edition monacensia Herausgeber: Monacensia Literaturarchiv und Bibliothek Dr. Elisabeth Tworek
Bayerische Schriftstellerinnen Ein Lesebuch Herausgegeben von Dietlind Pedarnig und Edda Ziegler
Weitere Informationen über den Verlag und sein Programm unter: www.allitera.de
November 2013 Allitera Verlag Ein Verlag der Buch&media GmbH, München © 2013 für diese Ausgabe: Landeshauptstadt München / Kulturreferat Münchner Stadtbibliothek Monacensia Literaturarchiv und Bibliothek Leitung: Dr. Elisabeth Tworek und Buch&media GmbH, München Umschlaggestaltung: Alexander Strathern / Dietlind Pedarnig, München unter Verwendung des Gemäldes »Frau des Künstlers mit Hut« von August Macke (1909) Printed in Europe · isbn 978-3-86906-536-6
Inhalt 7 Vorwort
Isabella Braun
Luise von Kobell
15 Wie Leonhard standhaft blieb 31 Das Jahr 1848
Wilhelmine von Hillern 45 Wally Marie Conrad-Ramlo 52 Der Vater Anna Mayer-Bergwald 59 Chiemsee-Idyllen Anna Croissant-Rust 68 Kirchweih
Carry Brachvogel 78 MĂźnchner Kellnerinnen Annette Kolb 84 Auf und nieder Emerenz Meier 93 Der Bua Lena Christ 102 Der Dorfdummerl
Liesl Karlstadt 109 Wo hans’n? 111 Die deutsche Laugenbretzel Marietta di Monaco 114 An Jo
Paula Schlier 118 In der Redaktion der Patrioten
Maria Luise Weissmann 133 Das Gottesauge
Marieluise Fleißer 139 Abenteuer aus dem Englischen Garten Erika Mann 152 Der »Dennoch«-Fasching Münchens Grete Weil 156 Ans Ende der Welt Monika Mann 163 Capri-Skizzen
Kadidja Wedekind 169 Franzl steigt aufs Dach und Lukas hat furchtbare Angst Margaret Kassajep 177 Von Menschen, Menschern und einem Abendrot Elisabeth Mann Borgese 184 Wie Gottlieb Hauptmann die Todesstrafe abschaffte. Eine Fabel
Maria Beig 193 Das gute Ende
Elisabeth Engelhardt 201 Wahrheit
Gisela Elsner 205 Die Mahlzeit Marianne Ach 213 Der Blechsoldat Keto von Waberer 223 Fasching
233 Literaturverzeichnis
235 Editorische Notiz
Ich wünsche zu sein, was mich entflammt Maria Luise Weissmann Modern sein heißt für die Frau wohl lieben bis zum höchsten Opfermut, nicht aber bis zur Selbstvernichtung Carry Brachvogel
Vorwort
W
er oder was ist eine bayerische Schriftstellerin? Den Maßstab dafür setzen in der vorliegenden Anthologie ganz schlicht die Geburtsorte der Autorinnen, wie sie zum damaligen Zeitpunkt innerhalb der bayerischen Landesgrenzen zu finden waren: zwischen Rheinpfalz und Alpen, Oberpfalz und Schwaben, Chiemsee und Bayerischem Wald. Beileibe nicht alle der hier präsentierten Schriftstellerinnen kommen aus der Landeshauptstadt München. Diese erwarb sich das Image der weltoffenen Kunststadt, mit Zentrum Schwabing und seiner Boheme, erst Anfang des 20. Jahrhunderts, mit dem Schlagwort von der »liberalitas bavariae«. Zunächst aber, in den hindernisreichen Anfängen weiblicher Schreibtradition im 19. Jahrhundert, leben und arbeiten die Autorinnen meist in ihren Herkunftsorten, in der bäuerlich-dörflich geprägten Provinz. Diese bestimmt nicht nur die Themen ihrer Texte, sondern auch die Art des Schreibens und vor allem den bewussten Gebrauch des Dialekts. Die aus Oberbayern stammende Lena Christ und die »im Wald« in Niederbayern geborene Emerenz Meier sind sicher die berühmtesten Beispiele dieser engen Symbiose von bayerischer Kulturlandschaft und weiblicher Autorschaft. Aber auch zeitgenössische Schriftstellerinnen wie Maria Beig oder Marianne Ach reflektieren Sprache, Landschaft und Menschen ihrer Heimat – oft hart und gnadenlos in ihrem Realismus, aber auch mit liebevollem Blick. Nie aber verklärend-idyllisch, sodass ihnen keinesfalls das Etikett einer »Heimatschriftstellerin« verpasst werden kann. Die Liebe zum »Weiß-Blauen Land« gehört 7
