ARCHIV DER ZUKUNFT LICHTENFELS

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D   igitale Architektur auf dem L   ichtenfelser Marktplatz  Interview mit Peter Haimerl

S. 10

L   ichtenfels pflanzt e   inen Baum.  Ein Gesprächsabend

S. 16

Was wünschen Sie sich für die Zukunft von Lichtenfels?

S. 21

Vom Weidenkorb zur 3DWeide. Lichtenfels zwischen Gestern und Morgen  Reportage von Tina Veihelmann

S. 26

Tradition und Moderne  Eine Fotoserie von Stefan Loeber

S. 32

„Die Menschen für Zukunftsthemen begeistern.“  Ein Gespräch mit Stefan Mehl

S. 38







Liebe Leserinnen und Leser, Lichtenfels verändert sich gerade auf eine ganz ungewöhnliche Art und Weise. Hier entsteht etwas Neues. Gemeinsam mit innovativen Unternehmen geht unsere traditionsreiche Korbstadt in eine neue Zukunft. Dies ist Chance und Herausforderung zugleich. Das Archiv der Zukunft möchte für diesen Wandel Anker und Katalysator sein und den Marktplatz im Herzen unserer Gemeinschaft wiederbeleben. In diesem Magazin sprechen Bürgerinnen und Bürger über ihre Gedanken zur Zukunft von Lichtenfels; Peter Haimerl erklärt, wie Architektur ein Motor für Veränderung sein kann, und die Berliner Journalistin Tina Veihelmann wirft einen Blick auf unsere Stadt im Spannungsfeld

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zwischen Tradition und Moderne. Wie das Bauvorhaben die Menschen für Zukunftsthemen begeistern soll, erzählt Bauherr Stefan Mehl. Wie lässt sich unsere gemeinsame Zukunft also gestalten? Wie können wir Innovationen als ein Angebot verstehen? Im Archiv der Zukunft sollen diese Diskussionen mit Ihnen fortgeführt werden, Fragen gestellt und Ideen entwickelt werden. Darauf freuen wir uns! Günter und Robert Hofmann, Initiatoren Archiv der Zukunft

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D   igitale Architektur a  uf dem L   ichtenfelser M   arktplatz

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Interview: Bureau N


E   in Interview mit P   ETER HAIMERL, dem Architekten des Archivs der Zukunft, über seinen Entwurf für Lichtenfels, das Bauen im ländlichen Bayern und die Frage, inwiefern Architektur ein Motor für Veränderung sein kann.

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Foto: Edward Beierle


Wie ist das Gebäude genau konstruiert?

Jede Innovation wirft zunächst einmal Fragen auf, insbesondere wenn es sich um Architektur handelt. Herr Haimerl, Ihr Gebäude für das Archiv der Zukunft ist eine außergewöhnliche Skulptur – eine Mischung aus 3D-Druck und Korbgeflecht. Wie kamen Sie auf diese Idee? Rund um Lichtenfels haben sich seit ein paar Jahrzehnten Technologiemarktführer entwickelt, insbesondere im 3D-Druck. Früher hingegen war Lichtenfels für sein Korbflechter-Gewerbe europaweit bekannt, und es gibt viele Bemühungen, diese besondere handwerkliche Tradition hier am Leben zu erhalten. Auf eine Art findet die Korbflechterei im 3D-Druck ihre Fortsetzung. Diese beiden unterschiedlichen Techniken haben etwas gemeinsam: ihre komplexe räumliche Formgestaltung.   Aus diesem Grund haben wir das das Motiv der Weide, Grundmaterial der lokalen Korbflechterei, mit dem Thema des 3D-Drucks verbunden. Dazu haben wir einen mathematischen „Gen-Code“ entwickelt, der – ähnlich einer realen Weide – Wachstumsstrukturen wie Stämme, Äste und Zweige generiert. Das Wachstum der programmierten Struktur wird von einer imaginären Hülle begrenzt, die die Außenform des ehemaligen Gebäudes nachformt. Die Äste knicken dort ab und wachsen wieder in Richtung Boden. Auf diese Weise werden sowohl die Idee des Baumes am Stadtplatz als auch die bauliche Kubatur des ehemaligen Bestandsgebäudes materialisiert.

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Die Weidenstruktur besteht aus Edelstahl, dessen Oberfläche beschichtet wird. Der Stamm und die Knotenpunkte werden in verschiedenen 3D-Druck-Verfahren wie 3D-Schweißen, 3D-Metalldruck, aber auch in Frästechnik hergestellt. Die „Äste“ oder „Zweige“, die zwischen den Knotenpunkten eingesetzt werden, sind handelsübliche Vierkantrohre. Das eigentliche Bürogebäude ist eine Stahlkonstruktion. Die Fassade ist vollverglast, damit sie im Metallgewirr verschwindet. Die Decks des Büros wirken wie Plattformen eines Baumhauses. Das neue Untergeschoss wird durch Betonspundwände geprägt. Ein existierender Gewölbekeller aus Naturstein bleibt dabei erhalten und wird entsprechend in die neue Struktur integriert. Ihr Entwurf löste Kontroversen bei den Bürgern und Bürgerinnen aus. Haben Sie damit gerechnet? Jede Innovation wirft zunächst einmal Fragen auf, insbesondere wenn es sich um Architektur handelt, die an einem prominenten Ort wie einem Marktplatz entstehen soll. Die kontroversen Debatten, die durch die Architektur ausgelöst werden, begrüße ich, weil sie über das eigentliche Projekt hinausführen, und damit auch grundsätzliche Fragen nach der Zukunft und der Identität von Lichtenfels verhandelt werden. Die Architektur bringt die Menschen dazu, sich miteinander auszutauschen und Diskussionen zu führen, die ohne das Bauvorhaben nicht in Gang gekommen wären. Auch auf diese Weise werden die Bürgerinnen und Bürger Teil des gemeinsamen Vorhabens in ihrer Ortsmitte. Welchen Gewinn wird Ihr Entwurf Ihrer Meinung nach für die Stadt und ihre Bürger bedeuten? Das Haus wird nicht nur ein Bürogebäude sein, sondern ein Platz und ein Ort der Kultur, der in verschiedensten Weisen interpretiert und bespielt werden kann. Es soll ein sichtbares Zeichen der wirtschaftlichen und kulturellen Entwicklung sein, die die Region in letzter Zeit genommen hat, und ich hoffe, dass sich die Bürger damit identifizieren. Ich freue mich, wenn dieser Prozess auch von außen wahrgenommen wird, und Besucher ebenso wie Geschäftspartner gerne hierherkommen. Das von Ihnen 2014 gebaute Konzerthaus in der niederbayerischen Gemeinde Blaibach nennt man das „Wunder von Blaibach“ – wie kam es zu dem radikalen Entwurf und wieso hat es einen so nachhaltig positiven Effekt auf den Ort? Der Entwurf ist nur radikal in seinem Ansatz, an diesem Ort einen Konzertsaal zu bauen, der auch höchsten internationalen Ansprüchen gerecht wird. Ein An-


