B. G. Oldershausen
Liebe schรถnster Gรถtterfunken
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Juni 2015 Buch&media GmbH, München © 2015 B. G. Freiherr von Oldershausen © 2015 Buch&media GmbH, München Umschlaggestaltung: Kay Fretwurst, Freienbrink Printed in Germany ISBN 978-3-95780-040-4
E
s war einer jener wunderschönen Tage im Oktober, wie es sie nur im Herbst und ganz be-
sonders im Gebirge gibt, ein tiefblauer Himmel und fast schon violett, nur durch einige weiße Wolken
verziert, so wie sie einst Tiepolo in unnachahmli-
cher Weise in seinen Bildern wiedergegeben hat. Das in Oberbayern gelegene Tegernseer Tal, im Westen eingerahmt durch Wiesen und die dahinter liegenden Höhen, im Süden durch die Blauber-
ge, über die die Grenze zu Österreich verläuft und im Osten durch die steilen Hänge, von denen aus
die Sicht über den See zu dem ihn einrahmenden
wundervollen Panorama geht. Während die Blätter
der Bäume sich bereits goldgelb gefärbt hatten und langsam zu Boden fielen, dem ewigen Kreislauf der Natur folgend. Alexander befand sich an diesem
Nachmittag in jenem Dämmerzustand zwischen Bewusstsein und Unterbewusstsein, in dem sich die 5
Klosterkirche Tegernsee und südliche Berge
Träume der Phantasie mit den Realitäten der Ver-
gangenheit zu vermischen beginnen. Er hatte sich wie so oft an derjenigen Stelle seines Gartens niedergelassen, von der aus der Blick über die Kapel-
le des Hl. Quirinus bis zu den gegenüberliegenden Bergen schweift, auf denen er in jüngeren Jahren zusammen mit seiner Frau und seinen beiden Kindern so viele Wanderungen unternommen hatte.
Der Hl. Quirinus, ein römischer Offizier, in vorchrist-
licher Zeit zum Christentum konvertiert, war darauf6
hin als Verräter in Rom im Tiber mit einem Mühlstein
um den Hals ertränkt worden, womit dem Volk das
Ende eines Abtrünnigen demonstriert werden sollte.
Von der christlichen Kirche später daraufhin zum
Märtyrer und Heiligen erkoren, wurden seine Gebeine etwa um das Jahr 800 vom Papst dem Kloster Tegernsee geschenkt, als Anerkennung und Dank für dessen Verdienste um die Christianisierung nördlich der Alpen. Die Träger des Zuges mit den Gebeinen, von Inns-
bruck entlang des Inns über Bad Aibling kommend, erreichten das Tegernseer Tal erst gegen Abend bei
einbrechender Dunkelheit, sodass sie irgendwo am Weg biwakieren mussten. Am nächsten Morgen entdeckten sie dann an der Stelle, an der sie die Gebeine
abgestellt hatten, eine sprudelnde Wasserquelle, sodass sie trinken und sich waschen konnten, bevor sie
die letzten Kilometer weiterziehen und die Gebeine in der Klosterkirche Tegernsee aufbahren konnten,
wo der Heilige nun für alle Zeit als Schutzheiliger des Tegernseer Tales ruht. Aus Dankbarkeit wurde über der Quelle bald darauf eine kleine aus Holz errichtete
Kapelle erbaut, die aber während des Dreißigjährigen 7
Die Kapelle des St. Quirinus Altar und Quelle
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Die Kapelle des St. Quirinus
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Krieges – vermutlich durch schwedische Reiter – abge-
brannt wurde und erst sehr viel später in Mauerwerk erneut erstand, ein kleines Juwel des Barock. Im Altar-
raum befinden sich noch heute die sprudelnde Quelle und die jahrhundertealte kleine Orgel, ein wenig verstimmt und kaum noch spielbar.
So glitten Alexanders Gedanken langsam zurück in
sein langes Leben, das vor fünfundneunzig Jahren in Norddeutschland begonnen und ihn später dank sei-
ner Frau Ariane in seine über alles geliebte Heimat Bayern geführt hatte. Nun, zum Ende seiner Tage hin, war er beruhigt und gelassen bei dem Gedanken, die ihm von seinem Schicksal gestellten Aufgaben trotz ihres teils stürmischen Verlaufs so gut wie ihm möglich erfüllt zu haben.