zwar zum Grundtenor der Werke von Carry Brachvogel oder von Anna Croissant-Rust, aber auch bei ihnen kann von einer »tümelnden«, also idealisierenden und unkritischen Heimatliteratur nicht die Rede sein. Im Gegenteil. Die vorliegende Anthologie nimmt neben den Texten bekannter auch diejenigen lang vergessener oder in ihrem literarischen Potenzial öffentlich nicht wahrgenommener Autorinnen auf. Der Bogen spannt sich dabei von der ältesten der hier versammelten Schriftstellerinnen, der Jugendbuchautorin Isabella Braun (geboren 1815), bis zu Keto von Waberer (geboren 1942). Die chronologisch nach dem Geburtsjahr der Autorinnen zusammengestellten Texte fächern das Spektrum weiblicher Autorenschaft vom 19. bis zum 21. Jahrhundert in Bayern auf. Betrachtet man die Erzählungen im zeitlichen Kontext, so offenbaren sie eine Entwicklung, in der sich schreibende Frauen – in der Öffentlichkeit mehr oder weniger erfolgreich – aus den ihnen zugewiesenen Rollen und Themen befreien und versuchen, in einem patriarchalisch geprägten Literaturbetrieb Fuß zu fassen. »Warum lassen Sie Ihre Tochter nicht lieber kochen lernen? Es gibt so viele schlechte Künstlerinnen und so wenig gute Köchinnen.« Dieser Ratschlag von Alfred Lichtwark, ab 1886 Direktor der Hamburger Kunsthalle, zeigt, wie schwer der Weg für Frauen im Bereich der bildenden Kunst, aber auch der Musik und Literatur gewesen ist. Nicht zufällig stehen am Anfang der Anthologie eine Kinder- und Jugendbuchautorin sowie Frauen, deren Schreiben zugleich bestimmt und behindert ist von den männlichen Vorbildern aus der eigenen Familie, sei es nun dem Mundartdichter Franz von Kobell oder den Männern aus der Familie Mann, Vater, Onkel und Bruder Thomas, Heinrich und Klaus. Kadidja Wedekind lag bis zuletzt mehr an der Bewahrung des literarischen Erbes ihres Vaters Frank als daran, sich ihrem eigenen schriftstellerischen Talent zu widmen. Beruf Schriftstellerin – das anzustreben und zu erreichen ist heute für Frauen eine Selbstverständlichkeit. In der jüngeren Autorengeneration stellen sie mittlerweile die Mehrheit – rein quantitativ betrachtet, nicht jedoch, was Erfolg und literarisches Ansehen betrifft. Mehr Frauen als Männer bewerben sich in aller Regel um die Teilnahme an den Ausbildungsgängen, Schreibkursen und Schreibwerkstätten, die von Universitäten, Hochschulen und literarischen Institutionen aller Art nach dem amerikanischen Vorbild des Creative Writing auch im deutschsprachigen Raum angeboten werden. 8
Das war nicht immer so. Die Anfänge professionellen weiblichen Schreibens liegen in der Zeit um 1800. Es ist der Beginn des bürgerlichen Zeitalters, die Schwellenzeit zur Moderne. Mit ihr entwickelt sich im deutschsprachigen Raum zugleich der bedarfsorientierte, den Kriterien von Angebot und Nachfrage folgende Buchmarkt. Und damit auch die Professionalisierung des Schriftstellerberufs. Mit ihr verändert sich das Selbstverständnis der Autoren und auch der damals noch sehr überschaubaren Anzahl von Autorinnen. Schriftstellerei