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Einachten, Aucht und Nachtleger

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Kultbuch/Impressum

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Die Nacht in Alm- und Bergnamen

Südtiroler Bergnamen

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Der Sozial- und Kulturanthropologe Johannes Ortner stellt ausgewählte Südtiroler Bergnamen vor.

Viele unserer bodenständigen Berg- und Gipfelnamen erhielten ihre Bezeichnungen von den darunter liegenden Almweiden – Gelände, das sich für die Viehweide als geeignet erwies. Fels- und Eisregionen wurden wenig beachtet, kaum benannt, ja gemieden, manchmal als Wohnsitz des Übels gefürchtet. Erst mit dem Aufkommen der Kletterei und den Gletschertouren wurden auch diese Regionen mit einer dichten Namensgebung versehen, aber erst ab dem 19. Jahrhundert.

Die Beaufsichtigung des Weideviehs (Hiatn) gehörte zu den prägendsten und mitunter langweiligsten Aufgaben von älteren Kindern und Jugendlichen aus dem bäuerlichen Umfeld. In der alpinen Namensgebung stößt man immer wieder auf verschiedenste Aspekte der Weidetierhaltung. Ein Benennungsmotiv innerhalb der Gruppe der „Weidenamen“ ist die Tageszeit.

Z’morgets

Häufig sind die Morgenrasten. Besonders in der Osthälfte Südtirols werden damit Weiden benannt, welche vom Vieh frühmorgens zum Wiederkäuen aufgesucht werden, z. B. die „Morgnråst“ in Afers, die „Mörgant-Råste“ in Prettau oder das „Morgnrastl“ in Vierschach.

In der Nordhälfte Südtirols, besonders im Wipptal, Ahrntal und in Pfunders, begegnen uns öfter die Tageweiden (mundartlich „Togewoadn“). In der „Togewoade“ im Moarer Berg und im Bereich der Adleralm (beides Ridnaun) genossen Schafe und Rinder untertags einen sicheren Weideplatz. Aus einer Tageweide stammt auch der Gipfelname Tageweidhorn, der – falsch interpretiert – zum Tagewaldhorn geworden ist. Schon im Atlas Tyrolensis des Peter Anich (um 1770) wird der Berg als „Tagewald Horn“ bezeichnet.

Ze Mittog

In den heißen Mittagsstunden rastet das Vieh auf dem Leger oder Lieger. In Ladinien heißen die Wiederkäuplätze „Mirí“, „Amirí“ oder „Lamirí“. Dies leitet sich vom Alpenromanischen meridiare „Mittagsrast halten“ ab. Oberhalb von Campill befindet sich der Waldboden „L’Amirí“, zwischen St. Leonhard in Abtei und Heiligkreuz gibt es die Weide „Pici Amiris“. Auch im deutschen Südtirol finden sich etliche romanische Überbleibsel, so die Flurnamen „Marzon“, „Marzone“ oder „Marzun“ (Passeier, Mittelvinschgau, Wipptal, Eisacktal). Als Namen-

Aufstieg zum Tagewaldhorn

Fotos: Johannes Ortner

herkunft bietet sich das romanische merisana „Mittagsrast“ an. Unzählig sind die verschiedenen „Mittogpëidelen“, „Mittogstoaner“ oder „Mittogplåttn“, es sind dies Plätze, wo das Almpersonal oder die Mäher/innen der Almwiesen ihr Mittagessen einnahmen. In Schnals gibt es zwei „Hålbmittogknëttlen“ und gleich drei verschiedene „Mittogleger“ befinden sich im Almtal Senges in der Katastralgemeinde Mauls.

Afn Obet

Am Abend werden die Melkrinder, -schafe und -ziegen zum heimatlichen Stall getrieben. Eine Einfriedung aus Steinen („Pfarrer“) mit einer einfachen Überdachung („Kog“, „Kob“) bietet Schutz vor Unwetter und Raubtieren. Die Abendweide tritt auch den Namen betreffend in Erscheinung, nämlich als „Obmp-Woade“ in Vals (Mühlwald)

Einachtspitz (Uanachtspitz) zwischen der Innerwurzer und der Oberen Entholzer Alm.

Foto: Peter Righi

oder „Obmp-Råste“ in Ridnaun. Im Obervinschgau wurde der abendliche Versammlungsort des Viehs zum Normalwort für den Almanger, nämlich „Tschenånt“ (romanisch tšenanta „Abend“). Auffallend ist, dass ausgedehnte Almweiden zwischen Ritten und Villanders „Schienånt“ genannt werden – eine Kreuzung aus Schönland und Tschenant.

Z’nåchts

Die Nacht kriecht über die Bergrücken – die Kiager, Schafer und Goaßer wollen zur Ruhe kommen und Kräfte für den kommenden Tag sammeln. Aber Kühe weiden auch nachts. Im Germanischen gab es einen besonderen Ausdruck für die Morgendämmerung, nämlich *u-htu-, *u-htuz, im Gotischen *u-htwo- – Ausdrücke, die urverwandt mit dem Lateinischen nocte- „Nacht“ sind! Im Althochdeutschen wurde daraus u-hta „Morgen, Frühe, Tagesanbruch“. Aus diesen Begriffen hat sich das mundartliche „Aucht“ gebildet, das besonders am Reggelberg immer noch die Haus- und Hofweide bezeigt. Dies zeigen die Beispiele „Bichl-Aucht“, „Langaucht“ oder „Hohaucht“ in Petersberg und Aldein. Auch im Plural (Aichte) oder in der Verkleinerung (Aichtl) ist die „Aucht“ zu Flurnamen verbaut worden, so in der Barbianer Wiesen- und Waldflur „Aichte“.

Mit eben dieser Aucht hat auch ein auffallender Ridnauner Bergname zu tun. Es handelt sich um den Einachtspitz (mda. Uanachtspitz) zwischen der Innerwurzer und der Oberen Entholzer Alm. Der Bergname leitet sich von den Bergweiden an seinem Fuße ab, nämlich den „Inneren“ und „Außeren Uanachtn“. Der Sprachwissenschaftler Egon Kühebacher leitet den Namen von „Ein-Aucht“ ab, dies bedeutet „Weidegrund für eine Nacht“.

In Deutschnofen kennt man im Wald des Spörlhofs die Felsvorsprünge des „großen“ und „kleinen Nåchtspitz“ (gleich oberhalb das „Auchtnegg“ mit dem „Auchtnmous“!), in Sölden im Ötztal einen „Nåchtperg“. Oberhalb von Muls im Sarntal gibt es die Bergweide „Kåltnåcht“. In Rein in Taufers – im Außergelltal und bei der Moosmairalbe – findet sich jeweils eine „Nåchtwoade“, hinter und ober St. Magdalena in Gsies gibt es jeweils einen „Nåchtleger“.

Im trockenen Vinschgau mit seinem feinmaschigen Netz an Bewässerungskanälen musste auch nachts „gwassrt“ werden. Diese „Nachtkehren“ waren dementsprechend unbeliebt, aber aus Gründen der Arbeitsorganisation notwendig. Wiesenstücke am Schlanderser Sonnenberg, auf Schlandersberg und auf Juval heißen heute noch „Nachtkehren“.

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