Centaurus Magazine 05

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info & news for gay, lesbian, bi, trans & friends N. 5 2006-1

RECHTE & GESELLSCHAFT

ZEITREISE

LITERATUR


IMPRESSUM Redaktionsleiter: Christoph Tauber RedakteurInnen: Conny Cossa, Ingrid Facchinelli, Jochen Pichler, Stefan Schreyoegg, Andreas Unterkircher, Georg Vescoli, Iris Maria Vinatzer, Stefan Windegger, für das Bibliotheksteam: Margot, Günther, Walther, Ingrid

Gastkommentar: Hans Karl Peterlini Literarische Beiträge: Martin Pichler und Elisabeth Angerer Fotos: Peter Viehweider (www.pit-pic.it) und Conny Cossa Grafik: Andrea Cagol Layout: Roberta Benatti Druckerei: Tezzele Print GmbH (BZ) Auflage: 1.000 Stück Bozen, November 2006, Herausgeber: H.I.S.- I.O.S Centaurus Homosexuelle Initiative Südtirols Centaurus Iniziativa Omosessuale Sudtirolese Centaurus Galileo-Galilei-Strasse 4 (Home Center)

Ein besonderer Dank gilt Riccardo Dello Sbarba und dem Amt für Kabinettsangelegenheiten für die finanzielle Unterstützung.

Alle namentlich gekennzeichneten Beiträge spiegeln die Meinung des Autors wieder und müssen sich nicht mit den Ansichten der Redaktion decken.

Inhalt 4 5

Editorial Grußworte

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15 Jahre Centaurus: Rückblick und Ausblick

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Schwul-lesbische Zukunft - was wir uns wünschen…

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Queer-Home-Center: Mit Hammer und Wischmob zum neuen Sitz

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Von Schnurrbart zu Schnurrbart Ein Plädoyer dafür, dass jeder so sein soll, wie er gerne ist

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Akzeptanz statt Toleranz Für Vielfalt. Gegen Diskriminierung

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Südtiroler Wowereits gesucht Südtirol und die Homosexualität: Mittelalter oder 21. Jahrhundert?

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Wege für eine italienische Lösung Die gesetzliche Anerkennung gleichgeschlechtlicher Beziehungen in Europa

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Nur der Tod soll mich und dich scheiden Monotheismus und Homosexualität Ein polemischer Kommentar

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Literarische Seiten Martin Pichler Elisabeth Angerer

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Bibliotheksgruppe

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Ich finde das Verhalten älterer Schwuler untolerant. Generationen im Konflikt

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Transsexualität, Psychotherapie und Gesellschaft

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U27 - Eine schwullesbische Jugendgruppe stellt sich vor

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Happy Birthday CENTAURUS

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Editorial

Zum ersten, zum zweiten… und zum fünfzehnten Tabus brechen in Südtirol Christoph Tauber IS wurde nicht zu HER, sondern zu CENTAURUS.Viele von euch werden den Titel des Magazins genauso wie den vorigen missverstehen. Denn weder standen beim letzten Magazin die Männer im Vordergrund - HIS stand und steht einfach für Homosexuelle Initiative Südtirols - noch steht heute derVerein im Zentrum. Dies ist keine interneVereinszeitschrift, sondern eine Zeitschrift für alle: Schwule, genauso wie Lesben, ebenso wie Bisexuelle und Transsexuelle, aber auch für alle offenen und aufgeschlossenen Menschen in Südtirol, die ihren Horizont erweitern wollen. Ganz einfach war es ja nicht immer, die Arbeit in der Redaktion. Denn auch hier machte sich das Spannungsfeld Mensch und Sexualität bemerkbar. Steht der Mensch im Vordergrund oder die Sexualität? Reproduzieren wir Klischees oder wollen wir einen radikalen Weg beschreiten und Tabus aufbrechen? Haben wir den Mut auch unsere Sexualität zu zeigen oder verstecken wir uns selbst? Radikalität ist zwar schnell gefordert, doch die Umsetzung ist manchmal schwierig. Besonders dann, wenn man von Landesgeldern abhängig ist. Denn nur allzu schnell könnte der Geldhahn zugedreht werden; zumal bei uns Homosexuellen, wie uns die Erfahrung schon bei dieser ersten Ausgabe gelehrt hat. Wir hätten uns nämlich ein Vorwort der Landesrätin für Kultur, Sabina Kasslatter Mur für diese Ausgabe gewünscht. Ein kleinesVorwort für eine Jubiläumszeitschrift, wie es in jeder Festschrift einer Imkervereinigung, einer Laienbühne oder einer Freiwilligen Feuerwehr zu finden ist.Vorworte gibt es zwar für die Zeitschrift der Bewegung für das Leben auch nicht, doch gefördert wird sie trotzdem. Herausgestellt hat sich aber: Wir machen keine Kultur! Deshalb gibt’s wie’s bis jetzt scheint kein Geld und ein Vorwort schon gar nicht. Trotz allem haben wir uns nicht beirren lassen und das Ergebnis, so glaube ich, kann sich durchaus sehen lassen. Jubiläen werden gefeiert. Alle fünf Jahre steht

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ein runder Geburtstag an und man schaut zurück und schwelgt in der Vergangenheit. Wir haben’s genau umgekehrt gemacht: unser Blick ist optimistisch in die Zukunft gerichtet. Wir sind davon überzeugt, dass sich auch in Südtirol etwas ändern wird. Zwar nicht heute, auch nicht morgen, aber vielleicht schon übermorgen. In dieser Zeitschrift werden Visionen entwickelt, ob sie realistisch sind, oder nicht, das wird die Zukunft zeigen. Ich wünsche allen Leserinnen und Lesern eine spannende Lektüre und hoffe, dass wir mit dieser Zeitschrift dazu beitragen Diskussion anzuregen und Mut machen Tabus zu brechen und selbstbewusst an die Öffentlichkeit zu treten. Chi sfoglia le pagine di questo numero del Centaurus Magazine vedrà forse confermato il pregiudizio secondo cui Centaurus è ormai diventata un’associazione completamente tedesca. Non è così, ma purtroppo per questa edizione, nonostante tutti gli sforzi che abbiamo fatto non siamo riusciti a trovare collaboratori di madrelingua italiana che volessero partecipare al nostro progetto di fare, o meglio continuare una rivista caratterizzata anche in passato per il suo pluralismo anche linguistico. Avendo scartato da subito l’idea di pubblicare la traduzione italiana di articoli scritti originariamente in lingua tedesca, invitiamo quindi in questa sede tutti quanti avessero voglia di collaborare alla rivista fornendo idee, foto, articoli o grafici, di contattare la redazione al seguente indirizzo: info@centaurus.org Damit auch die nächste Ausgabe des Centaurus Magazins so gut, oder noch besser wird als diese schreibt uns unter info@centaurus. org Was haben wir gut gemacht? Was würdet ihr ändern? Was fehlt? Was hat euch gefallen? Was weniger? Was würdet ihr anders machen?


Grußworte

Liebes Centaurus-Team! Liebe Freunde! Zuallererst herzliche Gratulation zum 15jährigen Bestehen der Vereinigung „HIS/IOS Centaurus“!

Gerne komme ich der Einladung nach, für diese Jubiläums-Ausgabe ein Grußwort zu schreiben. Denn war es 1991 eine wichtige und mutige Initiative, so ist die HIS Centaurus heute eine anerkannte und geschätzte Vereinigung, die mit konsequenter Aufklärungsarbeit vielen Menschen Rückhalt und Orientierung gibt.

Es ist der Homosexuellen Initiative Südtirols zu verdanken, wenn in den letzten 15 Jahren in unserer Gesellschaft ein allgemeines Nachdenken über die Rechte und eine Sensibilisierung für die Anliegen von Menschen mit verschiedenen sexuellen Orientierungen begonnen hat. Nicht nur, es sind dies Grundrechte bzw.Voraussetzungen, die auch für die vielen neuen Beziehungsformen in unserer Gesellschaft gelten: De-facto-Familien von heterosexuellen Paaren, Lebensgemeinschaften oder beständige Wohngemeinschaften und andere Formen des solidarischen Zusammenlebens. Für die Forderungen der Homosexuellen einzutreten, bedeutet gleichermaßen, für die Anerkennung der Bürgerrechte aller Menschen zu sein. Handelt es sich doch um Prinzipien, die es in einer gerechten Gesellschaft zu beachten und einzuhalten gilt.

Il principio fondamentale di voler vivere in una società libera da discriminazioni e pregiudizi deve essere condivisa e sostenuta con convinzione, lungimiranza e coerenza. Anche la politica deve sostenere i diritti e l’uguaglianza. Nel mio impegno personale ho avuto sempre a cuore questa nobile causa e così farò anche in futuro.

Ringrazio l’associazione IOS Centaurus e tutte e tutti voi per ciò che avete fatto fino ad oggi e Vi auguro di riuscire a conservare intatto l’impegno e la caparbietà dimostrati finora, ma soprattutto la gioia che Vi ha accompagnato nel vostro cammino solidale. Riccardo Dello Sbarba

Geburtstagswunsch 006 feiert der Verein Centaurus – Homosexuelle Initiative Südtirol sein 15 jähriges Bestehen, ich habe einen Wunsch. Der Blick zurück gibt Anlass zur Hoffnung, dass sich der stete und oft einsame Kampf um Anerkennung lohnt. Gleichzeitig öffnet er aber auch den Blick dafür, wie schwer es fällt, Normen zu durchbrechen und Unbekanntes gesellschaftsfähig zu machen. Es scheint inzwischen „in“ zu sein, über Homosexualität zu reden, aber etwas „damit“ zu tun haben, will eigentlich niemand. Aussitzen und verschweigen ist die Taktik jener, die öffentliche Meinung prägen, Homosexualität als Ursache des Zerfalls der Menschheit hinzustellen und damit ein Feindbild zu schaffen, das alle kennen, jedoch keine/r wirklich weiß, was oder wer das Übel ist, ist einfach. Aus diesen Überlegungen ist mein Geburtstagswunsch für die Homosexuelle Initiative Südtirol - Centaurus erwachsen: Ich wünsche mir, dass sich alle Lesben, Schwule, Bi- und Transsexuelle zu ihrer Neigung bekennen. Ich wünsche allen Lesben, Schwulen, Bi- und Transsexuellen, dass sie den Mut haben, ihre Liebe ohne Angst zu leben. Denn im Grunde geht es um Liebe.

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Ingrid Facchinelli Präsidentin

Riccardo Dello Sbarba ist Landtagspräsident und Abgeordneter der Grünen-Verdi-Verc im Südtiroler Landtag

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Zeitreise

15 Jahre Centaurus: Rückblick und Ausblick Ingrid Facchinelli Centaurus feiert Geburtstag. Anlass einer Standort-bestimmung und um über Wünsche, Hoffnungen und Ziele für die Zukunft nachzudenken. 15 Jahre mögen dem/der einen als kurze Zeit erscheinen für einen Verein, der sich für die Rechte von Schwulen und Lesben einsetzt - immerhin wurde in Dänemark bereits 1989 die Gleichstellung von

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homosexuellen Paaren gesetzlich veranker t. Dennoch war es ein beachtlicher und wichtiger Schritt in Südtirol und für Südtirol, als sich 1991 eine kleine Gruppe von Lesben und Schwulen zusammenschloss, um den Verein Centaurus zu gründen. Die Absicht war klar: Homosexualität sichtbar machen, einen Treffpunkt schaffen, aus dem Untergrund auftau-

chen und Forderungen stellen. Zum zehnjährigen Bestehen von Centaurus erschien die Vorgängernummer dieses Magazins, in dem ausführlich Rückschau gehalten wurde, daher beschränke ich mich hier auf die letzten fünf Jahre. In diesen Jahren erlebte Centaurus einige erhebliche Veränderungen. Wir zogen aus dem finsteren Keller in der Talfergas-

se aus und bezogen die neuen lichtdurchfluteten, sichtbaren Räume in der Galileistraße, die uns von der Autonomen Provinz Bozen zur Verfügung gestellt werden. Inhaltlich wurde versucht, den Schwerpunkt vom reinen Treffpunkt, vom Ort der Begegnung und des Austausches zu einem öffentlich aktiven und sichtbaren Verein, der auch politische Forderun-


Zeitreise gen stellt, zu erweitern. Die Einführung eines Registers für eingetragene Partnerschaften in Bozen und die gescheiterten Versuche, ein solches in anderen Gemeinden einzuführen stellten sicher die Höhepunkte der letzten Jahre, auch im Bezug auf die mediale Resonanz, dar. Eine zweite wichtige politische Aktion, die leider bis heute erfolglos geblieben ist, war das Einbringen von Gesetzes entwürfen gegen Diskriminierung im Südtiroler Landtag durch die Grünen Verdi. Eine abgeänderte Version steht noch zur Diskussion. Vor kurzem wurde ein Teilbereich aus diesem Gesetzentwurf mit dem neuen Sanitätsgesetz verabschiedet. Es sieht vor, dass Jede/r eine Person ihres/seines Vertrauens wählen kann, die in Notfällen benachrichtigt wird und Besuchs- und Entscheidungsrecht für diese Person erhält. Öffentliche Diskussionen, Werbeaktionen,Teilnahme an Veranstaltungen, eine Werbeaktion von lesbischen und schwulen KandidatInnen bei den letzten Gemeinderatswahlen waren weitere Schwerpunkte der letzten Vereinsjahre. Aber auch die vielen Feste, die Feiern, der wöchentliche bzw. monatliche Treffpunkt, die Wanderungen, die Telefondienste, die Bibliothek, die Discoabende, die Homepage und vieles andere mehr. Und dies sind alles Aktionen hinter denen viel Arbeit, viel Engagement, viel Zeit und immer auch ein Mensch steht. Hier möchte ich die Gelegenheit nutzen, diesen Men-

schen zu danken. Einmal auch öffentlich zu sagen, wie wichtig, wie wertvoll ihre Arbeit ist; dass es ohne den Einsatz der/des Einzelnen dies alles nicht geben würde. Mein Dank geht auch an den Vorstand, an diejenigen, die Verantwor tung übernehmen und tragen und die dazu beitragen, dass es Centaurus gibt. Denn die Zahl der Mitglieder und Mitfrauen, 956 an der Zahl, bestätigen den Bedarf und sind Ansporn und Kraft für jene, die Vorne stehen. Zwei Vorstandsmitglieder habe ich gefragt, was ihre Visionen für die nahe und ferne Zukunft für Centaurus und für Homosexuelle in Südtirol sind.

Thomas, Vizepräsident: "Meine Vision, bzw. mein Wunsch zum 15. ist ein ganz banaler, nämlich dass wir den 20. Geburtstag nicht mehr feiern können, weil wir Centaurus bis dahin aufgelöst haben, da homosexuell zu sein so zur Normalität geworden ist, dass es hierfür keinen eigenen Verein mehr braucht, Heteros haben ja auch keinen Verein! Gut, träumen kann man ja mal schon und diesenTraum als langfristiges Ziel im Auge behalten. Kurz- und mittelfristige Visionen und Wünsche zu äußern ist vielleicht a pissl realistischer: In Südtirol bestehen noch immer sehr viel Unwissenheit und Vorurteile dem Thema Homosexualität gegenüber, hier ist es wichtig, künftig noch stärker die

Südtiroler Öffentlichkeit auf uns und unsere Art zu lieben und zu leben aufmerksam zu machen, um sichtbarer zu werden und aufzuklären. Hierzu wünsche ich mir, dass es uns gelingt, künftig noch stärker als bisher fähige Leute um uns zu scharen, die bereit sind, in den Verein ihre Fähigkeiten und Fer tigkeiten einzubringen, um entsprechende Projekte zu verwirklichen. Ich denke hier an die Vielzahl von Leuten in unseren Reihen, die im Sozial- Schul- und Jugendbereich, oder auch auf dem Gebiet der Werbung, Publizistik, Marketing usw. tätig sind. All diese Leute sind für den Verein eine enorme Ressource, mit der wir vieles umsetzen könnten, wenn sie nur mitarbeiten täten. Wenn wir Lesben und Schwule wirklich wollen, dass sich etwas veränder t, dann gelingt dies nur, wenn auch jede/r von uns bereit ist, etwas dafür zu tun! In diesem Sinne: Wer sich angesprochen fühlt, meldet sich bei scriba@centaurus.org".

te/n haben wird, dass sich die Schwulen und Lesben aus ihren Verstecken in den hintersten Tälern Südtirols trauen und zu sich stehen, dass sie sagen „Ich bin wie ich bin und es ist mir egal, was die anderen von mir denken; das ist nicht mein Problem.“ Ich wünsche mir, dass ich einmal durch die Bozner Lauben gehen kann, Hand in Hand mit meinem Freund, ohne von Blicken verfolgt zu werden. Ich möchte meinen Freund auf dem Walterplatz in Bozen, auf dem Domplatz in Brixen oder auf der Alm im hintersten Ahrntal küssen können, ihm meine Zuneigung zeigen können, ohne gleich wie ein Aussätziger angestarr t zu werden. Ich will mich nicht mehr rechtfertigen müssen, mich erklären müssen. Heterosexuelle müssen dies ja auch nicht. Ich wünsche mir, mehr Engagement von Homosexuellen in Südtirol bei der Durchsetzung ihrer Rechte! Mander und Weiber, es isch Zeit!"

Christoph Tauber: "Eines habe ich in meinem Leben bis jetzt gelernt: Mache nie Pläne, denn meistens kommt es anders, als man es sich vorgestellt hat, und das ist das Leben. Pläne soll man ja keine haben – zumal hier in Südtirol nicht – aber einige kleine Wünsche hege ich trotzdem: Ich bin realistisch. Südtirol wird sich soo schnell nicht ändern, aber ich hoffe, dass Südtirol in naher Zukunft, einen schwulen oder eine lesbische Abgeordne-

Mein abschließender Wunsch als Präsidentin: Wir sind Teil der Gesellschaft, daher steht es uns zu, als ein solcher wahrgenommen und behandelt zu werden. Ich wünsche mir nicht nur Akzeptanz, sondern Gleichberechtigung, nicht nur Toleranz sondern Anerkennung. Daher möchte ich alle auffordern zum Mit-Tun, zum Gesicht zeigen, zum Platz fordern und die Stimme zu erheben für unsere gemeinsamen Anliegen.

