H. S. Laube, geboren am Fuße des Riesengebirges in Niederschlesien, wuchs in Oberfranken (Bayern) auf und besuchte das Gymnasium Casimirianum in Coburg. Er schlug die Offizierslaufbahn in der deutschen Luftwaffe ein und studierte am Armed Forces Staff College in USA, der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg, sowie am NATO Defense College in Rom. Er ist begeisterter Jagdflieger, der in vier Kontinenten im Einsatz war und bis zum Fliegergeneral aufstieg. Heute lebt und arbeitet er im Raum München. Von ihm erschienen bereits die historischen Romane »Der Falke« (1997), »Die Erben des Staufers« (1999) und »Wandas Vermächtnis« (2005).
H. S. Laube
Aufruhr im Isartal Geschichten aus der Stauferzeit
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2. verbesserte Auflage Januar 2013 © 2012 Buch&media GmbH, München Umschlaggestaltung: Kay Fretwurst, Freienbrink Printed in Europe · isbn 978-3-86520-449-3
Alle Hindernisse und Schwierigkeiten sind Stufen, auf denen wir in die Höhe steigen. Friedrich W. Nietzsche
Erfolg ist eine Sache des Willens. Man muss für seine Ziele auch kämpfen wollen. Karl-Josef Neukirchen Das Leben hat keinen Sinn außer dem, den wir ihm geben. Thornton Wilder
F端r Antje
Inhalt Die Herren vom Isartal · 9 Prolog · 12
Aufruhr im Isartal · 15
Nachwort · 195 Historischer Abriss · 200
Die Herren vom Isartal
W
er hatte im 12. Jahrhundert im Isartal etwas zu sagen? Im Jahr des Herrn 1158 nach Christi Geburt sind es vor allem vier Herren: ein Pfalzgraf, ein Herzog, ein Bischof und der Kaiser. Der Kaiser ist der wichtigste, und er ist eigentlich auch der mächtigste der vier. Eigentlich. 1158 ist Friedrich I. aus dem Hause Hohenstaufen seit drei Jahren Kaiser. »Barbarossa« wird er genannt, wegen seiner auffallenden feuerroten Haar- und Barttracht. Aber der Kaiser ist fern und das Heilige Römische Reich ist groß. Sein ebenfalls mächtiger Partner ist der Welfenherzog Heinrich von Braunschweig, genannt »der Löwe«. Ihn hat der Kaiser kürzlich mit dem Herzogtum Baiern belehnt. Der Löwe fördert die Gründung von Siedlungen und Städten. Sie sollen zu Angelpunkten seiner politischen und wirtschaftlichen Macht werden. In seinem neuen Herzogtum Baiern sind Orte wie Wasserburg, München und Landsberg mit seinem Namen verbunden. Eine bedeutende Handelsstraße verbindet sie: die Salzstraße. Sie sind zugleich feste Plätze, die den Übergang über Inn, Isar und Lech sichern helfen und ihm beachtliche Einnahmen verheißen. Noch unmittelbarer dran am Isartal aber sind die Pfalzgrafen aus dem Hause Wittelsbach. Nicht weit entfernt steht ihre Stammburg und hier besitzen sie Ländereien und Einfluss. Die Klöster im Umfeld der Isar – es sind vor allem Benediktinerklöster – erfreuen sich ihres Wohlwollens und ihres Schutzes. Pfalzgraf Otto von Wittelsbach ist ein Kampfgefährte Herzog Heinrichs, zugleich aber ist er auch ein treuer Lehensmann des Kaisers. Und dann hat da noch der Bischof von Freising erheblichen Einfluss im Isartal. Für Otto von Freising stellen die Kontrolle der Flößerei auf der Isar hinunter zur Donau und der Warenverkehr über die Isarbrücken ebenfalls große wirtschaftliche Macht dar. Bischof Otto von Freising, eine bedeutende Persönlichkeit im Reich, hat sich nicht nur als Kirchenfürst einen Namen gemacht, sondern auch als Heerführer und als ein vielgerühmter Geschichtsschreiber. Diese genannten vier richten ihr Augenmerk auf die Siedlung, die bei einem Benediktinerkloster nahe einer Flussinsel in der Isar entstanden ist: »bei den Munichen«, oder auch »Munichen« genannt, das spätere München. 9
Hier treffen wir auch auf den Ritter Klef von Chlefsheim, den Herrn der Burg bei den Munichen. Aber auch interessante, faszinierende und reizende Frauen begegnen uns auf seiner Burg und im oberen Isartal. Doch von denen wollen wir uns 端berraschen lassen.
