978 3 86906 653 0 leseprobe issuu

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edition monacensia Herausgeber: Monacensia Literaturarchiv und Bibliothek Dr. Elisabeth Tworek


Detlef Seydel

»Verdammt! Liebe Josephine, ich liebe dich« Albert Langen und Josephine Rensch – neu aufgefundene Lebenszeugnisse


Weitere Informationen über den Verlag und sein Programm unter: www.allitera.de

til Erik Reintz

September 2014 Allitera Verlag Ein Verlag der Buch&media GmbH, München © 2014 für diese Ausgabe: Landeshauptstadt München/Kulturreferat Münchner Stadtbibliothek Monacensia Literaturarchiv und Bibliothek Leitung: Dr. Elisabeth Tworek und Buch&media GmbH, München Umschlaggestaltung unter Verwendung der Fotografie Josephine und Albert im Gartenzimmer, Mandlstraße 3a, in München, Kunst-Anstalt Rehse, um 1908 Printed in Europe · isbn 978-3-86906-653-0


Inhalt Vorwort: Thomas Raff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 Einführendes Warum dieses Buch? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Findgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Der Nachlass von Josephine Rensch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Kapitel 1 »Durch zarte Hand zum Kaufmannsstand« – Familie Langen 19 1.1 Großeltern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

19

1.2

Eltern und Geschwister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

20

1.3 Albert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

28

1.4

36

Alberts Söhne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Kapitel 2 »Die bedauernswerten Alten, die zu Hause sitzen, und wir alle verlassen sie« – Familie Rensch . . . . . . . . . . . . . . . 41 2.1

Eltern und Geschwister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

42

2.2 Josephine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

57

Kapitel 3 »… daß Albert einen Menschen gefunden hatte, der die Fähigkeit besaß, sich selbst zu vergessen« – Josephine und Albert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 3.1

Nach New York auf der »König Albert« . . . . . . . . . . . . . . . . . .

70

3.2

In München und anderswo . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

77


Kapitel 4 »Unter dem Balkon rauscht der helle Fluss« – Das Haus Mandlstraße 3a . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 4.1

Im Inneren des Hauses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

90

4.2

Auf den Terrassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

97

4.3

Garten mit Pavillon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112

Kapitel 5 »Ich reise jetzt nur noch im Automobil, da gibt’s keine Entfernungen mehr« – Automobilismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 Kapitel 6 »Wir haben uns zu 3 Monaten Florenz verurteilt« – Reisen und Ausflüge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 6.1 Grindelwald . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 6.2

Innsbruck (Juni 1906) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136

6.3

Schwabinger Eisbach (Herbst 1906) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138

6.4

Bologna – Florenz – Fiesole (Frühjahr 1907) . . . . . . . . . . . . . . . 142

6.5

Tegernsee (Sommer 1907) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148

6.6

Törwang-Samerberg (Sommer 1907) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149

6.7

Nordlandfahrt auf der »Meteor« (August 1907) . . . . . . . . . . . . 152

6.8

Tegernsee (Sommer 1908) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163

6.9 Pinswang (Sommer 1908) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 6.10 Straßburg-Nancy-Paris (Herbst 1908) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 6.11 Kitzbühel (Januar 1909) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 6.12 Fahrten »ins Blaue« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 Kapitel 7 »Meine liebe, sehr liebe Freundin« – Freunde, Besucher, Briefpartner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 7.1 Grete und Olaf Gulbransson . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 7.2

Dagmar von Bülow . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198

7.3

E. Paul . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201


7.4

»Die Dame vor dem Sofa« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205

7.5

Bertha Geheeb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221

7.6

Auguste, Marianne und Rudolf Sieck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224

7.7

Martha und Ruth Lilie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230

Kapitel 8 »Und so ein Frühling muss er sterben!« – Alberts letzte Tage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 Kapitel 9 »Neue Ziele / Neue Gefühle / Neue Riegel / – Flügel – Flügel!« – Josephines Jahre nach Alberts Tod . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251

Anhang Stammbäume (Langen/Rensch) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 Zeittafel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 Editorisches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 Offene Fragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 Internetquellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 Abbildungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 Danksagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282



Fy fan! Kjære Josephine jeg elsker dig (Verdammt! Liebe Josephine, ich liebe dich) Postkarte in norwegisch von Albert Langen an Josephine Rensch in Bad Aibling, 18. Juni 1906

