namen sich Israel 2006 in der Weltöffentlichkeit durch den Abbau www.blickwechsel-hamburg.de | 37
Jamila Al-Yousef *1989
Abiturientin des Ernst-Barlach-Gymnasiums Güstrow (MeckPomm). Als Halbpalästinenserin beschäftigt sie sich, u.a. durch Teilnahme an verschiedenen Projekten, mit dem Nahostkonflikt. Ein entscheidender Schritt in der Auseinandersetzung war das Schreiben einer umfangreichen Belegarbeit unter dem Titel: „Die Palästinafrage und die Verantwortung der Weltgemeinschaft“, mit der sie ihre Geschichtsabiturprüfung ersetzen konnte. In dieser Arbeit geht sie dem Konfikt bis 9000 v. Chr. auf den Grund, diskutiert jedoch zugleich die aktuelle politische Situation. Diese Arbeit würde sie gern per email jedem Interessierten zukommen lassen. Email: mauerkind@hotmail.com
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der Siedlungen rühmen wollte. Doch nun leben die Menschen dort quasi wie Gefangene. Wenn man die Ereignisse in Gaza verfolgt hat, weiß man um die Not und das Elend der 1,5 Millionen eingeschlossenen Menschen. Zeitgleich hat sich mit der Machtübernahme der Hamas im vergangenen Juni auch die Lage für die Palästinenser im schmalen Küstenstreifen dramatisch verschlechtert: Es kam zu einer internationalen Isolierung und einem bis heute bestehendem Boykott, der sich auch auf die Bildung auswirkt. So konnten im Mai diesen Jahres keine Schulbücher gedruckt werden, weil Israel den Import von Papier stoppte. Ebenso dramatisch ist die menschenunwürdige Drosselung der Wasser-, Energie- und Warenzufuhr durch Israel, denn sie führt zur vollständigen Abriegelung der 1,5 Millionen Menschen, die im Gaza-Streifen ausharren müssen. Die Bevölkerung in Gaza hat keine Aussicht auf eine menschenwürdige, chancenreiche und damit hoffungsvolle Zukunft. Der Publizist und KnessetAbgeordnete Uri Avnery fasste ihre Situation wie folgt zusammen: „Selbst Menschen im Gefängnis leben besser als die Menschen im Gaza-Streifen. Denn erstere bekommen zu essen, haben Wasserzugang sowie Elektrizität und dürfen sich von Verwandten und Freunden besuchen lassen.“ Da stellt sich doch die Frage, ob nicht gerade dank dieser ausgeklügelten Okkupation die junge Generation in eine menschliche Katastrophe gesteuert wird, die sie – von moralischen Wertvorstellungen abgekehrt – den Sinn des Lebens in Frage stellen lässt und zur Verneinung aller Verpflichtungen bis hin zum Nihilismus führt? Das zeigt sich im Streben vieler junger Menschen nach dem Märtyrertod. „Die Jugend ist hoffnungslos“, erklärt die Jugendministerin Abu Daqqa. „Ihre Heimat verliert immer mehr Land. Nach Vollendung des Mauerbaus werden nur noch 11 Prozent des ursprünglichen Palästinas für die Bevölkerung selbst zugänglich sein. Außerdem wird es immer schwieriger, durch die Mauer und Checkpoints mit Freunden und Familie in Kontakt zu bleiben. Nicht nur zwischen Gaza und Westjordanland an sich, sondern auch innerhalb des Westjordanlandes. Die jungen Menschen glauben nicht, dass Israel den Palästinensern ihre Rechte, ihr Land und ihre Freiheit zugestehen wird. Also kämpfen sie. Dabei tut die Auslegung der Religion ihr Übriges. Der Glaube scheint die einzige Stütze in ihrem Leben zu sein.“ Und wenn das eigene Leben schon so lebensunwert ist, kann man es doch auch gleich „in Gottes Namen“ und für ein gerechtes Ziel als Waffe einsetzen. Besonders im Gaza-Streifen werden Glaube, Bildung und Fanatismus vermischt. Dabei kann man insbesondere bei den Hamas-Schulen durchaus von instrumentalisierter Bildung und Religion sprechen, was Jugendliche in diesem explosiven Gemisch zu Selbstmordattentätern mutieren lässt. Die Frage ist, ob die in unseren Medien als Terrorismus dargestellten Anschläge nicht auch als Selbstverteidigung begriffen werden können. Abu Daqqa sagt, die Palästinenser seien keine Terroristen. „Sie kämpfen um ihre Freiheit und für Frieden. Vor allen die Jugendlichen wollen ihr Leben selbst gestalten können, aus ihren Ortschaften wegziehen, eine gute Ausbildung genießen, Arbeit finden, eine Familie gründen und mit dieser irgendwann sesshaft und zufrieden sein. Wie die in ihrer Sicherheit bedrohten Israelis möchten sie ein menschenwürdiges Leben führen.“ Der Arzt Eyad Al-Saaraj beruft sich auf die Genfer Konvention von 1949, welche als völkerrechtliche Basis dient, um den Palästinensern eine Selbstverteidigung zu genehmigen. Darin heißt es nämlich, dass jedes Volk das Recht hat, sich mit allen Mitteln (also auch militärisch) gegen eine äußere Machtdoktrin zu verteidigen. Der normale Palästinenser fragt sich angesichts der prekären Lage, was er tun kann. Er hat keine von Amerika und Europa gelieferten F 16-Jets, Panzer oder Apache-Hubschrauber. Die Palästinenser haben weder Öl noch Kernwaffen.
Wie können sie sich dann verteidigen? Al-Saaraj erklärt: „Als Palästinenser und als Mensch muss man sich selbst verteidigen, um mit der permanenten Demütigung fertig zu werden. Was bleibt dem Verzweifelten dann anderes übrig, als sein eigenes Leben als Waffe einzusetzen? Es ist nicht eine Frage von Fanatismus und Islamismus, und trotzdem wirkt die Religion als Mittel zum Zweck. Sie besagt: ‚Auch wenn du stirbst, bist du nicht wirklich tot, sondern ein Märtyrer deines Volkes. Gott wird dich im Paradies willkommen heißen.’ Das ist die Crux der ganzen Angelegenheit.“ Als Grund für Selbstmordattentate müssen die politischen Umstände verantwortlich gemacht werden, weil durch diese die individuelle Psyche der Palästinenser infiziert ist.
da sind, werden die Täter von morgen die Kinder der jetzigen Intifada sein. Und sie werden schlimmer sein als die Kinder der ersten. Fragt man heute ein Kind in Gaza, was es werden will, wird geantwortet: Märtyrer, bereit zu sterben. Keiner will Arzt, Rechtsanwalt oder Lehrer werden. Erst wenn man den Menschen in Palästina endlich Hoffnung gibt wird es auch keine Attentate mehr geben, davon bin ich überzeugt! Es ist also pure Perspektiv- und Hoffnungslosigkeit, die vor allem Jugendliche in die „schützenden Arme“ extremistischer Gruppen treibt. Das bedeutet, dass sich Israel in großem Maße selbst zum Opfer der Anschläge macht, da es zum einen für die Repressalien verantwortlich ist, die zur miserablen Wirtschaftslage und der hohen Arbeitslosigkeit entscheidend beitragen, und zum anderen die Bildungs- und Kulturangebote in Palästina stark einschränkt. Ich lehne Selbstverteidigungshandlungen durch Terroranschläge gegen die israelische Zivilbevölkerung definitiv ab, und doch stellt sich mir die Frage, welche Möglichkeit das palästinensische Volk zur Verteidigung sonst hat – all die Steine palästinensischen Bodens sind schon längst von der Müdigkeit des Kampfes zerbröckelt.
Al-Saaraj fährt fort: „Jeder Selbstmord-attentäter von heute ist ein Kind der ersten Intifada Ende der achtziger Jahre.“ Diese Kinder wurden von den Demütigungen traumatisiert, die ihre Väter erfahren haben. Ihr Bild des Vaters, der für sie ein Symbol der Macht darstellte, verlagerten sie auf die Gruppe, der sie sich anschlossen. Die Gruppe ersetzte den Vater. Sie sagte, was zu tun war, um die Demütigung der Väter zu rächen. Und so wie die Täter von heute Kinder der letzten Intifa-
Wenn nicht endlich auf internationaler Ebene gehandelt wird, um die Ungerechtigkeit und Unterdrückung der Palästinenser zu thematisieren, werden die Menschen weiter im Sumpf der Hoffnungslosigkeit ertrinken. Denn was bleibt ihnen schon noch? Materiell betrachtet ohnehin nicht viel. Bei aller Frustration und Angst ruht das letzte bisschen Hoffnung der Palästinenser auf ihren Kindern. „Bildung ist unser höchstes Gut!“, erklärte mir mein Vater. Wer gebildet ist, lernt rational Zusammenhänge zu verstehen und nicht mit purem Hass zu reagieren. So liegt in der Bildung womöglich der Schlüssel zum Frieden! www.blickwechsel-hamburg.de | 39
Presse Spiegel grünejugend.de, 29.03.08
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rivatisierung von Bildung: Von der Bildung als Selbstzweck zur Bildung als Spielball wirtschaftlicher Interessen, oder von Humboldt zu Bertelsmann? Stefan Lange und Maximilian Pichl beschäftigen sich mit einem traurigen Phänomen unserer Zeit.
Focus, 15.07.08
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arum ist der Mensch ein Mensch? Roboter können inzwischen sehen, hören, Treppen steigen und sogar tanzen. Doch was braucht der Mensch, um die Maschine als seinesgleichen zu akzeptieren?
Pädagogik, Heft 06 - 08
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ahl's Kolumne – Herausforderungen: »Jeder Mensch«, schrieb Hannah Arendt, »steht an einer Stelle in der Welt, an der noch nie ein anderer vor ihm stand.« Ein erschütternder Satz.
Spiegel, 01.09.08
K
REATIVE AUSZEIT. Vor dem Studium in den Urwald: Nach der Schule schnell studieren, dann ab in den Job – sozialstrebig muss es nicht laufen. Auch in den USA wird das "Gap Year" nach europäischem Vorbild beliebter. Die US-Uni Princeton will jetzt sogar jeden zehnten Studenten zu einem sozialen Dienst verpflichten.
Deutschlandfunk, 27.03.08
ie beeinflusst die Schule die psychische Gesundheit von Schülern?: Mit dieser Frage beschäftigt sich eine Studie der Forschungsgruppe Schulevaluation an der TU Dresden, die in dieser Woche unter dem Titel „Schule und psychische Gesundheit“ im VS Verlag Wiesbaden erscheint.
nglisch allein reicht nicht: Deutsche Schüler sollten mehrere Fremdsprachen lernen.
W
E
BILD Teacher‘s News, 02.07.08
taz, 01.07.08
L
ukas und die Krabbelgruppe: Überall werden derzeit neue Krippenplätze geschaffen – nur nicht für behinderte Kinder. Wie sich eine Mutter aus Hannover mit ihrer Initiative für eine integrative Betreuung einsetzt – und noch lange nicht am Ziel ist.
40 | Blickwechsel No. 3 | November 2008
Züricher Oberländer Anzeiger, 01.04.08
H
eimliche Sehnsucht nach Mozart: Zum achten Mal realisiert Thomas Gmelin ein ambitioniertes Chorprojekt mit Mittelschülern der Rudolf Steiner Schule Zürcher Oberland. Ein Gespräch mit einem ehrgeizigen Musikpädagogen.
Berliner Morgenpost, 15.07.08
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as größte Problem ist der Mangel an Lehrern: Vom Experiment zur Institution. Kaum etwas wünschen sich Eltern so sehr wie eine gute Schule für ihre Kinder. Bereits in den zwanziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts haben Mütter und Väter versucht, größtmöglichen Einfluss auf die Bildung ihrer Kinder zu nehmen. In diese Zeit geht die Gründungsphase der Waldorfschulen zurück.
SZ, 02.03.08
B
ildungschancen – Vorsprung durch Kinderkrippe: Der Besuch einer Krippe erhöht einer Studie zufolge die Bildungschancen eines Kindes deutlich. Etwa der Hälfte der Kinder, die eine Krippe besucht haben, gelingt später der Sprung auf das Gymnasium – von den Kindern ohne Krippenerfahrung schafft dies nur ein Drittel.
Zeit, 28.02.08
B
ildung von der Bühne: Was darf der Staat, wo endet die Freiheit des Einzelnen? Der amerikanische Star-Philosoph Michael Sandel will aus Harvard-Studenten verantwortungsbewusste Elitebürger machen.
themen-der-zeit, 02.03.08
A
benteuer Anthroposophie – Rudolf Steiner und seine Wirkung: Was ist Anthroposophie – wie und wo ist die Wirkung Rudolf Steiners heute sichtbar? Dieser Frage nähert sich Rüdiger Sünner, Autor und Filmemacher (Schwarze Sonne) mit seinem Film über Rudolf Steiner.
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ädagogen mit Zuwanderungsgeschichte können die Integration verbessern: Mit ihren interkulturellen Erfahrungen und mehrsprachigen Kompetenzen sind Lehrkräfte mit Zuwanderungsgeschichte ein echter Gewinn. Doch während ein Drittel der Schülerinnen und Schüler in Nordrhein-Westfalen ausländische Wurzeln hat, gilt dies nur etwa für ein Prozent der Lehrkräfte.
B
Focus, 03.03.08
ildungsstudie – Kita macht klug: Früh übt sich: Wer als Kind eine Kindertagesstätte besucht, hat deutlich höhere Bildungschancen. Etwa die Hälfte der Kita-Kinder schafft den Sprung aufs Gymnasium.
UNG forum schule, März 08
SZ, 06.03.08
"B
indung kommt vor Bildung": "Vor der Bildung, die ja derzeit überall hofiert wird, steht die Bindung. Wenn Kinder eine sichere Bindung haben, können sie viel besser lernen. Sie sind flexibler, kreativer, ausdauernder, haben eine bessere Gedächtnisleistung, können Lernstoff besser integrieren und sind prosozialer. Sie können ihr volles Potential in der Schule entfalten..."