wird nun nicht länger verstanden als ein Nebenberuf, als Beschäftigung für »Nebenstunden«, wie es jahrhundertelang üblich war, sondern als Brotberuf – und als Berufung. Dieses neue Selbstverständnis ist symbolhaft präsent im Bild des von der Muse geküssten Originalgenies. Allein die erotische Konnotation des Bildes vom Musenkuss zeigt, dass das Originalgenie ursprünglich ausschließlich männlich gedacht war. Für Frauen dagegen sieht die gesellschaftliche Norm bis ins 20. Jahrhundert hinein weder Genialität noch Berufstätigkeit vor; ja, nicht einmal die Werkherrschaft über ihre Texte. Um sich dieser Ausgrenzung zu widersetzen und erfolgreich publizieren zu können, bedienen sich Frauen – wie Carola Hilmes schreibt – »unterschiedlicher Strategien«: »Sie publizieren anonym, kryptonym, pseudonym oder heteronym. Nur selten aber unter eigenem Namen.« Beispielhaft belegen lässt sich diese Strategie an Autorinnen von der Romantik über den französischen Realismus bis zur Nachkriegszeit: unter anderen an Bettina von Arnim (1785–1859), die sich am Anfang ihrer literarischen Karriere Elisabeth von St. Albin nennt, an Lucile-Aurore Dupin (1804–1876), besser bekannt als George Sand, an Mary Ann Evans (1819–1880), namhaft als George Eliot, an Colette (1873–1954), die als Willy publiziert, und der in Wien geborenen und in München wirkenden Elsa Bernstein (1866–1949), die unter dem Pseudonym Ernst Rosmer veröffentlicht. Auch unter den in diesem Band versammelten Schriftstellerinnen gibt es einige, die ihre Schreibtätigkeit hinter einem anderen Namen verbergen. So unterzeichnet Marie Conrad-Ramlo mit dem Namen L. Willfried Literaturkritiken in der von ihrem berühmten Ehemann gegründeten Zeitschrift »Die Gesellschaft« und Maria Luise Weissmann setzt das Pseudonym M. Wels unter ihre im »Fränkischen Kurier« erscheinenden literarischen Arbeiten. In diesem Zusammenhang ist es absolut bemerkenswert, wenn Paula 9
Schlier bereits 1921 als eine der wenigen aus der schreibenden Zunft und dann noch dazu als Frau ihren eigenen Namen verwendet, um im »Nürnberger Anzeiger« öffentlich Stellung gegen die Nationalsozialisten zu beziehen. Bei den einen, wie zum Beispiel Annette Kolb, hätte das Schreiben unter einem anderen Namen wohl ihrem Selbstverständnis widersprochen; der Intention, sich und ihre Professionalität in der literarischen Öffentlichkeit sichtbar zu machen und zu behaupten. Die anderen, vor allem die Autorinnen aus dem ländlich-bäuerlichen Raum, lebten und schrieben in einem so überschaubaren Wirkungskreis, dass die Strategie des Verbergens und Verschleierns dort kaum Sinn gehabt hätte. Gegen die geschlechtsspezifische Ausgrenzung aus dem literarischen Betrieb aber haben auch diese Schriftstellerinnen, insbesondere die älteren unter ihnen, zu kämpfen. Dabei haben Frauen aus dem ländlich-bäuerlichen Milieu wie beispielsweise Lena Christ oder Emerenz Meier auf dem Weg in die literarische Szene höhere Hürden zu überwinden als Frauen wie Carry Brachvogel, die Kinder von Thomas Mann oder Marieluise Fleißer, die aus städtisch-bürgerlichem beziehungsweise dem Künstlermilieu stammen. Schon das Fehlen von Schul- und Ausbildungsmöglichkeiten auf dem Land erschwert den Schriftstellerinnen ein Vorwärtskommen und drängt sie zu vorrangig dienenden Berufen, wie sie für Frauen eben