Opernballreader

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2005 | Opernball. Drei Jahre im Februar. | 1

„Opernball 2005 – 2007“ „Luxus für alle – sonst gibt’s Krawalle!“: diese Parole war, wenn nicht das offizielle Motto, dann doch die, für viele – Teilnehmer, wie Medien und Bullen – auf den Punkt gebrachte, Inhaltsangabe der Demonstrationen anlässlich des deutschen Opernballs in den Jahren 2005 bis 2007 in Frankfurt. Aktionen, die so für Diskussionen und Aufmerksamkeit über den regionalen Rahmen hinaus sorgten und auch ein Kristallisationspunkt für viele grundsätzliche Debatten der radikalen Linken waren. Die Initiative zu diesen Aufläufen kam nicht zuletzt von uns, der autonomen antifa [f]. Für uns waren die Demonstrationen dabei der Versuch, mit symbolischer Praxis Werbung für eine radikale Kritik an der kapitalistischen Gesellschaft als Ganzes zumachen. Eine Kritik, die folglich nicht an den Symptomen und vermeintlich Schuldigen ansetzt, sondern die vielmehr ihren Gegenstand trifft; die also den alltäglichen Skandal, dass „Luxus für Alle“ heutzutage möglich ist, doch gerade die Realisierung dieser Möglichkeit durch die Struktur unserer „freien Gesellschaft“ immer wieder verhindert wird, öffentlich macht. Die Forderung war klar: Luxus für alle heißt „Kapitalismus abschaffen!“. Die vorliegende Broschüre soll die Auseinandersetzungen durch und mit diesem Versuch beispielhaft dokumentieren und zum Nach- und – natürlich – besser machen anregen. Nicht weil diese Kampagnen und Aktionen nun die Welt aus den Angeln gehoben hätten, sondern da sie im konkreten vieles – theoretisch, wie praktisch und strategisch – berührt haben, was eine radikale Linke, die an der Erledigung ihrer Hausaufgaben, also der Überwindung des Kapitalismus, festhält, auch jenseits von irgendwelchen Bällen in Zukunft beschäftigen muss. Die Broschüre markiert so den Stand einiger Überlegungen. Ganz materialistisch orientiert sich ihr Aufbau an der realen Entwicklung: An die jeweiligen Aufrufe schließen sich unsere Nachbereitungen an. Ergänzt werden sie durch Interviews, die auch die unterschiedlichen Perspektiven auf das Spektakel und die sich daraus ergebenden Konflikte deutlich machen sollen. So sehr wie diese Broschüre die Möglichkeiten symbolischer Gesellschaftskritik aufzeigt, so deutlich werden bei genauerem Hinsehen mithin auch deren Grenzen. Der Kommunismus ist schließlich keine Gedankenbewegung und Staat, Nation und Kapital werden

sich ganz sicher nicht wegdemonstrieren lassen: Die Revolution ist kein Wunschkonzert. Sie muss gedacht und gemacht werden – und nur eine Seite der Medaille hält die Geschichte nicht bereit. Statt Kritik „nur“ mit Krawall und Remidemi öffentlich zu machen und – vor allen Dingen – auch aus den realen Widersprüchen der Gesellschaft weiter zu entwickeln, ist die Aufgabe also noch Größer. Theoretische Erkenntnisse müssen ausprobiert und umgesetzte werden, ein revolutionärer Prozess, der diesen Namen auch verdient, muss also schon im Hier und Jetzt, in sozialen Kämpfen eingreifen und organisiert werden. Und das, ohne sich was vorzumachen und bürgerliche Politik oder den Rückzug in linke Szenenischen als „den Kampf ums ganze“ auszugeben. Die kapitalistische Herrschaft der Strukturen setzt sich nur durch und mit dem Denken und Handeln der ihnen unterworfenen Menschen durch. Das Subjekt ist für seine selbstverschuldete Unmündigkeit also ganz praktisch vor den Richterstuhl der Vernunft zu laden. Eine in diesem Sinne praktisch verstanden Subversion für eine spätere Revolution, die dann eben kein bloßer Machtwechsel ist, müsste also auch im Alltag und an den konkreten ideologischen und praktischen Techniken zur Sicherung des Systems ansetzen. Mensch sieht, es gibt Aufgaben, die sind einfacher. Wenn wir im folgenden dem interessierten Publikum trotzdem einige Gedanken und Erfahrungen linksradikaler Eventpolitik ans Hirn legen wollen, dann in der Hoffnung damit etwas zu einer notwendigen Diskussion über die inhaltliche Bestimmung und strategische Organisierung radikale Kritik und Praxis gegen diese Gesellschaft beizutragen. Eine weitere Opernballdemo, so scheint uns angesichts der sich momentan vorsichtig andeutenden Haarrisse im gesellschaftlichen Schlafzustand, ist nicht die Aufgabe der Stunde. Gleichwohl konnte und kann die Aufhebung des schlechten Bestehenden mitunter nur mit symbolischer Radikalität und der unversöhnlichen vorgetragenen Forderung nach dem Maximum, und das ist heute das mögliche, voran gebracht werden. Wie heißt es schließlich so schön: „Es gibt kein Licht, als jenes, welches von der Erlösung her auf die Welt scheint“ (Adorno). autonome antifa [f], 0208


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„Gegen den Opernball 2005“ Schöner Leben ohne Kapitalismus

Viva la vita … …lautet das Motto des „Deutschen Opernballs“ 2005, der am 26. Februar in der Frankfurter Alten Oper stattfindet. „Es lebe das Leben!“ Damit soll laut Veranstalter ein „farbenfroher Kontrastpunkt zu den beschwerlichen Reformanstrengungen landauf landab“ gesetzt werden. „Zur Feier des positiven Lebensgefühls“ werden 2300 Gäste aus Wirtschaft, Politik und Gesellschaft erwartet. Also genau die gesellschaftliche Elite, die aktuell den Abbau der Sozialen Rechte durchsetzt, will hier unter der Schirmherrschaft von Bundespräsident Horst Köhler durch die Nacht tanzen. Im letzten Jahr nahm neben Roland Koch und Friedrich Merz zum Beispiel auch Horst Teltschik, Organisator der jährlich von Protesten begleiteten „NATO-Sicherheitskonferenz“, teil. Das Motto des Balls ist also nur als zynische Provokation zu begreifen. Ist doch genau diese „Elite der Gesellschaft“, die hier die „beschwerlichen Reformen“ feiern will, wohl kaum selbst von ihnen betroffen. Was erwarten die Veranstalter, was passiert, wenn die gesellschaftliche Elite unter diesem Motto feiert, während die „Reformen“ nur eine Zementierung des Sozialabbaus in Form von Studiengebühren, Fahrpreiserhöhungen, Gesundheits-, Kranken-, Arbeitsmarktreform, … etc. pp. bedeuten?

Doch ist es aus der Logik der herrschenden Politik heraus keineswegs abwegig und nicht mal zynisch, zum „Reformmief“ positive Begleitmusik zu spielen. Angela Merkel (CDU) beispielsweise findet, dass „Reformen und Patriotismus zwei Seiten einer Medaille“ sind. Nicht nur ein „positives Lebensgefühl“ soll geschaffen werden, sondern gar ein nationales Gefühl geweckt werden: man soll seine eigenen Interessen in eins setzen mit dem Interesse des „Standort Deutschland“ und somit „verstehen“, dass jede Reform für Deutschland eigentlich einem selbst zu Gute kommt. Hartz IV bleibt zwar, was es ist – ob „für mich“ oder für Deutschland – ein Generalangriff auf Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger. Aber es soll sich eben gleich ganz anders anfühlen, wenn man weiß, dass es zwar nicht gut für mich, aber gut für „unser Land“ ist… Dass dieses standortnationalistische Gelaber in Bezug auf das Wohlergehen der einzelnen Menschen rein gar nichts, für die „Wettbewerbsfähigkeit“ von Nation und Kapital dafür umso mehr bringt, liegt jedoch auf der Hand. Zwar wird auf der einen Seite Egoismus und rücksichtslose Durchsetzung ökonomischer Interessen gefordert, doch „zusammengehalten“ wird die Gesellschaft von

der Formel „Gemeinnutz steht vor Eigennutz“. So weit, so schlecht schon die normale bürgerliche Gesellschaft. In Deutschland hatte diese Formel allerdings schon immer einen besonderen Stellenwert. Hier war es besonders oft nicht einmal das bürgerliche Einzelinteresse, sondern viel mehr „Volk“ oder Staat, für das der einzelne Mensch lebte bzw. starb. So sind hierzulande auch Gewerkschaften, übrig gebliebene Sozialdemokratie und die „neue“ Linkspartei nicht in der Lage, eine ernstzunehmende Alternative zu den Reformplänen von Regierung und Opposition anzubieten. Alleiniger Maßstab aller Konzepte ist schließlich das Wohlergehen des „Standort Deutschland“ als Prüfstein für „Machbarkeit“ in dieser Gesellschaft. Gerhard Schröder hat also durchaus recht, wenn er sagt, „es gibt keine Alternative zu unseren Plänen“. Eine wirkliche Alternative wäre schließlich nur eine, die sich der Logik von Standort, Rentabilität und Kapital widersetzt. Eine, die bei der objektiven Möglichkeit von Wohlstand für alle jenseits von Arbeitszwang und Verwertung ansetzt und sich nicht den Kopf von Kapital und Staat zerbricht, um das x-te Mal zu beweisen, dass eine menschliche Gesellschaft auf dem Boden des Kapital-


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ismus nicht funktioniert. Der Widerspruch schließlich, dass durch die technische Entwicklung und die Arbeitsorganisation immer weniger elende Arbeit nötig ist, dadurch jedoch das Leben der Menschen immer schlechter wird, lässt sich innerhalb des Kapitalismus nicht aufheben. Das Gegenteil von gut ist gut gemeint Da die „Opposition gegen Sozialabbau“ aber genau dies nicht begreift, ist es kein Wunder, wenn gewerkschaftsnahe Kreise, die im letzten Jahr mit der Forderung nach „gerechter Umverteilung des Reichtums“ zu einem „Lumpenball“ gegen den Opernball aufriefen, Schröders Aufforderung ernst nahmen und tatsächlich die „unpatriotischen Unternehmer“ verantwortlich machten für das, was sie nicht verstehen wollen. Lernt man doch in jeder Marx-Einführung – und diese Leute haben sicher eine gelesen – dass, um die Gesellschaft zu verändern, nicht die Verteilung, sondern grundsätzlich die Produktionsweise des gesellschaftlichen Reichtums geändert werden muss. Außerdem ist die Vorstellung, dass die führenden Akteure der kapitalistischen Gesellschaft für diese ursächlich verantwortlich seien, ohnehin gröbster Unfug. Schließlich setzen diese eben „nur“ die sog. „Sachzwänge“ um, die in der unmenschlichen Logik des Kapitalismus angelegt sind: Verwertungszwang und globale Konkurrenz. Wenn wir also dazu aufrufen, am 26. Februar den reaktionären Gipfel in der Alten Oper zu besuchen, so ist dies keineswegs so zu verstehen, dass wir die Ballgesellschaft verantwortlich machen für den Kapitalismus. Wenn wir gegen die aktuell verantwortlichen Akteure des Sozialabbaus vorgehen, so ist dies nicht mißzuverstehen als Forderung nach „Lumpen für alle“. Wir wollen keine Gleichheit im Elend, sondern ganz realistisch und dem Anlass angemessen: Luxus und Buffet für alle!

tun hat. Eine „objektiv unterdrückte“ Gruppe von Menschen ist nicht unbedingt geeigneter oder ungeeigneter als andere zur Einsicht in die Mechanismen oder gar zur Überwindung des Kapitalismus. Und auch eine „Verelendung“, wie sie vor längerer Zeit noch als Vorbedingung für „richtiges Bewusstsein“ gehandelt wurde, führt nach Wegfall der organisierten Arbeiterbewegung vielmehr zu Vereinzelung und Brutalisierung als zu emanzipatorischen Einsichten. Spätestens aber seit dem Nationalsozialismus – als

„Es ist also Willensentscheidung und Möglichkeit jedes einzelnen, sich für eine Solidarität jenseits von Nation und Volk ein gutes Leben für alle Menschen zu entscheiden“

Klassenfahrt Während also mit Sozialabbau und Reformhype der „Klassenkampf von oben“ in eine neue Runde geht, stellt sich die Frage, was eigentlich mit dem „revolutionären Subjekt“ aka Arbeiterklasse, die es doch eigentlich richten sollte, los ist. Der Plan ist nicht ganz aufgegangen, denn im Laufe der Geschichte hat sich gezeigt, dass emanzipatorisches Engagement keineswegs automatisch etwas mit der sozialen Stellung in der Gesellschaft zu

auch große Teile der Arbeiterbewegung ihr „Deutschsein“ wichtiger nahmen als die Klassenzugehörigkeit, um gemeinsam mit den ehemaligen Klassenfeinden in der „Volksgemeinschaft“ aufzugehen – verbietet sich der positive Bezug auf eine revolutionäre Klasse „als solcher“. Heute geht es vielmehr darum, gemeinsam gegen die Grundlagen des Kapitalismus an sich vorzugehen. Gemeinsam meint dabei, soweit möglich, eine nichtidentitäre Definition des politischen Projekts für sich, jenseits nationaler Eingemeindung sowie rassistischer und sexistischer Zuschreibungen. Es ist also Willensentscheidung und Möglichkeit jedes einzelnen, sich für eine Solidarität jenseits von Nation und Volk, für den Kampf um ein gutes Leben für alle Menschen zu entscheiden und dies organisiert praktisch werden zu lassen. Die bereits bestehenden Ansätze des Widerstands gegen kapitalistische Verwertung und nationale Standortlogik, wie z.B. die Kampagne Agenturschluss gegen den Start von Hartz IV im Januar mit ihren unterschiedlichsten Aktionsformen, sollten in diesem Sinne auch jenseits der Proteste anlässlich solcher Events wie dem „Opernball“ weiterentwickelt werden. Ein passender und wichtiger Anlass, die Ablehnung der aktuellen gesellschaftlichen Entwicklung deutlich zu machen, sind diese „reaktionären Gipfel“ dennoch. Geht es doch für die Linke schlichtweg darum, öffentlich zu artikulieren: Es muss und darf nicht bleiben, wie es ist. autonome.antifa [f], 01.05


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„deja vu und Geschichtsrevisionismus“ Nachbereitungspapier zu den Aktionen gegen den Opernball

Viel war los, am 26. Februar in Frankfurt. Doch nicht nur der „deutsche Opernball“ für die „Elite“ sorgte für einiges Aufsehen in der Stadt. Auch das Begleitprogramm linksradikaler Gruppen konnte sich durchaus sehen lassen. Die Bildzeitung titelte am folgenden Montag ganzseitig „Krawall weil sie nicht umsonst in die Oper durften!“ und hatte damit auf die ihr eigene Art und Weise eigentlich schon ganz gut verstanden, um was es ging. Doch, wie hatte es überhaupt soweit kommen können? Vorlauf Als bereits im Herbst bekannt wurde, dass der Opernball 2005 unter der Schirmherrschaft des Bundespräsidenten und unter dem Motto „Viva la Vita“ stehen sollte, während laut Angaben der Veranstalter damit auch noch die „beschwerlichen Reformen für unser Land“ gefeiert werden sollten, war klar, dass das eine Antwort erforderte. Also wurde ein linksradikales Vorbereitungsbündnis initiert, dem sich erfreulicherweise schnell Gruppen aus vielen Städten in Hessen anschlossen. Das Ziel war es – in Abgrenzung zu den vorjährigen, hauptsächlich von kirchlichen und gewerkschaftsnahen Kreisen getragenen, lammfrommen Protesten unter dem asketischen Motto „Lumpenball“ – ein deutliches Zeichen gegen Standortnationalismus und Sozialabbau zu setzen. Natürlich nicht ohne darauf hinzuweisen, dass „Luxus für Alle“ und damit die Abschaffung des kapitalistischen Systems das Ziel der Linken sein sollte. Ein System, indem zwar die Produktivität des gesellschaftlichen Reichtums immer einfacher wird, dadurch jedoch die Lebensbedingungen der Menschen immer schwerer, gehört schließlich schon allein deshalb überwunden. Dafür wurde zu einer Demonstration mobilisiert, die vom Frankfurter Haupbahnhof zur Alten Oper führen

sollte, um dort den Protest direkt an das symbolträchtige Event heranzutragen. Dafür wurde mit Aufklebern und Plakaten auch ein ganzes Stück über Frankfurt hinaus mobilisiert. Auch eine eigene Intersetseite wurde eingerichtet unter www.opernball.ainfos.de. Bereits im Vorfeld fanden erfreulich viele kleine Aktionen statt. So wurde z.B. mehrfach die Oper mit Flyern und Transparenten besucht und in der Frankfurter Innenstadt an die interessierten Passanten eine große Anzahl „freier Eintrittskarten“ verteilt, auf denen zum „Sektempfang am Hauptbahnhof, dann gemeinsamer Winterspaziergang zur Oper mit anschließender Feier von NPD Wahlerfolg, Sozialabbau, Bundeswehreinsätzen in aller Welt, etc. pp.“ eingeladen wurde. Zusätzlich tauchten an einigen U-Bahn Stationen in Frankfurt Sprühereien auf, die „Luxus für Alle!“ und „Opernball angreifen!“ forderten und zur Demo aufriefen. Endspurt Zur Demo selbst kamen bei winterlichem Wetter zirka 400 Menschen. Von Hauptbahnhof über die Hauptwache bis zur alten Oper verlief die Demo unspektakulär. Es wurden verschiedene Redebeiträge gehalten, die – wie sollte es auch anders sein – zum Widerstand gegen Sozialabbau und Studiengebühren im Besonderen und Kapitalismus im Allgemeinen aufriefen und Parolen wie „Nie wieder Deutschland“, „Der Kapitalismus ist scheiße wie fast nie, wir wollen den Kommunismus und die Anarchie!“, usw…. gerufen. Als die Demo jedoch an der mit Gittern und einem großen Polizeiaufgebot (inklusive Hunden, Pferden und zwei Wasserwerfer) gesicherten Opern ankam, hinderte die Polizei die Demospitze mit dem Einsatz von Knüppel und viel Geboxe und Getrete daran, sich über die Gitter hinweg direkt ans Buffet zu begeben. Diese Unverschämtheit ließen sich einige Demonstranten nicht zweimal sagen und begaben sich auf die Mainzer Land-


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straße um die anreisenden Ballgäste auf diesen Skandal aufmerksam zu machen. Doch auch hier setzten die Cops u.a. mit Pferden nach. In den anschließenden Tumulten gingen bei der Deutsche Bank-Zentrale ein paar Scheiben zu Bruch. Auch der Bauzaun des Züricher Hochhauses landete komplett auf der Strasse. Des weiteren sollen einige „hochwertige PKWs“ von anreisenden Ballgästen sowohl Scheiben als auch Außenspiegel und ähnliches verloren haben. Währendessen nahm die Polizei, teilweise sehr brutal und vollkommen willkürlich, mindestens acht Leute in Gewahrsam. Auch wurden zwei Demonstranten durch die äußerst aggressiven Polizeihunde gebissen. Was die da zu suchen hatten, ist uns ohnehin ein Rätsel… Den Polizeimeldungen zufolge wurde auch ein Bulle verletzt. Pressemeldungen nach, war das Chaos jedenfalls auch der Grund dafür, dass Koch, Bouffier und der Rest des hessischen Landeskabinetts nicht über den roten Teppich, sondern durch einen Hintereingang in die Oper gingen. Nachdem sich die Lage wieder ein wenig beruhigt hatte, ging die Kundgebung vor der Oper noch bis 20 Uhr weiter. Unter dem Motto „Wenn ihr uns nicht auf eure Party laßt, lassen wir euch auch nicht auf eure Party!“ hatten aber einige Ballgäste, die sich unbedingt mitten durch die Demo zu Roland Koch und Konsorten drängeln wollten, einige Probleme, mit ihrer Abendgadrobe unbeschadet in die Oper zu gelangen. Für die dürfte sich zumindest die Ansage des Ballveranstalters, dass „immer wenn eine Demo sei, der Ball besonders schön wäre“ nicht erfüllt haben. Nach der Auflösung der Kundgebung zog noch eine Gruppe von ungefähr 30 Mensche parolenrufend und immer

gefolgt von viel Polizei über die Zeil und durchs Ostend. Nachspielzeit Wie aus der Zeitung zu entnehmen war, war damit das Begleitprogramm anscheinend noch nicht zu Ende. Ein großes Polizeiaufgebot lößte nach Mitternacht eine „illegale Party“ auf dem Gelände der Henni-

den verschiedenen Vorbehalten ist es unabdingbar für die radikale Linke, nicht nur im stillen Kämmerlein zu werkeln, sondern sich auch in die Öffentlichkeit zu stellen und die Gesellschaft mit ihren Forderungen zu konfrontieren – und zu stören. Dafür eignen sich symbolische Anlässe wie der deutsche Opernball, gerade in einer Situation wie die-