Hamburger Abendblatt, 04.03.08
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in Lied, zwo, drei, vier!: Generation iPod. Ist das Singen vom Aussterben bedroht?
forum schule, März 08
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eg mit dem Stress – Was Lehrer für ihre Gesundheit tun können: Gestiegene gesellschaftliche Erwartungen und eine hohe Arbeitsbelastung führen dazu, dass sich viele Lehrerinnen und Lehrer überlastet und ausgebrannt fühlen. Doch sind sie den Verhältnissen keineswegs hilflos ausgeliefert. In der kollegialen Zusammenarbeit liegt ein großes Potential zur Förderung der psychischen Gesundheit.
Zeit, 13.03.08
W
enn Herkunft über Zukunft entscheidet: Eine Studie zeigt, wie stark das Elternhaus über die Schullaufbahn von Kindern bestimmt
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Lernen Leiden Leben
Ich muss sehen wollen. Ich will sehen wollen. Ich will sehen, wer ich bin. Wer ich sein kann. Ich muss leiden um zu lernen, wer ich bin. In diesem Ich kann ich sein, kann ich leben. Das ist das, was mich bildet, das, was mich erschafft. Mein Ich. Im Spiel.
Text: Marie Jordan 42 | Blickwechsel No. 3 | November 2008
Das Finden meines Ichs in der Rolle ist die Aufgabe, die die Schauspielerei an mich stellt, oder die Aufgabe, die ich an mich stelle, wenn ich eine Rolle spiele. Die Rolle zu einer Figur werden zu lassen, bedeutet, sie mit Gefühlen und Charakter zu füllen, sie zu werden, sie eine Aufführung lang zu sein. Es muss mir gelingen, den Zuschauer in eine illusionäre Welt zu holen, die für zwei Stunden real ist. Die Figur lebt durch meine Gefühle. Um möglichst nah an diese Gefühle heranzukommen, suche ich Gemeinsamkeiten zwischen mir und meiner Rolle. Es ist, wie wenn man einen neuen Menschen kennenlernt. Die Rolle muss zu meiner Freundin werden, ich muss sie verstehen, in allem was sie tut, was sie fühlt, wie sie denkt: Wieviel Ich steckt in dieser Rolle? Wie fremd bin ich ihr/ist sie mir? Wie weit ist es mir möglich, mich abzugrenzen? Wieviel Mut habe ich zu entdecken, dass sie mir ähnlich ist, obwohl ich sie nicht leiden kann? Wieviel Ich bin ich fähig zu ertragen? Die Fragen „Wer bin ich?“ und „Wie kann ich sein?“ beantworte ich mir Stück für Stück in einem (Kennen-)lernprozess bei meinen Proben. Die Rolle, die in mein Innerstes vordringt, die es fordert, die „dunkle Kammer“ in mir zu öffnen, die mich zwingt, dort hinzugucken, wo es weh tut, wo sich unangenehme Seiten meines Selbst finden lassen, wo Erinnerungen versteckt liegen, wo ich mich selbst nicht sehen will und mich vielleicht dennoch dort befinde, diese Rolle oder Rollen dieser Art sind es, die mich wachsen lassen, die mich bilden, durch die ich lerne, die mich fordern und fördern. Gehe ich in diesen Gedankenprozess hinein, lasse ich mich auf die Suche ein, gelingt es mir, die Angst zu sehen, zu durchbrechen, fühle ich mich wie neu geboren. Das KennenLERNEN meiner Selbst ist die Bildung, die mir das Theater gibt. Das Schauspiel gibt mir den Raum, die Zeit und den Schutz vor dem Außen, vor den gesellschaftlichen Formen und Grenzen. Ich darf Höflichkeitsformen verweigern, ich darf innerlich hässlich sein und es zeigen, ich darf ungerecht und böse zu anderen sein. Die Bühne ist mein Schutzraum, der mich unangreifbar macht, in dem ich alle Gefühle durchleben darf, kann und soll. Die Rolle ist mein Deckmantel. Die Figur wird gespielt, erfüllt durch meine Gefühle. Wieviel davon ich bin, weiß keiner, will auch kein Zuschauer wissen, brauche er auch nicht wissen, nur ich brauche es für mich. Ich lerne mich völlig frei zu machen und in dieser Freiheit suche ich. Und manchmal finde ich: mich. Ich suche unerbittlich nach meinem Ich.
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Kim-Fabian von Dall窶連rmi www.blickwechsel-hamburg.de | 43
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Schule
Initiative
Die Regionale Oberstufe Jurasüdfuß ( ROJ ) ist eine Alternative zum herkömmlichen Oberstufenmodell. In den ersten beiden Jahren (11./12. Klasse) hat man jeweils drei Tage Schule, an den anderen zwei Tagen arbeitet man in einem Betrieb, der halbjährlich gewechselt werden kann. Im Abschlussjahr findet der Unterricht dann nur noch an zwei Tagen in der Woche statt. Es wird während der ganzen Zeit zwischen verschiedenen Schwerpunkten wie z.B. Soziales oder Kunst & Gestaltung gewählt, in deren Rahmen die Langzeitpraktika stattfinden. Nach erfolgreichem Abschluss dieses Modells erhält man einen Kompetenznachweis in Form eines Portfolios und das Fachabitur (in der Schweiz: Fachmatur).
„Liebe Kolleginnen und Kollegen, zu Beginn der heutigen Konferenz haben wir wieder einmal ein Gesuch einer unserer Schülerinnen vor uns auf dem Tisch liegen… Ja, tatsächlich schon wieder Fiorina die dahintersteht… “ So oder ähnlich begannen vermutlich einige Konferenzen des Oberstufenkollegium der ROJ. 44 | Blickwechsel No. 3 | November 2008
Nach der 10. Klasse hielt ich den Fünf-Tage-Schulbetrieb nicht mehr für unterstützungswert, weshalb ich mich für die Schulfrom der ROJ Mittelschulen Regio Jurasüdfuss in Solothurn (CH) entschied. Dort konnte ich schon während der Schulzeit recht viele Berufserfahrungen sammeln, was mich die Institution Schule als Bildungsvertreter besser verstehen
ließ, denn für mich gehören Theorie und Praxis unweigerlich sich unglaublich ins Zeug legen. Deswegen sollte man fair zusammen. bleiben und vielleicht auch mal selbst überlegen, was man Ein Jahr lang arbeitete ich unter sehr großem Zeitauf- besser machen könnte? Was sind meine Ideen und wie kann wand mit einer Freundin zusammen für ein Grundschulpro- ich sie einbringen? jekt in Sierra Leone; unter anderem organisierten wir eine Auch wenn ich oft schimpfte und keinen Sinn mehr darin große Kunstauktion. Wichtig war dabei: Wir agierten als sehen konnte, zur Schule zu gehen, würde ich es wieder tun. unsere eigenen Chefs. Es war eine wertvolle Zeit und ich habe, wie oben schon Ich arbeitete auch in einer Psychia-trie, in der ich Erfah- beschrieben, sehr viel gelernt – nicht zuletzt wegen meirungen machte, die mich bis heute begleiten. ner Mitschüler. Wir waren alle unterschiedlich und gerade Schließlich kam ich zu IDEM – Identity through initia- in den oberen Klassen konnte ich von jedem etwas lernen. tive – und organisierte in diesem Rahmen ein dreiwöchiges Genau an diesem Punkt, glaube ich, sollte man ansetzen: Workcamp in Tansania. im gegenseitigen Austausch zwischen allen All diese Erfahrungen waren ungemein Beteiligten – zwischen Lehrern und Schüwichtig für mich, und ich bin froh, dass mir lern und im Austausch der Schüler unterdie Möglicheit dazu geboten wurde. Meine einander. Jeder ist des anderen Lehrer und Schwerpunkte, in die ich mich während der Schüler, die Rollen können jeden Moment drei Jahre ausgiebig vertiefen konnte, waren wechseln. Für mich war es stets spannend zu Soziales & Wirtschaft sowie Theater. Selbhören, was meine Mitschüler während der stinitiative war sehr gefragt, wobei DurchArbeitszeiten erlebt hatten, und mit der Zeit Fiorina Brotbeck *1988 setzungsvermögen gefordert und gefördert wusste ich, wer welche Spezialgebiete hatte Aufgewachsen in der Schweiz, Mitwurde. und wen ich bei welchen Problemen fragen begründerin der Jugendorganisation “Free The Children Switzerland”, In der recht jungen Schule spürte man bei konnte. Teilnahme am Weltsozialforum allen Beteiligten Begeisterung für die Idee: Die Pausen waren es dann immer, die in Porto Alegre 2005 und an der Zwischen den Schülern fanden oft höchst dem Ganzen die Würze verliehen. In meiner Netzwerkkonferenz “Connectivity 06” von IDEM. Mitleiterin eines Workkritische Diskussionen statt, und die Lehrer „freien Zeit“ während dieser letzten Schulcamps in Tansania 2007 und Ara„freuten“ sich regelmäßig über irgendwelche jahre konnte ich mich meinen Zielen und mitan (Brasilien) 2008, Matura Anträge von mir auf dem Konferenztisch. Träumen in großen Schritte nähern. Doch an der FMS Solothurn 07, Letztes Jahr längere Mitarbeit in Ich habe versucht, die Dinge zu ändern, die war es trotzdem wichtig, dass ich noch zur Projekten in Sao Paulo, Brasilien. uns nicht ins Konzept passten und die wir Schule ging, denn der Austausch war sehr Nun in Berlin Schauspiel studierend. als Schüler nicht akzeptieren wollten. wertvoll! An alle – und das dürften die meisten Bildung ist ein Privileg. Bildung bedeusein – die Kritik an ihrer Schule haben: tet für mich auch Wissen, das man sich aneignet. Je mehr ich Wenn ihr euch nicht wohl fühlt, nicht einverstanden seid, weiß, desto einfacher fällt es mir, zu verstehen, aus anderen dann unternehmt etwas dagegen! Setzt euch ein, steht auf, Perspektiven sehen zu können und Verantwortung zu überorganisiert ein Forum wo Besserungsvorschläge angebracht nehmen. Ja, Wissen bedeutet Verantwortung. Also müssen werden können, seid ideenreich und redet mit den Mitschü- wir das Bildungssystem so verändern, dass uns diese unfasslern und den Lehrern über eure Zweifel und Anliegen. Das gesamte Bildungssystem wird sich nicht ändern wenn wir nichts dafür tun. Wir können nicht erwarten, dass die Schule unseren Vorstellungen entspricht, ohne selbst Initiative zu zeigen. Woher soll die Erziehungsdirektion wissen, was Bildung für uns bedeutet? Da sollten wir doch mitreden können- und letztendlich auch mitreden, oder? Destruktive Demonstration gegen die Bildung wie Streiks und Schwänzen bringen da langfristig nichts! Auch Lehrer sind nur Menschen und ich bare Verantwortung, die wir als „Gebildete“ tragen, ins Bebin mir sicher, dass es viele gibt, die ihr Bestes geben und wusstsein rückt und wir uns dieser Verantwortung stellen! www.blickwechsel-hamburg.de | 45
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Bildung Freiheit Freie Bildungskultur
„Was ist an der Zeit?“ lautete die Ausgangsfrage der Tagung Anderzeit I am Goetheanum in Dornach (Schweiz) im Oktober 2007. Zu dieser Tagung erschien eine Sonderausgabe von projekt.zeitung (www.projektzeitung.org), in der der folgende Text zum ersten Mal publiziert wurde. Es ist an der Zeit, eine freie Bildungskultur außerhalb der Treibhäuser zu bieten, sollten wir ein freies Geistesleben vorInstitutionen zu verwirklichen, weil ich sehe, wie in unserem anbringen, das sich außerhalb der systemisch organisierten staatlich organisierten Bildungssystem niemand mehr wirk- Bildung entfaltet. Da es sich nicht mehr um etwas Institulich zu sich selbst findet. Das wird aber nötig werden, wenn tionalisiertes handeln wird, brauchen wir eine Wahrnehunsere Kultur sich dahin entwickelt, dass es im Leben nicht mung der lebendigen Idee dessen, was freies Geistesleben wirklich ist. in erster Linie um die Existenzsicherung geht Seit fünf Jahren erlebe ich Schüler, die (die EU-Kommission begründet die Wichaus eigener Initia-tive Schülertagungen ortigkeit eines hohen Bildungsabschlusses in ganisieren und so Freiräume schaffen, in einem aktuellen Arbeitspapier vor allem mit denen die Sachen auf den Tisch kommen der Aussicht auf ein festes Gehalt), sondern können, die wirklich und authentisch anwenn die Menschen immer mehr wissen stehen. Andere stornieren ihr 13. Schuljahr wollen, was sie als Individuen, und nicht als und wagen sich in einen selbstgeschaffenen Funktion mit dieser Welt zu tun haben. Florian Lück *1976 Freiraum. Und wieder andere reisen, suchen Ich begegne immer mehr Jugendlichen, Abitur Walther-Rathenau-Gymnasiihren Weg und ringen mit der Frage nach die wissen oder zumindest ahnen, dass sie um, Schweinfurt. Freie Jugendarbeit, Ausbildung zum Fotograf, Studiensich selbst. Wo ist mein Weg und wo mein einen einzigartigen Beitrag für diese Welt jahr in der Künstlersiedlung WeisImpuls? leisten können; dass es ihr innerster Impuls, senseifen/Eifel. Studium der WalDa sind Jugendliche, deren Bewusstsein ihre innerste Intention ist, die sich in ihrer Bidorfpädagogik, Sozialkunst und Theater-Pädagogik am Institut für ein anderes ist, die z.B. sofort durchschauographie verwirklichen will. Doch die SchuWaldorfpädagogik in Witten/Annen. en, wenn jemand nicht authentisch ist – die len bieten kaum ein Wachstumsklima dafür, Mitinitiator von captura (siehe „peralso irgendwie wissen oder zumindestens stopfen das Bewusstsein mit Informationen zu pektive“, Seite 64) ahnen, was es heißt, wahrhaftig Ich zu sein und kultivieren oft Misstrauen, Resignation, Gleichgültigkeit und Angst; Angst zu versagen, Angst, keine und zu leben. Und das suchen sie: Menschen, die aus einem Erwerbsarbeit zu bekommen, Angst vor Bestrafung; um nur Ich-Impuls leben und arbeiten. Das sich lebendig ringend einige zu nennen. Das Soziale in der Schule wird zum großen entwickelnde Selbst sind gefragt; Menschen, die befeuert Teil zusammengeklebt durch Zwang und Angst. Es herrscht sind von ihrem eigenen Ich. Die Realisierung eines freien ein Krampfzustand, unter dem sowohl Lehrer als auch Schü- Geisteslebens ist eine Weltnotwendigkeit, weil sich nur hier ler leiden. Um zum einen diese Situation zu entkrampfen der Mensch die Kräfte erschließen kann, die in der Lage sind, und zum anderen den Intentionen der jungen Generation der Dunkelheit unseres Zeitalters etwas entgegenzustellen. 46 | Blickwechsel No. 3 | November 2008
... und was ist Schule f端r Dich?
leichte lekt端re 48 |
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leichte lektüre
TEXT: Isabella Bopp
von wegen...