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Umfrage

Schwul-lesbische Zukunft Über Gleichwertigkeit, rechtliche Anerkennung und George W. Bushs lesbische Töchter Stefan Windegger Desiderare significa sperare, o meglio: chi desidera spera. Anche omosessuali e lesbiche sperano molto in un futuro prossimo, soprattutto quanto riguarda l’accettazione nella società e nei miglioramenti dei diritti. Questo è quello che ci si aspetta dal mondo di domani. Dettagli a riguardo vengono dati da seguenti dichiarazioni, che sono state raccolte a fronte di un’inchiesta (non rappresentativa), condotta tra omosessuali e lesbiche dell’Alto Adige. Pertanto: Leggere, desiderare e sperare, che un giorno vengano esaudite!

„Volle gesellschaftliche Gleichwertigkeit von homo-, hetero- und bisexuellen Lebens- und Liebesweisen.“ (Sabine, 38) „Weniger Vorurteile, mehr Toleranz, weniger Ghetto, mehr Akzeptanz.“ (Paolo, 39) „Che passi la legge sui pacs.“ (Daniele, 42) “Mehr Verständnis für Homosexualität im allgemeinen. Mehr Offenheit.“ (Petra, 23) „Ein positiv ausgeglichenes Leben, viel Gesundheit, eine lebenslange sehr sehr glückliche Beziehung mit meinem Schatz. Ich wünsch mir, dass das Partnerschaftsgesetz Gültigkeit erreicht, dass Schwule und Lesben sich besser verstehen – mehr miteinander als gegeneinander – und dass die Gesellschaft positiver mit Homosexualität umgeht.“ (Anni, 43) „Ich wünsche mir, dass sich keiner mehr verstecken muss und dass ich nie mehr Angst haben muss zu meinem Lesbischsein zu stehen“ (Christine, 42)

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Umfrage

t - was wir uns wünschen… Wünschen heißt hoffen. Oder besser: Wer wünscht, hofft auch. Auch Schwule und Lesben setzen große Hoffnungen in die Zukunft. Dabei sind es - so der Grundtenor - vor allem die gesellschaftliche Akzeptanz und die Rechtsverbesserungen, die sich Schwule und Lesben von der Welt von morgen wünschen. Über Details geben folgende Aussagen Auskunft, die im Rahmen einer (nicht repräsentativen) Umfrage unter Südtirols Schwulen und Lesben gesammelt wurden. Also: Lesen, wünschen und hoffen, dass sie eines Tages in Erfüllung gehen!

„Desidero che in futuro non ci sia più bisogno di parlare di un ´mondo gay‘. L’omosessualità spero che diventi una ´normale‘ variante umana. I singoli individui, così come le coppie, potranno godere dei ´normali‘ diritti di ogni cittadino.” (Andrea, 39) “Mehr Präsenz in der Öffentlichkeit mit mehr Toleranz und Offenheit, gesetzliche Gleichstellung schwul-lesbischer Lebensgemeinschaften, eine glückliche und erfüllte Beziehung sowie eine besseres Verhältnis zwischen Lesben und Schwulen.„ (Christoph, 26) „Lesbische SVP-Abgeordnete, Zusammenarbeit von Centaurus mit anderen Vereinen, rechtliche Anerkennung von homosexuellen Partnerschaften, offene Berichterstattung in den lokalen Zeitungen, Zurückhaltung der Kirche in Fragen der Homosexualität.“ (Barbara, 33) „Ich wünsche mir, dass George W. Bushs Töchter sich als Lesben outen, dass der Papst seinen Verein auflöst und freie Liebe predigend und lebend durch die Lande zieht, dass Alleanza Nazionale endlich den Spruch ´meglio froci che fasci‘ auf seine Parteifahne schreibt und – und das meine ich jetzt ernst – dass es eine Welt gibt, in der Vereine wie Centaurus nicht mehr notwendig sind, weil Gleichberechtigung,Toleranz und Akzeptanz von Lebensmodellen und Orientierungen von Minderheiten selbstverständlich sind „ (Johnny, 37)

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Treffpunkt

Queer-Home-Center: Mit Hammer und Wischmo Stefan Windegger

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Es war in der Weihnachtszeit des Jahres 2003, als in einer Art Nacht- und Nebelaktion Helfer und Mitarbeiter der Homosexuellen Initiative Südtirol den Umzug vom Kellersitz in der Bozner Talfergasse in das Home-Center in der Galileo-Galilei-Straße regelten. Ingrid Facchinelli, seit 2003 Präsidentin von Centaurus, erinnert sich noch gut an den historischen

Tag: „Während die Frauen in der Talfergasse mit Hammer und Schraubenzieher die Räumlichkeiten wieder in ihren ursprünglichen Zustand brachten, waren die Männer in der Galileo-Galilei-Straße bereits eifrig dabei, mit Putztuch und Wischmob den neuen Räumen einen ersten Glanz zu verpassen.“ War der Umzug zunächst von Skepsis geprägt, stellte

„Sehr wohnlich! Aber ich hab einige Zeit gebraucht, bis ich Centaurus gefunden habe!“, merkt Oskar an, als er an einem Samstag im neuen Sitz von Centaurus erscheint. Es ist das erste Mal, dass Oskar den schwullesbischen Treffpunkt in der Bozner Industriezone aufsucht. „Ich hab mich mit einem Freund

Die Autonome Provinz Bozen hatte Teile des gläsernen Home-Centers in der Bozner Galileo-Galilei-Straße angekauft und stellt sie seither kostenlos einigen Non-Profit-Organisationen zur Verfügung – darunter auch der Homosexuellen Initiative Südtirol - Centaurus. „Nachdem uns bewusst war,

verabredet, der regelmäßig die Samstag-Treff-punkte besucht. Da wollte ich mir auch mal den Sitz anschauen“. Es gibt noch viele wie Oskar, die noch nie den Weg in die relativ neuen Vereinsräume gefunden haben. Und viele wissen auch nicht, dass sie beim Besuch sogar landeseigenen Besitz betreten.

dass wir in der Talfergasse nicht länger in Untermiete bleiben konnten, mussten wir eine neues Zuhause für unseren Verein suchen“, erinnert sich der damalige Präsident Kurt Wieser. „Plötzlich stand der Besuch von Realitätenbüros auf unserem Tagesprogramm. Wir haben uns aber auch an die damaligen


Treffpunkt und dem Ort vieler kultureller und sozialer Treffpunkte entfernt, so die weit verbreitete Befürchtung. „Sicher waren viele, die über Jahre hinweg den Verein in der Talfergasse und damit in Stadtnähe gewohnt waren, zunächst enttäuscht und verunsichert“, sagt Ingrid Facchinelli. „Doch die neue, von Licht durchflutete und dadurch auch freundlicher erscheinende Einrichtung und die vielen außerordentlichen Abende, die wir bis heute organisiert haben und die durchwegs gut besucht waren, haben gezeigt, dass es nicht immer nur auf den Standort ankommt. Außerdem kommen die meisten Besucher aus den umliegenden Gemeinden und Nicht alle waren von der neuen Tälern und müssen – so oder Centaurus-Adresse „Galileo- so – an der Industriezone Galilei-Straße 4a“ begeistert. vorbei.“ Die Befürchtung, dass niemand mehr zu den wöchentlichen Der Treffpunkt mag vielleicht Treffpunkten kommen wür- nicht unbedingt für jede Frau de, war sehr groß: man sei und jeden Mann ideal gelegen zu weit vom Stadtzentrum sein. Umso idealer gestaltet Verantwortlichen vom Gesundheits- und Sozialwesen Otto Saurer, des Wohnbauinstituts Rosa Franzelin und an den Bürgermeister der Landeshauptstadt Giovanni Salghetti-Drioli gewandt. Schließlich hatten die öffentlichen Verwaltungen uns auch stets finanziell unterstützt.“ Die Hilfe der zuständigen Landesväter und -mütter ließ auch nicht lange auf sich warten. Bis zum eigentlichen Umzug dauerte es allerdings noch ganze drei Jahre, erzählt Ingrid Facchinelli: „Das Land wollte uns eine fertige Struktur übergeben, was den Vorteil hatte, dass wir noch den Wunsch äußern konnten, wie wir die Räume haben wollten.“

erscheint die Einrichtung selbst, einerseits für die Vereinsarbeit, aber auch für die öffentlich zugänglichen Veranstaltungen, wie etwa die Treffpunkte für alle am Samstag und die Lesbentreffen jeden ersten Freitag im Monat. Herzstück des Treffpunkts sind eine Sitzecke und eine umfangreiche Bibliothek mit einer großen Auswahl an Büchern und Zeitschriften zum Thema Homosexualität gleich oberhalb des Eingangsbereiches. Am Büroraum vorbei gelangt man in einen zweiten größeren Aufenthaltsraum, der für Sitzungen, Filmvorführungen oder gerne auch für einen „Watter“ genutzt wird. „Es war uns ein großes Anliegen, den Vereinssitz praktisch und gleichzeitig gemütlich einzurichten: mit Möbeln, die leicht verstellbar sind, damit man sie den unterschiedlichen Bedürfnissen anpassen kann. Für die wohnliche Einrichtung war eine sechsköpfige Einrichtungsgrup-

ob zum neuen Sitz

pe zuständig, zu der drei Frauen und drei Männer gehörten.“ Die unzähligen freiwillig aufgebrachten Arbeitsstunden haben sich gelohnt. Der mittlerweile fertig eingerichtete Vereinssitz hat so manche kritischen Stimmen verstummen lassen. „Im Schnitt sind es 15 bis 17 Leute, die Woche für Woche den Samstag-Treffpunkt besuchen. Bei außerordentlichen Abenden wie dem Weihnachtsfest oder dem Osterfest sind es deutlich mehr!“, beobachtet Thomas, der gemeinsam mit sechs weiteren ehrenamtlichen Mitarbeitern des Vereins die wöchentlichen Treffpunkte betreut. „Die Leute kommen aus ganz verschiedenen Gründen zu uns: Neulinge wollen sich erst einmal ein Bild vom Sitz machen oder Informationsmaterial holen. Dann gibt es auch Stammgäste, die vorbeischauen, um Bekannte zu treffen, in Zeitschriften oder Büchern zu blättern oder auch um mit anderen Kar ten zu spielen. In regelmäßigen Abständen schauen auch Touristen vorbei, die über den Reiseführer ‚Spartacus’ zu uns finden.“ Der Vereinssitz der Homosexuellen Intiative Südtirol Centaurs soll in den nächsten Monaten und Jahren noch besser genutzt werden, wünscht sich die Vorsitzende Ingrid Facchinelli: „Wir wollen, dass der Sitz nicht nur für die interne Vereinsarbeit genutzt wird. Jede Besucherin und jeder Besucher soll sich im Verein wohl fühlen, ob bei den Samstag-Treffen, bei Filmabenden oder Lesungen.“ Oskar hat es sich in der Zwischenzeit auf der Couch bei einem spannenden Buch über „Schwul und cool. So optimierst du Dein Leben“ gemütlich gemacht. „Hier ist’s gemütlicher als ich es gedacht hatte. Es ist fast so wie zuhause!“, stellt der Neuling fest - eine Erfahrung, die er hoffentlich in die Welt jenseits des QueerHome-Centers hinausträgt.

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Gastkommentar

Von Schnurrbart zu Schnur Ein Plädoyer dafür, dass jeder so sein soll, wie er gerne ist

Hans Karl Peterlini

Das Jahr und den genauen Tag weiß ich nicht mehr, aber nicht alle wichtigen Momente in einer Gesellschaft bedürfen des offiziellen Gedenktages, werden gefeiert und zelebrier t, obwohl dieser eine es verdienen würde. Es war nur ein kurzer Leserbrief, irgendwann in den 1980er Jahren, die Antwort auf eine Polemik um eine ff-Titelgeschichte über das „Schwulsein in Südtirol“, geschrieben von meinem Kollegen Wolfgang Mayr. Eigentlich eine zärtliche Geschichte mit einem Titelbild, das – wenn ich es richtig erinnere – zwei schnauzbärtige Männer zeigte, die sich küssten. Kein Männerakt, kein bisschen Nacktheit, wie es in Illustrierten üblich war und ist, wenn heterosexuelle Erotik thematisiert oder auch nur weibliche Körperlichkeit als Kaufköder eingesetzt wird – und natürlich schon gar keine Andeutung, wie Männer es treiben. Nein, nur ein Kuss, freilich von Schnurrbart zu Schnurrbart. Es hagelte Proteste auf die damals kleine, von wenig politischem Bewusstsein im Lande geschützte ff-Redaktion: Was für eine Schweinerei! Was für eine Gotteslästerung! Was für eine Verführung von Kindern durch eine Zeitung, die schließlich Familienzeitung ist! Zugunsten eines offeneren Umgangs mit Homosexualität rührte sich zunächst nichts. Dann kam ein knapper Leserbrief, eingesandt und gezeichnet von Lois Niederwolfsgruber, Percha. Ich kannte den Lois von seinem politischen Einsatz her, von seinem Versuch einer alternativen Lebensart, die Frieden sucht mit Natur und Einwanderern, beides ja gut geeignet für feindliche Projektion. Denn in dieser Angsthaltung leben wir: einer bösen Natur ausgeliefert, wenn wir uns ihr nicht mit Moralkodex und Betonmischmaschine entziehen, immer neuen feindlichen Eindringlingen ausgeliefert, wenn

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wir ihnen nicht Grenzen setzen. Die Einsicht, dass wir auf diese unsere Bedrohungsbilder, auf fremd gewordene Natur und fremden Mitmensch, all das projizieren, was wir in uns verdrängen, hat übrigens auch Jubiläum – mit dem 150. Geburtstag von Sigmund Freud. Aber gleich wie Freuds berühmte Fußnote zur Homosexualität, dass man diese nicht als andersartig von der „normalen“ Sexualität abtrennen könne1 , setzt sich psycho analytische Erkenntnis immer nur stückweise durch, um immer wieder zurückgeworfen zu werden auf Vorurteile, Feindbilder, eingegrabene Verhaltensmuster des vermeintlichen homo sapiens. Was nun schrieb der Lois? Er nahm zunächst sehr sachlich zu den Polemiken um die Homosexualität Stellung und schrieb dann, ohne großes oder gar aufgesetztes Outing, schlicht und einfach, wie es ihm als Lehrer mit seiner Homosexualität ergehe. Ich war erstaunt, fand es ungeheuer mutig – und fühlte doch eine Befangenheit. Es wäre verwegen zu glauben, dass wir von vorneherein einen unbefangenen Umgang mit Homosexualität haben können. Auf der rationalen Ebene mag man sich durchringen zu einem Verstehen, zu einem Tolerieren – ja was denn! Muss Homosexualität verstanden, toleriert werden? Oder ist sie, mit derselben Beiläufigkeit, wie Lois sein Outing wagte, schlicht und einfach als seiend, als „normal“ zu betrachten? Man wundert sich ja auch nicht, dass Menschen heterosexuell sind, wenngleich Freud die Zuschneidung des für ihn viel umfassenderen „Triebes“ auf den heterosexuellen Geschlechtsverkehr zum Zwecke der Fortpflanzung für mindestens so erstaunlich erachtete wie andere Spielarten der Lebens- und Liebeskraft. Platons Kugelgleichnis hat auch Freud schon inspiriert: die Vorstellung einer einst

ungeteilten Menschenart, Mann und Frau beisammen im Kugelmenschen und so rundum glücklich, dass sie es wagten, die Götter herauszufordern, denn sie fühlten sich ihnen gleich. Zeusens Strafe war die Teilung der Aufbegehrenden in Mann, Frau und Mannfrau, wobei deren Geschlechtsteile so ungeschickt angebracht waren, dass sie nicht mehr zueinander finden konnten und verzweifelt in die Erde zeugten. Erst als Zeus sich solcher Tragik erbarmte, baute er den Geteilten die Geschlechtsteile um und ließ sie ineinander zeugen und lieben, wobei für Platon das Lieben vor dem Zeugen stand, die erotische Kür zwischen Männern vor der Pflichterfüllung zwischen Mann und Frau.2 Aber das waren die alten Griechen – und bei Gott nicht so geeignet zur Idealisierung, wie es mitunter geschieht. Im homosexuellen Akt war es wichtig, wer penetriert und wer penetriert wird, denn die Penetrierten – die Knaben, die Sklaven und natürlich die Frauen – hatten keine Befähigung zum politischen Subjekt; auch waren die Freiheiten letztlich wenigen vorbehalten. Dafür wurde dann – durch Jahrhunderte katholischer Sozialisation – die Unfreiheit kollektiv: alles Sünde, außer es stand im Dienst von Ehe und Fortpflanzung. Ich kannte vor Loisens Leserbrief natürlich auch schon einige Homosexuelle: Einer schwärmte immer von seinen Frauen-geschichten, der andere sublimierte seinen Trieb durch politischen Ehrgeiz – ein Outing im Bekanntenkreis war mir nicht widerfahren. Wie würde ich auf Lois zugehen, wenn ich ihn das nächste Mal treffe? Ich traf ihn zufällig bald, und es war herzlich: Wir umarmten uns. Wir küssten uns nicht. Warum sollten wir? Es wird so schnell alles kompliziert, wenn Sexualität eingerastert wird in homo oder hetero. Bei einer Frau, die ich auf die