„Ein kleiner Erfolg für eine hiesige linksradikale Mobilisierung, abseits von ‚anti-nazi Themen‘. Schließlich war die Aktion klar antikapitalistisch ausgerichtet“ gerbrauerei in Sachsenhausen auf. Einige Partygäste gaben gegenüber den Bullen an, „schwarzgekleidete Personen hätten ihnen die Flyer zur Party in der Innenstadt in die Hand gedrückt.“ Und die FNP berichtete am Montag, „Chaoten“ hätten am Samstagabend im frankfurter Nordend einen Porsche in Brand gesetzt. Resümee Alles in allem dürfen es nach optimistischen Schätzungen schlussendlich an die 400 Leute gewesen sein, die sich an den Aktionen gegen den Opernball beteiligt haben. Im Vergleich zu den letzten Jahren sicherlich ein kleiner Erfolg für eine hiesige linksradikale Mobilisierung, abseits von „Anti-Nazi“ Themen. Schließlich war die Aktion klar antikapitalistisch ausgerichtet. Trotzdem immer noch viel zuwenig Beteiligung angesichts des Anlasses und der reaktionären gesellschaftlichen Entwicklung. Auch innerhalb der linksradikalen „Szene“ wäre da sicherlich noch mehr drin gewesen. Bei allen verschiedenen „Themenfeldern“ und

ser – in der alle dazu auffordern für „unser“ Land den Gürtel enger zu schnallen – besonders gut, zumal die Message jenseits jeder platten Verzichts- und „geht arbeiten“-Ideologie selbst in den Medien rüber kam. Bereits im Vorfeld wurde eine Pressemitteillung in der FR abgedruckt. Weitere Lokalblätter wie das Journal machten gar kleine Interviews und auch die Internetseite des Bündnisses wurde in mehreren Zeitungen veröffentlicht. Die Agenturen brachten nach den Aktionen teilweise sogar das ganze Demomotto und vom Badischen Anzeiger bis zur Osthessischen Wochenblatt kam rüber, dass das Ziel des Protestes nicht „Luxus an sich“, sondern eine Gesellschaft war und ist, in der es Luxus eben nicht für alle geben kann. Und dass wir nichts davon halten, uns für „unseren“ Standort oder „unser“ Vaterland einspannen zu lassen. Es ist also durchaus möglich auch solche „old-school“-Anlässe wie den Opernball zu nutzen, um linksradikale Inhalte zu transportieren. Symbole gegen Symbole


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eben. Klar, dass die Auseinandersetzungen von den Medien begierig aufgegriffen und aufgebauscht wurden. Man sucht das Spektakel. Positiv ist es trotzdem, dass einige Leute sich abseits der eingetretenen Pfade bewegten und die Bullen ein wenig auf Trab gehalten wurden. Positiv war vor allen Dingen aber auch, dass es trotz inhaltlicher Differenzen gelungen ist, ein linksradikales Vorbereitungsbündnis zu schaffen. Solche auf die praktische Kritik und die kritische Praxis gerichtete Zusammenarbeit sollte auf jeden Fall ausgebaut werde. Es gibt schließlich viel zu tun. Disko Schon im Vorfeld löste insbesonders unser Aufruf zur Demo gegen den Opernball einige Diskussionen aus. Schon das finden wir positiv. Im folgenden noch einmal kurz ein paar Anmerkungen dazu aus unserer Sicht: 1. Aus „antideutschen“ Kreisen kam der Vorwurf, wir würden „billigen Populismus“ betreiben und außerdem wäre unser Ansatz, zu konkreten Anlässen mit allen linken Gruppen zusammenzuarbeiten, mit denen das vernünftig möglich ist, der Versuch, inhaltliche Differenzen zugunsten einer linken „Bewegungsfamilie“ einzuebnen. Wir halten es allerdings nach wie vor für richtig, nicht auf eine zu schaffende „richtige Linke“, sondern vielmehr auf die falsche Gesellschaft zu zielen. Ausserdem kann eine gemeinsame Praxis und die Auseinandersetzung darüber sicherlich mehr zur Findung einer vernünftigen Position beitragen, als der Versuch, erstmal eine richtige, endgültige Position zu finden und dann etwas zu tun. Wir denken, dass es sinnvoller ist, die eigene Ratlosigkeit einzugestehen und zu experimentieren. Learning by doing. Zumal die gesellschaftliche

Entwicklung es der radikalen Linken schlichtweg nicht erlaubt, sich einfach rauszuhalten und in ihrer Handlungsunfähigkeit auszuruhen. Das alles – aber natürlich – nur unter der Vorraussetzung, dass gewisse inhaltliche Mindeststandarts gewahrt und deutlich werden. Dies hat beim Opernball, schon gemessen an der Art und Weise des Pressechos, funktioniert. 2. Die linke Wochenzeitung Jungle World betitelte ihren (kleinen) Artikel mit „Deja vu“: Autonome, Reiche, ein bischen Randale, Opernball,… also same procedure wie immer? Nein. Natürlich sind die Assoziationen bei solch einem Anlass bis zu einem gewissen Punkt vorgegeben. Es liegt aber schon an den Akteuren, wie der vorgegeben Bedeutungshorizont ausgefüllt wird. Es ist also durchaus ein Unterschied, ob mensch zum Opernball geht, um sich gegen die „Bonzen und Strippenzieher“ auszukotzen oder „mehr Arbeit“ und „gerechte Steuern“ zu fordern oder eben „Luxus für ALLE“ – und die Abschaffung des Kapitalismus auf die Tagesordnung gesetzt wird. In der jetzigen Situation kann ein Event wie der Opernball nur ein Symbol und der Protest dagegen wohl bestenfalls gelungenes Marketing für ein kommunistisches Begehren sein. Schließlich sind selbst Koch und Co nicht ursächlich verantwortlich „für die ganze ökonomische Scheiße“ (Marx). Die strukturelle und alltägliche Gewalttätigkeit der Gesellschaft aber zu veröffentlichen, die nationale Sozialpartnerschaft zumindest symbolisch aufzukündigen – und sei es gerade dadurch, dass die Exekutoren des „Sachzwanges“ oder diejenigen die unbedingt mit ihnen zu diesem Zeitpunkt und Ort feiern wollen, gestört werden – ist in diesem Sinne ganz richtig.

Ohnehin ist die Überwindung der kapitalistischen Gesellschaft letztendlich wohl nicht allein durch Aufklärung, sondern auch durch einen personalisierten Akt zu haben: Die Enteignung und Vergesellschaftung des Eigentums an Produktionsmitteln. Und dagegen stehen in letzter Konsequenz immer noch keine Sachen, sondern reale Personen, die dies – aus verschiedensten Gründen – wohl verhindern werden wollen. Wer dies vergisst, zieht sich selbst den kapitalismuskritischen Stachel. Dass es aktuell offensichtich keine Bewegung oder gar ein „revolutionäre Subjekt“ zu bennen gibt, das dies leisten könnte oder gar müsste, ist klar, und im Angesicht der Geschichte auch eine überfällige Lehre. Trotzdem bleibt mit Adorno festzuhalten: „So undurchdringlich der Bann scheint, er ist nur Bann.“ 3. Die Gruppen Libertad, die auch im Vorbereitungsbündnis beteiligt war, erklärte in ihrem Redebeitrag: „Es ist neue Mode, sich selber und andere zu geisseln mit so Schlagworten wie „Antiamerikanismus“, oder – noch besser – „verkürzte Kapitalismuskritik“. (…) Wir sind durchaus der Meinung, dass es Grund für Klassenhass und Sozialneid gibt – und wir halten dies auch nicht für einen schlechten Charakterzug. Das will man uns einreden“ Schon im Vorfeld der Demo war es auch mit anderen Zusammenhängen zur Diskussion um unsere Aufruf gekommen, die ein wenig in die gleiche Richtung gingen. Dabei wurde uns wegen der Äußerungen zur „Klassenfrage“ und zum Verhältnis von deutscher Arbeiterbewegung und Nationalsozialismus „Geschichtsrevisionismus von Links“ vorgeworfen. Wir halten die oben zitierte Einschätzung von Libertad für grundfalsch – und fatal dazu. „Verkürzte Kapitalismuskritik“ und


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„Antiamerikanismus“ sind keine „Schlagworte“, sondern zentrale Bestandteile der deutsch-europäischen (national) Identität mit welcher der Weg zur Großmacht organisiert wird. Das die Amis dem „Rauptierkapitalismus“ fröhnen, wogegen Europa sozial und friedlich sei, „weiß“ man in Deutschland schließlich von der PDS bis hin zur NPD. Und verkürzte Kapitalismuskritik ist kein Hirngespinst, sonern in Form der Globalisierungsbeegung oder was sich dafür hält, Teil des gesellschaftlichen Mainstreams geworden. Ein Unbehagen am „ganzen Kommerz“, der „Dekadenz der Reichen“ und dem Finanzkapital ist in Mode – vom Kulturbetrieb bis hin zur SPD. Wer dagegen nicht Stellung bezieht, sondern sich von der Feststellung, dass die Abschaffung des Kapitalismus mehr erfordert als die Reprodukion einer einfachen Schwarz-Weiß Logik, „gegeißelt“ fühlt, tut sich als AntikapitalistIn selbst keinen Gefallen. Der Versuch, die Leute ständig da abzuholen, wo sie stehen, ignoriert die Erfahrungen der Geschichte der radikalen Linken und bedeutet nur allzu oft, sich mit reaktionärem Mist zu arrangieren (siehe auch unser Text in Phase 2.15; „Das Wort zum Sonntag“). Statt den Leuten ständig etwas anzubieten, um sich mit ihnen identifizieren zu können, ist es die Aufgabe der radikalen Linken, die nur allzu gut funktionierende Vermittlung der einzelnen Menschen mit den Verhältnisse anzukratzen. Wenigstens, dass die Befreiung der Unterdrückten heute oftmals gegen die Unterdrückten gefordert werden muss, sollte zur Kenntnis genommen werden. Spontanen Regungen wie „Neid“ ist zu misstrauen. Schließlich erklärt der Neid auf das Auto des Nachbarns über die Funktionsweise dieser Gesellschaft rein gar nichts. Mit

dieser sollte sich aber auseinandersetzen, wer an ihr grundsätzlich etwas ändern will. Sonst kommt man in den bestehenden Zuständen eher dazu, dem Nachbarn irgendwelche „üblen Machenschaften“ zu unterstellen, als überhaupt eine Kritik der Gesellschaft zu entwickeln, ohne die eine wirklich gesellschaftsüberwindende Praxis auch nicht zu machen

die Nazis einen rücksichtslosen Terror gegen ihre Gegner ausübten und Widerstand gerade in den späteren Jahren ein lebensgefährliches Unterfangen war, bestreitet niemand. Ohnehin wollen wir uns kein moralisches Urteil über die damaligen Widerstandspraxen anmaßen. Politisch jedoch halten wir es für zentral, nicht weiter identitäre Mythen hoch-

„Und verkürzte Kapitalismuskritik ist kein Hirngespinst, sondern in Form der Globalisierungsbewegung Teil des gesellschaftlichen Mainstreams geworden“ sein wird. Zwischen die gesellschaftliche Realität und die persönliche Ideologisierung dieser ein Moment der kritischen Reflektion zu schalten, sollte eigentlich das Ziel der Linken sein. Wer desweiteren den „Vorwurf“ ein großer Teil der Arbeiterbewegung wäre letztlich in der Volksgemeinschaft aufgegangen, als „Geschichtsrevisionismus von Links“ abtut, der ignoriert u. M. nach das gesellschaftliche Ausmaß des Verbrechens, für das der Name Auschwitz steht. Jenseits der zahlreichen Beispiele – wie etwa des 1.Mai 1933 als Gewerkschaftsspitze, die sich im vor rauseilenden Gehorsam selbst von Juden „gereinigt“ hatte, zusammen mit den Nazis zum nationalen Tag der Arbeit rief und Zehntausende kamen – steht die Grösse und der selbst formulierte Anspruch der Arbeiterbewegung in keinerlei Relation zum eher seltenen Widerstand gegen die Nazis. Dass es diesen trotzdem gab und dieser zum großen Teil und auch militant aus den Reihen der Arbeiterbewegung organisiert wurde, ist damit gar nicht in Abrede gestellt. Auch dass

zuhalten und zur analytischen Tagesordnung überzugehen. Eine Klasse im Marxschen Sinne, die eine Revolution machen könnte – welche den Namen auch verdient – ist also jedenfalls keine, die als gegeben angenommen werden kann, sondern müsste eine sein, die schlichtweg erst noch zu schaffen ist. Schließlich ist, nachdem die objektiven, gesellschaftlichen Möglichkeit des „Nach dem Kapitalismus“ gegeben ist, der Austritt aus der menschlichen Vorgeschichte notwendigerweise für den Menschen „nur“ ein rein „voluntaristischer Akt“. Nicht gesagt ist damit jedoch, dass dies eine einfache Entscheidung wäre. Vielmehr ist es eben keine allein durch die Entscheidung zu beziehende Position „an sich“, sondern nur der Beginn eines kämpferischen Prozesses. Über das Wie zu einer Klasse „für sich“ zu finden ist, wäre also zu reden und wohl auch zu streiten. Nicht jedoch über das Ob. autonome.antifa [f], 03.05


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„Luxus für Alle“ Die autonome.antifa [f] zur Aktionsreihe gegen die Innere Aufrüstung und den Standort Deutschland

Introduction Am 25. Februar 2006 findet der „Deutsche Opernball“ in Frankfurt mit illustren Gästen der sogenannten Elite aus Politik und Wirtschaft statt, um die „beschwerlichen Refomen“, also den Abbau sozialer Rechte und die Aufrüstung der Überwachungsgesellschaft für den Standort Deutschland zu feiern. Für uns ist das mal wieder Anlass, bei diesem Termin und davor zu Gegenaktionen und Veranstaltungen wider die innere Aufrüstung im Besonderen und den Standort Deutschland im Allgemeinen aufzurufen. Eine fortschrittliche Perspektive liegt schließlich nicht im konstruktiven Mitmachen an der – heutzutage als „Reformen“ verbrämten – Zurichtung der Menschen für die Verhältnisse von Nation und Kapital, sondern nur darin, die Geschichte endlich in die eigenen Hände zu nehmen. Und das setzt heutzutage für die antifaschistische Linke vor allem eins voraus: Die maßgeblich aus der Mitte der Gesellschaft betriebene reaktionäre Formierung zum nationalen Standort zu sabotieren. Denn Antifaschismus an sich – das haben spätestens der sogenannte „Aufstand der Anständigen“ im Jahr 2000 oder zuletzt der 8. Mai diesen Jahres, als Deutschland sich selber feierte, gezeigt – ist nicht revolutionär. Wenn er es sein soll, muss er die unterschiedlichen reaktionären Stützpfeiler dieser Gesellschaft angehen – und zwar, ohne zu glauben, durch den notwendigen Kampf gegen die Nazis wäre die ebenso notwendige radikale Gesellschatskritik gleich schon mit eingekauft. Und die ist nun mal nicht zu umgehen, wenn der Mensch nicht bis zum Ende aller Zeit ein „verächtliches, verlassenes, ... Wesen“ sein soll. Reaktionäre Formierung – Sozialabbau ... Die sogenanten Reformen namens Hartz IV, Agenda 2010 oder wie sie alle heißen, haben – wer hätte damit gerechnet – nicht das Ziel, den einzelnen Menschen ein glücklicheres Leben zu ermöglichen. Stattdessen wird unverholen gedroht: Es müsse darum gehen, den

Menschen „wieder Arbeit zu geben“ – ist man sich einig in der Großen Koalition zur Rettung des Vaterlandes, das heute Standort heißt. Die Verwertungsbedingungen des nationalen Kapitals im globalen Wettebwerb sollen verbessert werden; auch zum Wohle des Staates, dessen Kassen bekanntlich leer sind. Dafür „müssen“ Studiengebühren eingeführt, soziale Sicherungen abgebaut, Mitbestimmungsmöglichkeiten beschänkt, Menschen in den Arbeitsdienst gezwungen werden, usw. Verschärft werden damit also nur die ohnehin schon unmenschlichen Verhältnisse, in denen die Menschen grundsätzlich nicht nach den Maßgaben ihrer Vernunft und in freier Übereinkunft, sondern irrational für den kapitalistischen Verwertungsprozess arbeiten und leben. Und das, obwohl beim heutigen Stand der Produktivkräfte, also praktisch möglich viel weniger unmenschliche und nervtötende Arbeit nötig wäre. Das Anliegen, den Standort Deutschland gegen die Interessen der einzelnen Menschen fit zu machen für die Anforderungen des globalen Kapitalismus, führt dabei – trotz dem ganzen Gerede von Freiheit, Fortschritt und Flexibilisierung – keineswegs zu mehr Freiheit und Fortschritt für die einzelnen Menschen. Vielmehr handelt es sich bei diesem Prozess um eine reaktionäre Entwicklung, welche die, bisher gegen die Herrschaft erkämpften Standards sang- und klanglos einkassiert, sich aber als „neues“ Projekt gibt. Dem zu Grunde liegt nicht nur ein Propagandatrick, der mit vielen Kampagnen und großem Aufwand alten Wein in neuen Schläuchen verkaufen will, sondern wohl auch ein Mißverständnis innerhalb der Linken: Denn so sehr den, im Sozialstaat materialisierten Verbesserungen immer noch die schlechten Verhältnisse zugrunde lagen und liegen; – diese also auf dem rassistischen Ausschluß von MigrantInnen, nationaler Befriedung, dem Zwang zur Lohnarbeit und der gewerkschaftlichen Glorifizierung derselben und überhaupt dem Verhängnis basieren, am laufenden Band unsinnige Produkte und sinnentleerte Menschen produzieren zu müssen – so waren und


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sind sie doch erst die Voraussetzung für emanzipatorische Prozesse. Die Abwesenheit unmittelbarer Not schuf für viele – insbesondere Frauen – erst die Möglichkeit, sich der unmittelbaren Unterdrückung durch Familie und Andere ein wenig zu entziehen; die Option, den angeblich „natürlichen“ Platz innerhalb der „schicksalhaften Gesellschaft“ verlassen zu können. Wenn durch den Abbau der sozialen Rechte im post-sozialstaatlichen Deutschland das gesellschaftlich produzierte Elend wieder stärker privatisiert, also auf den Schultern des Einzelnen lastet, kehren dementsprechend – keineswegs paradoxer Weise – die alten „Werte“ von Familie, Religion und Nationalstolz zurück. Gesellschaft wird zum Schicksal. Wo die, im Sozialstaat ohnehin minimale Kontrolle des Menschen über die, von ihm ja selbst geschaffene, „Natur“ des Kapitalismus wieder stärker deren angeblichen Sachzwängen weicht, kriecht der Irrationalismus aus allen Ecken der bürgerlichen Gesellschaft. Kein Wunder also, dass die CDU im Wahlkampf („Sozial ist was Arbeit schafft“) mit einem geupdateten Slogan der Deutschnationalen Volkspartei (DNVP) von 1931 („Sozial ist wer Arbeit schafft“) hausieren ging. Jener Partei übrigens, die sich dann 1933 gleich freiwillig in die NSDAP auflöste. Nun läßt sich der, überall „sprudelnde Irrationalismus“ jedoch auch nicht mit seinen eignen Waffen schlagen: Der Nationalstaat (und wenn er als Europäische Union daher kommt), also jener Apparat, der das falsche Ganze durch Gewaltmonopol und Schutz des Privateigentums an Produktionsmitteln am Laufen hält, kann – entgegen den Vorstellungen von Linkspartei und Co. – wie die Geschichte gezeigt hat, kein Bezugspunkt für Verbesserungen sein. Vielmehr ist

er ein zentraler Teil des Problems. Eine fortschrittliche Perspektive kann sich nicht positiv auf den Staat beziehen, sondern muss die sozialen Rechte mit der Perspektive auf ihre Überwindung verteidigen. ... und Innere Aufrüstung Ist gegen den Abbau der sozialen Rechte und der damit verbundenen

gen“ des Standortes entsprechend – nur noch als polizeiliche Probleme wahrgenommen und kriminalisiert. Die wachsende Masse der, für den Standort, überflüssigen Menschen muss schließlich kontrolliert werden. Andererseits verstärkt diese Entwicklung auch das, in diesem Land ohnehin bestehende autoritäre Bild von Mensch und Gesellschaft,

„Eine fortschrittliche Perspektive liegt schließlich nicht im konstruktiven Mitmachen an der Zurichtung der Menschen für die Verhältnisse von Nation und Kapital“ Ideologie vom Recht des Stärkeren jedoch noch eine mehr oder weniger starke Opposition wahrnehmbar gewesen, so geht die Umsetzung der zweiten Seite der Medaille des Standorts Deutschland fast gänzlich unbemerkt vor sich: Der Ausbau von Überwachungstechniken im Alltag (z.B. Kameraüberwachungen, private Sicherheitsdienste, massive Einschränkung von demokratischen Bürger- und Grundrechten, die Einrichtung von sogenannten Bürgerpolizeien, großangelegte Razzien gegen MigrantInnen, Repression gegen Fussballfans, Kontrolle von Sozialhilfeempfängern, der Ausbau der polizeilichen Befugnisse); zusammen genommen eine Entwickluung, die sich treffend als Innere Aufrüstung skizziern läßt – all dies wird weitgehend kommentarlos hingenommen. Abgesehen von einigen Bürgerrechtlern und Verfassungssrichtern ist selten überhaupt Protest wahrnehmbar. Dabei sind die Auswirkungen dieser Entwicklung nicht zu unterschätzen: Einerseits werden die, sich verschärfenden sozialen Konflikte – den „Sachzwän-

in dem Abweichungen von der Norm tendenziell als Problem gelten. Das bemerkte sogar die, einer linksradikalen Position sicherlich unverdächtige, Bundesverfassungsrichterin Hohmann-Dennhardt, die letztes Jahr in ihrer Entscheidung zum „Großen Lauschangriff“ erklärte: „Es geht nicht mehr darum, den Anfängen, sondern dem bitteren Ende zu wehren, an dem das, durch solch eine Entwicklung erzeugte Menschenbild einer freiheitlichen Demokratie nicht mehr entspricht“. Kein Zufall ist es dementsprechend auch, dass z.B. der ehemalige Arbeitminister Clement (SPD) eine Broschüre herausgeben ließ, in der sogenannte „Abzocker“ und arbeitsunwillige „Hartz IVBetrüger“ in faschistoider Art mit „Parasiten“ verglichen werden. Hier zeigt sich deutlich, wie die ach so moderne „neue Mitte“ im Zuge der Politik für den nationalen Standort Positionen der extremen Rechten integriert. Doch lässt sich der Ausbau von Polizeistaat und Überwachungsgesellschaft nicht allein aus der ökonomischen Entwicklung


