Magazin mit Themen aus dem Leben
Ausgabe Nr. 1 | Sommer 2012
Schwermut
Editorial Tiefgang ist eine nicht kommerzielle Medienplattform und möchte Jugendlichen und jungen Erwachsenen tiefgehende Themen und nutzbare Inhalte über Fragen der Persönlichkeitsentwicklung geben. Persönliche Erfahrungsberichte bieten Hilfestellung und Antworten auf Fragen. In Deutschland leiden etwa 4 Millionen Menschen an Depressionen und es werden immer mehr. Auch unter Studenten steigt die Anzahl. Es ist nicht die Niedergeschlagenheit oder Antriebslosigkeit, die jeder kennt. Es gibt einen Bruch im Leben, wenn Betroffene die Normalität hinter sich lassen. Doch man spricht nicht darüber — ein großes Schweigen, ein Tabu, welches diese Krankheit umhüllt. Dabei ist gerade in diesem Bereich Hilfestellung äußerst notwendig. Wie fühlt es sich an, wenn der Zustand äußester Schwäche und Hoffnungslosigkeit einen immer wieder fangen und nicht loslassen? Die erste Ausgabe von Tiefgang will den Betroffenen und den Angehörigen, aber auch allen anderen Interessierten ein tieferes Verständnis der Erkrankung vermitteln. Junge Erwachsene berichten aus ihrem eigenen Erfahrungen mit Depressionen und geben einen tiefen Einblick in ihr Inneres.
Anna Beddig
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Story
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Story
Interview
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Info
Text von Carolin Berthot
Psychische Probleme sind unter Studenten weit verbreitet — Leistungsdruck, finanzielle Sorgen und Zeitnot sind nur einige der Grßnde, die auch die Leipziger Studenten an ihre psychischen Grenzen bringen. Tendenz: steigend.
E
igentlich lief das Studium von
gänge und Abschlussarten sind vertreten.
Johannes M. immer glatt. Der
Ebenso unterschiedlich wie die Betroffenen
27-Jährige brachte gute Leis-
sind auch die Ursachen der Probleme. Das
tungen und schien auf dem bes-
Studentsein an sich zeigt sich allerdings als
ten Weg einen ausgezeichneten
Grundlage vieler Konflikte. »Da kommt viel
Abschluss zu machen. Doch genau da began-
an Anforderungen zusammen für die Stu-
nen seine Probleme: Je näher der Abschluss
denten«, weiß Beate Wolff, Konfliktbera-
kam umso mehr geriet Johannes ins Grübeln.
terin des Studentenwerks. Der Leistungs-
Wohin es beruflich gehen sollte, das war ihm
druck, das Studium möglichst gut und schnell
nie wirklich klar gewesen, doch nun rückte
zu absolvieren, mündet oft in einem hohen
die Entscheidung in greifbare Nähe. »Ich
Arbeitspensum. So bleibt wenig Zeit für so-
bekam einfach Panik, was nach dem Studi-
ziale Kontakte oder um einen Ausgleich zur
um wird«, sagt Johannes. Er versuchte vor
Arbeit zu schaffen. Hinzu kommen finan-
der Entscheidung zu fliehen: schob den Ab-
zielle Sorgen, schließlich tragen viele Stu-
schluss Semester für Semester vor sich her,
denten selbst die Verantwortung für ihre
verzettelte sich in Projekten, half anderen bei ihrem Studium — er selbst aber trat auf der Stelle. »Meine Gedanken kreisten um die Zukunft, ich hatte Schlaf-
Der Leistungsdruck, das Studium möglichst gut und schnell zu absolvieren, mündet oft in einem hohen Arbeitspensum.
Lebenshaltung und arbeiten nebenher. Der Lebensabschnitt Studium bringt zudem im persönlichen Umfeld oft tief greifende Veränderungen mit sich:
stehen und den ganzen Tag war ich nieder-
brechen ab, teilweise müssen völlig neue so-
geschlagen und bekam Weinkrämpfe.« Die
ziale Netze geschaffen werden. All das sind
Angst vor der Zukunft belastete Johannes so
potentielle Konflikte. »Das Studium ist eine
stark, dass er auch körperliche Beschwerden
Schwellensituation im Leben, die hohe An-
wie Kopfschmerzen und Atemnot hatte.
forderungen an die Persönlichkeitsstruktur
Ängste sind nur ein Teil der psychischen
des Einzelnen stellt«, so Dr. Antje Gumz,
Probleme, unter denen Studenten leiden.
