Dieter Allers: Menschen im Haus

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Dieter Allers, geboren 1941 in Köln, aufgewachsen in Berlin, studierte dort und später in München Architektur. Seit 50 Jahren ist er Wahl-Schwabinger (und seit bald 40 Jahren »italiano d’adozione«). Er lebt und arbeitet mit seinem Partner Heinz Gottberg als Architekt in München und auf der Insel Elba. Neben Neubauten zum Wohnen haben die beiden unter Denkmalschutz stehende Häuser – wie die Franz-Joseph-Straße 19 – in München, Augsburg und Potsdam immer wieder gern »in die Hand genommen«. Bisher veröffentlichte Dieter Allers: »Elbaner Begegnungen« (2003), »Menschen, Orte und Elbaner Trüffel« (2009), »Berlin Memoir« (2011) und das ihm besonders am Herzen liegende Essay »Gelber Stern, Rosa Winkel, Schwarze Haut« (2008).


Dieter Allers

Menschen im Haus Biografische Miniaturen aus Schwabing


Weitere Informationen über den Verlag und sein Programm unter: www.allitera.de

Dank an Ingrid Umgelter für ihre ermutigende Unterstützung und an Dietlind Pedarnig für ihr geduldiges und kreatives Engagement bei der Verwirklichung des Buchs

April 2013 Allitera Verlag Ein Verlag der Buch&media GmbH, München © 2013 Buch&media GmbH, München Umschlaggestaltung: Alexander Strathern Printed in Europe · ISBN 978-3-86906-463-5


In memoriam: Gitta von Cetto Berta Himmler Traudl Junge Kai Molvig Michael Rascher



Inhalt Vorab · 9 Berta Himmler und Michael Rascher · 20 Gitta von Cetto · 50 Traudl Junge · 58 Kai Molvig · 68 »Vergangenheit der Gegenwart« · 89 Literaturhinweise · 92 Abbildungen · 92



Vorab

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as Haus Nr. 19 in der breiten, Baum bestandenen Franz-Joseph-Straße in Schwabing hatten wir 1975 zufällig bei einem Spaziergang hinter einem Schutzgerüst entdeckt. Mein Partner Heinz Gottberg und ich waren mit unserem Architektenblick in den prächtig stuckierten und holzvertäfelten, aber stark verstaubten Eingangsbereich des Hauses gegangen, weiter in den verwahrlosten Hof und standen vor dem Gartenhaus zum Leopoldpark. Vorder- und Gartenhaus hatten die Bomben des Zweiten Weltkriegs zwar überstanden, aber die zerbröckelnden, ehemals reich dekorierten Jugendstilfassaden – Gesimse, Stuckornamente, Fenster, Balkongitter – waren beschädigt und vom Zahn der Zeit angegriffen. Die Erbengemeinschaft, der die Nr. 19 gehörte, hatte vierzig Jahre lang kaum Geld für den Erhalt des Hauses ausgegeben, sodass die Stadt das Aufstellen eines Schutzgerüsts wegen herabfallender Stuckteile angeordnet hatte.

Originales Jugendstil-Glasmosaik in einer Fensterrahmung.

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Franz-Joseph-Straße 19, Fassade mit Schutzgerüst, 1975. Der Stuck war nur teilweise zerstört und konnte wiederhergestellt werden.

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Stuck am noch nicht renovierten Gartenhaus, 1975.

Bei diesem Haus schien uns der zynisch klingende Satz »Armut ist die beste Denkmalpflege« zu stimmen, wenn man bedenkt, dass oftmals zu reichlich vorhandene Mittel bei Modernisierungsmaßnahmen zu »zeitgemäßen« Veränderungen an Häusern führen, die ihnen den Charakter nehmen und nicht zum Genius Loci gehören. Das zufällig entdeckte architektonische Jugendstiljuwel hatte uns trotz seines maroden Zustands bezaubert und wir fingen an, Pläne zu schmieden.