Vorwort So wie das Staunen – nach Platon – den Anfang aller Philosophie bildet, so steht der Zweifel am Anfang allen Forschens. Viele Jahre lang beschäftigte sich Detlef Seydel mit der illustrierten Wochenschrift Simplicissimus und mit der Biografie ihres Verlegers Albert Langen. Nach und nach entdeckte er manche bis dahin unbekannte Einzelheiten und stellte neue Zusammenhänge her. Eines Tages stolperte er über einige Fotografien, die zwar schon gelegentlich publiziert worden waren, deren bisherige Deutung ihn aber nicht überzeugte. Die Fotografien zeigen Albert Langen in verschiedenen Kombinationen mit einer etwas rundlichen jungen Frau unbekannter Identität. Zwar wurde gelegentlich behauptet, es handle sich bei ihr um Langens Ehefrau Dagny, geborene Bjørnson, aber das war wenig überzeugend, weil diese ein ganz anderer Menschentyp war. Nun bot sich zwar der Verdacht an, die unbekannte junge Frau könnte Josephine Rensch, Langens Geliebte seiner letzten Lebensjahre, sein. Aber wie ließe sich dieser Verdacht erhärten? Der bisherigen Literatur über Albert Langen war über diese Frau so gut wie nichts zu entnehmen, vor allem nicht, wie sie aussah. Detlef Seydel ist ein Jagdhund: Jeder noch so geringen Spur geht er nach. So lernt er Nachfahren Albert Langens kennen und schätzen. Aber auch die wissen nichts über die ominöse Josephine. Indes, wie es so geht: Jemand kennt jemanden, der jemanden kennt und so weiter. Und Detlef Seydel nimmt Witterung auf. Es dauert nicht lange, so stößt er auf einen Großneffen von Josephine Rensch, der – oh Wunder – bis heute den gesamten Nachlass seiner Tante hütet und bewahrt! In einem kleinen Dorf, irgendwo in Norwegen, ein ganzes Haus voller Erinnerungsstücke. Briefe, Fotografien, Zeichnungen, Möbel, Kleidung. Nicht gerade nach den Grundsätzen eines Museums oder öffentlichen Archivs geordnet, aber doch vorhanden. Und noch kaum je gesichtet.

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Mit größter Akribie bearbeitet Seydel nun den Nachlass, ordnet die Briefe, lässt sich norwegische Texte übersetzen und macht sich Gedanken über den Inhalt von Fotoalben und Adressbüchlein, von gewidmeten Büchern und Zeichnungen. Ein sehr bewegtes, fast abenteuerliches Leben entfaltet sich nach und nach vor seinen Augen – und durch diese Publikation nun auch vor den Augen des Lesers. Aber der Nachlass bietet eben nicht nur neue Informationen zu Josephine Rensch, sondern auch zu Albert Langen. So werden einige seiner berühmten Porträtfotografien neu datiert, andere erstmals bekannt gemacht. Die Familie von Josephine Rensch wird ausführlich vorgestellt, ihre Eltern und Geschwister, ihre Neffen und Nichten (sie selbst blieb kinderlos), ihre Stellung als Haushaltshilfe bei den alten Bjørnsons in Aulestad und dann beim jungen Ehepaar Langen im Pariser Exil. Viele Reisen, alleine oder mit anderen Personen, auch mit Albert Langen, lassen sich rekonstruieren, meist mit sehr genauen Zeitangaben. Der Erwerb des Hauses an der Schwabinger Mandlstraße und das Zusammenleben darin werden anschaulich, sowohl durch Schilderungen von Zeitgenossen als auch durch Briefe und Fotografien im Nachlass. Ganz neu sind Fotografien, die das Innere des Hauses Mandlstraße 3a zeigen. Aber auch über den engeren Kreis des Liebespaares Langen-Rensch hinaus lassen sich einige neue Erkenntnisse gewinnen: Das reale Vorbild von Olaf Gulbranssons Titelzeichnung für die Zeitschrift März taucht auf, bisher unbekannte Gulbransson-Zeichnungen, Details der Hochzeitsreise von Ludwig und Marion Thoma, das Privatleben des Malers Rudolf Sieck und manches mehr. Detlef Seydel kombiniert in gründlicher und kritischer Weise die verschiedenen Quellen, sowohl die aus dem von ihm entdeckten Nachlass als auch die öffentlich in den Archiven oder im Internet zur Verfügung stehenden, vor allem die polizeilichen Meldebögen des Münchner Stadtarchivs, das amtliche Münchner Adressbuch, das ausführliche Tagebuch von Grete Gulbransson, aus dem er viele bisher noch nicht publizierte Passagen zitiert und vieles andere. Da die Fotografien nicht immer genau beschriftet sind, erheben sich gelegentlich schwierige Fragen, die fast immer beantwortet werden: Wo gab es ein Café »Reininghaus«? Vor welcher Kirche steht Marion Thoma? Wo liegt das Hotel »Les Lunes«? Die vielleicht faszinierendste Recherche bezieht sich auf eine unbekannte »Dame vor dem Sofa«, die zusammen mit Albert Langen und Josephine Rensch fotografiert wurde. Über Vermutungen und Hypothesen, eine französische Autobiografie und – natürlich – einen