spruch, der meiner Meinung nach auch im ländlichen Raum an alle Vorhaben gestellt werden muss. Um diesen Qualitätsmaßstab zu erreichen, braucht man mutige, kluge und vor allem engagierte Partner. Mit der Gemeinde Blaibach und dem Bariton Thomas E. Bauer, der zugleich Ideengeber und Intendant ist, hatten sich Akteure gefunden, die in der Lage waren, genau diese Ziele umzusetzen.   Eine Region wie der Bayerische Wald gewinnt meines Erachtens vor allem durch anspruchsvolle Kultur. Die braucht als starkes Zeichen auch einen architektonischen Ausdruck. Ich denke, dass nur Kultur in der Lage ist, längerfristig hohe Lebensqualität und wirtschaftliche Prosperität zu gewährleisten. Kann Architektur allein ein Motor für Veränderung sein? Die positive gesellschaftliche Wirkung von Architektur ist in Bayern nicht im ausreichenden Maß anerkannt. Mit Architektur können Entwicklungen angestoßen und Qualitätsmaßstäbe gesetzt werden. Sie repräsentiert auch den kulturellen Ausdruck der Bauherren und der Orte, an denen sie entsteht. In diesem Sinne kann Architektur ein Motor für Veränderungen sein und identitätsstiftend wirken. Architektur kann diese Wirkung aber nur entfalten, wenn sie genügend Unterstützung durch Kommune und Bürger erfährt. Architektur muss ein fester Bestandteil der Kommunalpolitik werden. Sie ist dafür sehr gut geeignet, weil sie eine der wenigen Einflusssphären kommunaler Interessen ist, die unmittelbar geschaffen werden können.    Der berühmte niederländische Architekt Rem Koolhaas hat sich in den letzten Jahren dem Land zugewendet, und sagt, die Zukunft der Welt würde auf dem Land entschieden. Sie interessieren sich schon lange für Orte jenseits der großen Metropolen – was fanden Sie an der Situation in Lichtenfels spannend? Das Land bietet Freiräume, die in den Großstädten zunehmend verschwinden. Das Beispiel Lichtenfels zeigt, dass individueller Unternehmergeist Zukunftsräume schaffen kann. Die Voraussetzungen für spannende Entwicklungen sind hier günstig, weil es sich um eine Region handelt, die kulturgeschichtlich sehr aufregend ist und die dabei ist, sich neu zu entdecken. In Lichtenfels engagieren sich Bürger in außergewöhnlich hohem Ausmaß für ihren Heimatort. Das ist ein Garant dafür, dass Räume für Inspiration und freudvollen Austausch entstehen können.

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Die positive gesellschaftliche Wirkung von Architektur ist in Bayern nicht im ausreichenden Maß anerkannt. Mit Architektur können Entwicklungen angestoßen und Qualitätsmaßstäbe gesetzt werden.


Der Weidenhain wurde von einem Algorithmus generiert, der die natürlichen Wachstumsregeln von Weiden simuliert. Eine fiktive Hülle in Form des ehemaligen Hauses begrenzte dabei das Wachstum. Aus zahlreichen Varianten wählte Peter Haimerl die ideale Form als Dach für das neue Gebäude.

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Lichtenfels  pflanzt  einen  Baum. E   in G   esprächsa  bend 16


Experten sind der Meinung, die „Wiedergeburt der Stadt“ sei vorbei, das Land käme zurück. Erlebt Lichtenfels bereits eine Renaissance? Wie kann das Archiv der Zukunft dazu beitragen, dass die Stadt sich nachhaltig weiterentwickelt? Darüber diskutierten im Mai unterschiedliche Akteure aus Lichtenfels. 17

Moderation: Anneke von Holst / super cetera


TIM BIRKNER ist Trainer, Journalist und Tonmeister und kam nach seinem Studium nach Lichtenfels. Hier lebt er seit 20 Jahren mit seiner Familie in der Innenstadt.

MONIKA FABER, seit 1990 Stadträtin für die SPD und seit 2017 stellvertretende Landrätin im Landkreis Lichtenfels.

FABIAN LUTZ wuchs in Lichtenfels auf. Nach dem Studium und der Assistenzzeit in Hannover zog er im April 2019 für eine Stelle als Zahnarzt in der Praxis Dres. Schöttl in die Korbstadt zurück.

STEFAN MEHL, geboren in Lichtenfels ist Geschäftsführer der R+G Beteiligungs-GmbH, die als Bauherrin für das Archiv der Zukunft Lichtenfels agiert.

PHILIPP MOLENDO ist „Lichtenfelser Eigengewächs“ und leitet den globalen Einkauf für Fensterhebermotoren des oberfränkischen Automobilzulieferers Brose.

PROF. DR. SIEGFRIED RUSSWURM wurde 1963 in Marktgraitz/Lichtenfels geboren. Er war bis 2017 Vorstandsmitglied der Siemens AG und arbeitet heute als freiberuflicher Unternehmensberater und Honorarprofessor an der Uni Erlangen-Nürnberg.

