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Geheimdienstmitarbeiter vor Gericht
Er kämpft gegen Syriens Höllenmaschinerie
Foto: Philomena Wolflingseder
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In Koblenz hat der erste Prozess wegen staatlicher Folter in Syriens Gefängnissen begonnen. Angeklagt sind zwei ehemalige Geheimdienstmitarbeiter. Überlebende fordern Gerechtigkeit und wollen auch Präsident Assad zur Rechenschaft ziehen. Von Hannah El-Hitami
Geduldig beantwortet Anwar Al-Bunni die immer gleichen Fragen der anrufenden Journalisten. Ja, es sei wahr, dass er dem Angeklagten Anwar R. vor einigen Jahren vor der Flüchtlingsunterkunft in Berlin-Marienfelde begegnete. Ja, er habe R. als den Mann erkannt, der ihn 2006 in Syrien festgenommen hatte. Nein, der Gerichtsprozess sei nicht sein persönlicher Rachefeldzug gegen Anwar R. – es gehe um etwas viel Größeres.
Es ist ein sonniger Mittwochnachmittag Ende April. Der syrische Menschenrechtsanwalt Al-Bunni, 61, kleine dunkle Augen unter buschigen Brauen, sitzt im ICE auf dem Weg von Berlin nach Koblenz. Dort wird am nächsten Tag der weltweit erste Prozess wegen Staatsfolter in Syrien beginnen. Vor dem Oberlandesgericht sind zwei ehemalige Mitarbeiter des syrischen Geheimdienstes angeklagt: Anwar R., dem Offizier, den Al-Bunni kennenlernte, werden Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorgeworfen. Er soll zwischen 2011 und 2012 die Ermittlungen in der Abteilung 251 des Allgemeinen Geheimdienstes in Damaskus geleitet und sich dabei des 58-fachen Mordes, der Vergewaltigung und schweren sexuellen Nötigung sowie der Folter in mindestens 4.000 Fällen schuldig gemacht haben.
Der zweite Angeklagte, Eyad A., soll Mitarbeiter einer Unterabteilung gewesen sein, die Menschen bei Demonstrationen und Razzien festnahm und in die Abteilung 251 brachte. Ihm wird Beihilfe zu Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorgeworfen. Beide Angeklagte desertierten schließlich und flohen ins Ausland – Anwar R. 2012 und Eyad A. 2014. Sie beantragten in Deutschland Asyl und begannen, für sich und ihre Familien ein neues Leben aufzubauen.
Doch im Frühjahr 2019 wurden sie festgenommen. Die beiden Männer hatten bei verschiedenen Behördengängen zu offen über ihre Vergangenheit im syrischen Geheimdienst gesprochen und damit selbst die Ermittlungen des BKA ausgelöst. Vermutlich wussten sie nicht, dass in Deutschland seit 2002 das Weltrechtsprinzip gilt. Es ermöglicht der Bundesanwaltschaft, Verbrechen zu verfolgen, die keine direkte Verbindung zu Deutschland haben, sofern es sich um völkerrechtliche Verbrechen wie Genozid, Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder Kriegsverbrechen handelt. Weil Syrien selbst kein Mitglied des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) ist und Russlands Veto im UN-Sicherheitsrat den IStGH daran hindert, trotzdem zu ermitteln, bietet das Weltrechtsprinzip momentan die einzige Chance auf eine juristische Aufarbeitung des Konflikts in Syrien.
Keine Partner für Syriens Zukunft
»Er hat sie festgenommen, gefoltert, getötet!«, sagt Al-Bunni mit lauter Stimme in sein Headset. Das Zugabteil ist in den ersten Wochen der Corona-Pandemie fast leer, so kann der prominente Menschenrechtsanwalt ungestört ein Interview nach dem anderen geben. Al-Bunni hat viel zu erzählen: Er widmet sein Leben
schon seit den 1980er Jahren der Verteidigung politischer Gefangener in Syrien. Auch fünf Jahre Gefängnis und die Flucht nach Deutschland im Jahr 2014 haben ihn von dieser Mission nicht abbringen können.