Gastkommentar

urrbart

Wange küsse, denke ich nicht daran, ob sie hetero oder homo ist. Warum sollte ich bei einem Mann, den ich umarme, daran denken? Es kehrt da wohl etwas wieder, was abgespalten ist – in meinem Fall nicht unterdrückte Homosexualität, die ich freilich auch so gut verdrängt haben könnte, dass sie mir gar nicht bewusst ist; wohl aber die eigenen weiblichen Anteile, das was in einer männerbetonten Gesellschaft als „weibisch“ gesehen würde, wenn man es offenbart. Es ist ja noch nicht lange her, dass Männer ohne Scham ihre Babys wickeln dürfen und dass ihnen, widerstrebend, zugemutet werden darf, sich eine Schürze umzubinden und beim Abwasch zu helfen (wobei solches Tun als weibisch zu bezeichnen natürlich schon ein schreckliches Stereotyp ist). Es ist die Pflicht zur Härte, die Männer zwingt, alles Weiche zu verleugnen, solange es geht. Natürlich gibt es Durchbrüche, Aufweichungen, natürlich weinen wir auch manches Mal – aber dürfen wir das? Wenn wir am politischen Stammtisch sitzen, wenn wir unseren Pfauen in der Politik zuschauen, wie sie sich aufmandeln – dann sehen wir doch Männer, die verzweifelt versuchen, ihre Weiblichkeit zu verstecken mit Kraftmeierei, mit Durchsetzungsideologie, mit Feindbezwingung. Ob jemand schwul ist oder nicht, müsste uns eigentlich gar nicht sorgen. Sich einen Gott vorzustellen, der sich darüber grämt, dass sich manche so lieben und manche anders, verrät eine kleine Vorstellung von Gott – so klein, wie nur Kleinherzige sein können, die alles niederhalten müssen, was ihr mühsam aufrechterhaltenes Selbstbild von starker Männlichkeit erschüttern könnte. Es sagt doch viel aus, dass gerade der schwule Soldat so schwer vorstellbar ist, dass das Schwulsein Offizierskarrieren beendet, sobald es öffentlich wird. Aber doch nicht über

das Schwulsein würde welcher Gott auch immer sich kränken und grämen, sondern wohl doch über das Soldatsein auf dieser Welt, auf das Niedertreten von Menschen, auf das Hassen als Regierungsprogramm der starken männlichen Staaten – und nicht darüber, wie sich Menschen lieben. Wenn Menschen sich lieben, dann ist das ein Fest, für jeden Gott. Statt dessen bekämpfen wir im Namen Gottes die Liebe, segnen die Kanonen und feiern die Kriege. Nicht um das Schwulsein geht es mir, sondern um das verdrängte Schwule in uns allen – und damit meine ich nicht die Homosexualität, wie sie erlebt werden mag, sondern genau das, was mit Schwulsein an Vorurteilen verbunden ist, mit negativen und positiven Vorurteilen. Freud hielt manche Homosexuelle (möglicherweise um seine eigene, verdrängte Homosexualität zu adeln) für besonders kreativ und exquisit männlich; die Kehrseite der positiven Vorurteile sind Schwächlichkeit, Schmutzigkeit, Perversion. Und genau dies wird, von uns Schwulen und Nichtschwulen, so gern verdrängt, obwohl ’s ein Teil von uns ist: auch schwach sein, auch schmutzig sein, auch pervers sein. Wenn wir’s verdrängen hinter einem ideologisch bereinigten Selbstbild der Perfektion, der unerschütterlichen Stärke, der Reinheit und der Klarheit, dann töten wir unsere Menschlichkeit und zeugen uns als Zombies, jederzeit bereit, über den anderen herzufallen, weil er uns an die eigene verdrängte Schwäche, Schmutzigkeit, Zerbrechlichkeit erinnert. Die Gründung einer Homosexuellenvereinigung vor 15 Jahren dürfte in etwa einhergehen mit dem kurzen, vergessenen Leserbrief des Lois Niederwolfsgruber. Für mich ist er eine der Sternstunden in einem langen, oft schwierigen, oft dramatischen Kampf um sehr menschliche Rechte. Es

scheint, dass ein Durchbruch gelungen ist: Vieles an Vorurteilen ist abgeschwächt, manches in sich zusammengefallen, anderes aber noch hintertückisch weiterlebend und immer bereit, neue Vorurteile, neue Ächtung und Ausgrenzung zu erzeugen. Vergessen wir nicht, dass auch homosexuelle Menschen vor nicht langer Zeit in Konzentrationslager verschleppt und mit Juden, Priestern, Zigeunern und Behinder ten vergast wurden – eine Schicksalsgemeinschaft von ver-meintlich unwertem Leben, die nie aufhören darf, uns aufbegehren zu lassen gegen jede Form von Abwer tung menschlichen Lebens und seiner Erscheinungen. Niemand darf sich sicher fühlen: Was heute für unwert befunden werden darf, kann morgen schon als unwert zerstört werden. Und meist ist es das vermeintlich Unwerte in uns, das wir an anderen vernichten müssen, um es nicht in uns annehmen zu müssen. Wenn irgendetwas an diesem Leben zum Unwert deklariert werden darf, dann wird das Lebensprinzip verletzt, dass alles, alles Leben einen unwiederbringlichen Wert hat. Der Wert dieses Jubiläums von Centaurus liegt im Bekenntnis zum eigenen Sosein: es schafft ein Stück Unbefangenheit, wo Befangenheit zu Abgrenzung, Feindseligkeit, Verhärtung führt, es stiftet ein Stück Freiheit, die auch eine Freiheit ist, nicht Rollenstereotypen entsprechen zu müssen – für Mann und Frau, hetero und homo.

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Freud, Sigmund: Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie. Einleitung von Reimut Reiche. Frankfurt am Main: Fischer-Taschenbuch Verlag 1991 [1905]: S. 56 2Platon: Das Gastmahl oder Von der Liebe, Rede des Aristophanes, Philipp Reclam jun., Stuttgar t 1979: S. 56

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Gesellschaft

Akzeptanz statt Toleranz Für Vielfalt. Gegen Diskriminierung Alex R.(20, aus Bozen) Minderheiten haben es generell in der Gesellschaft nicht einfach. Sich als Außenseiter in eine Gruppe zu integrieren ist eine schwer zu überwindende Hürde, die stark mit der Mentalität, der Kultur und dem Glauben der Menschen in Zusammenhang steht. Nicht jeder hat den „Mut zum Anderssein“, nicht jeder kann mit der Rolle des schwarzen Schafes umgehen und sich gegen eine größere Gruppe behaupten.Was tun? Sich selbst untreu werden, sein Leben dem Leben anderer anpassen, um möglichst vielen Hürden aus dem Weg zu gehen? Radikal sich mit dem Rest der Welt anlegen, einen Kampf führen um Rechte, für die man eigentlich gar nicht kämpfen müsste, da sie einem von Geburt an gegeben sind? Oder einfach die Hürden des Lebens überwinden, hin und wieder fallen und wieder aufstehen, mit sich selbst im Reinen sein und sich und andere akzeptieren? Eines sollte man sich meiner Meinung nach immer vor Augen halten: Es ist unmöglich einen Menschen, seine Verhaltensweisen und Gewohnheiten zu ändern. Man muss sich schon selbst ändern, um bei Anderen eine wirksame Reaktion hervorzurufen. Wie schafft man es aber, dass Homosexualität - ein gern gemiedenes Thema - nicht mehr als etwas Abwegiges, Unnatürliches oder gar Abnormales gesehen wird? Indem man beginnt es selbst als etwas Normales und Natürliches anzusehen! Jeder Mensch hat weder Grund dazu übertrieben stolz auf seine sexuelle Orientierung zu sein, noch sich dafür schämen zu müssen! In einem Projekt der Fakultät Design und Künste an der Unibz, das den Titel „Für Vielfalt. Gegen Diskriminierung“ trug, habe ich eine intensive Recherche über die sexuelle Diskriminierung gemacht und verschiedene Antidiskriminierungskampagnen verfolgt. Leider musste ich immer wieder feststellen, dass diese Kampagnen sich selbst nicht treu geblieben sind oder gar widersprüchliche Arbeit geleistet haben. Man sollte stets vermeiden Andere zu diskriminieren und sich selbst zu sehr in den Mittelpunkt zu stellen. Es macht keinen Sinn für

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Anerkennung zu kämpfen, wenn man immer wieder betont, dass man anders, außer-gewöhnlich, einzigartig und besonders ist. Man sollte hingegen betonen, dass man gleich ist, Mensch ist und Mensch bleibt, auch wenn man andere Vorzüge, Interessen und Lebensziele hat. Dem Gay Pride haben wir durchaus einige Ver-änderungen und Fortschritte im Kampf um die An-erkennung zu verdanken, aber was bringt uns dieser Stolz auf die Homosexualität, der zudem in über triebenem Maße zum Ausdruck gebracht wird, im Hinblick auf die Akzeptanz wirklich? Die Aussage dieser schrillen und bunten Umzüge, all dieser ausgelassenen Feierlichkeiten, ist doch: Hey Leute, schaut her! Es gibt uns auch, wir sind da, ihr seid konservativ und engstirnig, wir sind verrückt, let’s party! Provokation ist sicherlich eine gute Methode um Aufmerksamkeit zu wecken, wobei es fraglich ist ob diese Aufmerksamkeit wirksame Erfolge mit sich bringt. Wird man denn ernst genommen? Was für eine Botschaft wird vermittelt? Ich denke wir haben nun bereits auf uns aufmerksam gemacht und sollten nun den zweiten Schritt angehen, nämlich für Integration und Akzeptanz sorgen.Wieso eigentlich „Akzeptanz statt Toleranz“? Das Wort tolerieren hat meiner Meinung nach einen weniger glücklichen Beigeschmack:Toleriere ich etwas oder jemanden, dann dulde ich es oder die Person, aber das bedeutet nicht, dass ich die Person oder die Sache so hinnehme wie sie ist, bzw. sich gibt und lebt. Jeder von uns hat Vorurteile, bildet sich eine Meinung, einen ersten Eindruck bevor man mit jemandem vertraut wird oder etwas näher von verschiedenen Seiten betrachtet, jedoch sollte man vorsichtig mit Vorurteilen umgehen, denn Vorurteile können oft die härtesten Urteile der Welt sein. Jeder Mensch hat das Recht sich frei zu entfalten, solange er die freie Entfaltung anderer auch akzeptiert und respektiert. Wie heißt es so schön: L(i)eben und l(i)eben lassen!


Gesellschaft

Südtiroler Wowereits gesucht Südtirol und die Homosexualität: Mittelalter oder 21. Jahrhundert?

Christoph Tauber

Ob SIE schön sei und ob SIE mir gefalle, hat mich meine Mutter gefragt, als ich total verliebt von einem Date zurückgekommen war. Als ich ihr sagte, dass ER schön sei und dass ER mir gefalle, war sie für den ersten Moment völlig verwirrt. Sie wollte wissen, ob er denn schwul sei. Gerade so, als ob es Schwule zwar im Fernsehen gäbe, fernab von unserer dörflich geprägten Welt, aber nicht hier, nicht bei uns in Südtirol. Homosexualität scheint für manche ein Phänomen zu sein, das den gesamten Erdball heimsucht, nur das Heilige Land Tirol ist ein davon verschont gebliebenes Paradies. So oft trifft man sie - die Schwulen und Lesben - ja nicht in Südtirol. Und wenn, sieht man der Person ja nicht an, ob sie „vom anderen Ufer“ ist. Wer einen Schwulen persönlich kennt, weiß, dass seine „Anders-ar tigkeit“ ihm nicht auf die Stirn geschrieben steht. Für gar manchen bricht ja die Welt zusammen, wenn sich jemand ihm gegenüber outet. Zwar hat das Fernsehen dazu beigetragen, einer breiten Bevölkerungsschicht - so auch in Südtirol - zu vermitteln,

dass es homosexuell fühlende Menschen überhaupt gibt. Es ist aber auch denselben Massenmedien zuzuschreiben, dass ein äußerst einseitiges und klischeehaftes Bild in den Köpfen der Menschen eingebrannt wurde. Wer kennt sie nicht die Klischee-Schwulen, die femininen, tuntigen TV-Schwuppen à la Bully&Co. aus „Traumschiff Surprise“ oder „Der Schuh des Manitu“? Diese Darstellungen sind zu einem guten Teil für die Vorurteile gegenüber Homosexuellen und die negative Besetzung des Wortes „schwul“ verantwortlich. Beschimpfungen und Kraftausdrücke wie „du schwule Sau“ hört man auch bei uns nicht selten. Südtirol ist nicht gerade schwulenfreundlich, Homosexualität immer noch ein sehr polarisierendes Thema. Außerdem ist Südtirol ein christlich geprägtes Land, in dem die katholische Kirche noch Einfluss auf die Menschen hat. Wenn ein Papst Benedict XVI. sagt, dass Homosexualität der Spitzenreiter unter den Sünden und wider die Natur sei und auf Grund dessen verabscheut werden muss, so glauben das viele Menschen.

Leider lassen sich in Südtirol viele beeinflussen und sind unfähig ihren eigenen Verstand zu benutzen. Stattdessen übernehmen sie vorgefertigte Meinungen, obwohl sie im Stillen eigentlich überzeugt sind, dass sie so schlimm ja nicht sind, die Schwulen. Die Folge ist, dass gleichge-

schlechtlich Liebende, welche sich an die engere und breitere Öffentlichkeit zu treten trauen, ausgegrenzt werden. Offen schwul beziehungsweise lesbisch lebt es sich in Südtirol am Beginn des 21. Jahrhunderts nicht leicht. Im Geheimen lebt es sich noch schwerer, da man ständig Angst vor der Aufde-

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Gesellschaft ckung des „Geheimnisses“ haben muss.

Rechte für Schwule und Lesben? Gegenstand so mancher kontrovers geführten Diskussionen ist die Tatsache, dass Schwule und Lesben Rechte fordern. Es geht gar nicht darum, dass es sie überhaupt gibt, warum es sie gibt oder warum es sie geben darf. Es geht um Rechte, die im 21. Jahrhundert eigentlich selbstverständlich sein sollten. Wie zum Beispiel das Recht, den Partner im Krankenhaus besuchen zu dürfen, das Recht auf einen Pflichterbteil oder das Recht, in den Mietvertrag des verstorbenen Partners einzusteigen. Viele sehen dies als Angriff auf die traditionelle Familie. Südtirol muss zu einer offenen Gesellschaft werden. Das Thema Homosexualität muss offen und ehrlich angesprochen werden können. Homosexualität darf nicht länger als Krankheit angesehen werden, welche es zu therapieren gilt Doch wie weit sind wir von diesem Ziel noch entfernt?

Hoffnungsschimmer Mobilität Am zer klüfteten Horizont der Dolomiten zeigt sich ein erster Hoffnungsschimmer. Die heutige Jugend weiß sehr viel mehr über Homosexualität, als dies bei älteren Semestern in der Regel zutrifft, wobei dem Fernsehen, und neuerdings auch dem Internet, eine wichtige Rolle als zeitgemäße Wissensquelle zukommt. Aus diesem Grund beginnt sich die Gesellschaft auch in Südtirol zu wandeln. Durch eine vermehrte Mobilität findet ein reger Austausch mit anderen Kulturen statt, Herr und Frau Südtiroler sehen mehr von der Welt als

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nur die gegenüberliegende Talseite. Die Gesellschaft wird also langsam freier und offener. Wird sie auch toleranter? Trotz einer gesteigerten Akzeptanz werden Schwule auch in zwanzig Jahren immer noch als Exoten angesehen werden, die wenig zu suchen haben im heiligen Land Tirol mit seinen alpinen Gipfeln und seinen traditionsbewussten Bewohnern, welche zum Teil noch einer längst vergangenen Zeit nachtrauern. Trotzdem wird sich in der näheren Zukunft die rechtliche Situation der schwulen und lesbischen Paare ändern. Dabei spielt weniger Südtirols Autonomie eine Rolle, sondern es wird sich vielmehr auf gesamtstaatlicher und europäischer Ebene etwas bewegen. Obwohl Italien die Heimat des Papstes und die Mehrzahl der Bevölkerung katholisch ist, wird es sich an die veränderten gesellschaftlichen Bedingungen in Europa anpassen müssen. Holland, Spanien und Großbritannien sind nur die Vorreiter. Die rechtliche Anerkennung homosexueller Lebensgemeinschaften wird auch in Südtirol kommen. Freilich fällt es schwer daran zu glauben. In Leserbriefen wird Homosexualität oft noch als geistige „Krankheit“ angesehen, obwohl die Weltgesundheitsorganisation WHO „bereits“ 1992 Homosexualität aus dem Register der Krankheiten gestrichen hat. Auch bleibt die Frage, wie viele homosexuelle Paare von ihrem Recht Gebrauch machen werden. Das Beispiel des Par tnerschaftsregisters der Stadtgemeinde Bozen, das, falls vorhanden, in einem Keller verstaubt, zeigt deutlich den Unterschied zwischen dem (abstrakten) Gesetz und dem (konkreten) Leben in der Südtiroler Gesellschaft.Welcher Mensch kann es sich schließlich leisten von der Gesellschaft, in der er lebt und arbeitet, nicht akzeptier t zu werden? Was bleibt, sind die zwei alten Mö-


Gesellschaft glichkeiten: Entweder in Südtirol bleiben und sein Leben im Verborgenen leben, oder dieser Situation entfliehen und in eine größere Stadt auswandern, wo Anonymität Schutz bietet.

Zivilcourage Die Zukunft homosexueller Anerkennung in Südtirol hängt von der Masse der Schweigsamen ab, der es im Grunde egal ist, ob jemand schwul ist oder ob sie eine Frau liebt. Doch leider werden die Gleichgültigen von den Homophoben überschrieen, welche Homosexualität als Gefahr für den For tbestand der Menschheit ansehen. Was in Südtirol daher am meisten fehlt, ist Zivilcourage. Es fehlt der Mut gegen Diskriminierungen vorzugehen, einzuschreiten und nicht wegzuschauen. Es fehlt aber vielfach auch den Betroffenen selbst an Zivilcourage. Wenige stehen zu ihrer sexuellen Neigung, wenige wagen ein Outing. Dass sich viele Homosexuelle nicht trauen, liegt nicht daran, dass sie Ihre Neigung als reine Privatsache betrachten.Vielmehr sind es die zu erwartenden Schwierigkeiten und Diskriminierungen, die den Schritt an die Öffentlichkeit verhindern. Was wäre, wenn sich zwei Jungs auf dem Waltherplatz küssen würden? Würden sie es schaffen, Händchen haltend durch die Bozner Lauben zu schlendern, ohne angepöbelt zu werden? Ohne sich blöde Kommentare anhören zu müssen?

Mut zur Öffentlichkeit Was Südtirol deshalb braucht, ist eine vermehrte Öffentlichkeit. Es braucht Südtiroler Wowereits, die zu sich stehen und zeigen, dass Schwule ganz „normal“ sind.