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Isa r
Freising
alte Salzstraße
Schwaben
München
Chlefsheim Derbolfing Schäftlarn
Die alte Salzstraße
Föhring Reichenhall
Prolog
F
euer! Feuer!« Schrill gellte der schreckliche Schrei durch die stille Nacht. Wen immer er erreichte, der erstarrte mit geweiteten Augen vor panischer Angst. Feuer war das schlimmste allen Unheils in jeder Siedlung. Wann immer der alarmierende Ruf erscholl, kam ungeheures Leid über ein Anwesen, über eine Ansiedlung, ein Dorf oder auch eine Stadt. Denn alle Häuser, alle Einrichtungen, ja fast alles war aus Holz gebaut, die Dächer meistens aus Stroh. Alles konnte brennen. Deshalb verbreitete der Ruf »Feuer!« Furcht und Schrecken unter den Bewohnern. Und wenn das Feuer erst einmal entfacht war, dann Gnade Gott den Bewohnern, dann brannte wirklich alles wie Zunder. Ein Feuersturm brach los und fraß sich rasend schnell durch die Gassen. Unaufhaltsam verschlang das Feuer alles. Gottes Gnade? Ja, aber selbst der Herrgott konnte dann nicht mehr helfen. »Feuer! Feuer!« Der Wachmann schrie sich die Seele aus dem Leib. Der Marktplatz des kleinen Fleckens Föhring lag in das tiefe Dunkel der Nacht gehüllt. Auf den dicht an dicht gedrängten Fuhrwerken und Karren, denen der Markt als Rastplatz für die Nacht diente, schliefen die Fuhrleute und auch die Kriegsleute, die die Kaufmänner begleiteten und sie beschützen sollten. Doch jetzt stürmten Männer vor die Türen ihrer Hütten, die Fuhrleute rieben sich gähnend die Augen, und auch ein paar Kriegsleute, die der Bischof hier untergebracht hatte, rannten mit den Bewaffneten, die von den Fuhren stiegen, ins Freie. Ihnen folgten bangend Weiber und Kinder. Wo brannte es nur? Den Leuten auf dem Marktplatz fiel ein Stein vom Herzen, als sie sich umsahen: Es waren nicht ihre Hütten, die brannten. Kein Feuer war zu sehen, kein Rauch, kein Brandgeruch zu vernehmen. Es war auch keines der vielen Fuhrwerke. Die Panik legte sich etwas. Dennoch brauchte keiner Fragen zu stellen, denn alle sahen sie den Schein. Zum Fluss hin war der Nachthimmel hell erleuchtet. Brannte das Brückenhaus vielleicht? Dort war die Brücke, die Brücke über den Fluss, die ihnen allen Arbeit gab, ihr tägliches Brot, und über die morgen die schwer beladenen Fuhren ihren Weg fortsetzen wollten. Die Zollbrücke war der Übergang der Salzstraße über die Isar. Nun eilten die Männer begleitet von Kriegsleuten, die schnell noch nach ihren Waffen griffen, in Richtung des Flusses.
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Nur eine kurze Strecke des Weges war es, wenige Schritte bis zu den Bäumen und hinunter zum Fluss. Eine Biege noch, gleich musste die Brücke in Sicht kommen – und das Zollhaus. Dann blieben sie wie angewurzelt stehen. Ein grausig schauriges Schauspiel bot sich ihren entsetzten Augen. Bizarres Geflacker, Qualm, der im Dunkel der Nacht verschwand, züngelnde Flammen, feuriges Rot, das die Brücke verdeckte. Wie gelähmt von dem lauten Krachen des brennenden Holzes, dem Rauchschleier, dem Geruch und dem Widerschein des Feuers verharrten sie. Ein schreckliches Bild. Das Zollhaus? Die Brücke? Ein funkensprühendes, zischendes, knisterndes, flammendes Inferno! Ein heißer Hauch wehte herüber. Das Dach der Hütte, die das Zollhaus einmal gewesen war, gerade brach es mit einem lauten Krachen in sich zusammen. Gierig züngelten Flammen an den hölzernen Wänden hoch. Feuergarben spritzten zum Himmel. Das konnte nicht sein, das durfte nicht sein. Und die Brücke? Sie war keine Brücke mehr. Sie war ein einziger Brandherd. Flammen fraßen sich in die Holzstreben. Überall rauchte es, qualmte es, brannte es. Als sich die mutigsten Männer zögernd näherten, sahen sie Balken herabhängen und aus dem Wasser ragen. Wo einst die hölzerne Fahrbahn gewesen war, gähnte jetzt ein schwarzes, schwelendes Loch. Brandgeruch verpestete die Luft. Sprachlos standen die Männer da. Plötzlich merkten sie auf. Hörte man da nicht Hufe schlagen? Sie lauschten. Nein, jetzt nicht mehr. Nun war es auch nicht mehr still genug. Ein Durcheinander ratlosen Geredes erhob sich, ein wütendes Geschrei dann, das die Macht des Feuers übertönen sollte. »Wasser!