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Magazin f端r kreatives Schreiben
anschlag ist kein printmagazin. anschlag ist kein webblog. anschlag ist beides. anschlag ist print 2.0. ein anschlag auf schreiber, autoren, texter und wortakrobaten. mit anschlag werdet ihr zur redaktion. anschlag, das seid ihr! wenn euer anspruch an gute texte ebenso hoch ist wie unserer, dann macht einfach mit unter: www.anschlag-blog.de
_ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ Ausgabe 1, macht
»Macht mit!« hieß es nun das erste Mal bei »Anschlag«.
Demokratisiert »Web 2.0« das Wissen? Demokrati-
Mit Hilfe unseres Blogs habt ihr eure Texte und Artikel
siert folglich »Print On Demand« die Literatur? Seit
eingesendet. Viele kreative Köpfe haben teilgenommen
ein paar Jahren gibt es neue Möglichkeiten für Auto-
und ihr Bestes gegeben, um diese Ausgabe zu dem zu
ren ihre Bücher zu verlegen. Sarah Heinzelmann
machen, was sie ist: Ein spannendes Magazin voll mit
hat sich diese Entwicklung einmal genauer angeschaut.
Texten rund um ’s Thema Macht!
Unter der Rubrik »Freie Texte« haben wir viele, zum
Schon Ausgabe eins fährt mit großartigen Wortakroba-
Teil hervorragende Einsendungen bekommen. Leider
ten auf. So bringt uns Xochil a. schützs »Perlen-
können wir nicht alle abdrucken. Wir haben uns für
kind« eine neue, alte Form der Lyrik näher und zeigt
die Autoren Thomas Core und gregor willimski
uns, wieviel Macht vom gesprochenen Wort ausgeht.
und ihre Kurzgeschichten entschieden. Der eine sieht die
Bei Marica Bodrožić impliziert die Erinnerung die
Welt erschütternd schwarzweiß. Der andere entführt
Macht der Sprache. Sie beschreibt ‒ wie immer träume-
uns in bunte Galaxien. Ebenso gibt es eine Auswahl der
risch schön ‒ warum die Wörter unsere Brücken in
für »TWITTER« eingesandten Texte zum Thema Macht.
die Vergangenheit sind.
Unter anderem von dem wohl bekanntesten Twitterautor
Wie man die Macht der Sprache nutzen kann und sie als
Florian Meimberg alias TIny Tales.
Köder einsetzen kann, erklärt uns Katja Lah in ihrem
Es sind nun viele Textbegeisterte und jede Menge gute
Artikel. Anhand ihres Romans zeigt sie auf, wie effektiv
Ideen Teil von »Anschlag« geworden. Ein wunderba-
mit Text gearbeitet werden kann.
rer Startschuss ins Schwarze für das gemeinsame kreati-
Aber was nutzen gute Texte mit wichtigen Botschaften
ve Schreiben. Wir wünschen euch viel Spaß beim Lesen
ohne das richtige Medium? Niemand weiß das besser,
und freuen uns auf viele weitere gute Einsendungen! _ _ _
als die Twitterer im Iran. Als den Journalisten während den Protesten verboten wurde, ihre Arbeit zu tun, ent-
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schied das »Web 2.0« über Wissen und Information.
alle links, die in dieser ausgabe erwähnt werden, findet man
Wie mächtig und wichtig das »Web 2.0« ist, sagt uns
auch gesammelt unter www.linkliste.anschlag-blog.de
Maximilian Toomeh.
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prolog editorial_01 inhalt_02 autoren_04 zeichen_woerter_saetze_06
macht wort die luft der wörter_14 über sprache und identität macht druck_24 print on demand – neue perspektiven oder ein schritt in die falsche richtung? sprache und macht_30 die köder sind gelegt
macht d e r m i t t e MACHT 140_38 twitter goes literature Die Richter des Lächelns_40 gregor willimski sieht schwarzweiß paarinstabilitätssupernova_42 thomas core erzählt von galaktischen eheproblemen
macht mehr wissen ist macht_48 web 2.0 ist wissen. ist web 2.0 deshalb macht? ist wissen wirklich macht? sprechpoeten_52 wie die sprache die lyrik wieder zu dem machte, was sie einmal war und immer sein sollte der unendliche text_64 niemand zwingt sie zu stricken! das ende der machtspiele_68 porträt eines nachwuchsautoren
epilog Klowand_70 fundstück_72 vorschau_76 impressum_78
Hol dir diese ANSCHLAG-Ausgabe und lies alle Aritkel!