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Das Haus Franz-Joseph-Straße 19 mit Hof und neuer Gartengestaltung. Entwurf von Heinz Gottberg, 1975.

Ein Jahr später, 1976, konnten wir als Architekten Gottberg + Allers zusammen mit anderen Interessenten eine Bauherrengemeinschaft gründen und hatten die große Chance, das 1905 von Architekt Franz Nyklas für seine Familie erbaute Haus umfassend zu sanieren, seine Jugendstilpracht wiederherzustellen, die Dachgeschosse auszubauen und vor allem auch die »Menschen im Haus« kennenzulernen.

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Blick vom Eingang in den Gartenhof.


Blick vom Eingang auf die Franz-Joseph-Straße.


Vorderfront des renovierten Hauses Franz-Joseph-StraĂ&#x;e Nr. 19, 1977.



Das schmiedeeiserne Treppengel채nder.



Berta Himmler und Michael Rascher

J

edes Jahr hatte uns die betagte Fotografin Berta Himmler aus dem dritten Stock in unserem Haus die Kalender vom Metropolitan Museum gezeigt, kleine Kunstwerke, die ihr Michael Rascher aus New York schickte. Als wir unsere beabsichtigte USA-Reise erwähnten, meinte sie, wir müssten ihn unbedingt kennenlernen, ein so netter Mann, und er habe doch früher hier in unserem Haus gewohnt. Dann hat sie ihm geschrieben, uns seine Telefonnummer gegeben und uns eine Verabredung mit ihm ans Herz gelegt. Erst am dritten Tag in New York riefen wir Michael an, obwohl wir selbst noch viel in der Stadt vorhatten. Wir wollten mit dem Dampfer die Circle Tour um Manhattan machen, in die Ballettaufführung von Falco gehen und zu Gideon Kremer in die Carnegie Hall. Michael hatte unseren Anruf erwartet und klang etwas vorwurfsvoll, dass wir uns erst jetzt meldeten. Er nahm sich gleich den nächsten Tag für uns frei. So lernten wir ihn kennen, einen älteren, zierlichen Herrn, der Deutsch mit starker amerikanischer Intonation sprach. Durch das »you« waren wir gleich beim »du«, was sonst wegen des Altersunterschieds sicher länger gedauert hätte. Er zeigte uns das Café am See im Central Park,

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führte uns ins Whitney-Museum und in die Kunstsammlung der Frick Library. Für unseren Geschmack war sie ein wenig verstaubt, konventionell, die Architektur ein Stilmöbel. Dafür luden wir Michael zum Lunch nach Soho ein, zu dem Italiener aus dem Reiseführer – es war wohl »Benito«, bei dem schon Marlon Brando, Andy Warhol und Al Pacino, wie auf den Fotos an den Wänden dokumentiert, Spaghetti gegessen hatten. Obwohl Michael zu Soho leicht die Nase gerümpft hatte und sagte, dass er in diese Gegend abends nie gehe, weil viel zu gefährlich, gefiel auch ihm das Lokal. Er hatte gespannt unserem Treffen in New York entgegengesehen und war sicherlich ein bisschen enttäuscht über unsere andere, lockerere Betrachtung seiner »schönen Dinge« in der Frick Library. Aber wir tauschten die Adressen aus und versprachen in Kontakt zu bleiben. Fräulein Himmler hatte inzwischen Vertrauen zu uns neuesten Hausbewohnern, den Architekten, gefasst. Sie war schon in den 1930er-Jahren in das 1905 erbaute Haus eingezogen. Zu diesem Zeitpunkt waren seine Etagen aufgeteilt worden in zwei und auch drei Wohnungen, weil eine ganze zweihundertsechzig Quadratmeter große Etage ungeteilt in der Inflationszeit nicht zu vermieten war. Die junge Fotografin bezog so ihre ersten eigenen Räume im aufgeteilten dritten Stock als Atelier und Wohnung. Sie brachte Schaukästen am Hausein21


Michael Rascher (im Vordergrund links) mit den Architekten Heinz Gottberg (Mitte) und Dieter Allers in New York, 2000.