Psychotherapeutin in der Beratungsstelle für
Depressionen, Arbeitsstörungen wie Lern-
Studenten in der Leipziger Uniklinik. Mit
und Schreibblockaden, psychosomatische
den Konflikten, die aus dieser Situation ent-
Symptome und Essstörungen sind häufige
stehen, geht jeder anders um. Ob die Kon-
Probleme, mit denen sich Studenten an die
flikte bewältigt werden können, hängt dabei
Beratungsstellen des Studentenwerks Leipzig
meist vom sozialen Hintergrund des Einzel-
wenden. Den typischen Betroffenen gibt es
nen ab, denn das studentische und persön-
dabei nicht — männlich, weiblich, Studenten
liche Umfeld beeinflussen sich gegenseitig.
jeden Alters und Semesters, aller Studien-
Und so ist auch das Studium selten der
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das gewohnte Umfeld fällt weg, Kontakte
Info
störungen, morgens fiel es mir schwer aufzu-
einzige Faktor, der zu psychischen Problemen führt. »Viele Probleme, die die Studenten haben, bringen sie schon ins Studium mit«, sagt Beate Wolff, »die Stresssituationen beim Studieren fördern diese dann aber erst zutage.« Studienprobleme gewissermaßen als Spitze des Eisbergs — diese Erfahrung hat auch Psychologe Kay-Uwe Solisch gemacht, der seit 1995 Leipziger Studenten berät. So könnten sich beispielsweise hinter einer erkennbaren Prüfungsangst ganz andere Konflikte wie Probleme im familiären Umfeld oder in der Partnerschaft verbergen. »Meist gibt es nicht nur eine Stellschraube«, sagt Solisch. Auch bei Johannes gab es mehrere »Baustellen«. Zuhause fühlte er sich für die Harmonie in der Familie verantwortlich. Oft wurde er in Konflikte zwischen den Eltern einbezogen, fühlte sich zwischen den Stühlen — eine belastende Situation. Und auch in Sachen Partnerschaft
hatte
Johannes Schwierig-
»Das Studium ist eine Schwellensituation im Leben, die hohe Anforderungen an die Persönlichkeitsstruktur des Einzelnen stellt«
keiten, er konnte sich nur sehr schwer auf dauerhafte Bindungen einlassen. Dieser mangelnde Rückhalt im sozialen Umfeld nährte und verschärfte seinen Konflikt. Johannes ist bei Weitem kein Einzelfall. Glaubt man Dr. Rainer Holm-Hadulla leidet jeder vierte deutsche Student unter psychischen Beeinträchtigungen. Der Professor für Psycho-
Info
therapeutische Medizin an der Universität Heidelberg beschäftigt sich seit Jahren mit der Problematik. Die häufigsten Probleme
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der Studenten sind seiner Einschätzung nach mangelndes Selbstwertgefühl, Ängste,
Info
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depressive Verstimmungen und Arbeitsstörungen. Holm-Hadulla schätzt, dass deutschlandweit rund 500 000 Hochschüler betroffen sind. Eine alarmierende Zahl, die jedoch im Trend liegt wie Kay-Uwe Solisch weiß: »Die Studenten sind als Ausschnitt der Gesellschaft zu sehen, mit all ihren Problemen. Und ebenso wie psychische Erkrankungen in der gesamten Gesellschaft zunehmen, gibt es auch immer mehr Studierende mit psychischen Problemen.« Da bilden die Leipziger Studenten keine Ausnahme. Seit dem Beginn seiner Beratungstätigkeit 1995 registriert Psychologe Solisch eine kontinuierliche Zunahme der Anfragen. Beriet er 1998 rund 92 Studenten im Jahr sind es heute etwa 240 Beratungen: »Die Tendenz ist definitiv steigend.« Das sei zuletzt auch auf die problembehaftete Umstellung auf die Bachelor- und Masterstudiengänge zurückzuführen, die mehr Konkurrenz, weniger Zeit und deutlich mehr Arbeitsaufwand für die Studenten bedeute. Dies sei jedoch nur ein Grund unter vielen. Allgemein habe der Druck auf alle Studenten über die Jahre zugenommen. Diesen Eindruck bestätigt auch eine repräsentative Umfrage der Universität Konstanz aus dem Jahr 2007. Im Auftrag des Bundesbildungsministeriums wurden 8350 Studenten an 16 Universitäten und neun Fachhochschulen zu ihren größten Problemen befragt. Demnach fühlt sich knapp ein Viertel der
