Russlanddeutsche Identitäten. Zwischen Herkunft und Ankunft.

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Russlanddeutsche Identit채ten. Zwischen Herkunft und Ankunft.



Das Ph채nomen der Remigration.



Was passiert, wenn man das Heimatland verlässt und nach einiger Zeit wieder zurückkehrt? Ist Heimat ein Ort oder ein Gefühl? Ab wann ist man integriert und wann wird man akzeptiert? Was bedeutet es, eine russische Seele mit deutschen Tugenden zu verbinden?

Im Mittelpunkt des Fotoprojektes steht das Phänomen der Emigration von Immigrierten. Gemeint ist damit die ethnische Gruppe der Menschen, die ihre Bezeichnung unter dem Begriff „Russlanddeutsche“ gefunden hat.

In den letzten 20 Jahren wanderten, ermöglicht durch das Aussiedleraufnahmegesetz, ungefähr drei Millionen Menschen aus Russland in die Bundesrepublik Deutschland ein. Das führte dazu, dass diese Russlanddeutschen heute die zweitgrößte „Minderheit“ in Deutschland darstellen. Nun zeichnet sich in den letzten Jahren jedoch eine Tendenz zur Rückwanderung ab. Etwa 30 000 Immigrierte verließen bereits Deutschland und kehrten zurück in ihre alte Heimat.

Dieses Buch ist eine Bild- und Textdokumentation, die die Geschichten der Rückwanderer erzählt. Die Arbeit gibt einen Einblick in die Gründe der Rückwanderung und erzählt von Erfolgen, sowie Misserfolgen der Russlanddeutschen in ihrer neuen und alten Heimat.



WeiĂ&#x;russland - Deutschland




















Voll beladen mit Taschen, Koffern, Tüten und einem kleinen Kind auf dem Arm kamen sie Mitten in der Nacht an dem kleinen Bahnhof in der Stadt Orscha in Weißrussland an. In den nächsten Stunden sollte der Nachtzug sie direkt nach Deutschland bringen. Sie hatten alles dabei, was sie besaßen - Federbett, Kissen, Decken, Geschirr, Pfannen, ein altes Bügeleisen und ein wenig Geld. Ihr ganzes Geld. Noch vor drei Jahren hatten Ekaterina und ihr Mann Oleg einige Zweifel daran gehabt, ob sie wirklich nach Deutschland übersiedeln sollen. Hatten sie doch noch die Hoffnung, dass sich ihr Leben in Weißrussland bessern würde. Es war ja nicht so, dass sie sich nicht Mühe gaben und an ihrer Zukunft arbeiteten. Beide waren berufstätig, Akademiker. Sie war Klavierlehrerin in einer Musikschule und er arbeitete an der Universität als Lektor. Zudem war er gerade mit seiner Doktorarbeit fertig. Das Geld reichte aber trotzdem nicht. Der Zug Richtung „neue Heimat“ sollte ihr Leben verändern. Doch dazu kam es noch nicht in dieser warmen Frühlingsnacht - die Tickets am Hauptbahnhof von Orscha waren bereits ausverkauft. Der erste Versuch war also gescheitert. Neu war das für sie nicht. Schon Ende der 80er Jahre hatte ihre Familie einen Spätaussiedlerantrag für die Ausreise gestellt. Der Antrag wurde damals abgelehnt. Der zweite Versuch hatte mehr Erfolg und so lebten ihre Eltern zu diesem Zeitpunkt bereits seit drei Jahren in Deutschland.

Eine Woche nach dem ersten Ausreiseversuch brachte dann jedoch der gleiche Zug auch ihre kleine Familie nach Deutschland.


Sie wusste nicht was kommt. Er auch nicht. Er folgte seiner Frau ins Ungewisse, so wie auch ihr kleiner Sohn Ilja, der grade gehen lernte und spürte, dass diese riesengroße Welt vor seinen kleinen Füßen lag und, dass alles gut sein würde, so lange er seine Eltern bei sich hatte.

Sehr wechselhaft und aufreibend waren die ersten Jahre. Anträge und Formulare ausfüllen, Wohnung suchen, Sprachkurse besuchen, nach einem Job schauen - das alles gehörte zu der erfolgreichen Integration in der neuen Heimat. Gleichzeitig wuchs auch der Wirbel um Alltagsprobleme und zu einem bestimmten Moment fühlten sich die Beiden wie in der Luft hängend. Es wurde immer offensichtlicher - Oleg kam hier nicht klar. Seine Doktorarbeit wurde nicht anerkannt, der Diplomabschluss als Projektingineur auch nicht. Leiharbeiter war die höchste Position, die er erreicht hatte. Das Gefühl der Isolation in der fremden Welt verstärkte sich noch mehr, wenn er daran dachte, dass bereits fünf Jahren vergangen waren und er nicht einmal in Weißrussland zu Besuch gewesen war. Es kam die Zeit, dies zu ändern. Im Inneren spürte er schon seit langem die unheimliche Anziehungskraft seiner alten, wahren Heimat.

Heute lebt und arbeitet Oleg wieder in seiner Heimatstadt Gorki in Weißrussland. Als Projektingeneur bei einem Bauunternehmen fühlt er sich gut aufgehoben. Seinen Sohn Ilja besucht er zwei Mal im Jahr. Wenn man Oleg fragt was er am meisten in seiner Heimat Weißrussland schätzt, dann sagt er - Freiheit.


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