FÜR JOELLE UND LEONIE
François Loeb (geboren 1940 in Bern), lic. oec. Universität St.Gallen, leitete von 1975 bis 2005 das von seinem aus Freiburg im Breisgau stammenden Urgrossvater gegründete Berner Traditionskaufhaus LOEB. Nach politischen Mandaten in Gemeinde und Kanton sass er von 1987 bis 1999 im Schweizer Nationalrat. Heute lebt er im Schwarzwald, schreibt und publiziert Kurzgeschichten und Erzählungen.
Franรงois Loeb
HAPPY BIRTHDAY BABYBOOMERS! Geburtstagsgeschichten
Weitere Informationen 端ber den Verlag und sein Programm unter www.allitera.de
September 2014 Allitera Verlag Ein Verlag der Buch&media GmbH, M端nchen 息 2014 Buch&media GmbH, M端nchen isbn print 978-3-86906-672-1 isbn ePub 978-3-86906-673-8 isbn PDF 978-3-86906-674-5 Printed in Germany
Inhalt Herzlichen Glückwunsch! . . . . . . . . . . . 7 Babyboomers Geburtstagsparty . . . . . . 9 Das Jahresrennen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 Die Überraschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 Wortgeburt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 Mondgeburtstag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 Das Tor zum Paradies . . . . . . . . . . . . . . . 24 Die siamesischen Zwillinge . . . . . . . . . . 29 Vierundzwanzignullachtfünfzehn . . . . 30 Augenblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 Rabatt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 Die Torte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 Das Wunder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 Buchmesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 Kraftakt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 Das Spinnennetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 Der zerbrochene Kopf . . . . . . . . . . . . . . . 47 Krähengeburtstag . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 Das Geburtstagsfest . . . . . . . . . . . . . . . . 51 Das zweiblättrige Kleeblatt . . . . . . . . . . 53 Der vergessene Geburtstag . . . . . . . . . . . 57 Vorratshaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 Der Zähler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 Traumgeburtstag . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 Der unbekannte Geburtstag . . . . . . . . . . 66 Gruppe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 Der Geburtstagsk(l)ick . . . . . . . . . . . . . . 72 Der Rückwärtsgang . . . . . . . . . . . . . . . . 74 Fliegengeburtstag . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 Urheberrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 Schneckenburgerbürgergeburtstagsfest . . . 91
Hundegeburtstag . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verslowt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Uhrengeburtstag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Auf ein Neues . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Herrn Pieps Geburtstag . . . . . . . . . . . . . StÜrrisch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zangengeburt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zu verzollen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Geburtshoroskop . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Flaschenpost . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wi(e)dergeburtstag! . . . . . . . . . . . . . . . . Täglich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Rosenfrieden . . . . . . . . . . . . . . . . . . Geburtstagsmuffel . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Geburtstagsgeschenk . . . . . . . . . . . . Ergreifend . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gedankengeburtstag . . . . . . . . . . . . . . .
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HERZLICHEN GLÜCKWUNSCH!
