Magazin #3

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Mit dem Archiv der Zukunft entsteht in Lichtenfels ein Gebäude, das die Zukunft der Stadt prägen wird. Der Name ist dabei Programm: Die Zukunft wird erforscht und diese Forschungen werden vermittelt und im Archiv gespeichert, um weitere Erkenntnisse daraus zu schöpfen. Es wird ein Haus des Wandels sein, der durch uns alle ausgelöst und gestaltet werden kann: Für Lichtenfels, in der Gegenwart, mit der Zukunft! Die Fotoserie auf den folgenden Seiten gibt einen Einblick in die Entwicklung der Weidenarchitektur des Archivs der Zukunft. Die Bilder zeigen Prototypen von Astgabelungen, die teils 3D-gedruckt und teils geschweißt sind. Architekt Peter Haimerl arbeitet hier eng mit den Bauherren, die selbst 3D-Druck-Spezialisten sind, dem Statiker und den Metallbauern zusammen, um die optimale Form für die Umsetzung dieser experimentellen Architektur zu finden.

08 Editorial 10 Architektur als Arbeit am Weltarchiv Ein Essay von Alexander Gutzmer 14 FAQ 16 Lichtenfels – Die Faszination der Weiden Ein Expertengespräch. Christiane Bürklein 21 Was begeistert Sie am Haus mit den Weiden? Baubeteiligte antworten 26 Schicht für Schicht: Über die Geschichte und Zukunft des 3D-Drucks Verena Dauerer Interview mit Frank Herzog 36 Die Zukunft ist gegenwärtig Olaf Grawert und Ludwig Engel 43 Impressum







Liebe Leserinnen und Leser, im Herzen unserer Stadt gab es in den letzten fünfzehn Monaten enorme Veränderungen: Aus der Baugrube begann das Archiv der Zukunft aus dem Boden zu wachsen! Wachstum ist ein faszinierender Vorgang: Aus einem kleinen Samen sprießend, lässt sich fortlaufend in der Gegenwart erleben, welche Versprechungen die Zukunft, die vielen Zukünfte bereithalten. Neue Zweige werden angelegt, Früchte beginnen zu reifen, in denen wiederum Samen der Innovation geborgen sind. Wir starten daher in der dritten Ausgabe unseres Magazins mit einem philosophischen Essay von Dr. Alexander Gutzmer über die visionäre Kraft des Namens des Archivs der Zukunft und seine Manifestation in der Architektur. In einem Gespräch moderiert von der Publizistin Christiane Bürklein zwischen Professor Morgenthal und dem Bioniker Prof. Dr. Thomas Speck der Universität Frei9


burg im Breisgau erforschen wir die Innovationskraft der Natur. Die Journalistin Verena Dauerer hat für uns die Geschichte des 3DDrucks zusammengestellt und mit Frank Carsten Herzog ein Interview über diese Zukunftstechnologie und ihren Stellenwert in Lichtenfels geführt. Mit einer Bildstrecke stellen wir interessante Innovationen der Anwendung des 3D-Drucks vor. Wir haben Ihnen Antworten auf Ihre häufigsten Fragen zum Archiv der Zukunft zusammengetragen und begeisterte Stimmen der am Bau Beteiligten gesammelt. Abgerundet wird dieses Magazin durch einen Bericht von Olaf Grawert und Ludwig Engel über den deutschen Beitrag an der Architekturbiennale Venedig und die Kooperation mit dem Archiv der Zukunft. Denn Zukunft entsteht aus der Gegenwart, Zukunft nimmt Gestalt an, indem wir sie Heute und jeden Tag neu entwerfen, diskutieren und gemeinsam erschaffen. Günter und Robert Hofmann, Initiatoren Archiv der Zukunft 10


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Dr. Alexander Gutzmer promovierte am Londoner Goldsmiths College in Philosophie und ist Professor für Kommunikation und Medien an der Quadriga Hochschule Berlin.


ARCHITEKTUR ALS ARBEIT AM WELT ARCHIV Zukunft und Archiv – ein Widerspruch? Der Kulturwissenschaftler Alexander Gutzmer reflektiert über die Namensgebung unseres Projekts 12 Essay: Alexander Gutzmer


Im Anfang war das Wort, heißt es. Und damit der Sinn. Worte stiften Sinnhaftigkeit, erzeugen Eindeutigkeit. Häufig zumindest. Zum Beispiel das Wort „Archiv“. Eigentlich ein klarer, schöner, präziser Begriff. Einer, der darüber hinaus die Disziplin des Bewahrens, des Ordnens, des Eindeutigen bezeichnet. Alles klar eigentlich. Oder? Aber dann kommt ein zweites Wort daher: „Zukunft“. Und schon wird es knifflig. Denn wer kennt sie schon, die Zukunft? Außerdem treten damit nun zwei einigermaßen gegensätzliche Sinnwelten miteinander in Austausch und arbeiten sich aneinander ab. Ein „Archiv der Zukunft“ wird es geben in Lichtenfels. Das Künftige also soll in einen Container der Konservation gegossen werden. Es soll das bewahren, das noch gar nicht ist. Aber das geht doch gar nicht. Oder? Natürlich ist diese vermeintliche Widersprüchlichkeit den Initiatoren dieses Zukunftsarchivs bewusst. Für sie ist der Widerspruch womöglich Programm. Denn widersprüchlich sind auch die Zeiten, in denen wir leben. Und speziell das Konzept der Zukunft ist mit vielen Uneindeutigkeiten und sich diametral entgegengesetzten Programmatiken verknüpft. Wie wird sie denn, unsere Zukunft? Auf welche Fortschrittsnarrative können wir noch setzen? Welchen wollen wir folgen, welche eher ignorieren – und damit auch aus unseren Archiven streichen? Es gilt also, das abstrakte Konzept der Zukunft fassbar zu machen und für alle verhandelbar. Sie soll durch den Behälter des Archivs mit einer Konkretheit, einer informatorischen und begrifflichen Dichte angereichert werden, die es zuvor nicht hatte. Dafür soll dieses Archiv Zukunft eine räumliche Dichte geben. Das ist sein vielleicht gewagtester, mutigster, auch – im positiven Sinn – größenwahnsinniger Aspekt: dass es einen Raum darstellt, ein Stück Architektur. Räumlich das Nichträumliche denken. Das hat sich Peter Haimerl vorgenommen. Und das kann er. Doch dazu später mehr. Archiv und Kultur Was genau heißt das also, der Zukunft ein „Archiv“ geben? Keine Schmiede, auch kein Labor – ein Archiv? Begriff und Konzept des Archivs elektrisieren die akademischen Disziplinen seit geraumer Zeit. Gerade in den Geistes- und Kulturwissenschaften hat man sich seit den 1970er Jahren viel mit Prozessen, Techniken und Konsequenzen der Archivierung befasst. Die französischen Poststrukturalisten Michel Foucault und Jacques Derrida haben eigene Theorien dazu entwickelt.1 Für sie war Archivtheorie Kultur- und Medientheorie. Das gilt aus meiner Sicht bis heute. Archivierung heißt Kulturprägung. Und die Produktion von Medien ist parallel zu sehen mit der Arbeit am kollektiven Archiv der Gesellschaft. Dabei wäre es naiv, die Arbeit am kollektiven Archiv als neutral und als Resultat eines objektiven Fortschrittsprozesses zu sehen. Archivpraxis ist immer auch politische Praxis, nicht nur über die Inhalte der Archive und auch nicht nur über ihre Speichertechnologien – obwohl

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„Wir alle entscheiden mit, was als innovativ gilt und in welche Richtung Künstler wie Forscher arbeiten. Wir müssen uns dieser Rolle, dieser Verantwortung aber bewusst sein.“ letztere in Zeiten der Digitalisierung natürlich eminent wichtig ist. Es geht auch um Akteure. Häufig stand und steht die Frage im Raum und wird kontrovers verhandelt, wer archivieren darf. Denn wer archiviert, wer die Archive von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft prägt, schreibt und beeinflusst damit Geschichte und bestimmt, wie eine Gesellschaft reziprok auf sich selbst blickt. Auch beeinflussen die Prozesse der Archivierung natürlich, wie Politik betrieben wird, wie Geschichte also permanent weitergeschrieben wird. Damit ist die Idee eines quasi „objektiven“ Weltarchivs natürlich obsolet. Wer unsere Archive verstehen will, muss immer darauf schauen, was sie nicht speichern, oder was sie in seiner Verbreitbarkeit und Andockfähigkeit verhindern. Wo endet das Archiv? Und: Warum bestehen diese Lücken? Auf diese Frage rekurriert auch der Medienwissenschaftler Wolfgang Ernst. Die Kernentscheidung für ihn: „Ist eine Lücke im Archiv der Nachweis eines originären Schweigens oder eines Verschweigens?“2 Wobei die Frage ist, was schlimmer wäre. Denn das eine Schweigen ist „nur“ den Taktiken Einzelner geschuldet. Das andere hingegen ist archivsystemisch. Eine Welt digitaler Archive? Auch wenn die Idee einer gesellschaftstheoretischen Auseinandersetzung mit dem Archiv älter ist, hat diese natürlich durch die Digitalisierung eine neue Zentralität