DR. JÖRG-FLORIAN SCHILLE, verh. 3 Kinder, kehrte vor Jahren aus Berlin in seine Heimat Lichtenfels zurück, um mit seiner Frau und Kollegin die Tierklinik seines Vaters zu übernehmen.

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ELKE WERNER ist Stadträtin, in zwölf Lichtenfelser Vereinen tätig und seit 28 Jahren in der Korbwarenmanufaktur Adam Schmidt tätig.


T. Bikner

Mich hat eine Innovation nach Lichtenfels gebracht: Meiner Frau und mir wurde hier vor 20 Jahren eine Stelle angeboten, die wir uns teilen konnten. Für mich war der Entwurf auf den ersten Blick Kunst. Die Frage ist, was kann dieses Kunstwerk in den Menschen bewegen? Wie kann man damit etwas schaffen, was es noch nicht gibt? Und wie kann man so eine Nervenzelle mit anderen außerhalb von Lichtenfels verbinden?

S. Russwurm

Man sieht an vielen Stellen, dass in Lichtenfels investiert und etwas gemacht wird. Aber da ist noch Luft nach oben. Zum Archiv der Zukunft sehe ich das Risiko, dass das Ganze versanden könnte, sobald der erste Hype vorbei ist – und irgendwann „nur noch“ das Gebäude steht. Jenseits der Architektur muss dort auch immer wieder etwas Neues passieren.

E. Werner

J-F. Schille

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Ich arbeite seit fast dreißig Jahren im Korbimportlager Adam Schmidt. Ich habe sogar ein Jahr in der Korbfachschule begonnen, das ich wegen der Geburt meiner Tochter abgebrochen habe. Es ist keine Schande, wenn man mit seinen Händen Geld verdient. Ich habe mich immer wieder durchgebissen, mich politisch engagiert und es bis in den Stadtrat geschafft. Dieser Bau ist für mich die Zukunft. Lichtenfels darf nicht stehenbleiben. Dabei ist mir ganz wichtig, dass wir das Handwerk nicht vergessen! Wir müssen es immer wieder neu aufbauen. Dafür müssen wir die Menschen zusammenbringen und Interesse wecken, ein Handwerk zu erlernen. Das Archiv der Zukunft wäre ein Meilenstein und könnte eine Brücke zwischen Technologie und Handwerk schlagen. Ich bin vor circa 20 Jahren mit meiner Frau und Kollegin nach Lichtenfels zurückgekehrt, nachdem ich einige Jahre im Ausland und in Berlin war. Ich glaube, dass es wichtig ist, das heimische Umfeld zu verlassen, um einen Einblick in die Welt zu bekommen und das, was die „Provinz“ zu bieten hat, schätzen zu lernen. Als wir zurückkamen, haben wir die Überalterung der Stadt und einen allgemeinen Stillstand gespürt. Seitdem hier – auch durch das Archiv der Zukunft – wieder etwas geschieht, schöpft man eine berechtigte Hoffnung, dass unsere Stadt für die nächste Generation wieder zukunftsträchtig ist. Dadurch wird man inspiriert, seinen Teil dazu beizutragen.

P. Molendo

Meine Familie ist hier seit über 100 Jahren, mit einer Metzgerei in der vierten Generation. Ich habe bei längeren Auslandsaufenthalten viel von der Welt kennengelernt. Als Leiter im Einkauf für Elektromotoren bin ich häufig in Asien und Mexiko unterwegs. Vor allem von den Großstädten nehme ich viele Eindrücke mit nach Hause. Detroit, zum Beispiel, war über Jahre hinweg auf dem absteigenden Ast und erlebt gerade eine erstaunliche Revitalisierung. Leerstehende Viertel wurden abgerissen, die Flächen den Menschen zur Verfügung gestellt, um beispielsweise Schrebergärten anzulegen. Auch in Lichtenfels müssen wir nicht nur restaurieren, sondern auch reformieren. Ich glaube, dass dieses Archiv der Zukunft ein Symbol für den Transformationsprozess in Lichtenfels ist.

S. Mehl

In unserer Jugend gab es hier kleine Läden, viele Kneipen. Das ist verloren gegangen. Dieses Schicksal teilen wir mit vielen anderen kleinen Städten. Seit ein paar Jahren verändert sich hier aber merkbar etwas. Nicht nur weil es Concept Laser gibt, sondern auch andere innovative Unternehmen, die sich am Weltmarkt erfolgreich positionieren. Es gibt Keimzellen, die uns die Chance geben, Lichtenfels eine Zukunft zu geben.

Dieser Bau ist die Zukunft. Lichtenfels darf nicht stehenbleiben.


Das Archiv der Zukunft wird ein sehr innovativer Bau. Das Ganze wirklich auf Dauer mit Leben zu füllen, ist die große Herausforderung. Für unser umgebautes Stadtschloss und unsere Stadthalle ist es nicht einfach, immer wieder interessante Kulturveranstaltungen zu bekommen. Beim Archiv sehe ich aber die große Chance, den Bürgern Zukunftstechnologien näher zu bringen. Wir müssen vermitteln, warum sich Dinge in unserer Stadt so entwickeln, wie sie es tun. Wir haben in der letzten Zeit in der Ausweisung von Industrie- und Baugebieten viele interessante, zukunftsträchtige Betriebe hinzugewonnen, die Arbeitsplätze bieten und Leute wieder anziehen. Darum dürfen wir nicht vergessen, in Zukunft auch für bezahlbaren Wohnraum zu sorgen.

A. von Holst

Herr Birkner, Sie sprachen auch von „Nervenzellen“?

T. Birkner

Man könnte überlegen, wie man die globale Vernetzung der Industrie in ein lebendiges, kommunales Projekt übertragen könnte, in dem das Archiv der Zukunft eine von mehreren Nervenzellen ist.

