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Viele Schlagstöcke, wenige ÄrzteAfrika
Viele Schlagstöcke, wenige Ärzte
In Afrika hat Covid-19 nicht nur eine Gesundheitskrise ausgelöst. Viele Regierungen nutzen die Pandemie als Vorwand für politische Maßnahmen, um die Menschenrechte einzuschränken. Von Franziska Ulm-Düsterhöft
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Arphine Helisoa ist eine mutige Frau. Die Journalistin hat es gewagt, die Politik des madagassischen Präsidenten anzuzweifeln. Am 2. April kritisierte sie in einem Zeitungsartikel die Entscheidung der Regierung, die engen Märkte ohne Schutzvorkehrungen gegen Covid-19 geöffnet zu lassen und gleichzeitig mit exzessiver Gewalt gegen Menschen vorzugehen, die sich draußen aufhalten und damit gegen Covid-19-Regelungen verstoßen würden. Helisoa warf Präsident Andry Rajoelina vor, keine geeigneten Maßnahmen zu ergreifen, um die Verbreitung des Virus zu stoppen. Dafür sitzt sie nun in einer völlig überfüllten Zelle in einem Gefängnis in Antananarivo, der Hauptstadt Madagaskars – und zwar auf unbestimmte Zeit, denn wegen der Pandemie ist unklar, wann ein Richter sie anhören wird.
Madagaskar ist nur eines von vielen Ländern, das Covid-19 als Vorwand für drastische Eingriffe in die Presse- und Meinungsfreiheit nutzt. Schon vor dem Ausbruch begann die tansanische Regierung, den politischen Raum einzuschränken. Die Pandemie kam als passender Grund, um die Restriktionen auszuweiten. Am 20. April wurde Talib Ussi Hamad, Journalist der Tageszeitung Daima, für sechs Monate suspendiert, weil er über einen Covid-19-Fall berichtet hatte. Zuvor wurde bereits der Zeitung Mwananchi die Lizenz entzogen, nachdem sie ein Foto des Präsidenten veröffentlicht hatte, das ihn von Menschen umringt auf einem Markt zeigte und somit andeutete, er habe gegen die Abstandsvorgaben verstoßen. Die Medienhäuser Star Media Tanzania, Multichoice Tanzania und Azam Digital Broadcast wurden ebenfalls allesamt mit Strafen belegt, weil sie über die Pandemie berichteten.
In Angola wurden Aktivisten der Organisation MBATIKA daran gehindert, Informationen über Covid-19 und Hygieneprodukte wie Desinfektionsmittel, Seifen und Masken an ländliche Gemeinschaften zu verteilen. Anfang April wurden die Aktivsten von der Polizei mit Schlagstöcken angegriffen und mit Schusswaffen bedroht, bevor man sie festnahm und acht Stunden lang festhielt. Die Regierung hat zwar im Radio und Fernsehen über das Virus informiert. Die Bevölkerung in den ländlichen Gebieten kann die Sendungen jedoch wegen des Mangels an Elektrizität nicht empfangen.
Überfüllte Haftanstalten
Viele der politischen Gefangenen sitzen in ohnehin überfüllten Haftanstalten. Sehr schlechte Hygienebedingungen, kaum medizinische Versorgung und wenig Nahrung lassen diese Orte nicht selten zu tödlichen Fallen werden. Gefangene in Afrika sind somit einem enormen Risiko ausgesetzt, sich mit dem Virus zu infizieren. Dies ist umso tragischer, als viele von ihnen ohne Anklage oder Gerichtsverfahren im Gefängnis sind – je nach Land befinden sich 50 bis 90 Prozent aller Inhaftierten in Untersuchungshaft – wurden also nie für irgendeine Straftat verurteilt.
Im Tschad sind Gefängnisse mit einer Belegungsrate von 232 Prozent völlig überfüllt. In den Gefängnissen in Madagaskar sind mehr als drei Mal so viele Menschen eingesperrt wie zulässig. 70 bis 80 Prozent der inhaftierten Frauen und Kinder wurden nie verurteilt. In Kamerun kommt ein Arzt auf 1.335 Gefangene, obwohl 15 Prozent der Inhaftierten an Tuberkulose erkrankt sind. In der Demokratischen Republik Kongo sind vier bis sechs Mal mehr Menschen in Haft als die Gefängniskapazitäten erlauben. 73 Prozent der Inhaftierten wurden nie verurteilt. Es gibt nahezu keine Versorgungsleistungen für die Gefangenen. Allein zwischen Januar und Februar 2020 sind im MakalaZentralgefängnis in der Hauptstadt Kinshasa 60 Menschen verhungert.