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Brief aus dem Nachlass Rensch kann Seydel diese Person identifizieren, die dann auch noch bei den Eltern von Stefan Georges »Maximin« (Maximilian Kronberger) in der Nikolaistraße 9 zur Untermiete gewohnt hat. Mit diesem Buch geht es einem wie bei einem mittelalterlichen Mosaik: Wenn man zu nahe herangeht, erkennt man zwar die Steinchen und die Machart, aber nicht mehr das Bild. Erst wenn man den richtigen Abstand wählt, entstehen faszinierende Einblicke in die Schwabinger Boheme und ihre internationalen Verbindungen zu Beginn des 20. Jahrhunderts. München, Mai 2014 Prof. Dr. Thomas Raff

Einführendes Warum dieses Buch? Ende Februar 2010, Albert Langen war gut 100 Jahre tot, konnte ich in der Münchner »Seidlvilla« eine kleine Ausstellung »Albert Langen und der Simplicissimus« zeigen. Zu sehen waren Dokumente und Materialien, die ich im Laufe einiger Jahre gesammelt hatte. Wenige Leihgaben steuerten die Monacensia. Literaturarchiv und Bibliothek der Stadt München und die Staatliche Graphische Sammlung München bei. Von der Monacensia kam auch der Abzug einer Fotografie aus dem Nachlass Ludwig Thoma. Auf der Rückseite der Fotografie war handschriftlich notiert: »Bei Sonnenschein am Sonntag d. 4. November 1906«. Man sieht auf dem Bild eine Frau, eng flankiert von zwei Männern. Ihr zur Linken Albert Langen, rechts hakt sie sich beim damaligen Hauptschriftleiter des Simplicissimus Reinhold Geheeb ein. Wer die Frau ist, konnte ich damals nur vermuten. Auf das erklärende Kärtchen schrieb ich »Dagny Bjørnson-Langen [?]«.1 Zu dieser vorsichtigen, aber eigentlich ganz unbefriedigenden Annahme hatten mich Vergleiche mit anderen Fotografien veranlasst. So finden sich etwa im großen Katalog zur Ausstellung »Schwa Dagny Bjørnson-Langen war Albert Langens Ehefrau, von der er allerdings, wenn das Datum auf der Rückseite des Fotos stimmt, zu dieser Zeit schon neun Monate offiziell getrennt war.