S. Russwurm

Mir gefällt dieses Bild. Man könnte Unternehmen verbinden, die jetzt schon international tätig sind. Wenn man diese Globalität reinholen und umgekehrt Lichtenfels in die Welt exportieren kann – das hat für mich ganz viel Charme. Wie die Architektur, die ja nicht nur die Fenster, sondern die gesamten Mauern von dem alten Deichmannhaus öffnet: Lassen wir die Welt rein!

A. von Holst

Sind Sie der Meinung, dass das Archiv der Zukunft ein Ort sein könnte, um städtische Prozesse zu vermitteln?

M. Faber

M. Faber

Das Gebäude an sich hat schon einen Vermittlungscharakter. Das Archiv als Begegnungsstätte am Marktplatz finde ich sehr wichtig. Wir haben es nach vielen Diskussionen im Stadtrat einstimmig beschlossen. Es wird nach außen wirken. Ich sehe es als einen wichtigen Baustein in unseren gesamten Bemühungen, die Stadt zu verändern.

Die technologischen Entwicklungen in Lichtenfels sind sehr interessant. Die große Herausforderung ist, sie den Menschen näher zu bringen. Ich sehe in der Hauptschule, wie sehr die Schüler damit zu begeistern sind. Unsere Tradition war mal das Flechthandwerk. Ich kann mir vorstellen, dass man das verknüpfen könnte. Aber ich kenne Flechter, die befürchten, dass sie wegen des 3D-Drucks eines Tages nicht mehr gebraucht werden.

P. Molendo

Ich finde die Idee der Weltoffenheit sehr interessant. Eine Ausstellung, egal wie interessant sie ist, schaut man sich vielleicht zweimal an. Wenn ich das permanent beleben will, muss ich verschiedene Interessen ansprechen.

A. von Holst

Ist eine permanente Öffnung denn überhaupt gewollt?

S. Mehl

Wir wollen größtmögliche Offenheit. Als wir die Brache mit ein paar Brettern zur Sitzgelegenheit umfunktioniert haben, haben sie die Menschen in Beschlag genommen – im positiven Sinne genutzt. Sie haben Peter Haimerls Idee, einen innerstädtischen Ort der Begegnung zu schaffen, einfach umgesetzt, ohne dass wir viel gemacht haben.

S. Russwurm

Man muss die Leute in Aktion bringen.

J-F. Schille

Dieses Archiv ist offensichtlich provokant. Es soll etwas Archivarisches und etwas Zukunftsorientiertes haben. Wie kriegen wir das Traditionelle mit den Zukunftsthemen überein? Wie bringe ich die Landwirte aus Mönchkröttendorf nach Lichtenfels, um sich so etwas anzugucken? Wir kriegen die Leute

M. Faber

F. Lutz

S. Mehl

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Ich bin erst seit sechs Wochen zurück in Lichtenfels. Die Entwicklung in den letzten Jahren habe ich also nur aus der Entfernung beobachten können, sie aber als sehr positiv wahrgenommen – vor allem mit unserem jungen, dynamischen Bürgermeister. Natürlich auch durch das Geld, das von einigen Unternehmen in die Hand genommen wird und in die Stadt investiert wird. Ich bin mir sicher, dass das Archiv der Zukunft mit seiner imposanten Architektur einen positiven Effekt ausüben wird. Unser Ursprungsgedanke war, über eine Ausstellung den Menschen einen Zugang zu neuen Technologien wie dem 3D-Druck zu ermöglichen. Aber wir leben in einer Welt, wo jeden Tag neue Schweine durchs Dorf getrieben werden. Wir wollen die Bürger ermutigen, ihre eigenen Gedanken und Ideen aktiv einzubringen. Ich bin wirklich fest davon überzeugt, dass Kunst und Kultur ein wesentlicher Baustein von Veränderungen sind. Wir richten uns ganz bewusst nicht nur an Techniker oder Ingenieure, sondern an alle.


Was wünschen Sie sich für die Zukunft von Lichtenfels?

Für die Zukunft wünsche ich mir, dass der Platz den Lichtenfelsern etwas geben wird. Denn es gab ja viele kontroverse Diskussionen um ihn. Dafür, dass Lichtenfels eine kleine Stadt ist, ist hier vieles im Umbruch. MICHAEL JANDEJSEK, Archäologe, an der Grabungsleitung am Marktplatz 2

Lichtenfels ist die einzige Stadt in ganz Deutschland, die eine Berufsfachschule für Flechtwerkgestaltung hat. Mir gefällt Lichtenfels. Für die Zukunft wünsche ich mir, dass das Handwerk eine größere Rolle spielt. Das Handwerk wird gebraucht, und das sollte den Menschen stärker bewusst werden. Wir gestalten hier in Lichtenfels als Korbmacherstadt auch diesen Beruf für die Zukunft. CLARA WALTER, Schülerin der staatlichen Berufsfachschule für Flechtwerkgestaltung

Fotografie: Stefan Loeber


Was wünschen Sie sich für die Zukunft von Lichtenfels? Ich wünsche mir für die Zukunft, dass sich die Stadt wieder mit Leben füllt. Ich finde es wichtig, Arbeitsplätze und Handel vor Ort zu erhalten und zu stärken. Die Leute sollten sich klarmachen, dass lebendige Geschäfte in der Innenstadt eine Qualität bedeuten, für die es sich lohnt, aus dem Haus zu gehen! KATJA ENDERS, Apothekerin

Lichtenfels fand ich lange ziemlich traurig, es war wenig los, ich fühlte mich nicht hingezogen. Erst in den letzten Jahren hat sich das geändert. Es kommt langsam frischer Wind rein. Es wird mehr geboten, zum Beispiel gibt es mehr Veranstaltungen. Ich wünsche mir, dass die Stadt weiterhin attraktiver gemacht wird, sodass sich Einheimische und Zuziehende wohl fühlen. Dazu braucht es eine gute Atmosphäre in der Stadt. STEPHAN WILM, Fotograf und Filmemacher aus Hochstadt


