ANSCHLAG, Nr. 2, UnSinN

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Magazin f端r kreatives Schreiben

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uNSiNN


anschlag ist kein printmagazin. anschlag ist kein webblog. anschlag ist beides. anschlag ist print 2.0. ein anschlag auf schreiber, autoren, texter und wortakrobaten. mit anschlag werdet ihr zur redaktion. anschlag, das seid ihr! wenn euer anspruch an gute texte ebenso hoch ist wie unserer, dann macht einfach mit unter: www.anschlag-blog.de


_ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ Ausgabe 2, UnSinN

Nach einer nüchternen Ausgabe 0, die aus dem »Nichts« so

Dem Scherz hat sich die »Unsinnspoesie« verschrieben.

einiges herausholte, und einer Ausgabe 1, die der »Macht«

INES BETHGE entführt uns in die Welt des lustigen Rei-

des Schreibens kraftvoll Ausdruck verlieh, stellt die Ausga-

mens und läutet somit auch die Gewinner des Schreibwett-

be2 mit dem Thema »Unsinn« alles auf den Kopf.

bewerbs ein. Auch dieses Mal gab es wieder viele Einsendun-

Mit ein bisschen Wahnsinn und vielen wilden Gedanken

gen. Leider können wir nur einzelne abdrucken. Oft waren

sprengt sie die Konventionen des kreativen Schreibens.

es nur knappe Entscheidungen. Alle, die in dieser Ausgabe

Sie ist der Kreativität gewidmet und fordert jeden ih-

ihre Texte nicht wiederfinden, haben jedoch schon jetzt

rer Leser heraus, in seinen eigenen Texten dem Unsinn

wieder die Chance, bei der nächsten dabei zu sein. Auf dem

ebenfalls eine Chance zu geben.

Blog können Texte eingesendet werden. Und auch für Nach-

THOMAS CORE gibt uns dazu die richtigen Tipps. Mit sei-

wuchsautorenporträts kann man sich wieder bewerben.

nen »9 ½ Regeln« für Fantasy-Autoren entführt er uns

Zum aktuellen Thema porträtierte Benjamin Bauer

in die Welt Innnsu.

die beiden Nachwuchsautorinnen Ursula Dittmer

Wie wichtig es ist, sich vom Bisherigen zu lösen und

und Sybille Lengauer. Es ist ein Porträt, in dem be-

dem Sinnlosen zu vertrauen, zeigt uns Marita Hein-

zaubernde »Fantasy« auf skurriles »Hirnwichsen« trifft.

zelmann in ihrem Beitrag »REGELLLLLOS«. Wilde

Um den Unsinn komplett zu machen, schreibt er zu-

Schmetterlinge und der Mut zum Unsinn zeigen uns den

sätzlich sinnliche Zeilen, die so gar nicht sinnlos sind.

Weg zu der einzigen Regel der Kreativität.

Unsinnig, was? »Liebesbriefe grosser Männer«

Doch in jedem Unsinn steckt ein wenig Sinn. Yvonne

sprengen nicht nur durch ihre beispiellose Gefühlsin-

Schubert analysiert das Thema sprachlich und ent-

tensität den Rahmen.

deckt, wie sinnig es ist.

Aber das war nicht der letzte Scherz, den wir uns mit

Ermanno Cavazzoni hat den Wahnsinn im Leben

Ihnen erlaubt haben. Über die gesamte Ausgabe hinweg

selbst entdeckt. In seinem Buch »KURZE LEBENSLÄUFE

werden Sie wohl noch oft dem Innnsu begegnen.

DeR IDIOTEN« erzählt er amüsante Lebensgeschichten.

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Laura glawion stellt uns dieses wundervoll-satirische

alle links, die in dieser ausgabe erwähnt werden, findet man

Buch vor.

auch gesammelt unter www.linkliste.anschlag-blog.de



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prolog editorial_01 inhalt_02 autoren_04 zeichen_woerter_saetze_06

un-sinn-voll 9 ½ goldene Regeln_14 zum überleben in einer fantasiewelt oder der weg in den innnsu fantasy hirnwichsen_20 zwei bezaubernd skurrile nachwuchsautorinnen unsinnig sinnig_24 wenn sinnvolle sätze unsinnig sind und sinnlose sinnvoll unsinnspoesie_28 der spaß am nonsens

sinn i m u n s i n n unsinnspoesie_34 neulich beim amt, sollte würde sein, vom [un-]sinn des lebens HAUPTSACHE UNSINN_36 eine gebrauchsanweisung für den spaßfaktor der unsinn des lebens_40 nachtschattenspiele

sinn mit unnn REGELLLLLOS_48 es gibt nur eine regel: keine regel kurze lebensläufe der idioTen_56 tragikomische kalendergeschichten der unendliche text_62 ich würde gekündigt werden liebesbriefe groSSer männer_64 gefühlvoll grenzen sprengen

epilog Klowand_70 fundstück_72 vorschau_76 impressum_78



Hol dir diese ANSCHLAG-Ausgabe und lies alle Aritkel!