Wird doch ein Mensch ohne Anforderungen, der immer nur das zu tun braucht, wozu er Lust hat, irgendwann zu gar nichts mehr Lust haben und seines Lebens überdrüssig sein. Zutiefst dankbar war er aber dafür, dass seine geliebte Frau Ariane seit
über fünfundsechzig Jahren mit ihm zusammen war 10
und sie noch immer vieles von dem, was ihr Leben
bereichert hatte, gemeinsam erleben durften – ihre
Familie mit zwei Kindern und sechs Enkeln, die sich entsprechend ihrem Alter erfreulich entwickelten, ihre Freunde sowie vor allem auch Natur und Kunst in jeder Form. Und er war sich bewusst darüber, dass
er zum Ende seines Lebens ein großes Glück erfahren hatte – das mehr bedeutet als nur kurze Augenblicke
des Glücks – nämlich Ausgeglichenheit gepaart mit tiefer Dankbarkeit. Und dies in der Hoffnung, dass
seinen Kindern ein ruhigerer Lebensverlauf gegönnt sein möge als ihm selbst. Seine Erinnerungen gingen
weit zurück zu der Familie seines Vaters, der aus dem
westfälischen Geschlecht der Asshoff stammte und die der dortigen Bevölkerung zugerechneten Eigen-
schaften – zu Recht oder Unrecht – zu verkörpern
schien: blauäugig, blond, groß gewachsen, klug und dominant bis zur Dickköpfigkeit, herrisch und weder andere Meinungen noch Widerspruch duldend, ins-
besondere nicht von Nachgeordneten, zu denen er neben seinen Kindern und Untergebenen auch seine
eigene Frau zählte. Gleichwohl galt seine besondere 11
Brotzeitglocke eines Bauernhofes
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Fürsorge zeitlebens seiner Familie und seiner über
alles verehrten Frau, der er sämtliche Wünsche erfüllte, allerdings nur, soweit diese sich mit seinen eigenen Wünschen deckten.
So bestand er noch im Alter von fünfundachtzig Jah-
ren bei einem gemeinsamen Spaziergang und einer
Weggabelung auf dem von ihm gewählten Weg und tat die von seiner Frau geäußerte andere Meinung
kurz mit den Worten ab, er gehe doch davon aus, dass sie den gleichen Wunsch habe wie er, worauf er einfach weiterging. Aber Alexanders Mutter, die sich
von Beginn an in ihrer mit achtzehn Jahren wahrscheinlich viel zu früh eingegangenen Ehe bereitwillig untergeordnet hatte, vermochte daher auch jetzt
nicht mehr, ihre eigenen Vorstellungen durchzusetzen. Hatte sie doch in den Jahrzehnten ihres Zusam-
menlebens nie zu einem eigenen Leben gefunden
und daher auf manche ihrer Träume und Sehnsüchte verzichten müssen. Aber war dies tatsächlich ein ge-
wisser Ausgleich für Geborgenheit und Einhaltung der damaligen Konventionen? Lediglich ein einziges
Mal hatte sie einen kleinen Ausbruch gewagt, wenn 13
auch nur geistiger Art. Es war um das Jahr 1937 herum, die Wirtschaft prosperierte vor allem durch die Aufrüstung, der Wohlstand nahm zu, das Hauspersonal
war genügsam, sodass sich manche Ehefrauen mangels befriedigender Aufgaben frustriert fühlten und
es damit einem indischen Guru mit einem langen weißen Bart leicht machten, sie mit seinen Vorstel-
lungen zur Weltverbesserung und zur Bekehrung der Menschen, in Form von transzendenter und fernöstlicher Mystik zu versorgen. Bald schon wurde er daher zunehmend bei Freunden und Verwandten herumgereicht und aufgrund seines interessanten und
exotischen Aussehens und Auftretens, verbunden mit würdevoller Gestik und einem Gemisch unver-
ständlicher Philosophie als ein besonders geistvoller
und dem Jenseits nahestehender Heiliger gehalten. Alexanders Vater, der ihn hingegen für einen Gaukler
und Blender hielt, dürfte seine Meinung jedoch keinesfalls äußern, hätte er sich doch sofort dem Vor-
wurf der Oberflächlichkeit und des Materialismus ausgesetzt und damit nicht die geringste Chance ge-
gen die Pseudo-Geisteswelt des abgehobenen Gurus 14
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