Ich sehe im Projekt Marktplatz 2 die Tradition und auch die Zukunft. Lichtenfels ist die Korbstadt; sie kommt von der Korbflechterei. Deshalb das Motiv der Weide. Zugleich ist es ein Haus der Zukunft, ein Ort der Begegnung, der offen ist. Offen für Neues. Und offen ist auch die Architektur. Es ist nicht Mainstream, es ist mutig und besonders. Wie ich für Lichtenfels die Zukunft sehe? Wir sind eine fränkische Kleinstadt. Wir sind keine Stadt, in die man ohnehin zieht, sondern wir müssen bei den Menschen Interesse wecken, hierherkommen zu wollen. Da gibt es schon einiges: einen guten Branchenmix, gute Cafés, sehr gute Lebensqualität. Es wird gebaut, es werden Industrieflächen zur Verfügung gestellt. Lichtenfels ist eine Stadt von einer Größe, in der man noch mitgestalten kann, wenn man möchte. ROBERTO BAUER, Herrenmoden im Stadttor

Ich bin in Lichtenfels geboren. In den vergangenen zehn Jahren war Lichtenfels etwas verschlafen. Heute wird die Stadt im Zusammenhang mit zukunftsweisenden Technologien genannt. Dieser neue Schwung bewirkt, dass sich nun auch kleine mittelständische Unternehmen und Gastronomen trauen, in Lichtenfels zu investieren. Viele „Heimkehrer“ sind darunter. So eine Aufbruchsstimmung muss man als Stadt unterstützen. STEFFEN HOFMANN, Citymanager


Ich halte es mit Luther, der sagte: Wenn ich wüsste, dass ich morgen sterben würde, würde ich heute noch ein Apfelbäumchen pflanzen. Für Lichtenfels wünsche ich mir mehr Geschäft, mehr Geschäftigkeit, mehr Menschen, die auf den Marktplatz kommen, wo ich öfter mit meinem Gärtnereistand stehe. OTMAR RENNER, Gärtnermeister

Was wünschen Sie sich für die Zukunft von Lichtenfels? Wenn wir die Stadt lebendig gestalten wollen, und das ist unsere Aufgabe, müssen wir uns etwas trauen. Gerade auch in der Architektur. Deshalb freue ich mich, dass die Bauherren am Marktplatz 2 etwas wagen, das so überhaupt noch nie dagewesen ist. Gerade auch in der Architektur. Unsere Stadt beschreibt sich damit als offene, innovative Stadt. Das ist auch eine Einladung, herzukommen. ANDREAS HÜGERICH, Erster Bürgermeister


bisher nicht zurück auf den Marktplatz, weil auf dem Marktplatz nichts los ist. Es gibt einen großen Leerstand. Es wohnt eben auch keiner mehr hier, weil es einfacher ist, auf der grünen Wiese zu bauen. M. Faber

Die Versiegelung der grünen Wiese muss eingegrenzt und die Innenstadt belebt werden. Wir haben Instrumente, die leider schwach genutzt werden. Aber die Frage ist, ob wir das Archiv der Zukunft mit unseren Erwartungen jetzt nicht überfrachten.

E. Werner

Lichtenfels war im Dornröschenschlaf. In der Zeit ist viel kaputt gegangen. Lichtenfels pflanzt jetzt einen Baum. Wenn wir wieder Leben in den Marktplatz bringen, dann kann auch ein Händler sagen: „Ich mache meinen Marktstand hier auf, weil jetzt wieder Leute da sind, die etwas kaufen.“ Ich denke, es ist eine Kettenreaktion.

M. Faber

Aber dazu würde auch Wohnraum im Nahbereich gehören.

E. Werner

Wenn es hier wieder belebt ist, ziehen vielleicht auch junge Leute in die leerstehenden Wohnungen der Innenstadt.

A. von Holst

Wie könnte der weitere Prozess aussehen?

S. Russwurm

Wir müssen die Reichweite der Unternehmen, die hier in Lichtenfels sind, nutzen. Man muss mitbekommen, welche Aktivitäten von Lichtenfels ausgehen, und damit den Horizont erweitern. Ich werde eine Flasche teuren Wein aufmachen, wenn am Schalter in der Kreissparkasse ein kleines englisches Fähnchen klebt, und jemand, der neu nach Lichtenfels kommt, ein Konto eröffnen kann, ohne Deutsch zu sprechen. Das sind kleine Signale von Weltoffenheit, die zeigen, dass diese Welt etwas mit Lichtenfels zu tun hat, weil Produkte – und auch Menschen – von hier in die ganze Welt gehen und umgekehrt andere hier willkommen sind.

T. Birkner

Gibt es die Möglichkeit, den Menschen einen Rahmen zu geben, dass sie selbst aktiv werden? Vielleicht als eine Aktionsfläche, die regelmäßig live mit den Partnerstädten verbunden wird. Wir stellen also nicht nur einen Raum zur Verfügung,

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sondern auch eine Struktur, und gucken mal, was daraus wächst. S. Mehl

Es braucht gar nicht ständig irgendetwas Ausgetüfteltes und Hochkompliziertes. Es braucht Katalysatoren oder niederschwellige Angebote. Solche Ideen nehme ich gerne mit. Das kann Impulse aussenden und andere ermutigen, etwas Ähnliches zu versuchen.

S. Russwurm

Man muss anfangen, muss erste Schritte tun. Und dann den Menschen vermitteln, warum man das macht und was die Vorteile für jeden Einzelnen sind. Also, diese Idee, Lichtenfels raus in die Welt zu tragen und die Welt nach Lichtenfels reinzuholen, die finde ich klasse.

Wir wollen die Bürger ermutigen, ihre eigenen Gedanken und Ideen aktiv einzubringen.