«, schrie einer. »Wir brauchen Wasser. Wir müssen löschen!« »Was willst du denn hier noch löschen?«, tönte es zurück. »Siehst du nicht? Es ist zu spät!« Es war tatsächlich zu spät, um noch etwas zu retten. Alle kamen sie zu spät. Die Brücke über die Isar war ein Opfer der Flammen. Suchend schwärmten die Männer aus. Wo war die Brückenwache? Der Bischof hatte doch auch an die Brücke Ritter geschickt, die den Übergang bewachen sollten. Waren die in der Hütte verbrannt? »Wo ist der Zöllner? Ist der nicht in seiner Hütte?«, schrie jemand. »Nein, der Zöllner geht erst bei Tagesanbruch seiner Arbeit nach«, erhielt er zur Antwort. »Der kommt erst bei Morgengrauen, wenn die Überfahrt wieder freigegeben wird.« Viele Augenpaare versuchten, die Nacht zu durchdringen. Fragende Rufe hallten durch die Finsternis. Aber keine Menschenseele war zu sehen, keine Antwort auf das Rufen war zu hören. Nur das leise Gurgeln der Isar, die unbeeindruckt dahinfloss. Die Feuer kokelten weiter. Knis13
ternd und zischend flackerten sie im Dunkel der Nacht. Es stank, die Luft schmeckte nach Rauch. Was war geschehen? Aufgeregt diskutierten die Männer das Geschehen. Alle redeten durcheinander. Wie konnte das geschehen? Es konnte nur Brandstiftung gewesen sein. Sonnenklar schien das, da war man sich schnell einig. Aber warum? Und weshalb? Und vor allem – wer hatte das Feuer gelegt? Alle redeten, alle rätselten, alle waren sie erregt, aber niemand wusste eine Antwort. Unmöglich konnten Brücke und Zollhaus gleichzeitig einfach so brennen. Rasend schnell musste das Feuer alles verschlungen haben. Wohldurchdacht war das, geplant sogar. Ein schnelles Attentat auf die Brücke des Bischofs? War vielleicht der Bischof das eigentliche Ziel? Nein, nicht der ehrwürdige Kirchenfürst, nicht Bischof Otto von Freising. Der war doch so angesehen, so geachtet im ganzen Reich. Wer also war fähig, eine solche Schandtat zu begehen? Wer? Und immer wieder tauchte die Frage auf: Warum? Warum die Brücke hier in Föhring, die für alle so wichtig war, die für alle Familien das tägliche Brot sicherstellte.
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1.
K
lef stützte sich mit beiden Ellenbogen auf den grob behauenen Stein. Zwischen zwei der wuchtigen Zinnen beugte er sich etwas über die Brüstung des Turms. So hatte er einen wunderbaren Blick von der Wehrplatte des Bergfrieds auf das Kloster der Benediktiner zur Rechten und auf die kleine Siedlung bei den Munichen. Aber das interessierte ihn kaum. Eher schon die neue Straße auf dem gegenüberliegenden steil ansteigenden Ufer, dem »gachen« Steig. Dahinter erstreckte sich, so weit sein Auge reichte, die bewaldete Landschaft bis zum Horizont, an dem die Straße schließlich verschwand. Näher an seinem Ausguck, unten, unweit der Burg, floss träge, wie es von hier aus schien, die Isar. Aber auch das Wasser zog nicht wirklich seine Aufmerksamkeit auf sich. Es war die Brücke, die dort über den Fluss führte. Klefs Oberkörper lehnte auf der Zinne, und er spürte das Amulett, das er auf der Brust trug. Klef drückte es fester an sich und lächelte zufrieden. »Meine Brücke!