vorgesehen waren: Magd, Kellnerin, Kindermädchen, Sekretärin oder Haushälterin. Alternativ dazu bietet sich dann noch der Gang zum Traualtar an … Die meisten der in diesem Band präsentierten Autorinnen leben und schreiben im 19. und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Bis auf wenige Ausnahmen wie die Erfolgsschriftstellerin Wilhelmine von Hillern, die es schafft, zu Lebzeiten den Geschmack der Leserschaft zu treffen und mit dem Bestseller »Geier-Wally« den Literaturbetrieb zu erobern, sind sie in ihrer Profession nicht oder nur wenig anerkannt, stehen im Schatten ihrer bedeutenden Ehemänner oder werden nur als unkreative, unselbstständige Musen erfolgreicher Künstler gesehen, so wie Marietta di Monaco. Auch eine Liesl Karlstadt ist nicht nur im Zusammenhang mit ihrem berühmten Kollegen Karl Valentin zu betrachten, sondern kann auf ein eigenständiges und charakteristisches Schreiben verweisen. Die Zeit an der Schwelle vom 19. zum 20. Jahrhundert ist eine Zeit des Aufbruchs, auch, was die gesellschaftlichen Rechte der Frauen an10
geht. Zentren sind dabei die Hauptstädte Berlin und Wien, die Orte, in denen die literarische Moderne zu Hause ist, und – mit gewissem Abstand und Einschränkungen – auch München. Die verschlafene Residenzstadt entwickelt sich in dieser Zeit zur Kunstmetropole, aber auch zur »Hauptstadt der Bewegung«. Der gesellschaftliche Aufbruch wird durch die Frauenbewegung und ihre öffentlichen Forderungen nach Gleichstellung der Geschlechter: nach Frauenwahlrecht, Frauenbildung, Zugang der Frauen zu den Universitäten und zur Berufstätigkeit vorangetrieben. Diese Ziele werden nur mit vielen Verzögerungen und Rückschlägen erreicht – bedingt durch die politische Entwicklung in den Jahren der NS-Herrschaft und der Reideologisierung nach den beiden Weltkriegen. Die Schriftstellerei als künstlerischer Beruf ist zwar an die offiziellen Ausbildungswege und staatlichen Zulassungen, auf die sich der Gleichstellungskampf konzentriert, nicht gebunden. Doch auch das weibliche Schreiben und Publizieren entwickelt sich im Kontext der hindernisreichen Geschichte weiblicher Emanzipation. Zu den Charakteristika dieser Entwicklung zählt die Nähe zu randständigen, in der Hierarchie der Gattungen eher niedrig gewerteten literarischen Formen wie der Kinder- und Jugendliteratur, dem Gelegenheitsgedicht, der Autobiografie, die ihre Wurzeln in den tradierten Formen der Frauenliteratur, in Brief und Tagebuch, hat, speziell aber der Unterhaltungsliteratur. Diese boomt in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und vor allem in den 1920er-Jahren durch eine neue Publikationsform, den Fortsetzungsroman, in den von einem massenhaften, überwiegend weiblichen Lesepublikum frequentierten neuen Medien, der illustrierten Zeitschrift und dem Familienblatt. Dieser Kontext – die Nähe zur Autobiografie, zur Gebrauchs- und zur Unterhaltungsliteratur – degradiert das weibliche Schreiben und verweist es – allein der Textsorten wegen – in die Niederungen der klassischen Gattungshierarchie. An deren Spitze, repräsentiert von Lyrik und Drama, haben Schriftstellerinnen zunächst einmal nichts zu suchen. Ihr Werk wird meist erst relevant unter einem erweiterten Literaturbegriff, der sich Formen der Gebrauchsliteratur mehr öffnet und den die Wissenschaft erst seit Ende der 1960er-Jahre diskutiert. Dass Frauen immer schon Gedichte schrieben, also eine literarische Form nutzten, die an der Spitze der tradierten Gattungshierarchie steht, soll nicht unerwähnt bleiben. Doch diese Gedichte verstanden 11