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und der sich daraus ergebenden kapitalistischen Notwendigkeit zur repressiven Aufrechterhaltung der Geschäftssicherheit ableiten: Schließlich geht es – parallel zur sinkenden Gestaltungsfähigkeit des Staates in Bezug auf die Kontrolle über polit-ökonomische Prozesse – auch darum, noch Handlungsfähigkeit zu suggerieren. Trotz sinkender Kriminalitätszahlen versucht der Staat, gerade auf diesem Feld mit der Inneren Aufrüstung Handlungskompetenz zu beweisen, die ihm auf allen anderem Gebieten nach dem postulierten „Ende der Geschichte“ abgeht. Am Ende der angeblichen „Deregulierung“ für den Standort Deutschland jedenfalls, sind die Menschen noch verwalteter, überwachter und kontrollierter als bereits zu vor. Der Widerstand dagegen ist also nicht zuletzt schon aus logischen Gründe eine Frage der intellektuellen Selbstverteidigung. Was tun: fight the players. fight the game. Zurecht hat die antifaschistische Linke angesichts verkürzter Kapitalismuskritik innerhalb der reformistischen Linken in letzter Zeit immer wieder darauf hingewiesen, dass der Kapitalismus ein apersonales Herrschaftssystem ist; dass gesellschaftliches Elend also nicht im moralischen Fehlverhalten einzelner Personen, wie z.B. Korruption oder Profitgier, sondern in den Zwängen des Kapitalismus begründet liegt; der Austausch und/oder die Beseitigung einzelner Entscheidungsträger für sich also sicherlich nichts zum Besseren wenden würde. Einher ging diese richtige Erkenntnis mit der Zurkenntnisnahme der Tatsache, dass „das Volk“ und „die kleinen Leute“ keineswegs an sich die Guten sind, sondern vielmehr oft nichts besseres wollen als das, was sie bekommen. Sie werden nicht nur

belogen, sondern wollen dies auch. Linke „Weisheiten“ müssen demnach immer wieder auf den Prüfstand gestellt werden. Als Essenz einer, aus dem revolutionären Antifaschimus kommenden, antinationalen Auseinandersetzung mit den Wirkungsformen von Ideologie ist diese kritische Position ein inhaltlicher Fortschritt gewesen, den die Linke – wenn sie sich ernst nimmt – nicht mehr hintergehen darf. Allerdings hat sich im Windschatten dieser Entwicklung eine Position gebildet, welche der Kritik tendeziell selber den kapitalismuskritischen Stachel zieht: Postuliert wird hier letztlich, dass der Kapitalismus als apersonales System nur noch als solches und entsprechend abstrakt kritisert werden dürfe; Aktionen sollten sich demnach auf fast universitäre „Aufklärung“ beschränken und gegenüber Eliten bzw. Entscheidungsträgern – und die gibt es – keinen Konfrontationskurs fahren. Ganz so, als ob die Dummheit der Beherrschten ein Argument für die formal Herrschenden wäre. Diese Sichtweise stellt sich nicht den Anforderung an eine fortschrittliche Kritik, welche ihre Wahrheit nicht in der idealistischen Reflexion, sondern nur in der progressiven Veränderung der Verhältnisse finden kann. Auch wird dabei sträflicherweise übersehen, dass – so sehr im Kapitalismus Geschichte hinter dem Rücken der Menschen passiert – sie doch nur durch diese vollzogen wird. Um es mit dem unvermeidlichen Adorno zu sagen: „So undurchdringlich der Bann scheint, es ist nur Bann“. Übersetzt: Ohne players kein game. Gründe für das Ausbleiben der überfälligen Revolution sind schließlich nicht deren technische oder „natürliche“ Unmöglichkeit, sondern neben den Irrtümern der Linken auch die Niederlagen im Kampf gegen jene, denen die objektive Hölle auf Erden

aus was für Gründen auch immer ihr subjektives Himmelreich ist. Es sind also sehr wohl immer noch Menschen und von ihnen geleitete Institutionen, die als Akteure und Entscheidungsträger die Verhältnisse verwalten, aufrechterhalten und verschärfen – und dementsprechend dafür angegangen werden sollten. Um die Gesellschaft radikal zu verändern gilt es also, kontinuierlich gesellschaftliche Kräfteverhältnisse umzustürzen und – zur Zeit nur symbolische – Auseinandersetzungen zu gewinnen. Wer in diesem Zusammenhang meint, standortnationalistische Kampagnen führen oder legitimieren zu müssen und die Innere Aufrüstung vorantreibt, der ist aus emanzipatorischer Perspektive vor allem eins: Der politische Feind. Und sollte demnetsprechend auch – ganz „personalisiert“ – so behandelt werden. In diesem Sinne rufen wir dazu auf, die Grundpfeiler der reaktionären Formierung des Standortes Deutschland anzugehen und den Akteuren der inneren Aufrüstung deutlich zu machen, dass es so, wie es ist, nicht bleiben darf. Opernball 2006 Am 25. Februar findet in Frankfurt am Main zum 25. Mal der „Deutsche Opernball“ statt. Hier treffen sich viele „Stars“ aus Politik, Wirtschaft und Kulturbetrieb um die beschwerlichen „Reformen“ für den Standort Deutschland zu feiern. Nachdem es nach langer Zeit schon im letzten Jahr wieder zu Protestaktionen der radikalen Linken kam, rufen wir auch in diesem Jahr dazu auf, die beschwerlichen Refomen zur inneren Aufrüstung des Standorts Deutschland aus der einzigartig erfrischend anderen Perspektive zu thematisieren. autonome.antifa [f], 11.2005


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„Die Reaktionäre Formierung“ Ein Interview über Ansatzpunkte für linksradikale Kritik im Allgemeinen und die Mobilisierung zum Opernball im Besonderen

Der Begriff der reaktionären Formierung wurde von der Gruppe autonome.antifa [f] in ihrem Aufruf zur „redefine resistance“-Demonstration in Frankfurt, Ende Oktober 2004, geprägt.

Also die Zunahme von Repression und Überwachung, von euch als „Innere Aufrüstung“ bezeichnet. So weit, so gut. Doch wie hängen Sozialabbau, Innere Aufrüstung und der Opernball zusammen?

Ein Interview mit einem Mitglied der Gruppe aus Frankfurt / Main.

Hier liegt der Bezug zur „redefine resistance“-Demonstration nahe, da genau dies ihr Ausgangspunkt war. Nämlich der Versuch, sich mal ganz ohne symbolischen Anlass (wie etwa dem 1. Mai, dem 3. Oktober oder eben dem „Deutschen Opernball“) gegen das „falsche Ganze“ im Algemeinen und den Standort Deutschland im Besonderen zu wenden. Um eben jenen Zusammenhang angehen zu können, thematisierten wir Sozialabbau, Geschichtsrevisionismus und Sicherheitswahn als drei hervorragende Merkmale der gesellschaftlichen Entwicklung zum Standort Deutschland. Die Gesamtheit dieser Entwicklung in den unterschiedlichen „Teilbereichen“ beschrieben wir als reaktionäre Formierung. Natürlich, das sind nur Beispiele. Aber als solche sind sie geradezu prädestiniert dafür, die strukturelle Barbarei des Alltags unter den Bedingungen von Kapitalismus und Nation aufzuzeigen. Immerhin handelt es sich hierbei um Entwicklungen, die einerseits aktuell und deren Ursachen andererseits in eben jenen Bedingungen zu finden sind. Um aber auf die Zusammenhänge zurückzukommen, zitiere ich aus dem Aufruf: „…vielmehr erweist sie (die Linke) sich als Teil des Problems, wenn sie die kapitalistische Vergesellschaftung faktisch in mundgerechte ‚Teilbereiche’ zerlegt und so die Möglichkeit verhindert, der gesellschaftlichen Entwicklung als falschem Ganzen auf die Pelle zu rücken. Ohne die Entwicklung des globalen Kapitalismus ist der aktuelle Abbau der letzten sozialen Rechte schließlich ebenso wenig zu erklären, wie auch die mehr oder weniger begeisterte Unterordnung der Menschen unter die sogenannten Sachzwänge des deutsch-europäischen Standortes, ohne die Umdeu-

Die Mobilisierung zum „Deutschen Opernball“ 2006 gehört zu einer Aktionsreihe gegen Innere Aufrüstung und den Standort Deutschland. Dies scheint nur bedingt etwas mit dem Begriff „Luxus“ zu tun zu haben, der bei einem Ereignis wie dem Opernball doch zentral ist. Schmeißt Ihr da nicht Sachen durcheinander, die nicht zusammen gehören? Nein, sicher nicht. Vielmehr zeigt sich in darin die Verbundenheit all dieser Themen. Letztes Jahr war es inhaltlich konkreter, der Aufruf gegen den Opernball beschäftigte sich direkt mit dessen Motto „Viva la vita“. Zu einer „Feier des positiven Lebensgefühls“ als „farbenfrohem Kontrastpunkt zu den beschwerlichen Reformanstrengungen landauf landab“ (so der Veranstalter) war es naheliegend, den Widerspruch zwischen potentiellem Luxus für alle und realem Sozialabbau als inhaltlichen Ansatzpunkt für die antikapitalistische Mobilisierung zu wählen. Wenn uns diesmal kein so naheliegendes Motto geboten wird, dann ist es nur richtig, das vielbeachtete Thema Sozialabbau als Herleitung für Kapitalismuskritik etwas zurückzustecken und uns auch andren Dingen zuzuwenden. Gerade wenn sie dem Focus der Öffentlichkeit und linksradikaler Gegenaktivitäten derart entgangen sind, wie es bei der Inneren Aufrüstung der Fall ist.


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tung der deutschen Geschichte und der dazugehörigen Menschheitsverbrechen in einen moralischen Mehrwert für die Nation nicht funktionieren würde. Ohne die hinter dem Gelaber über ‚Sachzwänge’ durchscheinende Entpolitisierung der Gesellschaft ist wiederum auch eine ‚Sicherheitspolitik‘ nicht denkbar, die gesellschaftliche Konflikte zunehmend nur noch als polizeiliche Probleme wahrnimmt und dementsprechend kriminalisiert. Und ohne einen mit diesen ‚Sicherheitsmaßnahmen’ einhergehenden Diskurs über ihrerseits entpolitisierte

von „beispielhaften Merkmalen für die Formierung des deutsch-europäischen Standortes in der Tauschgesellschaft.“ Grundsätzlich geht es bei so was doch um die Vermittlung linksradikaler Kritik – bei verschiedenen Anlässen. Es werden Ansatzpunkte gewählt, die die Herleitung einer radikalen Kritik zulassen. Hier treten übrigens immer wieder Missverständnisse auf: So ist beispielsweise Antifaschismus an sich nicht revolutionär. Spätestens seit dem Antifa-Sommer ist offensichtlich, dass der durchaus notwendige Kampf gegen die Nazibewegung die ebenso notwendige radikale Gesellschaftskritik nicht gleich beinhaltet. Der Standort Deutschland als neues Vaterland mag modern sein, mit Befreiung hat er gleichwohl nichts zu tun. Daher muss eine radikale Linke, die sich ernst nimmt, sowohl das völkische Projekt der Nazis als auch die „neue Mitte“ ins Visier nehmen. Dies gilt beim „Thema Sozialabbau“ für die reformistische Linke. Ohne Kritik am nationalen Standort ist radikale Gesellschaftskritik generell nicht zu haben. Nun der Bezug zum „Deutschen Opernball“; hier ist es leicht und gut möglich, unsere Kritik deutlich zu machen. Das öffentliche Interesse ist gewiss, der Widerspruch des Luxus-Potenzials zur Realität greifbar. Und dass wir bei einem solchen Anhaltspunkt nicht stehen bleiben, sondern ihn zum Event einer Aktionsreihe gegen Innere Aufrüstung und den Standort Deutschland machen, ist keineswegs zu abstrakt. Denn unser Anspruch besteht immerhin in der revolutionären Umwälzung aller Verhältnisse etc. pp. – und in diesem Sinne greift die Forderung nach Luxus für alle auch den nationalen Standort und dessen reaktionäre Formierung an. Es gibt wenig passendere Ansatzpunkte für eine radikale Linke als eben den Dreh- und Angelpunkt von Kapitalismus und Nation. Und dieser zeichnet sich momentan eben auch besonders durch Innere Aufrüstung aus.

„Spätestens seit dem Antifa-Sommer ist offensichtlich, dass Antifaschismus die ebenso notwendige radikale Gesellschaftskritik nicht gleich beinhaltet“ ‚terroristische Bedrohung’ durch einen der bürgerlichen Gesellschaft äußeren Feind würde sich wahrscheinlich auch nationale Identität weniger erfolgreich bewerben lassen.“ All diese Faktoren stehen in einem, sowohl bewussten als auch unbewussten, Bezug zum nationalen Standort. Und dieser ist als der im Kapitalismus einzig denkbare Prüfstein für das sog. „Allgemeinwohl“ Bezugspunkt aller bürgerlichen Lager. Allgemeinwohl meint hier nicht „Luxus für alle“, sondern die Verewigung des kapitalistischen Elends in der nationalen Identität, die die Staatsbürger nicht zuletzt durch staatliche Gewalt zusammenfasst und „die Anderen“ ausgrenzt, spezifische Interessen der Menschen unter ein nationales Allgemeines subsumiert und so verschwinden lässt. Standortlogik ist also so etwas wie der Dreh- und Angelpunkt von Kapitalismus und Nation heute. Okay. Soviel erst mal zu den Zusammenhängen. Aber ist das nicht etwas zu abgehoben und abstrakt, um konkret gegen – oder für – etwas zu mobilisieren? Geht da nicht der Bezug zu einem Ereignis wie dem Opernball verloren? Natürlich wäre es etwas an den Haaren herbeigezogen, in einer Mobilisierung zum Opernball den Geschichtsrevisionismus hervorzuheben. Es können nicht immer alle Schlechtigkeiten thematisiert werden; diesen Anspruch hatten wir auch mit der redefine resistance-Demonstration nicht. Wir schrieben damals nur

Innere Aufrüstung und auch Sozialabbau sind Dinge, die in letzter Instanz vom Staat bzw. der Regierung umgesetzt werden. Seht ihr hier denn die eigentlichen Protagonisten der reaktionären Formierung? Eine gute Frage – so einfach ist es sicher nicht. Wenn man mal beiseite lässt, dass auch die Reformen der Bundesregierungen auf breite gesellschaftliche Unterstützung zurückzuführen sind und sie insofern – wie


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gesagt – nur letzte Instanz ist, so gibt es doch eindeutig auch eine reaktionäre Formierung der Gesellschaft, die mit dem Staat nur indirekt zu tun hat. Da muss sich gar nicht erst auf die Nazibewegung bezogen werden. So wird z.B. Geschichtsrevisionismus von Institutionen wie dem Bund der Vertriebenen genauso vorangetrieben, wie von den Durchschnittsdeutschen, der entrüstet über „zu wenig“ Beachtung der „deutschen Opfer im Nationalsozialismus“ ist. Es muss schon lange keine BILD-Zeitung mehr gelesen werden, um solche Aussagen auch in Kommentaren und Leserbriefen scheinbar seriöser Zeitungen zu finden. Natürlich bestätigen sich die verschiedenen Akteure so gegenseitig. Und auch die Regierung wird solche Entwicklungen nicht an sich vorüberziehen lassen; Zitate von allen möglichen Politikern – etwa zum D-Day – sind ausreichend bekannt. Das endet dann in einer Umdeutung der Geschichte in Verantwortung gegenüber dem Rest der Welt. So wird eine nationale Identität gestaltet, die nicht mehr mit dem Mangel des Verbrechens behaftet ist, sondern diesen dem Rest der Welt vielmehr noch voraus hat. Das ist dann der Weg des Standort Deutschlands – im europäischen Rahmen – nach oben. Ein anderes Beispiel für die reaktionäre Formierung der Gesellschaft ist der Antiamerikanismus, der etwa bei den „Anti-Kriegs-Protesten“ zu beobachten war. Mit dem Bild Amerikas als Garant für Weltunfrieden und Imperialismus ging eine entgegen gesetzte positive Identität als „deutsch“ in „old europe“ einher. Aber auch Strömungen, die sich gegen die Regierung und damit gegen die aktuelle Standortpolitik wenden, können Teil der reaktionären Entwicklung sein: So zum Beispiel GlobalisierungsgegnerInnen oder MontagsdemonstrantInnen, die zwischen „schaffendem“ und „raffendem“ Kapital unterscheiden, um dann gegen den Sozialabbau „Wir sind das Volk“ zu rufen. Es ist also die hegemoniale gesellschaftliche Entwicklung – ob in Form von Regierungspolitik oder Opposition – die uns als Ansatzpunkt linksradikaler Kritik dient.

mer wieder betont werden. Wenn all die genannten Entwicklungen – Sozialabbau und Innere Aufrüstung – von ihren Machern mit dem Argument gerechtfertigt werden, sie seien nun mal notwendig und der Protest dagegen deshalb nicht auf der Höhe der Zeit, dann ist das falsch und richtig gleichermaßen. Falsch insofern, als dass dadurch eine Alternativlosigkeit der Verhältnisse ersponnen wird. Andererseits hat dieses Gelaber von Sachzwängen auch einen wahren Gehalt: Im kapitalistischen System sind nun mal – unter Drohung des öko-

„Es ist also die hegemoniale gesellschaftliche Entwicklung – ob in Form von Regierungspolitik oder Opposition – die uns als Ansatzpunkt linksradikaler Kritik dient“

Neben den Zusammenhängen, die ja jetzt schon ausführlich diskutiert und zitiert wurden, taucht auch der Begriff der Realität oft auf. Dass die oft zitierten gesellschaftliche Missstände durchaus Sinn ergeben, wenn sie im Kontext eines Standortes im Kapitalismus gesehen werden, muss im-

nomischen Untergangs – bestimmte „Wettbewerbskriterien“ für die Attraktivität des Standortes zu erfüllen. Es ist also einfach verkürzt, all diese Schlechtigkeiten als „Trick der Herrschenden“ zu begreifen. Deshalb beschäftigte sich der Untertitel unserer „redefine resistance“-Demo auch mit dem etwas abstrakten „Realitäten angreifen“. Realität meint im herrschenden Sinne Machbarkeit innerhalb der Regeln des nationalen Standorts, die für uns aber nicht Prüfstein unserer Forderungen sein kann. Schließlich bedeutet dies nicht weniger als die Verewigung eines, bei dem heutigen Stand der Produktivkräfte, schlichtweg überflüssigen Zustands. Orientierungspunkt radikaler Gesellschaftskritik up to date muss daher in Anlehnung an das bekannte Zitat sein, Seien wir unrealistisch – versuchen wir das Mögliche! Allerdings darf diese Erkenntnis nicht dazu führen, dass das natürlich apersonale kapitalistische System nur noch abstrakt kritisiert wird. Eliten und Entscheidungsträger sind, soviel ist klar, nicht die letztendlich Verantwortlichen und treiben die reaktionäre Formierung doch voran. Und als solche sind sie anzugreifen. An dieser Stelle darf emanzipatorische Politik sich nicht selbst ein Bein stellen. Aber genau wie Sozialabbau und Innere Aufrüstung sind auch deren konkrete Akteure und Profiteure Punkte, an denen es anzusetzen gilt. Und wenn sie sich am 25. Februar beim Opernball selbst feiern, sollte linksradikale Kritik nicht fehlen. Vielen Dank für das Gespräch.


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„Gegen den Opernball 2006“ Sozialabbau und Innere Aufrüstung stoppen – Aufruf des bundesweiten Bündnisses gegen den Opernball 2006

Am 25. Februar 2006 findet in Frankfurt am Main der „Deutsche Opernball“ statt, auf dem sich wie jedes Jahr die Elite aus Wirtschaft, Politik und Unterhaltungsindustrie trifft, um – so formulierten sie es im letzten Jahr – die „beschwerlichen Reformen“ der „Agenda 2010“ zu feiern; also den Abbau sozialer Sicherungen, die Einführung von Studiengebühren, die Beschränkung von Mitbestimmungsmöglichkeiten und den – mit Hartz IV eingeführten – Arbeitszwang. Sie feiern die Verschärfung der ohnehin schon unmenschlichen Verhältnisse, in denen die Menschen grundsätzlich nicht nach den Maßgaben ihrer Vernunft und in freier Übereinkunft, sondern für den irrationalen kapitalistischen Verwertungsprozess arbeiten und leben. Und das, obwohl heute – eine rationale Planung vorausgesetzt, die allerdings nur jenseits kapitalistischer Eigenlogik möglich scheint – viel weniger überflüssige Arbeit nötig wäre. Die, als Reformen verbrämte, Zurichtung der Menschen für die Verhältnisse von Nation und Kapital, so sagen sie, sei nötig, um Deutschland fit zu machen für den Konkurrenzkampf im globalen Wettbewerb. Und sie haben recht. Doch genau deswegen wenden wir uns gegen das dahinter stehende Prinzip des Kapitalismus, alles und jeden zu verwerten und in Konkurrenz zueinander zu setzen. Eine fortschrittliche Perspektive liegt schließlich nicht im konstruktiven Mitmachen, sondern nur darin, die Geschichte endlich in die eigenen Hände zu nehmen und im Konkreten die maßgeblich aus der Mitte der Gesellschaft betriebene reaktionäre Formierung zum nationalen Standort zu sabotieren um so dem Ziel einer Gesellschaft, in der alle ohne Angst verschieden sein können und den menschlichen Bedürfnissen endlich Rechnung getragen wird, ein kleines Stück näher zu kommen.

