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Architektur als Arbeit am Weltarchiv Ein Essay von Alexander Gutzmer
burg im Breisgau erforschen wir die Innovationskraft der Natur. Die Journalistin Verena Dauerer hat für uns die Geschichte des 3DDrucks zusammengestellt und mit Frank Carsten Herzog ein Interview über diese Zukunftstechnologie und ihren Stellenwert in Lichtenfels geführt. Mit einer Bildstrecke stellen wir interessante Innovationen der Anwendung des 3D-Drucks vor. Wir haben Ihnen Antworten auf Ihre häufigsten Fragen zum Archiv der Zukunft zusammengetragen und begeisterte Stimmen der am Bau Beteiligten gesammelt. Abgerundet wird dieses Magazin durch einen Bericht von Olaf Grawert und Ludwig Engel über den deutschen Beitrag an der Architekturbiennale Venedig und die Kooperation mit dem Archiv der Zukunft. Denn Zukunft entsteht aus der Gegenwart, Zukunft nimmt Gestalt an, indem wir sie Heute und jeden Tag neu entwerfen, diskutieren und gemeinsam erschaffen.
Günter und Robert Hofmann, Initiatoren Archiv der Zukunft 10
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ARCHITEKTUR ALS ARBEIT AM WELT ARCHIV
Zukunft und Archiv – ein Widerspruch? Der Kulturwissenschaftler Alexander Gutzmer reflektiert über die Namensgebung unseres Projekts 12
Im Anfang war das Wort, heißt es. Und damit der Sinn. Worte stiften Sinnhaftigkeit, erzeugen Eindeutigkeit. Häufig zumindest. Zum Beispiel das Wort „Archiv“. Eigentlich ein klarer, schöner, präziser Begriff. Einer, der darüber hinaus die Disziplin des Bewahrens, des Ordnens, des Eindeutigen bezeichnet. Alles klar eigentlich. Oder?
Aber dann kommt ein zweites Wort daher: „Zukunft“. Und schon wird es knifflig. Denn wer kennt sie schon, die Zukunft? Außerdem treten damit nun zwei einigermaßen gegensätzliche Sinnwelten miteinander in Austausch und arbeiten sich aneinander ab. Ein „Archiv der Zukunft“ wird es geben in Lichtenfels. Das Künftige also soll in einen Container der Konservation gegossen werden. Es soll das bewahren, das noch gar nicht ist. Aber das geht doch gar nicht. Oder?
Natürlich ist diese vermeintliche Widersprüchlichkeit den Initiatoren dieses Zukunftsarchivs bewusst. Für sie ist der Widerspruch womöglich Programm. Denn widersprüchlich sind auch die Zeiten, in denen wir leben. Und speziell das Konzept der Zukunft ist mit vielen Uneindeutigkeiten und sich diametral entgegengesetzten Programmatiken verknüpft. Wie wird sie denn, unsere Zukunft? Auf welche Fortschrittsnarrative können wir noch setzen? Welchen wollen wir folgen, welche eher ignorieren – und damit auch aus unseren Archiven streichen?
Es gilt also, das abstrakte Konzept der Zukunft fassbar zu machen und für alle verhandelbar. Sie soll durch den Behälter des Archivs mit einer Konkretheit, einer informatorischen und begrifflichen Dichte angereichert werden, die es zuvor nicht hatte. Dafür soll dieses Archiv Zukunft eine räumliche Dichte geben. Das ist sein vielleicht gewagtester, mutigster, auch – im positiven Sinn – größenwahnsinniger Aspekt: dass es einen Raum darstellt, ein Stück Architektur. Räumlich das Nichträumliche denken. Das hat sich Peter Haimerl vorgenommen. Und das kann er. Doch dazu später mehr.
Archiv und Kultur
Was genau heißt das also, der Zukunft ein „Archiv“ geben? Keine Schmiede, auch kein Labor – ein Archiv? Begriff und Konzept des Archivs elektrisieren die akademischen Disziplinen seit geraumer Zeit. Gerade in den Geistes- und Kulturwissenschaften hat man sich seit den 1970er Jahren viel mit Prozessen, Techniken und Konsequenzen der Archivierung befasst. Die französischen Poststrukturalisten Michel Foucault und Jacques Derrida haben eigene Theorien dazu entwickelt.1 Für sie war Archivtheorie Kultur- und Medientheorie. Das gilt aus meiner Sicht bis heute. Archivierung heißt Kulturprägung. Und die Produktion von Medien ist parallel zu sehen mit der Arbeit am kollektiven Archiv der Gesellschaft.
Dabei wäre es naiv, die Arbeit am kollektiven Archiv als neutral und als Resultat eines objektiven Fortschrittsprozesses zu sehen. Archivpraxis ist immer auch politische Praxis, nicht nur über die Inhalte der Archive und auch nicht nur über ihre Speichertechnologien – obwohl
„Wir alle entscheiden mit, was als innovativ gilt und in welche Richtung Künstler wie Forscher arbeiten. Wir müssen uns dieser Rolle, dieser Verantwortung aber bewusst sein.“
letztere in Zeiten der Digitalisierung natürlich eminent wichtig ist. Es geht auch um Akteure. Häufig stand und steht die Frage im Raum und wird kontrovers verhandelt, wer archivieren darf. Denn wer archiviert, wer die Archive von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft prägt, schreibt und beeinflusst damit Geschichte und bestimmt, wie eine Gesellschaft reziprok auf sich selbst blickt. Auch beeinflussen die Prozesse der Archivierung natürlich, wie Politik betrieben wird, wie Geschichte also permanent weitergeschrieben wird. Damit ist die Idee eines quasi „objektiven“ Weltarchivs natürlich obsolet.
Wer unsere Archive verstehen will, muss immer darauf schauen, was sie nicht speichern, oder was sie in seiner Verbreitbarkeit und Andockfähigkeit verhindern. Wo endet das Archiv? Und: Warum bestehen diese Lücken? Auf diese Frage rekurriert auch der Medienwissenschaftler Wolfgang Ernst. Die Kernentscheidung für ihn: „Ist eine Lücke im Archiv der Nachweis eines originären Schweigens oder eines Verschweigens?“2 Wobei die Frage ist, was schlimmer wäre. Denn das eine Schweigen ist „nur“ den Taktiken Einzelner geschuldet. Das andere hingegen ist archivsystemisch.
Eine Welt digitaler Archive?
Auch wenn die Idee einer gesellschaftstheoretischen Auseinandersetzung mit dem Archiv älter ist, hat diese natürlich durch die Digitalisierung eine neue Zentralität