Gerd Thumser: »Unser Damerl«

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Gerd Thumser (Hg.)

»Unser Damerl« Der Münchner Oberbürgermeister Thomas Wimmer und seine Zeit

Zum 125. Geburtstag von Thomas Wimmer


Weitere Informationen über den Verlag und sein Programm unter: www.allitera.de

Wir danken allen privaten Leihgebern, Fotografen und Institutionen für die Bereitstellung von Bildmaterial. Wir haben uns bemüht, alle Inhaber von Bildrechten ausfindig zu machen, und bitten um Nachsicht, sollten wir etwas übersehen haben.

April 2012 Allitera Verlag Ein Verlag der Buch&media GmbH, München © 2012 Buch&media GmbH, München Umschlaggestaltung: Kay Fretwurst, Freienbrink unter Verwendung einer Fotografie des Süddeutschen Bilderdienstes (Thomas Wimmer am Nockherberg, 1962) Printed in Europe · isbn 978-3-86906-322-5


Inhalt 7

Vorwort

Persönliche Erinnerungen an Thomas Wimmer

8 »Wenn du koa Geld net hast«  11 von Herausgeber Gerd Thumser

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»Nacha mach ma halt a Revolution«

33 »Ozapft is!«  43 »Rama dama«

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»I mog koan Krampf«

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»So oan wia den Wimmer kriagn ma nimmer«

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»Für München war er ein Glücksfall«

Ja, so war er: Heitere Erinnerungen an Thomas Wimmer

von Franz Freisleder  81

Thomas Wimmer – einer der Großen in der Geschichte unserer Stadt von Hans-Jochen Vogel  84 Interview von Gerd Thumser mit Alt-Oberbürgermeister Georg Kronawitter  89

93

»A Leb’n lang a Dreckarbeit«

Thomas Wimmer, der »Simplicissimus« und Oskar Maria Graf. Zur Einführung in das Theaterstück »Rama dama«  95 »Rama dama«. Theaterstück von Gerd Thumser  97


155

Anhang

Lebensdaten Thomas Wimmer  156 Literaturverzeichnis  158 Bildnachweis und Bildlegenden  159 Dank  162 Die besten »Sprüch« vom Wimmer Damerl  163


Vorwort Oberbürgermeister Thomas Wimmer wird von älteren Münchnern gerne »der unvergessene Wimmer Damerl« genannt, und tatsächlich ist der pragmatische sozialdemokratische Kommunalpolitiker im Gedächtnis der Stadt bestens präsent: als unbeugsamer Demokrat und Arbeiterführer in der Weimarer Zeit, vor allem aber als Stadtoberhaupt des Wiederaufbaus der in Trümmern liegenden ehemaligen »Hauptstadt der Bewegung«. Da ging es nicht nur um den Wiederaufbau zerstörter Gebäude, sondern – viel schwieriger noch – um den Wiederaufbau demokratischer Strukturen. Ohne so glaubwürdige und uneigennützige Persönlichkeiten wie Thomas Wimmer hätte der demokratische Aufbruch keine Chance gehabt. Sein kommunales Wirken sollte man nicht verkürzen auf die Holzaktion, mit der er Brennholz für die frierende Bevölkerung beschaffte, oder das sprichwörtliche »Rama dama«, die Aufräumarbeiten also, die ihn zur legendären Figur werden ließen. Viel bedeutsamer war sein Gespür für die Unverwechselbarkeit der Münchner Stadtgestalt und seine souveräne Immunität gegen geschichtslose Modernismen im Städtebau. So ist es seinem Gewicht und seiner Stimme zu verdanken, dass der Alte Peter und das Alte Rathaus wieder erstanden sind und nicht einer vermeintlich modernen Verkehrsschneise durch die Altstadt geopfert wurden. Seine Haltung wurde damals als provinziell oder altmodisch bespöttelt – heute sind wir glücklich über die Originalität der Münchner Altstadt – und dem Thomas Wimmer dankbar. München, 2012 Christian Ude