über Sprache und Identität text_marica bodrožic´
anschläge_4809
W
örter sind Archive des Lebens. Sich an die Wörter zu halten, an das Wort zu halten, ist immer auch eine Haltung zur Welt, ein
Weltwerden, eine Schöpfung. In den Wörtern, ja sogar im Semikolon – das die Sätze in einen Atemfluss, einen Atemzusammenhang bringt – wohnen Gedächtnisse.
zum anderen muss er hin und wieder auf sie verzichten
Der Mensch ist nichts ohne seine Erinnerung. Zum ei-
und auch im Unwägbaren gehen. Die Sprache gibt ihm
nen braucht er sie wie Brot, um sich selbst zu erkennen;
die Macht, sich und andere in Vergangenheit, Gegenwart oder Zukunft zu sehen. Die inneren Bilder sind dabei wie kleine Brückenübergänge an die Wörter gekoppelt.»
die luft der wörter_16
MACHT WORT
die luft der wรถrter_17
macht wort
»Wo fängt der Fuß des Ichs an, wo die Fingerkuppe der Biographie? Wo enden sie? Welchen Weg auch immer wir einschlagen, wir kommen um unsere schöpferische Macht nicht herum. Diese wird uns zwar nicht in die Wiege, aber mit jedem neu erlernten Wort ins inne-
wie in einem Wald wirkt auch in den Buchstaben eine
re Gebiet und dann auch in die eigene Stimme gelegt.
Form von Natur, die sich ihre eigenen Farben und Farb-
Sprechen ist par excellence ein Werden. Sprache ist stets
nuancen ausdenkt. Und den Gebrauch der Wörter zu
Bewegung. Sie kann gar nichts anderes sein. »Bewege
beschützen sucht. Ist das Ich hart wie Kernseife, kann
Dich, so wirst du schön«, hat einmal der Schriftsteller
es nur mit Wörtern schrubben, es kann nicht weich sein
Peter Altenberg geschrieben. Nur das, was wir zu
und verliert den Bezug zum Inneren.
sagen vermögend sind, macht uns aus, macht etwas in
Liebenden geschieht das bewusste Sein immer von
und mit uns zu einer Bewegung. Ein neuer Wind zieht
selbst. Wenn man liebt, hat man keine Hand frei, um mit
in die Lunge ein, ein neuer Wolkenzipfel Seele, wenn
Steinen zu werfen, man braucht beide Hände, um aus
wir auf die Wörter als Waffen verzichten. Und uns nur
dem Vollen zu schöpfen. Liebe erträgt man nicht, man
im Sein bewegen. Das Ich, die eigene Innerlichkeit sind
lebt sie mit seinem ganzen Wesen und ist dem Anderen
aber auch nur Randdistrikte eines viel größeren Ge-
ebenbürtig, hat die gleichen Rechte, den gleichen Ge-
bietes, dem alle Menschen angehören. Auch die Natur
nuss, jedenfalls ist die Natur jeder wahren Begegnung so
wohnt in diesem Menschengebiet, ist manchmal zu-
angelegt. Der Andere braucht nicht nur unseren Respekt,
ständig für die Stille und Würde der Wörter. Gleichsam
so erträgt man den Anderen nur. Es ist gegen die Würde des Menschen, dass man ihn nur erträgt. Jeder Mensch benötigt das Ganze, den offensten Blick, die größtmögliche Zuneigung. Ob als Individuen oder als Völker, Nationen oder Länder ‒ wir brauchen eben die ganze Zärtlichkeit des Auges, die ganze Aufmerksamkeit. »
Erinnerung.
macht wort
» Und diese wurzelt nur im Verstehen, im sprachlichen Zugehen auf den anderen. Wie kann man
es keine Wörter zu Freunden hat? Wenn es nicht lesen
auf einen anderen zugehen, ohne sich selbst mitzu-
kann, wenn es die eigenen Buchstabenflüsse, Wör-
nehmen? Das geht nicht. Das ist keine Bewegung.
termoore und Satzseen nicht kennt? Was vermag ein
Identität ist nichts anderes als die Fähigkeit, sich im
Wesen dann eigentlich überhaupt? Was ist sein Sagen?
eigenen Inneren erinnernd zu bewegen. Was vermag
Seine Welt? Seine Menschenwiese?»