Das schließt auch die andere Seite der Medaille „Nationaler Standort“ ein: Denn parallel zur Aufkündigung des, letztlich auch repressiven, Sozialstaats ist ein massiver Ausbau von Überwachungstechniken im Alltag (z.B. Kameraüberwachung, private Sicherheitsdienste, massive Einschränkung von demokratischen Bürger- und Grundrechten, rassistischer Ausschluss von MigrantInnen, Repression gegen Fußballfans, Kontrolle von SozialhilfeempfängerInnen) zu beobachten; eine Entwicklung, die sich treffend als Innere Aufrüstung bezeichnen lässt. Widerstand regt sich hier kaum, wäre aber bitter nötig. Denn einerseits werden die sich verschärfenden sozialen Konflikte dadurch nur noch als polizeiliche Probleme wahrgenommen und kriminalisiert – die wachsende Masse der, für den Standort, überflüssigen Menschen muss schließlich kontrolliert werden. Und andererseits verstärkt diese Entwicklung auch das in diesem Land ohnehin bestehende autoritäre Bild von Mensch und Gesellschaft, in dem Abweichungen von der Norm tendenziell als Problem gelten. Doch lässt sich der Ausbau von Polizeistaat und Überwachungsgesellschaft nicht allein aus der kapitalistischen Notwendigkeit zur (repressiven) Aufrechterhaltung der Vertrags- und Geschäftssicherheit ableiten: Schließlich geht es dem Staat – parallel zur sinkenden Gestaltungsfähigkeit ökonomischer Prozesse – gerade auch darum, mithilfe des Gewaltmonopols Handlungsfähigkeit zu suggerieren. Trotz sinkender Kriminalitätszahlen versucht der Staat also, mit der Inneren Aufrüstung Handlungskompetenz zu beweisen, die ihm auf allen anderem Gebieten nach dem postulierten „Ende der Geschichte“ abgeht. Für uns bedeutet das – mit der unhintergehbaren Analyse im Hinterkopf, dass der Kapitalismus ein apersonales Herrschaftsverhältnis ist – die konkrete Ausein-


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andersetzung mit denen zu suchen, denen die objektive Hölle auf Erden aus was für Gründen auch immer ihr subjektives Himmelreich bereitet. Es sind schließlich immer noch Menschen, durch die Gesellschaft verändert oder eben reproduziert wird. Notwendig ist also der politische Kampf gegen jene, die entgegen der faktischen Möglichkeit von Luxus für alle Sozialabbau predigen und die Innere Aufrüstung vorantreiben. In diesem Sinne rufen wir Euch dazu auf, (nicht nur) im Rahmen dieser Aktionsreihe, die Grundpfeiler der reaktionären Formierung des Standortes Deutschland in jeder Stadt anzugehen und den Akteuren von Innerer Aufrüstung und Sozialabbau vor Ort deutlich zu machen, dass es so wie es ist nicht bleiben darf. Beteiligt Euch!

Unterstüztz von: Antifschistische Offensive Edingen-Neckarhausen, Antifa Westerwald, Gruppe d.i.s.s.i.d.e.n.t. Marburg, Autonome Gruppe Schweinfurt, EA-Gruppe Mannheim, Antifa Weißensee Berlin, Aktion19-Eichwalde, Kritische Antifaschistische Fraktion KW, Autonome Antifa Finsterwalde, Aktion Direke Cottbus, Polit-AG Bernau, Anti-Opernball-Bündnis Berlin/Brandenburg, A.L.I. Göttingen, Kritik & Praxis Berlin, Antifa Bensheim, autonome antifa [f ] Frankfurt, redical [M] Göttingen, AKZO Aschaffenburg, Antikapitalistische Aktion Berlin, Antifa Limburg, Antifaschistische Linksradikale Darmstadt, Antifaschistische Aktion Noir Frankfurt, Antifaschistische Koordination Bruchköbel-Hanau, Antifa Groß-Gerau, Libertad! Frankfurt, Gruppe Gegenstrom Göttingen, AK Antifa Mannheim, Antifaschistischen BildungunsInitiative Friedberg, Banda Nera Braunschweig, Antifa Wetterau, Politik.Organisation.Praxis Hannover, FAU Ortsgruppe Lahn, B.A.N.G. (Berliner Anti-NATO-Gruppe), SternBurgBrigade Berlin, ÖkoLinX-Antirassistische Liste Frankfurt, Azrael

Luxus für alle: Innere Aufrüstung & Sozialabbau stoppen!

(Snobpunk aus Frankfurt/Main), solid! Frankfurt, Rhein/Main-Bündnis gegen Sozialabbau

„Streitgespräche“ Zwei Diskussionen zur Kritik an der Kampane 2006

Im Rahmen der Kampagne gegen Innere Aufrüstung und den Standort Deutschland sowie den Protesten gegen den Opernball 2006 wurde von verschiedenen Teilen der Linken, bzw. ehemaligen Linken, Kritik an unserem Aufruf im Allgemeinen und dem Abschnitt „Fight the players, fight the game“ im Besonderen artikuliert. Um euch diese nicht vorzuenthalten, haben wir zwei Streitgespräche mit VertreterInnen der verschiedenen Flügel initiiert. …mit einem Antideutschen

längere Zeit in der Antifa-Szene aktiv und bin jetzt in einer antideutschen Gruppe, die sich vornehmlich mit Theorie beschäftigt, sowie bei der Redaktion eines antideutschen Zeitungsprojektes. Mittlerweile werde ich von Mitdiskutanten als „Antideutscher“ eingestuft, obwohl es natürlich keine homogene antideutsche Szene gibt. Ausschlaggebend für meine politische Umorientierung waren unter anderem die Ereignisse und Diskussionen rund um den 11. September, wo ich erkannt habe, dass die Linke alte Weisheiten hinter sich lassen muss, um sich theoretisch weiter zu entwickeln.

Vielleicht kannst du dich kurz vorstellen, wie lange du politisch aktiv bist…

Wie schätzt du die Entwicklung in der antideutschen Szene in der letzten Zeit ein?

Angefangen hab ich vor ca. 8 Jahren bei der Kommunistischen Plattform der PDS, war dann auch

Ich war vor drei Wochen auf der Antideutschen Konferenz in Berlin. Gut finde ich, dass es diese Plattform


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gibt, um sich auszutauschen, obwohl sie, meiner Meinung nach, zu stark an der Bahamas orientiert ist, weshalb es nur selten zu Diskussionen kommt. Trotzdem bin ich ihnen sehr dankbar, dass sie diesen Kongress organisiert haben und damit auch die antideutschen Positionen, gerade in der Antifa-Szene, gestärkt haben. Aber der Zustand der Antideutschen? Ich hab keine Ahnung! … Ich kann das nur schwer beurteilen. Wie würdest du die inhaltliche Entwicklung einschätzen? Würdest du sagen, der antideutsche Ansatz hat zum Ziel, die Gesellschaft radikal zu verändern oder siehst du eher den Trend hin zur neoliberalen/ neokonservativen Gesellschaftsanalyse, so wie dies zum Beispiel die „Freunde der offenen Gesellschaft“ machen? Also „die Antideutschen“ gibt es wie gesagt eh nicht. Aber ich würde sagen, dass es eher wenige Leute sind, die sich mit dem Neoliberalismus beschäftigen. Der Hauptteil beschäftigt sich nach wie vor mit kommunistischen und antikapitalistischen Theorien. Also speziell jetzt bei unserer Kampagne gegen die Innere Aufrüstung und Sozialabbau, die mit einer Demonstration gegen den deutschen Opernball am 25. Februar endet, haben wir uns mit der Problematik auseinandergesetzt, dass zwar einerseits der Kapitalismus ein apersonales Herrschaftssystem zu begreifen ist, dass jedoch andererseits konkrete Akteure zu benennen sind. Daraus ist in unserem Aufruf der Abschnitt „Fight the players, fight the game“ entstanden, möchtest du ein kurzes Statement dazu abgeben? Ich halte so eine aktionistische Herangehensweise für grundfalsch. Das ist auch was, was mir sehr stark an eurem Aufruf aufgefallen ist, nicht nur, dass ihr Verbalradikalismus benutzt, um verkürzte Kapitalismuskritik als cool zu verkaufen. Zweitens widersprecht ihr euch auch selbst, wenn ihr anfangs ganz richtig darauf hinweist, dass der Kapitalismus als apersonales Herrschaftssystem zu verstehen ist, danach aber wieder hinter bereits gewonnene Erkenntnisstände zurückfallt und vollkommen verkürzt gegen „die da oben“ wettert, womit ihr auch ganz klar eine offene Flanke zu rechten Positionen bietet, wobei ich nicht sagen möchte, dass euer Aufruf rechts ist. Unser Anliegen in diesem Abschnitt war, auf der einen Seite klar zu machen, dass wir hinter bisherig gewonnene Erkenntnisse nicht zurückfallen wollen.

Aber auf der anderen Seite sehen wir die Tendenz bei einigen Gruppen, aus dieser Einsicht heraus, jegliche Praxis zu verurteilen, was leider dazu führt, dass Kritik nur zum Selbstzweck entwickelt und nicht mehr aus bestimmten universitären Kreisen heraus vermittelt wird. Hinzu kommt, dass es zwar sehr richtig ist, dass die einzelnen ProtagonistInnen durchaus austauschbar sind, wir sie deshalb aber nicht von ihrer persönlichen Verantwortung, die sie immer auch ihrem Handeln gegenüber haben, freisprechen wollen. Frei nach unserem Aufruf: Die Dummheit der Beherrschten kann schließlich kein Argument für die Herrschenden sein. Dies ist auch der Grund, warum wir keine Schwierigkeiten darin sehen, Charaktermasken symbolisch anzugehen. Das ist aber genau das, was ich bei euch verkürzt nenne. Ich kann nicht einsehen, warum Kritik sich nicht selbst genügen kann. Ich sehe es z.B. auch als einen subversiven Akt an, ein Buch zu lesen, d.h. mich mit Theorie zu beschäftigen. Was ich weiterhin an eurem Aufruf bemängeln muss, ist, dass ihr, indem ihr in dieser gesellschaftlichen, deutschen Situation eine radikale Veränderung der Verhältnisse fordert, die Lehren aus Auschwitz scheinbar nicht verinnerlicht habt. Es kann doch nicht euer Ernst sein, mit dem deutschen Volksmob eine nationale Revolution durchführen zu wollen, wie gesagt, da les ich lieber Bücher. Ich glaube an dieser Stelle müssen wir mal einiges Grundsätzliches klären: Nie haben wir von einer „nationalen Revolution“ gesprochen und wir haben niemals davon gesprochen, mit dem „deutschen Mob“ gemeinsame Sache machen zu wollen. Im Gegenteil, wir machen in unserem Aufruf klar, dass wir den Standort Deutschland abschaffen wollen. Uns ist bewusst, dass wir nicht vor einer unmittelbaren revolutionären Situation stehen, gerade deshalb haben wir auch betont, dass alle Auseinandersetzungen im Moment nur symbolisch geführt werden können. Was wäre denn deine Idee, wie die Gesellschaft verändert werden könnte? Keine Revolution ist doch auch keine Lösung, oder? Das kommt darauf an, was man unter subversiv versteht. Ich halte die von euch als „universitär“ titulierte Aufklärung, bezogen auf einzelne Individuen, nach wie vor für den ersten Ansatzpunkt. Schaut mal, es ist doch so, dass subversive Akte schon im kleinen Bereich erfolgen. Wenn sich zum Beispiel junge Mädchen aus ihren familiären Zwängen befreien, indem sie gegen den


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Willen ihrer Eltern die ganze Nacht auf Partys gehen, machen sie damit klar, dass sie nicht mitmachen. Und genau darum geht es, um das Nicht-Mitmachen. Jetzt widersprichst du dir aber selbst, mit der Betonung des Nicht-Mitmachens negierst du doch die gesellschaftliche Totalität. Wenn das so wäre, könnten sich doch einzelne Individuen ganz bewusst den gesellschaftlichen Zwängen entziehen und somit gibst du uns doch Recht, wenn wir sagen, dass einzelne ProtagonistInnen für ihr Handeln verantwortlich gemacht werden können.

sondern auch dem Rest eurer Szene und außerdem meinem Mitbewohner, das ist doch nichts anderes, als das deutsche Leistungsprinzip. Wenn ihr euch mit Theorie beschäftigt, müsstet ihr ja wissen, dass gerade diese Geschäftigkeit typisch deutsch ist. Und damit sind wir aber wieder direkt am Ausgangspunkt unseres Aufrufs. Du verurteilst die politische Aktion und degradierst somit Gesellschaftskritik zur Privatsache. Genau das ist der Punkt, an dem sich

„Du verurteilst die politische Aktion und degradierst somit Gesellschaftskritik zur Privatsache. Genau das ist der Punkt, an dem sich unsere Auffassungen trennen“

Das ist noch lange kein Grund eine Demonstration gegen den Opernball zu machen, um mit Gruppen wie z.B. Libertad! und ich weiß nicht, wer noch alles die Demo unterstützt hat, genau wie letztes Jahr „Bonzen“ zu jagen. Ich meine, wir verfügen ja alle über gewisse Erfahrungen im aktionistischen Bereich. Ihr wisst doch so gut wie ich, dass ihr, am Tag des Opernballs, nicht mal die wenigen guten Ansätze eurer inhaltlichen Ausrichtung vermitteln könnt. Das war doch letztes Jahr ganz genauso. Ich war zwar nicht auf eurer Demo, aber ich habe mir sagen lassen, dass ein Mob eine Hetzjagd auf die, natürlich auch reaktionären und zum Teil offen antisemitischen, Opernball-Besucher veranstaltet hat. Ich meine, dass ist doch verkürzte Kapitalismuskritik in Reinform. Auf der einen Seite hast du natürlich Recht, so ein Event wie der Opernball ist ungeeignet, um tiefgehende inhaltliche Schwerpunkte zu vermitteln. Aber gerade deshalb setzen wir ja auch auf eine ganze Aktionsreihe. Mit unterschiedlichen Vorfeldaktionen und Veranstaltungen werden wir bereits vor dem 25. Februar versuchen Inhalte zu vermitteln. Im Übrigen halten wir es für falsch, die TeilnehmerInnen unserer Demo reaktionär zu nennen, richtet sich doch auch diese gegen die reaktionäre Formierung, die immer noch aus der Mitte der Gesellschaft kommt.

Ich find das ja gut, dass ihr euch ein bisschen mit Theorie beschäftigt. Aber ich denke nicht, dass ihr das von den anderen DemonstrantInnen erwarten könnt. Mit eurem autonomen Habitus reproduziert ihr doch deutsche Verhältnisse. Schaut euch doch mal eure zwanghafte Geschäftigkeit an, die ich nicht nur euch vorwerfen will,

unsere Auffassungen trennen. Es bleibt nach wie vor richtig, gesellschaftliche Verhältnisse radikal zu verändern und die Konflikte in symbolischen Auseinandersetzungen zu thematisieren. Und genau das wollen wir beim Opernball versuchen. …und einem „Internationalisten“ Kannst du dich vielleicht kurz vorstellen und etwas zu deinem politischen Werdegang sagen. Der Beginn meiner Politisierung liegt im vergangenen Jahrtausend Anfang der 1980er Jahre in den ersten großen militanten Demonstrationen gegen die öffentlichen Rekrutengelöbnisse. Damals ging die Bundeswehr aus den Kasernen auf die öffentlichen Plätze und in die Fußballstadien; ein demonstrativer Akt neuer deutscher Stärke in den Zeiten der damaligen NATO-Aufrüstung, gegen den sowohl die Friedensbewegung, als auch die gesamte radikale Linke mobilisierte. Danach war ich in antiimperialistischen Gruppen aktiv und begründete zusammen mit anderen zu Beginn der 1990er Jahre die Initiative Libertad!. Wir organisierten Kampagnen gegen die Isolationshaft in Solidarität mit den Gefangenen aus der RAF, aber auch zu verfolgten AntifaschistInnen und Gefangenenkämpfen in anderen Ländern. Wir initiierten eine Online-Demo gegen die Abschiebepraxis der Lufthansa und mit der „So oder So“ geben wir eine kostenlose Zeitung heraus, die sich mit Repression und Solidarität beschäftigt, aber auch Fragen der Strategie


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und Taktik linksradikaler Politik diskutiert. Als bundesweite Gruppe sind wir in verschiedenen Städten aktiv. In Frankfurt unterstützen wir regionale Initiativen wie die Kampagnen am Flughafen gegen Abschiebung. Wir arbeiten auch mit antifaschistischen Gruppen zusammen, wie zuletzt mit der autonomen antifa [f] bei den Protesten gegen den Opernball 2005. Darüber hinaus sind wir mit anderen Gruppen und GenossInnen, wie etwa FelS, der ALB und der Zeitung „analyse & kritik“, um jetzt nur ein paar von ihnen zu nennen, in der „Interventionistischen Linken“ aktiv, einem neueren politischen Netzwerk, dass für eine Mobilisierung der gesamten außerparlamentarischen Linken gegen den G8-Gipfel 2007 in Heiligendamm bei Rostock aufruft. Jetzt ganz konkret zu der Kampagne gegen die Innere Aufrüstung und den Standort Deutschland, die ihren vorläufigen Höhepunkt mit der Demonstration gegen den „Deutschen Opernball“ am 25. Februar finden soll. Was sagst Du zu dem Abschnitt „fight the players, fight the game“ in unserem Aufruf, zu dem viel Kritik artikuliert wurde? Ich finde diese Passage richtig. Natürlich kenne ich die Kritik, dass bei der Personalisierung von Herrschaftsverhältnissen die Gefahr der Vereinfachung und Stigmatisierung besteht. Man braucht nur an den unseligen Begriff der „Charaktermaske“ zu denken. In der Geschichte der Arbeiterbewegung wurden die kapitalistischen Herrschaftsverhältnisse oft schematisch popularisiert, etwa das Bild des dicken Bonzen mit Zylinder und Zigarre. Es gibt die bekannten figurativen Vereinfachungen, die nicht nur rassistische und chauvinistische Konnotationen zuließen, sondern zum Teil auch bewusst befördern sollten. Aus der neuen Linken, auch später aus antideutschen Kreisen, gab es daran die berechtigte Kritik, dass eine solche populistische Personalisierung eher chauvinistische Ressentiments und antisemitische Stereotypen hervorruft, als dass dadurch das strukturelle Kapitalverhältnis besser begreifbar wird. Aber der antideutsche Umkehrschluss, nun zu meinen, dass der Kapitalismus frei von jeglicher Repräsentation sei, ist eine vollkommen wirklichkeitsfremde Behauptung. Kein Mensch hockt außerhalb dieser Welt, heißt es bereits bei Marx. Der Kapitalismus ist nicht nur ein ökonomisches System, sondern er basiert auf konkreten Herrschaftsverhältnissen und Machtstrukturen. Und diese sind benennbar und haben häufig auch einen Namen und eine Adresse. Wir haben immer betont, dass wir den Kapitalismus als apersonales Herrschaftssystem begreifen. Im

Rahmen dieser Kampagne geht es uns darum, klar zu machen, dass trotzdem einzelne Protagonisten zur Verantwortung gezogen und symbolisch angegangen werden können, auch wenn sie in systemimmanenten Zwängen handeln. Der Protest gegen den Operball ist dabei besonders symbolisch, weil dort natürlich keine konkreten politischen Entscheidungen getroffen werden. Ich würde eurer Einschätzung gerne zustimmen und widersprechen. Der Opernball ist natürlich kein Ereignis wie ein Gipfeltreffen oder eine NATO-Konferenz. Sehr wohl aber sind Ereignisse wie der Opernball, ihr habt das selbst in euren Texten herausgearbeitet, Teil einer gesellschaftlichen Machtdemonstration mit Showcharakter und müssen als eine flankierende Maßnahme des derzeitigen neoliberalen Herrschaftsdiskurses begriffen werden. Wenn im Zusammenhang mit Harz IV und der Agenda 2010 ungeniert das Motto „Es lebe das Leben“ propagiert wird, dann ist das nicht nur blanker Hedonismus, sondern auch eine offene Kriegserklärung an die Ausgeschlossenen und Überflüssigen im Land, die gerade aus der gesellschaftlichen Reichtumsproduktion herausrefomiert wurden. Auch deshalb ist es richtig in Form einer Demonstration dagegen zu protestieren und zu verdeutlichen, dass man der upper class dabei in die Suppe spucken will. Aber ich möchte noch etwas zu der von dir erwähnten „Apersonalität“ bemerken. Ich glaube, wir als Linke sollten anders darüber nachdenken. Natürlich gibt es systemische Zwänge, die kein Kapitalist alleine steuern kann, aber genauso falsch wäre das Bild, das die Unterklassen wie die Besitzenden nur Hamster im Laufrad einer globalen Profitmaximierung sind. Dieser scheinbare Hyperradikalismus der Antideutschen, das der Kapitalismus allein ein abstraktes System ohne Protagonisten sei, ist letztlich nur ein Taschenspielertrick, um sich als Kritiker der praktischen Aktion und Aufgabe zur Umwälzung der gesellschaftlichen Verhältnisse zu entledigen. Das ist gerade der Punkt, der uns dazu gebracht hat, diesen Abschnitt in unserem Aufruf zu schreiben. Wir begreifen den Kapitalismus aus einer Analyse von gesellschaftlichen Verhältnissen heraus sehr wohl als ein apersonales Herrschaftssystem und eine gesellschaftliche Totalität. Trotzdem wollen und können wir uns die Möglichkeit der Intervention nicht nehmen lassen. Auch deshalb sagen wir, dass wir im Moment nur symbolische Kämpfe führen können, weil wir uns natürlich auch grundsätzlich darüber bewusst


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sind, dass wir uns nicht vor einer unmittelbar revolutionären Situation befinden… Völlig d’accord… …und man sollte sich auch immer darüber im Klaren sein, dass das Austauschen von verschiedenen Akteuren und Eliten nie zur Überwindung des Kapitalismus führen kann, da diese immer auswechselbar sind. Ein weiteres Problem sehe ich darin, die „Beherrschten“ per se als revolutionäres Subjekt zu begreifen. Man muss auch immer zur Kenntnis nehmen, dass diese sich meistens nicht gegen die repressiven Verhältnisse wehren, also, dass die Freiheit der Unterdrückten häufig gegen ihren eigenen Willen gefordert werden muss und diese in ihrem ideologischen Denken die Verhältnisse eher zementieren als überwinden. Ihr hattet letztes Jahr in eurem Redebeitrag auch das Thema Antiamerikanismus angesprochen und die These vertreten, dass sich die Linke mit solchen angeblichen „Schlagwörtern“ „geißeln“ würde. Das halten wir für schlichtweg falsch. Mit Antiamerikanismus wird unter anderem eine Identität konstruiert, die auch zur Abgrenzung gegenüber dem „bösen Raubtierkapitalismus“ in Amerika dient, womit ein positiver Bezug zu Deutsch-Europa, das natürlich in keiner Weise besser ist, hergestellt wird.