„Ich bin schwul und das ist gut so“ aus dem Munde eines Südtiroler SVP- Landtagsabgeordneten würde eine Signalwirkung für andere Homosexuelle in der Südtiroler Gesellschaft sein, mehr Zivilcourage zu zeigen. Es würde klar machen, dass man auch in Südtirol als offen homosexuell lebender Mensch (über)leben kann. Der Südtiroler Wowereit müsste jedoch sehr laut schreien, um das Medienmonopol „der Zeitung“ zu übertönen, welche aus Prinzip und „weil es nicht der Verlagslinie entspricht“ über homosexuelle Themen in Südtirol nicht berichtet. Homosexualität wird in „der Zeitung“ totgeschwiegen. Dies ist der hauptsächliche Grund dafür, dass es Homosexualität in Südtirol (offiziell) nicht gibt. Vergangenes Jahr fand in Innsbruck ein von der HOSI Tirol, der Homosexuelleninitiative Tirol, den Grünen Andersrum und von der SPÖ organisiertes Straßenfest statt. Dabei sah man viele Südtiroler, welche sich 70 km vom Brenner entfernt vergnügten und sich in der Öffentlichkeit zu stehen trauten. Wie viele von denen würden bei einem ähnlichen Fest auf dem Bozner Waltherplatz oder auf den Talferwiesen kommen? Was wäre, wenn ein solches Fest in Bozen organisiert würde? Eines ist gewiss: Ein Proteststurm quer durch die gesamte Leserbrieflandschaft wäre die Folge; aber wie viele Stimmen würden sich zu einer Verteidigung erheben?

der über 1000 registrier ten Südtiroler Mitglieder. 2. Akzeptanz fördern durch Kontakte: Herrn und Frau Südtiroler muss gezeigt werden, dass Homosexuelle nicht „abnormal“ sind. Am leichtesten geschieht dies über Kontakte in auch offiziell ausgewiesene schwulenfreundliche Lokale, eine Art von homosexuellen Sprengelstützpunkten, welche als Treffpunkte dienen können, um Berührungsängste abzubauen, aber auch um „Gleichgesinnte“ kennen zu lernen. 3. Diskriminierungen bekämpfen: Die Verabschiedung des Antidiskriminierungsgesetzes muss weiter vorangetrieben werden und gleichzeitig soll eine Einrichtung geschaffen werden, an

denen sich Schwule und Lesben wenden können, um eine Diskriminierung anzuzeigen. 4. Schwul? Na und!!! Homosexualität ist nicht besser und nicht schlechter als Heterosexualität. Diese Tatsache soll den Menschen in einer Werbekampagne vermittelt werden, in denen sich Prominente Südtiroler für die Rechte von Homosexuellen einsetzen. 5. Ich will, ohne auch nur einmal nachdenken zu müssen, was passieren würde, meinen Freund in der Öffentlichkeit küssen können.

*Dieser Text erschien 2006 im Buch „Unerhört Visionen für die Zukunft“ Edition Raetia

Südtirol hat noch viel vor sich, wenn es eine gesteigerte Akzeptanz von Homosexualität in der Gesellschaft geben soll. Hier einige Forderungen: 1. Homosexualität in Südtirol sichtbar machen! Eine Gay-Pride-Parade oder ein Straßenfest in Bozen auf dem Waltherplatz, organisier t von Centaurus der Homosexuellen Initiative, Südtirol, und unter Teilnahme

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Recht in Europa

Wege für eine italienische Lösung Die gesetzliche Anerkennung gleichgeschlechtlicher Beziehungen in Europa

Jochen Pichler

Ein Rückblick auf die Jahre seit 1991, als in Bozen der Verein Centaurus gegründet worden war, zeigt, dass sich in Europa im Bereich der Rechte von Schwulen und Lesben in den letzten 15 Jahren viel bewegt hat. Der damals noch bestehende große Abstand in der Entwicklung der einzelnen europäischen Länder hat sich seitdem erfreulicherweise verkleinert. Wie auch in den ersten Ausgaben des HISCentaurus-Magazins deutlich wurde, lebten (und litten) viele Südtiroler Schwule und Lesben zu Beginn der 90er Jahre noch im Verborgenen. Der dänische Staat hingegen hatte bereits 1989 die Anerkennung von gleichgeschlechtlichen Par tnerschaften rechtlich sanktioniert. Eine solche Diskrepanz zwischen den Lebenssituationen von Homosexuellen in den ver-schiedenen europäischen Ländern ist heute nicht mehr vorstellbar. Denn zumindest im gesellschaftlichen Bewusstsein haben Homosexuelle inzwischen allgemein eine auch positiv bewertete Sichtbarkeit gewonnen. Die rechtliche Lage von Schwulen und Lesben unterscheidet

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sich in Europa jedoch nach wie vor gravierend, obwohl das Europäische Parlament für die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union eine positive Vereinheitlichung anstrebt, indem es mit konkreten Vorgaben immer wieder zu einer Verbesserung nicht nur der sozialen sondern auch der juristischen Situation von Schwulen und Lesben auffordert. Nachdem die strafrechtliche Verfolgung von Homosexualität in Europa bereits seit längerem der Vergangenheit angehör t und auch in Bezug auf das Schutzalter bei Beziehungen zu Minderjährigen inzwischen grundsätzlich eine Angleichung zu den Bestimmungen stattgefunden hat, die für Heterosexuelle gelten, scheint in den letzten Jahren die Einführung des rechtlichen Schutzes von gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften ein zentraler Punkt der in den einzelnen Ländern geführten politischen Diskussionen geworden zu sein. Im Zuge der 68er Bewegung hatte sich ein Teil der Schwu-

len- und Lesbengemeinschaft noch deren Meinung zu eigen gemacht, dass es sich bei der Ehe um ein Auslaufmodell der patriarchalen Gesellschaft handle, die im Grunde so schnell wie möglich abgeschafft werden müsse. Man redete der freien Liebe das Wor t und befand die Forderung nach einer Öffnung der Ehe für Homosexuelle als (klein) bürgerlich und dekadent. Nur eine Minderheit forderte damals, dass der Staat bereits vor und unabhängig von einer Umwandlung oder Revolution der bestehenden sozialen Verhältnisse die von ihm gewährten Rechte allen seinen BürgerInnen zukommen lassen müsse, unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung.

Es hat sich dann aber bald erwiesen, dass die Abschaffung der Ehe per Gesetzesakt illusorisch ist. Andererseits haben die Zunahme von längerfristigen gleichgeschlechtlichen Beziehungen aufgrund deren wachsender gesellschaftlicher Akzeptanz und die AIDS-Krise zu Beginn der 80er Jahre gezeigt, dass mit der Ehe nicht nur Pflichten und Einschränkungen der individuellen Freiheit, sondern Rechte und Vorteile verbunden sind, zu denen Homosexuelle nun Zugang haben wollten. Die wichtigsten Folgen einer Eheschließung ähneln sich dabei in allen europäischen Ländern. Dazu gehört neben der Pflicht der Eheleute zu gegenseitiger


Recht in Europa

moralischer und materieller Unterstützung und verschiedenen Steuererleichterungen auch der gesetzliche Güterstand. Wenn es die Eheleute nicht anders vereinbaren, fallen nämlich während der Ehe erworbene Güter automatisch in Gütergemeinschaft und gehören somit beiden Par tnerInnen gemeinsam. Bei einer Trennung haben also beide einen Anspruch auf die Hälfte dieses Vermögens. Der wirtschaftlich schwächere Teil hat im Fall einer Trennung zudem Anspruch auf Unterhalts-zahlungen. Im Todesfall ist der Ehepartner Pflichterbe und erhält einen großen Teil des Vermögens des Verstorbenen, auch wenn dieser kein Testament verfasst hat. Nicht Verheiratete müssen hingegen ein Testament abfassen, wenn sie ihrem Partner einen Teil des Vermögens hinterlassen möchten, dürfen dabei aber nicht die Pflichtteile der engsten Verwandten verletzen, denen auf jeden Fall ein Großteil des Vermögens vorbehalten bleibt. Wer verheiratet ist, hat das Recht, von den behandelnden ÄrztInnen über den Gesundheitszustand der Ehegattin informiert zu werden, und darf Entscheidungen über Therapie und Behandlungsformen treffen. Nicht verheiratete Personen haben kein Auskunfts- und Mitspracherecht, auch wenn sie jahrelang zusammengelebt haben. In solchen Fällen wenden sich die ÄrztInnen ausschließlich an die Familienangehörigen, zu denen der Patient unter Umständen bereits seit Jahren keinen Kontakt mehr hat. Die Forderung nach rechtlicher Anerkennung gleichgeschlechtlicher Lebensgemeinschaften geht nun von der Zuerkennung einzelner mit der Ehe verbundener Rechte und Pflichten für gleichgeschlechtliche Partnerschaften bis zur Öffnung der Ehe für Homosexuelle. Auch wenn die Entwicklung der rechtlichen Lösungen in

den verschiedenen Ländern hier zusammengefasst wiedergegeben wird, erkennt man sofort, dass die Forderungen in den einzelnen europäischen Ländern sehr unterschiedlich beantwortet worden ist. Eine einheitliche Regelung zumindest für die Mitgliedsstaaten der EU ist übrigens nicht in Sicht, da die 2000 in Nizza proklamierte Europäische Grundrechtecharta das Ehe- und Familienrecht der einzelstaatlichen Gesetzgebung überlässt. Länder wie Italien oder Österreich, die bis jetzt noch keine gesetzliche Regelung für homosexuelle Par tnerschaften verabschieden wollten, könnten also auf einen breiten Erfahrungsschatz zurückgreifen, wobei sich aber gerade in Italien die Diskussion auf die Einführung einer mehr oder minder reduzierten Form der französichen PACS beschränkt. Die europäischen Lösungen orientieren sich grundsätzlich an vier Modellen: 1. dem skandinavischen mit einer registrierten Partnerschaft, die außer dem Namen praktisch einer Ehe gleichgestellt ist (Dänemark mit Grönland, Schweden, Norwegen, Island, Finnland, Großbritannien mit Nordirland); 2. dem niederländischen, das die Ehe für Homosexuelle geöffnet hat (Niederlande, Belgien, Spanien); 3. dem französischen, das Homosexuellen eine registrierte Partnerschaft mit im Vergleich zur Ehe eingeschränkten Rechten und Pflichten erlaubt (Frankreich, Luxemburg); 4. dem vatikanischen, das homosexuellen Beziehungen keinerlei Rechte zuerkennt (Italien, Österreich, Polen; aber auch orthodoxe Länder wie Serbien und Griechenland).

1.

Das skandinavische Modell

Die skandinavischen Länder sehen sich seit langem der Tradition verpflichtet, wonach der Staat in erster Linie die Freiheit seiner BürgerInnen zu schützen hat. Diese Freiheiten können nur dann garantiert werden, wenn auch die rechtlichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen dafür geschaffen werden. Dies bringt mit sich, dass möglichst alle BürgerInnen Zugang zu den staatlichen Leistungen und Rechten haben sollen. Für Schwule und Lesben war dieser Zugang aber nicht selbstverständlich, sondern musste seit dem Zweiten Weltkrieg har t erkämpft werden. Die Auseinander-setzung führ te in Dänemark schließlich zu

dem 1989 verabschiedeten Par tner-schaftsgesetz. Damit war Dänemark das erste Land der Welt, in dem eine gleichgeschlechtliche Partnerschaft staatlich registrier t werden konnte. Die im Gesetz verwendete Bezeichnung „Registrierte Par tnerschaft“ (registreret par tnerskab) ist dabei aber eher irreführend, da es sich im Grunde um eine Ehe handelt, die sich von der traditionellen Ehe einzig und allein dadurch unterscheidet, dass die beiden Eheleute dem selben Geschlecht angehören. Die Regelung sieht nämlich ausdrücklich vor, dass alle für die Ehe geltenden Bestimmungen auch auf die registrier te Par tneschaft

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Recht in Europa Anwendung finden, mit Ausnahme der Adoption von Kindern, die nur dann gestattet ist, wenn es sich um das (nicht ausländische) Kind eines der beiden Partner aus einer früheren Beziehung handelt (sog. Stiefkindadoption). Auch für die Auflösung der registrierten Partnerschaft sind die Bestimmungen über die Ehescheidung anzuwenden. In Norwegen erließ das Parlament im Jahr 1993 ein Gesetz zur registrierten Partnerschaft, das in seinen Grundzügen dem dänischen entspricht. Nach einer Abänderung wurde der „registrert partnerskap” mit 1. Jänner 2002 die Stiefkindadoption ermöglicht. Die deutsche Homepage der norwegischen Regierung begründet diese Entscheidung wörtlich damit, dass “Diese gesetzliche Ergänzung .... eingeführt (wurde), um Kindern die Existenz eines sicheren und vorhersehbaren gesetzlichen Rahmens während der Kindheit und Adoleszenz zu gewährleisten. Die Stiefkind-Adoption bei eingetragenen Par tnern unterliegt den selben Kriterien wie sie bei Ehepartnern zur Anwendung kommen.” Im Jahr 2003 wurde schließlich ein Gesetz verabschiedet, welches die Pflegefamilien neu regelt. Dabei wurde zwar betont, dass es im Interesse des Kindes sei, wenn es in einer verschiedengeschlechtlichen Paarbeziehung aufwachsen könne. “Gleichgeschlechtliche Paare können jedoch als Pflegeeltern ausgewählt werden, wenn der Pflegeunterbringungs-dienst zu dem Schluss kommt, dass dies im besten Interesse des betroffenen Kindes ist. Diese Regelung wird ausschließlich auf der Basis der Bedürfnisse des Kindes angewendet. Alle Menschen, die als Pflegeeltern mitwirken möchten, haben ein Anrecht auf Beur teilung zur Eignung. Die entscheidenden Elemente in diesem Prozess sind die individuellen Fähigkeiten des Anwärters in Bezug auf die Pflegetätigkeit sowie

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die Bedürfnisse des betreffenden Kindes, und nicht die sexuelle Orientierung oder der Personenstand.” Angesichts dieser Entwicklung dürfte es wohl nur mehr eine Frage der Zeit sein, bis in Norwegen homosexuellen Paaren auch die Fremdadoption zugänglich gemacht wird.

Die Adoption von Kindern war in Großbritannien bereits vor 2005 (heterosexuellen oder homosexuellen) Singles gestattet, mit Einführung der "civil partnership" werden in Bezug auf die Adoption nun auch homosexuelle Paare den heterosexuellen Paaren gleichgestellt.

In Irland wurde 2004 ein der britischen Regelung ähnlicher Gesetzesentwurf zur Anerkennung von homosexuellen Partnerschaften im Parlament eingebracht, aber noch nicht verabschiedet.

In Schweden wurde die “registrerat par tnerskap” 1995 eingeführ t, nachdem bereits im Jahr 1987 eine Regelung in Kraft getreten war, wonach für homosexuelle Paare dieselben gesetzlichen Vorschriften wie für nicht verheiratete heterosexuelle Paare gelten. Für die im Partnerschaftsgesetz nicht ausdrücklich geregelten Bereiche wird auch hier, ähnlich wie im dänischen Partnerschaftsgesetz, auf die Ehegesetze verwiesen. Bei der Adoption von Kindern ist Schweden allerdings bereits einen Schritt weiter als die anderen skandinavischen Länder gegangen. Im Februar 2003 ist nämlich eine Regelung in Kraft getreten, die auch gleichgeschlechtlichen Paaren die gemeinsame Adoption, die Auslands- und die Stiefkindadoption gestattet. 1996 wurde die dänische Form der registrierten Partnerschaft schließlich auch in Island (staðfesta samvist) und in Grönland eingeführ t, in Finnland im Jahr 2002. Nachdem in Großbritannien und Nordirland bereits seit den 90er Jahren durch Gerichts-entscheide in Einzelfällen bestimmte Rechte auch homosexuellen Paaren zu-erkannt worden sind, hat das Parlament schließlich im Jahr 2005 ein Gesetz zur Regelung der sog. “civil par tnership” verabschiedet. Dabei handelt es sich um eine registrierte Partnerschaft, die wie in den nordischen Ländern nur für Homosexuelle zugänglich ist und in ihren Wirkungen der Ehe zwischen verschiedengeschlechtlichen Personen fast vollständig gleichkommt.

2.

Das niederländische Modell

Von der skandinavischen Regelung ausgehend haben die Niederlande seit der Einführung der registrierten Partnerschaft (geregistreerd partner-schap) im Jahr 1998 durch mehrere gesetzgeberische Maßnahmen gleich- und verschiedengeschlechtliche Paare beinahe völlig gleichgestellt. Die registrierte Par tnerschaft, die eigentlich zuerst für homosexuelle Paare als Alternative zur Ehe gedacht

war und sich von der Ehe in wesentlichen Punkten unterschied, wurde nämlich später auch Heterosexuellen zugänglich gemacht. Mit dem Eheöffnungsgesetz von 2001 wurde dann die Ehe für Homosexuelle geöffnet. Eine eigene Regelung gibt es schließlich für (heterooder homosexuelle) Paare, die weder heiraten noch ihre Beziehung registrieren lassen, ihr Zusammenleben aber dennoch


Recht in Europa verbindlich regeln möchten. In diesem Fall können sie einen Vertrag schließen, mit dem sie z.B. die Führung des gemeinsamen Kontos oder den Beitrag zur Finanzierung des Haushalts individuell festlegen. Wenn der Vertrag vor einem Notar abgeschlossen wurde, hat er sogar Wirkung gegenüber Dritten: die PartnerInnen haben dann z.B. Anrecht auf eine Art Familienzulage, die vom Arbeitgeber auszubezahlen ist, und der überlebende Teil hat Anspruch auf die Hinterbliebenenrente. Die Liberalität der niederländischen Gesetze zeigt sich auch darin, dass eine Ehe, egal welchen Geschlechts die beiden Eheleute sind, in eine registrierte Partnerschaft umgewandelt werden kann, und umgekehrt. Die Pflichten der Eltern gegenüber ihren Kindern werden davon aber nicht berührt. In den Niederlanden haben Paare also unabhängig von ihrem Geschlecht die Wahl zwischen Ehe, registrier ter Par tnerschaft, Zusammenlebensvertrag und einer “freien” Beziehung ohne eine dieser Regelungen. Gleichgeschlechtlichen Paaren steht in den Niederlanden schließlich auch die Adoption offen, wobei einzig ausländische Adoptivkinder ausgenommen sind. In Belgien wurde im Jahr 2000 das Gesetzliche Zusammenwohnen eingeführt, das eine rechtliche Anerkennung von gleich- und verschiedengeschlechtlichen Partnerschaften bedeutet. Ebenso wie in den Niederlanden steht Schwulen und Lesben inzwischen aber auch die Ehe offen. Über mehrere Jahre hinweg schien es nun so, als seien die Länder Nordeuropas durch ihre protestantische Tradition und ihre laizistische Auffassung vom Staat die einzigen, die homosexuellen Paaren ermöglichen wollten, ihren Beziehungen eine rechtliche

Grundlage mit allen damit zusammenhängenden Rechten und Pflichten zu verleihen.Wer die Diskussionen in anderen Ländern verfolgt hat, in denen vor allem von katholischer Seite immer wieder behauptet wurde, dass die Einführung der sog. Homo-Ehe ein frontaler Angriff auf die Ehe als natürliche Institution und eine Gefahr für die traditionelle Familie sei, und gleichzeitig feststellen konnte, dass in Skandinavien die Scheidungsrate bei heterosexuellen Ehen nach Einführ ung der registrierten Partnerschaften keineswegs gestiegen ist, musste daraus wohl schließen, dass katholische Ehen um einiges weniger stabil und resistent sind als protestantische. Dieser Schluss hat sich jedoch spätestens dann als falsch erwiesen, als ein geschichtlich der katholischen Tradition stark verhaftetes Land wie Spanien die Ehe für Schwule und Lesben geöffnet hat, und es dort ebenfalls zu keiner Veränderung in der Scheidungsstatistik von heterosexuellen Ehen gekommen ist. In Spanien hatten einige Regionen bereits vor Jahren Gesetze über faktische Lebensgemeinschaften erlassen, die ausdrücklich auch für homosexuelle Partnerschaften galten und die bei Registrierung der Par tnerschaft oder bei Abschluss eines Partnerschaftsvertrages gewisse Rechte und Pflichten für die PartnerInnen begründeten. Die sozialistische Zentralregierung hat dann im Jahr 2005 einen Vorschlag für ein Gesetz eingebracht, das vom Parlament gegen den heftigen Widerstand der konservativen Volkspartei und der katholischen Hierarchie verabschiedet worden ist und ähnlich wie in den Niederlanden die Öffnung der Ehe für Homosexuelle vorsieht und ihnen auch die Adoption erlaubt.

