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Michael Groißmeier, geboren 1935 in München, Lyriker und Erzähler, lebt in Dachau. Für sein literarisches Werk wurde er mehrfach ausgezeichnet, u. a. mit der Bürgermedaille der Großen Kreisstadt Dachau, der Ehrengabe der Stiftung zur Förderung des Schrifttums, dem Verdienstkreuz am Bande des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland und dem Bayerischen Poetentaler. Er war Ehrengast der Deutschen Akademie Villa Massimo in Rom. Der literarische Vorlass befindet sich beim Literaturarchiv Monacensia der Landeshauptstadt München. Im Allitera Verlag erschienen »Der Zögling« (Autobiografie), »Im Leuchtkäferlicht« (Haiku), »Suche nach Avalun« (Gedichte), »Garten meiner Kindheit« (Gedichte), »Die Wirklichkeit des Traums« (Gedichte), »Auferstehungslust« (Gedichte), »Die Eiszapfenharfe« (Haiku), »Leben mit Bäumen« (Gedichte und Gedanken) sowie »Atemholen« (Gedichte).


Michael GroiĂ&#x;meier

Im Arm der Erde Gedichte


Weitere Informationen über den Verlag und sein Programm unter: www.allitera.de

Originalausgabe August 2016 Allitera Verlag Ein Verlag der Buch&media GmbH, München © 2016 Buch&media GmbH, München Umschlaggestaltung unter Verwendung eines Bilds von © Anna Boldt Printed in Germany · isbn 978-3-86906-916-6


FĂźr Margit und Andrea



Der Dichter wähnt in den Wesen und Dingen der Natur das Wirken und Weben der Gottheit, die er gebende und nehmende, schaffende und raffende Kraft nennt. Der Mensch, der wie alles Lebende aus dem Urmeer hervorging, hat im Verlauf der Evolution die Verbindung zur Natur weitgehend verloren. Er ist sich der geheimen Seelenverwandtschaft mit den Wesen und Dingen der Natur nicht mehr bewußt, hört nicht mehr die Stimme der Gottheit im Wehen des Winds, im Wispern des Laubs. Seiner Mutter, der Erde, die ihn zeit seines Lebens trägt und erträgt, ist der Mensch entfremdet. Am Ende aber nimmt sie ihn liebend in den Arm, in dem er dem ersehnten neuen Sein entgegenschläft. Die Gottheit, dessen ist sich der Dichter gewiß, werde ihre Schöpfung nicht verraten. Michael Groißmeier



Willst du das Unsichtbare erkennen, sieh sehr genau auf das Sichtbare! Der Talmud Nichts ist dem Geist leichter erreichbar als das Unendliche. Novalis Nichts ist ihm schwerer erreichbar als das Endliche. Wilhelm Lehmann Erde der ich so oft Mein stockendes Leben Abgewann … Marie Luise Kaschnitz Über die Torheit der Menschen lacht der Specht. M.  G.

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Borgo delle Ninfe 1935 Es war zu früher Stund im Februar, als mich die Mutter unter Schmerzen, da ich nicht länger liegen wollte unter ihrem Herzen, nach einem Kaiserschnitt gebar. Ich trage eine Narbe unterm Haar am Schädelbein, in das der Arzt geschnitten. Die Muttermilch schmeckte nach vorjährigen Quitten. Das aber wird mir erst heute klar. Ich werde ein Professor sein, prophezeiten die Schwestern. Doch das ist natürlich Schnee von gestern, trat ich doch in die Zunft der Dichter ein!

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Das Schaukelpferd Mit meinem Schaukelpferdchen ritt ich in die weite Welt hinaus. Die maß vier Schritt mal sieben Schritt und endete im Treppen­haus. Die Treppe mir verboten war. Sie führte in die Unterwelt. Riskierte Kopf und Kragen gar, und auch mein Pferdchen wär zerschellt, hätt ich gewagt den steilen Ritt. So schaukelte ich von Eck zu Eck und gab dem Pferdchen manchen Tritt, weil es kein Schimmel, bloß ein Scheck.

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Der Regulator Der Regulator in der Ecke, er schien ein aufgestellter Sarg. Schnell schloff ich unter meine Decke, die mich vor seinem Anblick barg. Wer in dem Totenkasten steckte, lebendig nicht, doch auch nicht tot, der frĂźh mit einem Schlag mich weckte, und der sogar der Zeit gebot?

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Wir Kinder Aus den Löwenzahnstengeln sogen wir Kinder die bittere Milch. Wir zogen aus mit Pfeil und Bogen, und manchmal war das Ziel ein Bilch. Wir griffen uns im Bach die Forelle und garten sie in der Aschenglut. Wir stahlen den Schafen die Schelle und brachten den Schäfer und seine Wachhunde in Wut. Aus ihrem Erdloch stöberten wir auf die Kröte und banden sie der Katze an den Schwanz. Aus einem Weidenzweig schnitten wir eine Flöte und spielten dem Totengräber auf zum Tanz. Der zeigte uns den schaurigen Karner, und einmal sperrte er uns hinein zum Gebein. Die Totenschädel sollten uns Warner und Einschüchterer fürs Leben sein.

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Meine Kindheit Meine Kindheit war nicht allzu froh. Krieg war, und es herrschte Hungersnot. Aber Äpfel dufteten auf Stroh. Sägekleie mischten wir ins Brot, aßen, was der kleine Garten bot: Rettiche, Kartoffeln, Karfiol, gelbe Rüben, Rahnen. Fleisch war rar. Meiner Mutter Wangen waren hohl. Vater, der Kriegsinvalide war, ließ mich nicht zur Hitlerjungenschar. Ich doch liebte das Soldatenspiel, galt’s uns Buben doch als ehrenvoll, wenn sich einer tapfer schlug und fiel. Vater jäh die Zornesader schwoll, wenn im Radio »Sieg Heil!« erscholl.

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Kartoffelfeuer Wir häuften das Kartoffelkraut hoch auf zu einem Haufen, und ich, der sich als einziger getraut, mußt um ein Zündholz laufen. Das hab dem Vater ich stibitzt aus seiner Jackentasche. Kam ich zurück, vom Lauf erhitzt, nahm einen Schluck ich aus der Limoflasche. Dann haben wir ein Feuerchen entfacht, in dem wir uns Kartoffeln brieten. Ich hab als einziger die Glut bewacht, indes die andern bald in Streit gerieten. Ein jeder wollte Hauptmann sein, doch keiner bloß Gemeiner. Sie ließen bei der Asche mich allein. Von meinen Kameraden überlebte keiner.

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Bombennacht 1945 Der Heulton der Sirenen, er schreckte nachts uns aus den Betten. Ich aber wollte nur mein hölzern Pferdchen mit in den Luftschutzkeller retten. Dort harrten wir mit Bangen der Bomben und der Feuertaufe. Mein Pferdchen aber rupfte das Heu ruhig aus der Raufe, die ich ihm hab gezimmert. Durchs Kellerloch sahn wir die Glutfontänen, und in das Feuerprasseln mischte sich das Knistern der Halme zwischen meines Pferdchens Zähnen.

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