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Info
Studenten durch die hohen Leistungsanforderungen »stark belastet«. Fast jeder dritte angehende Akademiker leidet unter massiven Prüfungsängsten. Weit verbreitet sind laut der Umfrage auch finanzielle Sorgen: Fast
ein Drittel der Uni-Studenten und sogar 37
dass dieses an seine Grenzen stößt, müsse
Prozent der Fachhochschüler fürchten ernst-
neu verhandelt werden. Rund neun Euro zahlt
haft um ihr Auskommen. Und jeder fünfte
jeder Student pro Semester Beitrag für soziale
Student hat Angst, nach dem Studium keine
Dienste. Damit werden aber nicht nur Bera-
angemessene Arbeit zu finden. So geraten
tungen finanziert. »Das heißt, wenn wir mehr
immer mehr Studenten in Situationen, aus
Geld in die Beratungen stecken wollen, müs-
denen sie alleine keinen Ausweg finden. Dass
sen wir entweder woanders was streichen oder
der Bedarf an Hilfe unter den Leipziger Stu-
die Beiträge erhöhen«, sagt Hölzel und weist
denten eigentlich viel höher ist, als er sich
daraufhin, dass die Mehrzahl der Studen-
im Moment anhand der Zahl der Beratun-
ten wohl mit beidem gewisse Probleme hätte.
gen zeigt, darin stimmen alle Zuständigen überein. Zurückzuführen sei das auf den noch immer recht geringen Bekanntheitsgrad der Beratungsstellen. Also mehr Werbung für
»Und ebenso wie psychische Erkrankungen in der gesamten Gesellschaft zunehmen, gibt es auch immer mehr Studierende mit psychischen Problemen.«
Zumal psychische Probleme trotz der steten Zunahme immer noch nur einen kleinen Teil der Gesamtstudenten schaft betreffen. Das momentane Beratungsangebot hält Angela
bessere Versorgung? Nur bedingt, denn mehr
Hölzel indes für ausreichend, es biete genau
Aufmerksamkeit würde letztlich zu einer
das, was ein Studentenwerk leisten könne:
Überlastung der Stellen führen. Schon heute
eine erste, unkomplizierte Hilfe für Studen-
herrscht Einigkeit darüber, dass der theo-
ten in Konfliktsituationen.
retische Bedarf an Beratungen praktisch
Johannes ist einer von ihnen. Wie viele andere
nicht abgedeckt werden kann. Auch wenn
brauchte auch er lange, ehe er sich überhaupt
Beate Wolff betont: »Wir schicken nieman-
Hilfe suchte. Von einer Kommilitonin erfuhr
den weg«, so gibt es doch Grenzen. In der
er von der Beratungsstelle in der Uniklinik
Beratungsstelle in der Uniklinik liegt die
und besorgte sich einen Termin, zu dem er nicht, ob ich da wirklich richtig war«, so der
zusehen, dass die Grenze in diesem Jahr er-
27-Jährige, »denn eigentlich hatte ich nicht
reicht werden wird. Was also tun, wenn der
das Gefühl, dass ich krank bin oder psychi-
Bedarf die Mittel übersteigt?
sche Probleme habe.« Doch nach dem Termin
Eine Aufstockung der Gelder ist nicht ohne
stand genau das fest: Johannes leidet unter
weiteres möglich, sagt Angela Hölzel vom
Depressionen. Bald beginnt er mit einer
Studentenwerk Leipzig. Schon vor zwei Jahren
Therapie. »Zu wissen, was mit mir los ist
hatte man das Beratungsangebot ausgewei-
und dass ich was dagegen tun kann, gibt mir
tet und das heutige Netzwerk Solisch-Wolff-
Hoffnung. Ich habe wieder eine Perspektive.«
Gumz geschaffen. Sollte sich nun zeigen,
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mit gemischten Gefühlen ging. »Ich wusste
Info
etwa bei 270 Beratungen im Jahr — mehr ist im Budget nicht drin. Bereits jetzt ist ab-
Die N채chte sind trostlos ewig lang, einsam und leer. Und ich erfriere in ihnen. Jede Nacht stirbt ein Teil von mir
Verfasser anonym
Text von Rangina Ahmad
Die fiktive Kurzgeschichte gibt einen Einblick in das Leben einer einst lebensfrohen jungen Frau, die aufgrund eines Schicksalsschlages an einer reaktiven Depression leidet.