In Berlin gründete er das Syrische Zentrum für juristische Studien und Forschung und bereitet seitdem Klagen gegen hochrangige syrische Regime-Anhänger vor. Al-Bunni selbst ist in Deutschland nicht als Anwalt zugelassen, doch er verfügt über ein riesiges Netzwerk innerhalb der syrischen Exil-Community, einige waren schon in Syrien seine Mandanten. Viele Zeuginnen und Zeugen hat er an die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe vermittelt. Ihre Aussagen gehören zu den wichtigsten Beweismitteln in dem historischen Prozess in Koblenz, denn sie bieten Einblick in Syriens Folterkeller und in die Systematik der Verbrechen, die dort immer noch begangen werden.
Für Al-Bunni ist der Prozess in Koblenz ein Meilenstein. »Es ist das erste Mal in der Geschichte, dass juristische Verfahren schon beginnen, während die Straftaten noch begangen werden«, erklärt er, nachdem er ein weiteres Telefonat beendet hat. »Die Gerechtigkeit bestimmt also mit, wie der Konflikt ausgehen wird, und nicht andersherum.« Wer per internationalem Haftbefehl gesucht oder als Verbrecher verurteilt werde, könne von der Welt nicht mehr als Partner für die Zukunft in Syrien erachtet werden.
Dazu gehören nicht nur Anwar R. und Eyad A., sondern noch hochrangigere Regime-Mitglieder. Schon 2011 begann der Generalbundesanwalt in sogenannten Strukturermittlungsverfahren Beweise über Völkerrechtsverbrechen der Regierung und der Opposition in Syrien zu sammeln. Diese Erkenntnisse sollten als Grundlage dienen für spätere Klagen gegen Individuen. So wurde im Juni 2018 bekannt, dass Deutschland einen internationalen Haftbefehl gegen Jamil Hassan, den ehemaligen Chef des als besonders brutal geltenden Luftwaffengeheimdienstes, erlassen hat. Er kann aber nicht festgenommen werden, solange er sich in Syrien aufhält. Beim Prozess in Koblenz können die Erkenntnisse aus neun Jahren Krieg dennoch vor Gericht genutzt werden.
Schreie in der Cafeteria
Als Wassim Mukdad dem Oberst Anwar R. das letzte Mal so nahe war wie nun in Koblenz, hätte ihm dieser befehlen können, sich auf den Bauch zu legen und die Beine anzuwinkeln. Dann wäre er mit dem Gürtel oder einem Schlauch auf die Fußsohlen geschlagen worden und anschließend wäre es ihm vor lauter Schmerzen kaum mehr möglich gewesen, zu gehen. Von der sogenannten »Falaka« berichten viele, die in der Abteilung 251 des Allgemeinen Geheimdienstes in Damaskus eingesperrt waren. Fünf Tage wurde der politische Aktivist Mukdad im Herbst 2011 dort festgehalten und verhört, Leiter der Ermittlungsabteilung war damals Anwar R. Der steht ihm nun, am ersten Tag des Prozesses und 8.000 Kilometer vom Tatort entfernt, in einem lichtdurchfluteten Gerichtssaal gegenüber.