3.

Das französische Modell

Bei der Suche nach einer gesetzlichen Regelung für homosexuelle Par tnerschaften ist Frankreich einen entschieden anderen Weg als die skandinavischen Staaten gegangen. Die nordischen Partnerschaftsgesetze hatten den spezifischen Zweck, Homosexuellen zu ermöglichen, ihre Beziehung gesetzlich anerkennen zu lassen und abzusichern, indem sie eine registrierte Partnerschaft eingehen, die im Prinzip und bis auf wenige Ausnahmeregelungen der Ehe gleichgestellt ist. In Frankreich hingegen hat man sowohl die Forderung von Homosexuellen nach einer gesetzlichen Gleichstellung ihrer Partnerschaften mit der Ehe als auch den Wunsch von

heterosexuellen nicht verheirateten Paaren nach einer Regelung ihrer Beziehung ohne Zwang zu heiraten aufgegriffen und schließlich im November 1999 die sogenannten “pactes civil de solidarité” (PACS) eingeführt. Dabei handelt es sich um eine Lebensgemeinschaft, die auf einem zwischen den Par tnerInnen abgeschlossenen privaten Vertrag (pacte) beruht und einzelne Rechte und Pflichten für die PartnerInnen begründet. Der Vertrag kann von gleich- und verschiedengeschlechtlichen Paaren unterzeichnet werden. Von vielen wurde die Einrichtung bereits als “Ehe light” kritisiert. Wer aber den Gesetzestext liest, wird feststellen, dass es

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Recht in Europa sich keinesfalls um eine wirkliche Gleichstellung von homosexuellen Partnerschaften mit der Ehe handelt, weshalb der Begriff “Ehe” in diesem Zusammenhang eine Übertreibung ist. Das zeigt bereits die Form, in der die "pactes" abgeschlossen werden. Der entsprechende Vertrag wird nämlich im Gegensatz zur Heiratsurkunde nicht am Standesamt unterzeichnet, sondern beim "Tribunal d’ instance" (entspricht dem italienischen Landesgericht) hinterlegt. Die Par tnerschaft selbst wird außerdem gesetzlich nicht genau geregelt, es heißt lediglich, dass sich “die Partner, die durch einen Lebenspartnerschaftsvertrag gebunden sind, gegenseitige und finanzielle Unterstützung gewähren und die Modalitäten dieser Unterstützung im Vertrag festgelegt werden.” Die Auflösung der Par tnerschaft erfolgt nicht wie in Skandinavien auf demselben Weg wie bei der Ehe (Scheidung oder Tod), denn der PACS kann entweder einfach durch eine bei Gericht registrier te gemeinsame Willenserklärung der PartnerInnen oder durch eine einseitige, dem anderen Teil zugestellte und bei Gericht hinterlegte Erklärung beendet werden. Aufschlussreich über die Position der PACS im französischen Recht ist auch die Beziehung zwischen PACS und Ehe. So ist es möglich, einen PACS einfach durch Heirat zu beenden. Das bedeutet, dass (wieder im Gegensatz zur skandinavischen Regelung) ein bestehender gültiger Partnerschaftsvertrag keinerlei Auswirkung auf den Stand einer Person hat und deshalb kein Ehehindernis darstellt. Wer also einen "pacte" unterschreibt, gilt weiterhin als ledig. Er darf zwar vorher nicht bereits durch die Ehe oder einen "pacte" mit einer anderen Person verbunden sein.Wenn er dann aber einmal einen Par tnerschaftsver trag abgeschlossen hat, kann er

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problemlos heiraten und dadurch den bestehenden PACS automatisch und ohne weitere Formalitäten hinfällig machen. Diese Details und die Tatsache, dass homosexuellen Paaren nach wie vor keine Form der Adoption von Kindern erlaubt ist, zeigen, dass der französische Gesetzgeber bei Verab-schiedung dieses Gesetzes in erster Linie wohl nicht die Absicht hatte, Homosexuellen Zugang zur Ehe zu verschaffen, sondern lediglich eine Regelung für nicht verheiratete Paare zu finden, unabhängig von ihrer geschlechtlichen Orientierung. Am fr anzösischen Modell orientierte sich Luxemburg, als es 2004 das “Partenariat” eingeführt hat, das gleich- und verschiedengeschlechtliche Paare eingehen können und das sehr beschränkte Auswirkungen u.a. in sozialversicherungs- und steuerrechtlicher Hinsicht hat. In Deutschland wurde 2001 die Lebenspartnerschaft eingeführt. Die im Gesetzentwurf deutliche Absicht der damals sozialdemokratisch-grünen Bundesregierung, eine Regelung nach dem skandinavischen Modell (in der Form und Bezeichnung keine Ehe, in der Substanz eine Ehe) zu finden, konnte nicht umgesetzt werden, da sich im Bundesrat die so genannten christlichen Parteien dagegen stemmten. Es konnten deshalb nur jene Normen verabschiedet werden, die nicht der Zustimmung des Bundesrates bedurften. Aus Sorge vor einem möglichen Veto des Verfassungsgerichts wurde das Gesetz zudem mit einem deutlichen Abstand zur Ehe formuliert, sodass es damals zwischen der französischen und der skandinavischen Regelung lag. Trotzdem wurde das Bundesverfassungsgericht von den CDU- und CSU-regierten Ländern Bayern, Sachsen und Thüringen angerufen, mit dem Ziel festzustellen, dass das Gesetz verfassungswidrig und

nichtig sei, weil die Homo-Ehe gegen die in der Verfassung vorgesehene Förderung der Ehe verstoße. Das Gericht hat jedoch im Jahr 2002 die Verfassungsmäßigkeit des gesamten Regelwerkes bestätigt und ausdrücklich den Weg für die Weiter-entwicklung dieses Gesetzes geöffnet: „Es ist verfassungs-rechtlich nicht begründbar, aus dem besonderen Schutz der Ehe abzuleiten, dass die anderen Lebensgemeinschaften im Abstand zur Ehe auszugestalten und mit geringeren Rechten zu versehen sind.“ Die Ehe werde durch das Gesetz der eingetragenen Par tnerschaft also nicht berührt und es gebe keinen Grund, andere Partnerschaftsformen zu benachteiligen. Auf dieser Grundlage hat die Bundesregierung dann im Jahr 2004 mit einer Abänderung des Lebenspartnerschaftsgesetzes die Gleichstellung homosexueller Lebenspar tnerInnen mit Ehegatten ausgebaut. So wurde unter anderem die Stiefkindadoption eingeführt. Es gibt aber immer noch Unterschiede bei der gesetzlichen Behandlung von LebenspartnerInnen und Eheleuten, vor allem im Steuer- und Beamtenrecht. Zudem liegt es in der Kompetenz der Länder, festzulegen, wie die Lebenspartnerschaft begründet wird. Während sie vor allem in sozialdemokratisch regierten Ländern wie die Ehe am Standesamt geschlossen wird, haben CDU/CSU-regierte Länder wie Bayern verfügt, dass Lebenspartner ihre Beziehung vor einem Notar besiegeln müssen, damit die Lebenspartnerschaft auch formell ja nicht mit der Ehe verwechselt werden kann. Der Lesben- und Schwulen-

verband Deutschland (LSVD) fordert deshalb mit seiner auch von zahlreichen Prominenten unterstützten “Aktion 1:1, Gleiche Pflichten, gleiche Rechte” für Lebenspartnerschaften. Im Bundestag wurde zu Beginn des Jahres auf Antrag von Bündnis 90/Die Grünen über die Forderung nach Gleichstellung im Steuer-, Beamtenund Adoptionsrecht und eine bundeseinheitliche Begründung der Lebenspartnerschaften auf dem Standesamt diskutier t. Inhaltlich mitgetragen wird der Antrag von den ebenfalls oppositionellen Parteien Linkspartei und FDP und der in Regierungsverantwor tung stehenden SPD. Sogar die CDU-Fraktion ließ erstmals eine mögliche Bereitschaft zur Änderung beim Steuer- und Beamtenrecht sowie bei der Zuständigkeit des Standesamts erkennen, während nur mehr aus der CSU weiterhin Ablehnung zu hören ist. Es dürfte in Deutschland deshalb nur mehr eine Frage der Zeit sein, bis man sich in der Regelung gleichgeschlecht licher Beziehungen ganz auf skandinavischem Niveau befinden wird. Die Schweiz hat 2004 ein Par tnerschaftsgesetz verabschiedet, das mit dem deutschen Gesetz vergleichbar ist.


Recht in Europa Es wird voraussichtlich mit 1. Jänner 2007 in Kraft treten. Interessant an der Schweizer Regelung ist die Tatsache, dass sie bisher als einzige einer allgemeinen Volksabstimmung unterzogen und von der Mehrheit der WählerInnen befürwortet worden ist (58% Ja-Stimmen, 42% Nein-Stimmen). Beim Vergleich mit den in Italien auf nationaler und Südtiroler Ebene geführten Diskussionen zu Familienthemen fällt auf, dass die verschiedenen Schweizer Organisationen bei der Stimmempfehlung zum Volksentscheid eine sehr viel differenziertere Position eingenommen haben, als es in Italien üblich ist. Während die katholische Bischofskonferenz dem Gesetz gegenüber erwartungsgemäß ablehnend eingestellt war, haben es sich der Schweizer Katholische Frauenbund und weitere christliche Verbände nicht nehmen lassen, sich offiziell für die Annahme des Gesetzes auszusprechen. In Tschechien ist 2006 gegen den Widerstand des christlich-konservativen Präsidenten Klaus das Gesetz zur Einführung der registrierten Partnerschaft in Kraft getreten, das in seinen Grundzügen, mit Ausnahme der Stiefkindadoption, der heutigen deutschen Regelung entspricht. In anderen europäischen Ländern werden homosexuellen Partnerschaften zwar Rechte zuerkannt, allerdings in weit geringerem Ausmaß als in der französischen PACS-Regelung. Portugal hat bereits seit dem Jahr 2001 ein Gesetz, welches die de-facto-Lebensgemeinschaften regelt und homosexuelle Beziehungen mit einschließt. Es ist der französischen und luxemburgischen Regelung vergleichbar, wobei es aber keine Eintragung der Partnerschaft in öffentliche Register gibt und die Par tnerInnen seit mindestens zwei Jahren zusammenleben müssen, um

von diesem Gesetz profitieren zu können. Gleichgeschlechtliche Par tnerschaften sind zudem ausdrücklich von der Adoption ausgeschlossen. Eine vergleichbare Regelung gibt es auch in Ungarn. Im Jahr 2003 hat schließlich Kroatien ein Gesetz verabschiedet, das in noch reduzierterem Ausmaß die Unterhaltspflichten und das Vermögen von gleich-geschlechtlichen Partnerschaften regelt. Inzwischen ist auch in Slowenien ein ebenfalls nur auf vermögensrechtliche Apekte beschränktes und deshalb von den schwullesbischen Organisationen des Landes heftig kritisiertes Gesetz in Kraft getreten.

4. Das vatikanische Modell Überhaupt keine gesetzliche Regelung für gleichgeschlechtliche Par tnerschaften haben in Europa unter anderem Österreich, Polen, Serbien, Griechenland, Albanien, Bosnien-Herzegowina, Rumänien, Bulgarien, Mazedonien, die Türkei und Italien. Diese Lücke in der Gesetzgebung wird begleitet von einer zum Teil auch gewalttätigen Ablehnung homosexueller Lebensformen und von homophoben Äußerungen, mit denen rechts-konservative PolitikerInnen immer wieder versuchen, Stimmung zu machen und Stimmen zu fangen. Diese rückständige Geisteshaltung wird von religiösen Führern mitgetragen und von einer patriarchalen Gesellschafts-struktur gestützt.

Obwohl sich Italien also, was die Liberalität seiner Gesetzgebung in Sachen homosexueller Partnerschaften betrifft, in der Gesellschaft von Ländern wie Albanien und der Türkei befindet, hat es in den letzten Jahren doch eine gewisse Bewegung gegeben, in deren Zug mehrere Gesetzesvorschläge im Parlament vorgelegt und ins Altpapier gewandert sind. Die bereits seit den 80er Jahren von linken Politikern verfassten Gesetzesvorschläge zur Einführung von registrierten Partnerschaften sind nämlich regelmäßig nicht verabschiedet worden und mit dem Ende jeder Legislaturperiode verfallen. Zum vorletzten vom DS-Parlamentarier und Ehrenpräsidenten von Arcigay Franco Grillini eingebrachten Gesetzes-vorschlag zur Einführung der Patti civili di solidarietà nach französischem Vorbild fand Ende 2005 eine von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkte Anhörung namhafter Experten statt, die vor der Justizkommission der italienischen Ab-geordnetenkammer ihre Meinung zum Thema erläuterten. Dabei wurde einhellig festgestellt, dass es in Italien keine verfassungsrechtlichen Hindernisse für die gesetzliche Anerkennung von eheähnlichen homo- oder heterosexuellen Lebensgemeinschaften gibt. Die Verfassung schreibt zwar einen besonderen Schutz der auf der Ehe begründeten Familie vor. Dem Gesetzgeber ist es deshalb aber nicht verboten, anderen Beziehungen denselben Schutz zu gewähren. Ganz ähnlich wurde diese Frage bereits vom deutschen Bundesver-fassungsgericht in Bezug auf das deutsche Lebenspartnerschaftsgesetz entschieden. Unmittelbar nach den letzten Wahlen hat Franco Grillini einen neuen Gesetzesentwurf vorgelegt, der auf dem alten

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Recht in Europa aufbaut und den Expertenmeinungen Rechnung trägt. Warum man sich aus dem inzwischen reichhaltigen Erfahrungsschatz der europäischen Gesetze ausgerechnet das französische und nicht das niederländische Modell zum Vorbild genommen hat, begründet man damit, dass eine minimalistische Regelung vielleicht mit einer gewissen Zustimmung auch von seiten der rechtskonservativen PolitikerInnen rechnen könnte, während die Politik und die Gesellschaft noch nicht reif für die Maximalforderung nach einer echten Ehe auch für Homosexuelle wären. Die Einführung der "patti" trage auch dem Umstand Rechnung, dass inzwischen nur mehr ca. 40% der ItalienerInnen in einer sogenannten traditionellen Familie (Verheiratete mit Kindern) leben, während die große Mehrheit bereits andere Lebensformen führt, die aber

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allesamt ohne einen rechtlichen Schutz dastehen. Die "patti" wären deshalb eine Möglichkeit, verschiedengeschlechtlichen Paaren, die nicht heiraten möchten, eine Absicherung ihres Zusammenlebens mit geringeren Rechten zu bieten und gleichzeitig dieselbe Form auch homosexuellen Paaren zugänglich zu machen. Die Ehe für Homosexuelle könnte dann in einem zweiten Schritt eingeführt werden, um endlich auch in Italien einen in der Praxis längst gelebten Pluralismus der Partnerschaften rechtlich zu schützen. Was die Situation in Südtirol betrifft, so hat die Autonome Provinz Bozen keine gesetzgeberische Befugnis im Familienrecht. Eine Regelung zur Anerkennung von gleich-geschlechtlichen Partnerschaften kann deshalb nur vom Staat kommen.

Auch ein von den Grünen 2005 im Südtiroler Landtag eingebrachtes Gesetzes vorhaben, mit dem einige Rechte im Bereich des Gesundheitswesens und des Wohnbaus auf gleichgeschlechtliche Partnerschaften ausgedehnt würden, hätte nur eine sehr beschränkte Wirkung. In diesem Zusammenhang ist auch das Sonderregister zu nennen, das die Gemeinde Bozen vor einigen Jahren für zusammenlebende nicht verheiratete Paare eingerichtet hat und in das sich auch homosexuelle Paare eintragen lassen können. Mit der Eintragung sind aber keinerlei rechtlich relevanten Folgen verbunden, weshalb es nicht verwundert, dass das Register von den Bozner Lesben und Schwulen nicht genutzt wird und keine einzige gleichgeschlechtliche Partnerschaft um eine Eintragung angesucht hat.

Ähnliche Register gibt es übrigens bereits seit Mitte der 1990er Jahre in mehreren anderen italienischen Städten, wo aber mit der Eintragung meistens auch Rechte wie die Zuweisung von Punkten für den Erhalt einer Sozialwohnung verbunden sind. Südtirol ist hier aber nicht nur aus Lokalinteresse erwähnenswer t, sondern auch in Zusammenhang mit der Verabschiedung des oben erwähnten staatlichen Gesetzes. Aufgrund der knappen Mehrheitsverhältnisse im italienischen Senat wäre die Regierung Prodi auf die Zustimmung aller Parteien angewiesen, die die Regierungs-koalition unterstützen, um den Gesetzesentwurf von Franco Grillini verabschieden zu können. Die ParlamentarierInnen der Südtiroler Volkspar tei haben diesbezüglich aber bereits erklärt (und die


Recht in Europa

befreundeten Presseorgane haben diesen Stellung-nahmen breiten Raum gewidmet), dass sie auf jeden Fall gegen eine Regelung sind, die homosexuellen Paaren irgendeine Form von Anerkennung bringen würde. Diese Position verwunder t umso mehr, als sich diese Partei sonst immer gerne als Kämpferin für Minderheitenrechte ausgibt. Wer aber die Macht des klerikal-konservativen Flügels der SVP und der sie unterstützenden Medien kennt, für den ist diese Haltung eine logische Konsequenz des rückwarts gewandten Weltbildes dieser Partei. Wenn die Regierung Prodi also nicht imstande sein wird, einen Teil der oppositionellen Kräfte zu bewegen, für dieses Gesetz zu stimmen, wird es wohl an den ParlamentarierInnen der SVP scheitern.