ein Wesen zu tun, im Leben, für sich, für Andere, wenn
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macht wort
» Flüsse, Moore, Seen sind weiche, wenngleich auch unwägbar tiefe Gebiete. Das eigene Gehen darin will geübt sein – und muss eben auch, wenn die Kieselsteine aufhören, ein gekonntes Schwimmen werden. Geben wir Anderen die Macht über unsere eigenen Sprach -und Lebensbewegungen ‒ und beides gehört verfugt zusammen ‒, so sind wir vom Urgrund her gefährdet. Wir können nicht anders als untergehen. In Diktaturen ist dieses Phänomen bei jedem Schritt der Menschen in ihrem Alltag zu beobachten. So sie sich sprachlich der offiziellen Doktrin, und jede Sprachverordnung ist eine Doktrin, anheim gegeben haben, verlieren sie die Grundlage ihrer eigenen inneren Balance. Und dann hat das Ich keine eigene Luft, dann haben die Wörter keine eigene Luft, keine Ichluft, keine Herzluft, keine Seeluft, überhaupt keine Luft. Keinen Atem. Wir haben, so wir unachtsam mit dem Erbe und dem Archiv der Wörter umgegangen sind, alles abgegeben, was wir je hatten. Uns selbst haben wir dann abgegeben, weil wir ohne die Wörter niemand sind. In der sichtbaren Welt haben wir nichts. Es sieht nur so aus, als seien wir hier und dort Besitzer. Passbesitzer, Hausbesitzer, Adressenbesitzer. Wirkliches Haben bewegt sich aber nur in der unsichtbaren Welt, wird verwaltet auf einem unsichtbaren Sprachkonto, das seismographisch genau all unsere Bewegungen verzeichnet. Wir alle haben nur unsichtbare, unbeweisbare Köfferchen, Wörter, Winde, Wirkungen – wir können sie nur in uns, nur in der Sprache tragen. Selbst dann, wenn unsere Sprache die reine Stille wäre. _ _ _ _ _ _ _ _
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MACHt WOrt
MARICA BODROŽIĆ
© miranda leonh
ardt
ist eine Autorin, die mit ihren Texten tief berührt. Mit ihrer Lyrik erzeugt sie eine Sprachgewalt, die zur Malerei der Gedanken wird. Ein beeindruckendes Spiel mit Worten, das verzaubert. Sie kreiert eine Verbindung von tiefer Wahrheit mit einer wunderbaren sprachlichen Schönheit. Obwohl Marica Bodrožić mit träumerischen, weichen Wortgeschöpfen erzählt, trifft sie mit ihnen mitten in die Realität. Jedes Wort, jedes Bild ist genau platziert in dem fein gewebten Erzählteppich. Sie hat die Macht der deutschen Sprache entdeckt und zeigt mit jedem ihrer Werke ihre große Liebe zu ihr. Marica Bodrožić stammt ursprünglich aus dem heutigen Kroatien. 1983 kam sie nach Deutschland. Sie studierte Kulturanthropologie, Psychoanalyse und Slawistik in Frankfurt am Main. Ihre ersten literarischen
Internationale] und im Hörfunk. Für ihre literarischen
Arbeiten, Prosa, Essays und Lyrik, veröffentlichte sie in
Arbeiten erhielt sie zahlreiche Preise und Stipendien.
Zeitungen und Zeitschriften [FAZ, Manuskripte, Lettre
Heute lebt sie als Freie Schriftstellerin in Berlin.
eine auswahl_werke erzählungen_tito ist tot essay_der wunderlehrling roman_der spieler der inneren stunde essay_wunden haben keine grenzen gedichte_ein kolibri kam unverwandelt autobiografische prosa _sterne erben, sterne färben. mein leben in der deutschen sprache erzählungen_der windsammler drehbuch und co-regisseurin eines dokumentarfilm_eine reise durch kroatien gedichte_lichtorgeln
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die richter des l채chelns
»Die Fahrscheine, bitte!« Mit dicken Oberarmen, die Eindeutigkeit in das kurzhaarige Gesicht geschnitten, hangelt er sich von Stange zu Stange. Im Kampfanzug. Kleinkrieg im U-Bahn-Abteil. Blicke von Fahrgästen, die ganze Leben erzählen. Abrechnung. Hier. Jetzt! Ein Penner, dem jeder verzeiht. Ein Kredit für das gute Gewissen. Der Rest ist Beute. Für alle. Jene, die ein wenig länger nach ihrer Karte kramen, sind sofort im Visier. Erfahrene Jäger nutzen dabei die Scheiben als Bande. Treffer! Der Affe im Kampfanzug macht sich Notizen. Ein Angolaner mit rot leuchtender Strickmütze und etwas zu großer Lederjacke sitzt in der Falle. Ein unsichtbares Gericht, zusammengestellt aus den Aufmerksamen, tagt über Bande. Es sind die, die den Affen besänftigen könnten ‒ wenn sie es wollten. Zu wenig Entlastendes! Die Mütze des Schwarzen gefällt nicht. Die Jacke erzählt von Armut. Den Umsichtigen. Die Erbarmungslosen sehen in ihr einen Affront gegen den Westen: Vortäuschung falscher Tatsachen! Die Narbe unter seinem linken Auge wiederum stimmt einige milde. Die Richter sind sich nicht einig. Nun soll sein Lächeln entscheiden. Ein weißes Lächeln des Schwarzen könnte ihn retten! Sympathisch müsste es sein. Vertraut. Aber nicht zu entwaffnend. Medium. Strahlend genug, um zu blenden. Verschüchtert genug, um sich weiter erhaben zu fühlen. Um Richter zu bleiben. Es sind die Richter des Lächelns. Es sind ihre Regeln. Aufgestellt ohne zu sprechen. In wenigen Augenblicken. Lächelkontrolle! Und tatsächlich: Der Farbige lächelt! Doch sein Lächeln ist gelb. Abführen! Die Richter haben entschieden. Der Affe schiebt den Schwarzen nach draußen.
von Gregor Willimski, Werbetexter und freier Autor
ein weißes lächeln des schwarzen
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M a cht we i te r.