9783869066189 leseprobe isuu

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LYRIKEDITION 2000 begründet von Heinz Ludwig Arnold † herausgegeben von Florian Voß



carsten zimmermann

das transparente gedichte

LYRIK EDITION 2000


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Dezember 2013 Allitera Verlag Ein Verlag der Buch&media GmbH, München © 2013 Buch&media GmbH, München Lektorat: Florian Voß Printed in Europe · isbn 978-3-86906-618-9


1. der blick auf die hardthรถhe



i nachthimmel, elefantenhaut, das uralte tier zog über uns auf, über uns, die wir stirnrunzelnd aus aluminiumdosen tranken, zog auf überm aufgelassenen fußballfeld, überm zerfurchten rasen mit blick auf die hardthöhe herab über dörfer, seitlich in den abenddunst hinein, über uns, die auf andere weise alten, alt vor zorn, vor traurigkeit, alt vom fieber der jugend, ans späte ende der menschheitsgeschichte verirrt, anders alt als unsere lieblingsdichter, die einzigen, die uns trösteten damals, anaximander, anaximenes, heraklit, empedokles, deren überlieferung, deren sinn und unsinn, deren unauflösliches wir aufsaugten, auswendiglernten, eine marotte, ein protest, nein, wir interessierten uns nicht für philologie, wir waren viel zu verzweifelt und glaubten nicht an erkenntnisse, wir glaubten an das abendlicht, an den nachthimmel und an die alterslose stille hinter den lidern

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ii serien, das langsame nachtwerden, das aufscheinen der sterne, die lichter der vorstadt, die unauffällige geschäftigkeit der soldaten, denen wir ihren guten willen nicht abnahmen, weit hinten, hinter stacheldraht, im verteidigungsministerium – thales behauptet, die erde werde vom wasser getragen, sie werde wie ein schiff bewegt, und infolge der beweglichkeit des wassers schwanke sie dann, wenn die leute sagen, sie erbebe – wir lagen hingestreckt auf dem gras, in lederjacken, blickten nach oben ins schwarze, atmeten in jungen körpern, wußten nicht, was jung war, wir hatten alle vom vergessen getrunken und konnten uns an keinen anfang erinnern, der uns hätte nahe sein können, zwanzig jahre, eine unmeßbar lange zeit, nein, wir waren viel zu alt, um in die versprechungen zu investieren, die man uns machte, das, was an der zukunft vorhersehbar war, trugen wir längst wie eine bürde

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iii die gefährten, ich selbst, die landschaft, die verortungen ungewiß, schließ die augen und es gibt keine zeit, öffne die augen und es gibt keine zeit, die gestirne seien wie nägel an dem eisenartigen himmelsgewölbe befestigt, blühendes eisen, elefantenhaut, uralt, alterslos, neugeboren mit jedem blick, vertraut mit jedem blick, wir waren ortskundig hier, mancher von uns war schon als kind hier umhergestrichen, leichthin, hatte mit stöcken ins gestrüpp geschlagen, eine wildnis, eine an sich friedfertige gegend, abgesehen von den militärgeländen, das böse, das in der welt war, die weltweiten kriege, die vergangenen, die gegenwärtigen und jenen zukünftigen, atomaren, finalen, den man täglich plante, kannten wir nur aus dem fernsehen und aus der angst, die allen in den knochen saß, unterhalb der routine, der saturiertheit, irgendwo hinter den augen, in den schläfen, wo sich die bilder, die gerüchte eingegraben hatten

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iv wo die erinnerung saß an alle gewalt, wo immer noch der kain den abel erschlug, blutig, voller haß, noch auf den leichnam einschlug, wo immer noch junge männer in schützengräben, wo brandbomben, giftgas, wo die lager nie geschlossen waren – und etwas davon sickerte durch in den alltag, wurde ungeduld, konkurrenzdenken, gleichgültigkeit, wir sahen es in den zügen der lehrer, der nachrichtensprecher, wir sahen es in den augenwinkeln der väter, in der ängstlichkeit der mütter, sahen es aufsteigen in uns selbst, wehe dir, du elendes geschlecht der sterblichen, aus solchem hader, aus solchen seufzern seid ihr entsprossen, uns schien, daß abseitige götter das denken der menschen beherrschten, sie blindwütig machten, so daß sie einander, die erde zerstörten, aufzehrten für ihre kurzsichtigen ziele, für ihr schnödes überleben, ihre lächerlichen siege, so daß die schönheit, die in jedem grashalm lag, in jedem atemzug, im glanz in den augen des andern