Die von dir erwähnte Passage sollte dieses Missverhältnis nur mal prononciert zuspitzen. Das hat sich damals aber anders angehört. So, wie es in eurem Redebeitrag dargestellt wurde, handelt es sich schlicht um eine unzulässige Vereinfachung. Uns geht es beim Opernball speziell auch immer darum, die Umwälzung der Verhältnisse zu fordern. Aber wir wollen vor allem vermeiden, dass die Leute mit dem Gefühl „wir zeigen es denen heute aber mal“ zur

„Und man sollte sich auch immer darüber im Klaren sein, dass das Austauschen von verschiedenen Akteuren und Eliten nie zur Überwindung des Kapitalismus führen“

Richtig, das war ja auch nicht unser Problem und das haben wir auch nicht behauptet. Wir haben keine antiamerikanische Position und dort, wo wir auf sie treffen – etwa bei positiven Bezügen auf „old europe“ im letzten Irak-Krieg – geben wir heftig Kontra. Natürlich ist für uns die Auseinandersetzung mit dem ehemaligen westdeutschen und jetzt großdeutschen Imperialismus immer zentral gewesen. Gleichzeitig haben wir auch gesagt, dass im Weltmaßstab die USA als imperiale Großmacht die Politik bestimmen. Was unseren Redebeitrag vom letzten Jahr betrifft, so haben wir gegenüber dem allgemeinen Vorwurf der „verkürzten Kapitalismuskritik“ lediglich mal gefragt, wie lang denn eine Kritik sein muss, der nicht zu Ausbeutung das Schlagwort von der Abschaffung des Kapitalismus einfällt. Denn wer immer nur die verkürzte Kritik kritisiert und am Ende noch den „Antiamerikanismus“ bemüht, der sollte sagen können, ab welcher Länge er bereit ist selbst zu handeln.

Demo kommen. Unser Anliegen ist es dagegen, die Menschen dazu zu bringen, sich mit den gesellschaftlichen Strukturen auseinanderzusetzen und dadurch zu dem Schluss zu kommen, den Kapitalismus überwinden zu wollen. Allerdings in dem Bewusstsein, dass ein Austausch der Akteure nichts ändern würde. Ihnen also klar zu machen, dass der Kapitalismus insgesamt abgeschafft werden muss und nicht die Menschen, die ihn reproduzieren. Das scheint, gerade beim Opernball, ein Drahtseilakt zu sein. Natürlich ist das zuweilen ein dünnes Eis. Und natürlich ist der Protest in sich auch ein populistischer Akt. Man sollte seitens der Bewegung anerkennen, dass es ein symbolischer Versuch ist, an einem sehr provokanten Beispiel zu sagen: „Nein! Das lehnen wir ab. Wir fordern Luxus für alle und wollen selber mit ans Buffet“. Auch wenn hinter solchen Sätzen die Forderung nach gesellschaftlicher Umverteilung des Reichtums steht, müssen wir aufpassen, dass diese Vereinfachung keine reaktionären Stereotype reproduziert. Das ist die Verantwortung guter Linker. Richtig finden wir in jedem Fall, dass wieder eine Kampagne zum Opernball läuft. Vielleicht erreichen wir in Frankfurt, dass es bestimmte jährliche regelmäßig wiederkehrende Ereignisse gibt, in den die radikale Linke auch mit anderen zusammen aktiv wird und in deren Rahmen immer wieder neue Inhalte artikuliert werden können. Der Opernball wird auch in Zukunft Grund genug sein, dagegen zu protestieren, weil er zu allen Zeiten eine Provokation darstellt.


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„Opernball 2006. Nachbereitung.“ Auch wenn sie es immer wieder versuchen: Sie sind nicht unsere Freunde

Gegen den „Deutschen Opernball” 2006 in Frankfurt am Main fand eine linksradikale Demonstration mit überregionaler Beteiligung statt. Diese war eingebettet in eine Aktionsreihe gegen die Innere Aufrüstung und den Standort Deutschland. Ziel war es erstens, die grundsätzliche Kritik am Kapitalismus im allgemeinen und dem Standort Deutschland im Besonderen mit einer Einmischung der radikalen Linken in gesellschaftliche Kräfteverhältnisse zu verbinden. Hierbei sollte vor allem der Ausbau einer autoritären Überwachungsgesellschaft thematisiert und angegangen werden, welcher gemessen an seinem Ausmaß von der Linken vernachlässigt wird. In Bezug auf die Linke sollte dabei zweitens die Diskussion über die politischen Interventionsmöglichkeiten vorangetrieben werden. Außerdem sollte – ganz marketingstrategisch – über einen konfrontativen, symbolischen Event gesellschaftliches Interesse für die radikale Linke geweckt werden. Nicht zuletzt ging es in diesem Sinne auch darum, die Vernetzung und Zusammenarbeit linksradikaler Gruppen zu intensivieren. Im Vorfeld Im Vorfeld bildete sich ein überregionales Bündnis, in dem

sowohl regionale (Antifa-) Gruppen – maßgeblich das BASH – als auch Gruppen und Zusammenhänge aus Mannheim, Göttingen Berlin und Berlin-Brandenburg beteiligt waren. Auf mehreren Treffen wurde sich auf die schon genannte inhaltliche Ausrichtung, die Demo und eine Reihe von Vorfeldaktionen geeinigt, um das Anliegen der Aktionsreihe „Gegen Innere Aufrüstung und den Standort Deutschland“ bereits im Vorfeld der Demonstration zu vermitteln. Regional Regional fand im Rahmen dieser Reihe Mitte November eine von circa 80 Menschen besuchte Kundgebung des BASH gegen die „Patriotismuskonferenz“ der QuandtStiftung in Bad Homburg statt. Aufgrund eines enormen Polizeiaufgebotes und rigider Auflagen entschied man sich, die kleine geplante Demo mit der S-Bahn spontan und lautstark auf die Frankfurter Zeil zu verlegen. Die hinterher gereiste Polizeihundertschaft kam dabei trotz Blaulicht und einem rabiaten Spurt über die, von Weihnachtseinkäufern bevölkerte, Zeil zu spät. Des weiteren gab es eine – mit von jeweils 40 bis 80 Menschen gut besuchte – inhaltliche Veranstaltungsreihe, bei der über verschiedene Aspekte der Formierung zum nationa-

len Standort und die damit einhergehende Innere Aufrüstung informiert und diskutiert wurde. Besonders zu erwähnen ist hier eine – von Einzelpersonen aus inhaltlich sehr unterschiedlichen Gruppen getragene – Veranstaltung, die unterhaltsam über die Geschichte der diversen Opernball-Proteste informierte, aber dabei auch inhaltliche Differenzen und Kritik klar benannte, sowie eine Veranstaltung mit Joachim Hirsch, der Thesen zum „Ende der liberalen Demokratie“ vorstellte. Im Januar und am Anfang des Kommunalwahlkampfes demonstrierten dann über 50 Antifas vor das Haus des Frankfurter CDU-Fraktionsvorsitzenden Uwe Becker, der sich einen Namen mit einer ganz und gar nicht „weltoffenen“ Law and Order-Politik gemacht hat. Auch hier war wieder ein großes Polizeiaufgebot am Start. Außerdem gab es einige Parties in diversen Zentren, die mal mehr, mal weniger luxuriös einen Beitrag zur erfrischend anderen Perspektive leisteten. Eine Woche vor dem Opernball fand dann in Darmstadt noch eine Spontandemo statt, die unter Parolen wie „Luxus für Alle – sonst gibt’s Krawalle“ eine Runde durch die Darmstädter Innenstadt drehte. Daneben kam es in ganz Frankfurt zu kleineren Aktionen wie dem Verteilen von Freikarten mit ent-


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sprechendem Text, Sprühereien und großflächige Plakatierungen. Und – last but not leas – fing einige Tage vor dem Opernball der Mercedes des Veranstalters Feuer und brannte mir nichts dir nichts ab. Überregional Überregional gab es eine Reihe von Infoveranstaltungen, z.B. in Berlin und Göttingen, und Aufrufe, u.a. von der redical [m] aus Göttingen, der Gruppe POP Hannover sowie des Berlin-Brandenburger Vorbereitungsbündnisses. Darüber hinaus veranstaltete die redical [m] noch eine große, luxuriöse Anti-Opernball-Party. Die Aufrufe zur Demo sorgten bereits im Vorfeld für einige Diskussion, so gab es verschiedene Gegenaufrufe, u.a. von der Göttinger Antifa Aktion & Kritik. Echo Das öffentliche Echo der regionalen Vorfeldaktionen war vergleichsweise gut. Die Kundgebungen, bzw. Hausbesuche bei Akteuren des Standorts Deutschland und der Inneren Aufrüstung sorgten auch in der bürgerlichen Öffentlichkeit für Diskussionen. So sah sich z.B. die Frankfurter SPD im Stadtparlament, nach empörten, jedoch gleichwohl inhaltlichen Zeitungsartikeln über „reaktionäre Sicherheitspolitik“ und „die Chaoten vor Beckers Haus“, dazu genötigt, „der Antifa“ eine „Missachtung der demokratischen Kultur“ vorzuwerfen. Und der CDU-Fraktionschef verteidigte seine „Sicherheitspolitik“ damit, dass „die Antifa“ eine Gruppierung sei, die sich „ja bekanntlich nicht an die Spielregeln“ halte. Als besonders öffentlichkeitswirksam für das Anliegen der radikalen Linken erwies sich der flambierte Mercedes des Ballveranstalters. Dieser veranlasste – zusammen mit den Ereignissen vom

letzten Jahr - sogar den hessischen Innenminister und die zugleich berüchtigte Schnapsdrossel, Volker Bouffier, ganz innovativ ein „hartes Durchgreifen“ anzukündigen. Durch diesen politisch-motivierten, „technischen Defekt“ jedenfalls, war die Demo im unmittelbaren Vorfeld auch in den lokalen Medien ein Thema.

wenn es um mehr gehen soll, als das lokale Kommentieren gesamtgesellschaftlicher Entwicklungen. Um gesellschaftliche Kräfteverhältnisse zu verändern, ist schließlich ein langer Atem notwendig. Nicht zuletzt an dem Anspruch, reale Veränderung herbeizuführen muss sich auch linksradikale Kritik und Praxis messen lassen. Dafür ist eine, auch

„Grundsätzlich darf sich die radikale Linke nicht auf ein paar Großevents beschränken, vielmehr muss sie kontinuierlich in der Öffentlichkeit präsent sein“

Einschätzung Es hat sich als richtig erwiesen, die inhaltliche Vermittlung bereits im Vorfeld der Demo zu forcieren. Zumindest teilweise ist es gelungen, die ansonsten gänzlich kritiklos von statten gehende Entwicklung zur autoritären Überwachungsgesellschaft aus anderer Perspektive zu thematisieren. Überdies hat eine vielfältige Palette von mehr oder weniger militanten Vorfeldaktionen der radikalen Linken im Rhein-MainGebiet Aufmerksamkeit beschert. Nur durch solch ein Nebeneinander unterschiedlicher Aktionsformen kann es gelingen, die Verhältnisse „aus der einzigartig erfrischend anderen Perspektive“ zu thematisieren. Dass dies eine Gegenreaktion der staatlichen Verfolgungsbehörden auslöst, ist zwar bedauerlich, wird sich aber nicht vermeiden lassen. Grundsätzlich darf sich die radikale Linke nicht auf ein paar Großevents beschränken, vielmehr muss sie kontinuierlich in der Öffentlichkeit präsent sein. Zumindest

das hat sich hier mal wieder gezeigt, Organisierung nötig, die über unmittelbare Anlässe hinausgeht, um theoretische und praktische Weiterentwicklung zu gewährleisten. Widerstand braucht Kontinuität. So weit sich dabei der Ansatz einer Aktionsreihe als richtig erwiesen hat, so dürftig war allerdings die Beteiligung über Frankfurt hinaus - von einigen rühmlichen Ausnahmen mal abgesehen (you know who you are…). Offenbar wurde sowohl im regionalen wie auch im überregionalen Maßstab das Ganze maßgeblich als eine Frankfurter Angelegenheit angesehen, zu der man zwar hinfährt und für die man auch Werbung macht, an der man sich jedoch nicht selber besonders beteiligt. Das ist umso bedauerlicher, als im Vorfeld eine Reihe von Gruppen Interesse bekundet hatte und Innere Aufrüstung und autoritäre Formierung keineswegs eine Frankfurter Spezialität darstellen. In diesem Sinne hätte eine breitere Beteiligung die Möglichkeit geboten, Aktionen und Veranstaltungen zu diesem „Thema“ in den Kontext zu stellen, in den sie


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gehören. Im Rahmen des BASH wird der Kampf gegen die autoritäre Überwachungsgesellschaft aber weiterhin forciert werden. Die Demo - „Gude Laune…“ Rund 600 Menschen beteiligten sich schließlich an der Demo. Diese wurde begleitet von einem – den Worten der Schnapsdrossel Bouffier alle Ehre machenden – Polizeiaufgebot. So waren mindestens ebenso viele „Sicherheitskräfte“ mit diversen Gerätschaften und dem gesamten polizeilichen Tierpark (Hunde, Pferde…) wie Demonstranten anwesend, die ihren Teil zur Atmosphäre beitrugen und mit der Demo Gefangentransporter spielten. Eine – trotz der Tatsache, dass keine Auflagen erlassen worden waren – wanderkesselmäßige Spalierbegleitung von vermummten und behelmten BFEs, absichtlich die Redebeiträge störende Lautsprecherdurchsagen der Polizei an die Passanten à la „Halten Sie sich zurück, von dieser Demo geht Gewalt aus…“, diverse gewalttätige Übergriffe, fast flächendeckende Personalienkontrollen, das Verbot die Demo nach Beginn zu verlassen oder aufs Klo zu gehen, widerrechtliche Ingewahrsamnahmen und ein Großaufgebot an Kameras machten als ungeplante Agit-Prop Aktion dunkle Zukunftsaussichten für gesellschaftskritische Gruppen deutlich und die Durchführung einer Demonstration auch nach bürgerlichen Maßstäben zur Farce. Außerdem zeigt es deutlich, dass einer von staatlicher Seite betriebenen Entformalisierung („Keine Auflagen“) mit größtem Misstrauen zu begegnen ist, da sie eine rechtliche Überprüfung sehr schwierig macht. Nach wiederholten Rangeleien an der Demospitze wurde die Demo durch die Polizei sogar für aufgelöst erklärt, konnte dann jedoch nicht zuletzt aufgrund

des medialen Drucks, aber auch des entschlossenen Vorgehens der Demospitze, fortgesetzt werden. Trotz der repressiven Situation, war die Stimmung in der Demo sehr entschlossen. An der Oper angekommen gab es dann einige heftigere Rangeleien mit der Polizei, die mit Pfefferspray und Knüppeln reagierte. Darauf antworteten wiederum einige Demonstranten mit Böllern und Leuchtspurmunition auf die Polizei und die alte Oper. Als die Polizei gerade dazu überging Leute raus zugreifen, setzte sich ein Großteil der Demonstranten spontan in die Innenstadt ab. Dabei gingen zahlreiche Schaufensterscheiben von Geschäften und Banken zu Bruch, Autos wurden demoliert, Ordnungshüter attackiert und Feuer gemacht. Die Polizei reagierte auf diesen Move, indem sie erst mal einfach die Kundgebung auflöste, dann hektisch mit Blaulicht durch die ganze Stadt kurvte und irgendwelche Leute festnahm, die das Pech hatten, zur falschen Zeit einkaufen zu gehen. Außerdem gammelte ihr Personal mit schlechter Laune noch die ganze Nacht vor vermeintlichen Szenetreffpunkten herum. Echo Das Presseecho war groß. Fast überall überlagerten die „Ausschreitungen“ das Festprogramm mit Roland Koch und dem neuen Bundesverteidigungsminister Jung, wobei zumindest das Demo-Motto „Gegen die Innere Aufrüstung - Luxus für Alle“ präsent war. Ansonsten kam erwartungsgemäß inhaltlich wenig rüber. Vor allen Dingen regierte das Erstaunen über die Auseinandersetzung. Auch der krasse Polizeieinsatz war kaum Thema. Frankfurt News etwa berichtete über die Ausschreitungen, es sei gewesen, als ob man

mit „einem Fußball in einen Porzellanladen wüte“. Und die Bild-Zeitung verstieg sich in der ihr eigenen Art dazu, von „stundenlangen Straßenschlachten: 600 Polizisten gegen 200 Autonome“ zu fabulieren. Was dann doch mehr als gelinde übertrieben ist. Darüber hinaus versuchten sowohl Bild-Zeitung, als auch der Pressesprecher der Polizei, das unmittelbare Scheitern ihres Konzeptes zum Ergebnis eines perfiden „Plans“ gewaltbereiter Linksradikaler umzudeuten. Und dpa wartete einige Tage danach mit der mehr oder weniger überraschenden Erkenntnis auf, dass ein Großteil der „Krawallmacher“ aus der Umgebung gekommen sei. In Szene-Medien wurde im Nachhinein vor allem die – gemessen an der Unterstützerliste – geringe Teilnehmerzahl, die fehlende Einbindung bürgerlicher Gruppen, der Situation nicht angemessene Redebeiträge und auch die Fortführung der Demo unter diesen Bedingungen bemängelt. Einschätzung Das Ausmaß der polizeilichen Repression hat uns überrascht. Trotz der verbalen Kraftmeierei des hessischen Innenministers sind wir nicht davon ausgegangen, dass schon die Demo derartig behandelt werden würde. Diese Situation führte auch dazu, dass während der Demo, aufgrund des faktischen Polizeikessels, eine vernünftige Kommunikation mit der Demospitze nicht mehr möglich war. In diesem Sinne waren die Redebeiträge der Situation sicherlich nicht angemessen. Hier hätte es eines flexibleren Umgangs bzw. eines „Plan B“ für die Demo bedurft. Die Fortführung der Demo unter diesen Bedingungen allerdings war richtig. Die Auflösung der Demo hätte unter den gegebenen Um-


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ständen nur zu einer totalen Aufsplitterung und dem Nichterreichen der Oper geführt. Überdies war es das erklärte Ziel der Polizei, uns so lange wie möglich aufzuhalten, um die mediale Inszenierung, sowie die Anreise der Gäste an der Oper möglichst lange ungestört zu halten. Nur beständiger Druck der Demospitze und die kategorische Ablehnung der, von der Polizei bereits in Höhe der Hauptwache verkündeten, Auflösung der Demo brachte diese überhaupt zum Ziel. Die Teilnehmerzahl war tatsächlich zu niedrig. Zwar wurde eine Einbindung links-bürgerlicher Kreise aktiv versucht, die Demo selbst jedoch war eine fast rein linksradikale Angelegenheit. Es ist aber fraglich, ob das Potential der gemäßigten Linken für solche Aktionen grundsätzlich höher ist. Eine direktere Einbeziehung dieser Kreise in die Vorbereitung wäre eine Möglichkeit, hier einen neuen Versuch zu machen. Innerhalb der radikale Linken wurde die Demo – von den bereits erwähnten herausragenden Ausnahmen abgesehen – hauptsächlich als regionale Angelegenheit angesehen. So waren es denn auch mehrheitlich regional mobilisierte. Das lässt zwar für die regionale Entwicklung hoffen, ist aber bedauerlich angesichts der bundesweiten Öffentlichkeit für den „Deutschen Opernball“. Vielleicht haben die unproduktive Polarisierung der radikalen Linken, wie auch diverse, diesem Begründungszusammenhang entstammen-de Gegenaufrufe, einen Teil zu die-sem Ergebnis beigetragen. Dafür allerdings waren die Anwesenden in der Mehrheit eben mehr Klasse als Masse. Es ist wohl jenes Potential, dass die kritische Theorie nicht für eine Zumutung, sondern einen notwendigen Gewinn hält und das sich gerade des-

wegen nicht dafür zu schade ist, sich mit der Staatsmacht zu balgen, auf das man für eine vernünftige Entwicklung der radikalen Linken setzen muss. Die Reaktion vieler Teilnehmer auf das Verhalten der Polizei im Besonderen und die alltägliche Kapital-und-Nation-Scheiße im Allgemeinen war klar. Die „Ordnungsbehörden“ haben

im Nachhinein eine Niederlage sehen. Fatal war das Verhalten einiger jüngerer DemoteilnehmerInnen, die sich brav an einigen der zahlreichen Kontrollpunkte anstellten, anstatt zumindest zu versuchen, diese zu durchbrechen bzw. zuumgehen. Hier braucht es wahrscheinlich mal wieder einer zunehmenden

