Allitera Verlag
Münchner STATTreisen • Band 1
Susanna Lajtos
In luxuriĂśsen Betten MĂźnchner Nobelherbergen und ihre Geschichte
Allitera Verlag
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August 2010 Allitera Verlag Ein Verlag der Buch&media GmbH, München © 2010 Buch&media GmbH, München Redaktion: Heidi Keller, München Umschlaggestaltung: Dietlind Pedarnig & Alexander Strathern, München Layout: Kay Fretwurst, Freienbrink Gestaltung Stadtpläne: Victoria Keller, München Herstellung: Kessler Druck + Medien GmbH & Co. KG, Bobingen Printed in Germany · isbn 978-3-86906-099-6
Inhalt Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Gastfreundschaft aus Nächstenliebe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 Die Geburtsstunde des Herbergswesens Nagelproben und Nacktschläfer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Von Trinkritualen und Schlafgewohnheiten im Mittelalter
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Hotel Mandarin Oriental . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vom Ballsaal zum Grand Hotel
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Hotel Vier Jahreszeiten Kempinski . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 Königliche Bauauflagen und überschwappende Badefreuden Englischer Hof und »Palais an der Oper« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 Vergangenes und Zukünftiges rund um den Max-Joseph-Platz Theatinerhof . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wo Mozart und Casanova einkehrten
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Hotel Bayerischer Hof . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vom Salzstadel zur Trauminsel
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Hotel Continental und Regina-Palast-Hotel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wo Hitler Churchill einen Korb gab
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Hotel Oberpollinger und Hotel Stachus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einst Gasthaus, heute Kaufhaus
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Hotel Königshof und die Geisel Privathotels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 Unterkünfte für jede Zielgruppe Hotel Le Méridien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 Luxusherberge mit besonderer Lage Hotel Sofitel Munich Bayerpost . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Alpenglühen im Mittelfoyer
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The Charles Hotel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 Frischer Wind in der Münchner Nobelhotellerie Japaner nie in Stockwerk vier! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nationenspezifische Gästewünsche und die Trends der Zukunft
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Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Glossar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Danke! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur (Auswahl) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bildnachweis · Bildlegende . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hotelregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Einleitung von Susanna Lajtos Was macht eigentlich den Unterschied zwischen einem Domizil der Spitzenklasse und einem ordentlichen Hotel aus? Konrad Hilton hat immer behauptet, es komme auf die Lage an. César Ritz dagegen betonte, es seien das Ambiente und der hervorragende Service, die gemeinsam für die exklusive Grand Hotel-Atmosphäre sorgten. Dieses Buch gibt einen Überblick über die Anfänge der Münchner Hotellerie. Es berichtet über die Einführung von Gesichtskontrollen, die schon manch einem Gast den Eintritt verwehrten. Es beschreibt die ersten unbequemen Gästeunterkünfte mit Strohbett und Wandbrunnen, die Geburtsstunde der Grand Hotels in der Mitte des 19. Jahrhunderts und die damit verbundenen technischen Errungenschaften. Die schwierige Zeit während der beiden Weltkriege und der darauf folgende Wiederaufbau finden hier ebenso Erwähnung wie die Ausstattungs- sowie Serviceanforderungen, die ein Luxushotel von heute erfüllen sollte. Auf die nationenspezifischen Gästewünsche wird ebenfalls eingegangen. Ein Hotel ist ein Mikrokosmos für
sich. Suite an Suite wohnen Adlige, Filmstars, Unternehmer und manchmal gar ein Hochstapler. Für die Gäste ist es ein Ort des Wohlergehens, für die Bediensteten ein Ort harter Arbeit. Dennoch: Hotels faszinieren – weil man als Gast den gewohnten eigenen vier Wänden und dem Alltag entfliehen und etwas Neues erleben kann. Statt zu verreisen in der eigenen Stadt auf den Spuren der Geschichte wandeln und Unbekanntes entdecken – das ist das Konzept von STATTreisen e. V. Vielleicht bekommen Sie durch dieses Buch Lust, sich eigene Eindrücke über die hier vorgestellten Hotels zu verschaffen und somit innerhalb Münchens zu »verreisen«, sei es in Form eines Brunchbesuchs am Vormittag, einem abendlichen Barbesuch oder eines Tagesaufenthalts in der Spa-Landschaft. Wem danach nicht der Sinn steht, der kann mit einem Schmunzeln an den Nobelhotels der Münchner Altstadt vorbeigehen, mit dem Wissen, in welcher Luxusherberge sich ein Teil der historischen Stadtmauer versteckt, wo einst Kaiserin Elisabeth von Österreich ein Stockwerk flutete und in welchem Foyer man das bayerische Alpenglühen bestaunen kann. 7
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Altstadt, Standpunkt 1 • Viktualienmarkt
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Gastfreundschaft aus Nächstenliebe Die Geburtsstunde des Herbergswesens Manch einen mag es verwundern, welchen Zusammenhang es zwischen dem Viktualienmarkt und den Münchner Nobelhotels zu geben scheint. Doch genau an diesem Platz begann die Entwicklung des hiesigen Beherbergungswesens. Um diese Anfänge besser zu verstehen, macht es Sinn, sich kurz mit der generellen Entwicklung auseinanderzusetzen. Es wäre zu umfangreich, an dieser Stelle die gesamte Geschichte und geografische Ausdehnung der Gästeunterbringung zu erläutern, denn die Wurzeln des Beherbergungsgewerbes reichen bis in das Jahr 2100 vor Christus zurück. Von Kriegszügen, Völkerwanderungen und wenigen berühmten Einzelreisenden wie Odysseus oder Marco Polo einmal abgesehen, gab es in unserem Kulturkreis einen über reine Botengänge hinausgehenden Reiseverkehr über längere Strecken erst mit den Wallfahrten des frühen
Mittelalters sowie durch Handelsreisende und Kaufleute, die es in die aufstrebenden Städte zog. Im 13. Jahrhundert entstand mit dem Aufkommen jener wirtschaftlich prosperierenden und dadurch wachsenden Städte das Problem der Sozialversorgung. Im Mittelalter berief man sich daher auf die Pflicht eines jeden Christen, Reisende unentgeltlich und aus Nächstenliebe bei sich zu beherbergen – egal, ob als Privatperson oder als Kircheninstitution. Klöster waren die ersten Einrichtungen, die Hospitäler oder auch Räume errichteten, in denen Pilger und Fremde ein Dach über dem Kopf fanden – vor allem in München, einer von Mönchen gegründeten Siedlung, die im Jahr 1158 erstmals urkundlich als Stadt erwähnt wurde. Die erste Herberge Münchens, die der christlichen Beherbergungspflicht nachkam, befand sich zu 9