die Autorinnen selbst ebenso wie der literarische Markt nicht als professionelle Produkte, sondern als am Rand der literarischen Öffentlichkeit angesiedelte Gelegenheitsliteratur, zumal sie meist nicht im Druck erschienen. So blieb es für Schriftstellerinnen wie den hier versammelten bis ins 20. Jahrhundert hinein schwierig, sich beruflich zu professionalisieren und Zugang zum literarischen Markt zu finden. Wer dort reüssieren wollte, gleich ob in literarischen Zirkeln und Gruppen, bei Preisverleihungen und Ehrungen oder bei der Suche nach einem Verlag, der brauchte dafür die Netzwerke. Diese aber waren weiterhin von den männlichen Kollegen dominiert. Mit ihnen treten die Autorinnen nun notgedrungen in Konkurrenz. Denn auch ihnen geht es nun darum, das Schreiben zur beruflichen Existenzgrundlage zu entwickeln. Und mit zunehmender Professionalisierung nähern sich die Autorinnen auch den bisher von Männern besetzten Schreibräumen an. Die Frauen emanzipieren sich von Küchentisch, Dienstmädchenzimmer und Parkbank und dringen vor in Orte der literarischen Öffentlichkeit wie den Salon, das Wirtshaus, die Brettlbühne, die literarische Gruppe und das literarische Café. Diese Anthologie versteht sich als Teil der Grundforderung an eine Frauenliteraturgeschichte: die, vergessene Autorinnen neu zu entdecken beziehungsweise wieder zu Wort kommen zu lassen. Das Werk inzwischen dem Kanon zugehöriger Schriftstellerinnen wie Marieluise Fleißer, Annette Kolb und Lena Christ soll hier im genderspezifischen und im landesspezifisch bayerischen Kontext neu beleuchtet werden. Die Anthologie möchte zudem beitragen zu einem plastischen Bild von den unterschiedlichen, durchweg hindernisreichen Wegen, die diese Autorinnen zu gehen hatten, um in der literarischen Öffentlichkeit wahrgenommen zu werden. Die Suche nach einem geeigneten Bild für den Umschlag dieser Anthologie führte die Schwierigkeiten schreibender Frauen im Literaturbetrieb plastisch vor Augen. Bei den Recherchen fand sich kein Künstler und keine Künstlerin, die im Zeitrahmen der Entstehung der ausgewählten Texte eine Frau mit einem Stift in der Hand abgebildet hätten. Frauen tauchen auf Gemälden vornehmlich entweder in steifrepräsentativen Porträts, in erotischem Kontext oder in der Rolle als Mutter auf. Sie finden sich müßig auf einem Sofa sitzend, stickend, 12
tanzend, bestenfalls lesend auf der Leinwand wieder oder sind ganz einfach nur schön oder, besser gesagt, dekorativ in Szene gesetzt. Das Gemälde von August Macke aus dem Jahr 1909, auf dem er seine Frau mit Hut porträtiert hat, erhielt schließlich den Vorzug. Es zeigt zwar keine Schriftstellerin, aber eine Frau, die mit expressionistisch-starkem Ausdruck dem Betrachter zugewendet ist, nicht eingeengt in eine Pose oder Rolle, sondern ganz »sie selbst«. Damit kann sie beispielhaft für die Autorinnen stehen, denen in diesem Sammelband eine Stimme verliehen wird. Es sind lauter »starke Frauen« … Dieses Lesebuch möchte Lust machen auf mehr. Auf mehr Wissen über die Geschichte und spezifische Problematik weiblichen Schreibens, mehr Lust aber vor allem auf die Texte der hier präsentierten bayerischen Schriftstellerinnen. München, Oktober 2013
