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Sylvie sucht. Die Künstlerin

Sylvie sucht

Die Künstlerin Sylvie Njobati aus Kamerun setzt sich mit den Folgen des Kolonialismus auseinander. Die Gottheit ihrer Vorfahren wurde von deutschen Kolonisatoren geraubt und lagert nun im Fundus des Berliner Humboldt-Forums. Von Elisabeth Wellershaus

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Im Schein des Feuers sitzt Sylvie Njobatis Großvater vor seinem Haus. Für ihn hat sie eine abenteuerliche Reise auf sich genommen. Über holprige Schotterpisten durch die Wälder der Region Nord-West-Kamerun, vorbei an verfallenen Häusern, teils verlassenen Ortschaften, ist sie mit ihrem zweiköpfigen Filmteam bis in sein kleines Dorf gefahren. Sie auf dem Rücksitz des einen Mopeds, die Filmausrüstung auf dem Sozius des anderen. Zwischen seinem Dorf, Mbveh, und Bamenda, wo Njobati heute lebt, liegen etwa 100 Kilometer.

Die Distanz, die sie mit ihrem Dokumentarfilm zu überbrücken versucht, ist ungleich größer. »The Twist of Return Ngonnso«, der auf Festivals in Afrika und Europa zu sehen war, erzählt die Geschichte ihrer Familie. Davon, wie Großvater Faimbarang vor Jahrzehnten beschloss, sich den Missionaren anzuschließen. Und davon, dass er dafür die spirituelle Führung der Nso-Bevölkerung im ehemaligen Familiendorf aufgab. »Ich konnte unmöglich Diener zweier Herren sein«, sagt er seiner Enkelin im Film mit brüchiger Stimme. Einer 28-jährigen Filmemacherin, die aufgebrochen ist, um die Widersprüche zwischen christlicher Erziehung und fast vergessener Tradition aufzuzeigen.

Njobatis Interesse an ihrer Heimatregion kam zu einem ungünstigen Zeitpunkt. Genau in dem Jahr, als die Krise im anglophonen Teil Kameruns sich zuspitzte, trieb es sie zurück ins Reich der Nso, die in Nord-West-Kamerun leben. Zuvor hatte sie Jahre in der Hauptstadt Yaoundé verbracht und dabei das Gefühl der Entwurzelung nie ganz abschütteln können.

Während des Studiums erlebte sie dort oft, dass ihre Herkunft sie einschränkte. Dass es wegen ihres Akzents reihenweise Absagen für Praktika und Jobs hagelte. Dass sie wegen sprachlicher Missverständnisse im Krankenhaus mehrfach falsch behandelt wurde. Als sie schwanger wurde, beschloss Njobati, dass es an der Zeit sei, in die Heimat zurückzukehren. Für ihren Film und um die eigene Identität zwischen frankophoner Mehrheitskultur und anglophoner Prägung zu erkunden.

Als sie 2017 bei ihren Eltern im Bamenda-Hochland ankam, kämpften dort bereits gewalttätige Separatisten gegen Angehörige der Sicherheitskräfte. Längst waren die anfangs friedlichen Proteste, bei denen Teile der englischsprachigen Bevölkerung mehr Gerechtigkeit von der Zentralregierung forderten, in einen erbitterten Kampf um die Unabhängigkeit der Region umgeschlagen. Sicherheitskräfte verübten grausame Übergriffe auf die Zivilbevölkerung und zerstörten ganze Dörfer, während Separatisten Soldaten töteten und Schulen niederbrannten. Inmitten des politischen Chaos begann Njobati mit den Dreharbeiten – und baute ein Kulturzentrum in Bamenda auf. Im Sysy House of Fame inszeniert sie politisches Schattentheater, zeigt Filme, organisiert Fashion-Shows für junge Modemacher der Region und spielt im Theater der Alliance Française vor teils 400 Zuschauern.

Meist geht es in ihren eigenen Produktionen darum, die gegenwärtigen Probleme der Region mit Ereignissen aus kolonialen Zeiten in Bezug zu setzen. Zu Beginn ihres Films etwa fährt die Kamera über das verlassene Familiengrundstück in ihrem alten Dorf. Die Szenen, die Njobati aus Kindertagen erinnert – Hochzeiten, Begräbnisse, Familienfeste – scheinen bei diesem Anblick geradezu surreal. Und so lässt ihr Großvater sich auf die Frage ein, wie es wohl heute im Dorf aussähe, wenn er geblieben wäre. Wenn er die Religion, die von den Kolonisatoren überbracht wurde, nicht zu seiner eigenen erklärt hätte. Und wie es wäre, wenn die heiligste Figur der Nso – Ngonnso – nicht in einem Berliner Schaukasten auf die Eröffnung des HumboldtForums warten würde. Unaufgeregt streift der Film die Frage der Rückgabe von Kulturgütern vor dem Hintergrund der familiären Selbstfindung. Wichtiger scheint Njobati die persönliche Aufarbeitung. Nach langen Gesprächen hat ihr Großvater sich entschieden, das Dorf der Familie noch einmal zu besuchen. Mit 72 Jahren ist er bereit, dort ein kleines Festival auszurichten, bei dem die traditionelle Kultur im Mittelpunkt stehen soll.

Dass er es bislang nicht geschafft hat, liegt an der Omnipräsenz von Sicherheitskräften und Separatisten, die ein Durchkommen fast unmöglich machen. Bereits zu Beginn der Filmarbeiten wurde Njobati entführt und einen halben Tag lang von Milizionären festgehalten. »Sie hatten mich mit meiner Ausrüstung für eine Regierungsspionin gehalten und dachten, ich würde den Behörden in Yaoundé zuarbeiten«, erzählt sie. Erst als ihr

Njobati kämpft für einen Raum, in dem komplexe Identitäten wie ihre ein Zuhause finden.

Emanzipation im Fokus. Sylvie Njobati verknüpft die Probleme der anglophonen Minderheit in Kamerun mit der kolonialen Vergangenheit des Landes.

Großvater, der in der Gegend bekannt ist, das Filmprojekt am Telefon bestätigt, ließen sie Njobati frei. Sie fuhren sie an ihren nächsten Drehort und halfen dort sogar bei den Aufnahmen.

Seitdem »Twist of Return Ngonnso« im Kasten ist, plant Njobati eine längere Filmversion zum Thema. Doch wochenlang hinderte sie nun die Corona-Pandemie an der Umsetzung. »Mein wichtigster Protagonist für den erweiterten Film ist ein knapp 80-jähriger Historiker aus Yaoundé«, erzählt sie. Sie mache sich täglich Sorgen um ihn. Die Hauptstadt ist besonders vom Virus betroffen. Bereits vor Corona war Kameruns Gesundheitssystem überlastet, erzählt Njobati. »Jetzt ist es katastrophal.«

So saß sie in den vergangenen Wochen oft allein im Büro, hielt ihre Mitstreiter auf Abstand, während Theater-, Film- und Diskussionsveranstaltungen bis auf Weiteres abgesagt wurden. »Der öffentliche Austausch über politische und gesellschaftliche Themen stagniert«, sagt sie. »Theater und andere Orte der Begegnung stehen noch immer ziemlich leer.« Mit Corona hat sich eine trügerische Stille über Bamenda gelegt, meint Njobati. Die öffentlichen Beschränkungen führten vielleicht zu weniger Übergriffen. Doch die Bevölkerung lebe in dem Irrglauben, dass die politische Krise bald überwunden sei.

Njobati hat in den vergangenen Jahren zu viel erlebt, um sich schon in Sicherheit zu wiegen. Ihre Eltern haben die Region vor Monaten verlassen, sie leben heute in der Küstenstadt Douala. »Für meine Mutter, die Lehrerin ist, war es hier zu gefährlich«, erzählt sie. »Lehrpersonal wurde immer wieder angegriffen.« Seit geraumer Zeit leiden Schülerinnen und Schüler, Studentinnen und Studenten unter Lehrermangel, zerstörten oder geschlossenen Schulen, der stetig neu aufbrechenden Gewalt. Auch Njobati hat mehrmals ihren Master in Filmwissenschaften an der Universität von Bamenda begonnen und wieder abgebrochen. »Immer dann, wenn wieder besonders viele Kommilitoninnen und Kommilitonen verschwanden oder ermordet wurden, habe ich aufgehört«, sagt sie. Vor Monaten keimte Hoffnung auf bessere Zustände auf: Kinder der staatlichen Schulen hatten endlich wieder Aussicht auf regelmäßigen Unterricht. Doch dann kam Corona.