Der Heiliggeistspital-Sprengel nach dem Stadtmodell von Jakob Sandtner, 1570, Maßstab 1:616, Bayerisches Nationalmuseum
Beginn des 13. Jahrhunderts auf dem heutigen Areal des Viktualienmarkts. Hier stand einst das vom
Klerus verwaltete Heiliggeistspital. Der bürgerliche Heiliggeistorden, der gegen Ende des 12. Jahrhunderts
Das Brückentor und die Isar, München von Haidhausen aus gesehen. Vedutenmalerei von Canaletto, um 1761
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in Montpellier seinen Anfang genommen hatte, sah seine Aufgabe im Spitalwesen und der damit verbundenen Krankenpflege. Das Münchner Heiliggeistspital wird erstmals in einem Schutzbrief von Papst Innozenz IV. im Jahr 1250 urkundlich erwähnt, bestand aber vermutlich schon früher. Quellen wie die »Indersdorfer Annalen« oder das »Franziskaner-Totenbuch« weisen bereits auf 1208 als Gründungsjahr hin. In diesem Jahr ließ Herzog Ludwig der Kelheimer vor den Toren der Stadt und am Fuße des Petersbergls ein Hospital errichten, das als Unterkunft für Pilger und durchreisende Fremde genutzt wurde. Das klösterliche Hospital (griech. xenos, lat. hospes = Gast, Gastfreund, Fremder) des christlichen mittelalterlichen Abendlands hat sich aus dem sogenannten Xenodochium, ei-
ner Fremden- und Pilgerherberge in der Antike und der frühchristlichen Zeit, entwickelt. Später fielen den Hospitälern weitere Aufgaben zu, wie die Versorgung und Pflege von Kranken, Armen und Waisen. Damit diese Einrichtungen bewirtschaftet werden konnten, waren sie auf die Spenden aus der Stadtkasse und der Bürger angewiesen. Im 15. Jahrhundert verwandelten sich die klösterlichen Spitäler mehr und mehr in reine Krankenund Armenhäuser, dies zeigt auch das Stadtmodell von Jakob Sandtner (siehe S. 10) aus dem 16. Jahrhundert, auf dem das Pilgerheim des Münchner Heiliggeistspitals nicht mehr zu sehen ist. Durch die Säkularisation zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurde das bis dahin von der Kirche bewirtschaftete Areal auf dem heutigen Viktualien-
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markt der königlichen Verwaltung unterstellt und in den Innenhof des einstigen Heiliggeistspitals ein Lebensmittelmarkt verlagert. Nur die Heilig-Geist-Kirche erinnert noch an die Vergangenheit dieses Platzes. Doch wie arm wären die Münchner Hoteliers im katholisch geprägten Bayern heutzutage, wenn sie der christlichen Beherbergungspflicht nachkommen und jeden Gast unentgeltlich aufnehmen müssten? Beispielsweise das im Jahr 2009 eröffnete Boutique-Hotel Louis, das zum hochpreisigen Segment zählt
an dieser Zunft erwerben. Schnell griff das Prinzip, fortan nur gegen ein Entgelt Gästen eine Unterkunft zu bieten, von Italien aus auf ganz Europa über. Die ersten Gaststätten und Beherbergungsbetriebe wurden an infrastrukturell wichtigen Standorten errichtet, beispielsweise an Flussübergängen, Straßenkreuzungen und Standorten der Post. Letzteres erklärt auch, warum bis heute vor allem in peripheren Gegenden die Herbergen als »Gasthof zur Post« bezeichnet werden.
Salzfuhrwerk im Mittelalter
und sich am Viktualienmarkt befindet? Die Gäste würden sich über die christliche Nächstenliebe und die damit verbundene kostenlose Gastfreundschaft des »neuen Heiliggeistspitals« sicher freuen. Die Hoteliers wohl weniger, da dies wirtschaftlich kaum tragbar wäre. Letzteres dachten sich bereits Ende des 13. Jahrhunderts zwei Gastwirte aus Florenz. 1282 beschlossen sie, das Herbergswesen in eine kostenpflichtige Zunft umzuwandeln. Jeder Herbergsvater, der künftig gegen Gebühr Gästezimmer anbieten wollte, musste einen Anteilsschein 12