Dietlind Pedarnig und Edda Ziegler
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Isabella Braun (1815–1886)
Wie Leonhard standhaft blieb
E
s war zur Winterszeit. Die Berge standen im dichten Schneemantel eingehüllt, und Schnee lag auf den Feldern, glatt gestrichen vom Winde, der darüber hinsauste. Die Fluren, die zu jeder anderen Jahreszeit von Menschen und Tieren belebt waren, lagen nun öde da; nur ängstlich herumflatternde Vögel setzten sich auf die bereiften, dürren Hecken und wetzten umsonst den Schnabel an den kristallartigen Eiszapfen; einige Raben flogen hie und da umher, und der Schnee erschien gegen ihr kohlschwarzes Gewand noch weißer; ihr Krächzen allein unterbrach die Totenstille. Weit und breit sah man keinen Menschen, selbst wenn auch einer des Weges kam, so klangen seine Schritte vom weichen Schnee gedämpft; die Kälte schien das lustige Lied sogar im Munde der Jugend zu hemmen. Oft aber mußte der blaue Himmel sich hinter dem grauen, undurchsichtigen Nebel verbergen, oder dichte Schneemassen flogen in Flocken hernieder und verhüllten die Gegend. Zu dieser Zeit war es freilich behaglicher in der großen Stube des Bauernhofes, wo die niedere Decke die Wärme zusammenhielt, oder selbst in der kleinen Stube der elendesten Hütte; denn es fehlte nicht an Reisig aus dem nahen Walde. Am behaglichsten war es nun vollends beim reichen Holzbauer; kein Wunder, er besaß auch eine starke Holzung, von der sein Hof seit alter Zeit den Namen trug. […] Der Holzbauer war der reichste und dabei angesehenste Mann im ganzen Orte und das nicht ohne Grund; denn er verwaltete das Amt des Schulzen, er konnte in der Zeitung lesen und den Bauern das Recht so haarscharf erklären, als ob er studiert hätte […]. Aber der Holzbauer war auch seiner Wohltätigkeit halber besonders geachtet. Denn wenn es irgendwo armselig zuging, blieb sein Haus, sein Speicher, ja sogar sein Geldranzen nicht verschlossen, und aus seinem Reisig band sich mancher Arme den Büschel; die Bäuerin aber speiste die Armen, die an jedem Freitag vor die Tür kamen […]. Kein Wunder also, daß der Holzhof weit und breit in Ansehen stand und 15
daß die Leute nicht genug von Glück sagen konnten, als der Holzbauer nach dem Tode des Lehmhäuslers dessen fünfzehnjährigen Sohn Leonhard in sein Haus aufnahm; denn er war dessen Taufpate und wollte halten, was ihm seine Pflicht auferlegte. Die Witwe war über die Maßen armselig daran und hatte genug zu tun, um den kleinen Veit und die Bärbel groß zu ziehen. […] Leonhard war ein großer, schlank gewachsener Bursche. Seine schwarzen Haare kräuselten sich in dichten Massen um das muntere, blühende Gesicht, das den Ausdruck jener Gutmütigkeit zeigte, die aus dem Herzen hervorkommt. Das wußten der Bauer und die Bäuerin gar wohl und sie konnten ihn deswegen gut leiden. Niemand wußte es aber besser als seine eigene Mutter, und wer des Abends, wenn er nach Hause kam, an den Fenstern gehorcht hätte, der würde es auch erfahren haben. Da ging seine Zunge geläufig, und er wußte kein Ende zu finden in seinen Erzählungen vom Paten und der Bäuerin. Jedesmal fing er mit denselben Worten an: »Mutter, Ihr könnt’s gar nicht glauben, wie brav der Bauer ist! Gott segne ihn und die Bäuerin!