SINN MIT UNNN

Ich würde gefeuert werden. text_laura glawion

anschläge_2468

... Ich starrte vor mich hin. Abwechselnd auf den Bild-

die Arme hinter dem Kopf und betrachtete die Post-

schirm oder die Wand vor mir. Mein Kopf war leer. Mei-

karten an der Wand. Ich versank in der Leere meiner

ne leere Körperhülle saß zusammengesunken auf einem

Gedanken ,und als ich wieder zu mir kam, lag ich auf

Schreibtischstuhl einer winzigen Stadtwohnung in ei-

dem Sofa und starrte auf den Fernseher. Ich spürte den

ner mittelgroßen deutschen Stadt.

schwarzen Strich bedrohlich im Nacken blinken.

Ich hatte nur noch wenige Stunden, bis ich diesen Arti-

Gerade stritt sich ein Pärchen lautstark über vermeint-

kel abgeben musste. Es war meine letzte Chance.

liche Untreue, das Publikum johlte, die Moderatorin

Auf dem Bildschirm blinkte unermüdlich ein schwarzer

versuchte vergeblich, ihre Abschätzigkeit ihren Gästen

Strich auf dem fast leeren weißen Schreibdokument.

gegenüber zu verbergen, und führte diese unter geheu-

Am Rand hatte sich das kleine Kätzchen zum Schlafen

chelter Anteilnahme weiter vor.

zusammengerollt. Der schwarze Strich forderte mich

Ich wand den Kopf. Draußen schien die Sonne. Das

auf, ihn endlich davon zu erlösen, immer auf ein und

Fenster war weit geöffnet und die Geräusche aus der

derselben Stelle blinken zu müssen. Und das schon seit

Fußgängerzone drangen zu mir herauf.

Wochen. Er blinkte immer ungeduldiger und unkontrol-

Im Badezimmer schaute mir ein fahles, von fettigem

lierbarer. Ich starrte ihn an und wartete darauf, dass er

Haar umrahmtes Gesicht entgegen. Ich ignorierte es

jeden Moment explodierte und mit ihm der Bildschirm.

beharrlich und pinkelte, überlegte, ob ich duschen soll-

Ich würde mir den gesamten Oberkörper verbrennen

te. Wozu? Ich würde die Wohnung heute eh nicht ver-

und ins Krankenhaus kommen. Dass ich dann meinen

lassen. Ich hatte keine Termine, keine Besorgungen zu

Artikel nicht rechtzeitig fertig schreiben konnte, ver-

erledigen. Mein Kühlschrank war leer, aber das war egal.

stand sich ja wohl von selbst.

Ich lebte von Kaffee und Zigaretten.

Doch die erwünschte Explosion blieb aus. Der Strich

Außerdem hoffte ich, wenn ich lange genug das leere

blinkte vorwurfsvoll und unerbittlich weiter. Ich würde

Schreibdokument anstarrte, würde es sich womöglich

gefeuert werden.

erbarmen und sich von selbst füllen ...

Ich begann auf dem kleinen Kätzchen herumzudrücken.

_____________________________

Ich ließ es mehrmals miauen, stempeln, Papier zerrei-

»der unendliche text« ist ein text, der von jedem

ßen und sich in Zahlen auflösen. Ich gähnte, lehnte

jederzeit weitergeschrieben werden kann. mehr infos

mich in meinem Schreibtischstuhl zurück, verschränkte

unter: www.der-unendliche-text.anschlag-blog.de

der unendliche text_63


NACHT SCHATTEN spiele


mala jayita mukherjee suess


Sinn im unsinn

Jeden Sommer war es wieder soweit. Mit Sack und Pack

Zeiten nach. Meine Großeltern gehörten einer vergange-

wurde ich in ein Flugzeug gepackt und nach Indien geflo-

nen Zeit an, deren Regeln sich nicht auf die moderne Zeit

gen, wo ich sechs Wochen im Hause meiner Großeltern

anwenden ließen. Und ihr Leben spielte sich für immer im

zwischen Antiquitäten, Büchern, Katzen und einem Dut-

Jahr 1947 ab.