Damals gab es noch keine Hotels, wie wir sie heute kennen, denn diese bildeten sich erst später heraus. So waren es im Mittelalter die Weinwirte oder Bierbrauer, die das Privileg besaßen, Fremde zu bewirten und zu beherbergen. In München kam es im 15. Jahrhundert aufgrund zweier Handelsstraßen, die durch die Stadt führten, zu einem Besucheranstieg von Kaufleuten, Pilgern und Kreuzfahrern. Bis 1587 hatten die Münchner Salzkaufleute das alleinige Salzstapelrecht und Salzhandelsmonopol. Dies
bedeutete, dass zwischen Landshut und den Alpen westwärts transportiertes Salz in München zum Verkauf angeboten werden musste. Neben der Salzroute verlief auch die aus Südeuropa kommende Weinstraße durch die Stadt. Die Händler aus Italien brachten edlen Schmuck, kostbare Stoffe und Weine nach München. Doch nicht nur Salz- und Weinstraße führten zu einem höheren Verkehrsaufkommen. Ende des 15. Jahrhunderts sahen die Franzosen »Deutschland« als Mittelpunkt des Welthandels an. Zudem baute München seine Handelsbeziehungen zu den oberitalienischen Städten sowie zur Hanse im Norden des Landes aus. So kam es, dass neben den Pilgern und Kaufleuten, Kaisern, Königen und Herzögen auch Handwerker, Handlungsreisende, Künstler sowie die ersten »Touristen« mit Reiseziel Süden oder dem Orient haltmachten. Jeder von ihnen brauchte ein Dach über dem Kopf und hatte nach einer beschwerlichen Reise meist nur ein Ziel: sich in einer Herberge von den Strapazen
der Anfahrt zu erholen. Das war die Geburtsstunde des Münchner Herbergswesens. In der Stadt lagen kostenpflichtige Unterkünfte meist an jenen Standorten, durch die die Fremden die Stadt betraten – in München waren dies die einstigen Einfallstraßen Neuhauser Straße, Sendlinger Straße, Residenzstraße, Theatinerstraße und das Tal mit seinem Thaltor (heutiges Isartor). Das Thaltor war das meistfrequentierte Stadttor des 15. Jahrhunderts – da lag es nahe, hier den erschöpften und ortsfremden Ankömmlingen ein Dach über dem Kopf anzubieten. So ist es nur allzu verständlich, dass im Mittelalter an diesem Standort die meisten Herbergen zu finden waren.
Louis Hotel Am Viktualienmarkt 6 80331 München Tel. +49 (0) 89 411 190 80 www.louis-hotel.com
»Marienplatz« von Johann Poppel, 1850
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Isartor
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Isarvorstadt/Altstadt, Standpunkt 2 • Isartor
Nagelproben und Nacktschläfer Von Trinkritualen und Schlafgewohnheiten im Mittelalter Das Tal ist benannt nach seiner tieferen Lage an der ehemals breitesten und zugleich verkehrsreichsten Straße der Altstadt. Das Tal war im Mittelalter ein wichtiger Handelsstandort. Einst führte hier die sogenannte Salzstraße entlang, auf der Fuhrwerke aus den Bergwerken in Salzburg, Hallein und Bad Reichenhall über München nach Augsburg unterwegs waren. Die aus dem Osten kommenden Händler mussten damals das frühere Ost- beziehungsweise Thaltor (heutzutage als Isartor bezeichnet) passieren, um in die Altstadt zu gelangen. Zudem war es das wichtigste Zolltor der Stadt. Hier wurden aufgrund des starken Verkehrsaufkommens die höchsten Einkünfte erzielt. Neben Zöllen auf Handelswaren gab es den Pflasterzoll für alle Händler, die mit einem Wagen oder Karren in die Stadt wollten, um damit die Pflasterung der Durchfahrtsstraßen zu bezahlen.