„Dabei gingen zahlreiche Schaufensterscheiben von Geschäften und Banken zu Bruch, Autos wurden demoliert, Ordnungshüter attackiert und Feuer gemacht“ auf Eskalation gesetzt – zahlreiche DemonstrantInnen haben ihnen dafür die Rechnung präsentiert. Positiv war auch, dass man sich schon während der Demo nicht die Stimmung vermiesen ließ. Natürlich ist eine Demo unter diesen Bedingungen kein absoluter „Erfolg“. Aber gemessen an den Ausgangsbedingungen eben schon. Übrigens: Auch eine normale Demonstration wäre kein „Erfolg“, sondern immer noch staatlich sanktioniertes Schaulaufen. Ein echter Erfolg wäre bekanntlich nur die Revolution. Und bis dahin ist Erfolg eben immer relativ. In der Nachbereitung fällt grundsätzlich auch auf, dass all jene Gruppen und Zusammenhänge die sich in die Vorbereitung und Durchführung der Demo eingebracht haben, diese als relativen Erfolg bewerteten – wie beispielsweise die Nachbereitung der Antifa Jugend Frankfurt oder auch die der redical [m] zeigen – wogegen jene, die schon in der Vorbereitung vor allem durch Abwesenheit aufgefallen sind, nun

Aufklärung, nicht nur über grundsätzliche „Rechte als Demonstrant“, sondern auch darüber, dass man zu dem personifizierten Gewaltmonopol weder nett noch höflich sein muss. Auch wenn sie es immer wieder versuchen: Sie sind nicht unsere Freunde. Das Konzept der Polizei an diesem Tag darf natürlich nicht hingenommen werden. Dafür werden die notwendigen juristische Schritte unternommen. Die Frage, wie es damit weitergeht, ist allerdings eine primär Politische. Hier gilt es, auch bei anderen Anlässen die Auseinandersetzung mit der Politik und den Strategen des autoritär formierten Standortes Deutschland zu suchen. Strategisch stellt sich die Frage, ob man überhaupt noch Veranstaltungen anmelden sollte, wenn die Gegenseite ohnehin macht, was sie will. Gute Ansätze hierzu gibt es in der Linken in Frankfurt ja bereits. Den nächsten Opernball und insbesondere die aktuellen Studentenproteste bietenwir den Law and Order-Fanatikern


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gerne als Nachhilfe in Sachen demokratische Grundrechte an… Nachher Im Nachhinein veranstalteten wir zusammen mit der Vereinigung hessischer Strafverteidiger ein öffentliches Hearing zum Polizeieinsatz, das auf relativ breites Interesse stieß. Bei dieser wurde sowohl aus politischer wie auch aus rechtlicher Perspektive der Polizeieinsatz scharf kritisiert. Auch ein Stadtverordneter der Linkspartei, der während der Demo von einem Polizeibeamten angegriffen worden war, berichtete öffentlichkeitswirksam. Durch die Veranstaltung gelang es, zumindest in Teilen die Diskussion zu beeinflussen und den Polizeieinsatz zu skandalisieren. Das zeigt, dass gerade auch die Nachbereitung solcher Events für eine politische Perspektive der Linken von zentraler Bedeutung ist. Eine Klage gegen den Polizeieinsatz ist inzwischen vor dem Verwaltungsgericht eingereicht. Auch die Aktivitäten gegen die Innere Aufrüstung wurden fortgesetzt. So protestierten Antifas bei einer Podiumsdiskussion zu „WM und Sicherheit“ in Frankfurt unter dem Motto „Die Welt zu Gast – fühl dich wie im Knast…“. Auch der bereits eingangs erwähnte Uwe Becker (CDU) wurde nicht vergessen und bei einer Anti-Graffiti-Aktion der CDU samt Anhang von „Chaoten“ (FR) mit Eiern beworfen. Und das BASH beteiligte sich unter dem Motto „Gegen staatlichen Rassismus und Innere Sicherheit – Fight Fortress Europe!“ im April an der Bleiberechtsdemo in Wiesbaden. Anlässlich des WM-Vierteilfinalspiels in Frankfurt wurde von einem breiten Bündnis (von der antifa bis zu Fangruppen) ein Fußballturnier, Konzerte und eine Demo „gegen staatlichen Rassismus und Innere

Aufrüstung“ organisiert. Am 10.6. fand außerdem in Kaiserslautern eine Demo „Deutsche Träume platzen lassen – gegen innere Aufrüstung und Krautsalat!“ statt. Disko Es ist positiv, dass unser diesjähriger Aufruf eine breitere Diskussion ausgelöst hat. Für eine Weiterentwicklung der radikalen Linken ist es immerhin ein Schritt in die richtige Richtung, wenn zumindest versucht wird, auch einmal mit-, anstatt nur übereinander zu reden. Darum im Folgenden auch von uns ein paar Anmerkungen zur Diskussion rund um den Opernball. Das eingangs erwähnte Lob muss leider auch gleich wieder eingeschränkt werden. Einige der Diskussionsbeiträge zeichneten sich leider vor allem dadurch aus, dass Zitate aus dem Zusammenhang gerissen wurden und dementsprechend sinnentstellt gegen Pappkameraden argumentiert wurde. Wir wollen uns aber nicht daran abarbeiten (siehe dazu auch unseren Redebeitrag), sondern versuchen, das Pferd richtig rum aufzuzäumen. Die Kritik am Kapitalismus kommt aus ihm selbst. Die kapitalistische Vergesellschaftung selbst produziert die Möglichkeit ihrer eigenen Überwindung. Ziel der kritischen Theorie von Marx ff. war und ist es dementsprechend, diese grundsätzliche Selbstwidersprüchlichkeit mit der Perspektive zu entfalten, diese Verhältnisse zu überwinden. Die Kritik fällt nicht vom Himmel. Sie ist noch dem totalen „falschen Ganzen“ immanent. Wer aller Praxis in diesen Verhältnissen nur vorwirft, innerhalb der Totalität zu bleiben und von ihr „infiziert“ zu sein, hat weniger als die Hälfte verstanden. Eine Kritik, welche die Totalität als eine geschlossene annimmt, kann

sich vor allen Dingen nicht selbst erklären. Nun besteht allerdings trotzdem das Problem, dass bekannterweise zwischen Kapitalismus und der „Assoziation freier Individuen“ eine Lücke klafft, die Gegenwart heißt. Es fehlt also eine Bewegung, die sich von der „Klasse an sich“ zur „Klasse für sich“ (zur Klassenfrage u.ä. siehe auch unsere Opernballnachbereitung aus 2005) formt. Und das schon seit geraumer Zeit. Da es schlicht zu wenig Revolutionäre gibt, bleibt dementsprechend der einzig vernünftige Akt zur Abschaffung der Politik – die Revolution durch Vergesellschaftung der Produktionsmittel – nur Zukunftsmusik. Übrig bleibt also auch für Linksradikale, in gar nicht revolutionären Situationen eben diese vorzubereiten. Einmal, indem sie durch Kritik und Aufklärung versuchen, die Zahl der Revolutionäre zu erhöhen, sowie deren Verständnis der Gesellschaft zu verbessern. Zum zweiten, indem sie mit dem Mittel der Politik versuchen, Situationen und Verhältnisse zu erzeugen, welche ersteres einfacher machen. Beispielsweise ist die Abwesenheit der permanenten Lebensbedrohung durch Nazis oder der Gefahr des Verhungerns eine mögliche Vorraussetzung für ein radikal gesellschaftskritisches Engagement. Die Politik kann also nicht revolutionär sein, sie ist Vorfeldarbeit. Die radikale Linke darf sich dabei jedoch nicht selbst ins Bein schießen. Die realpolitisch unterstützenswerte Forderung nach einem uneingeschränkten Bleiberecht oder sozialen Rechten müssen verbunden werden mit dem Wissen um deren notwendige Beschränktheit. Darüber hinaus darf sie sich nicht den Kopf von Staat und Kapital zerbrechen. Hier zeigt sich der Knackpunkt der linksradikalen Debatte.


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So wie es nichts Grundsätzliches an der kapitalistischen Vergesellschaftung ändert, ob Nazis regelmäßig Migrannten totschlagen oder nicht – so sehr ist Antifaschismus notwendig. Nicht als Mittel zur Revolution, sondern als deren Voraussetzung. Abgesehen von allen anderen humanistischen Belangen gilt revolutionstheoretisch schlicht das politische Kalkül: Tote machen keine Revolution. Die Kräfteverhältnisse innerhalb dieser Gesellschaft können der radikalen Linken also schon deshalb nicht egal sein. Sind sie ja auch selbst denen meistens nicht, die anderen ihr Engagement in unterschiedlichen „Teilbereichen“ wie Sozialabbau als reformistisch vorwerfen. Schließlich ist man spätestens beim nächsten Naziaufmarsch dann doch wieder fleißig am „Politik machen“… Gleichwohl muss die radikale Linke für die Verwirklichung ihres eigentlichen Zweckes die eben dieser Politik zugrunde liegenden Kategorien dieser Gesellschaft (wie Nation, Arbeit, Recht, Demokratie, Staat, etc.) einer praktischen Kritik im Sinne ihrer Überwindung unterziehen. Die Vermittlung vom Wissen um die Bedeutung der gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse (Hegemonietheorie) mit Jenem um die Notwendigkeit einer kategorialen Kritik ist die Aufgabe, der man sich nur durch den Taschenspielertrick entziehen kann, die Realität zu leugnen. Eine radikale Linke, die sich dementsprechend nicht dazu verhält, dass im Namen des Standorts Deutschland „alle den Gürtel enger schnallen sollen“ (Schröder) und die „Freiheit des einzelnen zugunsten der Sicherheit der Gesellschaft partiell zurück stehen muss“ (Beckstein) ist vor allem eins: politikunfähig.

Eine radikale Linke, die so tut, als wäre das Problem kein grundsätzliches ist kritikunfähig. Vorraussetzung linksradikaler Politikfähigkeit im besten Sinne ist also das Wissen um ihre Beschränktheit. Sowohl in Bezug auf den Kampf gegen Nazis als auch in anderen Bereichen hat sich gezeigt: Eine radikale Linke, die nicht interveniert, verliert an

Schon vor zwei Jahren haben wir diese Entwicklung als reaktionäre Formierung der Gesellschaft (in allen Bereichen) zum Standort charakterisiert. Eine Entwicklung, die man übrigens im selbsternannten Flagschiff der Berliner Republik – der Zeitschrift „Cicero“ – zustimmend als „national-bürgerliche Restauration in allen Bereichen“ zitiert.

„Wer aller Praxis in diesen Verhältnissen nur vorwirft, innerhalb der Totalität zu bleiben und von ihr ‚infiziert‘ zu sein, hat weniger als die Hälfte verstanden“ Boden. Wer dabei jedoch Bündnisse auf Masse anlegt und nicht inhaltlich bestimmt, verliert auch. Es bleibt die Aufgabe, zu sagen was los ist und daran zu erinnern, dass es tatsächlich nie falsch ist das Richtige zu tun. Die Politik ist mithin so gut, wie die Kritik im besten Sinne radikal ist, die hinter ihr erscheint. Dabei ist zwar potentiell die gesamte Gesellschaft ein angemessener Aktionsradius – da die Ressourcen jedoch bekanntermaßen begrenzt sind, sollte die radikale Linke zentrale Symbole des hegemonialen Projektes angehen. Das aktuell hegemoniale Projekt des Kapitals (hier immer verstanden als geschichtsphilosophische Gegenklasse) ist der Standort Deutschland, ein im Wesentlichen autoritär formierter Wettbewerbsstaat, der mit seiner Vergangenheit im Reinen ist. Es gilt in diesem Sinne zur Kenntnis zu nehmen, dass der Kampf gegen die völkische Variante Deutschlands zumindest im Moment nicht das nationale Projekt des Standortes im globalen Kapitalismus trifft.

Nur die Linke, die davon nichts wissen will, wurschtelt munter weiter und macht in Teilbereiche. Anstatt sich in identitären Abgrenzungsspielchen zu ergehen, hätte der Opernball 2006 als Symbol in diesem Sinne die Chance geboten, einen Schritt in die richtige Richtung und gegen das dominante Projekt des Standortes zu gehen. Steht der Opernball doch symbolisch für die Möglichkeit von Luxus und gleichzeitig für die Faktizität der Nichteinlösung dieses Versprechens für den Großteil der Menschen. Das ist umso wichtiger, als sich die gesellschaftliche Perspektive aktuell und reaktionär in die ganz andere Richtung richtet. Hier anzusetzen bietet sich an, schließlich ist es gerade hierzulande der (standort-)nationalistische Kitt, der die versteinerten Verhältnisse und Subjekte zusammen hält. Zumal der Ball eben keine x-beliebige Kulturindustrieveranstaltung darstellt, sondern eine explizit politische Veranstaltung ist, die der ideologischen Selbstvergewisserung der selbsternannten Elite dient.


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Insbesondere auch dadurch, dass er mit Akteuren der Standortpolitik wirbt, die so wenig persönlich verantwortlich für die gesellschaftlichen Verhältnisse sind, wie sie persönlich eine Politik verantworten wollen, welche die des Kapitals ist. Sich dagegen nicht den Kopf des Staates zu zerbrechen und seine unmittelbaren (Klassen-) Interessen auf ein schönes Leben für jeden Einzelnen im hier und jetzt einzufordern, wie bei der Opernballdemo und auch teilweise bei den hessischen Studierendenprotesten geschehen – das wäre antideutsche Praxis im besten Sinne. Dazu gehört selbstverständlich auch, die Akteure zu attackieren, welche diese reaktionäre Formierung konkret umsetzen. Alles andere bedeutet der wahren Lüge aufzusitzen, dass die Menschen für die von ihnen beständig und bewusstlos reproduzierte Gesellschaft nicht verantwortlich wären. Obgleich eine Sozialstaatskritik von links wie auch eine Auseinandersetzung mit dem Begriff des Luxus sicherlich noch ausbaubedürftig ist und insbesondere zu diesem Anlass in Zukunft nötig wären. Überdies besteht natürlich das Problem, dass symbolische Anlässe immer die große Schwachstelle aufweisen, als Verkürzung gesellschaftlicher Zusammenhänge und als Bestätigung von Stereotypen interpretiert werden zu können. Die Frage, in wie fern dieses grundsätzliche Problem symbolischer Politik gelöst werden kann, sehen wir in diesem Sinne nach wie vor als keineswegs abschließend beantwortet und als Aufgabe für die Zukunft an. Ein fortschrittlicher Antikapitalismus muss sich dieses Problems zumindest bewusst sein und sich selbst vor allem auch positiv bestimmen. In diesem Sinne war der Versuch einer reaktionären gesellschaftlichen Debatte, wie auch einem reaktionären und antihedonistischen Arbeitsfetisch innerhalb von Teilen der Linken, ein plakatives „Luxus für Alle“ entgegen zu setzen, sicherlich richtig. Der Demo überdies vorzuwerfen, dass sie eine reine „Revolutionssimulation“ gewesen sei, trifft in diesem Sinne zu. Mehr als existentialistische Auftritte ist momentan in diesen Verhältnissen an „revolutionärer Praxis“ wohl kaum zu haben. Der Versuch jedenfalls, die Proteste ins Schema der verkürzten Kapitalismuskritik und des „Hasses auf das dekadente Leben“ zu pressen, ist letztlich nicht nur dem FAZ-Korrespondenten missglückt, der zwanghaft versuchte, das Demo-Motto „Luxus für alle“ mit seiner Vorstellung vom arbeitsgeilen Pöbel zu verbinden und letztlich eingestand, so richtig habe er es „einfach nicht verstanden“. Besser verstanden hatte es das Umfeld der Jungen Union, das an Frankfurter Schulen ein Gegenflugblatt unter dem Motto „Luxus für alle – die dafür arbeiten!“ verteilte und er-

bost feststellte, „die antifa greift die Mitte dieser Gesellschaft an“. Schließlich ist es auch gar nicht so schwer zu verstehen. Eine Demo gegen „Sozialabbau und Innere Aufrüstung“, die unter „Nie wieder Deutschland!“-Rufen und offensichtlich staatsfeindlich “Luxus für Alle!” fordert ,ist hierzulande aber selten. Eine vernünftige Perspektive gegen Deutschland ist trotzdem gerade hier zu suchen. Die Paradoxie, dass gerade das schreckliche Scheitern des Klassenkampfes in Deutschland die Notwendigkeit verbürgt, an ihm festzuhalten, muss theoretisch reflektiert werden – aufgehoben werden kann sie jedoch nur praktisch. Man sollte sich der Absurdität des notwendigen Unterfanges also schon bewusst sein. „Das Konzept ist das Diktat, sein Leben so auszurichten, dass man zu jeder Zeit und an jedem Ort, auf jede Dauer im Sinne kapitalistischer Verwertung einsetzbar wird. Gleichzeitig wird die Vorstellung von kollektiver Interessenvertretung, von politischer Meinungsäußerung erledigt: Hartz denunziert den Gedanken einer ‚Solidargemeinschaft‘ als ‚Nibelungentreue‘, was Solidarität wohl mit völkischem Nationalismus in Verbindung bringen soll. Auf unheimliche Weise ist damit schon die Antwort der Nazis vorweggenommen: die JN und andere Nazigruppierungen propagieren als Antwort auf die Zumutungen neoliberaler Globalisierung völkische Konzepte und artikulieren sich antikapitalistisch. Im Kampf gegen Obdachlose, Behinderte, Flüchtlinge greifen sie den Gedanken auf, dass nur lebensberechtigt ist, wer verwertbar ist. Gleichzeitig agieren sie die verschärfte Konkurrenz gegen ‚Ausländer‘ aus und versprechen den ‚Volksgenossen‘ einen privilegierten Zugang zu sozialen Sicherungssystemen. Wer für die Nazis keine Sympathien hegt, wird also von Hartz vor die Wahl gestellt, die eine Frage des Lebensstils ist: lieber fit, flexibel, fantastisch oder nibelungentreu? (…) Die Linke kann ihren Kampf nicht (…) delegieren. (…) Der Kampf gegen Kapitalismus aber kann nur ein gemeinsamer sein. Statt neuerlich identitäre Konzepte zu bedienen und sich als Vertreter seiner gesellschaftlichen Stellung zu verstehen, von der aus die Form und das Ziel gesellschaftlicher Auseinandersetzung schon definiert ist, rufen wir auf zu einem Kampf gegen die Grundlagen des Kapitalismus als solche – das soll unser Bezugspunkt sein und (soweit das denkbar ist) eine nicht-identitäre Definition des politischen Projekts: Die Verweigerung nationaler Eingemeindung, die Zurückweisung rassistischer und sexistischer Fragmentierung, für eine Solidarität jenseits von Nation und Volk, für ein Leben jenseits von Verwertung, von ‚rennen, rackern, rasen‘.“ (Kritik & Praxis Berlin) autonome.antifa [f], 08.06


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„Opernball 2007. Ansage Nr.3“ join the anticapitalist block

Am 24. Februar findet in Frankfurt am Main erneut der „Deutsche Opernball“ statt. Hierzu treffen sich – wie in den Jahren zuvor – zahlreiche prominente Funktionsträger aus Politik, Wirtschaft und Kulturbetrieb, um unter dem Motto „Das Leben ist schön“ ein Fest zu feiern. Nachdem man 2005 noch unter der Schirmherrschaft des Bundespräsidenten und mit Unterstützung eines massiven Polizeiaufgebotes die „beschwerlichen Reformen“ für den Standort Deutschland feiern wollte, gibt man sich nach den Protesten der letzten Jahre nun wieder betont unpolitisch. Dennoch rufen – ebenfalls wie in den letzten Jahren – linke Gruppen und Studierendeninitiativen zu Protesten auf. Dieses Mal soll im Rahmen der Mobilisierung gegen den G8-Gipfel und unter dem Motto „Her mit dem schönen Leben!“ ein Gegenpunkt gegen die Selbstinszenierung der gesellschaftlichen Eliten gesetzt werden. Forderungen des linken Bündnisses werden voraussichtlich die Erhöhung der Hartz IVBezüge, die Abschaffung von Studiengebühren und gleiche Rechte für alle sein. Wir werden unseren Teil zu diesem Event, wie auch zum G8-Gipfel in Heiligendamm, beitragen, können jedoch solch konstruktivem Rebellentum wenig abgewinnen. Anstatt also nur an der Inszenierung des Protests von Demokraten und anderen zivilcouragierten StaatsbürgerInnen gegen die Politik und das Verhalten der Eliten teilzunehmen, rufen wir die radikale Linke zum antikapitalistischen Block auf; einem Block, dem es selbstverständlich und maßloserweise ums Ganze geht. Gegen die unzufriedenen Bürger vor und die zufriedenen Bürger in der Oper setzen wir am 24. Februar zusammen mit dem „…ums Ganze! - Bündnis“ darauf, Marketing für das so unrealistisch wie notwendige Vorhaben zu machen, die kapitalistische Gesellschaft endlich zu überwinden. Gegen die Sinnstiftung für