...Buchhandlung
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s wird Herbst. Und mit dem Herbst kommt die Kälte. Es ist morgens dunkel, wenn man aufsteht, und fast schon wieder dunkel, wenn zurück zu Hause ist. Es ist die Zeit, in der man (zumindest die Leute, die es mögen) anfängt zu lesen. Und somit die Zeit der Buchhandlungen. Egal was für eine, von Felix Jud über die Lieblingsbuchhandlung Lüders an der Ecke bis hin zu Thalia – eine Buchhandlung im Herbst ist unvergleichlich. Das Raunen von Büchern, die Geschichten, die sie zu erzählen haben, neue wie alte, es schlägt einem mit voller Wucht entgegen, sobald man den Buchladen betritt. Aufgestapelt breitet sich eine Welt von Geschichten zwischen schmalen Seiten vor einem aus, eine Welt voller grausamer Morde, tiefster Liebe, eine Welt, in der alles möglich ist. Im Moment sind es die Krimis und Thriller, die so heiß begehrt sind. Charlotte Link liegt auf riesigen Tischen, Seite an Seite mit noch Unbekannten, die ihr Glück in der Geschichte eines neuen Mörders suchen, und Altbekannten. Erstaunlich, wie viele Menschen Gefallen an der genauen Erörterung einer Leiche finden. Dem nach und nach aufgerollten Komplott. Hin und wieder mischt sich Science Fiction darunter. Außerirdische, die Meteoriten besetzen, fremde Mächte. Unter die vielen Träume und Märchen von Liebe stehlen sich unauffällig die Klassiker. Dort hinten, zwischen einem munteren Roman über ein kleines Mädchen und einem Drama steht ganz unschuldig Alfred Anderschs „Sansibar oder der letzte Grund“. Einst für die Schule gekauft, drei Wochen in der Tasche mit herumgetragen. Die Geschich-
TEXT: Anna Petersen
Schnecke Lisbeth schleimt genüssLisbeth Die lich durchs Salatfeld und ergötzt sich fröhlich an der dieses Jahr besonders frischen Sorte Rucola. Sie schlägt sich den Magen voll und ruht dann unter einem Schatten spendenden Feldsalatblatt. Hier ist es angenehm kühl und Lisbeth merkt, dass es eigentlich der richtige Moment wäre, ein
te weniger gelesen als erkämpft. Satz für Satz. Welche Verwicklungen kommen in diesem Roman zum Ausdruck? Was wollte Andersch damit sagen...? Schullektüre. Bücher, die man als solche kennen lernt, verlieren ihr Geheimnis. Hat sich je wieder jemand dieses Buch aus dem heimischen Bücherregal genommen, um noch einmal darin zu schmökern? Mitnichten. Die Lust, neue Ecken der Geschichte zu entdecken, noch einmal die unerfüllte Liebesgeschichte zu erleben, noch einmal durch die dunkle Tür zu schlüpfen, mitten hinein in die Geschichte. Diese Lust, sie ist verloren gegangen, irgendwo auf halber Strecke. Ein Blick umher. Dort hinten, bei den Hörbüchern und -spielen steht ein Mädchen, versunken in den Klappentext einer gerade neu vertonten Geschichte. Lohnt sich das? Das Buch war so wundervoll zu lesen. Aber als Hörspiel?? Macht das nicht die Geschichte kaputt? Mitten hinein in diese Gedanken platzt ihre Freundin. Hörspiele seien schrecklich. Wenn schon, dann Hörbücher. Aber selbst das... Eine aufgeregte Diskussion entbrennt, in der die zwei (die erste immer noch das am Anfang so eingehend betrachtete Hörspiel in der Hand) hitzig die Vor- und Nachteile beider Kategorien erörtern... Fast direkt daneben steht ein älterer Herr. Völlig unbeeindruckt von den lauten Stimmen der Mädchen liest er in einem Gedichtband von Robert Gernhardt. Ein kleines Lächeln spielt auf seinen Lippen. Und während draußen die Dämmerung hereinbricht, stöbert man zwischen den Bildern und Geschichten umher. Die Nase tief vergraben in den Sätzen eines neuen Romans ist es egal, dass die Tasche von der Schulter rutscht, der Hals kratzt, die Leute reden und lachen. Die Handlung reißt einen mit. Der kurze Farbenrausch, schon wieder beendet, einfach nur durch das Zuklappen des Buches. Ein kurzer, dumpfer Laut, und die Stimmen sind erstickt... So ein Mist! Schon halb acht!
Nickerchen zu machen. Durch die halb geschlossenen Lider sieht sie sich die gleißende Sonne in den morgendlichen Tautropfen spiegeln und verfolgt das Schattenspiel der Gräser. Plötzlich schreckt sie auf, und die Luft bleibt ihr weg. Direkt vor ihr ist in gewaltigem Tempo ein Tausendfüßler vorbeigeprescht. Mit pochendem Herzen sieht sie ihn in der Ferne hinter einer Pusteblume verschwinden… www.blickwechsel-hamburg.de | 49
TEXT: Christopher Gade GRAFIK: Moritz Brinkmann
Weshalb Handys modern sind
Jemand sagte mal zu mir: „die Welt ist im Wandel“. Doch damit konnte er nur für sich sprechen. Ich bin bis heute das geblieben, was man inzwischen als „altmodisch“ bezeichnet. Nicht nur was den Kleidungsstil betrifft – ich sehne mich heimlich nach der Zeit der Cordhosen zurück – sondern auch, was die Technik angeht, bin ich froh, dass ich beim „Forward- und Review“-Knopf“ am Videorekorder mitreden kann. Doch Sie ahnen bereits, was ich zu dem Zeitpunkt noch nicht ahnte. Meine Kenntnisse sollten sich bald gezwungenermaßen erweitern. Es war mein 30. Geburtstag. Ein ganz besonderes Alter, denn es war ja eine Null hinter der Drei, weshalb alle meine Freunde es für nötig erachteten, mir etwas ganz Besonderes zu schenken. Mit den Worten: „Nie erreichbar…“ und „Mal mit der Zeit gehen…“, übereichten sie mir ein kleines Paket. Unter lauten Jubelrufen packte ich das kleine Ding, mit dem wundervollen Namen „A310i“, aus. Bernd, der diese Idee, mir ein Handy zu schenken, durchgesetzt hatte, war völlig begeistert. Meine Freude hielt sich indes in Grenzen. Tja, aber nun lag es an mir, die Komplexität dieses Geräts, welches mich spontan an einen Rasierapparat erinnerte, zu erforschen. Als kleine Hilfe hatte Bernd mir einen Zettel beigelegt, auf dem stand, was alles wichtig war, um, wie er sagte, „ein rundum perfektes Handy“ zu haben. Ich nahm mir den Zettel nicht weiter vor und feierte erstmal. Aber am nächsten Morgen hatte ich dann den Salat. Ich saß verkatert und ahnungslos wie immer auf meinem Sofa, starrte auf das kleine Heftchen mit der Anleitung und den Zettel von Bernd. Zuerst begann alles ganz einfach: Puk eingeben, Pin eingeben. Ich war begeistert. Geradezu euphorisch. Doch ab da ging alles schief. Ich wollte lediglich eine SMS an Bernd senden, um ihm meine Begeisterung und meine neu erworbenen Erkenntnisse mitzuteilen. Am Anfang begann ich nach System und 50 | Blickwechsel No. 3 | November 2008
Taktik vorzugehen, durchsuchte die Anleitung, fand eine Reihenfolge von Fenstern, die man öffnen sollte, wollte sie öffnen. Ging nicht. Dort stand „Menü“. Von dort auf „Nachrichten“. Daneben ein „Brief-Symbol“. Doch wie kommt man ins „Menü“? Stand da nicht. Ich probierte bestimmte Tastenkombinationen. Ging nicht.Nach einer Weile drückte ich, übermütig wie ich war, alle Tasten auf einmal und… es passierte etwas! Wenn Sie glauben ihr Handy spricht chinesisch, dann ist das im übertragenen Sinn gemeint. Mein Handy sprach nun arabisch. Geschockt und verdutzt zugleich widmete ich mich wieder der Anleitung. Dort stand: „Gehen Sie ins „Menü“… oder: „Drücken Sie lange die Rautetaste.“ Das „Menü“ hatte ich schon aufgegeben. Doch was zum Henker war die „Rautetaste“? Ich überlegte. Raute? Musste spontan an Geometrie denken. War das nicht eine salmiartige Form? Ich sah auf mein Handy. Entdeckte nur einen Sechsstern und ein viereckiges Kästchen. Ich holte das Lexikon, schlug nach unter R, murmelte „Raute“. Dann fand ich es: „allgemein: Rhombus. 2) Gattung der Rautengewächse mit rund 60 Arten, vor allem im Mittelmeergebiet; Kräuter oder Halbsträucher; einheimisch unter anderem die Weinraute, bis 50 cm hoch, aromatisch duftend, Heil- und Gewürzpflanze.“ Ich legte das Lexikon zur Seite. Was sollte ich damit anfangen? Doch vielleicht sollte dieser Stern eine Pflanze darstellen. Ich versuchte es. Drückte lange auf den „Stern“. Dieser erschien dann kurz auf dem Display, änderte allerdings schnell zu „p“. „Verdammt!“ brüllte ich. Doch ich hatte ja noch eine zweite Option, und Sie werden es nicht glauben: es war die richtige. Ich hatte tatsächlich die „Rautetaste“ gefunden. Doch, Sie ahnen es: mein Handy sprach ja immer noch arabisch. Wissen Sie, wie „deutsch“ auf arabisch geschrieben wird? Ich nicht! Was nun? „Internet“ dachte ich. Rief Bernd an. Hatte ja keinen Computer. War ja „altmodisch“. Er ging ran. Ich sagte, er solle nachsehen, wie „deutsch“ auf arabisch geschrieben wird. Er buchstabierte mir ein „Geschnörkel“ aus Wellen, Kreisen und Punkten. Ich verglich. Und Tatsache: es passte. Nach knappen drei Stunden, sprach mein Handy wieder deutsch. Völlig erschöpft, aber mit mir selbst zufrieden ließ ich mich in meinen Sessel fallen. Von da an wusste ich, weshalb Handys modern sind. Sie haben ein eigenes Gehirn. Sprechen nicht unsere Sprache. Integration wird ja auch immer moderner. Handys sind wie polnische Arbeiter: Jeder will sie haben, doch keiner versteht sie.
lyrik lyrik Herbstgedicht Gebeugt Vom Leben Doch nicht entwurzelt Entblättert Vom Herbst Doch nicht tot Ergraut In der Dämmerung Doch nie ohne Hoffnung Denn Die Wurzeln des Lebens Die Hoffnung Der Wille Sind noch fest Tragen den Baum Auch durch diesen Winter.
Tag der offenen Tür
Komm herein, sieh dich um in der Welt der Wörter. Probiere sie aus, sortiere sie, spiele mit ihnen. Schiebe sie in die Ecken, hole sie hervor. Teile Erinnerungen mit ihnen, forme deine Zukunft. Wörter. Suche dir deine eigenen. Spreche mit ihnen, durch sie. Sie stehen dir frei. Sieh dich um in der Welt
Elisabeth Hach
Anna Petersen
Glück
Der Hauch eines Traumes im täglichen Dasein. Jeden Morgen das Licht am Horizont. Die goldenen Scherben, die der Alltag uns lässt, erhellen das Leben wie die Sonne den Tag. Wenn ein leuchtendes Lächeln aus Deinen Augen den Weg in die Welt sucht, durch den Nebel der Normalität und den Alltag durchbricht wie ein Pflänzchen Asphalt. Und du die Freude findest, in den Winkeln des Lebens. Ein Moment, in dem der Himmel die Erde berührt. Carlotta Strauß
David |Kurth www.blickwechsel-hamburg.de 51
lyrik lyrik
voller Sehnen streben wir zu einem uns unbekannten Ziel. Nur müssen wir lernen, nicht nur diesem Ziel entgegenzufiebern, nicht nur in die Zukunft zu denken, sondern den Weg dorthin auszukosten. Ja, es gilt, jeden Moment zu spüren, aufzusaugen, mit voller Kraft und mit allen Sinnen bewusst zu leben. Das Leben in jeder Minute zu würdigen. Wir können es nicht verstehen, mathematisch erklären oder ergründen. Unser Verstand, unsere Formeln, ... und das Leben wartet nicht. Gesetze und Worte helfen uns nicht, die Welt zu verstehen und egal, wie kitschig und Samstag. Ein ganz gewöhnlicher, verregneter, unfreundlicher Februarverbraucht dieser Satz auch klingt: Man sieht Samstag. Eigentlich nichts, worüber man schreiben müsste. Das Lenur mit dem Herzen gut. ben ist eine Aneinanderreihung von Tagen, eine Zeitspanne, die irUnd das, was unser Herz längst begriffen gendwann anfängt und irgendwann auch wieder aufhört. Und diehat, was Glück und Trauer, Dankbarkeit und ser Samstag ist nun einer dieser Tage, ein Teil dieser Zeitspanne, die Unfassbarkeit ist, können wir in Worten und mein Leben bedeutet. Vielleicht ist ja schon allein das ein Grund, Theorien nicht verständlich machen und für über diesen Samstag zu schreiben. Über diesen Samstag, an dem ich unseren Verstand übersetzen. meinen Gedanken freien Lauf lasse. So sind auch die Religionen nur ein Versuch, Ich denke darüber nach, wer ich bin, und ich finde keine Antdie Unendlichkeit und das Glück fassbar zu mawort. Weil es keine Antwort gibt. Der Mensch hat sich angewöhnt, chen. Gott, das ist ein Name, ein In-Worte-Fassen für alles Antworten oder Begründungen finden zu müssen. Er bildessen, was jeder Mensch für die höchste, unerdet sich ein, alles sei erklärbar, durchschaubar und beherrschbar. reichbare Wahrheit, für das vollkommene Glück, Und ich lebe weiter, weil das Leben nicht wartet bis ich meine für das Licht unserer Sonne hält. Gott, das ist unser Antworten gefunden habe oder mir überhaupt über die eigentunerreichbares Ziel, das ist die aus der Unendlichkeit liche Frage klar werden konnte. Zeit vergeht. So wie eh und eingefangene in uns schlummernde Suche nach dem je, so wie das Morgen schon bald im Nebel der Vergangenheit Sinn. Es ist ein Versuch, unsere innersten Wünsche, verschwindet. Hoffnungen und Träume, die wir selbst nicht fassen Aber die Fragen verschwinden nicht, und manchmal können, zu verbildlichen, in den Geschichten der Bibel scheine ich fast in ihnen zu ertrinken, im Strudel des Lebens zu veranschaulichen und uns mit den Geboten „Ersteunterzugehen. Ich fühle mich hilflos und allein in dieser Hilfe-Regeln“ mit auf den Weg zu geben. großen Welt, in der es keine Wahrheiten zu geben scheint. Sobald die Dinge aber in Worte gefasst sind, sind sie Nicht die Zahl der Menschen oder meine Unvollkommennicht mehr rein und klar, der Verstand verbiegt sie, findet heit macht mir Angst, sondern die Verantwortung, die für die Worte andere dahinterstehende Wahrheiten, nutzt Last, die auf den Schultern aller liegt. Die Menschen stosie aus. Die Worte entfernen sich von ihrer Ursprünglichßen sie von sich und verstecken sich hinter fadenscheikeit und stehen doch noch als Wahrheiten in der Welt. nigen Geboten und Gesetzen, verkriechen sich in ihrem Es ist ein verregneter, ganz normaler Samstag und ich Alltag. Die Menschen, diese körperlose Masse, die leicht mache mir meine Gedanken. Ich mache mir meine Gedanzu verurteilen ist, weil sie kein Gesicht hat, weil sie nicht ken und das Leben wartet nicht. Die Zeit vergeht weiter, die Ich und Du sondern nur Sie ist. Zeit steht nicht still… Nein, ich bin nicht zufrieden, aber wie sollte ich auch, da es das absolute Glück doch nicht gibt. Wir suchen es, wir strecken uns danach, aber erreichen werden wir es nie. So, wie die Pflanze voller Kraft und Aussichtslosigkeit zur Sonne wächst, wie sich der Baum in den Himmel reckt. Und manchmal wissen TEXT: Anna Petersen wir nicht einmal, wo unsere Sonne überhaupt ist,
Samstag...
