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Ein K端rzestgeschichten-Wettbewerb von Thalia Allitera Verlag Buch Contact AEL Stiftung, Solothurn (Schweiz)


Buch  Augen  Blicke Die Gewinnertexte des Wettbewerbs 2016


Informationen über den Verlag und sein Programm unter: www.allitera.de

Mai 2016 Allitera Verlag Ein Verlag der Buch&media GmbH, München © 2016 für die Anthologie: Buch&media GmbH, München © 2016 für die Einzelbeiträge bei den Autorinnen und Autoren Umschlagmotiv: © Buch Contact, Freiburg Printed in Germany ISBN print 978-3-86906-894-7 ISBN epub 978-3-86906-895-4 ISBN PDF 978-3-86906-896-1


Inhalt François Loeb: Jeder ein Universum  7

Die Gewinnertexte Kategorie Erwachsene Monika Kyncl: Die Einladung  11 Katrin Ühlein: Gedankenbibliothek  15 Anna-Margareta Oldenburg: Harte Zeiten für Oblomow  19 Hellmuth Osthoff: Komplizen 21 John R. Borrmann: Die letzte Seite  23 Maria Thaler: Buchaugenblick  27 Renate Handge: Rettet den Libri-Vermis  31 Kathrin Wiemann: Hoffnung?!  35 Gaby Turck: Sieben Zwerge  37 Sibylle Paltinger: Bücher sind unsterblich  41


Die Gewinnertexte Kategorie Jugendliche Carmen Mahler: Streit der Bücher  47 Sarah Al-Ahmad: Gefesselt und verschlungen  51 Janina Lux: Ellys letztes Kapitel  55 Schoko Lade: Eine Zukunft ohne Bücher  59 Eva-Maria Schmidt: NeuAnfang  63 Amelie Vogelmann: »Nach jedem Ende kommt ein neuer Anfang …« – Das letzte Mal  65 Julia Scheuermann: Sie  69 Kaja Sturmfels: Allegorien  73 Halima Okanovic: Bücher haben kein Alter  75 Julius Hauschild: Es geschah in der Nacht  77


Jeder ein Universum ›Jeder ein Universum!‹ Ja diese Worte fielen mir beim Durchlesen der eingesandten Geschichten ein. Jeder sein eigenes Universum. In seiner Vielfalt. In seiner Einmaligkeit. In seiner Kreativität. Und so unzählige Universen haben sich mir beim Lesen eröffnet. Universen von Jugendlichen. Von Erwachsenen. Von Frauen. Von Männern. Von Senioren. Von mitten im Leben Stehenden. Von Zurückblickenden. Ob jung oder alt. Kein Wunder, dachte ich beim Analysieren der Vielfalt. Kein Wunder, besteht doch jeder von uns aus Milliarden Zellen. Und jede dieser Zellen wiederum eine Einmaligkeit. Ein eigenes Universum. So wie Milliarden von übergeordneten Universen bestehen. Milchstrassen. Galaxien. Und wir leben auf einem Stäubchen.

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Einem Sternenstaub von so ungeheurer Vielfalt, dass diese vom Einzelnen nicht erfassbar ist. Ich lade Sie ein, in die Universen der Wettbewerbsteilnehmer einzutreten. Sich an der Vielfalt zu erfreuen. Nachzuvollziehen, ob die verteilten Lorbeerkränze – so sind die Hauptpreisträger-Geschichten gekennzeichnet – in ihren Augen richtig vergeben wurden oder ob Sie andere Geschichten, andere Universen gekrönt hätten. Krönen Sie selbst! Sie sind frei. Ich lade Sie dazu ein. Zum Lesen. Zum Entdecken. Zum Krönen!