gewonnen. „Das Internet“, wo auch immer dieses seltsame Monster beginnt und endet, ist natürlich eine Art Weltarchiv, wenn auch mit sehr dominanten Archivaren wie Facebook oder Google. Die globale Gesellschaft schreibt, zeigt, verhandelt sich heute im Netz. Und die oben bereits erläuterte Politisierung von Archivpraktiken setzen sich in der digitalen Sphäre fort. Man könnte sogar sagen, dass die Politisierung des Netzes in seiner Funktion als Weltarchiv begründet liegt. Politische Aushandlungsprozesse, verstanden als Prozesse des Wissens und, in Folge Foucaults, der „Wissbarkeit“, finden heute vor allem online statt. Die Digitalapostel der frühen Netzjahre hatten dem Internet noch ein immenses befreiendes Potenzial zugesprochen. Ihr radikaler Optimismus dürfte heute als verflogen gelten. Man muss nicht mal den Kampfbegriff einer marxistisch angehauchten Soziologie verwenden und die Vorstellung eines Siegeszuges des Neoliberalismus über das Netz in Anschlag bringen,3 um zu verstehen: Natürlich ist das Internet und sind speziell die sozialen Medien angreifbar und von antiliberalen Kräften okkupierbar. Auch „der Staat“ hat einen Einfluss darauf, was im Netz geschieht. Das heißt, digitale Freiheit und Kontrolle, Liberalität von Ideen und Unterdrückung der Kreativität finden im Netz als heutigem Weltarchiv immer parallel statt. Archiv und Innovation Die bisherigen Überlegungen zeigen: Es ist plausibel, den archivologischen Analysen von Derrida eine anhaltende Legitimität zuzubilligen. Dies gilt gerade auch im Kontext kultureller und technologischer Neuerung. Derrida hatte darauf verwiesen, dass die modernen, die medialen Archive aus einer „jeweils selektiven Zusammenstellung des Sag- und Sichtbaren bestehen“.4 Wer das Archiv hat, bestimmt nicht nur, was gesagt werden kann. Er entscheidet auch, was sichtbar ist, sichtbar gemacht werden kann oder sichtbar gemacht werden soll. Wissensproduktion und Diskurslenkung gehen mit der Verhandlung von künstlerischen Positionen und Forschungshaltungen einher. Gesellschaftliche, wirtschaftliche, technologische und kulturelle Innovationen sind gleichermaßen von der Struktur des Wissens abhängig. Das muss nicht schlecht sein. Es bedeutet nämlich auch, dass Gesellschaften über ihre Verhandlung der mediatisierten Archive auch gesellschaftlich entscheiden, wohin die jeweiligen Innovationsprozesse steuern. Was bedeutet, dass Innovation nicht mehr nur ein Prozess einiger weniger abgeschlossener Eliten ist. Wir alle entscheiden mit, was als innovativ gilt und in welche Richtung Künstler wie Forscher arbeiten. Wir müssen uns dieser Rolle, dieser Verantwortung aber bewusst sein. Räume des Wissens Bezogen auf die Sagbarkeitspolitiken unserer Tage existiert eine spannende Diskussion, die an die Thematik

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dieser Heftreihe – die nämlich eines Raumes für ein Archiv der Zukunft – anschließt. Die Frage nämlich vom Verhältnis von Archiv und Räumlichkeit. Die Slawistin Julia Fertig thematisiert diese mit den Begriffen „onsite“ und „offsite“, also reiner Virtualität und physischer Verortung.5 Archive sind demnach virtuelle Orte, die auf Physisches verweisen. „Wir werden beim Betrachten der […] nonsite gesammelten Objekte ab- und unsere Aufmerksamkeit auf den site hingelenkt. So erhält das Archiv seine Existenzberechtigung erst durch den anderen Ort, während dieser seine Authentizität erst durch das Archiv erhält.“ Genau diese Logik ist nun aber durch die globalisierte Digitalisierung in eine Krise geraten. „Dem digitalen, globalisierten Archiv ist […] sein ‚Außen‘ gänzlich verloren gegangen.“ Die Digitalisierung kreist heute zunehmend um sich selbst. Und das führt uns zurück zur Architektur. Wenn nämlich das Innen und das Außen der Wissensgesellschaft ineinanderfallen, dann erscheint es nur konsequent, einen Raum des Wissens zu schaffen, eine physische Kon­ struktion, die der Archivierung der Zukunft buchstäblich Raum gibt. Das Gebäude fängt dann divergierende Innovationsprozesse ein, verleiht diesen einen physischen Resonanzkörper und verortet diese im sozialen Kontext eines konkreten Ortes. Das Wissen kann besucht werden, die Zukunft lässt sich hier räumlich erleben. Die Distanz zwischen digitaler Sphäre und gelebtem Lebensraum der Menschen wird verringert. Der Mensch erfährt das Archiv als Reales. Und er arbeitet idealerweise sogar in Auseinandersetzung mit dem konkreten Raum am Prozess der Archivierung von Zukunft mit. Für die Architektur ist das kein so artfremder Akt, wie es zunächst erscheinen mag. Denn in gewisser Hinsicht bringen wir damit die Praxis des Konstruierens von Gebäuden wieder zu sich selbst. Denn die Architektur stellt immer einen Prozess kultureller Archivierung dar. In jedem Gebäude spiegeln sich die Vorstellungen der Gesellschaft von Innovation, von Fortschritt, von der eigenen Zukunft. Eine Architektin, ein Architekt entwirft nie nur für das Heute, sondern auch für das Morgen. Sie oder er betreibt damit raumpraktische Aktualisierung der Idee eines Archivs der Zukunft. Für das Archiv der Zukunft in Lichtenfels gilt dies insofern nur in expliziterem, programmatischem Maße. Das Gebäude reiht sich aus dieser Perspektive ein in ein Verständnis, dass wir von Architektur ohnehin haben. Einer Architektur, die für die Wissensgesellschaft funktional ist, aber vor allem auch aus dieser hervorgeht.

Dr. Alexander Gutzmer ist Publizist, Marketing­ direktor bei Euroboden und Professor in Berlin. Der Kulturwissenschaftler und Betriebswirt war Editorial Director beim Callwey-Verlag. Dort verantwortete er die Zeitschrift Topos über Urban Design und Stadtentwicklung. 2011–20 war er Chefredakteur der Zeitschrift Baumeister.


F A Welche Q Vision steht hinter dem Archiv der Zukunft?

Das Archiv der Zukunft ist ein Ort, an dem Wissen in die Stadt fließt, Fragen aufgeworfen, Antworten erarbeitet und Visionen diskutiert werden. Der Austausch über Zukunftsthemen wird gefördert, Netzwerke werden geknüpft und gestärkt, die Umsetzung von Ideen praktiziert und erlebt. Das Interesse für Technologie und Innovation wird eine Grundlage für Veränderungen sein, die Lichtenfels lebendig und zukunftsfähig machen. Das Archiv der Zukunft wird aus globalen Quellen gefüttert, um Ideen für lokale Themen zu sammeln, die auch Visionen für Andere erzeugen können.

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Was erwartet uns im Archiv der Zukunft?

Hier werden Veranstaltungen und Ausstellungen stattfinden, bei denen Ideen, technische Entwicklungen und Persönlichkeiten präsentiert werden, die unsere Zukunft positiv beeinflussen können. Menschen aus Industrie, Kultur, Kunst, aus Lehre und Politik, Lichtenfelser*innen, das Fachpublikum und alle Interessierten sind eingeladen, um ihr Wissen weiterzugeben und sich zu informieren. Die Vielfalt der Formate ist groß – Gesprächsrunden, Technik-Präsentationen, immersive Projektionen, Mitmach-Workshops, Vorführungen, interaktive Installationen, Verkostungen, Diskussionen, Einblicke in Produktion und Entwicklung, Lesungen, Führungen oder Publikationen in Print und Digital.

Wie entstand die Form des Archivs der Zukunft? 16

Mit dem Entwurf von Peter Haimerl wird die Architektur als Katalysator für die Wiederbelebung der Stadt und den Aufbruch in die Zukunft für alle Lichtenfelser*innen sowie ein überregionales Publikum eingesetzt. Als Inspiration dienten die Vergangenheit und Zukunft von Lichtenfels, verankert in der ständigen Verbindung der Industrien und Innovationen jeder Epoche – von der Korbflechterei bis zum 3DDruck. Die Weiden bilden einen Treffpunkt und Ort des Austausches, der immer und für alle offen steht.