In dieser Gemengelage verhandelt Njobati das Thema Unabhängigkeit auf sämtlichen Ebenen. Sie spricht über koloniales Erbe, Gewaltkonflikte, den Zentralstaat und seine Minderheitenpolitik. Doch vor allem kämpft sie für sie einen Raum, in dem komplexe Identitäten wie ihre ein Zuhause finden.

Mit emotionaler

Monologe des Gewissens. Alle Produktionen des Theaterregisseurs Michael Ruf leben vom Kopfkino.

Mit den Asyl- und NSU-Monologen ist der Theater - regisseur Michael Ruf bekannt geworden. Wegen der Corona-Beschränkungen sind seine MittelmeerMonologe nun vorübergehend über das Telefon zu hören. Von Georg Kasch

Was geht in jemandem vor, der in einem kleinen Boot auf dem Meer treibt, inmitten von Wasser und Dunkelheit? Wer sich in Deutschland durch die Nachrichten zappt, kann schnell vergessen, dass sich hinter Begriffen wie Frontex und Abschottung Schicksale von Menschen verbergen: Migrantinnen und Migranten, die um ihr Leben kämpfen.

Doch plötzlich, am Telefon, ist man ziemlich nah dran. Da erzählt Selma, eine Freiwillige, die für die Hilfsorganisation Watch the Med Alarmphone arbeitet, wie es ist, auf dem Mittelmeer in Seenot geratene Menschen via Handy zu einem größeren Schiff oder ans rettende Ufer zu lotsen. Sie berichtet davon, wie Yassin anruft, dessen Boot die Orientierung verloren hat. Sollen sie weiter nach Norden fahren, in Richtung italienischer Küste? Aber was, wenn der Akku versagt und sie auf dem Weg dahin verloren gehen? Oder in Richtung Süden, zum Schiff der italienischen Küstenwache? Aber wird es Yassin und die anderen nach Italien bringen? Oder direkt an die libysche Küstenwache ausliefern?

Die Telefonstimme gehört der Schauspielerin Meri Koivisto, ihr Text ist Teil der »Mittelmeer-Monologe« von Regisseur Michael Ruf. Seit 2019 finden die »Mittelmeer-Monologe« auf der Bühne statt – in Theatern, Stadthallen oder Räumen von Initiativen. Wegen der Corona-Beschränkungen mussten Ruf und sein Team allerdings umdenken. Deshalb haben sie die Telefonversion erfunden, in der die Zuhörer etwa 20 Minuten lang mit einer Geschichte, einer Perspektive vertraut gemacht werden.

Das funktioniert hervorragend. Schon deshalb, weil alle von Rufs bisherigen Produktionen – die »Asyl-Monologe«, die »AsylDialoge« sowie die »NSU-Monologe« – auch auf der Bühne vom Kopfkino lebten: Während die Schauspieler an der Rampe stehen, oft mit dem Textbuch vor sich, entfaltet sich die Wirkung der Beschreibungen in den Vorstellungswelten des Publikums.

Der Reiz der Mono- und Dialoge besteht darin, dass sie konsequent die Perspektive der Betroffenen widerspiegeln und ausschließlich aus ihren Worten bestehen. Ruf führt lange Interviews und verdichtet sie dann zur endgültigen Form, behält

Wucht

»Beim Verbreiten wenig gehörter Perspektiven darf es nicht bleiben. Die Leute sollen aktiv werden.« Michael Ruf

Foto: Benjamin Jenak

aber Wortwahl und Sprechduktus bei. Es sind Erfahrungen und Gefühle aus erster Hand, die entsprechend berühren. Man kann sich kaum wehren gegen die Genauigkeit und emotionale Wucht der Erzählungen. Nur mit der Live-Musik übertreibt es Ruf zuweilen.

»Wort und Herzschlag«

Der Erfolg gibt ihm Recht: Die vier in den vergangenen zehn Jahren entstandenen Theaterstücke kommen auf insgesamt mehr als 800 Vorstellungen. Das geht nur, weil er sich auf ein Netzwerk von rund 600 Schauspielern und Musikern stützt. So muss nicht eine Besetzung quer durchs Land reisen. Praktisch ist zudem, dass Rufs sparsame Inszenierungen, die nur mit ein paar Mikrofonen vor neutralem Hintergrund auskommen, auch problemlos Abstand ermöglichen, also Corona-tauglich sind. Deshalb kann er jetzt auch schon wieder die ersten Termine zusagen, während man die Telefon-Performances weiterhin über die Website buchen kann.

Außerdem expandieren die Produktionen. Im November 2019 brachte Ruf die »Mittelmeer-Monologe« mit US-Schauspielerinnen und -Schauspielern in Washington D.C. und New York auf die Bühne; demnächst wird das Netzwerk auch Richtung Österreich, Schweiz und Ungarn erweitert. Zugleich arbeitet Ruf schon an der nächsten Inszenierung, die »Klima-Monologe«, die 2021 vom Hauptstadtkulturfonds gefördert werden – nicht nur finanziell ein Ritterschlag.

Lange produzierte Ruf seine Arbeiten für die Bühne für Menschenrechte, die er 2011 nach Vorbild der britischen Actors for Human Rights gründete. Nun arbeitet er unter dem Label »Wort und Herzschlag«. Das Projekt sei so stark gewachsen, dass er die gemeinnützige Unternehmergesellschaft gründete, um leichter Förderanträge stellen zu können, sagt er. Gut möglich, dass auch interne Konflikte eine Rolle spielten – die Bühne für Menschenrechte existiert weiter, allerdings ohne Rufs Inszenierungen.

Diese Inszenierungen, die ein breites Presseecho erfahren und mehrfach ausgezeichnet wurden, sind aber – zusammen mit dem Künstlernetzwerk – das Tafelsilber der Unternehmung. Ihre Besonderheit: Anders als beim Dokumentartheater, das normalerweise im Stadttheater und in der Freien Szene entsteht, wollen Ruf und seine Kooperationspartner ihr Publikum nicht nur bewegen und aufklären, sondern auch zum Handeln verführen. »Beim Verbreiten von wenig gehörten Perspektiven darf es nicht bleiben«, sagt Ruf: »Die Leute sollen aktiv werden!« Deshalb gibt es nach den Vorstellungen immer ein Publikumsgespräch, meist mit Leuten vor Ort, die sich zum Thema des Abends engagieren. Von einigen Organisationen sind regelmäßig Vertreter dabei. Im Fall der Mittelmeer-Monologe etwa SeaWatch, Watch the Med Alarmphone und Women in Exile.

Bewirkt das etwas? Um das herauszufinden, telefoniert Ruf etliche Wochen nach einem Gastspiel mit den Gastgebern, um zu fragen, was sich vor Ort geändert hat. Sind Menschen aktiv geworden? Hat die Aufführung Kreise gezogen?

Nachgespräche gibt es jetzt übrigens auch bei der Corona- bedingten Telefonversion der »Mittelmeer-Monologe«. Gut 40 Minuten nach Selmas Monolog ruft Mohamad Naanaa von der NGO Eed be Eed an. Er erzählt, dass er gerade in Griechenland ist, um vor Ort den geflüchteten Menschen in den Camps zu helfen. Er selbst stammt aus Syrien und konnte mit einem Visum der deutschen Botschaft in der Türkei legal nach Deutschland fliegen. Seitdem setzt er sich für flüchtende Menschen ein, die es weitaus härter getroffen hat. Wie? »Ich will die Menschen über die katastrophalen Umstände hier informieren«, sagt er, »Artikel schreiben, Organisationen vor Ort helfen«. Wer nicht hinreisen könne, solle spenden.

Noch während des Gesprächs will man sofort zum Onlinebanking klicken. Denn nach der düster grundierten Erzählung von der Handy-Seenotrettung strahlt einem Mohamads mitreißende Energie und fröhliche Menschlichkeit aus dem Telefon entgegen. Auf die Frage, wie man helfen könne, verspricht er, eine Liste mit Organisationen zusammenzustellen. Eine Woche später ist die Mail da. So realitätsverändernd ist Theater selten.