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bing – Kunst und Leben« des Münchner Stadtmuseums (Bauer 1998) auf den Seiten 26 und 27 zwei Fotografien, auf denen offensichtlich dieselbe Frau wie auf der Ausstellungsfotografie zu sehen ist, die einmal (Abbildung 14) als »seine Frau Dagny, geborene Björnsson [sic!]« und einmal (Abbildung 15) als »seine Frau« bezeichnet wird. Die Vorlage für Abbildung 15 wird in der Monacensia. Literaturarchiv und Bibliothek der Stadt München aufbewahrt. Dort ließ ich mir (leider erst nach meiner Ausstellung) Vorder- und Rückseite der Fotografie scannen und fand auf der Rückseite die überraschende Notiz: »Albert Langen mit Josephine«. Das rüttelte erheblich an meiner bisher vermuteten Zuordnung. Allein, es blieb bei diesem einzigen veröffentlichten fotografischen Beleg. Josephine Rensch wird in der Langen-Literatur zwar erwähnt,2 aber nicht abgebildet. Auch Grete Gulbransson3 nennt sie mehrfach in ihren Tagebüchern; doch in der reich illustrierten, von Ulrike Lang herausgegebenen Edition (Lang 1998) dieser Tagebücher findet sich ebenfalls keine Fotografie von Josephine Rensch. Die Bedeutung Albert Langens als Verleger ist in der Literatur gründlich abgehandelt. 4 Wer sich jedoch für den Menschen Albert Langen interessiert, trifft früher oder später auf Josephine Rensch, zu der sich die Literatur kaum (und wenn, dann falsch) äußert. Warum wird Josephine Rensch verschwiegen? Vermutlich, weil sie von Langens Ehefrau Dagny Bjørnson überstrahlt wird. Dagny ist schon allein als Tochter des großen Norwegers Bjørnstjerne Bjørnson interessant und archivalisch gut belegt.5 Josephine ist die Tochter eines Vorarbeiters in einer kleinen Kleiderfabrik, der nebenbei etwas Landwirtschaft betreibt. Dagny ist als Persönlichkeit dominant 6 und auch publizistisch aktiv,7 während Josephine eher bescheiden hinter Albert Langen zurücktritt. Doch mindert das die Bedeutung von Josephine Rensch? Immerhin war sie etwa sechs Jahre lang die Frau an der Seite Albert Zum Beispiel bei Abret 1993 und Abret/Keel 1987. Grete Gulbransson (geb. 31. Juli 1882, gest. 26. März 1934) war die zweite Frau von Olaf Gulbransson. 4 Standardwerke sind Koch 1969 und Abret 1993. 5 Dagny war die jüngste Tochter. Die Kinder der Bjørnsons waren: Bjørn (1859–1942), Einar (1864–1942), Erling (1868–1959), Bergliot (1869–1953) und Dagny (1876–1974). Eine erste Dagny war 1871 geboren worden und starb 1872. 6 Diesen Eindruck gewinnt man aus Äußerungen diverser Zeitzeugen, unter anderem ihres Sohnes Bjørnstjerne Albert in Bjørnson-Langen 1985. 7 Beispielsweise gab sie ihren Briefwechsel mit ihrem Vater Din Ven Far, norwegisch für Dein Freund Vater (Bjørnson Sautreau 1956), heraus. 2 3

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Langens bis zu seinem Tod am 30. April 1909. Das entspricht ungefähr der Dauer der aktiven Ehe Langens mit Dagny Bjørnson-Langen. 8 Josephine war gebildet, sie sprach mehrere Sprachen9 und war über Langens Tod hinaus für den Verlag eine Ansprechpartnerin, wenn es um norwegische (aber auch deutschsprachige) Literatur10 ging. Mir war schon ihre Rolle als Lebensgefährtin Langens Grund genug, die Welt nach dieser Frau abzusuchen.11 Und ich fand ihren Nachlass in Norwegen. Briefe, Fotografien und Mobilien, die viel von beiden Protagonisten erzählen, von Josephine Rensch – aber eben auch von Albert Langen. Das eine oder andere konnte mithilfe allgemein zugänglicher Archive ergänzt werden. Das Gefundene einer interessierten Öffentlichkeit vorzustellen, das bereits Bekannte um bisher Unbekanntes zu erweitern und, wo nötig und möglich, auch zu korrigieren – ohne neue Fehler hinzuzufügen – ist das Die Ehe zwischen Albert und Dagny wurde am 10. März 1896 geschlossen. In Josephine Renschs Nachlass (NR) liegt ein Ring (vgl. Abbildung B38), der nach den Erinnerungen des Nachlassbewahrers Helge Torgersen (vgl. Abschnitt »Findgeschichte«) ein Geschenk Alberts an Josephine war und in den innen das Datum »11. Juni 1903« eingraviert ist. Nimmt man dieses Datum als Beginn der Liebesbeziehung mit Josephine und als Ende der aktiven Ehebeziehung mit Dagny an, so ergibt das gut sieben Jahre Ehe- beziehungsweise knapp sechs Jahre Liebesbeziehung bis zu Langens Tod am 30. April 1909. 9 Neben ihrer Muttersprache Norwegisch (mindestens) noch Französisch, Englisch und Deutsch. 10 Im NR befindet sich ein Verlagsbrief vom 2. Juni 1914: »Sehr verehrte gnädige Frau! Mit gleicher Post gestatten wir uns, Ihnen ein Buch von John Paulsen [Norwegischer Schriftsteller (1851–1924)] ›Samliv med Ibsen‹ zu übersenden, das uns für unseren Verlag angeboten wird. Wir wären Ihnen sehr dankbar, wenn Sie das Buch bald lesen und uns Ihr Urteil darüber sagen könnten, namentlich wenn Sie uns sagen könnten, ob Sie glauben, dass das Buch geeignet ist, in Deutschland und namentlich in München Interesse zu finden. Mit vorzüglicher Hochachtung ergebenst ppa Albert Langen Gommel Korfiz Holm«. Das erwähnte Buch war 1906 bei Gyldendalske Boghandel, Nordisk Forlag, København og Kristiania erschienen und bereits 1907 in Übersetzung als Erinnerungen an Henrik Ibsen im Verlag von S. Fischer. Weiter findet sich eine Rechnung vom 29. März 1921 im NR, mit der Josephine ein Rezensionsexemplar von Max Dauthendeys Das Märchenbriefbuch der heiligen Nächte im Javanerland zuging. 11 Meine Ausstellung in der »Seidlvilla« wurde eingerahmt von einem Vortrag und einem »Spaziergang durch Schwabing auf den Spuren des Verlegers Albert Langen«. Für Vortrag und Spaziergang hatte ich den Kunsthistoriker Prof. Dr. Thomas Raff (München) gewonnen. In einem Gespräch gab er mir damals den Anstoß, nach Josephine Rensch zu suchen: »Das darf nicht sein, dass wir von dieser Frau an Langens Seite so gut wie nichts wissen. Kümmern Sie sich einmal um diese Frau!« 8