François Loeb (Mitglied Stiftungsrat AEL Stiftung, Solothurn, Schweiz)

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Kategorie Erwachsene



Monika Kyncl

Die Einladung An einem Dienstagnachmittag gegen zwei Uhr trat ein Geschäftsmann durch die Tür der alten Second-Hand-Buchhandlung auf der Kastanienallee 35 und legte mit einem freundlichen Lächeln einen dicken Ledereinband auf die Theke. Der Geschäftsmann schien nicht in Eile, wartete er doch geduldig bis der alte Buchhändler einen leicht vergilbten Bildband in das oberste Fach des deckenhohen Regals im hinteren Bereich der Buchhandlung verstaut hatte. Mit einem kurzen Nicken in Richtung des Geschäftsmannes drehte sich der alte Mann zurück zum Regal bevor er mit steifen Knien mühsam die Leiter herunter kletterte. »Sehr freundlich von Ihnen, so zu warten. Die alten Knochen wollen einfach nicht mehr auf mich hören. Irgendwann einmal werden meine Knie mich vollkommen im Stich lassen und ich schneller von der Leiter herunterkommen als beabsichtigt«, begrüßte er den Geschäftsmann mit einem verschmitzten Lächeln. Er schob seine Brille ein wenig in die Höhe und blickte den Geschäftsmann erwartungsvoll an. »Was kann ich für Sie tun?« Der Geschäftsmann schob den Ledereinband näher zu dem alten Mann hin.

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»Dieses Buch hat heute Morgen meine Aufmerksamkeit erregt und ich dachte mir, Sie könnten vielleicht daran Interesse finden.« Die milchig-grauen Augen des Buchhändlers glitten wohlwollend über den Ledereinband. »Fachmännisch gebunden. So etwas habe ich schon längere Zeit nicht mehr gesehen. Vielleicht siebzig Jahre alt?« fragte er über den Rand seiner Brille hinweg. »Mehr achtzig Jahre«, erwiderte der Geschäftsmann bestimmt. Ein schelmisches Lächeln glitt über das Gesicht des Mannes. »Da hat man sich noch Zeit für seine Arbeit genommen und achtzig Jahre später sieht es noch ebenso gut aus wie damals – genau wie ich.« Der Buchhändler drehte das Buch herum. Sorgfältig betrachtete er den Ledereinband von allen Seiten. »Das Buch scheint kaum genutzt zu sein.« »Es hat den größten Teil seines Daseins in einer Art Privatbibliothek verbracht«, erklärte der Geschäftsmann mit einem leichten Nicken. »Genau wie ich«, schmunzelte der Buchhändler. Er schlug das Buch auf und blätterte langsam durch die Seiten. »Eine Autobiografie«, stellte er fest, während er begann vereinzelte Stellen zu lesen. Ein verwirrter Ausdruck trat auf sein Gesicht, welcher sich mit jeder weiteren Stelle, die er las, vertiefte, bis er schließlich auf der letzten Seite des Buches angekommen war. ›An einem Dienstagnachmittag gegen zwei Uhr

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trat der Tod durch die Tür der alten Second-HandBuchhandlung auf der Kastanienallee 35 und lud mich nach einem Sturz von der Leiter freundlich ein ihm zu folgen‹, stand es dort für ihn zu lesen. Der Buchhändler hielt überrascht inne. Nach einem kurzen Moment jedoch trat ein zögerliches Lächeln auf seine Lippen und eine neue Textzeile fügte sich auf der letzten Seite des Buches hinzu. ›Neugierig nahm ich die Einladung an.‹