Rechtsstaat und Nation, Demokratie und Kapital setzen wir auf Ausdrucksformen, die nicht vereinnahmbar sind und denen die FreundInnen des schlechten Bestehenden nichts Positives abgewinnen können. Kritik Die Bedingung von Kritik ist, dass der/die/das Kritisierte es besser kann. Jeder Kritik geht also die richtige bzw. falsche Unterstellung voraus, dass ihrem Gegenstand eine Potenz innewohnt, die mehr ermöglicht. Folglich macht es wenig Sinn, Hunden vorzuwerfen, dass sie nicht fliegen können: Es geht einfach nicht. Genauso verhält es sich – das Große spiegelt sich im Kleinen – mit Gesellschaftskritik. Sie macht nur Sinn, wenn die Unterstellung, dass Gesellschaft letztlich von Menschen gemacht und dementsprechend veränderbar ist, wahr ist. Wenn nicht, sind Menschen Hunde und alle Mühe und aller Fortschritt waren umsonst. Nicht zuletzt, weil – nur nebenbei bemerkt – der selbstgemachte Weltuntergang in Form atomarer Katastrophen oder eines sonstigen (eventuell endgültigen) Rückfalls in die Barbarei dann tatsächlich nur noch eine Frage zunehmender Wahrscheinlichkeit ist. Die Kritik der Gesellschaft – die heutzutage eine zunehmend globale kapitalistische ist – setzt jedenfalls voraus, dass die Gesellschaft auch grundsätzlich anders aussehen könnte. Sie geht daher davon aus, dass das Leid und die Entfremdung angesichts der Entwicklung der gesellschaftlichen Produktivkräfte nicht nur bedauerlich, sondern schon seit langem schlichtweg unnötig ist, also besser heute als morgen abgeschafft gehört. Soll dieses Ziel verfolgt werden, muss jedoch Klarheit darüber herrschen, was genau dieser Kapitalismus eigentlich ist. Denn Gesellschaftskritik ist nicht das Herummäkeln an scheinbar isolierten Phänomenen, sondern die Kritik


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des Funktionszusammenhangs, in dem diese Symptome stehen. Denn Gesellschaft – das ist mehr als die Summe ihrer Einzelteile. Und Gesellschaftskritik stellt in Frage und kann daher nur sagen was jeweils nicht dafür spricht. Politik In diesem Zusammenhang zeigt sich, dass der so oft von radikalen Linken gegen die Globalisierungsbewegung erhobene Vorwurf der „verkürzten“ Kapitalismuskritik daneben geht. Denn die noch so militant vorgetragenen Forderungen nach einer Steuer auf Finanzspekulationen, gegen den Neoliberalismus, der Abschaffung von Studiengebühren, gleichen Rechten für alle etc. sind keine Gesellschaftskritik. Das ist Politik. Wenn Kritik die Funktionsweise der kapitalistischen Gesellschaft, die Sachzwänge der allseitigen Konkurrenz und Gewalt, die Totalität der Herrschaft der noch so „fair“ produzierten Dinge über ihre Produzenten – also die Entfremdung des menschlichen Wesens – aufheben will und dementsprechend keinen konstruktiven Standpunkt vertreten kann, ist Politik die Vermittlungsform von Konflikten innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft. Wo die Kritik den König geköpft hat und beispielsweise weiß, dass die bösen „Ackermänner“ auch nur noch traurige Charaktermasken sind, kämpft die Politik mit Korruptionsvorwürfen und Moral um ihren Anteil. Politik heißt konstruktive Verbesserungsvorschläge und „Richtungsforderungen“ (Interventionistische Linke) aufstellen. Politik macht keine Geschichte indem sie durch Selbstorganisation, Vergesellschaftung der Produktionsmittel, durch Partei, Besetzung und Generalstreik endlich in den Lauf der Dinge eingreift, sondern ist in ihren lahmen Appellen und Konzepten stets auf

den Staat als Materialisierung der faulen Allgemeinheit verworfen. Dieser fasst bekanntlich die gegensätzlichen kapitalistischen Interessen zusammen und sichert durch sein Gewaltmonopol die Geschäftsgrundlage. Außerdem konstituiert er die Nation, diesen vorgeblichen Schicksalszusammenhang zwischen den Menschen. Der Staat ist folglich ein Arschloch. Und der Politik geht es nicht um die Aufhebung ihrer eigenen Grundlagen – Staat, Nation, Recht und Kapital – sondern darum, Probleme und Unzufriedenheit innerhalb der bestehenden Ordnung zu lösen. Unterschied ums Ganze Nun ist Politikmachen trotzdem nicht unbedingt das Schlechteste. Denn tatsächlich ist selbst die kapitalistische Gesellschaft nicht ein monolithischer Block, sondern unterliegt schwankenden Kräfteverhältnissen. Folglich ist es ein Unterschied, ob mensch es in seiner Umgebung beispielsweise mit Horden von Nazis oder aufgeklärten Demokraten zu tun hat. Oder ob mensch verhungert oder eben nicht, oder ob mensch studieren kann oder eben nicht oder auch wie sehr mensch überwacht wird – schließlich ist das Leben kurz. Und nach dem fast gänzlichen Aufgehen der linksliberalen Szene im Standort Deutschland muss die radikale Linke vieles mitmachen. Alles andere wäre nicht nur zynisch, sondern schlichtweg dumm. Dementsprechend ist es natürlich auch das gute Recht jedes Staatsbürgers, gegen die aktuelle Politik des Staates zu protestieren. Außerdem lässt sich mit Leuten, die zumindest versuchen, selber zu denken, nicht nur netter zusammen leben, sondern auch tatsächlich eher darüber reden, wie das falsche Ganze vielleicht doch noch zu überwinden ist. Und

dafür ist es sicherlich sinnvoll, den unmittelbaren politischen Gegner auch als solchen zu behandeln und sich dafür nicht nur am Strafgesetzbuch zu orientieren. Politik kann also Vorfeldarbeit für die Revolution sein. Mehr aber auch nicht. Denn wer nicht mit den Funktionsprinzipien dieser Gesellschaft bricht, der ist (siehe attac bis Linkspartei) dazu gezwungen sie zu reproduzieren. Man sollte also seine „Interventionen“ nicht als revolutionär ausgeben, wenn sie es nicht sind. Was sich dagegen anbietet, ist zumindest die Rationalisierung der Politik durch die Anerkennung ihrer notwendigen Beschränktheit. Eine emanzipatorische Bewegung müsste, da sie aus Objekten der (Staats-)Gewalt Subjekte der Geschichte machen will, aus dieser Erkenntnis jedoch letztlich das Ziel der Abschaffung von Politik und Staat ableiten. Spiel nicht mit den Schmuddelkindern Doch auch die reformistische Linke darf sich nicht selbst ins Bein schießen: Es stellt schließlich einen massiven Unterschied dar, ob mensch das Bestehende im Rahmen dieser Ordnung „verbessern“ will – oder reaktionäre Strömungen unterstützt und damit diese Verhältnisse noch verhärtet. Die Linke braucht sich nicht den Kopf von Staat und Kapital zerbrechen; wenn sie es dennoch macht, dann kommt meistens nur noch Schlimmeres raus. Wo die Forderung nach Schuldenerlass für die „Dritte Welt“ oder der Abschaffung von Studiengebühren als solche nachvollziehbar sind, ist die Reproduktion von dumpfem Arbeits- und Leistungsfetisch und antisemitischen Stereotypen reaktionär. Denn auch wenn Koch und Bush durch die Gegend wanken wie die letzten Marionetten – die Fäden zieht niemand. Vielmehr tun Chefs


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bürgerlicher Staaten legitimerweise das, was sie und die Mehrheit ihrer Wähler als aktuell beste Entsprechung der im bürgerlichen Sinne unhintergehbaren Zwänge des Kapitalismus ansehen. Das ist Demokratie – Verein freier Menschen ist was anderes. Es hilft nichts, sich selber dumm zu machen. Und Lügen über die Gesellschaft sollte die Linke getrost den Faschisten überlassen. Es gibt also schon gar keinen Grund, so zu tun, als ob man etwas gegen den Kapitalismus habe, wenn man doch eigentlich nur seinen Objektstatus im neoliberalen Staat gegen jenen im miefigen Sozialstaat tauschen will. Gewalt und Spektakel – Krawall und Remmidemmi Gewalt, das sind im Kapitalismus immer die anderen. Und auch im Vorfeld der diesjährigen Opernballdemo wird in den einschlägigen Medien wieder von „Randalieren“ und „Polithooligans“ die Rede sein. Nicht nur die vollkommen übertriebenen – zwischen Faszination und betonter Empörung schwankenden – Berichte der BILD-Zeitung zu solchen Anlässen zeigen, wie sehr das Selbstverständnis der bürgerlichen Gesellschaft vom Thema Gewalt berührt wird. Weil sie sich nicht eingestehen kann, dass – entgegen ihrem Anspruch, mit Gewalt und Irrationalität aufgeräumt zu haben – die heutige Gesellschaft auf Gewalt beruht, wird diese externalisiert. Obwohl nicht nur der Staat als institutionalisierte Gewalt mit seinen Abschiebungen, Polizeieinsätzen, Kriegen, Arbeitsämtern etc., sondern vielmehr die ganze kapitalistische Gesellschaft auf der strukturellen Gewalttätigkeit, der allseitigen Konkurrenz aller gegen alle beruht, steht diese immer wieder fassungslos vor den Ergebnissen

ihrer eigenen Ordnung. Gewalt wird so zum Spektakel, zum öffentlichen und faszinierenden Anderen der doch eigenen Vorraussetzungen. Dementsprechend werden in dieser Wahrnehmung auch alle Qualitäten kassiert: Ob religiöser Terrorismus, rassistische Brandanschläge oder zielgerichtete Militanz gegen einen Abschiebeknast spielt für

Tokio Hotel für alle?! Egal ob die Kinderband Tokio Hotel nun dieses Jahr tatsächlich zum Opernball kommt oder nicht – auch das offizielle Programm des Opernballs verweist mit Mainacts wie „Deutschlands ältestem Rock’n’Roller“ Peter Kraus oder Kim Wilde – die in den letzten Jahren vor allem als Gärtnerin in engli-

„Und auch im Vorfeld der diesjährigen Opernballdemo wird in den einschlägigen Medien wieder von ‚Randalieren‘ und ‚Polithooligans‘ die Rede sein“ den Staatsanwalt keine Rolle. Eine fortschrittliche Bewegung muss dagegen die Logik der gewalttätigen Gewaltlosigkeit zurückweisen und die Erkenntnis stark machen, dass die vorgebliche Gewaltfreiheit der gesellschaftlichen Mitte doch nur im Windschatten des staatlichen Gewaltmonopols steht. Gleichwohl kann Gewalt gerade aufgrund ihrer Herkunft aus eben dieser Gesellschaft kein Gradmesser für Radikalität sein. Nicht zuletzt, weil eine „militärische“ Auseinandersetzung heutzutage aus emazipatorischer Perspektive nicht zu gewinnen ist. Vielmehr gilt es, sich nicht für die natürlich berechtigte Anklage „gesellschaftlicher Fehlentwicklungen“ einspannen zu lassen, sondern sinnentleert im besten Sinne dem Kapitalismus symbolisch den Spiegel vorzuhalten und die allseitige Gewalttätigkeit zu thematisieren – mit der Verantwortung für jene Perspektive, die auf nicht weniger als ein Ende der Gewalt zielt.

schen TV-Shows aufgefallen sein soll – auf das Problem der Forderung, diesen „Luxus“ auf alle auszuweiten. Hieran zeigt sich das grundsätzliche Problem einer oberflächlichen Betrachtung des Kapitalismus, die diesem nur fehlende Verteilungsgerechtigkeit vorwerfen kann. So richtig beispielsweise die Parole „Luxus für Alle!“ nach wie vor als symbolische Bestimmung der Perspektive gegen Verzichtsethik und Arbeitswahn ist, so begrenzt erweist sich ihr kritischer Gehalt an der bürgerlichen Realität. Denn auch Ticketpreise von über 200 Euro, großes Buffet und eine Vielzahl von Mitgliedern der sogenannten Elite ändern nichts daran, dass der beim Opernball so mühsam zur Schau gestellte Luxus nur einen matten Abglanz des Möglichen darstellt. Das Problem ist also nicht nur, dass die Orgien – hier großes Fressen und Schlemmen – im Kapitalismus eben leider nicht für alle da sind, sondern vielmehr auch, dass das, was hier als Luxus präsentiert wird, eigentlich langweiliger Spießerkram ist: Wer Roland Koch schon mal zu Deutschlands


ältestem Rock’n’Roller mit einem Leuchtstäbchen in der Hand und Nudeln mit Hackfleischsauce auf dem Teller hat „tanzen“ sehen, der weiß was gemeint ist. Nichts gegen Nudeln, aber am Fakt, dass man nicht so genau weiß, ob die Deko des Opernballs oder die Besucher langweiliger und verbrauchter aussehen, zeigt sich, dass das Problem eben doch das Verhältnis der Menschen zu den von ihnen selbst produzierten Dingen ist. Nicht die Quantität des Wohlstands, sondern vor allem die fehlende Qualität der im Kapitalismus für den Zweck des Marktes produzierten Güter ist es, die die Entfremdung des Menschen anzeigt. Entsprechend geschichtsohnmächtig verhalten sich denn auch die Menschen untereinander. Hierauf fußt die falsche Wahrheit dieser Gesellschaft, die zugleich auch die größte intellektuelle Zumutung ist, nämliche jene, in einer angeblich menschlichen Gesellschaft zu leben, deren Insassen sich aber trotzdem bei jeder Gelegenheit ganz offen zu Sachzwängen bekennen. Für die radikale Linke kann das nur die Forderung bedeuten, diesen schlechten Luxus auf alle auszuweiten, um dann aber schleunigst darüber hinaus gehen zu können. Oder – wie ein irakischer LKW-Fahrer jüngst den Sachverhalt treffender zusammenfasste – „Three years ago it was my dream to own a truck, now I want to burn it.“ Symbole vs. Symbole Keine Frage, die Aussichten auf eine positive Umwälzung der Verhältnisse sind verschwindend gering. Die Guten sind wenige, zersplittert und haben psychische Probleme. Eine antikapitalistische Praxis – die streng genommen schon ihre eigene Aufhebung durch den radikalen Bruch, die Revolution wäre – ist nicht in Sicht. Das macht es jedoch

umso notwendiger, als Radikale aufzutreten und öffentlich zu sein. Gerade weil man den Kapitalismus nicht kaputtschlagen, sondern nur durch Kämpfe für eine höhere Form gesellschaftlicher Organisation aufheben kann, gilt es, Werbung für eine radikale Kritik und Praxis zu machen; gilt es, sich Events wie des Opernballs und des G8-Gipfels zu bedienen, die als Symbole dafür stehen, welche (im doppelten Wortsinn) ungeheueren Reichtümer diese Gesellschaft einerseits schafft und die doch derartig mit Herrschaft infiziert sind, dass es nur so kracht. Hier bietet es sich an, Kontakt aufzunehmen und der politischen Sinnstiftung für den ganzen irrationalen Mist, für Nation und Staat, eine so symbolische wie unkonstruktive Absage zu erteilen. Es gilt auf die Straße zu gehen, um deutlich zu machen, dass demonstrieren für ein schönes Leben nicht viel bringt. Denn Kriterium der Gesellschaftskritik ist nicht Recht haben, sondern die Verwirklichung jener Wahrheit, dass die Menschheit doch keine fehlgeschlagene Laune der Evolution ist – also die grundsätzliche Veränderung der Gesellschaft, die Machbarkeit der Geschichte. Kritik und Praxis Da die Kritik der Gesellschaft selbst aus dem falschen Ganzen kommt, muss sie sich die Hände schmutzig machen und sich in die Widersprüche begeben, denen sie selbst entstammt. Sie tut dies jedoch nicht als diffuser Teil einer „Bewegung der Bewegungen“, sondern als Versprechen einer jenseits der Events einzulösenden Organisierung und Praxis. Das ist wichtig. Denn der schickste riot ist nur so gut wie die Gesellschaftskritik und deren Organisierung, die dahinter aufscheint. Zeigt sich doch in diesem Zusammenhang immer wieder, dass

das „Gipfel-Hopping“ der radikalen Linken vor allem Ausdruck ihrer eigenen Schwäche ist. Wichtiger als die fortwährende Produktion von symbolischen Aktionen – die wie eine Flaschenpost das bestimmte Nicht-einverstanden-sein mit ungewissem Adressaten verbreitet – wäre schließlich Subversion, die den Alltag tatsächlich aus dem Tritt bringt. Könnten wir z.B. die Uni besetzen und halten, würden wir es machen – können wir aber nicht, weil wir schlichtweg zu wenige sind. Wer an dieser Ohnmacht etwas ändern will, der ist gerade in ohnmächtigen Zeiten zur symbolischen Praxis verdammt. Die Erkenntnis der eigenen Schwäche impliziert also die Notwendigkeit, vor und nach den Events die eigene Vernetzung und den internationalen inhaltlichen Austausch in Maulwurfsarbeit voranzutreiben. Und bei diesen Events gilt es – so oder so – deutlich zu machen, dass nur der Bruch mit den Funktionsprinzipien dieser Gesellschaft ein schönes Leben für alle bringen kann. Große Aufgaben, keine Frage, aber niemand hat behauptet, dass es einfach werden würde. Außerdem wäre, kleine Brötchen zu backen schon mal wieder ein Anfang. Wenn man sich also endlich darauf einigen könnte, dass der Kampf für eine bessere Zukunft nicht der um eine „andere Welt“, nicht für mehr Bafög und gegen Käfighaltung – sondern einer ums Ganze ist, dann wäre schon viel gewonnen. Sonst bleibt das Glück immer nur zum Greifen nah. In diesem Sinne: Her mit dem schönen Leben: happiness is just around the corner, Kapitalismus abschaffen. autonome.antifa [f], 01.07


„Opernball 2007. Nachbereitung.“ happiness ist just around the corner

Am 24. Februar 2007 fand in Frankfurt am Main der „Deutsche Opernball“ statt, der – auch in diesem Jahr – von einer linksradikalen Demo begleitet wurde. Unter dem Motto „Her mit dem schönen Leben – Happiness is just arround the corner!“ fanden sich rund 1000 Menschen in Frankfurt ein, um vom Hauptbahnhof zur Alten Oper zu ziehen. Zur Demo aufgerufen hatte ein Bündnis linker Gruppen, sowie Studierende und autonome, antifaschistische Gruppen, die mit der Thematisierung sozialer Kürzungen und der allgemein prekären Situation vieler Menschen ein „Zeichen gegen die Selbstinszenierung der gesellschaftlichen Elite“ setzen wollte. Neben dieser etwas breiteren Mobilisierung war eine weitere Veränderung zu den Vorjahren die Form einer Parade, in der die Proteste auftraten. Neben dem „Antifa-Vengabus“ von unserer Seite gab es noch einige andere Wägen, von denen Musik, Redebeiträge und Jingles schallten. Vorfeld Im Vorfeld gab es mehrere Aufrufe: von uns, dem Bündnis, den Studierenden und der Jugendantifa. Leider wurde das Ziel einer breiten und offensiven Mobilisierung seitens des Bündnisses nicht erreicht. Die angedachte Beteiligung von z.B. Arbeitslosengruppen blieb komplett aus. Wir organisierten mehrere Infoveranstaltungen zum Opernball in Frankfurt, Göttingen, Mannheim, Karlsruhe und Berlin, die mal mehr, mal weniger gut besucht waren. Für nette Abwechslung im sonst doch eher grauen Stadtbild sorgten auch die Sprühereien mit Bezug auf den Opernball. Die Demo Im Vergleich zum letzten Jahr machte die Polizei durch ein eher geringes Aufgebot direkt an der Demo auf sich aufmerksam. Jedoch waren die sehr hohe Dichte an Zivibullen innerhalb der Demo und die Hundert-

schaften im Bankenviertel und vor der Oper nicht zu übersehen. Die anfänglich weniger auf Repression setzende Polizeistrategie sollte wohl, im Rückblick auf das letzte Jahr, auf Deeskalation zielen. Jedoch trugen wahrscheinlich – neben einem gewissen Druck der Öffentlichkeit nach dem Aufgebot des letzten Jahres – auch vor allem die Anmeldung aus dem Studierenden-Spektrum, das offene Paradekonzept und die Mobilisierung von Seiten eines verhältnismäßig breiten Bündnisses dazu bei. Dass durch die Form als Parade eine bessere Vermittlung der Inhalte zu einem aufgeschlosseneren Publikum stattfand – ein maßgebliches Argument aus dem Vorbereitungsbündnis für das Paradekonzept – , konnten wir allerdings nicht beobachten. Der Demozug setzte sich mit vier Wägen vom Untermainkai über das Bahnhofsviertel in Richtung Hauptwache in Bewegung. Die geplante Route verlief bis hierhin ohne größere Zwischenfälle, die unterschiedlichen Ansätze der verschiedenen Wägen kamen relativ gut zur Geltung. Negativ bleibt zu erwähnen, dass die einzelnen Redebeiträge an den jeweiligen Kundgebungsorten zu leise waren. 3. Halbzeit… Trug das Paradekonzept während der Demo noch zu einem weniger durch Repression von Seiten der Polizei gestörten Bild bei, zeigten sich nun seine praktischen Schwächen. An der Hauptwache gab es einen ersten Ausbruchversuch in Richtung Zeil. Dieser verlief sich jedoch recht schnell, da sich der Rest der Demo mit dem Nachrücken viel Zeit lies und so schlichtweg zu wenig Leute vorhanden waren. Schade! Denn wäre die nicht besonders dichte Bullenreihe, die sich auf der Zeil etwas unsicher formierte, überrannt worden, hätte man in der Innenstadt sozusagen „freie Bahn“ gehabt.