gang an, in denen sie monatlich wechselnd Porträtfotos ausstellte. Einen weiteren Schaukasten hatte sie am Odeonsplatz und einen im »vornehmen« Bogenhausen. In ihrem Wohnzimmer gab es noch die lilafarbene Seidentapete aus dem Baujahr des Hauses. Sie hatte die Tapete nie erneuert, sie in der Kriegszeit beim Früh22


jahrsputz mit frischem Graubrot gereinigt, aber dabei ein schlechtes Gewissen gehabt. Nun fand sich unter der Tapete die alte Makulatur: Ausgaben der »Münchner Neuesten Nachrichten« aus dem Jahr 1903 mit Anzeigen für Importweine und praktische Leiterwagen sowie Berichten aus der Gesellschaft, über einen Kongress für Geschlechtskrankheiten und vom Besuch Kaiser Wilhelm II. in Bad Kissingen. Unserer grundlegenden Renovierung und Modernisierung des Hauses hatte sich Fräulein Himmler erst unter Protest gefügt. Als wir mit Fassadenreparaturen an dem mit einem Schutzgerüst gesicherten Haus begannen, schrieb sie in einem alarmierenden Brief an den Oberbürgermeister: »Hier wird ein Jugendstilhaus zerstört.« Bald konnten wir sie aber überzeugen, dass wir nur die zerbröckelnde Fassade sichern und den Stuck grundlegend wiederherstellen wollten. Auch während der inneren Modernisierung des Hauses blieb sie so lange die Bauarbeiten andauerten in ihrer Wohnung. Als der Fahrstuhl eingebaut wurde, war ihr Atelier im dritten Stock nur über eine Behelfstreppe erreichbar. Sie selbst meinte damals mit gut achtzig Jahren, sie bräuchte keinen Aufzug, sie mache jeden Morgen ihre Yogakopfstände. Kaum war der Aufzug eingebaut, hat sie ihn stets benutzt. An die Rückwand der winzigen Aufzugkabine brachten wir eine lebensgroße Reproduktion der »Venus« von Botticelli an. Durch die verglaste Lifttür gesehen 23


Die bei Berta Himmler gefundene Zeitungsmakulatur, mit deren Hilfe Unebenheiten der Wand ausgeglichen wurden.


war man so schon vor Betreten der Aufzugskabine in angenehmer Gesellschaft. Auch Fräulein Himmler fand die »Venus«-Mitfahrerin eigentlich schön, meinte jedoch mit bedenklicher Miene: »Aber sie ist ja nackt!« Als die Heizkörper für die Zentralheizung auch in ihren Räumen installiert wurden, fühlte sie sich durch deren Aussehen sehr irritiert. Sie meinte, die Rippen flimmerten vor ihren Augen und erinnerten sie fatal an Eierkartons, die sie nur ungern in ihrem Atelier stehen hätte. Nur als das Parkett versiegelt wurde, hat sie auf unser dringliches Anraten ihre seit über fünfzig Jahren bewohnte Wohnung für zwei Tage wegen des ätzenden Geruchs des Versiegelungslacks verlassen. In den 1930er-Jahren war nur die sogenannte Beletage des Hauses (also der herrschaftliche erste Stock) ungeteilt geblieben. Dort war die Arztpraxis und Wohnung von Dr. Hanns Rascher, wo dessen Sohn Michael in den Kriegsjahren und kurz danach aufgewachsen ist. Jetzt, bei seinem Besuch im Haus, erzählt er aus der Zeit, in der er damals hier lebte. Was es für Kinderbekanntschaften im Englischen Garten gab. Wie die Kinderfräulein mit ihren Schützlingen spazierengingen und die Spielenden beaufsichtigten. So war Michael eines Tages im »Haus des Deutschen Rechts« in der Leopoldstraße auf einem Kinderfest beim Justizminister und späteren Gauleiter Hans Michael Frank eingeladen. Er erinnert sich noch daran, wie plötz25


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