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Persönliche Erinnerungen an Thomas Wimmer von Herausgeber Gerd Thumser In seinen besten Zeiten, in den 60er-Jahren des vorigen Jahrhunderts, tritt immer mehr der Volkssänger Thomas Wimmer hervor. Sein Lied vom »Schwalangscher« von Ludwig Thoma singt er mit Begeisterung bei allen nur denkbaren Anlässen. Er wird zur Legende und zu seiner eigenen Anekdote. Bei Besuchen in anderen deutschen Großstädten zeigt er sich als weltoffener Politiker. Der weiß, wie man mit Menschen umgeht und ihr Herz gewinnt. Unvergesslich für mich als blutjunger Reporter Wimmers erste Informationsfahrt nach Berlin. Seine Auftritte lösen Begeisterung aus. Im steifen Hamburg gilt er bald als Urbild des Bayern. Das Protokoll der Stadt Berlin widmet sich Wimmer mit allen Kräften. Mit einer kleinen Münchner Delegation besucht er Schulen, Kindergärten und Behindertenheime. Als er bei einer Fahrt in den drei von der Stadt Berlin zur Verfügung gestellten Limousinen plötzlich allein auf der Straße steht, weil irgendwie kein Platz mehr in einem der Autos ist, winkt er ab: »Fahrt’s nur zu. Ich komm schon dahin, wo ich hinkommen muss«, sagt er lachend zu den Protokollbeamten. Die holen in aller Eile ein Taxi herbei. Und Wimmer kommt an das gemeinsame Ziel. Zu uns Journalisten fand er nie eine rechte Beziehung. Sie war von Misstrauen geprägt. Ganz im Gegensatz zu seinem Nachfolger Dr. Hans-Jochen Vogel. Der war Virtuose im Umgang mit den Medien. Und ist es bis heute geblieben. Vor Beginn seiner dritten Amtszeit in den 60er-Jahren gerät Wimmer trotz seiner Popularität bei den Münchnern in die Kritik der Medien. Eine große Tageszeitung fand plötzlich, Wimmer »beherrsche« den Stadtrat nicht mehr. Es gehe drunter und drüber. So könne man einfach eine Großstadt wie München nicht »führen«. Eine andere regte sich darüber auf, dass er im karierten Hemd herumlaufe. Anstatt in seriöser Kleidung oder im Trachtenanzug. Den Höhepunkt erreichte diese Kampagne, als die »Abendzeitung« titelte »Wir brauchen keinen Bier-Anzapfer«. Hintergrund war, dass der Chefredakteur Rudolf Heizler einen Kandidaten eigener Couleur im Ärmel hatte. Seinen Spezi, den »Ochsensepp« Müller. Ein altes, abgetakeltes, wegen seiner vielen Affären ausrangiertes PolitikNilpferd von vorgestern. Den sie selbst bei der CSU nicht mehr haben wollten. 8


Für mich keine angenehme Situation. Ich saß Auge in Auge auf der Pressebank mit Wimmer. Der nach dieser Schlagzeile völlig irritiert zu mir herüberschaute. Ärger und Vorwurf im Blick. Dabei hatte ich mit dieser Attacke überhaupt nicht das Geringste zu tun. Es war ein reiner Privatkrieg des Chefredakteurs gegen Wimmer. Zugunsten des Ochsensepp. Als Wimmer mit großer Mehrheit von den Münchnern zum dritten Mal wiedergewählt worden war, schrieb ich mit einem wahren Gefühl des Triumphes die Schlagzeile. Und zeichnete den Beginn meines Artikels auf der Titelseite mit meinem Zeichen »Th. München, eigener Bericht« ab. Tags darauf tagte die Vollversammlung. Ich wieder Auge in Auge mit dem »Damerl«. Der seinen Triumph über all die Kritiker und Neider kaum verbergen konnte. Schließlich traf ich ihn nach der Stadtratssitzung. Wimmer schaute mich ungläubig an. Dann sprudelte aus ihm heraus: »Ich hab’ dacht, Ihre Zeitung wollt’ einen ganz anderen Kandidaten. Den Ochsensepp! Jetzt haben’s an Dreck im Schachterl!« Ich war fassungslos. Sagte, dies sei nur ein Manöver, eine Gemeinheit des Chefredakteurs gewesen. Ich habe damit nichts, rein gar nichts zu tun gehabt. »Ja, aber Ihr seid’s doch eine Zeitung. Ihr halt’s doch alle gegen mich z’samm!«, stieß er hervor. Ich versuchte, ihm den ganzen Vorfall zu erklären. Eine Zeitung könne mehrere Meinungen haben. Und habe sie meist auch, sagte ich ihm. »Dann san Sie gar net gegen mich g’wesen?«, lachte er erleichtert. »Nein, nein und nochmals nein«, schrie ich fast. Wimmer war glücklich. Er lachte erneut. »Das versteh wer mag!« Mein Verhältnis zum großen »Damerl« verbesserte sich von da an etwas. Manchmal – ganz selten – lachte er sogar zu mir herüber. Er war bis zum Ende seiner Amtszeit ein Politiker, dem es nur um sein München ging. Der aber zu uns Journalisten nie ein rechtes Verhältnis fand. Dennoch. Ein Moment mit ihm bleibt mir in ewiger Erinnerung. Und zeigt die Warmherzigkeit von Thomas Wimmer. Es war bei der Weißwurstpause in der Vollversammlung. Sie hatte endlos lange gedauert, diese Sitzung. Wir waren ziemlich ermattet. Alle. Die Räte und die Journalisten. Wir erhoben uns, um ins Weißwurstzimmer zu gehen. Da legte Wimmer seinen Arm um mich. Zog mich zum Tisch. Und sagte »Seids gern da! Laßt’s es euch schmecken.« Er war ein Mann mit einem gutmütigen Herzen. 1964 ist Thomas Wimmer hochgeehrt in München verstorben. Vier Jahre als freier Bürger und Pensionist waren ihm noch vergönnt gewesen nach dem Ende seiner dreimaligen Amtszeit im Rathaus. In seiner Ausgabe vom 25. Januar 1964 beschäftigte und würdigte sogar der »Spiegel« den populäreren Bürgermeister aus München. 9