Die Diskussion um die Frage der Anerkennung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften wird sowohl in Südtirol, als auch auf nationaler Ebene von der katholisch-konservativen Seite zu einem Kampf ums Überleben der christlichen Werte hochstilisier t. Die geringste zivilrechtliche Anerkennung von “widernatürlichen” Partnerschaften würde das Ende der katholischen Ehe bedeuten. Es scheint demnach, als ob es den GegnerInnen einer Regelung in Italien vor allem um Fragen des Prinzips ginge. Dazu ist zu bemerken, dass wahrscheinlich mehr katholische Ehen an Prinzipien zugrunde gegangen sind als an homosexuellen Partnerschaften. Sollte sich Italien aber weiterhin weigern, eine Regelung für homosexuelle Par tnerschaf-

ten einzuführen, könnte dies zu ernsthaften Problemen führen. Nach Ansicht der vom Parlament angehörten Juristen riskiert man dann, dass die Regeln von der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes diktier t werden. Früher oder später wird nämlich ein im Ausland verheiratetes oder registriertes gleichgeschlechtliches Paar, das in Italien lebt, hier Ansprüche geltend machen, die es als Paar im Herkunftsland hat, die ihm in Italien aber verweigert werden. Wenn es dann vor den Europäischen Gerichtshof ziehen würde, könnte es nach Meinung der befragten Juristen durchaus zu einem Urteil kommen, das ihm Recht geben und für Italien international ziemlich blamabel sein würde. Es ist also nur mehr eine Frage der Zeit, bis homosexuelle

Par tnerschaften auch in Italien rechtlich anerkannt werden. Wenn die Anerkennung spät kommt, wird allerdings eine weitere Generation von jungen Schwulen und Lesben nicht wählen dürfen, ob sie ihren Beziehungen einen stabilen rechtlichen Rahmen geben will.

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Religionen

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“Die Erschaffung Adams” von Michelangelo Buonaroti, entstanden 1508-1512, in der Sixtinischen Kapelle, Vatikan „La creazione di Adamo“ di Michelangelo Buonaroti, dipinto 1508-1512, nella Capella Sistina, Vaticano

Detail der “Schule des Plato” von Jean Delville, 1898, im Musée D’Orsay, Paris Dettaglio della „Scuola di Plato“ di Jean Delville, 1898, presso il Musée D’Orsay, Parigi

Homoerotische Engel am Grabstein der Familien Maurer und Kleinhans am ehemaligen Meraner Friedhof Angeli omoerotici sul monumento sepolcrale delle famiglie Maurer e Kleinhans al vecchio cimitero di Merano

Der Vatikan mit der vom schwulen Künstler Michelangelo entworfenen Kuppel Il Vaticano con la sua cupola, creata dal artista omosessuale Michelangelo

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Nur der Tod soll mich und dich scheiden Monotheismus und Homosexualität Ein polemischer Kommentar Conny Cossa Die Liebe Gottes lastet schwer auf unseren Schultern. In seinem Namen, im Namen Gottes, des Allmächtigen, des Barmherzigen, litten und starben tausende und abertausende homosexuell liebender Menschen. Die Geschichte der Beziehung zwischen Gott, dem Schöpfer, und uns, einem Teil seiner Schöpfung, ist eine bittere. Geschaffen nach seinem Bilde, aber doch zu einem halben Leben verdammt: zwar haben wir „(…)diese Veranlagung nicht selbst gewählt (…)“ – so der offizielle Katechismus der Katholischen

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Kirche – und doch werden wir bestraft mit dem Entzug des Lebens, mit der Möglichkeit, eine erfüllte, totale, ganze Liebe zu erfahren: „Homosexuelle Menschen sind zur Keuschheit gerufen.“, so das endgültige Urteil der Katholischen Kirche, und sie sind berufen, „(…) die Schwierigkeiten, die ihnen aus ihrer Veranlagung erwachsen können, mit dem Kreuzopfer des Herrn zu vereinen.“1 Jesus Christus, am Kreuz gestorben, predigte die Liebe. Und doch: seit dem Triumph des organisierten Christentums in Europa wer-

den wir verfolgt, gequält, getötet. Im Jahre 390 erlassen die christlichen römischen Kaiser Valentinian und Theodosius unser erstes Todesurteil: der Codex Theodosianus (Art. 9, 7, 6) bestimmt, dass alle Homosexuellen verbrannt werden müssen. Beinahe 1000 Jahre später sagt uns die Peinliche Gerichtsordnung Kaiser Karls V. (Art. 116) im Jahre 1532: „Wenn ein Mann mit einem Mann, ein Weib mit einem Weib Unkeusches treibt, soll man sie der allgemeinen Gewohnheit nach mit dem Feuer vom Leben zum Tod


Religionen richten.“2 Am Beginn von all dem Hass und all der Angst steht das Wort Gottes, des Barmherzigen, das in der Bibel überliefert wurde, und zur Grundlage des Judentums und später auch des Christentums wurde. Der Herr sprach zu Mose: „Schläft einer mit einem Mann, wie man mit einer Frau schläft, dann haben sie eine Gräueltat begangen; beide werden mit dem Tod bestraft; ihr Blut soll auf sie kommen.“ (Lev 20:13) Ein scharfes Urteil, das von Generationen von Gläubigen und vor allem von ihren jeweiligen Hirten nachgeplappert wurde, untermauert von den wenigen anderen Zeilen Röm 1, 24:27; 1 Kor 6, 10 und 1 Tim 1, 10. Dass z.B. auch Seitensprünge (Lev 20:10) oder das Arbeiten am Samstag (Ex 35:2) laut Gott, dem Barmherzigen, mit dem Tode bestraft werden müssen, ist heute wohl weit weniger bekannt als der kurze Absatz, der Generationen von Homosexuellen die Hoffnung auf ein glückliches Leben versperrte. Auch der Islam – auf Deutsch „Unterwerfung“ – verehrt denselben allmächtigen und barmherzigen Gott. Laut der internationalen islamischen Organisation Al-Fatiha (www.al-fatiha.org) wurden allein im Iran zwischen 1979 und heute ca. 4000 Schwule im Namen Gottes, des Barmherzigen, umgebracht3 . Der Koran verdammt männliche Homosexualität indirekt durch die Erzählung von Sodom und Gomorrah (Suren 7:80-84; 11:77:83; 15:58-77; 26:160-175; 27:54-58; 29:28-35; 54:33-39) – weitaus direkter ist die Sunna, eine Sammlung von Anekdoten (Hadithe) über den Propheten Mohammed, entstanden zwischen 900 und 1000 nach Christus, die die Grundlage der Shari’a, des islamischen Gesetzes, bildet. Einige dieser Überlieferungen legen Mohammed Worte in den Mund, die jene verdammen, „die das tun, was das Volk Lots getan hat“4 . Die geforderten Strafen sind die Steinigung, das Herabstürzen von einem Berg, oder das Verbrennen bei lebendigem Leibe. Die Gründe für diese Bestrafungen sind, ebenso

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wie in der Bibel, einzig die „Sündhaftigkeit“ oder die „Falschheit“ der homosexuellen Handlungen und natürlich der blanke Wille des barmherzigen Gottes. Obwohl auch im westlichen Europa der Einfluss der organisierten Religionen im letzten Jahrzehnt wieder zu erstarken und religiöser Fanatismus allerorts zu wachsen scheint, ist das Argument der „Sündhaftigkeit“ allein für die Mehrheit der Gläubigen jedoch kein plausibler Grund mehr, homosexuell liebende Menschen aus der Gesellschaft auszuschließen. Also hat die Katholische Kirche, gefolgt von einer Vielzahl politischer Parteien, die Diskriminierung homosexuell liebender Menschen mit dem Thema „Schutz der Familie“ zu verknüpfen versucht. Diese beiden Themen haben jedoch ungefähr so viel miteinander zu tun wie Hundefutter mit Schimmelkäse – die angebliche Krise der Familie hat nichts mit unserem Recht auf ein ganzes Leben zu tun; die „HomoEhe“ würde keinen einzigen heterosexuell liebenden Menschen davon abhalten, selbst eine Familie zu gründen. Außerdem haben auch homosexuell liebende Menschen ein natürliches Interesse an einer kinder- und familienfreundlichen Politik: schließlich haben die meisten von uns ihre eigene Kindheit ja auch in einer Familie bei heterosexuellen Eltern verbracht. Das Bild der von kirchlicher Seite propagierten „Heiligen Familie“, bestehend aus Ehemann, Ehefrau und Kind, ist jedoch ein moralisierendes Konstrukt – die „Heilige Familie“ selbst war, um sie mit heutigen Worten zu definieren, eine sehr kreative Patchwork – Familie, und sicherlich kein Argument für eine homosexuelle Liebe diskriminierende „Familienpolitik“. Doch die Hand Gottes, des Barmherzigen, reicht bis in unser Parlament – so forderte der heutige Papst Benedikt XVI. und Stellvertreter Christi auf Erden 2003 ganz klar: „Wird in der gesetzgebenden Versammlung zum ersten Mal ein Gesetzentwurf zu Gunsten der rechtlichen Anerkennung homosexueller Lebensgemeinschaften vorgelegt, hat der katholische Parlamentarier die sittliche Pflicht, klar und öffentlich seinen Widerspruch zu äußern und gegen den Gesetzentwurf zu votieren. Die eigene Stimme einem für das Gemeinwohl der Gesellschaft so schädlichen Gesetzestext zu geben, ist eine schwerwiegend unsittliche Handlung.“ 5 Nach Jahrhunderten der Verfolgung und Ermordung homosexuell liebender Menschen kämpft die Kirche von Jesus Christus, der Außenseiter und Sünder um sich sammelte und die Liebe predigte, weiterhin im Namen des barmherzigen Gottes gegen die Liebe – kein Wort der Entschuldigung oder der

3 Reue6 . Und kein Wort der Dankbarkeit, der Dankbarkeit für den großen Beitrag, den auch homosexuell liebende Menschen für die Katholische Kirche geleistet haben. Die Kuppel des Petersdomes, die berühmte Pietá, oder die grandiosen Fresken der Sixtinischen Kapelle sind Mahnmäler unserer Verfolgung, unserer Entrechtung, geschaffen vom homosexuellen Künstler Michelangelo mitten im Vatikan. Unter den Fresken eines Homosexuellen wählen die Kardinäle den neuen Papst, vor der von einem Homosexuellen geschaffenen Pietá beten täglich tausende Pilger, und unter der gigantischen Kuppel eines Homosexuellen zelebriert der Papst die Heilige Messe – und doch gibt es hier offiziell keinen Platz für die homosexuelle Liebe. Dieses Paradox ist jedoch nur ein scheinbares. Im Schatten Gottes, des Barmherzigen, versteckt, verleugnet, verdrängt, und oft nicht wahrnehmbar für die Mehrheit der Gläubigen, gab es immer einen Platz für gleichgeschlechtlich liebende Menschen – keinen großen zwar, aber doch groß genug, um die radikale Haltung vieler organisierter Religionen anzweifeln zu können. Kurz hingewiesen sei hier etwa auf den positiven Blick der Bibel auf die Liebe zwischen David und Jonathan, geschildert in 1 Sam 20:17 „ denn er liebte ihn wie sein eigenes Leben“ und 2 Sam 1:26: „Wunder-

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Religionen barer war deine Liebe für mich als die Liebe der Frauen“. Selbst der oft bei kirchlichen Hochzeitszeremonien verwendete Satz „Nur der Tod soll mich und dich scheiden“ (Rut 1:17) steht im biblischen Original in einem gleichgeschlechtlichen Kontext: Rut richtet ihn an Naomi, von Frau zu Frau. Auch im Koran gibt es homo-erotische Untertöne, wenn auch sehr still und auf das Jenseits bezogen: so warten nach dem Tod im Paradies nicht nur „großäugige Jungfrauen“ (Huris) auf die (männlichen) Wiederauferstandenen, sondern auch „Jünglinge gleich verborgenen Perlen“ (Sure 52:24) - was für eine herrliche Aussicht für die während ihres Lebens unterdrückten und verfolgten muslimischen Homosexuellen! Das „ewige“ Leben entschädigt für das im „echten“ Leben erlittene Unrecht - nach dem Tod wird alles gut! „Wer liebt und keusch bleibt und sein Geheimnis verbirgt und stirbt, stirbt als ein Märtyrer.“ – so steht es in einem bekannten moslemischen Hadith. Der ideale katholische Homosexuelle vereint seine Veranlagung „mit dem Kreuzopfer des Herrn“, der ideale moslemische Homosexuelle ist ein Märtyrer seiner Liebe: Leiden und Sterben als Lebensziele, ohne die Hoffnung auf eine glücklich gelebte Sexualität. Das Ideal der Monotheismen ist nicht der im Einklang mit seiner menschlichen Natur lebende „ganze“ Mensch, mit seinen Bedürfnissen, Widersprüchen und Träumen, sondern eine Art asexueller, glücklicher Vogel, wunschlos und bedürfnislos, das Wort „Nein“ nicht kennend, ohne jegliche sexuelle Orientierung: der Engel.Vielen erscheint es heutzutage irrelevant, welche Standpunkte die Religion vertritt und wofür sie eintritt – und doch kann man nicht abstreiten, dass selbst unsere heutige angeblich laizistische Gesellschaft zutiefst vom Monotheismus beeinflusst wird. Die Hand des „Einen“ Gottes, Barmherzig und Allmächtig, erschuf eine Welt, die sich von der der heidnischen Antike zutiefst unterscheidet: an die Stelle ei-

Mahmoud Asgari, 18, und Ayaz Marhoni, 19, 5 werden wegen Homosexualität erhängt, 19.Juli 2005, in Mashad, Iran Mahmoud Asgari, 18, e Ayaz Marhoni, 19, impiccati per omosessualitá, 19. luglio 2005, a Mashad, Iran

Christus und Johannes, der “Jünger, den Jesus 6 liebte” (Johannes, 13:23-24 und 19:26-27), Holzskulptur von 1320/30 aus dem Frauenkloster St. Martin am Bodensee Cristo e Giovanni, il „discepolo che Gesù amava” (Giovanni, 13:23-24 e 19:26-27), scultura lignea del 1320/30, dal convento St. Martin al Lago di Costanza

1 aus „Katechismus der Katholischen Kirche“, München 1993, Artikel 2357 – 2359. 2 zitiert in: „Eunuchen für das Himmelreich. Katholische Kirche und Sexualität“, Uta Ranke-Heinemann, München 2004 3 Im neuesten Bericht von Amnesty International werden 57 Staaten aufgezählt, in denen Homosexualität verboten ist. Die Strafen reichen von Peitschenhieben bis zu mehrjährigen Gefängnisstrafen. In Afghanistan, Saudi Arabien, Iran, Mauretanien, Nigeria, Sudan, Tschetschenien und Jemen müssen Lesben und Schwule mit der Todesstrafe rechen. Genaueres dazu kann man nachlesen in „Das Schweigen brechen. Menschenrechtsverletzungen aufgrund sexueller Orientierung“, hrsg. Amnesty International, Berlin 2001 4 Die arabische Version des Namens Lot, dem Protagonisten der Legende von Sodom und Gomorrah, ist Lut. Der zur Bezeichnung von Homosexuellen verwendete arabische Ausdruck „Luti“ leitet sich direkt davon ab und ist mit dem jüdisch-christlichem Ausdruck „Sodomit“ gleichzusetzen.

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ner unüberblickbaren Fülle von Göttern und mit ihnen tausenden von unterschiedlichen Wahrheiten, trat der „Eine“ Gott mit seiner einzigen, absoluten, unantastbaren Wahrheit. Im Gegensatz zur Welt der heidnischen Antike, die tausende Schattierungen und Farben kannte und in der die Religionen die menschliche Natur widerspiegelten, gibt es in der Welt des „Einen“ Gottes nur noch Schwarz und Weiß, Oben und Unten, Mann und Frau. Der Monotheismus schuf einen Dualismus, eine Spaltung der Welt in Gut und Böse, in Engel und Teufel, in eine „Achse des Bösen“ und eine „Koalition der Freiheit“, er schuf eine Welt, in der alle nur noch Täter sind oder Opfer, Sünder oder Heilige. Gab es in der Antike eine Einheit von Körper und Geist, so brachte der Monotheismus deren Entfremdung: Der Geist ist gut. Der Körper ist Böse. Und die Sexualität – ein hybrides Wesen irgendwo zwischen Körper und Geist, zwischen Instinkt und Willen – fiel diesen Grabenkämpfen zum Opfer. Das Paradox des Allmächtigen und Barmherzigen Gottes, der, ganz allein, in sieben Tagen die gesamte Welt erschuf, mitsamt seiner Engel und Teufel und Menschen und Tiere, bleibt wohl ein unlösbares: homosexuell liebende Menschen sind, ebenso wie Linkshänder, Delphine und Glühkäferchen, Teil dieser virtuellen Schöpfung, unsere Liebe ist Teil dieser Natur. Und doch scheint es im Lichte Gottes, des Barm-herzigen, keinen Platz für uns zu geben. Im 16. Jahrhundert traute ein portugiesischer Priester in der römischen Kirche San Giovanni a Porta Latina mehrere homosexuelle Paare7 , mit den gleichen Zeremonien, die bei heterosexuellen Hochzeiten üblich sind, gesegnet im Namen desselben Barmherzigen Gottes. Bald jedoch wurden die gleichgeschlechtlichen Eheleute auf Veranlassung der Inquisition zum Tode verurteilt, verbrannt im Namen des Gottes, der „der Barmherzige“ genannt wird. Getötet für ihre Liebe.