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Katrin Ühlein

Gedankenbibliothek Sam schloss die Augen und öffnete die schweren Türen der großen Bibliothek. Ein weiter Raum lag vor ihm. Ruhig war es hier. Seine Gedanken streiften die Regale entlang. Sie streichelten das Holz und zogen einzelne Bücher hervor. Alles war exakt und gerade angeordnet, ohne einen Funken Staub oder Schmutz. Herrlich dunkles Holz und die Bücher in verschiedenen Farben. Regal reihte sich an Regal, in einer ganz eigenen Ordnung: Zuerst die achsensymmetrischen Buchstaben O, A, H, W, V, T, U, X, M, I. Dann die Punktsymmetrischen: Z, S, N. Zuletzt alle anderen, wahllos, denn nach der Logik der Bibliothek unterschieden sie sich nicht voneinander. Sam hatte heute in der Bücherei der betreuten Wohngruppe ein Lexikon über Meeresbiologie durchgeblättert. Die Bilder interessierten ihn nicht so, eher die Zahlen, die Fakten. Es gab Knorpelfische, Knochenfische, Quastenflosser. Vor 450 Millionen Jahren gab es die ersten kieferlosen Fische. Nun ordnete er das Gelernte in seinen ganz eigenen Gedanken, in seiner ganz eigenen Welt. Besonders das Kapitel über Haie hatte es ihm angetan. HAI – das waren drei achsensymmetrische Buchstaben. Das war selten. In Windeseile lernte Sam alle Daten und Fakten sämtlicher Haiarten. Eingruppiert wurde dieses Werk nun zwi-

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schen AMT und HUT – ebenfalls Wörter mit drei achsensymmetrischen Buchstaben. Sollte irgendjemand auf die Idee kommen Sam zu fragen, wie das Paarungsritual des Hammerhais sei, so könnte es sein, dass Sam antwortete: »›Mein Hut, der hat drei Ecken‹ – das ist ein Kinderlied« oder »Es gibt das Einwohnermeldeamt, das Steueramt, das Landratsamt, …« und es würde eine schier endlose Auflistung aller Ämter folgen. Sam hätte sich dann vergriffen. Das kam vor. Das falsche Buch, das falsche Regal. Vor allem wenn andere Menschen Sam ansprachen, war Sam oft überfordert. Dann erinnerte sich Sam an einen Ort in seiner Bibliothek, den er gar nicht mochte. Hier war alles wüst und durcheinander, Blätter lagen am Boden herum, Sam konnte sie nicht einordnen. Es waren Bilder von Gesichtern mit verschiedener Mimik. Sam konnte sie nicht deuten. Wie heute, als ein neuer Betreuer meinte: »Pass auf, dass du das Lexikon nicht falsch herum hältst.« Er lachte dabei. Aber war es ein Witz? Hätte Sam mitlachen sollen? Der Bezugsbetreuer meinte daraufhin: »Pass auf, was du sagst. Sam liest alles, was er bekommt, er ist schlauer als wir alle. Er kann es nur nicht zeigen.« Dann lachte auch er. Freundlich? Hämisch? Belustigt? Sam hatte es nicht verstanden. Er reagierte nicht und vertiefte sich in das ausgeliehene Buch. Sam mochte seine Betreuer in der Wohngemeinschaft und er mochte auch seine Arbeit in der Behindertenwerkstätte. Aber am liebsten war er hier, in seiner ganz eigenen Bibliothek, in seinen Gedanken, dort war alles eingespeichert, was er jemals gelesen hatte, jede Erinnerung, je-

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des Wort, jedes Bild. Vor Freude über sein neues Werk über Haie flatterte Sam mit den Händen, schnalzte leicht mit der Zunge und wippte seinen Oberkörper hin und her. Er ging die Gänge weiter, griff hier und dort ein Buch, blätterte ein wenig, sah Kindheitserinnerungen an, las über die richtige Düngung von Nutzpflanzen und war glücklich. Kompost, Hornspäne, Mineraldünger – Sam kannte alle Vor- und Nachteile. Er hatte als Kind einmal eine Saintpaulia ionantha (Usambaraveilchen) geschenkt bekommen. Sie verwelkte nach kurzer Zeit, weil Sam nicht wusste, dass man sie regelmäßig mit Wasser gießen muss. Dafür wusste er, dass sie ein Gesneriengewächs ursprünglich aus Tansania war. 1893 wurde sie von Hermann Wendland entdeckt. Sam legte das Buch zurück und ging die Gänge weiter. Es gab noch so viel zu lesen, so viel zu erkunden. Seine Bibliothek würde sehr, sehr groß werden.

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Dieses Buch bestellen: per Telefon: 089-13 92 90 46 per Fax: 089-13 92 9065 per Mail: info@allitera.de

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