LICHTENFELS – DIE FASZINATION DER WEIDEN Die Wissenschaftler Prof. Dr. Thomas Speck und Prof. Dr. Guido Morgenthal sprechen über die Eigenschaften der Weide – in natürlicher Form oder aus Metall – und das Innovationspotenzial, das durch mutige Architektur entsteht und eine Strahlkraft über die Region hinaus haben wird. 17 Text: Christiane Bürklein


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Weidenholz ist sehr flexibel und kann im feuchten Zustand in starken Winkeln gebogen werden. Deshalb eignet es sich so gut zum Flechten.


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Architekt*innen und Ingenieur*innen wie Tragwerksplaner*innen und Statiker*innen – ein Pool an Fachleuten arbeitet eng zusammen, um ein solches Bauwerk in die Wirklichkeit zu bringen.


Lichtenfels als „Korbstadt“ zeichnet sich durch das gewöhnliche, sondern eine komplexe Struktur hanFlechthandwerk aus. Was hat es mit der Weide auf sich? delt, kommt man hier auch als Ingenieur nicht allein TS: Ich beschäftige mich seit Beginn meiner Professur mit Standardverfahren zum Ziel einer effizienten mit den Weiden. Die Bruchweide bricht an den Anund sicheren Konstruktion. satzstellen der Zweige unheimlich leicht ab, aber In Lichtenfels kommt hinzu, dass der 3D-Druck eine andere Korbflechterweiden wie die Silberweide noch relativ neue Technologie ist, was bautechnisch brechen so gut wie gar nicht ab. Das hat aber nichts viele Fragen aufwirft, die deutlich über die klassische mit der Flechtfähigkeit zu tun, denn diese hängt von Tragwerksplanung und das einfache Rechnen nach der Elastizität des Holzes ab. Norm hinausgehen. Die StandsicherGenerell sind aber die Zweige heitsnachweise kann man bei herder meisten Weiden sehr flexikömmlichen Bauten nach Eurocode bel. Vor allem wenn sie feucht oder DIN durchführen, nicht aber bei sind, lassen sie sich in sehr stareiner solchen neuen Bauweise. ken Winkeln biegen, was das Der Stahl, der beim 3D-Druck entFlechten ermöglicht. steht, hat ein spezielles Gefüge, was Interessant ist, dass die Bruchzu besonderen Genehmigungs- und weide die Bruchstellen nutzt, Zulassungsverfahren führt. Daher um sich vegetativ zu vermehren. wird bei dem Projekt auch das DIBt, Sie wächst hauptsächlich am das Deutsche Institut für Bautechnik Ufer von Flüssen und bei jedem in Berlin, eingebunden. Wenn die Hochwasser werden Zweige Weiden durch 3D-Druck hergestellt abgebrochen, verschwemmt werden sollen, wird wohl eine sound verwurzeln sich neu. Wir genannte Zulassung im Einzelfall haben in einer Untersuchung erforderlich werden; dies erklärt, festgestellt, dass an einem weshalb diese Abläufe länger als Flüsschen in Südbaden zwanzig üblich brauchen. Prof. Dr. Guido Morgenthal Prozent der Bruchweiden erbhat Bauingenieurwesen gleich waren: Sie haben sich Inwiefern ähneln sich die natürliche studiert und sich dann im also nicht generativ sexuell verWeide und das 3D-gedruckte Metall Spezialgebiet der Baudynamehrt und ausgebreitet, sondes Archivs der Zukunft? mik weitergebildet. Zum dern vegetativ. TS: In der Installation werden EigenThema von filigranen Bauschaften generiert, die jenen werken, die durch Wind zu Was geschieht in der Praxis, auf dem von Bäumen ähnlich sind. BäuSchwingungen angeregt Markplatz von Lichtenfels, wenn ein me halten unter anderem deswerden, hat er 2002 in Architekt sein Gebäude mit einer halb hohe Windlasten aus, weil Cambridge promoviert; daweidenähnlichen Struktur aus Metall sie sich streamlinen: Das Gebei hat er sich mit der Entcharakterisieren möchte? wächs biegt sich im Wind und wicklung von SimulationsGM: Für die Umsetzung braucht es reduziert damit die Anströmverfahren beschäftigt. Als einen Pool an Fachleuten, die lasten. Außerdem werden Vibra­ Ingenieur hat er in verschieein solches Bauwerk in die Wirktionen abgedämpft, indem Äste, denen Büros gearbeitet und lichkeit bringen. Das sind zum Zweige und Stamm jeweils mit später ein eigenes gegrüneinen die planenden Ingenieure, einer Eigenfrequenz schwingen, det. 2010 wurde er auf eine die mit dem Architekten zuwodurch die Bruchgefahren Professur für Modellierung, sammenarbeiten, also die Tragminimiert werden. Was man in Simulation und Konstrukwerksplaner oder Statiker, die der Simulation sehen kann, ertion an die Bauhaus-Unisicherstellen, dass die Struktur innert sehr an den – im ersten versität in Weimar berufen funktioniert und auch hält, was Moment fast chaotisch erscheiund ist dort auch Direktor dem Büro Fuchs aus Lichtenfels nenden – Aufbau einer Baumdes Instituts für Konstrukobliegt. Die dort tätigenden Inkrone, aber wenn man im Detail tiven Ingenieurbau. genieure haben das Projekt von schaut, dann ist das alles hochAnfang an begleitet und sind gradig funktional. mit dem Architekten den EntEtwas Ähnliches wurde in Freiwurf durchgegangen, um zu burg mit Flachsfasern im biosehen, was möglich ist. nischen livMatS-Pavillon umgesetzt, inspiriert vom Im Detail haben wir es mit zwei Elementen zu tun, Kaktusholz. Spannend ist bei den Weiden vor dem mit dem Gebäude, in dem die Räumlichkeiten des Archiv der Zukunft, dass sie haushoch sind und aus Archivs der Zukunft untergebracht sind, und mit einem Material bestehen, an das man zunächst nicht dem dekorativen Vorbau. Da es sich nicht um eine denkt, nämlich gedruckter Stahl. Wenn man das

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„Mich fasziniert, dass man in Lichtenfels die Baubionik in ihrer filigranen Struktur, in diesem Fall die Weide, als optische Ikone installiert, und ich beneide die Menschen hier, dass sie sich jeden Tag, wenn sie auf dem Marktplatz sind, daran erfreuen können.“ alles sauber durchrechnet und simuliert, dann kann nach Menschenermessen wenig schief gehen und man kann auch tolle optische Effekte generieren. GM: In Lichtenfels haben wir eine Struktur, die zwölf Meter hoch ist und in ihren Dimensionen einem echten Baum ähnelt. Insgesamt sind es drei Bäume, die der Architekt in Anlehnung an die Weiden konzipiert hat. Das erklärt auch, warum die Funktionalität so sorgfältig untersucht werden muss: Trotz des skulpturalen Aussehens und der Tatsache, dass der Vorbau dekorative Zwecke hat, haben wir es ja nicht mit einem Kunstwerk zu tun, das geschützt in einer Vitrine steht, sondern mit einer öffentlich zu-

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gänglichen Einrichtung auf dem Marktplatz von Lichtenfels, weshalb alle Anforderungen an die Sicherheit von Bauwerken erfüllt sein müssen. Als wir die ersten Konzepte gesehen haben, war schnell klar, dass die filigrane Struktur in ihrem mechanischen Verhalten tatsächlich dem von echten Weiden folgt und sich kräftig verformt, was mich sehr beeindruckt hat. Neben der Betrachtung des stabilen Abtrags des Eigengewichts kommen andere Belastungen hinzu, etwa die Windbeanspruchung. Wir sehen, dass die gedruckten Weiden sich wie echte Bäume verformen, wenn sie vom Wind angeströmt werden. Das war für uns sehr spannend, und wir mussten tief in unsere Methodenkiste greifen, um anhand von Spezialverfahren die Schwingungen bei Windbeanspruchung und daraus die Dimensionen für ein sicheres Tragwerk zu berechnen. TS: Das gibt uns ein enormes Feedback für die Biologie. Sehr viel von dem, was wir in den letzten Jahren besser verstanden haben, kam durch die Zusammenarbeit mit Architekt*innen, Physiker*innen und Ingenieur*innen über die Simulation. Mich fasziniert, dass man in Lichtenfels die Baubionik in ihrer filigranen Struktur, in diesem Fall die Weide, als optische Ikone installiert, und ich beneide die Menschen hier, dass sie sich jeden Tag, wenn sie auf dem Marktplatz sind, daran erfreuen können. Das Archiv der Zukunft ist ein Leuchtturmprojekt, nicht nur wegen der Ästhetik sondern vor allem wegen des Innovationsgehalts des Bauwerks. Wäre es nicht schön, wenn man sich häufiger von der Natur inspirieren lassen würde, mutiger wäre? Wir sehen ja, dass es geht, Ingenieur*innen machen es möglich. GM: Ich finde es auch sehr faszinierend, dass die Lichtenfelser das Projekt als „Spielwiese“ nutzen und dass es entsprechende Akteure gibt, die den Verve haben, das anzupacken, umzusetzen und voranzutreiben. Es braucht immer Leute, die Willens sind, ein bisschen Risiko einzugehen. Letzten Endes geht es bei diesen Unikaten und neuen Baumethoden immer darum, den Rahmen des Üblichen zu sprengen und mit den Widrigkeiten der neuen Verfahren Hürden zu überwinden. Andere werden sich an Lichtenfels ein Beispiel nehmen und es in weitere neue Ideen überführen. Mich fasziniert die Tatsache, dass so etwas in einem Spagat zwischen der Natur, also der „Ursprünglichkeit des Seins“, und den neuen digitalen Methoden geschieht. Digital am Computer zu planen, von CAD über BIM, ist mittlerweile Standard, auch Computersimulationen, um zu berechnen, wo man etwas optimierend verändern muss, sind schon weit verbreitet. Aber mit dem Archiv der Zukunft erleben wir den Sprung von der Planung zur digitalen Fertigung, also direkt vom 3D-Modell zur Realisierung einer komplexen Struktur. Von hier aus können wir in Zukunft andere innovative Bauwerke denken und herstellen.