zend Dienstboten einquartiert wurde. Plötzlich interes– sierte sich niemand mehr für Biene Maja oder Gum-

Gleich nach meiner Ankunft musste ich meine Turnschuhe

mitwist, und ich wurde aus den 80er Jahren zurück in die

gegen Lackschuhe wechseln, und statt Jeans und T-Shirts

indische Kolonialzeit katapultiert.

waren Spitzenkleider angesagt. Eine Dame rennt nicht, sie schreitet voran, sie pfeift nicht, sie kreuzt nicht ihre Beine

Meine Großmutter erzählte mir von Zeiten, als sie mit Kö-

beim Sitzen. Statt wie zu Hause mit meinen Freundinnen

nigen befreundet gewesen war, wo Säcke mit Geld aus den

Madonna nachzuspielen, Bela von den Ärzten anzu-

familieneigenen Ländereien im Osten abgeliefert wurden,

himmeln und die Hinterhöfe unsicher zu machen, hieß es

und von einem »Rolls Royce« aus purem Gold. 1980 war

damenhaft Tee zu trinken, zu lesen und sich von verschie-

von alledem nicht mehr viel übrig außer einigen antiken

denen adligen und nichtadligen Verwandten und Familien-

Büchern, einigen gut investierten Aktien und Obligatio-

freunden begutachten und beurteilen zu lassen.

nendepots und einem alten Haus voller Katzen und »Leute«, wie sie ihre Dienstboten nannte.

Wenn ich einkaufen gehen wollte, brauchte ich eine Gouvernante und einen Fahrer. Wenn ich Lust auf eine Cola

Indien wurde 1947 unabhängig, und im gleichen Zug wur-

hatte, durfte ich nicht selbst zum [abgeschlossenen] Kühl-

de auch der Adel offiziell abgeschafft. Die reichen »Ma-

schrank, sondern musste dem Diener sagen, dass dieser

haradjas« transformierten ihre Paläste zu Luxushotels,

den Koch nach einer Cola fragen sollte. Nach wenigen

und wer adlig und schlau war, drückte die Schulbank, um

Tagen war ich jeweils der Verzweiflung nahe, und nur die

Anwalt, Arzt oder Ingenieur zu werden. Wer nicht schlau

Katzen meiner Großmutter konnten mich in diesem ab-

war, verprasste sein letztes Geld und hing vergangenen

blätternden Goldkäfig trösten.

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SINN im unsinn

Die Dienstboten meiner Großmutter wechselten fast jedes

Von zu Hause war ich es gewohnt, dass ich mit jedem

Jahr. Die meisten waren Neuankömmlinge aus irgendwel-

spielen konnte, wenn wir beide es wollten, und dass es

chen Dörfern in Ostindien. Menschen, die seit Jahrhunder-

da keine Einschränkungen gab. Hier war nun alles an-

ten Eigentum unserer Familie gewesen waren, und sich auch

ders. Meine Eltern und ich konnten meine Großeltern

heute – in modernen Zeiten – so verhielten. Auf der Flucht

nach mehreren Tagen davon überzeugen, dass ich we-

vor Hunger und Missernten waren sie in die Stadt gekom-

der an Pest oder Lepra sterben noch verlausen und ver-

men und hatten an der Türe ihrer ehemaligen Landgrafen

derben würde, wenn ich mich mit diesem anderen Kind

angeklopft, auf der Suche nach Arbeit und einem Auskom-

zusammensetzen würde. Aber da fing der Ärger erst an.

men. Die Zeit der Frondienste, der Herren und Diener, war

Latas Eltern waren nämlich absolut davon überzeugt,

offiziell vorbei, aber unsicher ob der neuen Freiheit klam-

dass dieser klassenübergreifende Kontakt den Unter-

merten sich Herr und Diener doch aneinander fest. Sobald

gang für sie bedeuten würde.

sie sich etwas im Stadtleben gefestigt sahen und bessere Arbeit fanden, waren die Dienstleute dann aber auch schnell

Die Probleme waren mannigfaltig. Unsereins stammte

wieder weg. Manchmal kamen so ganze Familien bei mei-

als Brahmane scheinbar direkt von den Göttern ab, sie

nen Großeltern in den Dienstbotenquartieren unter.