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Story
E
s war ein Fest der Lichter. Na-
enden Laternen am Himmel. Es war, als ob
hezu simultan ließen alle ge-
eine höhere Macht alle Lichter ausgeknipst
meinsam von ihren Booten
hätte. Panik überkam sie. Sie schrie nach
aus tausende und abertausen-
ihm, tastete wie blind nach ihm. »Water,
de von Leuchtlaternen in den
Madam«, rief ihr eine gesichtslose Stimme
Nachthimmel steigen. Die kleinen Lichter
zu. Sie beugte sich über den Rand ihres
schwebten immer höher hinaus und ließen
Bootes, zögernd und angsterfüllt. Ihr Ma-
ihr Gesicht leuchtend hell erstrahlen. Sie
gen zog sich unangenehm zusammen: Dort
war glücklich. Aus jeder Pore ihres Wesens
war er. Schwebend unter Wasser, die Augen
strahlte Lebensfreude aus. Sie war wieder an
geschlossen, das Gesicht ausdruckslos und
jenem Ort. Mit ihm. Arm in Arm. Er hielt
weiß wie der Tod. Ein lautloser Schrei drang
ihre Hand und flüsterte ihr Worte ins Ohr.
aus ihrer Kehle, bevor sie sich Hals über Kopf
Sie glaubte schier vor Glück zu explodieren,
in die Tiefen des Wassers warf…
als ihr seine warme Hand plötzlich entglitt.
Schweißgebadet wachte sie auf und sah sich
Dunkelheit. Keine lachenden Menschen in
um: Sie lag im Bett, in ihrem vertrauten
ihren Booten um sie herum, keine leucht-
Schlafzimmer. Sie wusste es war wieder ein
Traum gewesen; fast jede Nacht wurde sie
Therapeut gesagt. Sie versuchte es nicht. Sie
von gleichartigen Alpträumen heimgesucht.
versuchte gar nichts mehr. Etwas Spitzes
Und jedes Mal wachte sie herzklopfend und
drückte gegen ihre Taille. Sie erhob sich ein
erleichtert auf, bis sich ihr scharfer Verstand
wenig, nur um in der Spalte des Sofas ein
einschaltete und ihr sogleich die bittere Er-
Buch vorzufinden. Erich Fromm, Wege aus
kenntnis über die Wahrheit bewusst wurde.
einer kranken Gesellschaft. Sie erinnerte
Kraftlos schwang sie ihre Beine aus dem
sich, wie sie vor knapp zwei Monaten mit
Bett, zog sich ihren uralten grauen Pullover
dem Lesen dieses Buches angefangen hatte.
über und steuerte auf das Badezimmer zu.
Sie öffnete die Seite in der sich ihr Lesezei-
Zwei Augen blickten ihr aus dem Spiegel
chen befand, ihr Blick blieb dabei sofort an
entgegen. Zwei freudlose, schwermütige Au-
einem bestimmten Absatz hängen: »Was ist
gen. Er liebte einst diese großen hellblauen
Depression? Es ist die Unfähigkeit zu fühlen,
Augen, in denen immer ein seltsam flim-
das Gefühl, tot zu sein, während der Körper
merndes Licht glimmerte, wann immer sie
noch lebt. Es ist die Unfähigkeit, froh zu sein,
aus tiefstem Herzen lachte. Sie schloss ihre
genau wie man unfähig ist, traurig zu sein.
Augenlider.
Ein depressiver Mensch wäre höchst erleich-
Es war Sonntagvormittag, 10.43h. Apathisch
tert, wenn er traurig sein könnte.« Sie klappte
lag sie auf dem Sofa ihres Wohnzimmers.
das Buch sofort wieder zu und warf es auf
Die Sonne schien durch die Schlitze der Rollläden und durchflutete die einst so penibel aufgeräumte Wohnung.