Der sicherlich bisher aufregendste Moment war der Einbau der liegend gelieferten, sechs Meter hohen Fensterscheiben in die bereits montierten Rahmen. Dies konnten wir mit moderner Kran- und Hebetechnik gut leisten. Man muss nur penibel drauf achten, dass die Saugbatterien, die die Scheiben mit Vakuumkontakt halten, für die entsprechenden Gewichte ausgelegt sind. Diese Batterien funktionieren mit Gelenken so, dass sie ein liegendes Ansaugen, behutsames Hochheben und In-der-Luft-drehen erlauben, damit die Fenster dann von unseren Monteuren sorgfältig in die Fassadenebene eingefädelt werden konnten.

„Was begeistert Sie am Haus mit den Weiden?“

JOSEF GILCH Geschäftsführer der Metalltechnik Gilch GmbH, verantwortlich für die Glasfassade

Für uns war es außerordentlich spannend, die elegante Architektur dieser ausgeklügelten Treppen mit den einseitig eingespannten, frei auskragenden Metallstufen umzusetzen. Das Archiv der Zukunft ist seit dem Umbau des Stadtschlosses vor dreißig Jahren endlich mal wieder ein richtungsweisendes Projekt im Herzen von Lichtenfels, das die Stadt bestimmt aus ihrem Dornröschenschlaf küsst und auch meiner ganzen Familie etwas bieten kann. Ich als Metallbauer bin extrem begeistert von der Weide und sehr neugierig darauf, zu sehen, wie sie sich in das Ganze integriert! LORENZ BREHM Metallbauermeister / Fachrichtung Konstruktionstechnik, verantwortlich für das Anfertigen und den Einbau der Innentreppen sowie weitere Metallbauarbeiten

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Mit seiner Glasfassade hebt sich das Archiv der Zukunft neu und modern von den anderen Gebäuden am Marktplatz ab und sticht sofort ins Auge. Anders verhält es sich mit den Elektroinstallationen: Natürlich sind die Leuchten zu sehen. Aber alle anderen Betriebsmittel – Schalter, Thermostate, Steck- und Netzwerkdosen – verschwinden hinter der Wand, in der Decke, in den Tischen. Genau dieses „Unsichtbar-Machen“ stellt für uns den handwerklichen Reiz dar. Es setzt einiges mehr an Planungsarbeit voraus und erfordert eine exakte Durchführung. Und dadurch wird schon in der Bauphase vorgelebt, worauf ich nach der Fertigstellung des Archivs der Zukunft so gespannt bin: Die Arbeit an neuen Ideen und unkonventionellen Lösungswegen! ANDREAS SCHERZER Elektroniker Energie- und Gebäudetechnik bei der Firma Puels & Schuberth Fernmelde und Elektrotechnik GmbH

Die aktuellen Naturereignisse lassen den Klimawandel nicht mehr leugnen. Der effiziente Umgang mit Energie ist wichtiger denn je, auch in der Baubranche. Und daher wird das Archiv der Zukunft nicht nur von außen ein Blickfang, sondern zeichnet sich auch durch eine sinnvolle Gebäudetechnik aus. Die Vorlauftemperatur des Heizsystems ist entscheidend: je niedriger desto besser. Mit entsprechend großen Heiz- und Kühlflächen und durch Wärmerückgewinnung beim Lüftungssystem wird ein Maximum an Energie eingespart. Atmosphärisch begeistert mich das Untergeschoss, wo die im Rohzustand belassenen Betonbohrpfähle kombiniert mit einer indirekten Bodenbeleuchtung einen ungewöhnlichen, archaischen Eindruck erwecken werden! RALF GRIESSHAMMER Mitarbeiter der Schwender Energie- und Gebäudetechnik GmbH & Co. KG

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Die Faszination bei diesem Gebäude liegt in dem Mut, etwas Neues zu entwickeln. Aus bauphysikalischer Sicht ist es mit seinen raumgestaltenden Materialien Stahl, Glas und Beton sehr anspruchsvoll: Für das Wohlfühlen im Raum ist es gelungen, die Waage zwischen Öffnung und Schutz so zu erfüllen, dass den Menschen, die sich dort aufhalten werden, der beste Komfort geboten wird. HARRIET DITTMER Ingenieurin für Bauphysik, Auditorin für nachhaltiges Bauen (DGNB), Baubiologin IBN

„Was begeistert Sie am Haus mit den Weiden?“

Für uns ganz außerordentlich war die Ausführung der Decke über dem Kellergeschoss, bei der die Untersicht in Sichtbeton ausgeführt wurde. Diese Decke ist bis zu 48 Zentimeter stark und besteht aus 105 Kubikmetern Splittbeton. Anspruchsvoll war hier natürlich die Betonverdichtung mit solch einem hohen Bewehrungsgrad. Denn darin verbaut sind 40 Tonnen Bewehrungsstahl und 2.130 Dübelleisten als Schubbewehrung um die drei Einbauteile – jedes etwa 3,5 Tonnen schwer – herum, in denen die Weidenbaumstämme gründen. Die Lichtenfelser Innenstadt erhält mit diesem besonderen Bauwerk einen speziellen Glanz, und ich würde mir wünschen, dass es als Vorbild für weitere Baumaßnahmen dient. VOLKER KRÄNZLE Polier bei der Firma Dechant Hoch- und Ingenieurbau

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Es ist sehr ambitioniert, etwas so Modernes und Außergewöhnliches in diese gewachsene Nachbarschaft einzufügen. Ich finde aber, man muss auch mal mutig sein! In diesem Projekt waren beim Spezialtiefbau nicht Mengen, Rekordtiefen oder riesige Durchmesser, sondern der Umgang mit überraschenden historischen Bestandsresten sowie die Sichtbetonanforderungen an die Bohrpfähle die spannende Herausforderung. Ich freue mich schon, das Gebäude betreten und sagen zu können: „Hierzu habe ich einen Teil beigetragen!“ Insbesondere auf den Keller mit seiner Verbindung von Betonpfählen und diesem tollen, alten Gewölbekeller bin ich gespannt. Für das Archiv der Zukunft wünsche ich mir eine reibungslose Fertigstellung und viele neugierige Besucher. MONA FEILNER Projektleiterin bei der Bauer Spezialtiefbau GmbH

„Was begeistert Sie am Haus mit den Weiden?“

Die Innovationskraft eines Archivs der Zukunft soll in jedem Detail, in jedem Material, in jedem Möbelstück wiederzufinden sein – so gibt es eigentlich nie Standardlösungen, es wird alles individuell geplant. Ein Beispiel hierfür sind die Weiden, die das Gebäude umrahmen. Die Planung läuft seit zwei Jahren, in denen wir viele Materialien getestet, beschichtet, lackiert und auch wieder verworfen haben. Die Zusammenarbeit ist mit allen Gewerken außergewöhnlich: Es wird mit höchster Begeisterung und großem Engagement entwickelt, gebaut und umgesetzt – immer mit dem Ziel vor Augen, ein innovatives und außergewöhnliches Gebäude zu bauen. Ich bin mir sicher, dass diese Begeisterung am Ende in der Strahlkraft des neuen Gebäudes sicht- und spürbar sein wird. DORIS ASTNER Architektin bei Peter Haimerl Architektur