waren niedere Wesen, die sich durch tausende Reinkar-

Als ich neun Jahre alt war, beherbergten meine Großeltern

nationszyklen zum Homo sapiens sapiens hochgeackert

eine solche Familie. Die Leute waren bitterarm und hat-

hatten. Ein Kontakt auf gleicher Ebene wäre Gottes-

ten als Besitz nur die Fetzen, welche sie auf den Leibern

lästerung und absolut undenkbar. Der Aberglaube saß

trugen. Sie lebten im Gartenhaus des Dachgartens meiner

tief in ihren Herzen und aus ihren Augen sprach nackte

Großmutter, und die große Sensation war, dass sie tatsäch-

Angst. Die Konsequenz eines solchen Fehltritts ihrer

lich eine Tochter namens Lata‒ »Lotosblüte« – hatten, die

Tochter wäre für sie alle eine Reinkarnation als niederes

in meinem Alter war!

Gewürm, was sie weder sich selbst noch ihrer Tochter gegenüber verantworten konnten. Wer würde sie denn heiraten, wenn bekannt würde, dass sie sich dermaßen »

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Sinn im unsinn

» versündigt hatte? Als Brahmane sei sogar mein Schat-

Ich frage mich oft, was aus Lata geworden ist. Hat sie ge-

ten heilig und sie würde sich schon versündigen, wenn

heiratet? Arbeitet sie heute in einem der zahlreichen Mo-

sie aus Versehen auf diesen neunjährigen Schatten tre-

bileshops als Verkäuferin oder in einem Callcenter? Glaubt

ten würde.

sie immer noch wie ihre Eltern an ihren gottgewollten Platz im Universum, oder hat sie ihr Schicksal selbst in die

Für mich war das alles total unverständlich und abgrund-

Hand genommen und die Hülle aus Angst und Aberglau-

tiefer Unsinn. Nach zwei Tagen voller Tobsuchtsanfälle,

ben hinter sich gelassen? _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _

Weinkrämpfe, Bittgänge und Haareraufen fand ich jedoch eine – wenn auch nur suboptimale – Lösung. Wir würden abwechselnd spielen, nachts, wenn kein Schatten fiel. Ich hatte ein Kochset geschenkt bekommen mit kleinen Töpfen, Pfannen und Wendern. Im Abstand von zwei Metern voneinander – was sozial noch akzeptabel war – diskutierten wir über die Fantasieprodukte, die wir zusammen kochen würden und wechselten uns dann jeweils an den Töpfen und Pfannen ab. So waren wir immer mindestens zwei Meter voneinander entfernt und doch in der Lage, zusammen zu spielen. Ohne jegliche Sonne, welche einen Schatten verursachen und ihre Reinkarnation beeinträchtigen würde. So spielten wir einen Sommer lang. Als ich ging, versprachen wir uns ewige Freundschaft. Ich habe sie nie wiedergesehen.

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SINN im unsinn

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Autoren sollten stehend

an einem Pult schreiben

Dann würden ihnen ganz von

¿ * *

selbst kurze Sätze einfallen

¿

E. Hemingway [via Twitter]

#

#

#

Ist immer amüsant, wenn Printmedien

über 's Internet schreiben @jeff jarvis

#

#

#

#

#

#

*

#

#

#

»Neunzig Prozent

von allem sind Unfug« #Sturgeon – so ist das auch auf #Twitter @klauseck

& & & & & & & & &


Der eine wartet,

dass die Zeit sich wandelt

der andere packt sie an

und handelt

&

* *

!!

Dante Alighieri [via Twitter

KLowand_01 Als »Klowände des Internets« bezeichnete der Werber Jean-Remy von Matt einst die Weblogs. Damit löste er eine Welle der Entrüstung aus ‒ vor allem in

* &

der digitalen Welt. Grund genug für uns, ein neues Projekt zu starten: die Klowand. Hier werden die aussagekräftigsten Sätze aus dem Web gesammelt. Das Projekt wird sowohl auf dem Blog als auch im Magazin fortgeführt. Von uns und natürlich von euch. Also, besucht einfach unsere Klowand und schmiert

m e d

drauflos. www.klowand.anschlag-blog.de

h en c b a n e

... Geschlecht sich zum Geschlechte, und rücken sacht von Ort zu Ort Vernunft wird Unsinn

! ! ¿ *

Wohltat Plage Weh dir, dass du ein Enkel ... @socialfaust

@FrauCloth wann fängt der

Unsinn

h sL ic

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er ns m

im n i h

noch mal an, und wo? Noch sitz ich hier und ersuche

c r elal o

was Sinnvolles zu tun vielleicht hilfts ja @pixelpu

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E in weni g S inn s te ck t i n j e d e m U n S i n N.



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