Wenn der Doktor schreibt

Der Schriftsteller Sergio Ramírez ist eine der wichtigsten literarischen und politischen Stimmen Mittelamerikas. Er übt scharfe Kritik am nicaraguanischen Präsidenten Daniel Ortega und dessen Umgang mit der Covid-19-Pandemie. Von Knut Henkel

Verboten, zu Hause zu bleiben«, lautet der Titel einer der jüngsten Kolumnen von Sergio Ramírez. In Nicaragua ticken die Uhren in Zeiten der Corona-Pandemie anders als in den Nachbarländern. Statt Ausgangssperre, Quarantäne und Sicherheitsabstand standen in Nicaragua auch nach dem 11. März noch politische Versammlungen, Boxkämpfe und Fußballspiele auf dem Programm – ohne jede Vorsichtsmaßnahme. Die Grenzen des Landes seien gepanzert durch göttlichen Schutz, und Covid-19 sei eine Krankheit der übergewichtigen Reichen, zitiert der Schriftsteller Regierungspropaganda in seinem Kommentar für das Online-Magazin El Faro aus El Salvador.

Angesichts voller Krankenhäuser ist die offizielle Propaganda mittlerweile weitgehend verstummt, doch der 77-jährige Schriftsteller nicht. Er scheut sich nicht, diejenigen zu benennen, die für die Desinformation und Politik verantwortlich sind, die viele Leben kostet: Präsident Daniel Ortega und seine Ehefrau und Vizepräsidentin Rosario Murillo. Wie sie sich hartnäckig an die Macht klammern, weckt bei dem preisgekrönten Schriftsteller und vielzitierten Analysten traumatische Erinnerungen.

Einst Sandinist

Im Juli 1959, als Ramírez gerade sein Jurastudium begonnen hatte, eröffneten Soldaten der Armee von Diktator Anastasio Somoza das Feuer auf protestierende Studenten der Universität León. Vier Tote und mehr als 60 Verletzte lautete die Bilanz. »Dieses Erlebnis hat mein Leben geprägt. Heute denke ich oft daran zurück, denn die Studenten, die heute den Widerstand gegen Daniel Ortega anführen, werden ebenfalls brutal unterdrückt – allerdings unter sandinistischer Flagge«, sagt Ramírez. Unter dieser hatte der Schriftsteller einst auch gekämpft, nicht mit der Waffe in der Hand, sondern mit Worten, Texten, Analysen. Er wurde damit zu einer prägenden Figur der »Zwölf« – einer Gruppe von Intellektuellen, die die Sandinistische Befreiungs - bewegung in den 1970er Jahren unterstützte. Die Gruppe wirkte über lange Zeit aus dem Exil in Costa Rica. Ramírez leitete dort einen Verlag, war literarisch und publizistisch aktiv und verlieh dem Widerstand gegen Somoza eine Stimme. Das brachte ihm in der Sandinistischen Nationalen Befreiungsfront (FSLN) den Spitznamen »El Doctor« ein.

Heute heißt der Mann, der das mittelamerikanische Land unterdrückt, nicht mehr Somoza, sondern Ortega. Die rotschwarze Flagge der Sandinistischen Befreiungsbewegung steht nunmehr für Repression und Unterdrückung, die blau-weiße Nationalflagge für Freiheit und die Rückkehr zur Demokratie. Eine bittere Randnotiz der jüngeren Geschichte, die Ramírez fast beiläufig erwähnt, denn für Sentimentalitäten ist kein Platz: »Damals musste man etwas gegen die Diktatur unternehmen, und das ist heute nicht anders. Ich unterstütze die Proteste für ein demokratisches Nicaragua, wo ich kann«, sagt er.

Heute Unterstützer der Protestbewegung

Vom Rednerpult, in Interviews oder vom Schreibtisch aus kritisiert er das nicaraguanische Präsidentenpaar, das sich in Managua – von rund 400 Leibwächtern geschützt – eingeigelt hat. »Das ist meine Rolle. Den Protest auf der Straße überlasse ich den Jüngeren«, sagt »El Doctor«. Nicht nur wegen der schmerzenden Hüfte, sondern vor allem weil er der jüngeren Generation nicht im Weg stehen will. Er gibt Interviews zur Situation des Landes in der Pandemie, schreibt kritische Essays, aber auch Romane. Für sein Gesamtwerk verlieh ihm die spanische Universität Alcalá 2018 den Cervantes-Preis, der als wichtigste literarische Auszeichnung der spanischsprachigen Welt gilt.

Ramírez widmete den Preis den getöteten jugendlichen Demonstranten in Nicaragua und warb offen um Unterstützung für die Proteste: »Daniel Ortega und Rosario Murillo repräsentieren die Macht in Nicaragua, sie versuchen eine Dynastie aufzubauen, haben die demokratischen Spielregeln ausgehebelt«, kritisierte er. Doch er ist zuversichtlich, dass es einen Wechsel geben wird. »Die Menschen sind aufgewacht, lassen sich nicht mundtot machen«, meint Ramírez, der wie ein Seismograf die Erosionsprozesse innerhalb des Ortega-Lagers aufzeichnet.

Die ökonomische Krise, unter der die Bevölkerung leidet, untergräbt zunehmend die finanzielle Basis des Regimes und befördert diese Erosion ebenso wie die katholische Kirche, die

»Ortega und Murillo repräsentieren die Macht in Nicaragua, sie versuchen, eine Dynastie aufzubauen.«

Sergio Ramírez

Analyse und Kritik. Sergio Ramírez verlieh dem Widerstand gegen Somoza eine Stimme. Das brachte ihm den Spitznamen »El Doctor« ein.

aktiv auf der Seite der Zivilgesellschaft steht. »Es war ein elementarer Fehler Daniel Ortegas, sich die katholische Kirche zum Feind zu machen – wer kann schon von sich behaupten, in den vergangenen 2000 Jahren gegen die Kirche gewonnen zu haben?«, fragt Ramírez voller Ironie.

Gesellschaftskritischer Krimi-Autor

Ironie und schwarzer Humor prägen auch sein literarisches Werk, in dem sich ungewöhnliche Figuren tummeln, wie der beinamputierte Privatdetektiv Dolores Morales. Der Protagonist seiner Krimi-Trilogie ist unverkennbar ein Alter Ego von Ramírez. Im vergangenen Herbst erschien der zweite Band »Um mich weint niemand mehr«. Darin stößt Dolores Morales auf einen Missbrauchsfall in einer Familie des Establishments. Das Familienoberhaupt hat sich an seiner Stieftochter vergangen, die daraufhin in den Untergrund Managuas floh. Im Wettlauf mit dem Geheimdienst der »himmlischen Mächte« – einem Synonym für das Paar im Präsidentenpalast – versucht der humpelnde Detektiv, das Missbrauchsopfer aus dem Sumpf von Korruption und Klientelismus zu befreien.

Sexuelle Gewalt in der Familie ist in ganz Mittelamerika weit verbreitet, nicht nur in Nicaragua. Doch dort gibt es einen besonders prominenten Fall: Daniel Ortegas Stieftochter Zoilamérica Ortega Murillo reichte 1998 Klage beim Interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte gegen den damaligen Oppositionspolitiker und heutigen Präsidenten ein. Die 50 Seiten umfassende Anklageschrift legt dar, wie Zoilamérica Ortega Murillo seit ihrem 11. Lebensjahr von ihrem Stiefvater sexuell missbraucht wurde. Doch zu einem Urteil kam es nie, denn die junge Frau zog 2008 ihre Klage aus Angst vor dem wachsenden Einfluss Ortegas zurück und ging später ins Exil nach Costa Rica.

Für den überzeugten Menschenrechtsaktivisten Ramírez ist der Fall einer unter vielen, die ihn motivierten, das Thema literarisch zu verarbeiten. Dabei liefert er einen detaillierten Einblick in die Machtstrukturen Nicaraguas, die er wie kaum ein anderer kennt, benennt und kritisiert. »El Doctor« ist sich treu geblieben. Das gilt nur für wenige aus dem Führungszirkel der sandinistischen Revolution von 1979.

Sergio Ramírez: Um mich weint niemand mehr. Aus dem Spanischen von Lutz Kliche. Edition 8, Zürich 2019. 344 Seiten, 23,20 Euro

hatte. Als 19-Jähriger war er im heutigen Benin gefangen genommen, in einem Verlies (Barracoon) an der Küste eingesperrt und 1860 mit einem Sklavenschiff nach Alabama gebracht worden. Die transatlantische Überfahrt war illegal, denn Menschenhandel war damals bereits verboten, Sklaverei allerdings nicht. In den USA angekommen, musste Oluale Kossola – so sein afrikanischer Name – für den Schiffseigner schuften, bis die Sklaverei 1865 abgeschafft wurde.

