Kalter Krieg um Milch 03.04.2013 . Schlagzeilen Börse, Politik und Wirtschaft Milchprodukte erstellt von Anna Tkacheva MOSKAU. Fortsetzung des Themas Milcheinfuhrverbot von 26.03.2013. Russland zählt zu den wichtigsten Handelspartnern Deutschlands, mit einem hohen Exportpotenzial, das sich in einem kontinuierlichen Steigerungsprozess befindet. Doch herrscht in einem der wichtigsten Bereiche, der Agrar- und Lebensmittelindustrie, gegenseitiges Unverständnis, mangelnde Zusammenarbeit und fehlende Kommunikation auf verschiedenen Ebenen. Nach vorläufigen Angaben des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BMELV), exportierte Deutschland im Jahr 2012 Milch- und Milcherzeugnisse im Wert von 8,2 Mrd. Euro. Ein Teil der Waren im Wert von knapp 1,6 Mrd. Euro wurde in Drittländer geliefert, unter denen Russland seit Jahren zum größten und wichtigsten Abnehmern zählt. Die statistischen Daten veranschaulichen, wie sich der Trend der letzten Jahre entwickelte: Während im Jahr 2010 knapp 110.000 Tonnen Milch- und Milcherzeugnisse im Wert von 333 Mio. Euro nach Russland geliefert wurden, waren es im nächsten Jahr knappe 87.000 Tonnen im Wert von 292 Mio. Euro. Laut Berechnungen gab es in 2012 einen leichten Anstieg bis auf 91.000 Tonnen mit dem Gesamtwert von ca. 300 Mio. Euro. Dabei lässt sich sowohl bei Milch eine Verringerung von 13%, als auch bei Butter um rund 60% im Jahr 2012 im Vergleich zum Vorjahr beobachten. Nur bei Käse erhöhte sich der Verkauf in 2012 um 12%. Doch statt die Exportgeschäfte, die gestern schon auf eine stabile Umlaufbahn Niveau gebracht worden waren, weiter zu entwickeln, beschloss das russische Veterinäramt diese komplett herunterzufahren. Nur noch einige wenige Käsereien Deutschlands dürfen Moskau mit ihren Produkten beliefern. Für die meisten gilt ein vorübergehendes Verbot von unbekannter Dauer. Derzeit wird auf beiden Seiten spekuliert, wie lange Russland, das vor kurzem der WTO beitrat, auf diesen harten Maßnahmen beharren wird. Insgesamt befinden sich hunderte deutschen Fleisch- und Milchproduktionsbetriebe auf der „Schwarzen Liste“ Russlands. Im Jahr 2009 waren es nur 9, ein Jahr später wurden weitere 297 aufgenommen, der Rest kam mit der flächendeckenden Sperrung von drei Bundesländern. Auf der Sperrliste finden sich, laut der vom russischen Veterinär- und Pflanzenschutzamt „RosSelKhozNadzor“ veröffentlichen Daten, unter anderem das Alpenhain KäsespezialitätenWerk, Arla Foods Käsereien, Danone, DMK Deutscher Milchkontor, Ehrmann, Hochland Deutschland, Kraft Foods, Molkerei Alois Müller, Molkerei Meggle Wasserburg, Nestlé Schöller, Zott etc. Russland war auf diesem Wege gegenüber deutschen Produzenten sehr hartnäckig. Auf einzelnen skandalösen Vorfällen basierend, fühlte sich das Land dazu gezwungen, die Einfuhr zu stoppen. Für die Milchindustrie nahm dieses Verbot seine rasante Entwicklung noch im Herbst 2012 auf. Aufgrund der mit dem Norovirus verseuchten Erdbeeren, wurde ein Großteil der ostdeutschen Bundesländer für die Einfuhr gesperrt. Diese Erdbeeren stammten aus China, hatten aber nichts mit der Milchproduktion zu tun, trotzdem gerieten alle Käsereien auf die Sperrliste. Im Februar wurden, als Resultat durchgeführter Audits, drei weitere Bundesländer - Bayern, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen - komplett gesperrt, auch, weil die Veterinärbehörden nicht den russischen Ansprüchen und der Struktur genügen. „Der