52 | Blickwechsel No. 3 | November 2008
blickkult ckkultur www.blickwechsel-hamburg.de |Charlotte 53 Heller
Kim-Fabian von Dall窶連rmi
blick kultur
Porträt ...
...Paulo Coelho
Das Leben kann, je nachdem, wie wir es leben, kurz oder lang sein.. Paulo Coelho
P
aulo Coelho. Er ist einer der bekanntesten Schriftsteller unserer Zeit. Mindestens eines seiner Bücher steht am Bahnhofskiosk und auch in einer normalen Buchhandlung darf er nicht fehlen. Seine Bücher beschreiben Geschichten von Menschen, die zu sich selbst und ihrem Lebenstraum finden.
Der kleine Paulo Coelho erblickt 1947 in Rio de Janeiro das Licht der Welt. Sein Vater arbeitet als Ingenieur, seine Mutter ist Hausfrau. Paulos Kindheit vergeht ereignislos, bis er eingeschult wird. Mit den strikten Regeln und Riten einer Jesuitenschule konfrontiert, fühlt er sich zunehmend eingeengt und beginnt, dagegen zu rebellieren. Der Wunsch, Schriftsteller zu werde, keimt in ihm auf, doch seine Eltern sind anderer Meinung. Paulo soll Ingenieur werden wie sein Vater, und auch der erste Preis bei einem Lyrikwettbewerb an der Schule kann daran nichts ändern. Anfangs scheint es, als würde sich Paulo den Wünschen seiner Eltern fügen und Ingenieurwissenschaften studieren. Doch kurz darauf schließt er sich einer Theatergruppe an und lehnt damit endgültig die geregelten Bahnen ab, die für ihn vorgesehen waren. Pedro (Paulos Vater) legt diese Befreiung als Geisteskrankheit aus und lässt ihn mit siebzehn zweimal in eine psychiatrische Klinik zwangseinweisen, wo er mit Elektroschocks „behandelt“ wird. Als er entlassen wird, kehrt er zum Theater zurück und beginnt außerdem, für verschiedene Zeitungen zu schreiben. Eine kurze zeitlang läuft alles gut. Doch dann brechen die Eltern ihr Versprechen und lassen Coelho erneut einweisen. Nach dem dritten Aufenthalt in der Klinik ist er emotional am Boden. Die Eltern verzweifeln immer mehr und suchen noch einen Arzt auf. Dieser kommt endlich zu dem durchaus richtigen Schluss, dass Paulo nicht geistesgestört ist und somit auch nicht in die Psychiatrie gehört. Er muss seinen eigenen Lebensweg finden. Zunächst jedoch findet er nur zurück in die Laufbahn, die seine Eltern befürworten. Er beginnt ein Jurastudium. Wie vorauszusehen bricht er es nach kurzer Zeit allerdings ab und kehrt wieder zum Theater zurück. Er schreibt und schließt sich nun auch der Hippiebewegung an, die gerade (es sind die 60er Jahre) voll auflebt. Drogen, lange Haare und bewusst Vorschriften ignorieren – Coelho lässt nichts aus. Nach einiger 54 | Blickwechsel No. 3 | November 2008
Zeit spricht ihn der Musiker Raul Seixas an. Paulo soll Songetxte für ihn schreiben. Und das tut er. Mit Erfolg! Die zweite Platte der beiden wird ein Hit, sie verkauft sch mehr als 500.000mal und zu seiner großen Überraschung und zum ersten Mal in seinem Leben hat Paulo Coelho Geld. Viel, viel Geld. 1973 kommt Paulo mit praktizierter schwarzer Magie in Berührung. Seixas und er schließen sich einer Gruppe Alternativer an, die sich gegen den Kapitalismus stellt und die eigene Entscheidungsfreiheit auf ihre Banner geschrieben hat. Von diesen Erfahrungen geprägt entwickelt Coelho einen Comic, der ebenfalls für Freiheit steht. Das Militärregime sieht darin eine Gefahr und steckt Coelho und Seixas ins Gefängnis. Im Gegensatz zu Raul wird Paulo jedoch nicht so schnell wieder freigelassen, und selbst als das dann endlich passiert, wird er zwei Tage später erneut gefangen genommen. Dieses Mal von einer paramilitärischen Gruppe, die Paulo foltert und quält. Nach eigenen Angaben rettet ihn allein seine Beteuerung, er sei geistesgestört (unterstützt von seinem Benehmen, das er dort an den Tag legt: er fügt sich selbst Wunden zu und redet wirr). Nach seiner Freilassung beginnt er bei einer Plattenfirma zu arbeiten, wo er auch seine erste Ehefrau kennen lernt. Zusammen ziehen sie nach London, wo Coelho sich ganz dem Schreiben widmet. Ohne etwas veröffentlicht zu haben, ziehen sie
Der Mensch will immer, dass alles anders wird, und gleichzeitig will er, dass alles beim Alten bleibt.
jedoch zurück nach Brasilien, und Paulo nimmt wieder einen Job bei einer Plattenfirma an. Schon nach kurzer Zeit kündigt er und trennt sich von seiner Frau. 1979 begegnet er einer alten Freundin, Christina Oiticica. Sie verlieben sich (später werden sie heiraten und bis heute leben sie zusammen) und reisen durch große Teile Europas, auch durch Deutschland. Als sie das Konzentrationslager Dachau besichtigen, hat Coelho eine Vision von einem Mann. Als er diesem Mann zwei Monate später in einer Amsterdamer Cafeteria begegnet, spricht Coelho ihn an und der Mann rät ihm, nach Santiago de Compostela zu pilgern. Paulo folgt diesem Rat und macht sich auf den Weg. Ein Jahr später erscheint sein erstes Buch, „Tagebuch einer Pilgerreise“. Es findet jedoch wenig Beachtung, und es dauert ein weiteres Jahr, bis sein zweites Buch erscheint: „Der Alchimist“. Die erste Auflage verkauft sich schlecht, nur 900 Exemplare verlassen den Buchhandel. Coelho jedoch gibt sich nicht geschlagen, er will seinen Traum verwirklichen. Sein drittes Buch, „Brida“, wird von einem anderen Verlag aufgenommen, erscheint 1990 und ist auf Anhieb erfolgreich. Dadurch werden auch die beiden ersten Bücher bekannt und besonders „Der Alchimist“ bricht sämtliche Rekorde. Von diesem Augeblick an liest sich Coelhos Leben wie eine Aneinanderreihung von Preisen, Rekorden und rieseigen Verkaufszahlen. Sein Werk wird auch im Ausland millionenfach verkauft, und Prominente schwärmen von ihm als ihrem Lieblingsschriftsteller. Längst hat er das Schreiben nicht mehr nötig. Er könnte sich mit seinem Geld getrost zur Ruhe setzen. Dennoch schreibt er weiter. Verbreitet seine Botschaft. Die vielen Ehrungen, die ihn dabei immer wieder
TEXT: Isabella Bopp
Paulo Coelho
begleiten, sind Zeuge seines Erfolges. Die Sprache, die er spricht, ist einfach, klar und bildhaft. Spiritualität geht bei ihm Hand in Hand mit der Realität, Gott ist überall. Es ist sein Lebenstraum, den er verwirklicht. Wo genau in seinem Leben der Punkt war, der ihn zu diesem Lebenstraum bewegt hat, bliebt unklar. Sicher wissen kann es nur er selbst.
Sydneys Vorzüge Sydney ist eine verwöhnte Stadt. Das ganze Jahr gutes Wetter, alle Naslang Pazifikstrände mitten in der Stadt, Nationalparks und wunderschöne Landschaften, keine Stunde vom Stadtkern entfernt, schöne Menschen, durch die vielen Kulturen unglaublich facetten- und abwechslungsreiche Stadtviertel und dank der Stadtplaner unglaublich sehenswert. Sydney ist teuer, aber auch reich. Natürlich finden sich hinter all den Shopping-Centers, Restaurants und dem ganzen Tourismusgewerbe die weniger schönen Viertel, in denen die Arbeiter leben. Meistens Asiaten, doch selbst die sind zu beneiden, denn wer kann sich in Hamburg nach einer harten Woche auf einen Platz am Strand, viel Sonne, gute Wellen und einen atemberaubenden Sonnenuntergang über dem Meer freuen?
Der Reisende in Sydney
Sydneys Einwohner Kaum ist man in Sydney eingetroffen, sei es zu Fuß, mit dem Bus, mit dem Zug oder mit dem Flugzeug, tritt man mit seinen Bewohnern in Kontakt, die wenig mit „gewöhnlichen“ Großstädtern gemeinsam haben. Garantiert trifft man auch hier den typischen Geschäftsmann mit Laptoptasche in der einen, Take-away-Kaffee in der anderen Hand, Financial Times unterm Arm und einem gehetzten Blick im Gesicht. Aber vornehmlich begegnet man Menschen, die in jeder Situation ein Gespräch beginnen. Mir so passiert, als ich nach dem Weg fragte und mit der freundlichen Dame kurz darauf in einem Café saß, Kakao trank und sie mir von Australien, ihren Kindern und Gott und der Welt erzählte. Oder als ich vor dem Opera House saß und plötzlich mit einem Asiaten ins Gespräch kam, der vor zehn Jahren aus Japan auswanderte. Oder... Sowieso haben die Menschen hier öfter einen freundlichen Blick als einen ärgerlichen und auch die Haltung gegenüber Problemsituationen ist durchweg entspannt. „No worries“ – und alles wird gut. 56 | Blickwechsel No. 3 | November 2008
Sydneys Backpacker Die Backpacker gehören inzwischen zu Australien wie die Känguruhs, auch in Sydney trifft man sie überall. In manchen Geschäftszweigen kommt man ohne sie gar nicht mehr aus, da sie oft die Arbeit übernehmen, zu denen die Australier keine Lust haben. Typische Jobs sind Tellerwäscher, Spenden- oder Müllsammler oder Reinigungskraft in Hotels. Doch Sydney gibt viel zurück. Meistens gibt es eine gute Bezahlung die über dem deutschen Niveau liegt, es gibt viele Hostels, vor allem in Kings Cross, Sydneys Sündenbabel, und man bekommt die Chance das „richtige Alltagsleben“ kennen zu lernen. Backpacker erkennt man ziemlich leicht, entweder an ihren dicken Rucksäcken, an den Landkarten, an ihrer Sprache oder an der Tatsache, dass sie drei Mal an einem vorbeigehen und an ihren Stadtplänen rumdrehen, ohne nach dem Weg zu fragen.
TEXT & FOTOS: Simon Berg www.blickwechsel-hamburg.de | 57
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TEXT: Nele Rebentisch
Ulla Hahn Das verborgene Wort dtv Juni 2003 12,50 €
Ulla Hahn schrieb ein Buch, das autobiografische Züge enthält – ein wichtiges, schönes und schreckliches Buch über das Erwachsenwerden, Wachwerden und Menschwerden.
Als sich Hildegard dem Ende der weiterführenden Schule nähert, deren Besuch sie sich bei ihrer Familie hart erkämpfen musste, kommt nicht etwa wie von allen Lehren erwartet das Abitur, sondern die Arbeitswelt auf sie zu.