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ie viele Glückwünsche jemand zu seinem Geburtstag erhält, beweist, wie beliebt er in der Gesellschaft ist. So denken die Menschen in den meisten Kulturen. Diese Marktlücke entdeckte Herr Alphons Mirrer vor siebzehn Jahren. Er erhielt denn auch am siebzehnten Jahrestag seiner Firmengründung zahllose Glückwünsche, die ihn sehr erfreuten. Denn schliesslich waren sie der Beweis dafür, wie genial die Idee war, die er siebzehn Jahre zuvor realisiert hatte. Alphons Mirrers Gehirn war nämlich sechstausendfünfundzwanzig Tage zuvor (also einundzwanzig Tage vor der Firmengründung) diese epochale Idee, dieser jungfräuliche Gedanke entsprungen. Jungfräulich ist ein Gedanke, wenn er noch nicht mit Denken belastet ist. Er ist wie ein leeres Glas, das, besonders wenn der Rezipient durstig ist, sehnsüchtig darauf wartet, Flüssiges aufzunehmen. Der leere Gedanke darf glasklar mit dem vorgestellten Glas verglichen werden, denn auch er, soeben entsprungen, sehnt sich nach Inhalt, möglichst substanziellem Inhalt, um den eigenen Wissensdurst und den der Menschheit zu stillen. So jedenfalls sah es Alphons Mirrer an jenem Tage, einundzwanzig Tage vor Firmengründung, und damit Umsetzung seiner der gesamten Weltbevölkerung dienenden Genialität. Mirrers leerer Gedanke entschwebte leicht und luftig bereits um sechs Uhr dreissig am Morgen jenes besonderen Tages – es war Mirrers siebenunddreissigstes Wiegenfest – dem Haupt des gerade eben dem Tiefschlaf Entronnenen und deshalb des Denkens noch Unfähigen. Er drehte über der geschnitzten Bettstatt des Erwachenden, als sei er ein Schmetterling oder vielmehr eine Motte, siebzehn anmutige Runden, um schliesslich an Mirrers Hirn anzuklopfen und um Inhalt zu bitten, denn wie sollte er sonst seine Botschaft zum Wohle aller verbreiten? Obwohl, dies sei als Klammerbemerkung erlaubt, eine gewisse, als inhaltsreich lediglich getarnte Leere zum heutigen Zeitalter recht gut passen würde. Nun, der jungfräuliche Gedanke beharrte auf Schwereres als die leichte Leere, er wünschte sich inständig – und tat dies, obwohl noch ohne Inhalt, lebhaft kund –, die Leere durch eine der Kultur zu kredenzende Lehre zu ersetzen. 7
Mirrer, der in der Zwischenzeit seine Augen vom Schlafsand freigerieben hatte, hatte ein Einsehen und gab dem Gedanken den Inhalt mit auf den Weg, der dann einundzwanzig volle Tage später zur Firmengründung führte. Alphons Mirrer hatte unwissentlich und ohne jede gute oder böse Absicht den Glückwunschgenerator in unsere moderne, technisierte Zeit katapultiert. Schluss ist seitdem mit Enttäuschungen. Mit der Trauer, nicht anerkannt zu sein. Denn der Generator extrahiert allen Zivilstandsregistern, Kirchenrodeln und Werberegistraturen die Geburtsdaten der Erdbewohner und beschert allen so Festgehaltenen seine herzlichsten Glückwünsche zum Wiegenfest. Doch dies alleine wäre an und für sich weder genial noch geschichtsträchtig. Erst der Multiplikationsgedanke, der dem jungfräulichen Gedanken die notwendige Erdenschwere verleiht, ist als eigentlicher Durchbruch zu bewerten. Denn jeder so Angeschriebene schickt nun seinerseits durch den Glücksgenerator automatisch allen am gleichen Tage Feiernden einen Glückwunsch, sodass sich die Geburtstagswünsche für jedes Individuum ins Unermessliche steigern. Sollten Sie, liebe Leserin, lieber Leser, durch einen winzigen Programmierfehler noch nicht in den Genuss der Segnungen des Glückwunschgenerators gekommen sein, entbiete ich Ihnen hiermit stellvertretend die herzlichsten Glückwünsche zum Geburtstag, selbst wenn diese prä- oder postnumerando erfolgen sollten. Sicherlich werden die Gaben des Glückwunschgenerators eines Tages auch bei Ihnen eintreffen und Sie beglücken. Ein winziger Trost dafür, den Segnungen des Generators in seiner glückserfüllenden Weise noch nicht ausgesetzt zu sein, mag darin liegen, dass dieses Buch mit Geburtstagsgeschichten ein Fremd- oder Eigengeschenk eines an Sie persönlich denkenden lieben Menschen darstellt.