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TS: Ich freue mich schon, nach Lichtenfels zu kommen keiten des 3D-Drucks nutzen, kann man so etwas direkt in die Formgebung übertragen: Solche Anund das Archiv der Zukunft zu besuchen. Denn das sätze bringen uns in die Zukunft des Bauwesens, Gebäude selbst zu erleben ist eine ganz andere Sawie man in Lichtenfels sieht. che, als es in einer Simulation zu sehen. Man muss den Bauherren großen Dank für ihren Mut ausspreTS: Ein Baum ist selbstadaptiv. Ein englischer Kollege sagte, man müsse den berühmten Satz von Darwins chen, so etwas zu machen. In Freiburg ist im bota„survival of the fittest“ zu „survival of the cheapest“ nischen Garten dank der Unterstützung des Exzellenzclusters ein bionischer Pavillon aus Flachsfasern umschreiben, denn es geht darum, mit möglichst entstanden. Konkrete, funktionierende und allen wenig Material gut genug zu sein. Wir spielen EvoBürgern zugängliche Beispiele lution nach, wenn wir im Rechner sind bahnbrechend. optimieren. Das geschieht natürlich Beim Archiv der Zukunft finden zielgerichtet, während die biologiwir eine einmalige Kombination, sche Evolution auf zufälligen Ändein der sich Natur und ein altes rungen bei Mutation und Rekombiund traditionsreiches Handwerk nation basiert. mit der High-End-FertigungsEs gibt ja technisch ein Ziel: Windlast methode des Lasersinterns verzu reduzieren. Der nächste Punkt ist, bindet. Solche Gebäude müssen gut genug zu sein. In der Biologie gibt mal zehn Jahre stehen, damit es so gut wie keine Struktur, die opalle sehen und begreifen, dass timal ist, sondern eben nur „gut gesie funktionieren. Neue, auf nug“, weil die meisten Strukturen Leichtbau basierende Ansätze multifunktional sind. Bei den neuen können effektiv helfen, den Kligenerativen Methoden wie dem 3Dmawandel in den Griff zu beDruck und dem Lasersintern wird kommen, insbesondere wenn nicht von einem Materialblock auswir den immensen Einfluss des gegangen, sondern etwas ohne VerBauwesens auf die CO2-Bilanz schnitt gefertigt, das auch mehreren des Planeten betrachten. Man Prof. Dr. Thomas Speck hat Anforderungen gerecht werden kann. Biophysik studiert und sich kann damit einen großen EinDer große Hemmschuh ist, dass sich fluss haben, denn ohne Verändas noch nicht stark genug in der auf Biomechanik der Pflanderung des Bauwesens durch Gesellschaft verbreitet hat. In Anzen und Bionik spezialisiert. neue Ansätze und Ideen können betracht der ubiquitären WeiterentSeit 2006 hat er in Freiburg die Klimaziele nicht annähernd wicklung des 3D-Drucks, mit einer im Breisgau den Lehrstuhl erreicht werden. ähnlich revolutionären Auswirkung für Funktionelle Morpholoauf unser Leben wie damals das Ingie und Bionik – der ÜberDas Archiv der Zukunft als Bauwerk, ternet, besteht die Hoffnung, dass tragung von Fähigkeiten der das Lernen von der Natur und DigiNatur in die Technik – inne, sich auch normale Bürger ihre eigetalisierung vereint, ist also eine insowie die Direktion des nen kleinen Architekturen drucken novative Symbiose des Bauens? Botanischen Gartens. Mit oder flechten lassen. Wie wäre es mit GM: Mich interessiert in diesem Fall einem vor Ort in 3D-Druck realisierdem Exzellenzcluster „Lidie Thematik der Formfindung. ten und personalisierten Carport ving Materials Systems“ Wie kann man Nachbilden, wie anstelle des Fertigbaukastens aus erforscht er in Kooperation der Baum bei seinem Wachstum dem Baumarkt? mit Materialforschern, Arseine Form selbst findet und Eigentlich beneide ich die Architekchitekten und Ingenieuren genau die richtige Menge an ten, denn als Biologen machen wir die Übertragung von EigenMaterial verwendet, um die ja nur Entdeckungen: Architekten schaften lebender StruktuLasten, die auf ihn einwirken, erfinden nicht nur, sie schaffen Rearen in die Entwicklung techauszuhalten. Ein Ziel des Ingelität. Es wird etwas gegenwärtig, das nischer Materialsysteme. nieurwesens ist das materialauf den ersten Blick vielleicht etwas optimierte Bauen, nachhaltig, seltsam wirkt, aber dann in der ausohne Verschwendung von Bauführlichen Betrachtung und Auseinstoffen. Im Bauwesen haben wir es mit „toten“ andersetzung unglaublich viel vermittelt. Beim Archiv Materialien zu tun und müssen uns schon vorher der Zukunft bereichert die weidenähnliche Skulptur fragen, was für Lasten auftreten. Es gibt tolle Algodas Bauwerk ästhetisch und beschattet es auf elerithmen, die uns erlauben, das Bauwerk zu optimiegante Weise. Man braucht Mut und Menschen, die ren, wie etwa beim Burj Khalifa, dem höchsten willens sind, dafür Ideen, Arbeit, Zeit und Geld zu Gebäude der Welt. Diese Berechnungen ergeben investieren. Ich kann Lichtenfels nur beglückwünkomplexe Formen, und wenn wir nun die Möglichschen, dass es dort solche Menschen gibt.

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SCHICHT FÜR SCHICHT: ÜBER DIE GESCHICHTE UND ZUKUNFT DES 3D-DRUCKS Ein kurzer Einblick in die Technologie, ein Interview mit dem Lichtenfelser Pionier Frank Herzog und eine Bildstrecke mit innovativen Beispielen 27 Text: Verena Dauerer


Die Revolution aus dem 3D-Drucker ist längst bei uns zu Hause angekommen: Die additive Fertigung ermöglicht maßgeschneiderte Produkte aus verschiedensten Materialien, erstellt in kleiner Serie. Was bedeutet sie denn nun überhaupt, diese revolutionäre Technologie einer additiven Fertigung? Erstmal ist darunter zu verstehen, dass ein Werkstück nicht traditionell aus einem Materialblock durch subtraktive Bearbeitungen wie Schneiden, Bohren, Feilen oder Schleifen mit manchmal sogar erheblichem Abfall erstellt wird, sondern mit neuer Technologie sehr material- und gerätesparend Schicht für Schicht aufgebaut wird. Das erste Mal gelungen ist diese Art der Fertigung 1981 dem japanischen Erfinder Hideo Kodama. Er nutzte damals eine Vorform der heute als Stereolithografie bekannten Technik: In einem Gefäß gefüllt mit flüssigem Kunststoff wird eine Grundebene eingelegt, auf der das Werkstück aufgebaut wird. An der Oberfläche dieser lichtempfindlichen Flüssigkeit werden nun durch einen UV-Laser ganz gezielt Bereiche erhärtet. Die Grund­ebene wird gleichzeitig in Millimeterschritten nach unten gelassen, sodass diese Erhärtungen scheibchenweise mit der jeweils darunter aufgebauten Ebene verschmelzen. Am Ende wird die Flüssigkeit abgelassen und das fertig geschichtete Objekt kann entnommen werden. Ein zweites Verfahren des 3D-Drucks ist das Selektive Lasersintern. Es geht auf den Amerikaner Carl R. Deckard zurück, der es 1986 zum Patent anmeldete. Hierbei wird statt des Flüssigpolymers ein Pulver aus farbigem Granulat stellenweise so erhitzt, dass es sich entsprechend der gewünschten Form verbindet. Dieses Verfahren im Pulverbett benötigt keine Supportstrukturen und ist immer sinnvoll bei der Erstellung von komplexen Geometrien. Schließlich gibt es als drittes Verfahren noch die kostengünstige Schmelzschichtung, das Fused Deposition Modelling, kurz FDM-Verfahren, entwickelt 1988 von Scott und Lisa Crump: Feste Kunststoffe, aber auch Schäume oder Pasten, werden als Drähte ausgebildet in eine erhitzte Düse gezogen. Dort werden sie verflüssigt und als Fäden übereinander geschmolzen ausgegeben: Beim Erkalten entsteht das fertige Werkstück. Um ein Werkstück nun in einem 3D-Printer zu kreieren, benötigt es bei allen drei Verfahren als Voraussetzung eine Digitaldatei des dreidimensionalen Gebildes. Diese wird mit CAD-Programmen (Computer-Aided Design) erstellt. Der gesamte Ablauf von der 3D-Zeichnung im Computer bis zum fertigen 3D-gedruckten Objekt wird auch Rapid Prototyping genannt: die schnelle Herstellung und Verfeinerung von Modellen, die dann Vorlagen für Serienproduktionen von Bauteilen werden. Zukunftstechnologie Prinzipiell lässt sich mit vielen Materialien 3D-drucken – von flexiblem, dehnbarem Plastik und Wachs über Metall- und Keramikpulver bis hin zu Papier und Lebensmitteln. Welche Ausgangsstoffe verwendet werden, hängt