« […] Schon waren mehrere Monate verstrichen, seit Leonhard im Hofe Einzug gehalten hatte. Er rührte seine Arme tüchtig im Dienste des Bauern, und es waren auch zwei kräftige Arme. Man konnte ihn in Haus und Stall wohl brauchen, denn er war zuverlässiger als der beste Knecht und tat nie etwas nach seinem eigenen Sinne. Er hatte die feste Überzeugung: wie es der Bauer anordnet, ist es am besten; der kann nicht fehlen. Einmal aber kam es doch anders, und wie das kam, ist eine traurige Geschichte, die dem armen Jungen fast das Herz zersprengt hätte, und das will viel heißen beim Herzen eines Bauernbuben, das nicht an städtischer Empfindsamkeit kränkelt. »Leonhard!« rief eines Abends der Bauer, als der Knabe von seiner Mutter zurückkehrte, »Leonhard, ich hab’ eine kleine Fuhr’ Holz ausgeladen; der Wagen steht im Stadel. Spann’ morgen frühzeitig die zwei alten Mähren an, sie zwingen’s schon noch, und fahr’ damit zur Stadt!« Indem er freundlich lächelte, fügte er bei: »Jetzt bist du Holzbub’, und von da zum Holzknecht ist’s auch nicht weit hin, bis du endlich gar ein Holzbauer wirst. Also mach’ deine Sach’ recht und 16
wohl. Ich meine, du solltest dafür 10 Mark lösen; auf ein paar Pfennige weniger kommt’s just nicht an; kannst dir meinethalben auch ein paar 20-Pfennigstücke dabei verdienen, wenn ich nur 8 Mark krieg’.« So sprach der Holzbauer, und Leonhard wurde vor Freude feuerrot. Er sollte in die Stadt fahren, er ganz allein, nicht hinter dem Knechte her, nicht für einen armseligen Söldner, sondern für den reichen Holzbauern, der weit und breit bekannt war! […] Der Pate setzte Vertrauen in ihn! Er sollte mit 10 Mark in der Tasche – welch eine Summe Geldes! – mutterseelenallein zurückkehren, und der Bauer traute ihm zu, daß er sich darum tüchtig wehren könne, wenn Räuber ihn anfielen! […] Der Knabe […] verfügte sich in den Stadel, um seinen Wagen zu besichtigen. Da stand er wirklich, fest geladen, eine kleine, aber schöne Fuhre, wie es sich nicht anders für den Holzhof schickte, dicke Scheite und Prügel, unter Brüdern 8 Mark wert. Er hatte eine so große Freude an dem Wagen, daß er ihn von allen Seiten beschaute und immer wieder um ihn herumlief. Nun eilte er aber in den Pferdestall, um nach den alten Mähren zu sehen, klopfte ihnen auf den Rücken und dachte: »O, die schauen immer noch ansehnlicher aus als des Nachbars beste Rößlein; aber sie sind auch gut gehalten und brauchen sich nimmer zu überarbeiten. Ja, der Pate ist halt ein braver Bauer, mitleidig gegen Menschen und Vieh!« […] Der Holzbub’ zog mit seinen Rößlein lustig die beschneite Straße dahin und knallte mit der Peitsche, um sich warm zu erhalten, denn es ging ein schneidend kalter Wind. Es war eine so grimmige Kälte, daß der Hauch am Munde gefror und die Mähnen der Pferde wie graue Haare am Halse lagen. Aber Leonhard fühlte weder Kälte noch Wind. Der Bauer hatte ihm eine warme Fuhrmannsdecke mitgegeben; doch wickelte er sich nicht darein, sondern knallte nur lustig darauf los; es gab eine erwärmende Bewegung bei dem langsamen Schritt der Pferde. […] Nach drei Stunden erreichte er endlich die Stadt und suchte sich einen guten Platz für seinen Wagen aus. Er stand bereits vier volle Stunden auf dem Platze; Wagen um Wagen zogen mit Käufern ab, nur für seine Fuhre hatte sich noch keiner 17