Hildegard Palm wächst inmitten der 50er Jahre in einem kleinen Dorf in der Nähe von Düsseldorf auf. Ihre Eltern merken bald, dass ihre Tochter einen großen Wissensdurst hat, der selbst kein Ende zu nehmen scheint, als ihr Vater zu groben Erziehungsymethoden greift. Denn Hildegards Familie kann es nicht akzeptieren, dass sich ihre Tochter aus dem proletarischen und erzkatholischen Milieu herausentwickelt. In ihrer Familie herrscht ein tief verwurzelter Frust über den Geldmangel, den ihr Vater in ständigen Besäufnissen zu ertränken sucht. Ihr Großvater ist es, der immer wieder kleine Lichtblicke in Hildegards düsteres Leben bringt, dem sie nur durch die Liebe zum Wort entfliehen kann.
ja, sagte der Großvater und sah mich an. Do has de dir wat jaanz Besonderes usjesöökt. Dat he es ene Boochsteen.“
„T
Wat jaanz Besonderes
Das verborgene Wort
TEXT: Hannah Zewu-Xose
Tim Winton atem Luchterhand 2008 16,95 €
Ein schöner Roman, der einen fesselt, am Ende jedoch deutlich an Fahrt verliert. Ein Muss für alle Surfcracks und wahrscheinlich schon bald Standardlektüre an den Stränden der Welt.
Tim Winton, geboren in Westaustralien, Gewinner mehrerer Buchpreise und selber Surfer, erzählt eine kurzweilige Geschichte über Freundschaft, Extremsport und die Jugend.
ie beiden Freunde in Tim Wintons (Australiens berühmtestem Schriftsteller) Surf-Abenteuer-Roman testen immer wieder aufs Neue ihr Limit aus. Zuerst beim Tauchen, später, nachdem sie sich mit einem spleenigem Hippie anfreunden, auf dem Surfbrett. Das Surfen wird zu ihrem Lebensinhalt. Dabei geht es ihnen zum einen um das unverwechselbare Gefühl des Wellenreitens, gleichzeitig aber auch um den ultimativen Kick des Unkontrollierbaren. Sie reiten auf immer größeren, gefährlicheren und unberechenbaren Wellen und schrammen mehr als einmal knapp am Tod vorbei.
D
Auf der Suche nach dem ultimativen Kick
atem
wird.
Der Vogel ist ein Rabe Rabe auf Reisen
B enjamin Lebert ist das Vorzeigekind der deutschen Jugendliteratur, mit 16 veröffentlichte er seinen ersten Roman „Crazy“, der prompt in 33 Sprachen übersetzt wurde und lange die Bestsellerlisten anführte. Nach vier Jahren Pause meldete er sich 2003 als erwachsener Schriftsteller wieder zu Wort. Mit „Der Vogel ist ein Rabe“ beweist er, dass er nicht nur zur satirischen Betrachtung seiner selbst fähig ist, sondern dass die Unausschöpflichkeit seiner Phantasie uns noch lange Lesestoff liefern
Das Buch spielt auf einer Zugfahrt von München nach Berlin. Zwei Männer, Anfang 20, teilen sich ein Abteil. Beide tragen eine dramatische Geschichte mit sich. Während der eine seine eigene erzählt, wird der andere von der seinigen eingeholt.
Benjamin Lebert Der Vogel ist ein Raabe Kiepenhauer & Witsch 2005 7,95 €
„Der Vogel ist ein Rabe“ ist eines der wenigen Bücher, die bis zur letzten Seite mit Überraschungen aufwarten. Zwar hat dieses Buch nicht mehr die Leichtigkeit und den Humor von „Crazy“ (das ich eindringlichst empfehlen möchte), doch alles in allem ist es trotzdem lesenswert.
TEXT: Katharina Gerszewski
Lehrerzimmer
Nina-Marie Kühn
„Man könne, sagte der Direktor, vier Säulen unterscheiden, auf welche sich das gesamte Schulsystem stütze: Die Säulen nenne er Angst, Jammer, Schein und Lüge.“
Studienassessor Kranich beginnt seine Tätigkeit als Lehrer für Deutsch und Geschichte am Gymnasium in der schwäbischen Kleinstadt Göllingen. Er wird mit einer Fülle von Erwartungen konfrontiert und versucht, ihnen zu entsprechen, wobei jeder Versuch, richtig zu handeln, vom Schuldirektor Höllinger als falsch aufgefasst wird. Das Lehrkörper-Gebilde dieses Gymnasiums ist ein kompliziertes, undurchsichtiges Gefüge voller Abkürzungen, Agenten und Spitzel. Während Kranich eigentlich mit der KG, der „konspirativen Gruppe“ sympathisiert, „die sich zum Ziel gesetzt hatte, das geltende Schulsystem zu unterminieren. Jedoch nicht wirklich (...), da man den eigenen Arbeitsplatz keinesfalls ernsthaft würde aufs Spiel setzen wollen, sondern lediglich verbal“, wird er von Direktor Höllinger zum Geheimen Sicherheitsbeamten (GSB) ernannt. Seine Aufgabe ist die Bespitzelung der Lehrer in Hinsicht auf die Befolgung der Regel, ständig einen Schlüssel bei sich zu tragen. Denn die wirklich wahren Kompetenzen eines jeden Lehrers, erfährt er, sind die Schlüsselkompetenzen. Für jeden gefundenen, vielmehr erbeuteten Schlüssel, den er Direktor Höllinger bringt, wird seine Stellung am Gymnasium sicherer.
Markus Ohrts Lehrerzimmer dtv 7,50 €
„Lehrerzimmer“ ist ein satirischer Roman aus der Sicht Kranichs als Ich-Erzähler in indirekter Rede, was nach einigen Seiten aber knicht mehr befremdet. „Lehrerzimmer“ eröffnet uns einen überzogenen, absurden Blick hinter die unüberwindbare Tür zum Lehrerzimmer. Ein kurzweiliger Roman, geschrieben von einem ehemaligen Lehrer.
TEXT: Nina-Marie Kühn
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Der Berg ruft ...
Bis einer heult ...
Bloodsport
Whale Rider
B
W
Die Wale rufen...
loodsport, bis heute einer der erfolgreichsten Martial Arts Filme der Welt, bedeutete seinerzeit den Durchbruch für den damals 28-jährigen Hauptdarsteller, Jean Claude Van Damme. Der Plot ist schnell erzählt. Tanaka bringt seinem Schüler Van Damme alias Frank Dux in Ermangelung eines leiblichen Sohnes das Kämpfen nach alter Familientradition bei. Dux möchte sich bei seinem Master bedanken und für den im Sterben liegenden Tanaka das illegale „Kumite“, einen Full-Contact-Kampfwettstreit gewinnen. Also reist er nach Hongkong, verfolgt von zwei Agenten (u.a. Forest Whitaker in jungen Jahren). Dort wird sich dann nach bester Van Damme-Manier die Fresse poliert. Van Damme überzeugt mal wieder mit höchster Schauspielkunst und weiß seine – an einer Hand abzählbaren – Posen wirkungsvoll zu kombinieren. Wer also hohe Erwartungen an die schauspielerischen Fähigkeiten der Hauptdarsteller stellt, dem sei von diesem Film abzuraten. Wer aber Martial Arts Kämpfe in Perfektion sehen will und sich nicht von Van Dammes Jetzt-bin-ich-mal-wütend-Pose abschrecken lässt, dem sei zu diesem Film geraten. Nice to know: Angeblich soll der Film auf der wahren Geschichte eben jenes Frank Dux basieren, der Van Damme für den Streifen trainierte.
Drehbuch: Sheldon Lettich Regie: Newt Arnold Musik: Paul Hertzhog Erscheinungsjahr: USA 1988 FSK: 18
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Showprügeln mit Funfactor
hale Rider, der wohl berühmteste neuseeländische Film, erzählt die dramatische Geschichte von Pai (12), dem einzigen Kind des Stammesoberhauptes eines kleinen Maori-Volkes an der Westküste Neuseelands. Sie ist die letzte Nachfolgerin von Paikea, dem göttlichen Walreiter, der laut maorischer Saga vor Jahrtausenden auf einem Wal aus dem Meer ritt. Aber ein Mädchen kann der ebenso engstirnige wie liebevolle Großvater Koro (Nawiri Paratene) nicht akzeptieren. Pai (Keisha Castle-Hughes) kämpft gegen diese Tradition der männlichen Nachfolge an. Sie sieht sich als Stammesoberhaupt und versucht, ihren Großvater von dieser Tatsache zu überzeugen. Als Walreiterin, die die Ahnen in Gestalt von Walen zu rufen vermag, bekräftigt sie ihre rechtmäßige Stellung. Sentimental und nah, und doch nie kitschig, wird Paikeas Geschichte erzählt.
Drehbuch: Witi Ihimaera, Niki Caro Regie: Niki Caro Musik: Lisa Gerrad Erscheinungsjahr: 2004
TEXT: Simon Berg
TEXT: Nina Kühn
Introducing:
Simply Live
A
R
Robby Ballhause
Hello Saferide
Annikas Stil – ein fröhlich-leichter Independence-Pop mit intelligenten Texten und erfrischender, jugendlicher Weltsicht – schafft verträumte und aufgeweckte Balladen ebenso wie „Nervpop“. Annikas Name Saferide bezeichnet eine Initiative in den USA, die es Jugendlichen ermöglicht, im Dunkeln sicher nach Hause zu kommen. Es ist eine Präventionsmaßnahme, die Gewalttaten und Unfällen aufgrund von Trunkenheit vorbeugen soll.
Genre: Pop/ Folk/Indie
TEXT: Hannah Zewu-Xose
MusikMusikMuskMusikMusikMusikMusikMusikMusikMusikMusikMusik
nnika Norlin, alias Hello Saferide, geboren 1977 in Östersund (eine mittelschwedische Gemeinde), fängt schon früh an, Musik zu machen. Diese wird allerdings vorerst nur im familiären Kreise präsentiert. Nachdem 2004 ihr Song „Highschool Stalker“ auf einer schwedischen Compilation CD landet, kann sie sich vor positiven Rückmeldungen kaum retten. Und so geht´s von Studio zu Studio – von Östersund nach Stockholm. Ein Jahr später bringt sie dann ihre erste eigene CD „Introducing: Hello Saferide“ heraus, die gleich ein Erfolg wird! Außerdem steht nun auch die Bandbesetzung, und Annika Norlin macht sich auf, Schwedens Bühnen zu erobern. Inzwischen sind zwei EPs entstanden: „Long Lost Penpal“ und „Would You Let Me Play This EP 10 Times A Day?“, denen am 24. September ein neues Album „More Modern Short Stories From Hello Saferide“ gefolgt ist. Der 30jährigen scheint das aber nicht genug und so entstehen 2007 unter dem Namen Räkert schwedische Songs.
obby Ballhause ist ein Gitarrist, Sänger und Songwriter aus Hannover. In den 80ern reist er als Straßenmusiker durch Südeuropa. In den 90er Jahren tourt er durch Clubs, bis er schließlich hinter dem Pult seines eigenen Tonstudios landet. Allein mit seiner Stimme und der Gitarre, aber auch zusammen mit seiner Band, macht er Country-, Folk- und Popklänge, denen man entspannt zuhören kann. Er hat die erste Hälfte seiner CD „Simply Live“ solo, nur mit Gitarre und Gesang, die zweite Hälfte mit seiner Band eingespielt. Die Musik ist grandios, da er eine perfekte Mischung aus ausgezeichneten Melodien, Texten, die zum Nachdenken anregen, und genau der Stimmung, die von der Musik übertragen wird, vermittelt. Seine Texte passen zu alltäglichen Situationen im Leben, sind aber keineswegs banal. Und auch wenn man die CDs nur im Internet oder per Post bestellen kann, lohnt es sich für das hinterher garantierte Hörerlebnis.
Genre: Akustisch/Country/Pop
TEXT: Marie Harmsen
www.blickwechsel-hamburg.de | 61
Generation Doof
INFO Den Oberbegriff Hörbuch kann man in drei Gattungen unterteilen. Das Hörbuch gibt nur vor, dass ein Text, der in schriftlicher Form vorliegt, vertont wird:
Die Lesung
Dies ist das Buch, oft in gekürzter Fassung, meist von einem Schauspieler oder dem Autor selbst gelesen.
Das Hörspiel
Hier wird das Buch nicht einfach nur gelesen. Zu einer guten Hörspielproduktion gehört ein Dramaturg, welcher in Zusammenarbeit mit dem Autor das Buch so umschreibt, dass es Leben bekommt. Es bedarf hier also nicht nur eines guten Sprechers, sondern gleich mehrerer. Außerdem sorgt ein Regisseur wie beim Film für die Dosierung der verschiedenen Ausdrucksmittel wie Sprache, Musik, Effekte.
Das Feature
Das Feature ist vergleichbar mit einem Dokumentarfilm fürs Ohr. Es ist nicht ausschließlich literarisch, sondern wirkt oft eher wie eine Reportage, gemischt mit Musik und/ oder Textstellen aus Büchern und Interviewausschnitten. Das Feature verhält sich zum Hörspiel wie die Dokumentation zum Spielfilm. 62 | Blickkultur
HörbuchHörbuchHörbuchHörbuchHörbuchHörbuchHörbuchHörbuchHörbuch
Wie blöd sind wir eigentlich? Nachdem ich von „Generation Doof“ gehört hatte, wollte ich herausfinden, wie blöd wir denn nun eigentlich sind. Buch oder Hörbuch? Nachdem ich feststellte, dass es eine Lesung mit dem Mann von der Sendung-mit-derMaus gibt, entschied ich mich für jene. Großer, grohoßer Fehler! Christoph Biemann, der Mann, der mit der „Sendung mit der Maus“ weitgehend mein Leben prägte und mich zum Staunen brachte – jedenfalls soweit, dass ich jetzt weiß, wie ein Dübel hergestellt wird und warum er in der Wand bleibt – zerstört mit einem Mal meine Begeisterung über ihn! Dieser kumpelhaft belehrende Tonfall „…das war Portugiesisch. Und heute mit…und natürlich mit der Maus und dem Elephanten!“ faszinierte mich immer und animierte mich zum Verstehen. Später – ich muss es gestehen – brachte mich dieser Tonfall, indem ich immer einen Hauch Ironie zu hören glaubte, oft zum Schmunzeln. „So!“, dachte ich, das sind doch gute Vorrausetzungen für eine Lesung, in der unsere Gesellschaft – die Generation Doof – auf´s Korn genommen wird! Bäh. Pustekuchen. Nada! (Das war Portugiesich)… Hätte er mir im bekannten Tonfall „Ich erklär´ dir in flapsigen Worten die Welt – über die ich selbst den Kopf schüttle“ erklärt, wie doof wir eigentlich sind, wäre diese Lesung wohl grandios geworden! Doch leider klingt es eher nach einer merkwürdigen Mischung aus Christoph und Herrn Biemann, und so bin ich doch enttäuscht. Die Stories an sich sind zum Großteil sehr humorvoll, doch mich bewegt seine Art, sie vorzutragen, nicht zum Schmunzeln, sondern zum Abschalten. Fazit: Hier ist die Vertonung nicht gut gelungen, wer also schon lange kein witziges Buch mehr gelesen hat – hier ist es! Außerdem würde ich Generation Doof euch gerne einen Rat mitgeben: Kauft nie ein Stefan Bonner/Anne Weiss Hörbuch ohne reingehört zu haben! Um es Genre: Humor mit einem also mit einem Zitat der CD-Rückseite zu saSchuss Satire Format: Lesung gen: „Es gibt zwei Dinge, die grenzenlos sind. Verlag: Lübbe Das Universum und die menschliche Dummheit!“ [Albert Einstein]
TEXT: Hannah Zewu-Xose
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perspektive perspektive Kim-Fabian von Dall窶連rmi
perspektive perspektive
worum es geht ... Perspektive meint: Ausblick, Hinausschauen, neue Horizonte eröffnen. In diesem Teil werden Menschen und Initativen vorgestellt, die eben solch eine Perspektive bieten, deren Tun zur Perspektive und zum Blickwechsel anregen kann. In dieser Ausagbe nun Perspektiven zum Thema Schule/Bildung.