«, sagte er leise. Stolz und Genugtuung lagen in den beiden Worten. An der Stelle, an der sich der Fluss in zwei Arme teilte und eine kleine Insel bildete, stand die neue Brücke. Das Ergebnis anstrengenden Schaffens der letzten Monate. Es war seine Brücke. Natürlich war es nicht wirklich »seine« Brücke, gestand er sich. Frohen Mutes jedoch. Es war die Brücke des Herzogs. Aber er, Klef von Chlefsheim, er hatte über ihre Errichtung gewacht, er hatte sie geschützt. Er hatte dafür gesorgt, dass sie ganz nach den Wünschen des Herzogs entstanden war. Die langen Vorbereitungen haben sich bezahlt gemacht, dachte er. Immer noch kann ich nur staunen, welche Weitsicht der »Löwe« bewiesen hat. Und die Wahl des Ortes für die Brücke und der Männer, denen der Herzog das Projekt anvertraut hatte, hätte besser nicht ausfallen können. Genugtuung lag in diesen Gedanken. Erfahrene Vermesser hat der Herzog uns im letzten Jahr geschickt, als wir noch nicht einmal ahnten, was das alles werden sollte. In der kleinen Siedlung haben sie Straßen abgesteckt und Parzellen für neue Häuser, die alle unentgeltlich an die Bewohner abgegeben werden sollen. Und vor allem auch freie Flächen für den Markt, nein, von vornherein gleich für ein zweites Handelsareal neben dem eigentlichen Marktplatz, mit dem Rindermarkt. Niemand von uns wusste, was dort entstehen würde, überlegte Klef. 15
Natürlich, nicht alle diese Pläne waren auf des Herzogs eigenem Mist gewachsen. Aber schmälerte das sein Verdienst? War es nicht im Gegenteil ein Beispiel seiner Weitsicht, dass er offensichtlich Bischof Wibald von Corvey mit der Ausarbeitung eines Stadtplans für seine Stadt bei den Munichen beauftragt hatte? Ein Dankschreiben des Herzogs an den Bischof gab es offenbar auch, hatte ihm der Pfalzgraf Otto von Wittelsbach in einer langen, feuchtfröhlichen Nacht erzählt. »Wir erweisen Eurer Liebenswürdigkeit verdienten Dank, dass Ihr nach dem Hoftag in Bamberg so eifrig und bereitwillig dem nachdrücklichen Ruf unserer Majestät ohne Zögern oder Aufschub gefolgt seid, um alle unsere noch zu erteilenden Anweisungen bereitwillig auszuführen.« Klef erinnerte sich an diese Zeilen. Wenn man die Kunst des Lesens und des Schreibens nicht so beherrschte wie die Mönche, dann funktionierte das Gedächtnis umso besser. Davon war Klef überzeugt. Klef war stolz auf die Brücke, eine Meisterwerk an Stabilität und Tragfähigkeit. Und – es war eben doch seine Brücke. Und Rupert, dieses Genie von einem Zimmermann, den er angeworben hatte, der war ihm verantwortlich dafür gewesen, mit seinen Leuten die Pläne des Herzogs in die Tat umzusetzen. Wie lange war das alles her? Nun war auch der Ausbau der Straßen vollendet, die dem Anschluss an die alte Salzstraße sowohl im Osten wie auch im Westen einen natürlichen Verlauf zu seiner Brücke vorgaben. So, als ob das schon immer so gewesen wäre, musste es den Fuhrknechten jetzt vorkommen, freute sich Klef. Das wäre geschafft. Er rieb sich die Hände. Ein Lächeln überzog sein Gesicht, als er an die Botschaft dachte, die er dem Herzog geschickt hatte: »Herr Herzog, die Brücke bei den Munichen steht!« Aber nun musste der nächste Schritt folgen, da bestand für Klef kein Zweifel. Denn, wie er so voller Genugtuung auf seine Brücke hinunterschaute, war ihm auch ein wesentlicher Mangel offensichtlich: Die Straße, die jenseits des Ufers aus dem Wald herankroch, war leer. Noch überquerte kein einziges Fuhrwerk die Brücke, und der Zöllner saß faul und gelangweilt vor seiner Holzhütte. Auch die zwei Wachposten lehnten träge an einem Pfosten und drehten Däumchen. Sie schienen sich gemütlich an der Sonne zu wärmen. Keine Fuhrwerke, keine Einnahmen. Klef schüttelte unwillig den Kopf. Die Händler machten in ihrem alten Trott einfach weiter. Sie nahmen den Weg über Föhring, weil sie den kannten, der Übergang über die Isar war ihnen vertraut. Sie wussten noch nicht, welche Möglichkeiten sie jetzt hatten. Das würde sich schnell ändern müssen.
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