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BABYBOOMERS GEBURTSTAGSPARTY
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ind auch Sie fünfzig? Feiern dieses Jahr das wundervolle Fest des halben Jahrhunderts? Auch wenn wir es nicht wahrhaben wollen, fünfzig Jahre sind ein halbes Jahrhundert. Eine halbe Ewigkeit, wenn ich es recht bedenke. Die volle Ewigkeit erreichen wir nach dem nächsten halben Jahrhundert. Ich fürchte mich ein wenig davor. Wie auch vor dem Wort, das ich soeben hier auf dem weissen Blatt wie ein Spiegelei entzweibrach, das sich jetzt ausbreitet und in den Augensternen brutzelt. Härtet. Was droht uns Babyboomern sonst noch? Ich mag gar nicht daran denken! Jedenfalls kein Juniorenheim. Keine Kinderkrippe, in die wir wohlig in Mutterträume versinken können. Das Ausschlussverfahren wende ich gerne an. Es erschreckt mich weniger als meine – wer weiss ob der Ausdruck wirklich zutrifft? – krankhafte Fantasie. Unmöglich, sie zu zähmen. Ein ums andere Mal faucht meine sprungbereite Vorstellung – ein schwarzer Panther auf meinem Lebensbaum, bereit mich anzufallen. Mir seine scharfen Zähne in den Geist zu schlagen. Ihn zu entführen und in den Urwald der Urzeit zu verschleppen. Dort in der Höhle ein Feuer zu entfachen, auf dass die Schatten an den Wänden furchterregende Geschichten erzählen, nein, mit tausendfachem Echo in die unwirtliche Welt hinausschreien. Oder ein Schmusehündchen auf meinem Schoss, dem plötzlich, ohne dass ich es gleich bemerke, die Reisszähne eines Wolfes wachsen und das mir von alten Zeiten früherer Generationen laut bellend erzählt, wie das Leben ganz ohne Internet, Wi-Fi, iPhone, Handy, Facebook, LinkedIn, Twitter, Jetfon, iPad, Minis und Nanos auszuhalten war, und mir droht, all diese Dinge roh zerbeissend zu verschlingen. Und wie könnten wir dann ohne diese Hilfsmittel leben? Ins Mittelalter wären wir zurückgeworfen! Ich versuche, meiner Fantasie Herr zu werden. Ihr Trensen anzulegen. Doch sie empfindet sie als Sporen. Wohin geht nur die Reise? Zunächst im Schritt, alsbald im Trab, um schliesslich im Galopp zu enden. Über Gräben und hohe Hindernisse. Gehäufte Jahresberge. Vor 9
meiner Haustür macht sie halt. Sie dringt ins Haus ein, behändigt sich meines Laptops, öffnet meinen Facebook-Account und lädt zu einer öffentlichen Geburtstagsparty ein, an der alle Babyboomer, ob fern, ob nah, teilnehmen sollen. In einer Woche um Mitternacht. Am Tag meines Fünfzigsten. Oh Himmel, wohin führt nur dieser Albtraum meines Geistes? Und wenn es allein der Geist wäre! Aber ich sehe beim Öffnen meines Accounts, dass diese öffentliche Einladung tatsächlich im Netz steht. Schwarz auf weiss, rot unterstrichen. Ich finde keinen Schlaf. Was kann da alles geschehen? Horrorgeschichten über öffentliche Einladungen habe ich vernommen. Und Babyboomer soll es in unserer Grossstadt zu Tausenden geben. Wie kann ich die Einladung zurückziehen? Ein Dementi schreiben? Eine Pressekonferenz einberufen? Eine Medienmitteilung verfassen? In einer echten Notlage befinde ich mich. Schliesslich schlafe ich doch ein. Um sieben Uhr früh, ich kann die Augen noch gar nicht öffnen, klingelt es an meiner Wohnungstür, in der ich als Single bis gestern glücklich und sorgenfrei lebte. Und sogleich kommt mir der Facebook-Eintrag ins Bewusstsein zurück. Ach, dieses intensive Klingeln an der Tür, das nicht aufhört! Ich kann es drehen und wenden, wie ich will. Es ist kein Traum. Obwohl ich liebend gerne hätte, dass es einer wäre und ich unter der warmen Decke weiter dösen könnte. Ich reisse mich zusammen. Schlüpfe in meinen Morgenmantel. In die Slipper. Schlurfe der Klingelorgie entgegen. Drehe den Schlüssel und öffne die Tür. Brumme den sieben Personen, die meine Wohnung belagern, zu: »Unanständig, eine alleinstehende Frau um sieben Uhr früh aus dem Bett zu klingeln. Ihr den gerechten Schlaf zu rauben.