5 aus: „Erwägungen zu den Entwürfen einer rechtlichen Anerkennung der Lebensgemeinschaften zwischen homosexuellen Personen“, Josef Kard. Ratzinger, 3. Juni 2003 6 Einzige Ausnahme ist die Altkatholische Kirche, deren Bischof Joachim Vobbe 2003 ein explizites Schuldbekenntnis formulierte: „(…) In diesem Zusammenhang möchte ich stellvertretend für meine eigene Kirche ein Schuldbekenntnis nachholen: Die Kirche hat – vermutlich aufgrund ihrer eigenen distanzierten Einstellung – beharrlicher geschwiegen zur Ausgrenzung, Verfolgung, Verstümmelung und Tötung homosexueller Menschen als zu manchen anderen Verbrechen gegen die Menschlichkeit. (…)“ aus: „Gott traut uns. Wir trauen Gott. Gedanken zum Ehesakrament.“, Bischof Joachim Vobbe, Alt-Katholischer Bistumsverlag 2003 7 nachzulesen in „Tagebuch einer Reise nach Italien über die Schweiz und Deutschland von 1580 bis 1581“ von Michel de Montaigne, Eichborn 2002


Literarische Seiten

Martin Pichler, geboren 1970 in Bozen, Studium der Germanistik, Romanistik und Religionspädagogik in Innsbruck. Lebt als Schriftsteller und Lehrer in Bozen. Bücher: Lunaspina (2001), Nachtreise (2005), Störgeräusch (2006).

Martin Pichler

Die Passion des Pornographen 1 Frühe Lektüren Aufklärungsunterricht erteilt mir der Großmeister des Horrors persönlich. Als Oberschüler lese ich mich durch die seitenstarken Wälzer von Stephen King und genieße die Zeremonien der Schlächter, die sich an schönen Körpern gütlich tun. Einen Fuß in die Tür der Guten kriegt das Böse immer durch sexuelle Verlockung. Und so sauge ich gierig in mich auf, was in meiner sonstigen Jungenwelt nie zur Sprache kommt, den ganzen Höllenkatalog fleischlicher Sünden. Als noch unberührter junger Mann lese ich die Bücher der literarischen Sexmaniacs: Henry Miller und Philip Roth. In der Schule hingegen gebe ich mich frauenbewegt und lege geschickt die Rowohlt-Bändchen neue frau vor die Augen der Lehrer. Mein Lieblingstitel ist Märta Tikkanens Wie vergewaltige ich einen Mann. In der Bozner Tessman-Bibliothek finde ich ein Buch, das gleich auf der ersten Seite eine Warnung enthält: Dieses Buch darf wegen des Inhaltes nicht an Jugendliche weitergegeben werden und sollte abgeschlossen aufbewahrt werden. Ich schwanke zwischen ungläubigem Staunen und gläubiger Erregung, dass es das wirklich gibt: ein verbotenes Buch. Als wäre mir auf der Oswaldpromenade plötzlich ein Einhorn begegnet. In der Tat, Literatur ist gefährlich, sie trifft direkt ins Herz und auch anderswohin. Jean Genets Querelle eröffnet mir neue literarische Horizonte und nimmt sexuelle Gewissheiten vorweg, die ich erst später gewinnen werde: nämlich dass auch ich von diesen muskulösen Matrosen und abgerissenen Dieben mehr angezogen bin als von jedem anderen Schlag Mann.

Diese gefallenen Engel, wie sie später von der Titan-Pornotraumfabrik auf Video gebannt werden. Der eigentliche Film zum Buch aber ist von Rainer Werner Fassbinder und läuft auf ORF 2 in der Sendung Kunststücke. Am selben Sendeplatz finde ich weitere schwule Filmleckerbissen, Derek Jarmans Caravaggio und E. M. Forsters Romanverfilmung Maurice. Leider haben gute Kulturprogramme im Fernsehen immer nur ein kurzes Leben und ich werde von den ORF-Programmchefs bald um meinen Bildergenuss zu spätabendlicher Stunde gebracht. (Eine der ersten Wahrnehmungen, dass meine Libido auf Abwegen wandelt, findet viel früher statt und verdankt sich dem nachmittäglichen Kinderprogramm. In einer Folge von Löwenzahn will uns Peter Lustig eine besondere Fabrik zeigen und er zieht dafür einen Sicherheitsanzug an. Aber kurz davor kommt sein praller Hintern ins Bild. Ich bin erschrocken und erregt zugleich, und dann erschrocken über meine Erregung.) Ich lese und verliebe mich. Ich gehe die Szenen meiner Liebe wieder und wieder in Gedanken durch. Es ist nicht meine Geschichte, sondern die der Figuren in einem Roman, Giovannis Zimmer zum Beispiel von James Baldwin. So will ich es auch haben: hoffnungslos dieser Liebe ausgeliefert sein und von der Gesellschaft dauernd Prügel vor die Füße geworfen bekommen. Natürlich bin ich kein Schwarzer in Amerika, der durch sein Schwulsein eine Minderheit in der Minderheit ist, aber dafür Südtiroler, und das trifft es ja so ähnlich.

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Literarische Seiten

2 Schreibversuche In meinen ersten Schreibversuchen wimmelt es von Vampiren, Werwölfen und sonstigen ekligen Phantasiewesen: Sie sind tentakelbewehrt und sondern glibberige Flüssigkeiten ab. Freud hätte seine wahre Freude daran gehabt. Meine ersten Leserinnen auch, zu meinem Unglück verfügen sie über hobbypsychologische Kenntnisse und breiten diese mir auch wortreich aus. Ich bin etwas gekränkt, es geht hier ja nicht um Tagebuchschreiben, sondern um Südtirols Antwort auf Stephen King. Zu meiner Unizeit wechsle ich vom U- ins E-Fach. Als Leser entwöhne ich mich schrittweise meiner Jugendsünden und so werden Heyne- und Bastei-Lübbe-Bändchen mit der Zeit von Luchterhand und Suhrkamp verdrängt. Bei meinen Eroberungsversuchen greife ich auf hausgemachte Texte zurück, um einen Trumpf mehr in der Tasche zu haben. Einer Studentin gebe ich eine Kurzgeschichte zu lesen, sie nagelt mich an dem letzten Satz fest: Ihm schien, als wollte sie etwas von ihm. Sie schließt von der Figur im Text direkt auf den jungen Schreiber. Und sie schlüpft in die Haut der weiblichen Figur: Meinst du das nun positiv, dass sie etwas von ihm will oder nicht? Ja, wie meine ich das? Ich will mich dieser Frage nicht stellen und verüble der Freundin diesen germanistisch unzulässigen Sprung von einem Text mitten hinein ins komplizierte Gefühlsgewebe des Autors. Diesmal entgeht es meinen freudbewanderten Leserinnen: In meinen Texten tauchen nach und nach attraktive junge Männer auf, um die ich einen barocken Verbalzirkus veranstalte, doch der ganze epische Aufstand verliert sich im Nichts. Denn trotz des Heißhungers, mit dem ich die Werke der großen Erotomanen verschlinge, bin ich sexuell – und was die wichtigen Dinge im Leben angeht - immer noch gänzlich unberührt.

3 Spätzünder Nach der Motivation für sein Schreiben befragt, antwortet David Leavitt in einem Interview, das mir als Zwanzigjähriger zufällig in die Hände fällt: Ich wollte die Bücher schreiben, die ich gerne gelesen hätte, als ich jung war, die ich aber in keiner Bibliothek und in keinem Buchladen finden konnte. Das ist es, denke ich mir und hege eine neue große Ambition, ich will Pioniersarbeit leisten und einen schwulen Roman schreiben, der vor Südtiroler Kulisse spielt. Damit werde ich nicht nur mich selbst aus der Misere meiner sexuellen Neutralität hieven, sondern andere, ebenso hilfs- und identifikationsbedürftige gleich mit. Die Südtiroler Welt wird staunen und mir den geringen Makel meiner sexuellen Neigung nachsehen. Hinter der Maske des Schriftstellers lässt es sich ungestraft schwul sein. Er ist ein Künstler, werden die Leute entschuldigen und dabei einander zuzwinkern. Dass ich wie Karl May in seiner Gefängniszelle vom Wilden Westen nur träume, ohne je dort gewesen zu sein, unterschlage ich vor mir selbst. Für meine Generation genügt kein Mouseklick auf die blauen Seiten von Gayromeo, um zu sehen, dass man nicht allein am anderen Ufer Südtirols online ist. Verbindung herstellen heißt, aus der Anonymität ausbrechen und sein Gesicht zeigen. Was Schrecken genug ist. Meine ersten vorsichtigen Schritte in schwules Hoheitsgebiet verdanke ich der neofaschistischen Partei MSI, die grad, als ich Kontakt brauche, einen ihrer Parteimitglieder wegen homosexueller Neigung ausschließt und so den Anstoß gibt für eine Artikelserie in der FF. Am Kiosk verlange ich mit zittriger Stimme nach der Wochenzeitung mit dem knalligen Cover: der innige Kuss zweier Männer.

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Inzwischen fast fünfundzwanzig, stürzen all meine Kopfgerüste ein und mein planloses Schreiben gerät in ein heilsames Stocken. Sogar für meine Lesepassion finde ich weniger Zeit. Ich habe zu tun, ich hole Leben nach. Ich verliebe mich, diesmal ohne literarisches Skript und nicht bloß in meiner Imagination. Es ist wunderbar und grausam zugleich, aber vor allem ganz einfach: der stärkste Rausch, den das irdische Dasein zu bieten hat. Ich genieße, ich leide, ich werfe kurzerhand all meine Schreiberambitionen über Bord, wozu brauche ich das jetzt noch. Ich habe was Besseres gefunden.

4 Die letzte Bastion Schließlich geht mein kleiner Autorentraum doch in Erfüllung. Zu meinem Erstling Lunaspina steht im Katalog der schwulen Buchläden: Aus den exotischsten Ländern der Welt erschienen in den letzten Jahren Bücher mit schwuler Thematik, doch nun ist die letzte Bastion gefallen: Südtirol! Andere begegnen dieser Pioniersleistung mit weit geringerer Begeisterung. Als mein Vater auf dem Grieser Platz an der Bäckertheke um Brot ansteht, spricht ihn eine Frau an: Jetzt hab ich das Buch von deinem Bub gelesen, das hätte aber nicht sein müssen!, meint sie entrüstet. Mein Vater tritt die Flucht nach vorne an: Ja, ja, mein Sohn mit seiner Pornographie!

5 Der verstoßene Sohn Seit dem Tod meiner Mutter leben Vater und ich Wohnung an Wohnung. Das Frühstück nehme ich noch lange Zeit am Tischplatz meines Vaters ein, von dem aus ich einen wunderbaren Blick durch die Terrassentürscheibe auf unsere Straße habe. Bis mich mein Vater eines Tages aus seiner Wohnung wirft: Wenn ich weiblichen Besuch habe, will ich dich hier nicht haben. Ich gehe auch nicht in deine Wohnung, wenn du mit deinem Freund dort bist. Einen Augenblick lang mime ich den verstoßenen Sohn, dann erkenne ich, dass ich im Unrecht bin. Glücklich verliebt, aber auch den missbilligenden Blicken anderer Leute ausgesetzt, weil er so kurz nach Mutters Tod wieder eine neue Beziehung eingegangen ist, bekennt mein Vater: Du hast es vorgemacht, wie man seinen eigenen Weg gehen muss, du bist mutig gewesen. Ich könnte meinem Vater Coming-Out-Tipps geben, wir haben die Rollen getauscht, er ist plötzlich der verliebte Teenager und ich ein väterlicher Ratgeber. Dennoch: Dass sich das Thema Homosexualität wie ein roter Faden durch meine Texte zieht, findet nicht ganz seine Zustimmung. Nach Ansicht meines Vaters ist das ein Minderheitenprogramm, weil es nur ein unerhebliches Zielpublikum erreicht. Das ist nicht der Stoff, aus dem Bestseller gemacht sind! Und ich denke an die Großen in meinem Fach: Wenn ein von mir verehrter John Updike dem ebenfalls von mir hoch geschätzten Alan Hollinghurst vorwirft, in seinem Buch gehe es dauernd nur um schwulen Sex, so macht dieser Vorwurf umgekehrt keinen Sinn. Aber mein Vater ahnt nichts von diesen Ungerechtigkeiten. Sein Kanon umfasst im Grunde nur ein einziges Buch: Die Beschreibung von Kannibalismus und seriell wiederkehrenden Mordgelüsten in Das Parfum trüben in ihm kein Wässerchen, aber in der deskriptiven Genauigkeit gleichgeschlechtlicher Vorgänge sieht er ein krummes Spiel mit dem Voyeurismus des Publikums. Aber eigentlich hat er seinen Sohn literarisch schon verloren gegeben, bald wird er selbst zur Feder greifen und mit seinem funkelnden Stil dem thematisch monotonen Junior-Schreiberling den Gnadenstoß versetzen.


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Ritterin Elisabeth Angerer

Ritterin I Die Tänzerin steht auf den Zehenspitzen ihres rechten Fußes. Der Schuh mit der abgeflachten Spitze ist rosa glänzend und die Bänder sind über dem Knöchel festgebunden. Das andere Bein ist angewinkelt und die weiße Sohle des rosa Schuhs berührt das durchgestreckte rechte Knie. Das kurze Röckchen besteht aus vielen Schichten von weißem und hellblauem Tüll. Das Korsett schnürt den Oberkörper zu zwei perfekten Linien und die Hüfte ist so schmal, dass zwei große Männerhände sie ganz umfassen können. Der rechte Arm schwebt in anmutiger Geste über dem ausladenden Röckchen, der linke hängt wie von einem Faden am Handgelenk gehalten über dem Kopf. Über dem glatten braunen Haarknoten spannt sich ein weißes Netzchen. Der Kopf ist in den Nacken zurückgelegt und die Augen sind weit aufgerissen. Sie blicken am erhobenen Handgelenk vorbei senkrecht nach oben. Die Frau ist in einen Quader aus Eis eingelassen. Das Eis schimmert bläulich, es verzerrt den Blick auf die Frau nur wenig. Der Quader mit der Frau dreht sich langsam um die eigene Achse, bewegt sich vom Boden weg nach oben bis auf Mannshöhe, wieder zurück und in ein trichterförmiges Loch in die Erde und von dort wieder nach oben. Die Bewegung ist an ein Uhrwerk gekoppelt: Zur vollen Stunde erreicht die Frau den höchsten Punkt und löst den Stundenschlag aus, die halbe Stunde klingt dumpfer aus dem Erdtrichter und die

Positionen auf Bodenhöhe haben ebenfalls ihre Zeichen. So steht die Frau im Eis auf einem Bein wie ein kostbares eingeschlossenes Insekt und dreht sich und hebt sich und senkt sich unablässig im Stundentakt. Es ist ein Besucherpark mit einem Zaun drumherum eingerichtet worden und an sechs Tagen in der Woche besuchen viele Menschen die Frau und bewundern das Uhrwerk und den kunstvollen Mechanismus und blicken staunend von oben hinunter auf die aufgerissenen Augen und von unten hinauf auf die weiße Schuhsohle und das Weißblau des Röckchens. Es ist nicht erlaubt Fotos zu machen, aber am Eingang des Parks sind an einem Stand Postkarten erhältlich, die die Frau zu jeder Tages- und Jahreszeit in bestem Licht in allen Details mit und ohne Begleittext zeigen. Beliebt sind die Motive mit Sonnenuntergang im Hintergrund und die Winterbilder mit der dicken Schneehaube auf dem Eisquader. Am Stand sind auch Getränke und kleine Imbisse erhältlich und eine Aufsichtsperson achtet darauf, dass das Kunstwerk nicht berührt und der Rasen nicht betreten wird, dass die Kinder nicht mit Bällen spielen, keine Hunde eingelassen werden, keine Getränkedosen auf dem Boden liegen bleiben. Seit einiger Zeit gibt es Grund zur Sorge, da durch die anhaltende Wärme das Eis zum Schmelzen gebracht wird. Der Erhalt

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Literarische Seiten des Uhrwerks könnte bedroht sein, und so hat sich eine Expertenkommission gebildet, die das Problem im Auge behält und an einem Notfallplan arbeitet, der die Verlegung der Frau in einen geschlossenen Raum mit Kühlsystem vorsieht. An den Abenden, nachdem der Besucheransturm vorbei ist, der Verkaufsstand geschlossen hat, die Aufsichtsperson alle Papiertaschentücher aufgehoben, die Mülleimer entleert und ihre letzte Runde gemacht hat, steigt die Frau aus ihrem Körper im Eis heraus. Sie streckt sich durch, atmet tief, bewegt sich ein bisschen, setzt sich auf den gepflegten Rasen und blickt auf sich selbst, auf die erschrockenen Augen, den eingezwängten Oberkörper, das durchgedrückte Kreuz. Sie ist sehr traurig. Der Körper im Eis schmerzt. Manchmal denkt sie an die Expertenkommission und ist besorgt über die geplante Verlegung, aber meistens ist sie sehr müde vom langen Tag und sie schläft bald ein. Am Morgen steigt sie vor Beginn der Öffnungszeit wieder in ihren Körper zurück. An einem strahlenden Frühlingsmorgen nähert sich die Ritterin dem Besucherpark. Sie reitet auf einer riesigen weißen Hündin, ihre Rüstung ist feuerrot, das schwarze Haar hängt unter dem Helm bis über den Rücken. An ihrer Seite steckt das große Schwert; mit einer Hand trägt sie die goldene Leier, mit der anderen hält sie die Zügel fest. Die Steigbügel streifen fast den Boden und die Teile der Rüstung klappern während des Rittes. Sie hat das Visier geschlossen. Sie nähert sich dem Eingang, klemmt die Leier unter einen Arm und zieht das Schwert. Mit einem einzigen Hieb zerschlägt sie die Eingangsschranke, sie sprengt mit der Hündin in den Besucherpark, wirft mit einem Schwerthieb den Ständer mit den Postkarten um und lässt einen Turm von Getränkedosen durch die Gegend kullern. Die Menschen kreischen und laufen durcheinander, einige fotografieren oder filmen mit ihren Handykameras. Die Aufsichtsperson weist auf das Schild mit dem Hundeverbot, aber die Ritterin hält ihr die Schwertspitze vor die Brust und der Mann fällt um. Während die Menschen schreien und nach der Polizei rufen und nach den Postkarten und den Getränkedosen greifen, steigt die Ritterin von ihrer Hündin, leint sie an und öffnet das Visier. Sie geht zur Frau im Eis und steigt über die Abgrenzung. Sie blickt sie an und berührt das tauende Eis mit ihrer Hand. Sie nimmt ihre goldene Harfe und spielt süße Töne. Da blinzelt die Frau im Eis und wendet den Kopf. Die Ritterin umarmt den Quader und das Eis schmilzt unter ihrer Umarmung. Die Tänzerin bewegt sich, senkt den Fuß, das angewinkelte Bein und den erhobenen Arm, streckt sich durch, atmet tief und blickt ihr in die Augen. Die Ritterin küsst sie auf den Mund. Sie nimmt sie in ihre starken Arme und hebt sie über die Abgrenzung. Tropfnass setzen sie sich auf die Hündin, überspringen den Zaun und reiten davon in den Wald, bevor die ersten Presseleute ankommen und kurz darauf auch die Polizei.