Hurston besuchte Kossola, als er 86 Jahre alt war. Sie gewann sein Vertrauen, hörte ihm zu und fand eine geniale Form, um seine bewegende Lebensgeschichte für die Nachwelt zu dokumentieren: Sie schildert die Gesprächssituation und hält seine Erinnerungen in seinen eigenen Worten und in seinem Südstaatendialekt fest. »Barracoon. Die Geschichte des letzten amerikanischen Sklaven« setzt nicht nur einem wichtigen Zeitzeugen ein Denkmal, das Buch beweist auch, dass es sich lohnt, Hurston als Wissenschaftlerin und Schriftstellerin wiederzuentdecken. 1891 im tiefen Süden der USA geboren, war sie die erste Afroamerikanerin,

Schwarze Kultur zählt

Der letzte Sklave. Cudjo Lewis wurde 1860 aus Westafrika in die USA verschleppt. die am New Yorker Barnard College aufgenommen wurde. Und sie war die erste Wissenschaftlerin, die sich systematisch mit afroamerikanischer Kultur beschäftigte. Unermüdlich reiste die Ethnologin in den 1930er Jahren durch die Südstaaten, um Geschichten und Lieder zu sammeln, bevor sie sich ganz der Schriftstellerei zuwandte. Sie entwickelte eine Meisterschaft darin, den Rhythmus und Humor, die Poesie und Weisheit dieser Überlieferungen literarisch zu verarbeiten. Aus heutiger Perspektive könnte man sagen, Hurston stand als eine der ersten für die Maxime: »Black Culture Matters«.

Die Autorin veröffentlichte in den 1930er und 1940er Jahren vier Romane, eine Autobiografie, zwei Bände über schwarze Folklore und zahlreiche Kurzgeschichten und Essays. Mit ihrem ungebrochenen schwarzen Stolz war Zora

Es dauerte fast ein Jahrhundert, bis ein zentrales Werk der afroamerikanischen Schriftstellerin Zora Neale Hurston veröffentlicht wurde. »Barracoon« erzählt die Geschichte des letzten amerikanischen Sklaven. Von Wera Reusch

Zora Neale Hurston war eine junge Ethnologin, als sie 1927 in Alabama einen ganz besonderen alten Mann ausfindig machte: Cudjo Lewis galt als der letzte bekannte Sklave, den man aus Westafrika in die USA verschleppt Neale Hurston ihrer Zeit jedoch zu weit voraus. Ab Ende der 1940er Jahre lag sozialer Realismus im Trend. Und Hurston geriet auf dramatische Weise ins Abseits. Die letzten Jahre bis zu ihrem Tod schlug sie sich als Dienstmädchen und Aushilfe durch. 1960 starb sie verarmt in einem Wohlfahrtsheim in Florida.

Inzwischen gilt Hurston als eine der großen afroamerikanischen Autorinnen des 20. Jahrhunderts – als Vorläuferin von Toni Morrison, Alice Walker oder Yaa Gyasi. Und man mag kaum glauben, dass sie für »Barracoon« nach der Fertigstellung 1931 keinen Verlag fand. Das Buch erschien erstmals 2018 in den USA – also fast ein Jahrhundert, nachdem Hurston Kossola interviewt hatte. Die deutsche Übersetzung hat leider keine überzeugende Lösung gefunden, um den Dialekt wiederzugeben, dennoch sei das sorgfältig editierte Buch allen ans Herz gelegt, die sich für US-Geschichte und -Literatur interessieren: Es ist zweifellos ein Meilenstein.

Zora Neale Hurston: Barracoon. Die Geschichte des letzten amerikanischen Sklaven. Aus dem Amerikanischen von Hans-Ulrich Möhring, Penguin Verlag, München 2020, 224 Seiten, 20 Euro

Vom Bildschirm zur Tat Anlass für dieses Buch war der Anschlag auf die Synagoge in Halle im Oktober 2019, als ein Rechtsextremist zwei Menschen tötete und zwei weitere schwer verletzte. Der Täter zählt zu einem neuen Typ von Rechtsterroristen weltweit, die nicht nur eine rassistische, antisemitische und antifeministische Ideologie verbindet, sondern auch die gezielte Nutzung des Internets: Dort werden die Terrorakte vorbereitet und verbreitet, dort bestätigen die Täter sich gegenseitig in ihrem Hass und stacheln sich zu Attentaten an.

Die neun Autorinnen und Autoren von »Rechte Egoshooter« – die sich alle intensiv mit Rechtsextremismus beschäftigt haben – zeichnen den Weg nach von der virtuellen Hetze zum Livestream-Attentat. Sie schildern unter anderem die Inhalte rechter Internetforen und Imageboards, beleuchten das Verhältnis von Gaming zu Terror und analysieren den Frauenhass der sogenannten Incel-Szene. Zu den untersuchten Beispielen zählen neben dem Anschlag in Halle weitere Terrorakte in Deutschland und anderen Ländern. Die von den Autorinnen und Autoren vermittelten Einblicke in die Szene sind erschreckend. Mindestens genauso beunruhigend ist, dass Andrea Röpke »politische Ignoranz« gegenüber dem Rechtsterrorismus und Simone Rafael eine »Hilflosigkeit der Gegenstrategien« konstatieren.

Jean-Philipp Baeck & Andreas Speit (Hg): Rechte Ego - shooter. Von der virtuellen Hetze zum Livestream-Attentat, Ch. Links Verlag, Berlin 2020, 208 Seiten, 18 Euro

Erschütternde Protokolle Wie beschreibt man einen Krieg, der offenbar keinen interessiert? Wie macht man auf Kriegsverbrechen aufmerksam, für die niemand zur Rechenschaft gezogen wird? Die jemenitische Journalistin und Schriftstellerin Bushra al-Maktari stellte sich diesen Fragen und beschloss, der geschundenen Zivilbevölkerung Gehör zu verschaffen. Sie reiste unter Lebensgefahr durch ihr Land und befragte Überlebende, deren Kinder, Eltern oder andere Angehörige getötet wurden. Von den 400 Protokollen, die sie erstellte, veröffentlichte sie 43 in einem Buch. Dabei wechseln sich die Opfer der einen und der anderen Seite ab, denn al-Maktari möchte nicht politisch instrumentalisiert werden. »Jedes Haus in dieser Stadt birgt eine Geschichte, die ruhen will, die nicht aufgerührt werden will«, sagt ihr eine Mutter, deren Kinder im Alter von acht, sechs und zwei Jahren von einer Granate zerfetzt wurden, als sie vor dem Haus spielten. Es ist nur eine von zahlreichen erschütternden Geschichten, die al-Maktari aufgezeichnet hat. Vielen Menschen fällt es spürbar schwer, die Ereignisse zu schildern, manche sind ganz offensichtlich traumatisiert. Die Protokolle stellen eine Nähe zu den Gräueln her, die kaum auszuhalten ist. Sie zeugen vom Irrsinn dieses Krieges und reichen in ihrer Bedeutung weit über den Jemen hinaus.

Bushra al-Maktari: Was hast Du hinter Dir gelassen? Stimmen aus dem vergessenen Krieg im Jemen. Hrsg. v. Constantin Schreiber. Aus dem Arabischen von Sandra Hetzl. Econ Verlag, Berlin 2020. 320 Seiten, 24,99 Euro Das Erbe der Angst Deutschlands historische Beziehungen zu Togo sind unrühmlich und weitgehend unterbelichtet. Das westafrikanische Land war nicht nur eine deutsche »Musterkolonie«, sondern wurde von 1967 bis 2005 von Diktator Gnassingbé Eyadéma beherrscht, einem Duzfreund von Franz-Josef Strauß. Ein neuer Roman des in Kanada lebenden togoischen Autors Edem Avumey gewährt verstörende Einblicke in diese jahrzehntelange Gewaltherrschaft. »Nächtliche Erklärungen« erzählt die Geschichte des theaterbegeisterten Studenten Ito Baraka, der sich zu Beginn der 1990er Jahre an Protesten beteiligt und in einem Straflager landet, in dem Folter alltäglich ist. Er freundet sich dort mit einem alten Lehrer an, der gezwungen wurde, so lange in die Sonne zu starren, bis er erblindete. Beide stützen sich gegenseitig, verbunden durch ihre Leidenschaft für Literatur. Während sein Freund im Lager stirbt, gelingt es Ito Baraka, zu entkommen und nach Kanada auszuwandern. Doch die traumatischen Erfahrungen verfolgen ihn – alkoholabhängig und krebskrank bemüht sich der 45-Jährige, ein Buch zu schreiben, um »das Erbe der Angst« zu verarbeiten.

