Krrrkk Claudia Kübler

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Treten Sie ein. Schwarz gewinnt immer. Krrrkk – Es kÜnnte halten.


Krrrkk zeigt eine Konstruktion von Claudia Kübler, welche zur Eröffnung der Ausstellung neu errichtet wurde. Baulich kann sie als Bühne definiert werden, eine über den Galerieboden angehobene Fläche, mit der sich die Arbeit abspielt. Wäre sie weiss statt schwarz, dürfte ‚Eisdecke’ eine noch viel treffendere Bezeichnung sein. Krrrkk ist so ausgeführt, dass es jederzeit unter dem Gewicht der darüber schreitenden Besucher einbrechen kann. So ruft ein solcher Gang die Erfahrung ab, die sich beim Gehen auf dünnem Eis ergibt. Ein äusserst kritisches Erlebnis, eine ständige Befragung des Untergrunds, ob er das Körpergewicht tragen kann – es ist eine sich kumulierende Krise, bis zu dem Moment, wenn das Eis bricht oder bis die Fläche hinter einem liegt. Über – zumal – dünnes Eis zu gehen, darf durchaus metaphorisch verstanden werden. Es ist kaum möglich, Krrrkk zu betrachten, also zu begehen und die geschlossene Oberfläche nicht zu verletzen. Das bedeutet, dass sich jede Besucherin, jeder Besucher in das Werk einbringt – indem er oder sie den von der Künstlerin erzeugten Urzustand verletzt. Dies erinnert an Werner Heisenbergs Erkenntnis aus der Quantenphysik, dass ein Gegenstand nicht beobachtet werden kann, ohne dass der Gegenstand dabei durch die Beobachtung verändert wird. Neben dieser Kernaussage ist dem 1959 erschienenen Buch mit dem Titel „Physik und Philosophie“ noch ein weiteres Zitat zu entnehmen: „Aber die existierenden wissenschaftlichen Begriffe passen jeweils nur zu einem sehr begrenzten Teil der Wirklichkeit, und der andere Teil, der noch nicht verstanden ist, bleibt unendlich“. Womit er die Aussagekraftvon praktisch allen wissenschaftlichen Experimenten in Frage stellt. Deren Anlage ist immer maximal reduziert, d.h. von möglichst allen störenden Einflüssen befreit, was im Endeffekt bedeutet, dass sie nicht mehr in der Welt stattfinden, sondern nur noch in einem abstrakten Abbild davon. Und so werden die Experimente auch immer nur

Was Fragen aufwirft, nämlich die nach dem Werkbegriff. Die Künstlerin hat offenbar mit der Erstellung der Konstruktion ihren Beitrag dazu abgeschlossen und übergibt Krrrkk mit der Eröffnung an das Publikum der Galerie, welches Krrrkk durch jede Beobachtung verändern wird. Ist das Werk dann zerstört – oder wird es durch eine kollektive Weiterbearbeitung bis zur Finissage hin erst vollendet? Ist es dann noch Kunst? Und falls ja: sind dann alle beteiligten KünstlerInnen, oder ist es schlussendlich doch ‚nur’ Claudia Kübler, welche diese Einwirkung konzeptionell vorgesehen hat? Was ist, wenn niemand Krrrkk betritt? Aussagen über dieses Abbild generieren und nicht über die Welt. Oder, um wieder Heisenbergs Worte zu verwenden, dass „wir uns daran erinnern müssen, dass das, was wir beobachten, nicht die Natur selbst ist, sondern Natur, die unserer Art der Fragestellung ausgesetzt ist.“ Eine Aussage, die eine Steilvorlage war, welche in den 1970ern in der Erkenntnistheorie zum Radikalen Konstruktivismus führte. Die Radikalen Konstruktivisten drehten den Spiess quasi um und erklärten den Beobachter zum Objekt, welches sich bei der Beobachtung verändert. Gemäss ihrer Theorie sind unsere Wahrnehmungen von Welt nie objektiv, sie bieten kein Abbild einer bewusstseinsunabhängigen Realität, sondern die Realität ist für jedes Individuum eine Konstruktion aus aktuellen Sinnesreizen gekoppelt mit der Gedächtnisleistung. Eine Erinnerung, die sich laufend durch die neuen Eindrücke verändert… …all das könnte einem vielleicht im Bruchteil einer Sekunde durch den Kopf gehen, während Krrrkk unter den Füssen vernehmbar nachgibt. Und im selben Moment wird man sich bewusst, dass man gerade dabei ist, Claudia Küblers Installation zu zerstören! Offenbar liegt das in der Anlage des Werks – so ist es konstruiert. Eine Konstruktion, die sich immer weiter offen legt, je mehr Einbrüche und Löcher darin entstehen.

Krrrkk Claudia Kübler Rauminstallation Gipskartonplatten, Schellack, Holz, 2015

Diese Publikation erscheint anlässlich der Ausstellung Krrrkk von Claudia Kübler, 21. 3. – 25. 4. 2015 Alpineum Produzentengalerie Luzern / 50 Text: Stefan Meier Fotografie: Andri Stadler, Lorenz Schmid, Claudia Kübler

Oder wenn eine einzige Person, in einem kindlichen Rausch, alles allein zu Kleinstteilen verarbeitet? Im Rahmen dieses Textes können diese Fragen nicht geklärt werden. Jedoch bieten die Radikalen Konstruktivisten da einen Lösungsansatz. Wie oben ausgeführt, ist gemäss ihrer Theorie Wissen immer subjektiv, da es stets in Wechselwirkung mit der Welt da draussen entsteht und folglich ist Wissen auch konstruiert. Der häufigste Einfluss auf das Individuum von „da draussen“ ist sozialer Art, also durch den Einfluss anderer Subjekte mit ihren Konstruktionen von Wissen auf das eigene, bereits entstandene Wissen. In der Reibung untereinander entsteht im Kompatibilitätsfall etwas Intersubjektives, nämlich gemeinsames Wissen, umgangssprachlich am besten mit ‚geteilter Meinung’ zu übersetzen. Was dann dem Begriff ‚Wahrheit’ am nächsten kommt. Absolute Wahrheit kann es in einer Welt ohne objektive Massstäbe nicht geben, denn wenn alles konstruiert ist, dann gilt dies auch für die Wahrheit – also ist der Konsens das Verbindlichste, was möglich ist. Folglich haben wir gemeinsam eine gute Chance, diese Fragen bis zum Schluss der Ausstellung zu klären. Jede und jeder für sich – es könnte halten, der doppelte Boden hat sich aufgelöst.


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