Vom Weidenk   orb zur 3   D-Weide L   ichtenfels z  wischen G   estern und M   orgen 26

Text: Tina Veihelmann


Wer Lichtenfels mit der Bahn erreicht und sich auf den Weg in die Stadt macht, tritt am Bahnhofsvorplatz durch ein Tor aus Flechtwerk. Ein Willkommensgruß der „Deutschen Korbstadt“. Die Innenstadt liegt nur einen kurzen Fußweg entfernt – mit allem, was zu einer oberfränkischen Stadt gehört: einer Sandsteinkirche mit 27


Schieferdach, hübschen Fachwerkhäusern und Kopfsteinpflaster. Mitten auf dem Marktplatz ist das Pflaster aufgebrochen. Da wird geklopft, gehämmert, ein altes Gewölbe freigelegt. Darauf soll das Archiv der Zukunft entstehen. Ein avantgardistischer, fast skulpturaler Bau wird es werden. 28


Drei metallene Weiden, „gewachsen“ durch Algorithmen, hergestellt im 3D-Druckverfahren, stehen für die Lichtenfelser Hightech-Unternehmen. Die Weide symbolisiert die regionale Korbflechterei. Treffender könnte man das Spannungsfeld zwischen Tradition und Moderne kaum in ein Bauwerk übersetzen.   Mittendrin in diesem Spannungsfeld ist Christian Lurz. Er ist 26 Jahre alt, sitzt im neu eröffneten Café Moritz am Marktplatz und trinkt einen morgendlichen Kaffee. Er erzählt davon, dass die 3D-Druckverfahren für Metall in Lichtenfels entwickelt wurden. Eine technische Revolution, die in der Branche Aufsehen erregte. Gerade für Prototypen und jegliche Teile, die in kleinen Stückzahlen benötigt werden, sind diese Techniken optimal – ihr Potenzial noch lange nicht ausgeschöpft. Lurz ist Ingenieur, hat in Coburg Automobiltechnik und Maschinenbau studiert und fing anschließend in Lichtenfels bei der Firma Robert Hofmann an. Für seinen Job reist er heute viel ins Ausland.   Seit in Lichtenfels die Hightechfirmen wachsen, tut sich viel in der Stadt. Neue Leute ziehen zu. Lichtenfels verändert sich. Und zugleich bleibt es in vielem bei seinen Wurzeln. Da sind zum Beispiel die Vereine, die seit Generationen ein fester Bestandteil des gesellschaftlichen Lebens sind. „Ich selbst bin als Jugendlicher nach Lichtenfels gekommen, um bei einem Traditionsringerverein zu trainieren, dem AC Lichtenfels“, erzählt Lurz. „Dort ringe ich heute noch, mittlerweile in der Bundesliga. Dass ich hier arbeiten konnte, ergab sich erst später.“ Lurz, der in einem Dorf zwanzig Fahrminuten entfernt wohnt, war froh, dass er für die Arbeit nicht wegziehen musste. Lurz verkörpert das junge Hightech-Lichtenfels. Zugleich schätzt er Oberfranken mit seinen Besonderheiten: „Am liebsten“, sagt er, „würde ich in einem Fachwerkhaus wohnen.“ Am Wochenende geht er gern „auf den Keller“, trinkt ein lokal gebrautes Bier. Die Abendvergnügungen einer Großstadt vermisst er nicht.

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Vor 250 Jahren war es die Korbflechterei, die Lichtenfels in ein neues Zeitalter führte. Vor 250 Jahren war es die Korbflechterei, die Lichtenfels in ein neues Zeitalter führte. Im nahgelegenen Michelau hatten Korbmacher begonnen, Flechttechniken zu entwickeln, die Körbe zu einem Produkt machten, das sich in alle Welt vertreiben ließ. In Lichtenfels etablierten sich Korbgroßhändler, die Handelsverbindungen in alle Welt aufbauten.   Für diese Geschichte steht das Ehepaar Dinkel, das den Korbwarengroßhandel „Adam Schmidt“ betreibt. Bis vor etwa 50 Jahren kaufte der Fachhandel, den Elisabeth Dinkels Großvater 1896 gründete, Korbwaren bei Flechtern aus der Umgebung ein. „Aber von den hunderten Flechtern, die es hier gab, sind nur eine Handvoll geblieben“, erzählt sie. Das hiesige Flechthandwerk ist in ihren Augen so gut wie untergegangen. Ihre Waren beziehen sie heute in großen Mengen aus Polen und Asien. Der Handel läuft gut, der Sohn führt ihn bereits weiter. Aber es ist der letzte seiner Art in Lichtenfels.   Elisabeth Dinkel wirkt so heiter wie unsentimental. „Was kommt“, sagt sie, „ist anders als das, was in der Vergangenheit liegt. Lichtenfels braucht Entwicklung. Und die liegt bei den neuen Unternehmen. Ich begrüße alles, was vorangeht. Und ich freue mich, dass sich in der Stadt wieder etwas tut.“


CHRISTIAN LURZ, Ingenieur und Ringer

EHEPAAR DINKEL, Korbwarenhändler

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MORITZ GLÄTZER, Gastronom


Seit in Lichtenfels die Hightechfirmen wachsen, tut sich viel in der Stadt.

Die Zukunft der Flechtkultur scheint eine junge Generation in der Handarbeit, in kleinen Stückzahlen und dem Übersetzen von Traditionen in Zeitgemäßes zu sehen. Dabei wird lokal wie auch global gedacht. Das Lichtenfelser „Zentrum für Europäische Flechtkultur“, das mit der Schule kooperiert, vernetzt traditionelle und moderne Flechtkultur verschiedener Länder miteinander. Es würde gerne einen Showroom am Marktplatz bespielen. Um zu zeigen, wie Tradition im Heute ankommt.