Ferner gab es aufgrund der Nähe zur Isar auch den Brückenzoll, um durch das eingenommene Geld die Brücken instand halten zu können. Die Münchner Stadtobrigkeit beharrte darauf, dass hohe Herren wie Kaiser und Könige nur über das Thaltor einreisen durften, damit ihr erster Blick direkt auf das gegenüber dem Stadttor gelegene Alte Rathaus mit seiner kostbar bemalten Fassade fiel. Richtig Geld machten daher zu jener Zeit die zahlreichen Gasthöfe im Tal. München hatte nämlich ein Stapelrecht, das heißt, dass die Händler mit ihrer Ware nicht einfach durch die Stadt fahren konnten, sondern diese einige Tage anbieten mussten. Besonders an Markt- und Schrannentagen hielten sich in der Stadt zahlreiche Kaufleute und Gäste auf, die nicht nur verköstigt werden wollten, sondern auch Stellplätze für Pferd und Wagen sowie 15
Historischer Stadtplan von 1644, Kupferstich von Matthäus Merian dem Älteren
gegebenenfalls ein Nachtquartier brauchten. So etablierten sich im Tal vor allem jene Handwerksbetriebe, die mit dem Transportwesen zu tun hatten, sprich Seiler, Wagner oder Hufschmiede. Aber eben auch viele Gaststätten oder mehr oder weniger komfortable Beherbergungsbetriebe. Einer der Ersten, der seine Herberge beurkunden ließ, war ein Landadliger aus Bogenhausen namens Georg Schmidt. Im Jahr 1490 kaufte er eine am Thaltor gelegene Wein- und Bierschänke, die sich im Besitz einiger Salzzöllner befand. Anschließend beantragte er bei der Stadtobrigkeit die Schildgerechtigkeit, die er aufgrund seiner adligen Herkunft schnell bewilligt bekam. Seine Her16
berge kann dadurch zumindest offiziell als die älteste der Stadt angesehen werden. Die Schildgerechtigkeit war eine amtliche Erlaubnis, die man benötigte, wenn man nicht nur bewirten, sondern auch beherbergen wollte. Zudem berechtigte sie dazu, über dem Eingang des Gasthofs ein kunstvoll gestaltetes Schild aufzuhängen, an dem die Reisenden schon von Weitem erkennen konnten, dass sie es hier nicht etwa mit einer billigen »Karrenwirtschaft« für Fuhrknechte und Gaukler zu tun hatten, sondern mit einer hochpreisigen Herberge. Georg Schmidt ließ ein Schild anfertigen, das zwei gekreuzte Schlüssel und einen Kelch zeigte. Der Kelch
im Wappen symbolisierte die damals übliche Pflicht, den Gast willkommen zu heißen, denn schon bei den alten Germanen begrüßte man Reisende mit einem kostenlosen Begrüßungstrunk und einem anschließenden Handschlag. Durch diesen Brauch zeigte der Hausherr, dass er seinen Gast unter sein schützendes Dach aufnimmt und dadurch zugleich der Frieden zwischen Gastgeber und Ankömmling besiegelt ist. Üblicherweise reichte man Wein, wer diesen nicht mochte, konnte auch zwischen Met und Bier wählen. Auf diese Weise begrüßte auch der Wirt Georg Schmidt seine Gäste in der ersten urkundlich erwähnten und im Gegensatz zum Heiliggeistspital – kostenpflichtigen – Herberge der Stadt. Bevor es jedoch zum Germanentrunk und der Aufnahme in die Thaltorherberge kam, galt es, ein kleines Hindernis zu passieren. Zur Spezialität der Herberge zählten nämlich die Gesichtskontrollen, so wie man sie heute von Münchner Nachtclubs kennt. Während im Mittelalter für alle Münchner Herbergswirte die Anordnung galt, keinen Gast abzuweisen, wenn noch Platz vorhanden war, konnte der Thaltorwirt aufgrund einer Ausnahmegenehmigung seine Gäste selbst auswählen, um sein Publikum auf einem seiner Meinung nach hohen Niveau zu halten. Zudem musste jeder seiner Gäste eine Meldeerklärung ausfüllen, wodurch schon von vornherein lichtscheues Gesindel abgewimmelt werden sollte. Zwar gab die Stadtobrigkeit damals für alle Herbergen einheitliche Preissätze für Unterkunft und Kost vor, aber auch hier sicherte sich der Thaltorwirt seine Extrawurst in Form einer SonMittelalterliche Schildwirtschaft 17