Schule total – oder weg captura – der Name für ein Forschungsprojekt, das seit 2003 daran arbeitet, die Fundamente unserer Gesellschaft, insbesondere die sozialen Grundlagen von Schule, in den Tiefen und Breiten des menschlichen Seins auszuloten.
Der Blick ist dabei seit Beginn gerichtet auf den einzelnen Menschen als Individuum, das zu Recht einen einzigartigen, nicht standardisierten Platz in unserer Gesellschaft einfordern darf, da es in Zukunft immer mehr als Verantwortungsträger und Ideenbringer, als Mitgestalter der Welt angefragt werden wird. Ein Zuviel an Fremdbestimmung dessen, was
so einseitig auseinander in ein äußerliches Pflichterwerbsleben und ein privates aber weltunrelevantes Innenleben. Mit der Arbeit wenden wir uns als Menschen den Bedürfnissen unserer Mitmenschen und unserer Umwelt zu. Wenn es also um eine Verbindung von Außen- und Innenwelt geht, spielt die Arbeit eine große Rolle, da hier der Mensch viel seiner
Die drei „Capturis“, wohnhaft im tiefen Osten, Hugoldsdorf: Florian Lück, Friedel Reinhardt, Maria Veron (v.l.)
ein Mensch zu tun hat, wofür er sich zu interessieren hat usw. lässt die inneren Kräfte verkümmern, die in der Lage sind, das eigene Interesse an der Welt zu vertiefen, sich selbst mit dem Schicksal der Welt zu verbinden. Die Gesellschaft driftet 64 | Blickwechsel No. 3 | November 2008
Lebenszeit verbringt. Was wäre also eine Art zu arbeiten, die eine Verbindung zwischen dem Innenleben des Menschen und seiner äußeren Tätigkeit herstellt?
Und was hat das mit Schule zu tun?
der Mensch?“ taucht da als Frage auf. Womit haben Schule ist ein Ort, in dem Kultursubstanz gebil- wir es zu tun, wenn wir vom Menschen reden? Wir det wird. Das, was hier veranlagt, kultiviert wird an wissen es auch nicht; eben jeder so, wie er sich ein Haltungen, Werten, Motivationsprinzipien wird sich eigenes Bild, eine eigene Erkenntnis bilden kann. später in der außerschulischen Gesellschaft wiederfin- Für uns ist das eine Frage, die nicht beantwortet ist den. Es ist ein Unterschied, ob eine Schulkultur z.B. – auf der aber doch alles aufbaut. Gesellschaftspolivorwiegend und auch oft unbewusst aus Angst besteht tisch scheint diese Frage belanglos, und mir scheint es oft so, als wolle man die – oder ob die Beteiligten Gesellschaft in die Zukunft sich dafür entscheiden, auf weiter ohne diese Frage bauVertrauen zu bauen. Angst en. Der Wirtschaft, der Werhaben wir genug im Spiel. bung, der ganzen KonsumIn diesem Sinne reiwelt reicht wahrscheinlich hen wir uns mit unserer der Mensch als egoistisches, captura-Ini-tiative nicht naturhaftes und triebgesteuin die schier endlosen ertes intelligentes Wesen Versuche ein, unsere ge– wenn wir aber über Desellschaftlichen Probleme mokratie, Menschenwürde, strukturell, konzeptionell, Mitverantwortung, Selbstprogrammatisch zu lösen, bestimmung usw. sprechen sondern in ein zweites, wollen und in dieser Richnicht minder schwieriges tung vielleicht etwas finden, Feld: das Feld der Kulwas eine menschlichere Zutur. Hiermit meinen wir … ist ein ehemaliges Gut in Nordvorpomkunft wahrscheinlicher wervor allem die Qualität des mern, zwischen Rostock und Stralsund den lässt, dann kommen wir Raumes zwischen Men… ist eine Baustelle um diese Frage nicht herum. schen, die Qualität von … ist ein „Schloss“ „Mensch statt Programm“ Beziehungen. Hier geht es … ist eine Geschichte zum Mitspielen meint für uns, das Spielfeld, für uns erstmal eben um … ist echt – mehr nicht zumindest für dringend nöeine Substanzfrage und erst … ist widersprüchlich tige Forschungszwecke, für später um eine Formfrage. … ist keine Lebensgemeinschaft den einzelnen Menschen, Struktur haben wir heute … ist keine Institution von Programmen, Konzepim Übermaß – es ist eher … ist eine Schule!? ten und Vorbestimmungen das Leben, das uns abhanzu räumen – um herauszuden gekommen ist. Diese captura – Schule Zukunft Mensch finden, was übrig bleibt. Ein Polarität zwischen Form, Dorfstr. 12 / Gutshaus einzelner Mensch, so wie er Struktur und Gesetz auf D - 18465 Hugoldsdorf ist – noch ein anderer, einder einen Seite und Stoff, post@captura-online.de zigartiger Mensch, so wie er Substanz und Leben auf www.captura-online.de ist – und noch ein anderer – der anderen hat Friedrich alle so wie sie sind, aber vielSchiller in seinem Handleicht auch so, wie sie werden buch zur Entwicklung einer inneren Freiheit, in seinen „Briefen zur Ästhe- können. Es bleibt vor-aussichtlich etwas übrig, was tischen Erziehung des Menschen“, präzise formuliert. für uns den wahren Kern von Schule ausmacht: „Der sich entwickelnde Mensch – so, wie er ist.“
HugolDsdorf
Mensch statt Programm
captura ist keineswegs ein neues Schulkonzept, kein alternatives Modell von Schule. Und es scheint erst einmal auch nicht von großer Bedeutung zu sein für die Probleme, mit denen die Menschen in unserem heutigen Bildungssystem beschäftigt sind. „Es kommt auf die Begegnung an, von Mensch zu Mensch!“ – damit kennzeichnen wir den Ausgangspunkt für unsere „Schule“. Leider ist dieser Ausgangspunkt ebenso präzise wie nebulös. „Was ist
Schule total 2003 haben wir im Rahmen unseres Studiums am Institut für Waldorf-Pädagogik Witten/Annen angefangen, uns mit Oberstufenschülern und Studenten zu treffen. Es gab die drei größeren captura-Tagungen 2004, 2005 und 2006. In dieser Zeit entwickelte sich unsere Arbeit von einem Austausch über Schule zu einem Versuch, Schule anders zu machen – eben mit den Qualitäten, die uns auf diesen
Tagungen wichtig wurden. Das Thema „Freiraum“ war die strukturelle Antwort auf unsere Frage nach einer Schule von morgen. Ein Freiraum, frei von Vorherbestimmungen – frei für die individuellen Menschen – gefüllt erstmal nur mit eben diesen – und einer Idee, Schule zu machen. In diesen drei Jahren weitete sich unser Begriff von Schule, also das, was wir darunter verstanden, immer mehr. Es gab nicht mehr klar definierte Rollen. Lehrer waren als Schüler gefragt, Schüler als Lehrer, und das Lernen selbst weitete sich immer mehr aus auf sämtliche Lebensbereiche. Immer mehr rückte der einzelne Mensch in den Blick, mit seinen Interessen, mit seinen Fähigkeiten, mit seinen Entscheidungen oder auch seinen Angeboten. Bestimmung wurde immer mehr ein gegenwärtiger Prozess. Es entstand plötzlich ein offener Raum, im dem durch das Gegenwärtige auch das Zukünftige, das Neue, das noch nicht Gedachte Zugang bekam. Das Verhältnis zur Zeit änderte sich. Der Begriff Schule wurde in gewisser Hinsicht total, allumfassend und bewegte sich wie auf eine Grenze zu, an der es von total zu weg geht.
Dann ging unser Studium zu Ende. Wir hatten aber ein Jahr vorher schon den Entschluss gefasst, auf jeden Fall an der Sache dranzubleiben – unter anderem deswegen, weil uns viele, viele junge Menschen immer wieder darin bestätigten; aber auch, weil wir für uns darin einen stimmigen Lebensweg sahen. Wir wollten an einem Ort an den Fragen, aber auch an dem wirklichen Lernort captura weiterarbeiten. Und so geschah es dann auch. Der erste Akt ging zu Ende und wie aus dem Nichts tauchte ein „Schloss“ auf – tief im NordOsten unseres Landes.
Hugoldsdorf
Gottfried Stockmar aus Hamburg erwarb die beiden alten Gutshäuser und einen Teil des Gutsgeländes 2005 mit dem Motiv, sich vor die Tür zu setzen und zu schauen, was passiert. So tauchten dann auch einige Menschen auf, mit denen die Sanierung des ziemlich verfallenen Gebäudes begonnen wurde. Ein Jahr später lud er uns spontan zu einem Besuch in Hugoldsdorf ein. Wir hatten ihn in der Vorbereitung auf captura2006 kennengelernt und unter anderem mit ihm das Thema „Freiraum“ erarbeitet. So standen wir dann irgendwann dort mitten auf dem Land in Nordvorpommern in einem großen, überall verletzten Gebäude. Kurze Zeit später fuhren wir nochmal für eine Woche dorthin, und es wurde klar: Wir wollen das hier ausprobieren.
Oktober 2007: Beginn 2. Akt. Viele Menschen waren inzwischen hier – ständig gehen die einen und andere kommen – manche bleiben sechs Monate und andere zwei Tage – die einen sind 70 und die anderen 16 Jahre – durch alle sozialen Schichten hindurch treffen hier Menschen aufeinander – alles ergibt sich aus der Begegnung, aus der eigenen Wahrnehmung, aus Initiative – durchschnittlich sind im Moment acht bis zehn Menschen vor Ort – zu Pfingsten waren hier 70 – fünf wohnen hier – Arbeit ist ein zentrales Thema – klar, irgendwie Baustelle – aber genauso gibt es Leute, die Musik machen, lesen, spazierengehen – jeder Besucher verändert die Gesamtsituation. Ein paar Einblicke in das, was hier so passiert. Die Geschichte unseres ersten Jahres hier bekommt man am besten vor Ort erzählt. Ist das jetzt Schule, was hier passiert? Definitiv nein! Definitiv ja! Auf jeden Fall ist es im Moment eine unsichtbare Schule. Es gibt keine Klassenzimmer, keine festen Lehrer- und Schülerrollen, keine Lehrpläne. Konturen bilden und lösen sich wieder auf – so wie die Menschen kommen und gehen. Der Mensch in seiner Bewegung steht im Vordergrund.
TEXT: Friedel Reinhardt, Florian Lück
Freiheit | Lernen | Gemeinschaft „Yumendo ist eine konkrete Möglichkeit für junge Menschen, sich selbst, ihren Weg und ihre Aufgabe zu suchen. Yumendo ist ein Freiraum, den wir auf der Grundlage von Eigeninitiative, Selbstverpflichtung und Gemeinschaft durch unsere individuellen Fragen und Wege gestalten.“ [Konzeptpapier Frühjahr 2006] Wie könnte die Oberstufe aussehen, was könnte anstelle des Abiturs sein, wie könnte man Schule sinnvoll gestalten? Aus diesen Fragen hervorgehend entstand die Idee, ein eigenes dreizehntes Schuljahr zu machen. Denn wozu sich sagen lassen, wie die Welt funktioniert, wenn man es selber rauskriegen kann oder schon weiß? Wieso lauter Dinge lernen, die man später wieder über Bord werfen kann? Wofür einen Schein haben, auf dem steht, wie gut man in dem ist, was alle können? Also: 13. Schuljahr ohne Abitur, ein Jahr Freiraum: YUMENDO. Doch bevor unser Experiment Freiraum starten konnte, verging erst eine recht lange Zeit der Planung und Vorbereitung: Im Mai 2005 kam die Idee auf, im Oktober 2006 sollte es losgehen – also eineinhalb Jahre später. In dieser Zeit gingen wir ständig mit der Idee um, verteidigten sie, füllten sie mit Formen und Inhalten, fingen schon mal ein bisschen an,
ber 2006. Wir hatten eine Wohnung in Dortmund, recht viel Platz, einen Garten, einen Dachboden, 7.500 € und keinen Zivildienst. Und es wurde ganz anders, als wir es uns vorgestellt hatten. Vor allem kamen Fragen auf, die nur jeder einzelne für sich beantworten konnte, beantworten musste. Was will ich tun, wo soll es hingehen, wo geht’s lang? Wenn man keine Vorgaben hat, wie etwas zu tun ist, wird der Weg nicht unbedingt leichter. Viel Zeit verbrachten wir (gerade am Anfang) mit Gesprächen und Diskussionen, das Zusammenleben wollte geregelt sein, der Alltag überwunden und Gemeinsames sollte passieren. In Standpunktrunden berichteten wir uns gegenseitig davon. In langen Treffen versuchten wir, gemeinsame Projekte zu entwickeln. Wir alle waren viel unterwegs, besonders in der zweiten Hälfte des Jahres. Vier von uns waren
Die Yumendos im Sommer ‘07: Ruth, Yago, Nils, Joshua, Johanna, Samuel (v.l.n.r.)