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Anliegen dieses Buchs. Es soll in ihm möglichst nichts von dem wiederholt werden, das der Leser auch in der einschlägigen Literatur zu Albert Langen finden kann. Doch glaube (und hoffe) ich, dass es bei seiner Lektüre kaum notwendig ist, die vorhandene Langen-Literatur parallel zu konsultieren, um aus dem Buch Gewinn zu ziehen. Um dem Buch Inhalt zu geben, musste der erst einmal gesucht und gefunden werden. Darum steht am Anfang eine Findgeschichte.

Findgeschichte Der Nachlass von Josephine Rensch befindet sich in Norwegen, in Folle­bu, einem kleinen Dorf in der Gemeinde Gausdal im Regierungsbezirk Oppland. Diese Tatsache stand so vorher nirgendwo geschrieben. Die verschlungenen Wege nach Follebu gefunden zu haben, war für mich nicht nur ein beglückendes Resultat meiner wissenschaftlichen Neugier, es brachte mir nebenbei auch die Bekanntschaft mit Menschen ein, von denen manche zu Freunden wurden. Als ich vor einigen Jahren begann, mich ernsthafter für die illustrierte Wochenschrift Simplicissimus und dann auch für deren Begründer Albert Langen zu interessieren, kam ich durch einen Hinweis Helga Abrets12 in Kontakt mit Paul Bjørnson-Langen, einem Enkel Albert Langens. Mit ihm verbinden mich seitdem ein paar persönliche Begegnungen. Er ist einer der Söhne von Albert Langens Sohn Arne Bjørnson-Langen.13 Paul lebt in Dänemark und bei ihm und seiner Frau Passika verbrachten meine Familie und ich einmal einen schneereichen Jahreswechsel. Wichtiger als Bleigießen war mir aber, auf dem frostigen Speicher in Kisten und Koffern voll Langen’scher Hinterlassenschaften zu graben. Dort fand ich zum Beispiel die »Haus Bibel von Friedrich Albert Langen und Ida Langen geb. Goeters«, die also einmal Albert Langens Eltern gehörte. Dagny hat die Bibel handschriftlich mit ein paar kritischen Randbemerkungen noch interessanter gemacht. Und auch ein kleines Kuriosum fand ich: ein Kästchen mit roten Locken, angeblich von Dagnys Haar. Paul war der erste, den ich nach Josephine fragte. Aber mehr, als dass sie in »Helga Abret, geboren in Breslau, Studium der Germanistik und Slawistik. Promotion in Heidelberg. Habilitation an der Sorbonne / Paris über den Münchner Verleger Albert Langen. Maître de conférences an der Universität Nancy, seit 1992 Professorin für Neuere Deutsche Literatur an der Universität Paul Verlaine / Metz. Seit 2005 emeritiert.« (Aus der Liste der Autoren des Suhrkamp Verlags.) Helga Abret starb am 21. April 2013. 13 Siehe »Stammbaum Langen« im Anhang. 12