Fokus der russischen Seite lag auf der Veterinärüberwachung, und nicht auf den deutschen Unternehmen. Natürlich müssen die Unternehmen gut aufgestellt sein und die russischen Anforderungen erfüllt werden. Allerdings lag der Fokus des letzten Audits nicht darauf“, erklärte Dr. Börgermann, Verantwortlicher für die Öffentlichkeitsarbeit im MilchindustrieVerband e.V. und Geschäftsführer der Export-Union für Milchprodukte e.V. Auch Herr Gehrke, Produktionsleiter der frischli Milchwerke GmbH ist ratlos: „Wir haben alle Anforderungen erfüllt. Die von der russischen Behörde hier durchgeführte Kontrolle haben wir ohne eine einzige Abweichung bestanden. Unser Veterinäramt erfüllt ebenso alle formulierten Anforderungen der Zollunion im Detail, so dass ich überhaupt keinen Grund sehe, warum wir gesperrt sind. Wir sind Hersteller von H-Produkten, Produkte, die ohne Kühlung auskommen, welche sich perfekt für den Export eignen. Der Aufwand, den wir als Betrieb geleistet haben, um alle geäußerten Forderungen einzuhalten, war sehr groß und die darauffolgende Sperrung ist für mich unakzeptabel.“ Ob auch die anderen Produzenten diese Meinung teilen, ist eher unklar, da die meisten auf jegliche Kommentare verzichten. Trotzdem ist schon jetzt klar, dass solche Entwicklungen ebenso die Arbeit von deutschen Behörden vorantreiben werden. Auch auf dem einheimischen Markt wird den notwendigen Änderungen im System der Qualität- und Sicherheitskontrolle von Lebens- und Futtermittelproduktion zunehmende Bedeutung zugesprochen. „Das Beispiel zeigt, dass die veränderten Rahmenbedingungen und die zunehmende Komplexität der Themen nach sofortigem politischen Handeln und besserer Ausstattung der deutschen Behörden verlangen… Der internationale Milchmarkt und globale Herausforderungen werden nicht auf den Anpassungsprozess in Deutschland warten“, so ernsthaft wird die Problematik vom Milchindustrie-Verband in seinem Milch-Politikreport erläutert. Was wird jetzt die einheimische Industrie mit allen für den russischen Markt geplanten Produkten machen? Mit welchen direkten Verlusten müssen die deutschen Molkereien im Endeffekt rechnen? Das sind Fragen, die sich erst in den nächsten Wochen oder Monaten beantworten lassen, wenn überhaupt. Doch in der heutigen Welt darf sich kein Exporteur auf ein einziges Land verlassen. "Wir versuchen Alternativen zu generieren", teilte uns Herr Gehrke mit. "Dramatisch ist es, wenn man die Waren produziert hat, wie zum Beispiel Käse, die später nicht abgerufen werden. Wir hatten schon sehr früh Informationen, dass es zu einem Lieferstopp kommen kann und reduzierten dementsprechend die Produktion.“ Der Markt in Russland sei insgesamt noch da; sowohl Importeure als auch Verbraucher wollen deutschen Käse und andere Produkte haben, meint Dr. Börgermann. "Es wird auch interessant werden, ob diese Mengen nun dennoch geliefert werden und wer sie liefert. Und letztendlich welche Märkte mit den Produkten, die wir früher nach Russland gefahren haben, nun versorgt werden." Hoffentlich werden alle Hindernisse im Außenhandel bald möglichst überwunden, und das zugunsten der deutschen Hersteller, sowie der russischen und einheimischen Verbraucher, die immerhin mehr Transparenz von der Rückverfolgbarkeit bzw. Herkunft der Produkte erwarten.