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Story
Die Sonnenstrahlen
Auf ihrem Gesicht war weder Trauer noch Schmerz abzulesen. Jedwede Empfindung in ihr war abgestorben.
den Fußboden. Sie fasste sich an die Schläfen. Die lauten Geräusche jenseits des Fensters und die anhaltenden Kopfschmerzen mach-
kitzelten die Oberfläche ihres nackten Un-
ten ihr zu schaffen. Sie musste sich wieder
terarms, versuchten vergeblich ihre Haut
hinlegen. Auf dem Weg in das Badezimmer
zu durchdringen, um ihr dunkles Innenleben
kam sie an ihrem Haustelefon vorbei. 8 un-
mit Licht zu erfüllen. Mit gläsernen Augen
beantwortete Anrufe. In ihrem leeren Blick
starrte sie die weiße Decke an. Als betrachte
fehlte jegliches Anzeichen von Interesse. Sie
sie dort ein Gemälde Monets oder da Vincis.
lief den Flur entlang, die Wand voller Bilder
Als gäbe es weit und breit nichts Interessan-
von ihm. Auf ihrem Gesicht war weder Trau-
teres, als diese hohe, weiß gestrichene Holz-
er noch Schmerz abzulesen. Jedwede Emp-
decke. In ihrem Kopf war nichts mehr
findung in ihr war abgestorben.
geordnet; ihre Gedanken drehten sich in
Sie ließ heißes Wasser in die Badewanne lau-
einem wilden Strudel aus Bildern, Erinne-
fen, zog sich währenddessen aus und band
rungen und unbeantworteten Fragen. Die
sich die Haare zu einem lockeren Dutt zu-
Zeit verstrich, ihr Körper protestierte. Ver-
sammen. Mit der Fußspitze zuerst, stieg sie
suchen Sie wieder mehr zu essen, hatte ihr
vorsichtig in die Wanne. Ein wohliger Schau-
er lief ihr den Rücken hinunter, als das Wasser
in den Tiefen des Meeres gefangen. Sie sah
sie umarmte und sich wie eine warme De-
keinen Lichtblick, keinen Grund an die Ober-
cke um ihren Körper legte. Sie schloss ihre
fläche zu schwimmen. Er war hier. Irgendwo.
Augen und tauchte unter. Welch eine Ironie,
In den Fängen von Poseidon. Der auch sie
dachte sie, dass gerade das Wasser ihr das
immer tiefer in den Abgrund des Meeres zog.
Gefühl von Geborgenheit vermittelte. Jenes
Der sie von der Außenwelt isolierte. Der ihr
Wasser, welches sie ihres Glückes beraub-
den Atem abschnürte und ihr langsam aber
te. Ihr Fels in der Brandung war fort und
sicher genauso das Leben raubte wie seines…
sie, mutterseelenallein. Umringt von nichts
Sie durchbrach die Wasseroberfläche und
als dem Ozean. Seit genau 64 Tagen war sie
schnappte heftig nach Luft.
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analoge Fotografien
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Fotostrecke
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Fotostrecke
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Fotostrecke
über Depressionen
in Deutschland leiden
Weltweit sind es etwa 121
Frauen sind dabei doppelt
4 Millionen Menschen an
Millionen Menschen.
so häufig betroffen wie
Depressionen.
Etwa jeder sechste
Männer.
Eine kombinierte Behand-
Jährlich begehen welt-
Deutsche erkrankt in sei-
lung mit Antidepressiva
weit 850.000 Betroffene
nem Leben einmal an
und Psychotherapie erzielt
aufgrund einer depressiven
Depressionen.
bei 80% der Betroffenen
Erkrankung Suizid.
Therapieerfolge.
Das durchschnittliche
werden von nicht richtig
werden von Männern
Erkrankungsalter liegt bei
behandelten oder nicht
verübt.
etwa 33 Jahren.
diagnostizierten Patienten begangen.
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Drei viertel aller Suizide
Info
Etwa 50% der Suizide
Text von Kim Kube
Die süße Melancholie, ein Fluch und doch ist es so schwer sie los zu lassen. Die Verfasserin dieses Textes gibt tiefen Einblick in ihr Inneres im Kampf gegen und für die Depression.
Story 29
Sag Mädchen, warum weinst du nicht Fühlst du nicht oder seh' ich schlecht Sag Mädchen, warum weinst du nicht? Renne durch Straßen, hast du das nicht auch getan? Leere Menschen um mich herum, wer hat dich bewahrt? Alles passt, nur ich nicht dazu Wo war ich und wo bist du?
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Story
Sag Mädchen, warum weinst du nicht Fühlst du nicht oder seh' ich schlecht Sag Mädchen, warum weine ich?