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v wie etwas außerirdisches schien, fern, unerreichbar, eine utopie, ein bloßer hoffnungsschimmer, während doch vielmehr jene götter einer fremde entstammten, aufgestiegen waren vielleicht aus dem hades oder aus jener dunkelheit, die man heute als trauma bezeichnete, gott aber, wie ja auch die alte lehre lautet, hält den anfang, das ende und die mitte aller dinge und geht geraden weges zum ziel, indem er gemäß der natur seine kreisbahn vollendet, ihm aber folgt stets dike, die richterin derer, die das göttliche gesetz nicht erfüllen, eine richterin, die wir, wahrhaftig, fürchteten, um des ganzen willen fürchteten, hier am nachtrand, am waldrand im gras liegend, in den käuzchenrufen, dem gelärme der grillen, der bundesstraße im tal, in den wiesendüften liegend, als ob weniges von dem, was wir wußten, etwas anderes war als unruhiges träumen, ein abschweifen, ein abweichen selbst schon von jenem gesetz

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vi glaubten wir doch den ganzen planeten verschattet durch etwas, was sich jetzt, endgültig, in jenem triumph der waffentechnik verkörperte, den man atombombe nannte, das nukleare feuer, entfesselt aus dem innern der materie, nur, um zerstörungen anrichten zu können, verheerungen, massenmorde, unglück, wie es sie noch niemals gegeben hatte, biblische plagen waren leicht jetzt von menschenhand auf knopfdruck zu fabrizieren, so weit fortgeschritten war man im teufelswerk, nur über den weg des guten herrschte verwirrung, kaum anders, als in den anfängen, weise aber, wie zu jener zeit, gab es wohl nicht mehr, so daß wir zu ihnen gerne unsere zuflucht nahmen, die keiner unserer lehrer ernst nahm, und die angeblich den frühen anfang jener wissenschaften bedeuteten, die uns heute mit pkws beglückten, mit raketensilos und telefonen, mit fernsehgeräten und mit allen den anderen arten von nützlichem, häßlichem gerät

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vii womit die verwirrte werktätige menschheit ihren alltag, ihre müllhalden und schlachtfelder übersäte, und worin sie, wie es schien, zunehmend verloren ging – wir aber glaubten, daß jene alten ganz anders gewesen, daß sie fast arglos noch, mit leeren händen, und wie von den eigenen gedanken überrascht, vor dem kosmos gestanden hatten, der auch uns selbst noch umgab: die majestät des himmels, der rhythmus des herzschlags, das wundersame des sprechens, die fähigkeiten, sich fortzubewegen und zu sehen alles erstaunliche, und im pflanzenwuchs, im feurigen der gestirne, in der ordnung der welt und im eigenen inneren leuchten etwas zu verspüren vom ewigen, diese welt dieselbige von allen dingen, hat weder der götter noch der menschen einer gemacht, sondern sie war immer und ist und wird immer sein ein ewig lebendes feuer, nach maßen sich entzündend und nach maßen verlöschend

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viii ein feuer, dessen strahlung unsere sinne wohl waren, unser bewußtsein und was immer wir taten, ein feuer, das kein bildungssystem und keine kulturindustrie uns noch rauben konnten und nicht einmal die heraufziehenden kriege, war es doch jetzt, hier, im blick auf die hardthöhe, im gemeinschaftlichen dasein, im grillenzirpen, in den wiesengerüchen, im ein- und ausgehen unseres atems, anaximandros hat behauptet, daß die natur der seele luftartig sei, serien, das rhythmische, feinste mischungen von dunkelheit und licht, millionen von organismen alleine an dieser stelle und darunter wir, eine handvoll gefährten, menschen, die wie seit hunderttausenden jahren dem nachthimmel sich anheimgaben, der dunklen erde, der mond sei ein kreis, gleich wie ein wagenrad, das den felgenkranz hohl und von feuer erfüllt habe, gerade wie der der sonne

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