dererlaubnis, er besaß schließlich eine Nobelherberge. Speisen und Getränke mussten immer gleich beglichen werden, das Angebot einer Übernachtung mit Frühstück war damals noch nicht üblich. Während die Stadtobrigkeit allen Herbergen vorschrieb, zu welchen Zeiten Mahlzeiten gereicht werden durften, so entschieden dies – wie sollte es auch anders sein – in der Thaltorherberge die Gäste selbst. Man konnte zwischen gesottenen Vögeln, Hühnern und Tauben wählen. Alternativ gab es gefüllte Karpfen oder Forellen mit Gemüsepasteten. Als Nachtisch gab es wahlweise Nüsse, Käse, Beeren oder das teure Rathauskonfekt. Einer von Schmidts bekanntesten Gäste war Erasmus Grasser (um 1450– 1518), der die Moriskentänzer für den Alten Rathaussaal und Werke für die St. Peterskirche – bei den Münchnern auch als Alter Peter bekannt – geschnitzt hat. Im Winter bot Georg Schmidt seinen Gästen einen Wohnkomfort, von dem man in anderen Unterkünften nur hätte träumen können. Das aus Stein und Mörtel gebaute Haus verfügte über ein Ziegeldach, das Wind und Kälte trotzte. Jedes Zimmer verfügte über einen offenen Kamin, damit kein Gast frieren musste. Andere Herbergen dichteten dagegen mit primitivsten Mitteln nur die Fenster ab, um möglichst wenig kalte Luft eindringen zu lassen. Doch wie sahen die gehobenen Herbergen im 15. und 16. Jahrhundert aus? Typisch waren Gaststuben mit gotischen Sitzbänken, Bodenfliesen mit Schachbrettmuster sowie Butzenscheibenfenster. Es gab für jede soziale Schicht die entsprechende Unterkunft. Neben den Schlafsälen 18
für Bedienstete und Knechte gab es auch Einzelzimmer mit holzvertäfelten Decken und Wänden, Mosaikböden, Himmelbetten, Truhenbänken und Stollenschränken im spätgotischen Stil. In den sogenannten Herrenbetten der Einzelzimmer fand man die mit einem Strohsack gefüllte Bettlade, über die ein grobes Leinentuch gelegt wurde. Zudecken konnte man sich mit den damals schon üblichen Federbetten. Im ersten Stock des heutigen Hotelgebäudes ist eine Szene aus dem 15. Jahrhundert mit liebevoll dekorierten Figuren nachgestellt, die zeigt, wie die Menschen zu dieser Zeit in der ältesten Herberge der Stadt übernachtet haben (und wie groß sie damals waren). Die Hotelgäste können sich nach Betrachten dieser Szene entspannt in ihre komfortablen Schlafgemächer zurückziehen, wissend, dass früher nicht immer alles besser war – zumindest in Sachen Bequemlichkeit. Die Reisenden schliefen für gewöhnlich nackt, mit einer Schlafhaube auf dem Kopf. Letztere sollte vor Läusen schützen, da man vor allem in den Schlafsälen mit einer zweiten Person ein Bett teilte und die Bettwäsche nicht allzu oft gewechselt wurde. Im 16. Jahrhundert geschah dies in den meisten Herbergen für gewöhnlich alle drei Wochen, beim Thaltorwirt erhielt man aufgrund des regen Publikumverkehrs alle drei Tage frische Bettwäsche. Hygiene wurde in diesem Haus auch hinsichtlich der Körperpflege groß geschrieben. In der Thaltorherberge verfügten alle Zimmer über Wandbrunnen. Auf besonderen Wunsch wurde dort auch eine Waschschüssel aus Zinn, Messing oder Ton
mit warmem Wasser gereicht. Gäste aus den anderen Münchner Herbergen kannten diesen Luxus nicht, sie mussten mit den öffentlichen Stadtbrunnen vorliebnehmen. Schlimm erwischte es jene, die nur den Stadtbach nutzen konnten, der von der Bevölkerung gerne auch zur Unrat-
satzgeschäft, obwohl Wein damals noch einen besseren Ruf genoss als Bier. Dementsprechend waren die Häuser der Münchner Weingastgeber im Vorteil, und so pflegte auch die wirklich »feine Welt« nur in diesen Etablissements zu verkehren. Doch dies sollte sich bald ändern.