Die Ophelia, die bewusst ins Wasser steigt. Doch finde ich in diesen Momenten, kauernd an der untersten Stufe zum Aus, am meisten zu mir selbst zurück. Dort unten angekommen, kann ich mich endlich wieder lieben. Dort finde ich sie wieder. Das Mädchen meiner selbst. Nur kann sie nicht mit nach oben. Es gibt nur den Moment. Eine bittersüße Schwermut. Rainer Maria Rilke schrieb, dass er trotz starker Melancholie, Angst habe vor deren Ende, da er befürchtete, dass ihn »mit den Teufeln auch die Engel verlassen könnten«...
D
Das Auskotzen der eigenen Seele, still auf dreckigen Asphalt. Sie mit Füßen treten und iese Zeilen flogen mir, bei
nach ihr Spucken... Und dann, wenn sie sich
der Betrachtung eines meiner
kaum noch wehrt, dabei ist aus dem Hier
Kinderfotos, durch den Kopf.
und Jetzt zu gleiten, der Zuschauer bereits
Blonde Löckchen rahmen den
am Heulen ist vor Schmerz und Grausam-
Blick, dieser direkt in die Ka-
keit, dann wird sie zurück geholt, besungen
mera. Gerade Haltung, feine Kleidung. Trä-
mit den schönsten Liebesliedern und einge-
nen steigen in meine Augen. Sie fehlt mir.
bettet in die pflegenden Arme einer Mutter.
Ich komme aus einem glücklichen Eltern-
Das ist Depression. Immer wieder wartet sie
haus. Meine Eltern sind toll, natürlich fehler-
auf mich. Manchmal lässt sie mir einen Vor-
haft, aber gut. Ich war glücklich. Und so läuft
sprung und sonst nicht mal Zeit zum Atmen.
meine Geschichte fort. Es ist nie das Drama
Müde ist der Herzalltag. Die Abstände wer-
geschehen; kein Unglück, keine Ausrede. Sie
den kürzer und mir fehlt die Kraft zum
kam leise und regelmäßig. Und sie blieb. Wie
Aufkratzen der Reste auf den Steinen. Ohn-
ein ungebetener Gast, den man nicht weg-
macht. Zittern. Schwarz.
schicken möchte, aus reiner Höflichkeit.
In der Depression werden die Tränen zum
Depression ist wie Regen. Ständiger Regen.
Bewegungsfähigsten. Alles andere scheint
Auch bei Sonnenschein durchziehen die
stillzustehen, nicht vom Fleck zu kommen.
dichten, imaginären Bindfäden die Szene und tauchen alles in »kuntergrau und dunHerzen lieben gelernt. Für Außenstehende etwas hinzugeben, welches einen auffrisst.
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scheint dies absurd und wie Wahnsinn, sich
Story
kelbunt«. Und ich habe sie aus tiefstem
Und das Gefühl im Brustkorb, das Krampfen, es scheint mich jedes Mal zerreißen zu wollen. Muskelstränge ziehen sich zusammen, Luftholen wird beinah unmöglich. Und in alledem, kauert irgendwo, in der Dunkelheit, mein kleiner Körper, umklammert meine Seele und fleht um Erlösung. Egal welcher Art. Depression ist so unwirklich. Es gibt keinen Grund für ihren Auftritt. Ich bin einfach auf einmal verloren. So ist es auch schwer für
Ich liege in meinem Zimmer, unter meiner
Außenstehende, da sie kein Stück nachvoll-
Regenwolke auf dem Dielenfußboden. Rau-
ziehen können, woher die Tränen kommen.
chend tränenschwer. Alleine sein ist mein
Sie sehen es, doch sie erkennen es nicht. Und
Wunsch. Im Grau. Rauchend. Im Grau.
wenn sie es erkennen, begreifen sie es nicht.
Die größte Gefahr an Depressionen ist mei-
Und wenn sie es begreifen sollten, fühlen sie
ner Meinung nach, nicht mögliche Suizid-
es nicht. Depression ist Einsamkeit.
gedanken, sondern die Suchtgefahr. Sei es
»Meister in der Sonne, was hast du dir ge-
nach Alkohol und Drogen, Borderline, Anti-
dacht?« Warum bin ich traurig? Wo liegt der
depressiva oder der Depression selbst. Ein
Sinn? Und doch: Düster ist alles so wunder-
ständiges auf und ab zwischen Himmel und
schön...