Edem Awumey hat für diese Lebensbeichte eine schonungslose, zuweilen schmutzige Sprache gewählt und einen rhythmischen, fast atemlosen Stil. Keine leichte Lektüre, sondern ein ambitionierter Versuch, Repression, Folter und »die Scham des Überlebenden« in literarischer Form darzustellen.

Edem Awumey: Nächtliche Erklärungen. Aus dem Französischen von Stefan Weidle. Weidle Verlag, Bonn 2020. 208 Seiten, 22 Euro

Kanadische Umerziehung »To kill the Indian in the child« – so lautete der staatliche Auftrag der Residential Schools in Kanada. Erst 1996 schloss das letzte dieser kirchlich geführten Internate, von denen Grit Poppe in ihrem Kinderroman erzählt. Die Geschichte der neunjährigen Alice Littlebird und ihrem älterem Bruder Terry Jumping Elk steht dabei stellvertretend für das Schicksal zahlloser Kinder der indigenen Gesellschaften Kanadas, die in diesen Einrichtungen zu »zivilisierten Menschen« erzogen werden sollten. Auch Alice Littlebird wird ihren Eltern weggenommen und kommt – wie zwei Jahre zuvor ihr Bruder – auf die Black Lake Residential School. Dort nehmen ihr die Nonnen ihre Kleidung ab, schneiden ihr die Haare kurz und zwingen sie, ihre Muttersprache und Identität aufzugeben. Das Mädchen aus der First Nation der Cree ist nun Nummer 47. Die »Rabenfrauen«, wie Alice die Nonnen nennt, sind streng und brutal. Schnell reift in ihr der Plan, gemeinsam mit ihrem Bruder zu fliehen. Geschwistern ist jedoch grundsätzlich jeder Kontakt untersagt. Dennoch gelingt es den beiden Kindern, sich heimlich zu treffen und sogar vom Schulgelände zu entkommen. Doch Terry wird aufgegriffen, und so ist Alice mit einem Mal auf sich allein gestellt. Die Geschichte ihrer Flucht ist ebenso spannend wie ergreifend.

Grit Poppe: Alice Littlebird. Peter Hammer Verlag, Wuppertal 2020. 240 Seiten. 15 Euro. Ab 11 Jahren

Mädchen im Lager »Ich bin im Flüchtlingscamp geboren«, sagt die 13-jährige Sarita, die Heldin des gleichnamigen Films, und setzt hinzu: »Ist das nicht wunderbar? Alle meine Freunde sind hier!« Ihr Camp, das ist eine ganze Stadt, sie heißt Khudunabari und liegt in Nepal. Rund 10.000 Flüchtlinge aus Bhutan leben dort. Ab 1990 waren rund 100.000 Bhutaner, deren Vorfahren im 19. Jahrhundert aus Nepal eingewandert waren, aus dem Land gedrängt worden, weil sie mehr Rechte eingefordert hatten – ein Sechstel der bhutanischen Bevölkerung. Es war zu gewaltsamen Protesten gekommen. Sie landeten im Niemandsland der Lager, denn auch Nepal wollte sie nicht ansiedeln. Regisseur Sergio Basso hat zehn Jahre lang das Schicksal der Flüchtlinge begleitet. Seine sehr gelungene Dokufiction ist bunt, facettenreich und voller verschiedener Geschichten und Stilelemente. Sarita führt die Zuschauer durch das Camp, durch ihr Leben dort. Die Handlung wird von Musicalszenen und Bollywood-Tanzeinlagen unterbrochen. »Wir leben wie im Mittelalter«, singen Sarita und ihre Freunde, »haben kein fließendes Wasser und keinen Strom«. Flüchtling sein bedeutet hier Dauerstatus – und Flucht ist Lebensinhalt. »Selbst Nepalesen wollen weg aus Nepal«, sagt Saritas Großmutter und hofft auf einen Umzug nach Kanada oder in die USA.

»Sarita«. IT/D 2019. Regie: Sergio Basso. Der Film ist auf www.kino-on-demand.com/movies/sarita zu sehen, das Streaming-Entgelt kommt einem Kino der eigenen Wahl zugute.

Ein interessantes Experiment Regisseurin Jana Kaesdorf hat die DDR nur als Kind erlebt. Jetzt will sie wissen, wie sich ein sozialistischer Staat anfühlt und fährt samt Kamerateam nach Kuba. Das Land versucht sich an einer leichten Liberalisierung: Wurde eigenständiges Handeln abseits der Bürokratie bisher unterdrückt, ist dieser Kurs aus wirtschaftlichen Gründen heute nicht mehr durchzuhalten. Außerdem geht Kuba oft rüde mit öffentlicher Kritik und Menschenrechten um: Das einzige Land auf dem amerikanischen Kontinent, das Vertretern von Amnesty International die Einreise verweigert, kann sich auch diesen rigiden Kurs schlicht nicht länger leisten. Mit Reformen, den »Lineamientos«, bemüht sich die Regierung um eine gewisse wirtschaftliche Öffnung. Kaesdorf bekommt richtig gute und kluge Leute vor die Kamera, etwa den Ökonomen Omar Villanueva, aber auch Landwirte, die sich mit ihren Interessen und Eigeninitiativen nun wahrgenommen fühlen. Allen gemeinsam ist, dass sie in Bezug auf Mängel des Systems kein Blatt vor den Mund nehmen, dass sie in ihrem Land aber auch keinesfalls wieder eine ausbeuterische Oberschicht haben wollen, wie es sie vor der Revolution 1959 gab. Kaesdorfs Film bietet einen tollen Einblick in ein Land, das dem Kapitalismus trotzt – direkt vor der Haustür der USA, die Kuba seit 1961 mit einer Wirtschaftsblockade das Leben schwer machen. Ein sehenswerter und schöner Dokumentarfilm.

»Experiment Sozialismus – Rückkehr nach Kuba«. D 2019. Regie: Jana Kaesdorf. Derzeit in den Kinos Psychedelischer Aufbruch Die marokkanisch-französische Band Bab L’Bluz sprengt die Grenzen zwischen afrikanischen, maghrebinischen und westlichen Musikstilen. Ihr Name bedeutet so viel wie »Tor zum Blues«. Dessen afrikanische Ursprünge haben es dem Quartett angetan: die Trance-Musik der Gnawa, der Nachfahren ehemaliger Sklaven, die aus Gebieten südlich der Sahara nach Nordafrika verschleppt wurden, sowie die Poesie mauretanischer Frauen. Diese mischen sie mit psychedelischem Rock und Funk. »Nayda«, der Titel ihres Debütalbums, bedeutet so viel wie Party. Es steht aber auch für einen intellektuellen Aufbruch, der mit dem Wechsel im marokkanischen Königshaus zur Jahrtausendwende verbunden wird, und mit der musikalischen Jugendbewegung jener Zeit. Yousra Mansour, die Frontfrau von Bab L’Bluz, wuchs damals in einer Kleinstadt an Marokkos Atlantikküste auf. Sie brachte sich selbst das Spiel der Gimbri, der dreisaitigen Laute der Gnawa bei. Mit Brice Bottin, einem französischen Produzenten, gründete sie Bab L’Bluz. Gesellschaftskritik findet sich eher zwischen den Zeilen. In »Africa Manayo« prangern sie die Despoten an, die den Reichtum des Kontinents ausbeuten, und klagen über Korruption und Gier. Und in »Ila Mata« heißt es: »Unser Geist ist eingesperrt, unsere Unterschiede sind zu einem Verbrechen geworden.« Gesungen in klassischem Arabisch, von einem repetitiven Tabla-Loop getragen und vom Rauschen der Atlantikwellen umweht, fragen sie: »Wie lange noch wird Ungerechtigkeit herrschen? Wie lange noch wird Gewalt verherrlicht?«

Bab L’Bluz: Nayda! (Real World)