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den Lebenserinnerungen Aulestad Tur – Retur (Bjørnson-Langen 1985) seines Onkels Bjørnstjerne Albert im Kapitel »Josefine«14 auftritt, konnte er nicht sagen. Immerhin reichte er mich gewissermaßen an seinen Bruder Arne Bjørnson-Langen jun. in Oslo weiter, indem er mir dessen E-Mail-Adresse gab. Aber auch Arne wusste über Josephine nichts, erinnerte sich jedoch, dass seine Cousine Ida Bjørnson-Langen (eine Tochter von Langens Sohn Bjørnstjerne Albert Bjørnson-Langen) einmal etwas über sie angedeutet hatte. Also erhielt ich nun von Arne Idas E-Mail-Adresse. Und tatsächlich schrieb mir Ida, es habe sich irgendwann einmal am Telefon jemand bei ihr gemeldet, der sogar, wenn auch weit verzweigt, mit Josephine verwandt sei. Glücklicherweise besaß Ida noch die Adresse des Anrufers. So kam ich zu Erik Reintz. Ihm schrieb ich einen Brief, worauf er mich aus Norwegen anrief. Das waren unsere ersten Kontakte. Erik hatte den Stammbaum seiner Familie (Reintz 2001) erstellt, mit einer Wurzel im Böhmen des 17. Jahrhunderts und Blättern im späten 20. Jahrhundert. Und an einem der Zweige war Josephine ein Blatt. Erik hatte Ida aus Interesse an der Familie Langen angerufen, nachdem er auf die Verbindung Josephines zu Albert gestoßen war. Durch seine Familienforschung traf Erik schließlich auch auf Helge Torgersen in Follebu. Helge ist ein Großneffe Josephines. Genauer: Josephines ältere Schwester Hilda war nach Amerika ausgewandert, hatte dort geheiratet und fünf Kinder zur Welt gebracht. 1913 ließ sie das damals jüngste, ihre Tochter Harriet, bei einem Besuch in Norwegen zurück. Josephine behütete Harriet wie ein eigenes Kind.15 Harriet heiratete in Norwegen, und Helge war ihr erstes von insgesamt sechs Kindern. Über Harriet gelangte schließlich der Nachlass Josephines an Helge. Helge lebt heute direkt neben dem kleinen Haus, das sich Josephine in den 1920er-Jahren gebaut hatte und in dem er bis heute ihren Nachlass aufbewahrt.16 Bjørnson-Langen 1985, S. 25. Was die emotionale Bindung Josephines zu Harriet betrifft, die sich auf deren Erstgeborenen weitertrug, ist Helge Torgersen, obwohl »nur« ihr Großneffe, wie ein »Enkel« Josephines aufgewachsen. 16 In Freunde der Monacensia e. V. Jahrbuch 2013, München 2013, herausgegeben von Waldemar Fromm, Wolfram Göbel und Kristina Kargl, findet sich der Aufsatz »Liebes Kätzchen … Dein Lucke« (S. 127ff.) von Bernhard Gajek. In der Fußnote 30 (S. 139) schreibt Gajek: »Der Nachlass von Josefine Rensch ist in der Nasjonalbiblioteket Oslo/Norwegen geordnet und zugänglich.« Weder erinnert sich ein Mitglied der Familie Torgersen, dass etwa Teile des Nachlasses abgetrennt wurden, noch weiß die Nationalbibliothek in Oslo etwas von solchen Teilen in ihren Katalogen. Auf meine Anfrage teilte mir Sigbjørn Grindheim (Research librarian, Manuscript Coll14 15

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B1: 17 Helge Torgersen und Josephine Rensch vor Josephines Haus, 1952