« Da zücken alle sieben wie auf Befehl Brieftaschen, klappen sie auf und bemerken recht laut und deutlich: »Polizei! Sind Sie die Urheberin der Babyboom-Geburtstagsparty? Wissen Sie, was Sie da angestellt haben?« Der Chef, jedenfalls denke ich, dass dieser grobschlächtig aussehende Riesenkerl der Leiter der Gruppe ist, ergänzt beinahe bellend: »Die öffentliche Ordnung stellen Sie infrage. Eine Kohorte Polizisten wird nach dem Rechten schauen müssen. Man wird Sie in Stücke reissen. Sie schweben in Lebensgefahr! Und schützen, ja schützen werden wir Sie und Ihren Besitz nicht können. Höchstens aus dem Verkehr ziehen können wir Sie.« 10
»Unverantwortlich«, ergänzt die Nummer zwei mit dem Mäusegesicht. »Widerrufen müssten Sie. Obwohl dies nicht möglich ist. Das wissen wir aus Erfahrung. Es wird eine mittlere Katastrophe geschehen! Wissen Sie eigentlich, wie viele Babyboomer es in unserer Stadt gibt, die ihren Geburtstag dieses Jahr feiern? Das wissen Sie sicherlich nicht, diese Misere hätten Sie sonst nicht angerichtet«, bemerkt die Beamtin, die zu der Gruppe gehört und bestimmt den Sozialdienst der Social Networks leitet. Ich betone vehement meine Unschuld. Mein Geist habe die Einladung geschrieben. Gelächter quittiert meine Worte: »Wahrlich Ihr Geist! Bestimmt um Mitternacht!«, amüsiert sich der Boss der Gruppe mit zynischem Unterton in der Stimme. »Sie wissen nicht, was Sie anstellen! Ein Desaster wird es geben, ein echtes Desaster. Wir haben nicht die Einsatzkräfte, ich wiederhole das deutsch und deutlich, um die Angelegenheit unter Kontrolle zu halten. Wie kamen Sie nur auf die hirnverbrannte Idee, die Babyboomer einzuladen, die grösste Bevölkerungsgruppe, die dieses Jahr ihren Fünfzigsten feiert? Weshalb nicht die Hundertjährigen? Die Babys ohne Boom? Da wäre die Angelegenheit unter den Teppich der Facebook-Geschichte zu wischen gewesen, und Sie wissen, dieser ist ellenlang und äusserst biegsam, unter ihm ist schon so mancher Schmutz und mancher Hirnriss gekehrt worden, sodass er sich biegt und franst, jedoch nicht bricht, da hält das Sozialnetzwerk viel zu gut zusammen, reicht sich die Hand, um jeden Unsinn zu verbergen, den wir als Ordnungskraft nicht zu verhindern in der Lage sind.« Ein tiefer Seufzer folgt seinen Ausführungen, dem seine Gruppe, pflichtbewusst an seinen Lippen hängend, gehorsamst und ohne das geringste Unmutszeichen folgt. Bedrückt und unterwürfig erkundige ich mich nach Löschmöglichkeiten meiner Einladung, worauf die Beamtin mit einer siebzehnminütigen Belehrung über das Wesen und die Funktionsweise von Social Networks unter besonderer Berücksichtigung von Facebook beginnt, ihren Missmut im Takt nach jeweils hundertzehn Worten durch deutliche Lippenluftauspuster entlassend. Wir stehen immer noch in meiner Wohnungstür, keine Gesprächspause hätte es mir erlaubt, die Beamtenschar in meine kleine Wohnung zu bitten. In der Zwischenzeit haben sich die übrigen Hausbewohner im Trep11
penhaus versammelt, glotzen von oben und unten mit aufgeklappten Kiefern und glupschigen Augen auf die Szene; ein einmaliges Schauspiel, wesentlich spannender als das, was ihnen die Fernsehkanäle zu bieten haben. Durch die offenen Wohnungstüren verbreitet sich ein Geruch nach gekochtem Kohl, angebranntem Kuchen und übergelaufener Milch. Der Gruppenchef der Polizei befiehlt mit fester Stimme meine Nachbarn in ihre Behausungen zurück, weist darauf hin, dass das Belauschen von Staatsgeheimnissen – und um ein solches handle es sich – unter strengster Strafe dienstlich verboten sei. Ein untersetztes Mitglied der Gruppe zückt seinen Notizblock, bereit Personalien aufzunehmen. Ein weiterer entnimmt seiner Umhängetasche ein rotweisses Absperrband, befestigt es auf dem Treppengeländer, sperrt den Weg nach oben und unten damit ab. Stolz flattert das Wort »POLIZEI« nun im Treppenhausdurchzug. Nach dem Vortrag der Sozialpolizeiassistentin stehe ich ratlos da, bemerke, dass ich meinem Geist gerne den Befehl erteilen würde, das Unmögliche möglich zu machen und den inkriminierten Facebookeintrag zu löschen. Erneutes Gelächter der Gruppe quittiert meinen Vorschlag: »Wir haben Ihnen doch gerade erklärt, dass eine Rücknahme nicht möglich ist. Die Verwaltung dieser unsäglichen, Unheil anrichtenden Institution weigert sich strikt, mit uns zu arbeiten. Die müssen schliesslich auch nicht auslöffeln, was sie einbrocken. Dazu sind wir unter Einsatz von zahllosen Überstunden und manchmal auch unserer Gesundheit zuständig. Leider. Liebend gerne würden wir denen diese Verantwortung aufhalsen, aber die kümmern sich nicht um öffentliche Ordnung. Höchstens um ihre eigenen finanziellen Einnahmemöglichkeiten unter Ausblendung jeder Ordentlichkeit und Zulassung schwerer Ordnungswidrigkeiten, wie Sie hier eine unverantwortlich und unwiederbringlich begangen haben!« Ich stehe mit hängenden Armen wie ein begossener Pudel vor der Polizeigruppe, beginne am ganzen Körper zu zittern, weiss nicht mehr, wie ich mich zur Wehr setzen kann. »Zu Ihrer eigenen Sicherheit nehmen wir Sie vorläufig fest«, kläfft das Mausgesicht mich an. »Hände nach vorn. In die Luft halten. Ruhig bleiben«, und – klick – sind meine Handgelenke von Eisenreifen umschlossen. »Die grüne Minna wartet bereits unten«, fährt er geschäftig fort. »Und 12
Ihren Laptop requirieren wir, damit wir all das zukünftige Unheil, das Sie weiter verbreiten könnten, vermeiden. Kollusionsgefahr wegen sind Sie bis zum Partyzeitpunkt im eigenen Interesse in Polizeigewahrsam. Los, los. Keine Fisimatenten.« Und ich werde wie ein Schlachtvieh die Treppe hinunter geführt, in den Polizeiwagen verfrachtet und im Präsidium in eine karge Zelle gesteckt. Was muss man als Babyboomer alles durchmachen! Die geburtenarmen Jahrgänge haben es doch viel einfacher. Kein Gedränge. Kein Freiheitsentzug wegen geistiger Geburtstagsparty-Aufrufe, denke ich, und verlange nach einem Anwalt. Gelächter der Zellenaufsicht quittiert mein Begehren. »Keine Sondermätzchen für Sozialaufrührer«, lautet die Antwort. Ich verlange nach einem Geistlichen. Den kann man mir nicht verweigern! »Ha«, tönt der Wärter, »Sie wollen wohl Ihrem Geist neue Anweisungen erteilen, damit er noch mehr Unheil stiftet, als bereits geschehen!« Und dann erscheint ein Herr mit einem dicken Ordner in der Hand. Stellt sich als Untersuchungsrichter vor und beginnt, mich zu befragen. Er will den Inhalt meines Eintrags wörtlich wissen. Doch ich kann ihm beim besten Willen keine exakte Antwort geben, sofern ich mich nicht in mein Facebook-Konto einloggen darf, was mir jedoch strengstens, erneuter Straftätigkeiten wegen, verboten wird. Der soignierte Herr will nicht glauben, dass mir der genaue Wortlaut entfallen ist. Er blättert im Ordner. Sagt, dass er meinem Gedächtnis nachhelfen könne, dies aber nicht wolle. Ohne meine Kooperation gehe nichts. Ich solle mir überlegen, ob ich an einer Zusammenarbeit mit den Behörden Interesse hätte. Sonst sei ihm, dem Untersuchungsrichter, die Strafe bereits klar. Und er verlässt leisen Schrittes meine Zelle, die ihm von aussen geöffnet wird. Selbst wenn ich wollte – ich erinnere mich einfach nicht. Ich könnte höchstens versuchen zu rekonstruieren. Aufs Geratewohl. Doch der Eindruck, der dadurch entstehen würde, wäre verheerend. Man würde mir vorwerfen, die Ordnungskräfte, den Staat an der Nase herumzuführen. Und das würde als Staatsverbrechen angesehen. Also beschliesse ich zu schweigen. Von meinem Recht auf Aussageverweigerung Gebrauch zu machen. In der Zwischenzeit lassen mich die Ordnungshüter schmoren. Erst am Sonntag gegen fünfzehn Uhr betritt der Untersuchungsrichter, 13
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