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Am Marktplatz im Café Moritz ist es Nachmittag geworden. Moritz Glätzer, der Betreiber, serviert Ingwerlimonade. Die schmeckt erfrischend. Und so ist es auch gemeint: Moritz Glätzer ist ein „Heimkommer“. In der Nähe von Lichtenfels geboren, machte er in München eine Ausbildung in der Gastronomie und ist jetzt in die Heimat zurückgekehrt. Glätzer wirkt wie einer, der für die Stadt genügend Gemüt mitbringt und zugleich in der Lage ist, etwas ganz Neues anzupacken. „Ich bin zurückgekommen, weil ich in der Stadt mit ihren Innovationen und dem frischen Wind, der jetzt weht, eine Perspektive sehe.“ Das Lokal war früher ein Traditionscafé. „Als Kind war ich mit meiner Oma hier Kuchen essen.“ Zwei Jahre lang stand es leer, bevor Glätzer entschied, in Lichtenfels einen Anfang zu wagen. „Die Innenstadt braucht Leben“, sagt er. Die Stadtbewohner hätten längst den Anspruch, an ihrem Marktplatz mehr als nur eine Bierkneipe vorzufinden. Er packte an, renovierte und gestaltete sein Café im schwedischen Stil, – weißes Eichenholz, viel Lindgrün, viel Licht. Im vergangenen Herbst eröffnete er. Die Idee ging auf: Glätzer freut sich riesig, dass die Lichtenfelser den Ort begeistert annahmen. Alte und junge Gäste kommen, das Lokal geht gut. Er sagt, dass es zum Leben gehöre, sich immer neu zu erfinden.


Tradition und Moderne

Fotografie: Stefan Loeber


Quelle: Airbus Operations GmbH I Robert Hofmann GmbH

Links: Die Korbflechtkunst, ein Wirtschaftszweig, der Lichtenfels seit Jahrhunderten prägt.

Rechts: Innovative 3D-Druckverfahren führen die Region in die Zukunft.


Vereinstradition belebt Lichtenfels, insbesondere die der Ringer.


Die vielen Baustellen in Lichtenfels sind Zeugen der aufstrebenden Wirtschaft.


Die Natur und die Weiden – zwei der vielen Ressourcen des Standortes Lichtenfels.


Quelle: Robert Hofmann GmbH

Es gibt Raum für Innovationsgeist und visionäre Ideen, das beweisen die High-Tech-Firmen vor Ort.


„Die M   enschen für Zukunftsthemen b   egeistern.“

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Interview: Celina Plag


Ein Gespräch mit dem Bauherrn STEFAN MEHL über die Vision für das neue Haus am Marktplatz, über Heimat, Tradition und Erneuerung — und warum es so wichtig ist, technische Innovationen in der Region zu fördern.

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Herr Mehl, was ist eigentlich ein Marktplatz? Das ist ein zentraler öffentlicher Platz, wo Handel betrieben wird. Ich habe allerdings eine persönliche Definition: Für mich ist ein Marktplatz ein Ort der Begegnung, wo man sich trifft und austauscht oder gemeinsam Veranstaltungen besucht. Ist das in Lichtenfels momentan der Fall? Hier haben wir einen tollen zentralen Platz, wo täglich generationsübergreifend viele Menschen praktisch automatisch vorbeikommen — morgens die Schüler, mittags die Leute aus den Büros, nachmittags vielleicht die Rentner, die eine Tasse Kaffee trinken wollen. Oder Touristen mit ihren Fahrrädern. In Sachen Zusammenkunft ist der Platz allerdings die meisten Tage ruhig. Es gibt einige verbliebene Restaurants und Kneipen und es finden immer wieder Veranstaltungen statt. Für meinen Geschmack passiert das zu selten. Begegnungen finden heute anderswo statt. Im Internet zum Beispiel. Ich finde, wir müssen den Wert von persönlichen Begegnungen wiederentdecken und diese unterstützen. Das ist ein Gegengewicht zur digitalen Kommunikation — und wichtig für die Zukunft. Das war übrigens eine unserer Hauptmotivationen, als es in die Planung zum Archiv der Zukunft ging. Was bietet sich da besser an als ein Ort mitten in der Stadt, den jeder kennt und der für jeden leicht erreichbar ist. Wir müssen die Dinge, die wir zeigen wollen, zu den Menschen bringen und nicht umgekehrt. Was wird im Archiv der Zukunft passieren? Der wesentliche Zweck besteht für uns darin, die Menschen für Zukunftsthemen zu begeistern. Dazu wollen wir neue Ideen und Technologien aufgreifen, zum Anfassen präsentieren und über diese mit den Besuchern ins Gespräch kommen. Das geht bei aktuellen Technologien wie 3D-Druck los bis hin zu dem, was wir heute noch gar nicht kennen. Innovationen wollen wir frühzeitig entdecken. Dazu werden regelmäßig spannende Referenten eingeladen und experimentelle Formen von Ausstellungen gezeigt. Das Archiv der Zukunft soll also ein Ort werden, wo sich Menschen treffen, um über die Zukunft zu reden, diese aber schon heute erleben, anfassen und begreifen können. Worin besteht für Lichtenfels der Mehrwert? Wir sind überzeugt davon, dass kleine Städte frische Impulse brauchen, um überhaupt selbst eine Zukunft zu haben. Das gelingt auch über den Aha-Effekt, der durch ein architektonisch außergewöhnliches Gebäu-