änderten wieder alles, hatten ein Büro und trafen uns ständig mit verschiedensten Menschen. Ich hatte in der Zeit vor dem Beginn von YUMENDO immer dieses Bild von unserer 13. Klasse vor Augen: Es gibt ein Haus, viele Menschen, alte und junge, Lehrer und Schüler. Es gibt Räume, Ecken, Möglichkeiten, überall passiert etwas, alles regt sich oder ist still. Es ist ein Gewusel und Ruhe, eine Schule von morgen. Mittendrin stehe ich selbst, gehe meinen eigenen Fragen nach, alleine oder mit anderen, auf die Art und Weise, die ich für richtig halte, in dem Tempo, das ich wähle. Alles ist möglich, was dem Einzelnen nützt und hilft. Im Sommer 2006 stellten wir fest, dass wir YUMENDO noch einmal weiterdenken mussten. So ließen wir alle Strukturen und Formen, die wir bis dahin hatten, fallen. Nun hatten wir wirklich einen Freiraum. Ohne zu wissen, was am 2. Oktober sein würde, starteten wir YUMENDO am 1. Okto-
in Israel und Palästina, andere überall in Deutschland, in der Schweiz und Tschechien. Zusammen gingen wir freitags auf einem Bauernhof arbeiten. Wir hatten immer viele Besucher hier, im Frühjahr stieß noch jemand Neues dazu, und es gab eine Klein-Tagung. Doch immer blieben einige Grundfragen (-Aufgaben?), um die wir nicht herumkamen, so gut wir uns auch zu beschäftigen wussten: „Warum stehst du morgens auf?“ Wenn man nichts muss, kommen ganz neue Facetten der Freiheit zum Tragen. Was genau das Ergebnis YUMENDOs ist, ist das, was YUMENDO auszeichnet. Gebracht hat es uns nichts, wir mussten uns alles selber holen. Wir bieten keine neue Struktur an, keine neue Methode oder Lösung. Es gibt kein Ergebnis, das losgelöst vom Menschen betrachtet werden kann. Das Ergebnis sind wir, sechs jungen Menschen in einer Welt mit Problemen, die gelöst werden wollen.
TEXT: Nils Meister, Oktober 2008 www.blickwechsel-hamburg.de | 67
perspektive perspektive
Abitur ja – aber selber! methodos – Selbstbestimmtes lernen e.V. So nennt sich das Projekt einer Handvoll junger Menschen aus Freiburg, die voriges Jahr Abitur in Eigenregie gemacht haben.
Konzeptpapier, Sommer ‘07 Wir sind eine Gruppe von 10 jungen Menschen, die sere Lernfortschritte in direktem Bezug zu unserer sich nach 12 Jahren Schule dazu entschlossen haben, eigenen Realität stehen. ihre Abiturvorbereitung in die eigenen Hände zu Die Art und Weise des Lernens besteht einerseits nehmen und eine externe Prüfung abzulegen.Den aus der überwiegend selbstständigen Aneignung der rechtlichen Rahmen bildet die Schulfremdenprü- Inhalte und andereseits aus den struktuellen und fung zur allgemeinen Hochschulreife Baden-Württ- organisatorischen Pflichten, die die Verwirklichung embergs. Dieser Rahmen dieser Idee ermöglichen. ermöglicht uns, das VorZu diesem Zweck haben bereitungsjahr so zu gestalwir einen gemeinnützigen ten, wie wir es für sinnvoll Verein gegründet, Lehrhalten und unsere Idee kräfte, welche die fachliche Die Planungen für ein weiters Jahr methoeiner zeit- und altersgeBegleitung übernehmen, dos haben bereits begonnen. Interessenten mäßen Schule umzusetzen. engagiert, eine Kalkulation gibt es von allen Seiten – Schüler, Lehrer, Die Idee ist ein Abiturjahr, zur Deckung der Kosten Eltern. Methodos soll auch in Zukunft eidas uns in die Selbststänerstellt und einen Lehrplan nen Rahmen bieten – einen Rahmen, in digkeit und Unabhängigerarbeitet. Der Kerngedem junge Menschen aus Eigeninitiative keit führt; das uns lehrt, danke ist dabei die Eigenbegeistert lernen können. Verantwortung zu überverantwortung der Lernnehmen für uns selbst, für gruppe, die Lehrer und Das erste Jahr methodos hat gezeigt, dass andere und für unser Ziel Experten im Wesentlichen die Idee realisierbar ist – aber auch, dass – eine echte Reifeprüfung. als Berater heranzieht. das Potential des Projektes noch nicht voll Die Fähigkeit, selbstNach diesem Projekt ausgeschöpft wurde. bestimmt und unabhängig hoffen wir, Selbstständigzu lernen, begreifen wir als keit, Eigenverantwortung, Nächstes Jahr kann methodos auf den ErBedingung für eine aktive Sozialkompetenz und fahrungen von Schülern und Lehrern aufLebensgestaltung und MitTeamfähigkeit erworben bauen und weiterentwickelt werden – und gestaltung des gesellschaftzu haben, die es uns mögwird doch ein Projekt bleiben, das von Einlichen Lebens. Wir streben lich machen, weit stärker zelnen gestaltet wird. eine Ausbildung an, die als üblich in Universität nicht nur Fachwissen verund Betrieb, bei sozialen Wenn Du Interesse hast, bei methodos einmittelt, sondern uns auch oder kulturellen Einrichzusteigen, dann melde dich doch bei uns in den Stand versetzt, eine tungen unsere Aufgaben unter: vage Wunschvorstellung in in selbständiger, kreativer Form eines Projektes Reaund verantwortungvoller methodos@web.de lität werden zu lassen. Form zu verwirklichen. Um dorthin zu komMethodos ist ein Anfang, men, nehmen wir alle der, wenn er gelingt, zum Aufgabenbereiche, die einen gewöhnlichen Schul- Impuls werden kann. Für eine Bildung, die zur organismus – von Schülern unbemerkt – begleiten, Selbstständigkeit und Eigenverantwortung erzieht. in die eigene Hand – mit der Konsequenz, dass un- Über dieses Jahr hinaus ...
METHODOS II. AKT
Rückblick, Blogeintrag vom 01. Juli 2008. Nachdem die mündlichen Prüfungen vorüber sind geht es für uns alle mit verschiedenen Ergebnissen in die vielseitige Offensive, auch genannt: das Leben. Unsere Ergebnisse liegen allesamt zwischen den Endnoten 3,6 und 1,0, wobei ausnahmslos alle aus der Gruppe alles aus sich heraus geholt haben und ein persönlich hervorragendes Ergebnis vorweisen können. Mit einem Gruppenschnitt von 2,3 liegen wir im ähnlichen Bereich wie die Freiburger Gymnasien. Die Analyse jedes Einzelnen durch die Abitur-Benotung zeichnet nur teils das Bild seiner wirklichen Fähigkeiten. Die vielen Strapazen der letzen Zeit vor und während den Prüfungen haben die Gruppe und jeden Einzelnen sehr herausgefordert. Wir haben acht Fächer gleichzeitig vorbereitet und uns darin noch mit sehr vielen neuen Themen beschäftigen müssen. Und auch wenn es den Kontakt zu den Prüfern gab, unterscheidet sich die Vorbereitung zur staatlichen Schule im Wesentlichen durch die fehlende Kenntnisse zwischen Prüfer und Prüflingen. Anfang diesen Jahres waren wir noch zehn Junge Leute, die sich auf das Abitur vorbereiteten. Gegen Ende hat sich die Gruppe auf acht Leute reduziert – zwei sind ohne die Hochschulreife aus diesem Jahr gegangen. Die Gründe dafür lagen bei den Beiden selbst und sind nicht durch die Gruppe entstanden, die sich sehr für jeden Beteiligten engagiert hat und darum bemüht war, die Interessen der Einzelnen zu berücksichtigen und zu integrieren.
wieder meistern mussten. Um diese zu überwinden haben wir gemeinsam all unsere Energie und Engagement gegeben. Genau darin liegt der „Wert“ und der Gewinn dieses Jahres, auf den jeder, unabhängig von seiner Note, stolz sein kann. Aber es sind nicht nur wir „Lernenden“, die stolz auf die von ihnen geleistete Arbeit und das Engagement sein können, sondern auch die Lehrer, Sponsoren und all die Anderen, die dieses Projekt unterstützt haben. Der Öffentlichkeit ist freigestellt, wie sie mit den Ergebnissen und Erfahrungen dieses Projektes umgeht. Für uns steht fest, dass wir mit diesem Jahr das erreicht haben, was wir uns gewünscht haben.
Als externer Abiturient muss man auf alles gefasst sein. Ich selbst kann sagen, dass ich aus den Problemen und Möglichkeiten von methodos Chancen gemacht habe, die mir Grundlagen und Fähigkeiten des Gruppen-und Selbstbewusstseins und der Selbstständigkeit verliehen haben. Damit auch andere Menschen von diesen Erfahrungen profitieren können, sind wir dabei das Projekt auf die nächste Generation vorzubereiten und mit einer Dokumentation alles zu beleuchten und zu beschreiben, wo wir auf Probleme, Fragen und Erfolge gestoßen sind und wie wir gelernt haben damit umzugehen. Den Erfahrungen mit
Abi in Eigenregie: Lillian, Miriam, Lena, Alwin, Jon, Simeon, Lenya, Alex, Paolo und Milena (v.l.n.r.)
Auch wenn es sehr schade ist, dass nicht alle zehn mit dem Abitur aus diesem Jahr gehen, so bleibt den beiden ohne Hochschulreife-Zeugnis immer noch das methodos-Zeugnis, und das ist eine Erfahrung, die einem Keiner mehr wegnehmen kann. Ich denke, dass wir uns alle über die hohen Anforderungen des externen Abiturs im Klaren waren und die Hürden gespürt haben, die wir auf dem Weg dorthin immer
den Lern- und Unterrichtsmethoden im Dialog von Lehrer und Schüler und in der Zusammenarbeit einer Gruppe von Menschen soll ein wichtiger Teil gewidmet werden. Die Arbeit an dieser Dokumentation wird einige Zeit in Anspruch nehmen und vermutlich erst Anfang 2009 reif sein sie zu veröffentlichen.
TEXT: Paolo Lau www.blickwechsel-hamburg.de | 69
AUSBLICK / KALENDER
Schülertagung 13. WaldorfSV Tagung 14.-16. November `08 Berlin-Kreuzberg info@waldorfsv.de www.waldorfsv.de
Theater Reineke Fuchs 12. .Klasse der RSS Hamburg-Bergstedt 28. & 29. November ‘08 jeweils um 20 Uhr
Theater
Lady Windermeres Fächer 12. Klasse der RSS Hamburg-Nienstedten 28. / 29. / 30. November 08 jeweils um 20 Uhr
Demokratie? Jugendparlament Hansestadt Hamburg 14.-28. November 2008 Anmeldeschluss: 10.11.2008
X-Mas Weihnachtsmann Coca Cola Company Haus | Hof | Regal 2. April bis 23. Januar ganztägig
Ergebnis Schule: Abschluss? Wir wollen uns mit verschiedenen Vorträgen und Diskussionen wieder dem zentralen Thema Abschluss widmen. Was bedeutet Abschluss eigentlich? // Wie muss ein Abschluss aussehen? // Wozu und womit schließe ich ab? // Welche alternativen Formen gibt es? Zum anderen werden sich am Rande einige Initiativen und Organisationen vorstellen sowie eine Stellungnahme zum „Schwarzbuch Waldorf“ erarbeitet werden. Wir laden Euch also herzlichst nach Berlin ein. Gastgeberschule wird die Freie Waldorfschule Kreuzberg sein.
Reineke Fuchs – Bergstedt „Reineke Fuchs“ ist zweifellos eine der umstrittensten Figuren in der Geschichte des deutschen Theaters. Die einen bewundern, andere verabscheuen, wieder andere belächeln ihn. In Michael Bogdanovs zeitgemäßer Fassung, die aufgeführt werden wird, bleibt das Grundschema der überlieferten Geschichte – die Schilderung eines Gerichtsverfahrens in zwei Teilen – bestehen. Die List, mit der der Fuchs seine Feinde gegeneinander ausspielt, ist zeitlos und regt zum Nachdenken an.
Lady Windermeres Fächer - Nienstedten Lady Windermere ist eine junge Frau des 19. Jahrhunderts, deren puritanische Ideale durch die Ankunft einer ihr unbekannten Mrs. Erlynne zutiefst erschüttert werden. Sie weiß nicht, dass diese ihre Mutter ist und bezichtigt ihren Mann des Fremdgehens. Beide, ihr Mann und Lady Erlynne, tun alles, um die Wahrheit nicht ans Licht zu lassen. So entsteht eine kurzweilige Komödie. Wir laden herzlich zu dem ungefähr anderthalbstündigen Vier-Akter ein!
Jugend im Parlament 2008 Die Hamburgische Bürgerschaft lädt Jugendliche zwischen 15 und 21 Jahren ein, fünf Tage lang Politik auszuprobieren. Es wird die Möglichkeit geboten, aktuelle Einblicke in die Hamburger Politik zu gewinnen, sie zu verstehen und sich einzubringen. Weitere Informationen: www.hamburgische-buergerschaft.de
Ein Fest unterm Tannenbaum Kaum ist der Osterhase aus dem Regal verschwunden tritt „Er“, das rot-weiß tragene Männchen in Erscheinung: Der Weihnachtsmann. Zusammen mit Lebkuchen und in Kooperation mit Coca Cola stürmt er singend un die Glöckchen schwingend durch Haus und Hof. Er ist Überall und immer da. Frei nach dem Motto: Big Bother is watching you. P.S.: Freuen wir uns auf die weihnachtsmannfreie Zeit zwischen 23. Januar und 2. April.
Im Vordergrund steht bei diesem Workcamp das Aufbauen einer Schule in Morogoro. Dabei haben wir das Vergnügen, mit den Kindern sowie ihren „uncles and aunties“ (ihren Lehrern und Lehrerinnen) vom „Elu Children Care“ Bekanntschaft zu schließen und den Gründer der Schule, Erasto Luanda, kennenzulernen. Weiter werden wir an den Wochenenden die Möglichkeit haben, durch Trips in die nahe gelegene Umgebung etwas über die vielfältige Natur Tansanias zu erfahren. Wir werden selber einkaufen und kochen. Zum Schlafen und Essen steht uns ein einfaches, aber gemütliches Hostel in Morogoro zur Verfügung. Da auch die „Erholung“ nicht zu kurz kommen soll, können wir zum Schluss in Daressalam noch ein wenig Sonne, Strand und Meer genießen.