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von den gewünschten Eigenschaften des Endprodukts ab, und davon, wie flexibel beziehungsweise robust es sein muss. Dank der immer erschwinglicheren Technologien ist das Verfahren mit kleineren 3D-Druckern für jeden Hobbykeller in den letzten Jahren auch ein fester Bestandteil der Tüftlerszene geworden. Zu verdanken ist diese Verbreitung dem Konzept der Open-Source-Software und -Hardware. Darunter ist zu verstehen, dass Bauanleitungen und Programmierungen frei mit Anwendern geteilt werden: Durch deren Vielzahl und Engagement werden die Anwendungen kollektiv fortlaufend technisch verfeinert und erweitert. Einer der besonderen Vorteile des 3D-Drucks ist: Er erlaubt eine Produktion von maßgeschneiderten Designs, die mit herkömmlichen Technologien teils bisher nur sehr aufwendig erstellt werden konnten. Ein Dreh- und Angelpunkt ist die Geschwindigkeit, der formstabilen Verfestigung der Materialien: An deren Beschleunigung arbeiten Wissenschaftler in der ganzen Welt. Sogar eine eigene Entwurfssprache hat diese Technologie erschaffen: Design for Additive Manufacturing (DfAM). Denn Maschinen unterscheiden sich in ihrer Größe, Art der Technologie und dem zu verarbeitendem Material. Die geplanten Eigenschaften wiederum werden nach Gewicht, Belastbarkeit, visueller oder haptischer Erscheinung differenziert. Die Gestaltungslehre für additive Fertigung spezialisiert sich daher darauf, aus diesen Bedingungen das Bauteil mit dem optimalen Formaufbau zu entwerfen. Von Heimgebrauch bis Häuserbau Heute kann (fast) alles 3D-gedruckt werden – seien es Autoteile, Zahnersatz oder bionische Roboterarme. Auch in der Mode hat sich dadurch einiges getan: von perfekt an die Gesichtsform angepassten Sonnenbrillen bis zu futuristischen Laufsteg-Kreationen, die Muster aus der Natur nachahmen. Selbst Lebensmittel werden als HighTech-Food ausgedruckt: Kleine, mobile 3D-Food-Printer für Schokolade, Marzipan oder Pasten gibt es für den Heimgebrauch oder für Pop-up-Restaurants. Am US-amerikanischen Massachusetts Institute of Technology (MIT) ist es Ingenieuren kürzlich gelungen, Geräte mit 3D zu drucken, in die Elektronikparts eingebettet sind, die also bereits eigene Schaltkreisläufe enthalten. Nicht zuletzt wurden schon ganze Häuser und Brücken von Robotern Schicht für Schicht aus Spezialbeton gedruckt. In der Medizintechnik kann der 3D-Druck inzwischen optimale Orthesen herstellen, die geschwächte Körperteile unterstützen, und perfekte Prothesen als Ersatz für fehlende Extremitäten komplett individualisiert auf die Patienten abstimmen. In zwanzig Jahren wird es wahrscheinlich ganz normal sein, alle möglichen Sachen aus nachhaltigen Materialien in 3D zu drucken. Durch die Weiterentwicklung von Bioplastik, das aus natürlichen Rohstoffen besteht und biologisch abbaubar ist, werden die Verfahren noch viel weitreichender zum Einsatz kommen.


3D-Druck als Sprungbrett

Frank Carsten Herzog ist Hauptinitiator des Forschungs- und Anwendungszentrum für digitale Zukunftstechnologien FADZ in Lichtenfels, das sich für die Verbreitung der 3D-Druck Technologie in Bildung, Handwerk und Gesellschaft engagiert. Als Geschäftsführer der HZG Group fördert er heute innovative Neugründungen, zuvor etablierte er die Concept Laser GmbH als ein global agierendes Unternehmen, das er 2000 gemeinsam mit seiner Frau gegründet hatte.

Wenn es um Flüssigmetall und 3DDruck geht, denken wir nicht etwa an Science-Fiction – sondern an Firmen in Lichtenfels. Frank Herzog erzählt uns vom Engagement der 3D-Pioniere und von der Gründung des gemeinnützigen Forschungsund Anwendungszentrums für digitale Zukunftstechnologien (FADZ), das in Lichtenfels Innovationen für alle zugänglich machen will. Zuerst, woher kommt Ihre Faszination für Metall? FH: Ich bin auf einem Dorf aufgewachsen. Im jugendlichen Alter war es nicht einfach, von A nach

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B zu kommen. Unsere Mofas waren langsam, also haben wir sie frisiert. Dabei habe ich meine Begeisterung für das Arbeiten mit Metall entdeckt und schließlich eine Feinwerkmechaniker-Lehre bei Siemens Medizintechnik angetreten. Während des Studiums kam ich für einen Ferienjob nach Lichtenfels: zu einem Unternehmen für industriellen Prototypenbau, das als eines der ersten mit Stereolithografie produzierte. Ich war zum richtigen Moment am richtigen Ort. Von da an habe ich mich auf diese Technologien in Kombination mit Metall fokussiert. Was sind für Sie heute Zukunftstechnologien? FH: Für mich sind Zukunftstechnologien die, die unsere Gesellschaft unterstützen, den Weg in die Zukunft zu meistern. Aus meiner Sicht geschieht dies durch moderne Kommunika­ tionsmethoden, durch effizienten Wissenstransfer und den Einsatz digitaler Methoden, um Entwicklungs- und Produk­ tionsprozesse entscheidend zu verbessern. Das Internet hat den ländlichen Raum in die Zukunft katapultiert. Darum konnten sich HighTech-Firmen in Lichtenfels ansiedeln. Die Stadt wurde nicht abgehängt, sondern wächst, Landflucht gibt es hier nicht. Nun sollten wir gut überlegen, wohin sich diese Region bewegen kann. Wir müssen uns um die Auswirkungen kümmern, die die Digitalisierung auf unsere ländlich geprägte Gesellschaft hat. Beim FADZ soll der 3DDruck als Sprungbrett in neue digitale Bereiche dienen, etwa für das digitale Handwerk, das digitale Klassenzimmer oder die digitale Medizin. Entscheidend ist nun, wie wir Unternehmen, Handwerksbetriebe und den Menschen helfen können, sich auf diese Zukunftstechnologien vorzubereiten. Mit dem FADZ möchten wir zum einen lokalen

Firmen ein Forschungs- und Anwendungszentrum bieten, zum anderen Fabrikationslabore für die Breite der Gesellschaft – einen Makerspace und ein Repaircafé, mit niedrigschwelligem Zugang zu verschiedenen digitalen Anwendungen. Wir möchten Kinder und Jugend­ liche spielerisch bilden, um sie als zukünftige Impulsgeber der Stadt zu fördern. Ein weiteres Ziel sind die überregionale Vernetzung und die Umsetzung von Forschungsprojekten. Sobald die Hochschule Coburg 2022 hier den Masterstudiengang „Additive Manufacturing and Lightweight Design“ startet, ist Lichtenfels Unistandort. Das wird auch die Innenstadt von Lichtenfels weiter beleben. Was würden Sie gerne in Zukunft aus Metall drucken? FH: Bauteile, die helfen, Schmerz und Leid zu lindern! Mich interessieren die Möglichkeiten des 3D-Drucks in der Medizintechnik – er hilft bei der Diagnostik, lässt Implantate schneller einwachsen, erlaubt kostengünstigen Zahnersatz. Sogar die nahezu exakte Rekonstruktion ganzer Gesichtspartien bei schwer entstellten Unfallpatienten ist möglich – das bewegt mich sehr.

Verena Dauerer im Gespräch mit Frank Herzog


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Gedrucktes Holz: Nach einem Jahr Entwicklung gelang es den schwedischen Designern von R ­ eform Design Lab, ihrem Lounge Chair skulpturalen Charakter und gleichzeitig ausreichend Stabiliät zu geben. Er ist zu 100% aus holzbasierten Bioabfällen gedruckt und recycelbar.


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Die Surfboards der jungen französischen Firma Wyve werden nach dem Vorbild von Bienenwaben und mit geringem Materialaufwand gedruckt. Dadurch sind sie besonders leicht und vor allem stabil. Kurze Produktionsketten und die Verwendung von recyeltem Plastik machen sie nachhaltig.


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Aus gefärbtem Sandstein hat die Designerin Nicole Hone ihre „lebende Kamera“ gedruckt. Hone forscht zu 4D-Druck-Objekten, die durch neuartige Materialkombinationen Funktionen erfüllen können. Hier soll teils lichtempfindliches Material Klimaveränderungen unter Wasser registrieren.