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de entsteht und durch den wir uns von anderen Orten abheben können. Wir zeigen damit: Lichtenfels verändert sich gerade auf eine ganz ungewöhnliche Art und Weise. Hier entsteht etwas Neues. Was verändert sich denn gerade in Lichtenfels? Eine wesentliche Veränderung besteht darin, dass die Bürger optimistischer in die Zukunft blicken. Ich bin hier geboren und aufgewachsen, war lange beruflich unterwegs und seit drei Jahren zurück. Früher hieß es: Wie lange bleibst du noch oder bist du schon weg? Mittlerweile gibt es in Lichtenfels hochqualifizierte Jobs in einer Anzahl, von der man früher nur träumen konnte. Sie können in Firmen arbeiten, die auf ihrem Gebiet an der Weltspitze sind. Das strahlt in den letzten vier bis fünf Jahren auch in andere Bereiche ab. Inwiefern? Lichtenfels hat einen jungen Bürgermeister, der die Stadt in die Zukunft führen will. Da werden Kitas gebaut, neue Wohngebiete ausgewiesen oder ein neues Nahverkehrskonzept entwickelt — alles, was eine Stadt lebenswert macht. Mit dem Archiv der Zukunft schaffen wir in diesem Zusammenhang auch symbolisch einen Kristallisationspunkt. Was schätzen Sie als Rückkehrer an Ihrer Heimat? Ich mag es, dass wir hier in einer Gegend wohnen, in der andere gerne ihren Urlaub verbringen. Es gibt einerseits noch viel unverbaute Natur, andererseits aber alles, was man zum Leben braucht, in kurzer Entfernung. Dazu kommt eine ausgeprägte Ess- und Trinkkultur mit lokalen Besonderheiten. Wenn ich das bis Bamberg weiterziehe, haben wir hier die größte Brauereidichte weltweit. All das ist meiner Meinung nach erhaltenswert und gibt der Region ihren besonderen Charakter. Das schließt Fortschritt nicht aus? Ganz im Gegenteil! Ich glaube, Tradition und Fortschritt können wunderbar miteinander existieren und sich gegenseitig sogar befruchten. Kürzlich hatte ich ein Gespräch mit dem Gründer von Concept Laser, der mir sagte, dass, wenn er hier am Staffelberg sitze und in das Maintal blicke, ihm die besten Ideen kämen. Das traditionelle Lichtenfelser Handwerk ist die Korbflechtkunst. Was lässt sich davon für die Zukunft lernen? Anfang des 20. Jahrhunderts ist von Lichtenfels aus ganz Europa mit Korbflechtwaren beliefert worden. Dass es den Menschen gelungen ist, ihre Produkte mit den beschränkten infrastrukturellen Möglichkeiten so weit zu verbreiten, war — und ist in so einer


Wir sind überzeugt davon, dass kleine Städte frische Impulse brauchen. abgelegenen Region wie unserer — bis heute beachtlich. Kürzlich habe ich sogar eine Theorie gehört, dass der Grund, warum Lichtenfels in Sachen 3D-Entwicklung so fortschrittlich ist, darauf zurückzuführen sei, dass die Menschen durch das Korbflechten seit Jahrhunderten das räumliche Vorstellungsvermögen trainiert haben.   Die verfremdeten Weidenbäume mit in den Entwurf des neuen Hauses einfließen zu lassen, war uns auch deshalb wichtig. Sie symbolisieren die Verschmelzung von Tradition und Zukunft. War das ausschlaggebend für die Wahl von Peter Haimerls Entwurf? Es waren letztlich die Verantwortlichen in den Behörden, die gesagt haben: An so einer zentralen Stelle ein x-beliebiges Haus bauen zu lassen, kommt nicht in Frage. Peter Haimerl hat es dann geschafft, etwas umzusetzen, was wir vorher selbst gar nicht so genau artikulieren konnten — nämlich einen Ort der Begegnung schaffen zu wollen, was man am Ehesten erreicht, wenn das eigentliche Gebäude sehr stark in den Hintergrund tritt. Der Entwurf irritiert viele Leute. Mich hat er anfangs auch irritiert. Was soll das sein? Eine Skulptur? Wenn Sie heute ein Haus bauen, tun Sie das zu einem bestimmten Zweck und haben dahingehend eine konkrete Vorstellung. Wir haben nicht mehr als eine Idee. Das macht es schwerer zu verstehen. Aber ich denke, wenn Architektur gut ist, muss sie auch kontroverse Diskussionen hervorrufen. Dann erreicht sie die Menschen.

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Schwer zu verstehen sind oft auch technische Innovationen wie „3D-Printing“ und „Rapid Prototyping“. Was ist das eigentlich? „Rapid Prototyping“ ist im Grunde das, was man auf Deutsch als schnellen Modellbau bezeichnet. Wenn eine Firma egal in welcher Branche ein neues Produkt entwickelt, kommt sie irgendwann an einen Punkt, wo sie es real sehen und anfassen möchte. Dann wird ein dreidimensionales Modell erstellt, auf dessen Basis sich Fehler finden und Feinheiten korrigieren lassen. Prototypen zu bauen war früher sehr zeitaufwändig. Mit 3D-Druckern kann man diese Prozesse deutlich beschleunigen. Welche Verbesserungen oder Errungenschaften hat das 3D-Druck-Verfahren mit sich gebracht? Immer dort, wo Sie kleine Mengen oder Unikate herstellen, ist das 3D-Druck-Verfahren hervorragend geeignet. Wie perfekt sitzende, leicht produzierte Prothesen für medizinische Zwecke. Das ist ein Wahnsinnsfortschritt und verbessert das Leben vieler Patienten. Hier in der Gegend gibt es eine neue Firma, die Einlagen für Schuhe im 3D-Drucker produziert. Diese sind hochindividualisiert und bieten dadurch eine höhere Passgenauigkeit und Tragekomfort. Warum ist es Ihnen persönlich wichtig, Technik und Innovation zu fördern? Mir ist schon bewusst, dass es Menschen gibt, die das kritisch sehen und finden, auf der Welt gäbe es genug Probleme, die drängender wären, als ein Archiv der Zukunft zu bauen, Hungersnöte etwa. Überhaupt, dass mitten am Marktplatz ein zu 100 Prozent privat finanziertes halböffentliches Gebäude für die Gemeinschaft entsteht, scheint für viele schwer zu greifen.   Ich persönlich glaube aber, dass Technik richtig genutzt eine Menge bewirken kann. Alles sollte mehr in die Richtung gehen zu überlegen: Wie kann eine Technik eingesetzt werden, um das Leben der Menschen auch in benachteiligten Regionen zu verbessern? Das ist für mich eine große Motivation, Technik weiterzuentwickeln. Vielleicht entwickeln die Bürger von Lichtenfels im Archiv der Zukunft dahingehend Lösungsansätze. Das ist natürlich genau der Gedanke, der ganz wichtig ist. Mit dem Archiv der Zukunft wollen wir auch und vor allem junge Leute ansprechen. Wenn es nur zwei oder drei sind, die aufgrund der Tatsache, dass sie sich bei uns für Technik haben begeistern lassen, Dinge entwickeln, die die Welt ein wenig besser machen, dann hätten wir schon sehr viel erreicht.


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