Bis zum 25. Mai wurden insgesamt 829 Infektionen mit Covid-19 in afrikanischen Gefängnissen registriert. Das Virus findet dort ideale Brutstätten. Einige Länder haben daher damit begonnen, Gefangene, die nicht verurteilt wurden bzw. die kein Sicherheitsrisiko darstellen oder deren Inhaftierung politisch
Bewusstsein schaffen. Martha Apisa (l., zwölf Jahre) und Stacy Ajuma (acht Jahre) machen mit Zöpfen auf Corona aufmerksam, Kenia, Mai 2020.
motiviert war, zu entlassen. Am 1. April wurden in Somaliland 574 Häftlinge begnadigt, um die Ausbreitung des Virus in den überfüllten Gefängnissen einzudämmen.
Da auch die Gefängnisse im Sudan stark überbelegt sind, hat die Regierung die Freilassung von Gefangenen angeordnet. Allein in Omdurman kamen 4.217 Personen frei. Aus denselben Beweggründen sollen aus den überfüllten Gefängnissen in Uganda mehr als 800 Häftlinge entlassen werden. Äthiopien ließ 10.000 Gefangene frei. Die Bemühungen reichen jedoch nicht aus und werden durch neue Festnahmen angeblicher Regierungskritiker konterkariert.
Gewalt von Sicherheitskräften
Im öffentlichen Raum setzen viele afrikanische Länder auf Gewalt, um die Maßnahmen zur Eindämmung von Covid-19 durchzusetzen. Seitdem beispielsweise in Angola Sicherheitskräfte auf die Straße geschickt wurden, um eine von Präsident João Lou renço erlassene Verordnung durchzusetzen, gab es mehrfach Berichte über unverhältnismäßige Gewaltanwendung. Am 4. April verprügelte die Polizei in der Gemeinde Buco-Zau in der Provinz Cabinda zehn Personen auf der Straße und nahm sie fest, weil sie angeblich gegen die Covid-19-Regelungen verstießen. Sieben der zehn Männer waren unterwegs, um Lebensmittel auf dem Markt zu kaufen. Zwei Männer waren auf dem Rückweg aus dem Krankenhaus nach dem Tod eines Familienmitglieds. Ein Mann war auf dem Weg ins Krankenhaus, um die Geburt seines Kindes mitzuerleben.
Ähnliche Vorfälle werden auch aus anderen Ländern gemeldet. In den ersten fünf Nächten der Ausgangssperre in Kenia wurden bei Polizeieinsätzen mindestens sieben Menschen getötet, 16 wurden ins Krankenhaus eingeliefert, sieben von ihnen mit schweren Verletzungen. Journalisten, Mitarbeiter des Gesundheitswesens und Menschenrechtsverteidiger berichten von Einschüchterungen und Übergriffen durch Polizeibeamte. In Südafrika setzten Sicherheitskräfte Tränengas, Gummigeschosse und Schlagstöcke gegen Menschen ein, die sich auf der Straße befanden. Obdachlose Menschen wurden angeschrien und geschlagen. Jugendliche wurden gezwungen, Liegestütze zu machen und sich auf der Straße umherzurollen, als Bestrafung dafür, dass sie das Haus verlassen hatten. Bislang kam es in Südafrika in Folge der Polizeigewalt zur Durchsetzung des Lockdowns zu mindestens acht Todesfällen.
Covid-19 droht neben einer Gesundheitskrise auch zu einer Menschenrechtskrise zu werden. Die Regierungen müssen jedoch bei der Bekämpfung der Pandemie für die Achtung der Menschenrechte sorgen, um das Vertrauen der Bevölkerung in ihre Maßnahmen zu erlangen. Nur durch Gewährleistung des Rechtes auf Information, eine Verringerung möglicher Infektionszentren und einen Zugang zu medizinischer Versorgung ohne Diskriminierung kann der Kampf gegen das Virus gewonnen werden und können die afrikanischen Länder gestärkt aus der Krise hervorgehen.
Franziska Ulm-Düsterhöft ist Amnesty-Referentin für Afrika.