Doch diesmal muss Mukdad keine Schläge fürchten, keine Elektroschocks oder Stresspositionen. Die gehörten in der Abteilung 251 zum Alltag, das werden verschiedene Zeugen im Laufe des Gerichtsverfahrens berichten. Sie werden auch beschreiben, dass die Gefängnisräume unterirdisch lagen und dass das bei Geheimdienstgefängnissen immer so war. Sie werden erzählen, dass die Ermittler in ihren Büros im Erdgeschoss Gefangenen die Beine brachen, um ihre Teilnahme an weiteren Protesten zu verhindern – und dass man die Schreie der Gefangenen bis in die Cafeteria im Hof hörte, wo die Wärter und Ermittler ihre Pausen verbrachten. »Was ich erlebt habe, war kein Einzelfall, sondern hatte System«, sagt Wassim Mukdad bei einem Treffen in Berlin zwei Wochen nach Verfahrensbeginn. »Das weiß ich, da ich leider mehr als eine Erfahrung in mehr als einer Geheimdienstabteilung gemacht habe.« Der 35-Jährige ist mit seinem Fahrrad in den Bürgerpark Pankow gekommen. Schon in Damaskus war er am liebsten mit dem Rad unterwegs, das sei sicherer gewesen. »Man wurde als Fahrradfahrer nicht so oft von den Geheimdiensten kontrolliert«, sagt Mukdad. Seine langen Haare hat er mit einer Klammer hochgesteckt, den dunklen Bart durchziehen graue Fäden. Seit 2016 lebt der Berufsmusiker in Berlin, spielt in verschiedenen Orchestern Oud, ein traditionelles arabisches Lauteninstrument, und studiert Musikwissenschaften an der Berliner Humboldt Universität.
Dort lernte er eine Anwältin des European Center for Constitutional and Human Rights kennen, dessen Anwälte einige der Nebenkläger im Verfahren gegen Anwar R. und Eyad A. vertreten. Sie erzählte ihm von der Festnahme der beiden Geheimdienstler und fragte ihn, ob er aussagen wolle. Er beschloss, einen Schritt weiterzugehen und sich gemeinsam mit anderen Folterüberlebenden der Nebenklage anzuschließen. »So erhalte ich Einblick in die Details des Prozesses«, erklärt Mukdad. Als Nebenkläger darf er bei allen Prozessterminen dabei sein, Fragen und Anträge stellen. Und er kann endlich dem Mann in die
An der Staatsfolter beteiligt? Die Angeklagten Anwar R. (Foto links, 2.v.r.) und Eyad A. (Foto rechts) im Gerichtssaal, April 2020.
Wassim Mukdad, Nebenkläger
Augen blicken, der mutmaßlich für das Leid in der Abteilung 251 verantwortlich war. Mehr Details dazu, warum Mukdad festgenommen und was er in Haft erlebt hat, darf er noch nicht mitteilen, um seine Aussage im Prozess nicht vorwegzunehmen.
Dass die beiden Angeklagten im Gegensatz zu ihm ein faires Gerichtsverfahren bekommen, findet Mukdad gut: »Hier geht es nicht um Rache, sondern um Gerechtigkeit«, sagt er und zieht an seiner selbstgedrehten Zigarette. Im Gegenteil, es sei ihm wichtig gewesen, zu sehen, dass Anwar R. und Eyad A. respektvoll behandelt werden. »Dafür haben wir damals unsere Revolution begonnen: für Rechtsstaatlichkeit, Gerechtigkeit und Freiheit.«
»Ich habe die Taten nicht begangen«
Kaum etwas ist von dieser Revolution übriggeblieben. Während der Krieg in Syrien in sein zehntes Jahr geht und Berichte über gezielte Angriffe auf Krankenhäuser die Berichte über Giftgas - attacken ablösen, sitzen noch immer Zehntausende Oppositionelle in den Gefängnissen. Mit welcher Systematik dort gefoltert und gemordet wird, haben schon vor Jahren die sogenannten Caesar-Fotos gezeigt: 28.000 Bilder von Leichen, die ein desertierter Militärfotograf aus dem Land schmuggelte und veröffentlichte. Untermauert werden die grausamen Beweise immer wieder von den Aussagen Überlebender, die die Grundlage zahlreicher Berichte bilden.