Hölle, kann nicht dauerhaft verkraftet werden. Es muss abgestumpft werden. Die blauen Flecke vom letzten Aufprall werden zu Platzwunden. Die Frage, die sich mir stellt, die ich jedoch auch liebend gern verdränge, ist die, ob ich gesund werden will. Und ich habe keine Antwort. Ich würde mir wünschen, ein Gleichgewicht finden zu können. Zwischen den Kontrasten einen Ruheplatz zu entdecken, an dem ich sesshaft werden darf. Dies ist der Punkt, welcher angegangen werden muss. Depression ist nicht schlecht. Sie ist tief. So wie aus einem Brunnen, kann aus ihr viel geschöpft werden. Depression ist nicht
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Story
schlecht. Doch tut sie mir auch immer wieder weh. Sie ist meine beste Freundin, aber sie ist hinterhältig und verräterisch. Dennoch: Depression ist nicht schlecht. Ich liebe sie.
Story
Die Augenlider sind schwer Sie brennen Blicke der Verzweiflung. Ausdruckslos und voll mit Leere, Zerschlagen sie an einer Wand Die Seele erstarrt. Und Sie erfriert.
Verfasser anonym
Die Studentin Lilian W. (22) erzählt aus ihrem Leben mit Depressionen und ruft dazu auf über das tabuisierte Thema zu reden anstatt zu schweigen.
Wann hast du zum ersten mal realisiert, dass du Depressionen hast? Was waren die ersten Anzeichen und Symptome?
tät (was es sicherlich auch ein Stück weit ist),
Eigentlich schon sehr früh. Ich war
gehen, blieb ich allein zu Hause - weil mir
vielleicht 13 oder 14 und hatte schulisch
einfach alles zu viel war; zu laut und zu grell,
L
wie privat ein stressiges Jahr hinter mir. Ich war ständig müde, konnte mich nicht mehr konzentrieren und irgendwie ließ mich alles
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Interview
emotional kalt. Weinen ging nicht mehr,
aber ich habe schnell gemerkt, dass sich meine Gedanken und Gefühle von denen meiner Freunde unterscheiden. Anstatt auf Partys zu
zu sinnlos.
Wie gehst du damit um? L
Wie man sieht ganz offen. Ich finde es
Lachen nur mühsam. Da war immer diese
schade, dass psychische Krankheiten, trotz
merkwürdige Trauer und Leere, die ich kei-
ihrer vermehrten Medienpräsenz, in unserer
nem bestimmten Ereignis zuordnen konnte.
Gesellschaft immernoch so tabuisiert wer-
Außerdem dachte ich viel über das Sterben
den. Wenn jemand sagt, er hat »Burn-out«,
nach. Nicht konkret an Suizid, sondern eher
gilt er quasi als Märtyrer unserer Leistungs-
über den Tod im Allgemeinen. Mir wurde
gesellschaft. Aber bei Depressionen wissen
gesagt, das alles wäre normal in der Puber-
viele plötzlich nicht mehr, ob sie einen nun
für verrückt erklären sollen oder nicht – obwohl beides im Grunde das Gleiche ist! Das mit dem »verrückt« ist natürlich Blödsinn, aber leider ziemlich manifestiert.
Wie reagieren Familie & Freunde darauf?
L Von denen wurde ich schon immer liebevoll als »verrückt« betitelt, aber das bezieht sich wohl weniger auf die Depression. Aber mal im Ernst, auch wenn das jetzt total abgedroschen klingt - ohne sie hätte ich das alles niemals durchgestanden. Natürlich reagiert jeder anders, besonders wenn ich eine akute Phase habe. Bei den meisten weiß ich, dass sie für mich da sind, egal wie scheiße es mir geht. Das sind dann auch die, die mich nicht in Mitleid ertränken, sondern mir liebevoll aber ehrlich die Meinung sagen. Aber einige Freunde ziehen sich auch zurück und wieder andere werden sauer auf mich, weil sie nicht wissen, wie sie damit umgehen sollen. Das ist natürlich nicht angenehm, aber ich kann es verstehen.
Unternimmst du etwas gegen die Depression?
L Ich rede. Ich verheimliche nicht, dass es diesen Teil in mir gibt. Das nimmt schon mal viel schädlichen Druck aus der Sache. Ein geregelter Tagesablauf, genug Schlaf und Be-
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Interview
wegung sind bei mir auch sehr ausschlaggebend für die Stimmung. Außerdem treffe ich mich einmal die Woche mit meinem Therapeuten um zu reden, tausche mich auch ab und zu mit anderen Betroffenen aus und informiere mich regelmäßig über neue Theorien und Forschungen in dem Bereich.