Trost der Zeit Aynur ist zweifellos die derzeit prominenteste kurdische Sängerin aus der Türkei. Seit dem Erscheinen ihres Debütalbums 2002 hat sie international Karriere gemacht. Sie erhielt Preise etwa des renommierten Berklee Mediterranean Music Institute und wurde zum Vorbild für andere Frauen in der Region. In ihrem Heimatland aber hat sie es schwer, Gehör zu finden. Auf ihrem siebten Album »Hedûr« gibt Aynur ihrer beeindruckenden Stimme viel Raum und entfaltet ihre eigene musikalische Vision. Es ist das erste Album, das sie praktisch allein arrangiert und produziert hat, alle Kompositionen stammen von ihr. Mit virtuoser Leichtigkeit verbindet sie das kurdische Erbe mit Jazz und anderen zeitgenössischen Elementen und erfindet damit kurdische Folk-Traditionen neu. Bei den Aufnahmen stand ihr der deutsche Jazzpianist Franz von Chossy zur Seite. Der Titel »Hedûr« bedeutet so viel wie »Trost zu finden im Laufe der Zeit«. Und Trost wird dringend benötigt angesichts der Brutalität der türkischen Politik, insbesondere gegenüber der kurdischen Minderheit. Das Album ist eine Einladung, im Klang der lange verfemten Muttersprache inneren Frieden zu finden. Leider fiel die Veröffentlichung von »Hedûr« mit dem Beginn der Corona-Krise zusammen. Geplante Konzerte mussten abgesagt werden. Das Album harrt deshalb noch der Entdeckung.

Aynur: Hedûr – Solace of Time (Dreyer Gaido)

The Show must go on. In »Yalda« wird die Todesstrafe zum Quotenknüller.

Voting für den Tod

Die Filmsatire »Yalda« reflektiert auf sehr eigensinnige Weise das Thema Todesstrafe im Iran. Von Jürgen Kiontke

Freude des Vergebens« heißt eine äußerst abgründige iranische Fernsehshow in Massoud Bakhshis Filmsatire »Yalda«, denn nach iranischem Recht ist es möglich, dass Angehörige eines Opfers dem Täter oder der Täterin verzeihen, was Auswirkungen auf die Bestrafung hat. Ausgestrahlt wird die Sendung in der Nacht der Wintersonnenwende, die auf Persisch »Yalda« heißt. Das Interesse an Fällen, in denen es um die Todesstrafe geht, ist in der Show besonders groß.

Die zum Tode verurteilte Maryam (Sadaf Asgari) hat bereits zwei Jahre im Gefängnis verbracht, weil sie ihren Liebhaber und Gönner – sagen wir ruhig: Herren – Zia umgebracht hat, in dessen Haus sie als 17-Jährige lebte. Und jetzt ist es soweit: Sie wird in der Fernsehshow Mona (Behnaz Jafari) gegenübertreten, der Tochter ihres ehemaligen »Ehemanns auf Zeit« – eine religionskonforme Umschreibung für Prostitution. Wenn Mona ihr die Tat vergibt, muss Maryam noch drei bis sechs weitere Jahre in Haft – wird jedoch nicht hingerichtet.

Maryam ist zwar angeschlagen vom Gefängnis, allzu große Sorgen macht sie sich zu Beginn des Abends aber nicht. Denn die beiden Frauen waren befreundet. Mona sah sich früher als »große Schwester« des Nachbarmädchens aus armen Verhältnissen. Und die Kommentatoren der Show sind sich sicher, dass die Tat nur ein Unfall und unüberlegtes Handeln war – ein Schubs, und der Kopf schlug an die Tischkante …

Dass Mona Maryam vergeben wird, steht nicht groß zur Debatte. Wer hier auftritt, ist sorgfältig ausgewählt, denn es geht um Einschaltquoten und um Geld – »Freude des Vergebens« ist

als Lotterie konzipiert. Wer auf den richtigen Ausgang des Abends tippt, kann per SMS-Voting eine hohe Summe gewinnen: »Verdient Maryam Komijani Vergebung? Senden Sie 1 für Ja, 2 für Nein.«

Das eigene Leben so der öffentlichen Meinung ausgesetzt zu sehen, ist für Maryam allerdings eine Nummer zu viel: Sie verliert die Beherrschung, schimpft und zetert und teilt dem Millionenpublikum mit, wie schlecht sie in der Familie behandelt wurde. Mona zieht sich daraufhin zurück und deutet an, dass dies hier kein leichtes Spiel werde. Ab jetzt kann es für die Verurteilte auch richtig schief gehen. Als die Pflegeeltern jenes Kindes aufkreuzen, das Maryam mit Zia hatte und das Mona direkt nach der Geburt aus dem Haus schaffte, gewinnt der Fall zusehends an Eigendynamik. Und die TV-Macher – »Maryam, du kannst gern dein Leben ruinieren, aber nicht die Show« – geraten ihrerseits in die Defensive.

Massoud Bakhshis Satire »Yalda« wartet mit rasanten Wendungen auf, ist sehr gut und vor allem sehr abgründig gespielt – und nichts für schwache Nerven. Die extreme Aussichtslosigkeit und die Alternative Gefängnis oder Tod für die junge Frau lässt einen nicht kalt. Der geschickt strukturierte Film zeigt, was es bedeutet, wenn Reichtum auf Armut trifft. »Yalda« schneidet zutiefst existenzielle Fragen an, indem er die Entscheidung über Leben und Tod in das alberne Setting einer Fernsehshow mit all den Verrücktheiten des Medienbetriebs einbettet. »Manchmal«, sinniert der gestresste Moderator, »kommt die Vergebung ja auch erst kurz vor der Exekution«. Ein sehr sehenswerter Film, der einen doppelt mitnimmt: wegen seiner Spannung und wegen seiner Düsternis.

»Yalda«. FR u.a. 2019. Regie: Massoud Bakhshi, Darstellerinnen: Sadaf Asgari, Behnaz Jafari. Derzeit in den Kinos

ITALIEN IUVENTA10

Am 2.August 2017 beschlagnahmten die italienischen Behörden das private Seenotrettungsschiff Iuventa, das der deutschen NGO Jugend Rettet gehört. Anschließend leiteten sie Ermittlungen gegen zehn Crew-Mitglieder aus mehreren europäischen Ländern ein, die als »Iuventa10« bekannt wurden. Pia Sascha, Dariush, Zoe, Laura, Ulrich, Hen

BRIEFE GEGEN DAS VERGESSEN

Tag für Tag werden Menschen gefoltert, wegen ihrer Ansichten, Hautfarbe oder Herkunft inhaftiert, ermordet, verschleppt, oder man lässt sie verschwinden. AMNESTY INTERNATIONAL veröffentlicht regelmäßig an dieser Stelle Einzelschicksale, um an das tägliche Unrecht zu erinnern. Internationale Appelle helfen, solche Menschenrechtsverletzungen anzu prangern und zu beenden.

Sie können mit Ihrem persönlichen Engagement dazu beitragen, dass Folter gestoppt, ein Todesurteil umgewandelt oder ein Mensch aus politischer Haft entlassen wird. Schreiben Sie bitte, im Interesse der Betroffenen, höflich formulierte Briefe an die jeweils angegebenen Behörden des Landes.

ACHTUNG! Aufgrund der Verbreitung des CoronaVirus ist die weltweite Briefzustellung momentan eingeschränkt. Deshalb bitten wir Sie, Ihre Appell - schreiben per E-Mail oder Fax bzw. an die Botschaft des jeweiligen Ziellandes zu schicken.

drik und drei weitere Crewmitglieder werden beschuldigt, »die ille gale Einreise von Geflüchteten und Migrant_in nen ermöglicht zu haben«, weil sie bei drei verschiedenen Rettungseinsätzen im Mittelmeer in den Jahren 2016 und 2017 insgesamt 14.000 Menschen an Bord nahmen. Seit fast drei Jahren liegt die Iuventa nun im Hafen von Tra pani und die Iuventa10 warten auf das Ermittlungsergebnis der dortigen Staatsanwaltschaft. Bei einem Schuldspruch drohen ihnen fünf bis 20 Jahre Haft und 15.000 Euro Geldstrafe je geretteter Person. Eine unabhängige Untersuchung der Rechercheorganisation Forensic Architecture aus dem Jahr 2018 hat die Vorwürfe gegen die Crew der Iuventa eindeutig widerlegt. Die Staatsanwaltschaft in Tra pani sollte das Verfahren daher umgehend einstellen.