Von alledem will der Angeklagte Anwar R. nichts gewusst haben. Glaubt man seiner Aussage, bestanden die meisten seiner Begegnungen mit Gefangenen aus Gesprächen über arabische Kultur und gemeinsame Bekannte, bei denen er Kaffee anbot und sich um ihre Freilassung bemühte. »Folterungen sind von
Auch Wassim Mukdad (l.) ist Nebenkläger. Koblenz, im April 2020. mir nicht angeordnet oder gefördert worden«, lässt er in einem von seinen Anwälten verlesenen Statement am vierten Prozess - tag erklären. »Ich habe die mir vorgeworfenen Taten nicht begangen.« Ihm seien schon zu Beginn der Aufstände sämtliche Kompetenzen entzogen worden, weil er sich zu kritisch geäußert und sein alawitischer Vorgesetzter an der Loyalität des sunnitischen Offiziers gezweifelt habe. »Ich wurde zum Flüchtling, weil ich die Geschehnisse in Syrien nicht mitgetragen habe. Alle, die einverstanden waren, setzen ihren Dienst immer noch fort«, erklärt Anwar R. in seinem Statement. Er habe nur den richtigen Zeitpunkt für seine Flucht abgewartet, sagt er und liefert eine Liste von 25 Personen, die seine Unschuld bezeugen könnten. Sie alle gehörten der Opposition an und könnten für seine politische Einstellung und Nähe zur Revolution bürgen.
Eine unerwartete Wendung gibt es tatsächlich im Lebenslauf des 57-jährigen Geheimdienstlers, der seine Karriere mit 25 Jahren bei der Polizei begann und zu den besten seines Ausbildungsjahrgangs gehörte: Nach seiner Flucht aus Syrien im Jahr 2012 schloss er sich nicht nur der Exil-Opposition in Jordanien an, sondern spielte dort eine derart wichtige Rolle, dass er 2014 sogar als Teil ihrer Delegation zu den Friedensverhandlungen in Genf reiste. Nach Deutschland kamen er und seine Familie schließlich mit der Unterstützung des Auswärtigen Amtes, dem er als Mitglied der Opposition bekannt war.
Die Existenz der Höllenmaschinerie beweisen
Persönlicher Vorteil, tatsächlicher Sinneswandel oder Spitzel - auftrag der Regierung – die syrische Community in Deutschland ist sich uneinig darüber, was die wahre Motivation hinter R.’s Seitenwechsel war. Es spiele ohnehin keine Rolle, glaubt Anwar Al-Bunni, denn auch ein Überläufer müsse für seine Taten zur Rechenschaft gezogen werden. »Im Islam werden einem, der konvertiert, alle seine vorherigen Sünden vergeben«, erklärt er. »Aber dieses Prinzip gilt nicht außerhalb der Religion. Gerechtigkeit hat nichts mit politischen Positionen zu tun, sondern sie ist für die Opfer da.«
Einen Einblick in deren Bedürfnisse bietet eine Studie der syrischen Exilorganisation The Day After, die Syrerinnen und Syrer im Land selbst sowie in Europa und im Libanon zu ihrem Gerechtigkeitsempfinden befragt hat. Wenn es um Folter ging, waren fast 75 Prozent der Befragten dafür, dass die Täter einen fairen Gerichtsprozess und nach einem entsprechenden Urteil eine Strafe bekommen sollten. Dabei unterschieden sie kaum zwischen denen, die Verbrechen begangen und denen, die sie befohlen haben. Für eine Hinrichtung der Täter waren insgesamt wenige Befragte. Vergessen und Weitermachen kam für nicht einmal ein Prozent in Frage.
Für Al-Bunni ist das Verfahren gegen Anwar R. und Eyad A. nur ein allererster Schritt in Richtung einer Übergangsjustiz. »Unser Ziel ist es nicht, zwei kleine Rädchen der Höllenmaschinerie zu verurteilen, die nach wie vor Menschen tötet«, erklärt der Anwalt, der auch selbst als sachverständiger Zeuge in Koblenz aussagen wird. »Wir wollen diese Rädchen vielmehr nutzen, um die Existenz der Maschinerie und das Ausmaß ihrer Höllenhaftigkeit zu beweisen.« Langfristig möchte Al-Bunni alle Verbrecher des syrischen Regimes vor Gericht bringen, sagt er. Bis hin zu Präsident Baschar Al-Assad.
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