Was Erik von Helge in Gesprächen über Josephine erfuhr, Helges (erzählte) Erinnerungen18 an Josephine, gab Erik weiter an mich. In gut 100 E-Mails, einigen Telefongesprächen und später auch von Angesicht zu Angesicht. Wir reisten gemeinsam zweimal nach Follebu.19 Bei meiner dritten Fahrt20 begleitete mich Eriks Sohn Knut Reintz. Obwohl schon vor mir jemand nach Josephine gefragt hatte, 21 wie ich bei ection, National Library of Norway, Henrik Ibsens gate 110, Oslo) dies mit: »In our catalogue we have not registered any letter to or from Josephine Rensch, or any manuscript by her. But she is mentioned in some of the letters from members of the Bjørnson and Langen families.« 17 Die Abbildungen werden im Folgenden durchgängig nummeriert, um Referenzen im Text zu erleichtern. 18 Als Josephine 1973 starb, war Helge fast 35 Jahre alt. 19 August 2010 und Juli 2011. 20 Juni 2012. 21 Der Germanist und Skandinavist Aldo Keel, Herausgeber von Bjørnstjerne Bjørnsons Briefwechsel mit Deutschen und Verfasser von Büchern zur deutschen, norwegischen und isländischen Literaturgeschichte, korrespondierte kurzzeitig bereits Januar 1986 mit Helge Torgersen. Allerdings kam es nie zu einem Besuch Keels in Follebu.

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meinem ersten Besuch in Follebu erfuhr, war ich doch der erste, der dorthin gereist war, um den Nachlass einzusehen.

Der Nachlass von Josephine Rensch »Das meiste, was sie von Albert geerbt hatte, wurde von Geheeb in den 20er Jahren veräußert.«22 Trotz dieses etwas pessimistischen Zitats von Helge Torgersen aus den Erinnerungen23 an seine Großtante Josephine (Torgersen 2011), die er auf meine Bitte hin aufgeschrieben hatte, füllt der Nachlass von Josephine Rensch noch heute ein ganzes Haus. Er wird in ihrem ehemaligen Wohnhaus auf »Elvebakken«24 aufbewahrt, wo er inzwischen zwar liebevoll und »lebensnah« gehütet wird, aber noch ohne systematische Ordnung über das ganze Haus verstreut ist. Einige Räume sind nahezu museal mit alltäglichen Gegenständen hergerichtet, die platziert sind, als hätte Josephine das Haus erst kürzlich verlassen. Doch insbesondere die Dokumente aus Papier wie Briefe, nicht gerahmte Zeichnungen oder Fotografien unterschiedlicher Formate liegen meist nur locker und ungeordnet in Schachteln oder Schubladen. Gerahmte Bilder hängen an den Wänden oder stehen, zusammen mit großformatigen Fotografien, gestapelt in Kisten und Koffern am Boden. Teilweise schwierig zugängliche Räume im Obergeschoss sind überhaupt noch nicht systematisch erkundet. Eine vollständige Erhebung, eine Inventarisierung und konservierende Aufbewahrung des Nachlasses fehlt noch.25 Die hier ausgewerteten Dokumente bilden zwar vermutlich den (vorläufig) »wesentlichen Kern« des Nachlasses; es ist aber durchaus denkbar, dass sich nach einer vollständigen Erfassung noch Lücken schließen und offene Fragen beantworten lassen. Torgersen 2011. Alle hier aus diesen Erinnerungen verwendeten Zitate sind Übertragungen aus dem Norwegischen. Dasselbe gilt für die Notizen, die Helge Torgersen im NR aufbewahrt und die aus seinen Gesprächen mit Josephine an Abenden in den 1960er-Jahren hervorgingen (Torgersen/Rensch 1960). 24 Norwegisch etwa für »Anhöhe am Fluss«. Nahe »Elvebakken« fließt die Gausa, Namensgeberin für die Kommune Gausdal. 25 Doch es tut sich inzwischen etwas. Die Bedeutung des Hauses und der darin bewahrten Dokumente wurde erkannt. An deren Erhaltung wird emsig gearbeitet. Im Sommer 2014 soll das Haus einen neuen Anstrich erhalten und im Sommer darauf das Dach erneuert werden. 22 23

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B2: »Elvebakken«: Küche, 2012 B3: »Elvebakken«: Schlafzimmer, 2012

B4: »Elvebakken«: Wohnzimmer mit Erik Reintz (links) und Helge Torgersen, 2011

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