Vor ein paar Jahren habe ich auch medikamentöse Behandlung in Anspruch genommen. Das ist nochmal so ein Thema für sich; aber für viele Betroffene eine gute Hilfe, besonders in akuten Phasen.
Hat es dir denn geholfen?
L Manches mehr, manches weniger. Ich denke, da muss jeder selbst rausfinden, was einem gut tut und in welchem Verhältnis. Aber allein das Ausprobieren der Möglichkeiten ist schon der erste große Schritt in die richtige Richtung.
Wie häufig tauchen die Depressionen auf? L Es ist schwierig, dass zu messen, denn es gibt nicht nur eine Variable. Streng genommen ist die Depression nie weg. Sie ist wie ein Schatten. Es gibt bessere und schlechtere Phasen, die monatelang andauern können. Und in diesen Phasen kann die Stimmung von Tag zu Tag auch nochmal schwanken. Im Prinzip ist es wie mit dem Klima und dem Wetter. Es kann auch im Sommer mal drei Tage regnen, aber es bleibt dabei verhältnismäßig warm. Und im Winter bleibt es kalt, auch wenn mal die Sonne scheint.
Hindert es dich an deinem Studium?
L Ja, massiv sogar. Das Problem ist, dass die ganz normalen Alltagsangelegenheiten, wusst ablaufen (z.B. aufstehen, essen) schon unheimlich viel Kraft kosten und daher kaum Energie für etwas anderes bleibt. Ich dienzeit in Behandlung verbracht, weil ich
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habe fast die Hälfte meiner bisherigen Stu-
Interview
die bei gesunden Menschen fast unterbe-
einfach nicht genug Kraft habe, um das am Stück durchzuhalten. Während dieser Zeit
Was sind die glücklichen Momente?
L Mich macht glücklich, wenn meine
kann ich nicht in die Uni gehen und muss
Kleine lachend auf mich zurennt, die Arme
daher wohl oder übel länger studieren als
um meinen Hals schließt und sich an mich
von mir erwartet wird. Denn wenn ich nach
kuschelt. Wenn mein bester Freund mir ein
meinem Krankheitssemester, was sich so
Kaleidoskop schenkt und ich plötzlich mer-
schön Urlaubssemester nennt, versuche alles
ke, wie gut er mich kennt. Und wenn ich am
aufzuholen, falle ich vor lauter Stress auf der
Meer bin, dann bin ich glücklich. Glück sind
anderen Seite vom Pferd. Außerdem kämpfe
für mich Momente, in denen ich plötzlich
ich ständig mit der eingeschränkten Kon-
mit aller Wucht spüre, dass ich lebe. Und,
zentrationsfähigkeit, kreative Blockaden und
dass es sich lohnt, dafür zu kämpfen.
dem Drahtseilakt von Leistungsanspruch und Erholungsbedarf. Trotzdem bin ich sehr dankbar, das studieren zu können, was ich liebe. Dafür muss man eben öfter mal kürzer treten, als einem lieb ist.
Wie verhält man sich als Außenstehender am besten?
L Neugierde ist immer ein guter Anfang. Denn dann ist man meistens vorurteilsfrei, respektvoll und kann offen an die Sache ran gehen. Natürlich muss man dabei auf die Grenzen achten, wie bei jedem anderen Menschen auch. Jeder ist anders und jeder geht anders damit um. Und bitte kein Mitleid, davon haben wir selbst genug.
Kannst du trotz Depressionen behaupten, dass du ein glückliches und erfülltes Leben führst?
L Erfüllt ist es auf jedenfall! Aber wenn beschreibt, wäre es nicht »glücklich«. Eher sowas wie »spannend«.
Interview
ich ein Wort finden müsste, was mein Leben
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Impressum Herausgeber - Redakteur - Gestalter Anna Beddig hallo@annabeddig.de Entstanden Im SoSe 2012 HAWK Hildesheim Fachbereich Gestaltung Autoren dieser Ausgabe Carolin Berthot Rangina Ahmad Kim Kube Lilian W. Typografie Warnock Pro, DIN Office Pinselstrich Quellen
Text ÂťMehr als nur StudienfrustÂŤ von >uni-leipzig.de/journalistik2/index. php?id=142&tx_ttnews[tt_news]=457&cHas h=3f3a0f634c78b4e66708d8f3509a216e< Fakten >servier.de/daten_und_ fakten_zur_ depression_in_deutschland.php< Danke Florian Beddig die Autoren Cora Adameit Prof. Dominika Hasse