Szene aus dem Herbergswesen im 15. Jahrhundert (im ersten Stock des heutigen Hotel Torbräu)
vertilgung oder Fäkalienbeseitigung genutzt wurde und meist mit Krankheitskeimen verseucht war. Nun heißt das Hotel Thorbräu und muss daher etwas mit Bier zu tun gehabt haben. 1565 kaufte ein Bierbrauer namens Wolfgang Brunnhuber die Herberge und nannte sie Thorbräu, da er in unmittelbarer Nähe auch eine Brauerei angliederte, die später jedoch verlagert wurde. Das Brauen edler Biere entwickelte sich bald zu einem lohnenden Zu-
Aufgrund einer Klimaänderung und anhaltendem Frost wurden zahlreiche Traubenernten vernichtet, das Bier wurde zu einem notwendigen Ausweichgetränk und erfreute sich zunehmender Beliebtheit. Die Weinwirte versuchten dagegenzuhalten und schufen den Spruch: »Bier auf Wein, das lass sein; Wein auf Bier, das rat ich dir«. Dieser Spruch hat demnach keinen medizinischen Hintergrund, sondern versteht sich als verbales Mit19
tel, auf das die Weinwirte zurückgriffen, um dem Konkurrenzkampf Herr zu werden. Doch es gelang ihnen nicht. Nach jedem Pestjahr stieg sogar der Umsatz der Bierwirte, da die Münchner ein Nachholbedürfnis hatten und die damaligen Stadtärzte es zum gesunden Volksgetränk erklärten. Bier war zu Zeiten des Dreißigjährigen Kriegs bereits ein beliebtes Getränk. Bald kam es in den Wirtschaften zu Trinkwettkämpfen, zum Beispiel der Nagelprobe. Dabei wurden zu gruseligen Lügen- und Schauergeschichten aus aller Welt die Trinkgefäße, sogenannte Sturzbecher (Bierbecher in Männleinform) aus Keramik, um die Wette bis auf den letzten Tropfen leer getrunken und anschließend umgestürzt, um zu prüfen, ob der allerletzte Rest auf den Daumennagel passte – daher hat auch das Wort »sturzbetrunken« seinen Ursprung. In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts hielt Kaffee als heißes Luxusgetränk im Thorbräu Einzug. Das Getränk gab es sonst nur als homöopathisches Heilmittel in der Apotheke. Im 16. und 17. Jahrhundert boten noblere Herbergen Messinggerätschaften wie Speisewärmer, Bettpfannen und Fußwärmer an – die meisten Münchner Haushalte kannten derartige Luxusgegenstände noch nicht. Die Zimmer wurden mit kostbaren Möbeln jener Zeit ausgestattet und so war die Herberge vor allem bei Kaufleuten und Diplomaten von Rang sehr beliebt. Ab dem 17. Jahrhundert kam es zur Entwicklung einzelner Kategorien im Beherbergungswesen. Zu dieser Zeit hat man auch das Interieur der damaligen Mode angepasst. 20
Wohlhabende Reisende nutzten vornehme Gasthäuser mit einem gut ausgestatteten Angebot an Zimmern und einer ebensolchen Bewirtung, während sich ärmere Reisende mit sehr einfachen Unterkünften und meist nur einem Strohsack als Bett zufrieden geben mussten. Für beide soziale Schichten – einerseits die Adligen und Kaufleute, andererseits deren Bedienstete – hatte der Thorbräu die standesgemäße Unterkunft parat. Die nobleren Einzelzimmer wurden mit nussbaumfurnierten Schränken, rocaillenverzierten Trumeaux, hohen Wandspiegeln und Fauteuils mit gepolsterten Armlehnen möbliert. Das Beherbergungsgewerbe wurde im 18. Jahrhundert hauptsächlich von den Weingastgebern betrieben. Doch auch Bierbrauer hatten im 19. Jahrhundert in vielen Gasthäusern Fremdenzimmer, da sie nach und nach das Gast- und Herbergsrecht an sich bringen konnten. Ihre Braustätten verfügten über eigene Wirtschaften, die praktisch den Tafern gleichgestellt waren, obwohl ihnen für einen kompletten Wirtschaftsbetrieb die Erlaubnis zum Weinausschank fehlte. Von der Fremdenbeherbergung ausgeschlossen waren die einfachen »Bierzäpfler«, beziehungsweise »Bierwirte« genannt, die jedoch zu Beginn des 19. Jahrhunderts bereits gewohnheitsrechtlich die Bauern, die ihre Produkte auf die Schranne oder den Markt nach München brachten, übernachten ließen. Die damalige Stimmung in Bierhäusern zu Beginn des 19. Jahrhunderts beschreibt ein Reisender wie folgt: »Durch eine gewölbte Torhalle – in welcher gemäß einer Altmünchner Eigenart Klapptische und Klapp-