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Zwölf Stunden braucht ein Lasersintering-Drucker für die Herstellung dieser Brille aus feinstem Polyamidpulver. Der 3D-Druck erlaubt den Münchner Designern von Klenze & Baum, jede Brille individuell an die Anatomie der Träger*in anzupassen.


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Die Flügelstruktur eines Regenbogenfalters hat die Architektin und Modedesignerin Julia Körner direkt auf den Stoff einer Jacke drucken lassen. Das tragbare Kunstobjekt ist nach den feinen Borsten auf Schmetterlingsflügeln benannt und heißt Setae.


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Traditioneller Lehmbau gepaart mit High-Tech: Das elegante Kuppelhaus des Architekten Mario Cucinella besteht als erstes 3D-gedrucktes Gebäude komplett aus Erde. Das Material wurde aus einem Flussbett nahe dem italienischen Ravenna geholt und von WASP direkt vor Ort verarbeitet.


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Das Team von The New Raw fördert Kreislaufwirtschaft und engagiert sich international in Projekten, die ausrangierten Materialien neues Leben einhauchen: hier ein Stuhl aus Meeresmüll. Für die Initiative Print your City! in Amsterdam haben sie gerade Stadtmöbel aus Plastikmüll gedruckt.


DIE ZUKUNFT IST GEGEN WÄRTIG Wie zeigt sich die Zukunft? Mit dieser Frage beschäftigt sich der Deutsche Beitrag auf der 17. Internationalen Architekturbiennale in Venedig und kooperiert dabei auch mit dem Archiv der Zukunft Lichtenfels. 37 Text: Olaf Grawert und Ludwig Engel


Hinter dem Projekt 2038 – Die Neue Gelassenheit steckt ein internationales Team aus den Bereichen Architektur, Kunst, Ökologie, Ökonomie, Wissenschaft und Politik, das 2019 ins Leben gerufen wurde. Gemeinsam erzählen die Expert*innen die Geschichte einer nahen Zukunft: „Heute, im Jahr 2038, liegen die großen Krisen hinter uns. Es war knapp, aber es ist noch einmal gut gegangen. Die globalen ökologischen, sozialen und wirtschaftlichen Krisen der 2020er Jahre haben Menschen, Staaten, Institutionen und Unternehmen zusammengebracht. Gemeinsam verpflichteten sie sich zu globalen Grundrechten und schufen anpassungsfähige Systeme und rechtliche Rahmenbedingungen, die lokalen Strukturen den Raum geben, ihre unterschiedlichen Lebensmodelle zu realisieren. Technologie und Big Data halfen uns, neue und alte Ideen in die Realität umzusetzen. Und oft waren Architekt*innen Teil dieser Transformation, weil sie Antworten hatten, anstatt mehr Fragen zu stellen. Drama ist heute Vergangenheit. Wir leben in einer radikalen Demokratie, in einer radikalen Bürokratie. Auf einem Planeten, der weder Bösewichte noch Helden kennt oder braucht.“ Statt aber aus der Gegenwart in die Zukunft zu blicken, richtet das Team 2038 den Blick zurück und versammelt Ideen und Modelle aus der Zukunft in einem Archiv für die Gegenwart. Dabei verschwimmt die Grenze zwischen Fakt und Fiktion zugunsten einer positiven Erzählung. Die Gegenwart wird so aus der Zukunft optimistisch nachgerüstet. Was hat es mit dieser Strategie auf sich? Die Zukunft ist keine Zeit. Das ist wichtig zu verstehen. Anders als die Gegenwart und die Vergangenheit lässt sich die Zukunft nicht fassen. Vielmehr ist die Zukunft ein Werkzeug, um Zeit zu operationalisieren. Denn jede Innovation, jede Idee, jedes Bild von heute ist morgen schon Vergangenheit und Teil der Geschichte. Als Werkzeug ist Zukunft die diskursiv offenste und demokratischste Erzählerin, um uns aktiv mit der Gegenwart auseinanderzusetzen. Sie ist als narratives Instrument in unserer Gegenwart verankert. Sie verbindet unsere individuellen und kollektiven Erfahrungen der Vergangenheit mit unseren persönlichen und gesellschaftlichen Erwartungen an die kommende Zeit. Eine Geschichte über die Zukunft ist also immer auch eine Geschichte für die Zukunft. Denn sie fügt dem, was heute denkbar ist, eine weitere Perspektive hinzu und verändert damit die Möglichkeiten dessen, was die Zukunft sein kann. 2038 kann als ein Geschenk an die Gegenwart verstanden werden. Entgegen vorherrschender Schreckensvisionen in fast allen Bereichen – von Gesellschaft bis Natur, von Kultur bis Technologie – erzählt unsere Vision von 2038 eine andere und bewusst widersprüchliche Geschichte: von einer durchaus besseren Zukunft, die heute schon beginnt. „Nicht alles ist perfekt. Es gibt noch immer ein paar Idioten, die herumlaufen und schlimme Dinge tun. Aber eben nur ein paar. Und die können wir uns leisten. Ja, wir sind noch lange nicht im Paradies angelangt, aber wir leben in einer besseren Welt als noch vor 15 oder 20 Jahren. Wie? Mit Hilfe neuer und alter Ideen.“

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„Heute, im Jahr 2038, liegen die großen Krisen hinter uns. Es war knapp, aber es ist noch einmal gut gegangen. Die globalen ökologischen, sozialen und wirtschaftlichen Krisen der 2020er Jahre haben Menschen, Staaten, Institutionen und Unternehmen zusammengebracht.“ 2038 verfolgt einen hoffnungsvollen Ansatz und versucht, von einem positiven Zukunftsszenario ausgehend, die Gegenwart neu zu denken und damit vielversprechende Handlungsstränge zu initiieren. Die Gegenwart wird als ein Laboratorium verstanden, das bereits über alle notwendigen Werkzeuge und Ideen zur Überwindung der vermeintlich bevorstehenden Dystopie verfügt. Weit entfernt von utopischem Positivismus sucht 2038 nicht nach einer Lösung oder Formel, die alle Erkenntnisse in ein kohärentes System presst. Vielmehr stellt sich 2038 der Aufgabe, mit all den Bruchstücken und Widersprüchen umzugehen, die eine systemische Transformation auslösen könnten. Als Archiv zeigt es Geschichte, wie sie


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Kurator Olaf Grawert und Stefan Mehl, Bauherr des Archivs der Zukunft Lichtenfels, im deutschen Pavillon in Venedig.


Olaf Grawert ist Architekt und interessiert sich für die politischen und ökonomischen Bedingungen der Raumproduktion. Er arbeitet in einem engen Netzwerk von Menschen und Institutionen an Architekturprojekten zwischen Theorie und Praxis. Seit 2019 ist er Initiator und Kurator von 2038, der Betei­ ligung des Deutschen Pavillons auf der 17. Architekturbiennale in Venedig. Ludwig Engel studierte Wirtschaftswissenschaften, Kommunikationswissenschaft und Kulturgeschichte. Er arbeitet als Zukunftsund Stadtforscher, indem er urbane Zukünfte, kollektive Vorstellungen von der besseren Stadt von Morgen und die Bedeutung von Künstlicher Intelligenz und Digitalisierung für Individuum und Gesellschaft untersucht. Regelmäßig entwickelt er mit Partnern aus Kultur, Wissenschaft, Politik und Wirtschaft für vornehmlich urbane Kontexte interdisziplinäre und strategische Forschungs- und Beratungsprojekte und ist Teil des Teams 2038.

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„Nicht alles ist perfekt. Es gibt noch immer ein paar Idioten, die herumlaufen und schlimme Dinge tun. Aber eben nur ein paar. Und die können wir uns leisten. Ja, wir sind noch lange nicht im Paradies angelangt, aber wir leben in einer besseren Welt als noch vor 15 oder 20 Jahren. Wie? Mit Hilfe neuer und alter Ideen.“ →