ÂťWenn du koa Geld net hast und bist net schee, will dich gar niemand net, und dann wirst untergeh'!ÂŤ Couplet

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Thomas Wimmer mit seinen Eltern Anna und Ferdinand Wimmer und seinem j端ngeren Bruder Ferdinand, vermutlich 1906.


1887–1918

Als lediger Sohn der Dorfmagd Anna Wachinger und des Schmiedgehilfen Ferdinand Wimmer wird Thomas Wimmer am 7. Januar 1887 in Siglfing bei Erding geboren. Ans Heiraten können die Eltern, die sehr arm sind, damals nicht denken, denn zur Vermählung sind sogenannte Verehelichungszeugnisse notwendig, die nicht nur in bestimmten Fällen verweigert werden können, sondern auch sehr teuer sind (»Taxen«). So wird der kleine Bub als »illegitim« geführt. Und für solche Kinder sucht im Königreich Bayern gewöhnlich nicht das Elternpaar den Vornamen aus, sondern der Pfarrer. Er orientiert sich nach einem alten Brauch am nächstliegenden Namenstag und tauft das Kind entsprechend. Da zu den Heiligen, die um die Jahreswende verehrt werden, Thomas von Canterbury gehört, ist anzunehmen, daß auch für den Siglfinger Buben der Pfarrer den Vornamen Thomas bestimmt.1 Von der Taufe weg wird der Bub zu Erziehern gegeben, die den gesamten Jahresverdienst der Mutter verlangen. Erst nach sechs Jahren, als die Eltern endlich die langersehnten Verehelichungszeugnisse erhalten, heiraten und ihren Thomas zurückholen, spürt der Bub zum erstenmal Geborgenheit und Liebe in der eigenen Familie.

Der nachfolgende Text (bis S. 73) ist ein 1997 in der Süddeutschen Zeitung erschienener Artikel von

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Rudolf Reiser aus Anlass des 100. Geburtstags von Thomas Wimmer.

Das nicht mehr existierende Geburtshaus von Thomas Wimmer in Siglfing, heute ein Ortsteil von Erding.

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Thomas Wimmer wird in der sogenannten »guten alten« Prinzregentenzeit geboren, die eher schwer und hart für die Bevölkerung war als gemütlich.

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1887–1918

Kurz darauf besucht Thomas die Erdinger Volksschule, in die er nach seinen Worten sehr gern geht und wo er als guter Schüler auffällt. »Man hat deshalb«, so erzählt er selbst, »mit dem Gedanken gespielt, mich in eine Mittelschule zu schicken, um mir den Weg zu einem Studium zu ebnen.« Doch »der schöne Plan« scheiterte an der Armut der Eltern. Ohne Mittel keine Mittelschule! Die Erwägung aber, den Buben mit einem »Freiplatz« auf geistlich studieren zu lassen, wird ebenso bald aufgegeben. Ein uneheliches Kind kann nämlich nach den kirchlichen Gesetzen in der Regel keine Weihen empfangen. So lernt Thomas nach der Schule Holzbildnerei. Doch auch diese Ausbildung ist nichts für einen Buben der Unterschicht. Weil der Vater das geforderte Lehrgeld nicht aufbringen kann, sattelt der Bub auf die »billigere« Schreinerei um. 1903 wird der inzwischen 16jährige Thomas Geselle (mit Note 1) und Münchner. Der erste Lebensabschnitt ist vollendet.

Gesellenprüfungszeugnis, ausgestellt von der Handwerkskammer für Oberbayern für den Schreiner Thomas Wimmer, 1903. Als Gesellenstück hat er eine dreiteilige Waschkommode gefertigt.

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