Der Thorbräu um 1904
bänke für eilige Gäste angebracht waren – führte der Weg auf der einen Seite unmittelbar in Schänke und Wirtsstube, geradeaus weiter in einen mit offenen Galerien versehenen ersten Hof. Von diesen Galerien erreichte man die bescheiden möblierten Gastzimmer. Um einen sich anschließenden zweiten Hof lagen dann die eigentlichen Braugebäude, wobei Lärm und Gerüche dieser Anlagen den Gast nicht unerheblich belästigt haben dürften.« Das alte Hotel Thorbräu wurde
1808 durch einen neuen und größeren Bau ersetzt. In der Mitte des 19. Jahrhunderts zählten Persönlichkeiten wie Heinrich Heine, Felix Mendelssohn-Bartholdy, Franz Liszt oder auch der dänische Dichter Hans Christian Andersen sowie der Maler Carl Spitzweg zu seinen Gästen. Ein weiterer Neubau in den Jahren 1899/1900 erfolgte im historisierenden Stil der deutschen Frührenaissance. 1900 wurde der Thorbräu als Hotel, Café und Restaurant wiedereröffnet, in den Fol21
Der Torbräu im Jahr 1932
gejahren änderte man die Schreibweise in Torbräu um. Nach dem Ersten Weltkrieg erfolgte ein Ausbau des Hotels, das dann über 130 Betten verfügte. Im Zweiten Weltkrieg wurde das Haus nahezu völlig zerstört, der Wiederaufbau durch den Verkauf von 3000 im Keller gelagerten Weinflaschen finanziert. Im März 1946 konnte als Beginn des Wiederaufbaus eine behelfsmäßige Gaststätte, im Jahre 1951 das Hotel eröffnet und im darauf folgenden Jahr 60 Zimmer angeboten werden. Mit der Fertigstellung der Torbräustuben im November 1969 war der Wiederaufbau abgeschlossen. Zu den bekanntesten Gästen zählten der Autor Erich Kästner und der Physiker Conrad Röntgen, der berühmteste Münchner Stammgast war jedoch Karl Valentin. Er liebte es, im hoteleigenen Restaurant zu sitzen und die Gäste zu beobachten. Eines Ta22
ges erblickte er eine Dame, die beim Halten ihrer Kaffeetasse den kleinen Finger abspreizte – ein Affront für die damalige Zeit. Erbost über dieses Fehlverhalten zu Tisch und teilweise auch belustigt darüber, entwickelte Karl Valentin daraufhin die Tasse mit dem Henkel nach innen – diese kann im Valentin-Karlstadt-Musäum, das heute im Isartor untergebracht ist, bestaunt werden. Der Torbräu zählt heute nicht zur Luxuskategorie, sondern vielmehr zum First-Class-Segment, hat also Vier-Sterne-Niveau. Er bietet Stuckornamente an den Zimmerdecken, bequeme italienische Möbel und einige Waikiki-Badewannen, in denen zwei Personen Platz finden. Dennoch findet das Haus in diesem Buch über Luxushotels Erwähnung, galt es doch im Mittelalter als eines der luxuriösesten und komfortabelsten seiner Zeit. Nach nur wenigen Schritten erreicht
man dagegen ein Luxushotel von heute, eines der besten und teuersten Häuser der Stadt. Es liegt ein wenig versteckt und selbst manche Münchner wissen nicht einmal genau, wo es sich befindet. Dieser Umstand kommt vor allem jenen Gästen recht, die ein gewisses Maß an Diskretion und Anonymität wahren wollen. Dabei ist es wiederum nur einen Steinwurf von einer der berühmtesten Tou-
ristenattraktionen Münchens, dem Hofbräuhaus, entfernt. Die Rede ist vom Hotel Mandarin Oriental.
Hotel Torbräu Tal 41 80331 München Tel. +49 (0) 89 242 340 www.torbraeu.de
Hotel Torbräu 2010
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