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sich eben zuträgt: zufällig, komplex und paradox. Denn sind wir mal ehrlich: Die Vergangenheit war chaotisch, die Gegenwart ist chaotisch und auch die Zukunft wird chaotisch sein. 2038 hat also ganz unterschiedliche Expert*innen gebeten, ihre Geschichten dieser besseren Zukunft zu erzählen. Die einzige Regel dabei war, ernsthaft zu sein: engagiert und transparent in der Argumentation und bescheiden in der Herangehensweise. Immer auf der gemeinsamen Basis: „Ich lasse Dich an meiner Zukunft teilhaben, wenn ich an Deiner teilhaben kann.“ Beispielsweise erzählen die Ökonomin Sabine Oberhuber und der Architekt Thomas Rau in 2038 von ihrem Modell einer zirkulären Bauwirtschaft, das Ökonomie und Ökologie zusammenbringt: Sie untermauern dadurch die Aussage von Kenneth Boulding, dass „jeder, der glaubt, dass exponentielles Wachstum in einer endlichen Welt ewig andauern kann, entweder verrückt oder ein Ökonom ist“, mit einem konkreten Handlungsmodell. Und wie Technologie uns bis 2038 dabei geholfen hat, Konsens in die Bevölkerung zu tragen, erklärt uns Audrey Tang, Taiwans Ministerin für Digitales: „Vor dem Digitalen Zeitalter war es in einem Raum mit zwanzig Personen einfach, sich über die gemeinsamen Werte zu verständigen. Es gelang aber nicht, dieses Gefühl der Verständigung an ihre Freunde, ihre Gemeinschaften weiterzugeben. Das Digitale hat uns geholfen, ein gemeinsames Verständnis zu bilden.“ Dabei ist entscheidend: Wer über die Zukunft spricht, darf sich nicht aus der Verantwortung stehlen. Skin in the game, sagt man auf Englisch: Die eigene Haut riskieren! Denn was man in aller Ernsthaftigkeit beschreibt und artikuliert, darf keine Flucht aus der Gegenwart sein, sondern muss eine Schärfung der Diskussion sein, eine Frage, die man stellen oder auch eine Antwort, die man spekulativ vorwegnehmen will. Taktische Manöver für eine bestimmte Zukunft müssen dabei unbedingt vermieden werden. Eine Zukunftsvision ist immer eine Anregung zur Selbstreflexion und zum Handeln. Wenn sie aber dazu dient, andere Zukünfte – ob positiv oder nicht – zu unterdrücken, wird sie totalitär. In diesem Sinne ist 2038 auch eine Sammlung handlungsleitender Ideen, die nicht eins zu eins in die Gegenwart übersetzt werden können. Es ist wichtig, zwischen Idee und Ausführung zu unterscheiden. Auch hierzu gibt es ein Sprichwort: „Sei vorsichtig mit Deinen Wünschen, sie könnten in Erfüllung gehen.“ Das musste auch das Team 2038 lernen, als unsere Erzählung der globalen Krisen von der Realität eingeholt wurde. Oder hat die Spekulation die Realität überholt? „Als 2020 die Pandemie ausbrach, fühlten wir alle gleich. Ja, wir fühlten. Anders als die bisherigen globalen Krisen wie Klimakatastrophen, wirtschaftliche Ungleichheit oder Migration, mit denen sich nur ein Teil der Menschen konfrontiert sah, durchlebten wir die Pandemie gleichzeitig. Trauer, Angst, Mitleid, Schmerz, Einsamkeit. Emotionen und Schicksal schienen geteilt.“ Angesichts dieser veränderten Gegenwart ist es schwierig, wie bisher zu funktionieren. Die Zeit hat sich

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beschleunigt – wieder einmal. Die Historie, die 2038 erschaffen hatte, hat sich überholt. Noch bevor sie mit der Zeit konfrontiert werden konnte, die ihr zugrunde lag. Die Krise der Jahre 2020/21 ist auch eine Krise des visionären Denkens. Die Planung für verschiedene Zukünfte ist obsolet geworden, weil wir bereits in Szenarien leben. Sogar die Planung der Gegenwart ist unmöglich geworden. Diese Ungewissheit – selbst gegenüber der nahen Zukunft – macht jüngste Spekulationen irrelevant und erweckt vergangene Zukünfte wieder zum Leben. Denn wenn wir Zukunft als Werkzeug für die Gegenwart verstehen, dürfen wir eines nicht vergessen: Die Gegenwart schließt immer auch vergangene Zukünfte ein. Alles was jemals erdacht wurde, um eines Tages Gegenwart zu werden, sich aber (noch) nicht realisiert hat, existiert weiter in einer Art von kollektivem Gedächtnis möglicher Zukünfte. Was wäre, wenn? Diese unbeschrittenen Wege warten darauf, uns als scheinbare Abkürzungen einzuholen. Wäre es nicht schön, die Antworten für heute in den Visionen von gestern zu finden? Zurückzublicken und das wiederzubeleben, was nicht geschehen ist, mag als der einfache Ausweg erscheinen. Nur ist es kein Ausweg. Deshalb bedarf jede Untersuchung der Gegenwart einer Auseinandersetzung mit den unbeschrittenen Wegen der Vergangenheit, um sie zurückzulassen und den Raum für Spekulation zu öffnen. Das Zukunftsweisendste, das wir jetzt tun können ist, den Moment zu feiern – im Jetzt zu sein. Die Rahmenbedingungen haben sich extrem verändert. Der öffentliche Diskurs und die öffentliche Aufmerksamkeit haben sich verlagert. Die Probleme sind aber die gleichen. Antworten darauf, wie wir zusammenleben wollen, sind nur noch rarer und dringlicher geworden, als sie es ohnehin schon waren. Kooperation mit dem Archiv der Zukunft Aus diesem Interesse planen 2038 und das Archiv der Zukunft eine gemeinsame Veranstaltung, in der Formate der Verhandlung von Zukunft erprobt und räumlich umgesetzt werden. Denn Zukunft lässt sich nicht ausstellen, sie lässt sich aber sehr wohl verhandeln. Nur so können wir Antworten auf die brennenden Fragen unserer Zeit finden, statt existierende Systeme weiterhin zu verwalten und aufrechtzuerhalten. Es geht also nicht darum, gegenwärtige Vorstellungen von Zukunft zu zeigen, sondern die Gegenwart aus der Zukunft nachzurüsten. Oder war es vorrüsten? Als Basis für die Veranstaltung dienen uns die Stimmen, die das Archiv der Zukunft Lichtenfels im Laufe der letzten Jahre gesammelt hat. Stimmen aus Lichtenfels und Stimmen über Lichtenfels. Zusammen ergeben sie ein Spektrum von Ideen und Visionen für diesen Ort, aus einer Zeit noch vor der letzten Krise. Liest man die Stimmen heute, wird eines klar: Die Pandemie hat die Behauptung von Alternativlosigkeit in Frage gestellt. Auch das ist Geschichte: vom und für das Archiv der Zukunft Lichtenfels.


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AUTORINNEN Verena Dauerer arbeitet als freie Redakteurin und Journalistin in Berlin und Tokio. Sie beschäftigt sich mit der Schnittstelle von Technik und Kreation, arbeitet als Trendforscherin sowie als Konzepterin von neuen Online-Formaten. Christiane Bürklein arbeitet international als Autorin und Kommunikationsexpertin in den Themenfeldern von Architektur, Design und Nachhaltigkeit. FOTOGRAFIE UND ILLUSTRATION Seite 3–7 und Seite 10: Myrzik und Jarisch Seite 17: Stefan Loeber Seite 18: Peter Haimerl Architektur Seite 19: privat Seiten 21–24: privat (5), Johannes Krebs, CreativeMarketing.de, Ulli Wrede Seite 25: privat Seite 28: Sebastian Buff Seite 29: www.reformlab.se Seite 30: www.wyvesurf.com, Léo Guthertz Seite 31: www.nicolehone.com Seite 32: www.klenzebaum.com Seite 33: www.juliakoerner.com, Ger Ger Seite 34: www.3dwasp.com Seite 35: www.thenewraw.org, www.bluecycle.com, Alina Lefa Seite 38/39: Simon Schnepp Seite 40: Gernot Seeliger QUELLEN Seiten 12–13: 1 Jacques Derrida 1997: Dem Archiv verschrieben. Eine Freudsche Impression, Berlin; Michel Foucault, 1973: Archöologie des Wissens, Frankfurt am Main 2 Wolfgang Ernst 2002: Das Rumoren der Archive, Berlin, S. 25 3 Samuel Sieber 2014: Macht und Medien. Zur Diskursanalyse des Politischen, Bielefeld, 2014, S. 9 4 Julia Fertig 2011: „Die Archivfalle“, in: Kunsttexte, Nr. 1, S. 4, www.kunsttexte.de. Seiten 36–41: Team 2038: www.2038.xyz Team 2038: „Sorry 2038“ in Sorry Press Team 2038: 2038 – The New Serenity, Arts of the Working Class No 120, August 2021

KONZEPTION UND PROJEKTLEITUNG Herburg Weiland, München Yvonne Bauer www.herburg-weiland.de REDAKTION UND TEXT Bureau N, Berlin Hannah Dean, Christine Rüb, Caroline Wolf www.bureau-n.de GESTALTUNG UND BILDREDAKTION Herburg Weiland, München Daniel Ober, Katharina Thaler www.herburg-weiland.de KONTAKT Archiv der Zukunft Lichtenfels Marktplatz 2 96215 Lichtenfels Tel +49 (0)9571.896 5249 Fax +49 (0)9571.896 5251 E-Mail info@archivderzukunft-lichtenfels.de www.archivderzukunft-lichtenfels.de Instagram: @archivderzukunftlichtenfels Registereintrag: Eintragung im Handelsregister. Registergericht: Amtsgericht Coburg Registernummer: HRB 5403


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