Rostock – Jugendpresse in Aktion Mach mal leiser ... schalt mal das Gedudel ab ... was ist das denn für Musik ... die Nachrichten sind so öde ... Nörgler? Mach bei uns dein eigenes Radioprogramm und finde heraus, warum es so schwer ist, jedem seine Meinung recht zu machen. Du wirst sehen: bei uns zählt jeder einzelne Musiktitel und jeder journalistischer Beitrag. Beim Seminar hast du die Gelegenheit, das Rostocker Lokalradio LOHRO mal von Innen anzuschauen. Wir werden sehen, welche journalistische Arbeit hinter einem Nachmittagsprogramm steckt. Wir werden zeigen, dass beim Radio die Musik nur eine untergeordnete Rolle spielt. Du erlernst von professionellen Radio-Machern die praktischen und theoretischen Grundlagen der Arbeit hinterm Mikro. Mit allen gestalterischen Mitteln erstellst du unter Anleitung einen Radiobeitrag mit einem Thema deiner Wahl. Und wer weiß, vielleicht gehst du sogar gleich bei LOHRO auf Sendung?
Gastfamilie werden Als Gastfamilie gibt man einem ausländischen Jugendlichen die Möglichkeit, eine ihm fremde Kultur kennen zu lernen. Im Alltag, in Gesprächen, bei gemeinsamen Unternehmungen wird ihm die unbekannte Welt allmählich vertrauter und verständlicher. Gleichzeitig lernt man eine neue Kultur hautnah kennen - und kann auch die eigene Kultur oft noch einmal aus einem ganz anderen Blickwinkel betrachten. Die Gastfamilie nimmt den Gastschüler wie ein Familienmitglied auf Zeit auf - mit allen Rechten und Pflichten. Für den Schüler ist der Aufenthalt kein Urlaub und auch keine Sprachreise, sondern eine Kulturerfahrung, die er am besten im Alltag machen kann. Schüler und Gastfamilie werden von ehrenamtlichen und hauptamtlichen Mitarbeitern betreut und durch das Jahr begleitet.
Reisen heißt leben lernen Die Jahre der Schule liegen vielleicht bald hinter dir und du willst dann erst mal raus! Unser 4-monatiges Projekt besteht aus drei Teilen. Es beginnt mit einer 10-wöchigen Reise. In den anschließenden 6 Wochen wird sich aus einer Umsetzungsphase der neuen Erfahrungen und Erlebnisse, die ihr auf der Reise gemacht habt, eine intensive Zeit der Orientierung für Ausbildung und Beruf ergeben. Nach den 16 Wochen Reise und Orientierung gibt es im Folgehalbjahr 4 Wochenend-Nachtreffen. Das 4-monatige Projekt startet zweimal pro Jahr: jeweils Ende August und Ende März.
Workcamp Workcamp Tansania 28. März – 19. April 09 Kosten: 250 Euro workcamp@idem-network.org www.eluchica.org Anmeldeschluss: 14.01.09
Radioseminar Jugenmedienverband MacPomm (jmmv) 21.-23. November 2008 Kosten: 23 Euro Anmeldeschluss: 6.11. www.jmmv.de tom@jmmv.de
AFS AFS Regionalbüro Nord Friedensallee 48 22765 Hamburg Tel.: 040-399 222 90 Fax: 040-399 222 49 regionalbuero-nord@afs. org
AUSBLICK / KALENDER
Tansania
Jugendseminar Schorenstraße 2 D-78234 Engen www.jugendseminarunterwegs.de info@jugendseminarunterwegs.de
projektverzeichnis
Jugendsektion YouthSection Dorneckstrasse 1 4143 Dornach Switzerland 0041 - 61 - 706 43 91 mail@youthsection.org
NOYA c/o Thomas Loeding Allensteiner Weg 2 37083 Goettingen 0551-9955145 info@no-ya.de
INWO
INWO Deutschland e. V. Sambach 180 96178 Pommersfelden 09502 - 924740 versand@INWO.de
idem
IDEM Deutschland Tackenstr. 24 46539 Dinslaken 0201 - 958 70 30 mail@idem-network.org
am Goetheanum Die Vision der Jugendsektion ist, eine Welt zu ermöglichen, die eine Entwicklung des Potentials und der Kreativität jedes jungen Menschen bis zu seiner vollen Größe und Brillanz unterstützt und ermöglicht. Die Jugendsektion ist eine Plattform für junge Menschen aus der ganzen Welt, die ihre inneren und äußeren Verbindungen zur Welt erleben wollen. Als internationale Organisation veranstaltet die Jugendsektion Tagungen, Seminare, Studiengruppen und Forschungsprojekte über Themen, die in der heutigen Zeit die Jugend bewegen. Sie hat ein Internationales Büro am Goetheanum in Dornach, Schweiz, sowie viele regionale und nationale Büros auf der ganzen Welt.
Eine andere Welt ist nötig Wir verstehen uns als ein Netzwerk junger aktiver und aktiv werdender Menschen, die neoliberal gestaltete Globalisierung kritisieren und für eine ökologisch und sozial gerechte Welt streiten. Wir drücken unseren Protest auf vielfältige Weise aus und halten gewaltfreien zivilen Ungehorsam in bestimmten politischen Situationen für legitim und notwendig! Wir wollen die Vielfalt der jungen globalisierungskritischen Bewegung zusammenbringen: Zum Austausch und zur Diskussion, zu gemeinsamen Aktionen und Kampagnen – weil wir alle zusammen stärker sind als alleine.
Geld neu denken Die „Initiative für Natürliche Wirtschaftsordnung“ (INWO e.V.) ist ein gemeinnütziger Verein mit politischem Bildungsauftrag. Ihr Ziel ist es, einer möglichst großen Öffentlichkeit Ideen zur Gestaltung eines gerechten und stabilen Geldsystems und einer gerechten und effizienten Bodenordnung zugänglich zu machen. Diese Ideen sind grundlegend für eine faire, von kapitalistischen Verwerfungen befreite Wirtschaftsordnung – eine FAIRCONOMY. Sie ermöglicht Rahmenbedingungen für ein selbstbestimmtes Leben in Freiheit, Würde und Gerechtigkeit.
identity through inititative Ziel von IDEM ist es, junge Menschen zu unterstützen, in der globalen Welt aktiv zu werden. Jeder Mensch hat das Potential, einiges zu verändern, Impulse zu setzen und soziale Initiativen zu starten. Aber den ersten Schritt in Richtung Initiative zu machen, ist gar nicht so einfach, auch wenn der Wille da ist. Es gibt so viele Herausforderungen und Problemfelder. Welche bloß annehmen? Weniger die Vermittlung an große Organisationen steht im Vordergrund als vielmehr die Unterstützung der eigenen Initiativen. Das Umsetzen der eigenen Idee in ein konkretes Projekt ist IDEMs zentrales Arbeitsgebiet.
hubi probt
Mission 3 Einwandern Zu unserem schmucken Titelthema drängte sich Hubi in seiner Eigenschaft als letzte Instanz nun die Frage auf, wie kann man Schule nochmal auf die etwas andere Art aufs Korn nehmen? Um es kurz zu machen, lassen wir an dieser Stelle die exakte Beschreibung der ungestümen Orgien und das überdosierte Stimulieren des Geistes, durch etliche nicht jugendfreie Substanzen beiseite. Der Versuch, der Muse einen Kuss ihrer Inspiration zu entlocken, missglückte!
Wie schon in der Einleitung anklang, waren meine Bemühungen nicht von repräsentablem Erfolg gekrönt, weswegen ich mir die Freiheit erlaubte, den Begriff noch etwas freier zu fassen und mich unseren lieben Emigranten zuzuwenden. Unsere mehr oder weniger missverstandenen Nachbarn aus aller Herren Länder kommen bei Bildungsfragen ja in noch größere Schwierigkeiten als so mancher, dessen Mutter aller Sprachen die Deutsche ist – oder etwa nicht? Zu meinem Erstaunen erfuhr ich nämlich, dass dem geschätzten Zuwanderer gleich zu Beginn seines beabsichtigt längeren Aufenthaltes in unserer Bundesrepublik die einmalige Chance geboten wird, sein Wissen unter Beweis zu stellen. Und das mit Hilfe eines umfangreichen, sehr umfangreichen Fragebogens. Denn wer die deutsche Staatsangehörigkeit erwerben möchte, muss künftig einen Einbürgerungstest bestehen. Der Test besteht aus 33 Fragen zu Demokratie, Geschichte und Gesellschaft, für jedes Bundesland gibt es zehn weitere Fragen. Wie heißt die deutsche Verfassung? Wie viele Bundesländer hat die Bundesrepublik? Was ist die Aufgabe der Polizei? Zu einer Frage nach einem Bild der Kreidefelsen auf Rügen von Caspar David Friedrich sagte selbst Literatur- und Fernseh Kritiker Marcel ReichRanicki: „Ein schönes Bild, ja. Aber muss man das wissen?“ Die Fragen seien zu kompliziert. Im Prinzip sei das Verfahren mit dem Fragebogen allerdings nicht falsch. „Das ganze Verfahren ist wohl genauso sinnvoll, wie der Fragebogen, den man ausfüllen muss, wenn man den Füh-
rerschein haben will. Niemand beherrscht alle Verkehrsregeln, aber die meisten Menschen bestehen die Prüfung, weil sie vom Fahrlehrer entsprechend vorbereitet wurden.“ Nun konnte ich solch harte Anschuldigungen an den Staat natürlich nicht auf sich beruhen lassen und habe diesen ominösen Test ausfindig gemacht, in die Enge getrieben und schließlich von einigen mehr oder weniger Freiwilligen absolvieren lassen. Als erstes musste selbstverständlich die unmittelbare Umgebung als Probandin herhalten, eine seit 26 Jahren in Deutschland lebende Österreicherin. Sie fiel glatt durch den Test und war ob dieses Resultates dermaßen pikiert, dass ich erst nach Androhung schlimmster Folter (plattdeutscher Lieder und Kulturabend) die Ergebnisse einsehen durfte. Der schwerhörige muslimische Kaufmann (geschätzte 2153 Jahre alt) fiel ebenso durch, wie die zwei Gymnasiasten (11. und 8. Klasse). Angesichts dieser Fragen, an denen sich die breite Volksschicht die kariesverseuchten Zähne ausbeißt, sollten wir anfangen, uns über Sinn und Zweck der Übung langsam klar zu werden. Mein persönliches Fazit und Vorschlag zur endgültigen Lösung des Bildungsproblems: Entleerung! Dieser Leertätigkeit werde ich nun mit Freuden nachgehen. Bis zum nächsten Mal Euer
Mitarbeit an dieser Ausgabe:
Alexander Repenning Benjamin Hohlmann Christopher Gade Cornelius Müller Daniel Schmidt Fiorina Brotbeck Florian Lück Friedel Reinhardt Jakob Schäfer Jamila Al-Yousef Lena Sternberg Marie Harmsen Marie Jordan Mona Doosry Moritz Brinkmann Nele Rebentisch Niels Meister Simon Berg Stephan Töllner
David Kurth *1990
Hannah Zewu-Xose *1992
Ex Schule: Bergedorf Job: Layout kurthie@hotmail.com
Schule: Wandsbek Job: Blickkultur Hannah.zx@gmail.com
Hubertus Schwarz *1990 Schule: Bergstedt Job: Hubi probt!
hubertus.schwarz@gmx.de
Ein großer Dank geht an:
Gemeinnützige Treuhandstelle Hamburg (GTS) e.V., Landes-Arbeits-Gemeinschaft der Hamburger Waldorfschulen, Rudolf-Steiner-Haus Hamburg, Annette Bopp (Unterstützung bei der Schlussredaktion) Sowie an alle Menschen, die mit Ihrem Zutun dazu beigetragen haben, dieses Projekt zu ermöglichen.
Kim-Fabian von Dall‘Armi *1989
Inga Schulz *1991
Schule: Wandsbek Job: Chef, Titelthema, V.i.S.d.P. vondallarmi@gmail.com
Schule: Altona Job: Einblick inga.schulz@online.de
Isabella Bopp *1991
Schule: Wandsbek Job: Leichte Lektüre isabella@annettebopp.de
Impressum Wer ist Wer
Lukas Stolz *1991
Schule: Wandsbek Job: Chef, Gesellschaft lukas.vancouver@gmail.com
BLICKWECHSEL persönlich.
Lila-Zoe Krauß *1994 www.blickwechsel-hamburg.de info@blickwechsel-hamburg.de c/o Rummelsburger Str. 78, 22147 Hamburg Druck Drucktechnik Altona www.drucktechnik-altona.de
Schule: Wandsbek Job: Neuling yarilila@hotmail.com
74 | Blickwechsel No. 3 | November 2008
Schule: Bergedorf Job: Schreiberling blickwechsel-pia@web.de
Schule: Nienstedten Job: Grenzgänger nina_5765@yahoo.de
Kontodaten BLZ: 200 505 50 Kto. Nr. 1232411023 Kontoinhaber: Simon Berg Blickwechsel ist eine nichtkommerzielle, unabhängige Jugendzeitung. Die Zeitung finanziert sich nicht durch Werbung, sondern über Fördergelder und Spenden sowie den Verkauf. Blickwechsel erscheint bis zu 4mal im Jahr bei einer Auflagenstärke von 1000 Stück.
Pia Dombrowski *1991
Nina-Marie Kühn *1991
Carlotta Strauß *1989
Schule: Bergstedt Job: Lyrik carlotta@huettche.de
Katharina Gerszewski *1991 Schule: Altona Job: Einblick globalnormal@arcor.de
Anna Petersen *1991
Schule: Wandsbek Job: Dichterin anna.marit.petersen@gmail.com
Mein Wort Das tote Hingeworfen aufs Blatt Vergessen, verstaubt Ich nehme es liebkose es ertaste es. Ich f체hle seine Tr채ume Und singe sein Gesicht Leben. Isabella Bopp
Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen. Imanuel Kant
Lasst euch die Bildung nicht durch die Schule versauen. Mark Twain