Die Iuventa10 sind die diesjährigen Träger_innen des Menschenrechtspreises von Amnesty International Deutschland und stehen im Mittelpunkt unserer Kampagne »Retten verboten« (amnesty.de/retten-verboten). Wir setzen uns zudem mit einer Onlineaktion an Bundeskanzlerin Angela Merkel für die Iuventa10 ein.

Bitte schreiben Sie höflich formulierte

Briefe an die Staatsanwältin in Trapani und fordern Sie sie auf, die Ermittlungen gegen die Iuventa10 einzustellen.

Schreiben Sie in gutem Italienisch, Englisch oder auf Deutsch an:

Dott.ssa Brunella Sardoni Sostituto Procuratore Procura della Repubblica presso il Tribunale di Trapani Via XXX gennaio 91010 Trapani (TP) ITALIEN (Anrede: Dear Prosecutor / Sehr geehrte Frau Staatsanwältin) (Standardbrief Luftpost bis 20 g: 1,10 €)

Senden Sie bitte eine Kopie Ihres Schreibens an:

Botschaft der Italienischen Republik S. E. Herrn Luigi Mattiolo Hiroshimastraße 1, 10785 Berlin Fax: 030-25440116 E-Mail: segreteria.berlino@esteri.it (Standardbrief: 0,80 €)

IRAN ARSALAN KHODKAM

Der iranische Kurde Arsalan Khodkam könnte jederzeit hingerichtet werden. Er wurde 2018 zum Tode verurteilt, nachdem man ihn schuldig gesprochen hatte, für die bewaffnete Oppositionsgruppe Kurdische Demokratische Partei des Iran (KDPI) »spioniert« zu haben. Der 47-Jährige weist den Vorwurf zurück. Die Anklage sei erfolgt, nachdem die iranischen Behörden erfahren hatten, dass er über Instagram mit einem Verwandten seiner Frau in Kontakt stand, der Mitglied der KDPI war. Arsalan Khodkam gibt an, in Haft gefoltert und misshandelt worden zu sein.

Als sein Anwalt im Februar 2020 versuchte, die Gerichtsakten einzusehen, um ein Gnadengesuch einzureichen, teilten ihm die Behörden mit, dass er Arsalan Khodkam nicht vertreten könne und ein Gnadengesuch aus dem Gefängnis bereits abgelehnt worden sei. Im Mai 2020 wurden seine Familienangehörigen gewarnt, er könne jederzeit hingerichtet werden

Bitte schreiben Sie höflich formulierte

Briefe an die Oberste Justizautorität des Iran und bitten Sie ihn, Arsalan Khodkam nicht hinzurichten, seinen Schuldspruch aufzuheben und ihm ein faires Neuverfahren ohne Rückgriff auf die Todesstrafe und unter Folter erzwungene »Geständnisse« zu ermöglichen. Fordern Sie, dass er seinen Rechtsbeistand frei wählen kann und umgehend eine Untersuchung seiner Folter- und Misshandlungsvorwürfe eingeleitet wird, um die Verantwortlichen vor Gericht zu stellen.

Schreiben Sie in gutem Farsi, Englisch oder auf Deutsch an:

Head of Judiciary Ebrahim Raisi c/o Permanent Mission of Iran to the UN Chemin du Petit-Saconnex 28 1209 Geneva, SCHWEIZ (Anrede: Your Excellency / Exzellenz) (Standardbrief Luftpost bis 20 g: 1,10 €)

Senden Sie bitte eine Kopie Ihres Schreibens an:

S. E. Herrn Mahmoud Farazandeh Podbielskiallee 65–67, 14195 Berlin Fax: 030-832229133 E-Mail: info@iranbotschaft.de (Standardbrief: 0,80 €)

Briefentwürfe auf Englisch und Deutsch finden Sie unter www.amnesty.de/briefe. Sollten Sie eine Antwort auf Ihr Appellschreiben erhalten, schicken Sie sie bitte an: info@amnesty.de

AMNESTY INTERNATIONAL

Zinnowitzer Straße 8, 10115 Berlin Tel.: 030-420248-0, Fax: 030-420248-488 E-Mail: info@amnesty.de, www.amnesty.de

GUATEMALA BERNARDO CAAL XOL

Bernardo Caal ist ein Lehrer, Gewerkschafter und Menschenrechtsverteidiger, der seit mehr als zwei Jahren aufgrund konstruierter Anklagen in Haft sitzt. Er setzt sich für die Rechte der indigenen Mayan Q’eqchi im Departmento Alta Ve - rapaz im Norden Guatemalas ein, die von Wasserkraftprojekten am Fluss Cahabón betroffen sind, der ihnen als heilig gilt.

Seit 2015 wehrt sich Bernardo Caal friedlich gegen die Wasserkraftwerke Oxec I und II. Die indigenen Gemeinschaften in Santa María Cahabón haben ihn und weitere Personen damit beauftragt, rechtlich gegen Unregelmäßigkeiten bei den Projekten vorzugehen. So wurde unter anderem das Recht der betroffenen Gemeinschaften auf freie, vorherige und informierte Konsultation verletzt.

Nach Verleumdungskampagnen in mehreren Medien nahmen die Behörden Bernardo Caal am 30.Januar 2018 in Untersuchungshaft. Obwohl es keine Beweise gibt, um die Anschuldigungen gegen ihn zu erhärten, verurteilte ihn das Gericht in Cobán am 9.November 2018 zu sieben Jahren und vier Monaten Gefängnis wegen schweren Diebstahls und rechtswidriger Festsetzung von Personen. Am 30.November 2018 legten seine Rechtsbeistände Rechtsmittel ein, die noch immer anhängig sind. Bereits fünf Anhörungen wurden abgesagt. Amnesty International betrachtet Bernardo Caal als gewaltlosen politischen Gefangenen. Zudem besteht die Gefahr, dass er sich im Gefängnis mit dem Corona-Virus infiziert. Seine Familie darf ihn ebenfalls nicht mehr regelmäßig besuchen.

Bitte schreiben Sie höflich formulierte

Briefe an die Generalstaatsanwältin von Guatemala und fordern Sie sie auf, die Gerichtsakte von Bernardo Caal intern prüfen zu lassen. Da kein belastendes Beweismaterial vorliegt, möge Sie dafür sorgen, dass er umgehend freigelassen wird und alle Anklagen gegen ihn fallengelassen werden. Zudem muss seine strafrechtliche Verfolgung unverzüglich umfassend und unparteiisch untersucht werden, und die Verantwortlichen für die haltlosen Vorwürfe müssen zur Rechenschaft gezogen werden.

Schreiben Sie in gutem Spanisch, Englisch oder auf Deutsch an:

Attorney General Consuelo Porras 15 Avenida A 15-16, Ciudad. de Guatemala, GUATEMALA Twitter: @MPguatemala Facebook: @mpguatemala E-Mail: carrecis@mp.gob.gt Anrede: Dear Attorney General / Sehr geehrte Frau Generalstaatsanwältin) (Standardbrief Luftpost bis 20 g: 1,10 €)

Senden Sie bitte eine Kopie Ihres Schreibens an:

Botschaft der Republik Guatemala Frau Crista Pricila Villatoro Delgado, Geschäftsträgerin Kaiserdamm 20, 14057 Berlin Fax: 030-20643659 E-Mail: sekretariat@botschaft-guatemala.de (Standardbrief: 0,80 €)

Wenn Aktivistinnen und Aktivisten mal passiv werden. Journal-Artikel werden vorgelesen.

AUGEN ZU, OHREN AUF!

Das Amnesty Journal lässt sich nicht nur lesen, man kann es auch anhören: Mit dem Mono-Verlag und dem KOM-IN-Netzwerk teilen sich zwei Anbieter die Vertonung.

Oft genug ist das Amnesty Journal spät dran, wenn es ums Digitale geht: Social Media, Online, mobile Website, App-Entwicklung – es gibt Bereiche, da brauchen wir manchmal einfach länger. Umso schöner, wenn das Journal digital mal etwas macht, lange bevor viele andere darauf kommen. So ist es zum Beispiel bei der Vertonung von Beiträgen aus dem Journal. Denn man kann uns nicht nur lesen, sondern auch anhören. Und zwar schon lange.