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Die unorganisierte Spitze der Demo entschied sich, auch als logische Konsequenz aus der Vorbereitungen – die ja in der Öffentlichkeit Oper als Ziel rausgegeben hatte – im Laufschritt in Richtung Fressgass zu ziehen. Wahrscheinlich hätte das, von allen im Vorbereitungskreis, besser kommuniziert werden müssen. Dass es in Richtung Fressgass

Es zeigte sich zwar relativ schnell, dass gegen die Masse an Polizisten nicht viel zu machen war, jedoch wurde deutlich, dass sich auch Teile der DemonstrantInnen in ihren Aktionsformen radikalisiert haben. Und schließlich passiert es nicht alle Tage, dass im Rhein-Main-Gebiet der Angriff von Polizisten (zumindest kurzzeitig) zurück geschlagen

„Das konnte allerdings nicht verhindern, dass sie im Laufe der Nacht an verschiedenen Stellen in der Stadt immer wieder angegriffen wurden“ nur so von Behelmten wimmelte war jedenfalls abzusehen. Nach ein paar Flaschenwürfen versank jegliche organisatorische Struktur im Chaos und die Veranstalter lösten die Demo offiziell auf. Die Kommunikation unter den einzelnen Wägen, die schon während der ganzen Demo eher suboptimal verlief, funktionierte nun gar nicht mehr. So konnte das Folgende weder koordiniert noch einigermaßen positiv beeinflusst werden. Hier hätten im vorhinein sicherlich klarere Absprachen getroffen werden müssen. Auch wären Strategien einzelner, aktiver Gruppen sicherlich hilfreich gewesen, um das unkontrollierte Chaos, dessen Dynamik nun doch eher in Richtung Oper zog, zu strukturieren. Mit gezielteren Aktionen wäre sicherlich auch ein besserer Ausdruck möglich gewesen. Trotzdem ist das, was nun passierte, als relativer Erfolg zu werten. Ging es z.B. bei den Studierendenprotesten im vergangenen Jahr eher darum, Katz und Maus mit den Bullen zu spielen, lief es nun auf eine klare Konfrontation hinaus.

wird. Als Reaktion auf diese Auseinandersetzungen reagierte die Polizei mit über hundert wahllosen Festnahmen. Das konnte allerdings nicht verhindern, dass sie im Laufe der Nacht an verschiedenen Stellen in der Stadt, besonders um den Uni-Campus Bockenheim, immer wieder angegriffen wurde. So wurde beispielsweise das Auto zweier Zivibullen mit Steinen, Bengalos und einer brennenden Mülltonne traktiert, ebenso die dortige Hundertschaft angegangen. Außerdem wurden an machen Stellen Krähenfüße gelegt, was nicht zuletzt den Opernball um einige Zeit verzögerte. Allerdings liefen auch einige einfach nur dumme Aktionen – den Feueralarm in einem Gebäude zu aktivieren, in dem gerade eine illegale Party stattfindet, ist beispielsweise unverantwortlich. Der EA, den die Studierenden gestellt hatten, funktionierte einwandfrei. Presseecho Das Presseecho fiel dieses Jahr in seiner Quantität etwas überraschend

aus: Sowohl in allen regionalen, als auch in einigen überregionalen Zeitungen fand die Demo – wohl vor allem wegen der spektakulären Bilder von brennenden Barrikaden in der Frankfurter Innenstadt – ihre Beachtung. Doch im Vergleich zu den letzten Jahren war dies doch eher gering. Anscheinend gehört der Protest mittlerweile zum Opernball dazu – ein bisschen Spektakel am Rande des „Glamours“. Zum anderen fiel dieses Jahr die Konfrontation an der Alten Oper aus, man stand also nicht frontal vor den Kameras, es fehlte die nötige Präsenz. Inhaltliche Punkte tauchten dagegen wenig bis gar nicht auf, zumindest wurde aber der Bezug zum G8-Gipfel erwähnt. In seiner Qualität bzw. mit seinen politischen Forderungen stach dagegen der Kommentar des FNPAutors Georg Haupt unangenehm hervor. Wer wie er einen „sicheren Staat“ fordert, der angeblich gewalttätige Linke bereits vor einer Demonstration in sogenannten Unterbindungsgewahrsam nimmt, erkennt nicht nur das Demonstrationsrecht ab, sondern setzt nur noch auf Repression statt auf inhaltliche Auseinandersetzung. Angesichts der momentanen Debatte über die „Innere Sicherheit“ eine Aussage, die die Linke nicht unbeachtet lassen sollte. Gemeinschaft der Beleidigten? In den letzten beiden Jahren ist durch unsere Aktionen zum Opernball deutlich geworden, dass dieses Event kontrovers und medienwirksam genug ist, sowohl in der linken als auch in der bürgerlichen Öffentlichkeit beachtliche Resonanz zu finden. Auch das hat wohl dazu beigetragen, dass dieses Jahr gleich mehrere Gruppen ihr Interesse am Protest ankündigten. So bildeten


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das „Rhein-Main-Bündnis gegen den G8-Gipfel“ und die StudentInnen ein Vorbereitungsbündnis, um ihren Protest zum Opernball zu gestalten. Da auch wir dieses Jahr wieder unseren Teil zu diesem Event beitragen wollten, schien uns eine Kooperation mit dem bereits bestehenden Vorbereitungskreis sinnvoll. Jedoch fiel die Zusammenarbeit schwer, da einerseits die Inhalte dieses Bündnisses teilweise diskussionswürdig waren, aber selbst die Diskussion um einen kleinen gemeinsamen Nenner schon so manchem Beteiligten den letzten Nerv raubten. Andererseits waren die Vorstellungen, wie die Proteste auszusehen hätten, in welcher Form sie auftreten sollten, nicht wirklich unter einen Hut zu bekommen. So beschlossen wir, uns in den Kreis der Vorbereitenden einzuklinken und durch einen eigenen Aufruf und eigene Mobilisierung die Unterschiede deutlich zu machen. Dieses Verhalten wurde uns im Verlauf der Vorbereitungen als „arrogant“ angelastet, was die Zusammenarbeit nur weiter erschwerte. Besonders wurde uns angekreidet, dass wir in unserem Aufruf das linke Anti-Opernball-Bündnis als „unzufriedene Bürger“ bezeichnet hatten. Nun ist eine Stärke der undogmatischen Linken sicherlich gerade der Wettstreit unterschiedlicher Konzepte, die eine Wahrheit wurde schließlich noch nicht gefunden. Das funktioniert allerdings nur solange, wie es überhaupt inhaltliche Diskussion gibt. Wem zur – auch deutlichen – Kritik am eigenen Ansatz nur einfällt, dass das wahlweise eine „Unverschämtheit“ oder „Beleidigung“ ist, der tut sich als LinkeR selbst keinen Gefallen. Zumal wir nach so einigen Nettigkeiten in der Swing ja aus dem Beleidigtsein gar nicht mehr raus kämen. Grund genug jedenfalls

noch mal etwas zu dieser Diskussion zu sagen. Das Gegenteil von Gut ist gutgemeint… Um Protest gegen die bestehenden Verhältnisse zu artikulieren ist es wichtig, mit den eigenen Forderungen den Rahmen eigener Vorstellungskraft und bisweilen auch den

tischen Tausch konstituierend – unterschlagen wird, gerät die Behauptung der Forderung nach globalen Rechten als „systemsprengend“ zur Phrase. Was bleibt ist ein politisches Konzept, dessen Annahmen einfach als Fakten behauptet und nicht ausgesprochen werden. Frei nach dem Motto: „Ich mache mir die Welt, wie sie mir gefällt…“

„Den einzig sinnvollen Weg, etwas fundamental zu verändern, sehen wir nach wie vor in der bedingungslosen Kritik des Bestehenden“ der gesetzten Legalität bewusst zu überschreiten und sich nicht einfach nur als Teil der betrogenen Masse im Selbstmitleid zu suhlen. Deshalb gilt es schon im vorhinein, seinen Standpunkt zu bestimmen, um als – eben radikale – Linke handlungsfähig zu sein und nicht in der Hektik des Dabeiseins im Zwangskonsens zu verweilen. Denn sonst ist es keine große Überraschung, wenn man sich früher oder später mit Bittstellungen an Vater Staat neben dem DGB wieder findet. Eben so verhält es sich mit einigen Forderungen, die im Rahmen der Opernballmobilisierung gestellt wurden. Es mag aus einer linken Perspektive gute strategische Gründe geben, die Forderung nach gleichen globalen Rechten für alle auf die Tagesordnung zu setzen. Das ändert aber letztlich nichts daran, dass Rechte Attribute der bürgerlichen Gesellschaft sind, die durch das staatliche Gewaltmonopol durchgesetzt werden. Wenn der Doppelcharakter des Rechts – als erkämpft und staatsabwehrend und zugleich den kapitalis-

Natürlich kann es nicht darum gehen, jemanden für die Forderung nach globalen Rechten oder sauberem Trinkwasser anzugreifen. Das tun wir auch nicht. Wir weisen lediglich darauf hin, dass diese Politik zwar die persönliche Situation einiger Einzelner verändert, jedoch in keiner Weise als Akt gegen den Kapitalismus verstanden werden kann. Bewegt man sich doch hier im allseits bekannten Gebilde – dem Staat und seinen Rechten – die man eben nicht einfach übers Ohr hauen kann. Den einzig sinnvollen Weg, etwas fundamental zu verändern, sehen wir nach wie vor in der bedingungslosen Kritik des Bestehenden. Diese mag zwar oft mühselig und manchmal auch kompliziert sein, jedoch sollte man nicht den Fehler machen zugunsten der eigenen Bequemlichkeit statt „trockener“ Kritik die vielleicht „einfachere“ Politik vorzuziehen. Eine ausführlichere Darstellung zu diesem Thema lässt sich in unserem Aufruf zum Opernball 2007 nachlesen.


Wer nicht darüber hinaus kommt, „die Leute da abzuholen, wo sie stehen“ trennt fataler Weise zwischen den kritisierten Verhältnissen – dem Kapitalismus – und den Menschen, die ihn ihm leben. Mit dem ununterbrochenen Herunterbrechen seiner ach so revolutionären Ansprüche auf konkrete Dinge, mit denen sich die „Leute auf der Straße“ bzw. an der Hauptwache identifizieren können sollen, bleibt man zwangsläufig im Status quo verhaftet. Und ob – beispielsweise – das Forcieren von plattem Sozialneid ein aussichtsreicher Weg sein kann, bleibt doch fraglich, da die Parole in Deutschland dazu nicht lautet „wir wollen (zunächst mal) das, was die haben, sondern „wir wollen die (so) nicht haben“. Mit den Leuten „da, wo sie stehen“ holt man sich eben vor allem schnell deren Standpunkt ab. Oder wie es mal Hans-Jürgen Krahl formuliert hat: „Die Anpassung ans falsche Bewusstsein hat dieses noch nie verändert“. Mit gut gemeinten Vorstellungen ist diese Gesellschaft nicht zu verändern und dass das für ein emanzipatorisches Projekt auch nicht ungefährlich ist, hat spätestens die Entwicklung der 68er gezeigt. Insofern geht es nicht um graue Theorie oder bunte Praxis, sondern um eine Herangehensweise, die die eigene Theorie und Praxis reflektiert und keine selbstzufriedene Politik betreibt. Denn das Gegenteil von gut ist allzu oft gut gemeint und bis zum Ende der kapitalistischen Gesamtscheiße ist eben der bürgerlich, der Bürgerliches tut (oder fordert). Noch ne Runde… Übrigens: Dass in diesem Zusammenhang im autonomen Szeneblatt Swing unsere Forderung, sich öffentlich von rechten Formen des „Antikapitalismus“ und antisemitischen Stereotypen – siehe NPD-

Aufruf zum 7.7.2007 – abzugrenzen, als „neoliberale Arroganz“ abgetan wurde, spricht Bände. Wir kommen an dem Eindruck nicht vorbei, dass der ständige Verweis auf die angeblich falsche Form – „der Ton macht die Musik“ – vor allen Dingen eins ist: eine Strategie, inhaltlichen Auseinandersetzungen aus dem Weg zu gehen, um an veralteten Politikansätzen und identitären Analysen festhalten zu können. Dabei gibt es für Sensibilität diesen Dingen gegenüber auch naheliegendere Gründe als einen Bezug in einem NPD-Aufruf. So verkündete 2004 ein Transparent, mit dem Reichtum sei es wie mit dem Mist, auf einem Haufen stinke er, verteilt über das Land bringe er es zum blühen. Abgesehen davon, dass hier jegliches Denken über den Kapitalismus hinaus fehlt – prinzipiell kann unreflektierter Groll auf „die Reichen“ und Einsatz für „unser Land“ nicht Teil einer emanzipatorischen Perspektive sein. Dass man aber solchem Hass mit einer Mobilisierung zum Opernball zumindest relativ nahe kommen kann, sollte zur Kenntnis genommen und zur inhaltlichen Klärung genutzt werden. Das unterkomplexe Denken in Klischees – zum einen eine Aufteilung in Beherrschte und Herrschende, zum anderen das Festhalten an einer „one family“ der Betrogenen – zeugt von einer eher begrenzten Wahrnehmung von sich und der Gesellschaft. Inhaltliche, abgrenzende Forderungen per se als „Arroganz“ abzustempeln, lässt überdies die gemeinsame Arbeit schwer fallen und entspricht nicht unseren Ansprüchen an eine Diskussionskultur. Wir haben weder die Antworten auf alle Fragen, noch behaupten wir das. Wir sehen es aber nach wie vor als Aufgabe der radikalen Linken, zu sagen, was jeweils nicht dafür spricht – und somit auch auf die

Grenzen des Reformismus hinzuweisen. Sollten wir uns damit täuschen, lassen wir uns gerne vom Gegenteil überzeugen. Bis dahin aber belebt Konkurrenz hoffentlich eher die Entwicklung der Linken im Rhein-Gebiet und uns geht es weiterhin ums Ganze. Anstatt also den angeblichen Sektierern (hier: wir) bei abweichenden Meinungen oder Kritik immer sofort selbst mit Spaltung zu drohen, schlagen wir einen allseitig vernünftigeren und bedachteren Umgang vor. Nicht zuletzt, da den Schaden von einer weiteren Spaltung der Linken nicht wir und den Nutzen nicht andere Teile der Szene im Rhein-Main Gebiet haben. Mensch würde wahrscheinlich gut daran tun, den eigenen Anspruch – dass es um gesellschaftliche Veränderung und nicht um die richtige Identität geht – etwas ernster zu nehmen. Ein Schritt dahin wäre, endlich zur Kenntnis zu nehmen, dass relevante Teile der linken Bewegung inzwischen andere und berechtigte Konzepte verfolgen – die man zumindest ernsthaft diskutieren muss. Fazit Rückblickend auf die letzten drei Jahre, in denen wir uns mit dem Opernball auseinander setzten, lässt sich aus unserer Perspektive ein einigermaßen positives Fazit ziehen. Den Anspruch, diese symbolträchtigen Demos immer ausreichend inhaltlich zu fundieren, sehen wir als erfüllt an. Wir können von uns behaupten, uns mit jedem Aufruf und jeder Nachbereitung inhaltlich weiter entwickelt zu haben, was durchaus auch auf die mal mehr und mal weniger konstruktiven Auseinandersetzungen um dieses Ereignis herum zurückzuführen ist. Und dass mittlerweile bekannt ist, dass es bei den Opernball-Demos in Frankfurt auf jeden Fall immer


„irgendwie knallt“, empfinden wir als eine nicht selbstverständliche, angenehme Tradition. Eine linksradikale Kritik hat sich auf nicht integrierbare Weise geäußert und so die abstrakte Forderung nach einer freien Gesellschaft mit der greifbaren Forderung nach Luxus für alle auf verständliche Weise verbunden. Dass es dabei – auch in diesem Jahr mit Parade – nie großen Zuspruch seitens der Passanten gab, ist für uns keine große Niederlage. Dass uns jedoch bisher vorgeworfen wurde, durch das „arrogante, abschreckende Auftreten der Antifa“ die umstehenden Leute vom Mitmachen abgehalten zu haben, ist dreist und verliert nicht nur dadurch die Grundlage, dass das Paradekonzept („dann kommen die Leute in Massen hinzu“) scheiterte. Die meisten Passanten bleiben nicht deshalb stehen, weil sie von Sonnenbrillen und Polizeihelmen abgeschreckt sind, sondern einfach, weil sie keinen Bock haben. „Die Leute“ sind Lichtjahre davon entfernt, auch nur teilweise irgend ein (revolutionäres) Subjekt zu sein – deshalb geht es uns weniger darum, mit einer bunten Spaß-Parade zu gefallen, als vielmehr mit (symbolischer) Kritik überhaupt erstmal aufzufallen. So wenig wie die Anzahl von Sonnenbrillen und schwarzen Kapuzenpullis in der Demo Gradmesser für Radikalität ist, so wenig interessiert uns zuerst, ob eine Demo „Spaß macht“. Wenn wir Spaß haben wollen, gehen wir jedenfalls nicht demonstrieren.

explizit wahrgenommen wurde, sei erst einmal dahingestellt. Trotzdem erachten wir es als notwendig, eine Alternative zwischen purem Aktionismus und elitärem Lesezirkeln zu schaffen. Denn mittlerweile hat sich gezeigt, dass nicht nur der Antiimperialismus ein Auslaufmodell ist, sondern auch die – damals notwendige und richtige, heute aber häufig an der Realität vorbei gehende – Kritik der Antideutschen nicht mehr zeitgemäß ist. Theorie, und mag diese auch noch so kritisch sein, ist schließlich lediglich eine

„So wenig wie die Anzahl von Sonnenbrillen in der Demo Gradmesser für Radikalität ist, so wenig interessiert uns zuerst, ob eine Demo ‚Spaß‘ macht“

…ums Ganze! Sicherlich bot der Opernball eine Gelegenheit, die Kritik am Bestehenden öffentlich zum Ausdruck zu bringen. Jedoch ist eben auch die Randale und alles andere um dieses Event herum kritisch zu sehen. Denn schließlich erschöpft sich der Inhalt nicht in der bloßen Tat, sondern muss auch aus emanzipatorischer Perspektive Hand und Fuß haben. Und da es natürlich immer gut ist, in einem größeren Zusammenhang eine sinnvolle Meinung zu vertreten, fand für uns der Opernball im Rahmen des „…ums Ganze!“ Bündnisses statt. Dieser bundesweite Zusammenschluss aus verschiedenen Antifagruppen trat mit einer Veranstaltungsreihe, deren vorläufiger Höhepunkt der G8-Gipfel in Heiligendamm war, erstmalig in die Öffentlichkeit. Ein solches Ereignis soll genutzt werden, um eine Kapitalismuskritik auf Höhe der Zeit – möglichst über die linken Klüngelkreise hinaus – ins Gespräch zu bringen. Ob diese Möglichkeit bei den jeweiligen Ereignissen

Annäherung an gesellschaftliche Realität. Denn auch wenn es nicht jeder Grundlage entbehrt, das Agieren im realpolitischen Rahmen zu kritisieren ,gelten doch auch die Worte von Grandmaster Adorno: „Es wäre eine schlechte und eine idealistische Abstraktheit, wenn man um der Struktur des Ganzen willen die Möglichkeit von Verbesserungen im Rahmen der bestehenden Verhältnisse bagatellisieren oder gar negativ akzentuieren würde (…) Ich würde sagen, daß gerade je mehr die gegenwärtige gesellschaftliche Struktur (…) so sehr den Charakter einer ungeheuerlichen zusammengeballten ‚zweiten Natur’ hat, daß so lange das der Fall ist, unter Umständen noch die armseligsten Eingriffe in die bestehende Realität eine viel größere, nämlich ich möchte fast sagen, symbolische Bedeutung haben, als ihnen eigentlich zu kommt.“ Uns geht es dabei nicht darum, den „goldenen Mittelweg“ zwischen Linkspartei und Bahamas zu finden, sondern – wie könnte es anders sein – ums Ganze; um eine Negation der bestehenden Verhältnisse, die sich nicht nur im Bescheidwissen erschöpft, sondern erkennt, dass Gesellschaft etwas Dynamisches ist, das es organisiert zu verändern gilt. Schließlich leben wir alle nur einmal und das sollte doch bitte so angenehm wie möglich sein. Aber – bevor man im blinden Aktionismus die Berge versetzt, muss man schon wissen wohin: Und da bleibt für uns nur ein Ziel: Kommunismus.* autonome.antifa [f], 08.07


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