Das derzeit omnipräsente Wort Podcast kannte jedenfalls kaum jemand, als sich das Netzwerk KOM-IN bereits in den neunziger Jahren daran machte, Artikel aus dem Journal für Sehbehinderte und Blinde aufzubereiten. »Teilhabe, Inklusion, barrierefreier Zugang zu Informationen, das ist auch heute für Menschen mit Behinderungen noch nicht selbstverständlich«, meint nun, Jahrzehnte später, Jörg Sorge, Vorstand des KOMIN-Netzwerks.

KOM-IN steht für Kommunikation und Information und stellt Beiträge für blinde Menschen barrierefrei zur Verfügung. Besonders wichtig ist dabei der »Themenbereich Christentum und Gesellschaft«, wie es auf der Webseite heißt. Doch auch das Amnesty Journal wird Ausgabe für Ausgabe vertont. Es erscheint als Blindenhörzeitschrift im sogenannten Daisy-Format, einem digitalen Standard für akustische Hörbücher und Hörzeitschriften für blinde Menschen.

Das KOM-IN-Netzwerk verschickt die Ausgaben auf CD als Blindensendung und bietet registrierten Abonnenten die Ver - tonung auch online oder als Download an. Auf www.kom-in.de erscheint darüber hinaus jeweils ein Artikel als frei zugänglicher Podcast. Aber es geht dem Netzwerk nicht nur ums passive Zuhören: »›Die Briefe gegen das Vergessen‹ eröffnen blinden Hörern die Möglichkeit, auch selbst aktiv für Menschenrechte einzutreten«, betont Sorge.

Bis in die 1990er Jahre zurück reicht die Erfahrung des Mono-Verlags (www.monoverlag.at/) in Wien nicht, wenn es darum geht, Journal-Artikel gut klingen zu lassen. Doch kooperieren Amnesty International und der Hörbuchverlag schon seit gut sechs Jahren. »Wir haben 2014 damit angefangen, Podcasts für Amnesty International aufzunehmen. So konnten wir verschiedene Sprecherinnen und Sprecher in der Studio situation kennenlernen und gleichzeitig einen kleinen Beitrag leisten«, sagt Till Firit, der den Verlag im Jahr 2008 gegründet hat.

Im zweimonatlichen Rhythmus nimmt der Verlag für das Amnesty Journal jeweils zwei Podcasts auf. Im gedruckten Heft gibt es bei den entsprechenden Texten einen Vermerk: »Diesen Artikel können Sie sich in unserer Tablet-App vorlesen lassen: www.amnesty.de/app«. Aber warum macht sich ein kleiner Hörbuchverlag diese Arbeit? Firits Antwort ist kurz und klar: »Die Themen aus dem Amnesty Journal berühren uns. Die Aufmerksamkeit darauf zu richten, ist auch ein persönliches Anliegen geworden«. Auch klar, aber nicht ganz so kurz sind die vertonten Journal-Beiträge. Hören Sie mal rein!

Fast ein Drittel der über 50-Jährigen in Deutschland kann sich vorstellen, mit dem Testament einen guten Zweck wie Amnesty International zu unterstützen. Von Sandra Lüderitz-Korte

Das Marktforschungsinstitut GfK hat im vergangenen Jahr fast 1.000 Menschen ab 50 in einer repräsentativen Studie zum Thema Vererben befragt. Auftraggeber war die der Initiative »Mein Erbe tut Gutes. Das Prinzip Apfelbaum«. Amnesty International Deutschland ist zusammen mit mehr als über 20 anderen Organisationen Teil der Initiative. Es war bereits das zweite Mal: 2013 war eine Umfrage mit dem gleichen Fragenkatalog angefertigt worden. 2019 wussten 92 Prozent der Befragten, dass man sein Erbe ganz oder teilweise einer gemeinnützigen Organisation zugutekommen lassen kann. Damit stieg der Bekanntheitsgrad des gemeinnützigen Vererbens in der Bevölkerung deutlich (2013 waren es 81 Prozent). Aber heißt das auch, dass mehr Menschen dazu bereit sind? 2013 konnten sich gut zehn Prozent vorstellen, mit ihrem Erbe Gutes zu tun. Nur sechs Jahre später war schon nahezu jede dritte Person in Deutschland bereit, einen guten Zweck zu bedenken. Noch deutlicher fiel die Bereitschaft bei denjenigen aus, die keine eigenen Nachkommen haben: 2019 konnte sich mehr als die Hälfte dieser Personengruppe das gemeinnützige Vererben auch für sich selbst vorstellen, während es 2013 nur 34 Prozent waren.

Was treibt Menschen zum gemeinnützigen Vererben an? Für viele der 2019 Befragten ist entscheidend, eigene Werte an die nächste Generation weiterzugeben und zu unterstützen (40 Prozent). Für ein Viertel steht der Wunsch im Vordergrund, der Gesellschaft etwas zurückzugeben, da es ihnen selbst recht gut ergangen ist. Andere wollen ihr Vermögen nachhaltig anlegen oder vermeiden, dass es an den Staat fällt, weil es keine Verwandten mehr gibt.

Fast die Hälfte der Menschen, die sich vorstellen können, einen guten Zweck im Testament zu bedenken, würde sich für den Umwelt- oder Tierschutz entscheiden. Bemerkenswert ist der Anstieg im Bereich der Bürger- und Menschenrechte: Konnte sich im Jahr 2013 nur ein Prozent der Befragten vorstellen, dieses Thema ins Testament aufzunehmen, waren es 2019 bereits 15 Prozent. Wir freuen uns über dieses gute Ergebnis – aber es zeigt uns auch, dass noch mehr öffentliche Information nötig ist.

Wenn Sie mehr dazu wissen möchten, schauen Sie nach auf www.amnesty.de/testament oder bestellen Sie unseren Ratgeber zur Nachlass - planung unter www.amnesty.de/inzukunft. Ihre Fragen dazu beantwortet Ihnen gerne Sandra Lüderitz-Korte (Tel.: 030-420248354, E-Mail: inzukunft@amnesty.de).

Engagement braucht Unterstützung. Ein Vermächtnis kann helfen.

IMPRESSUM

Amnesty International Deutschland e.V.

Zinnowitzer Str. 8, 10115 Berlin Tel.: 030-420248-0 E-Mail: info@amnesty.de Internet: www.amnesty.de Redaktionsanschrift: Amnesty International, Redak tion Amnesty Journal Zinnowitzer Str. 8, 10115 Berlin E-Mail: journal@amnesty.de Adressänderungen bitte an: info@amnesty.de Redaktion: Maik Söhler (V.i.S.d.P.), Jessica Böhner, Lea De Gregorio, Anton Landgraf, Tobias Oellig, Pascal Schlößer, Uta von Schrenk Mitarbeit an dieser Ausgabe: Birgit Albrecht, Daniel Bax, Markus N. Beeko, Sumit Bhattacharyya, Urvashi Butalia, Hannah El-Hitami, Malte Göbel, Oliver Grajewski, Patricia Hecht, Knut Henkel, Georg Kasch, Jürgen Kiontke, Sabine Küper, Bartholomäus von Laffert, Felix Lill, Sandra Lüderitz-Korte, Katharina Masoud, Gaetano Massa, Arndt Peltner, Wera Reusch, Till Schmidt, Uta von Schrenk, Wolf-Dieter Vogel, Silke VoßKyeck, Elisabeth Wellershaus, Kathrin Zeiske, Marlene Zöhrer

Layout und Bildredaktion:

Heiko von Schrenk/schrenkwerk.de Druck und Verlag: Hofmann Druck, Nürnberg GmbH & Co. KG Spendenkonto: Amnesty International Bank für Sozialwirtschaft IBAN: DE23 3702 0500 0008 0901 00 BIC: BFS WDE 33XXX (Konto: 80 90 100, BLZ: 370 205 00) Das Amnesty Journal ist die Zeitschrift der deutschen Sektion von Amnesty International und erscheint sechs Mal im Jahr. Der Verkaufspreis ist im Mitgliedsbeitrag enthalten. Für unverlangt eingesandte Artikel oder Fotos übernimmt die Redaktion keine Verantwortung. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung von Amnesty International oder der Redaktion wieder. Die Urheberrechte für Artikel und Fotos liegen bei den Autoren, Fotografen oder beim Herausgeber. Der Nachdruck von Artikeln aus dem Amnesty Journal ist nur mit schriftlicher Genehmigung der Redaktion erlaubt. Das gilt auch für die Aufnahme in elektronische Datenbanken, Mailboxen, für die Verbreitung im Internet oder für Vervielfältigungen auf CD-Rom.

ISSN: 2199-4587

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