eines Tages an den Fuß des Berges gelangt. Hier steigt sie ab, bindet das Pferd an einen Baum neben dem Wasser, wirft ihm Futter vor und beginnt mit dem Aufstieg. Sie geht über Lärchennadeln, links und rechts stehen blaue und gelbe Parkbänke und grüne Papierkörbe und freundliche alte Leute winken ihr zu. Bald wird der Untergrund härter, ein steilerer Weg zweigt ab, die Ritterin bindet ihr Haar zusammen, schultert den Rucksack besser und nimmt das Schwert als Wanderstock in die Hand. Sie geht durch dichten Wald, der Pfad ist schmal und steinig, Unterholz versperrt den Weg und die Ritterin zwängt sich mit ihren breiten Schultern durch dichtes Gestrüpp. Sie hinterlässt eine Spur mit ihren Goldstücken, bis sie an die Waldgrenze anlangt. Ab hier nimmt sie die Dinge aus dem Rucksack und schließlich den Rucksack selbst und kennzeichnet den Weg. Sie geht über Almen und links und rechts von den Wegen und Steigen picknicken Touristen. Sobald sie vorbei kommt, stehen sie auf und fotografieren sie oder filmen mit ihren Handykameras und bücken sich nach den von ihr verstreuten Dingen. Sie quert Gebirgsbäche und klettert über Felsen. Die Luft wird dünner und die Touristen werden weniger. Der harte Weg fordert seinen Tribut und die Ritterin lässt Stück um Stück von ihrer roten Rüstung hinter sich. Als sie zum ewigen Eis kommt, trägt sie nur noch ihr rotes Kettenhemd, und das Blut ihrer Hände und Füße hinterlässt eine rote Spur. Der Himmel ist nahe und grau. Sie atmet mit Mühe und kommt nur langsam weiter. Es beginnt zu regnen und zu schneien und die Ritterin schleppt sich mit letzter Kraft weiter nach oben. Bevor sie zusammenbricht, reißen die Wolken kurz auf und sie sieht den Gipfel des Berges und die entfernte Gestalt der Tänzerin. Die Tänzerin steht auf dem Gipfel des Gletschers. Sie ist an einen Pfahl gebunden. Das ausladende Kleidchen besteht aus vielen Schichten von weißem Tüll und die dünnen Schuhe glänzen rosa. Die Tänzerin friert. Die Fesseln schneiden in die Hand- und Fußgelenke. Sie sieht die Ritterin auf ihrem Weg in die Höhe. Es beginnt zu regnen und zu schneien. Als die Wolken kurz aufbrechen, sieht sie die Gestalt der Ritterin, die neben ihrem Schwert mit dem Gesicht auf dem Boden liegt. Da löst sich die Tänzerin von ihrem Pfahl und steigt hinunter zur reglosen Frau. Sie nimmt sie und zieht sie und stemmt sie bis auf den Gipfel, holt dann auch noch das Schwert und sitzt bei ihr, bis die Sonne wieder hervorkommt. Da steigt sie zurück an den Pfahl. Die Ritterin öffnet die Augen, sie blickt um sich und springt auf. Sie blickt der Tänzerin in die Augen und mit einem einzigen Schwerthieb haut sie die Fesseln auseinander und nimmt die Tänzerin in ihre starken Arme. Die beiden Frauen küssen sich. Danach sitzen sie in der Sonne und blicken der roten Spur nach hinunter ins Tal.

Ritterin III Ritterin II Die Ritterin sattelt ihr weißes Pferd, steigt in die feuerrote Rüstung, nimmt einen Beutel voll Gold, packt einige Dinge in den Rucksack, steckt das Schwert an ihre Seite und macht sich mit wehendem schwarzem Haar auf den Weg. Sie kehrt noch einmal um, füllt einen Sack mit Futter für das Pferd und befestigt ihn hinter sich auf dem Sattel. Dann reitet sie dahin, viele Tage und manchmal auch Nächte über steinige Wege und asphaltierte Straßen und sie schläft unter dem freien Himmel, in Scheunen, bei Bauern und in Hotels, bis sie

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Die Touristin fährt in ihrem roten Auto nordwärts nach Hause. Die Scheibenwischer laufen schnell hin und her über die Windschutzscheibe. Sie schaut angestrengt durch den Regen auf die Autobahn. Ein Auto überholt sie von rechts. Sie denkt an die zwei Frauen im Besucherpark. Sie zwängt sich zwischen Fahrbahnrand und einem Lastwagen hindurch und reiht sich wieder ein. Sie wechselt auf die dritte Fahrspur und zeigt dem Rechtsüberholer von vorhin den Mittelfinger. In ihrem Gepäck hat sie Fotos von den beiden Frauen. Die Touristin blickt in den Rückspiegel und drückt auf das Gaspedal. Sie fährt in ihrem roten Auto und denkt immer wieder daran, wie sich die beiden Frauen geküsst haben.


Bibliotheksgruppe

Margot Christandl

Fachbibliothek für Homosexualität Centaurus bei null angefangen von zwei lesben und zwei schwulen, vor gut einem jahr, inzwischen schon ständig auf der suche nach büchern, nach büchern mit homosexueller thematik, nach büchern mit erzählendem inhalt, mit humorvollem, mit wissenschaftlichem, nach büchern, die gerade in sind in der szene, lesbenliteratur, schwulenliteratur, transgenderliteratur, queerliteratur, weltliteratur mit themenbezug, mann, musil, woolf, ...... und ständig auch auf der suche nach dvds, den neuesten und den klassikern, und nach guten zeitschriften, ein möglichst breitgefächertes angebot aufbauen, allen aspekten des homosexuel-

len lebens gerecht werden, die bedürfnisse der leserInnen erahnen, ihnen gerecht werden, eine ausgewogene mischung an büchern, dvds und zeitschriften für lesben, schwule, transgender und für alle am thema interessierte aufbauen, ein gutes gleichgewicht finden zwischen information und unterhaltung, zwischen deutsch und italienisch, zwischen krimi, sport, religion und comics, zwischen sexualität, lyrik, lesben- und schwulenforschung, reisen esoterik und und und ..., alle bücher in eine eigens für die fachbibliothek ausgearbeitete systematik bringen, die gängige passt ja nicht, inventarisieren, lesen, rezensionen

schreiben, tipps zum lesen geben, lesungen mit schwulen und lesbischen autorInnen organisieren, an die öffentlichkeit treten, eigentlich ein vollzeitjob, die freude jedoch und der spass und das gute gefühl, wieder ein gutes buch entdeckt zu haben, wiegt alles auf. Und zusehen, wie die bibliothek wächst und immer besser besucht wird und immer mehr ausgeliehen wird, leserInnen treffen, die vom buch erzählen, das sie gerade gelesen haben, und die sagen, wie sehr sie sich darüber freuen, dass es diese bibliothek gibt, dafür lohnt sich das alles, dafür lohnt sie sich, die

Fachbibliothek für Homosexualität Centaurus

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Bibliotheksgruppe

Anschrift / Indirizzo

Öffnungszeiten

Fachbibliothek für Homosexualität Centaurus Biblioteca di Centaurus Via Galileo Galileistraße 4a I-39100 Bozen/Bolzano

Für Nichtmitglieder und Nichtmitfrauen ist die Ausleihe jederzeit nach telefonischer Vereinbarung möglich. Telefonische Kontaktierungsmöglichkeiten jeden Dienstag und Donnerstag von 20.00 – 22.00 Uhr oder jederzeit mittels Email oder Fax. Für Mitfrauen und Mitglieder der „Homosexuelle Initiative Südtirol Centaurus“ jeden Samstag von 21.00 – 24.00 Uhr geöffnet, zusätzlich jeden ersten Freitag im Monat von 21.00 – 24.00 Uhr für Lesben.

Telefon/o und Fax: 0471 976342 Email: info@centaurus.org Die Bibliothek ist eine öffentliche Fachbibliothek und wird von vier ehrenamtlichen MitarbeiterInnen geführt. La biblioteca è aperta al pubblico, viene gestita da quattro volontari.

Orario di apertura Per i soci/e ogni sabato dalle ore 21.00 alle ore 24.00. Per le donne/lesbiche ogni primo venerdì del mese dalle ore 20.30 alle ore 24.00. Per i non iscritti con appuntamento che si può fissare ogni martedì e giovedì dalle ore 20.00 alle ore 22.00 telefonando al numero 0471 976342

Bestandsgröße Die Bibliothek umfasst derzeit 500 Bücher, 80 DVDs und Videos und 15 verschiedene Zeitschriften zum Thema Homosexualität. Die Hälfte der Bücher ist Belletristik, die Sachbücher gliedern sich nach einer eigenen Systematik in Nachschlagewerke, Lesben- und Schwulenbewegung, Politik und Gesellschaft, Coming Out, Forschung, Geschichte, Gesundheit, Kunst

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und Kultur, Photographie, Literatur- und Sprachwissenschaft, Psychologie, Pädagogik, Philosophie, Religion, Esoterik, Astrologie, Mythologie, Reisen, Recht, Sexualitäten, Soziologie, Sport. Der Bestand ist gemischtsprachig, deutsch, italienisch und englisch. Die Bibliothek ist am BISON angeschlossen und kann unter www.provinz.bz.it/ bison abgerufen werden.

La biblioteca contiene 500 libri, romanzi e libri specializzati sulla tematica dell’omosessualità femminile e maschile, 80 DVD e Video e 15 riviste di tematica omosessuale. I libri sono in lingua tedesca, italiana e inglese. Il catalogo della biblioteca è accessibile tramite le biblioteche ufficiali sul sito della provincia autonoma di bolzano sul sito:

www.provinz.bz.it/bison


Bibliotheksgruppe Günther empfiehlt das Buch:

Alain Claude Sulzer "Ein perfekter Kellner" Protagonist des Romans ist der französische Kellner Erneste, für den sein Beruf gleichsam Berufung ist. Ohne Kontakt zu seiner Familie, ohne persönliche Bindungen füllt er die Rolle des dienenden Kellners im noblen Parkhotel am Brienzer See aus. Seine Rolle ermöglicht es ihm, frei und unbehelligt zu leben. Er ist schwul, und seine Sexualität muss er in der Schweiz der 30-er Jahre verstecken. Als im selben Hotel der Kellner Jakob angestellt wird, verliebt sich Erneste unsterblich in den jungen Deutschen. Dieser erwidert zunächst seine Gefühle, wendet sich aber bald von ihm ab und wird der heimliche Geliebte eines berühmten Schriftstellers, der mit seiner Familie im Parkhotel absteigt (eine Anspielung an Thomas Mann). Diesem

folgt er ins Exil nach Amerika, und erst 30 Jahre später erhält Erneste einen Brief von Jakob: in seiner impertinenten Art stellt er Forderungen an Erneste… Alain Claude Sulzer ist ein großartiger Roman gelungen. Die zerstörerische Kraft der Liebe und der Liebesverrat stehen im Vordergrund. Sprachlich einzigar tig, wird das ganze Buch von feinen Nuancen, Anspielungen und Beobachtungen durchzogen, die zeigen, wie stark die Abweichung von der Norm das Leben beeinflussen kann. Und obwohl Erneste eine tragische Figur ist, erhält er doch eine Würde und Wertschätzung, die mich beeindruckt hat: ein Ansporn, dass man heute wie früher für sein Glück als homosexuell l(i)ebender

Alain Claude Sulzer, Ein perfekter Kellner, Edition Epoca, 2004, ISBN 3-905513-36-6

Margot empfiehlt das Buch:

Andrea Karimè "Die Briefträgerin"

Andrea Karimè, Die Briefträgerin, Roman, Konkursbuchverlag, 2004, 217 Seiten, ISBN 3-88769-702-2

„Feigen und Honig verkochen zu lassen zu lächelndem Schnee, das ist das Wunder; das ist das Wunder, sprach Hamida zu ihren Freundinnen.“ So lässt Karime ihren Roman beginnen, eine Liebesgeschichte wie aus 1001 Nacht, aber auch ein Albtraum aus Verfolgung und Todesangst. Poetisch, in einer bildgewaltigen Sprache erzählt die libanesisch-deutsche Autorin vom miteinander verwobenen Leben dreier junger Frauen, sie erzählt von Saras zwei großen Lieben: von der gegenwärtigen zu Houda und von der vergangenen zu Hamida. Der fliegende Wechsel zwischen diesen beiden Realitäten, zwischen gegensätzlichen Stimmungslagen und Kulturen und zieht dabei beim Lesen in den Bann. Sara und Houda, beide binationaler Herkunft und in Deutschland lebend, verbindet eine äußerst sinnliche, zärtliche Liebe, eine Liebe, die „das Herz verwirrt und es schäumen lässt wie wildes Wasser“. Sie leben aber auch ein Leben in und zwischen zwei Kulturen, kräftezehrend und

manches Mal Angst machend. Sara ist in Deutschland aufgewachsen, hat einen Teil ihrer Jugend bei ihrem Vater im Libanon verbracht und dort ihre erste große Liebe erlebt. Doch diese Liebe zu Hamida, der Aushilfsbriefträgerin, wird für beide lebensbedrohend, als sie von der Familie entdeckt wird. Die beiden Frauen werden getrennt, ihre Wege verlieren sich, Sara wird mit Psychopharmaka vollgestopft. Erst Jahre später, Sara lebt inzwischen in Deutschland, setzt während der Arbeit an ihrem neuen Roman die Erinnerung an Hamida wieder ein. Sie macht sich auf die Suche nach ihr und was sie am Ende findet, war für mich unerwartet und überraschend. Manchmal etwas verwirrend und mit für mich nicht immer ganz schlüssigen Wendungen, in einer wunderschönen, bilderreichen Sprache gehalten, sinnlich, erotisch, spannend, insgesamt ein vielschichtig und fesselnd inszenier ter Roman, empfehlenswert.

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Bibliotheksgruppe Ingrid consiglia il libro:

Delia Vaccarello "L’amore secondo noi. Ragazzi e ragazze alla ricerca dell’identità" Il libro di Delia Vaccarello “L’amore secondo noi” tratta la tematica dell’adolescenza di lesbiche e gay, mostrando le difficoltà che i giovani omosessuali incontrano nella ricerca di se stessi.“L’amore secondo noi” sottolinea la diversità e la specificità del sentimento dell’amore nato tra persone dello stesso sesso, restando lontano dalla

banalità e calandosi sempre nelle esperienze concrete, dando spazio alla voce di ragazzi e ragazze che si domandano “chi siamo?”. Per capirlo si parte dall’amore. Delia Vaccarello attraverso le parole degli adolescenti, i loro pensieri, il loro linguaggio leggero, coglie in particolare i problemi che le giovani e i giovani adolescenti devono

affrontare in ogni ambito della vita: la famiglia, la scuola, le amicizie, in una società che ancora oggi discrimina e rifiuta. “L’amore secondo noi” è anche un libro informativo, indicato quindi pure per genitori che si pongono domande sui propri figli e figlie diversi e che vorrebbero delle risposte per poterli capire meglio.

Delia Vaccarello, L’amore secondo noi. Ragazzi e ragazze alla ricerca dell’identità, Mondadori, 2005, 248 p., ISBN: 880454404X

Walter empfiehlt den Film

SOMMERSTURM

Tobi (Robert Stadlober) und Achim (Kostja Ullmann) sind Freunde. Während Achim in Tobi nur den besten Freund und Kumpel sieht, mit dem er zwischendurch seine sexuellen Phantasien auslebt, empfindet Tobi mehr für Achim. Er möchte Achim seine Liebe gestehen, weiß nur nicht wie, wann und wo. Beide sind Mitglied im örtlichen Ruderclub und freuen sich auf die Fahrt ins Sommercamp und auf den damit verbundenen Ruderwettkampf. Mit dabei sind auch Achims Freundin Sandra und deren Freundin Anke. Während die Beziehung zwischen Achim und Sandra immer intensiver wird, Anke sich in Tobi verliebt und ständig herauszufinden versucht, ob Tobi ihre Gefühle erwidert, fühlt Tobi sich zunehmend von der komplexen Situation überfordert. Als auch noch eine schwule Rudermannschaft ankommt, die offen ihre Homosexualität zeigt, kann Tobi seiner eigenen Homosexualität nicht mehr ausweichen: Er lässt sich an einem heißen Nachmittag verführen. Mutig entscheidet er sich daraufhin zum Coming-out vor der ganzen Gruppe.

Marco Kreuzpaintner erzählt in SOMMERSTURM auf humorvolle, einfühlsame und Deutschland 2004 authentische Weise von den emotionalen Regie: Marco Kreuzpaintner Irrungen und Wirrungen des ErwachDarsteller : Rober t Stadlober, Kostja senwerdens. Mit einem erfrischend unbeUllmann, Alicja Bachleda-Curus, Tristano schwerten Ensemble junger Darsteller finCasanova, Marlon Kittel, Miriam Morgen- det Kreuzpaintner eine hinreißend leichte stern, Hanno Koffler, Jürgen Tonkel Balance zwischen Tragik und Komik und FSK: ab 12 - Länge: 98 min. trifft damit direkt ins Herz des Zuschauers:

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Ein Film über die erste Liebe, die Suche nach dem eigenen, ganz persönlichen Glück und die Erkenntnis, dass letzten Endes alle im selben Boot sitzen, egal ob heterosexuell oder schwul. Es ist ein Film über Sehnsüchte, Ängste, Vorurteile, es ist ein Film über die Liebe, die so schön, manchmal aber auch so hart sein kann, wenn man noch nicht gelernt hat, sie zu nehmen, wie sie ist. Als ich den Film vor einem Jahr das erste Mal sah, war ich begeistert und überwältigt. Diesen Film, der mich mit einem Schlag in meine Jugendzeit zurücksetzte, Erinnerungen und Emotionen weckte, die ich längst vergessen glaubte, diesen Film, der die Zeit der Entdeckung der Liebe wachrief und die Erinnerung an einen lieben Freund, ja diesen Film wollte ich mir unbedingt noch einmal ansehen. Und das tat ich auch, und nicht nur einmal. Der Film eignet sich besonders für Jugendliche, die die Liebe entdecken, er zeigt einen Weg auf, mit den Wirrungen und oft beunruhigenden homosexuellen Gefühlen umzugehen. Er eignet sich zudem hervorragend für ErzieherInnen, die Homosexualität als Teil der Sexualerziehung ansehen und versuchen, die sich daraus ergebenden Problematiken mit Jungendlichen aber auch mit Erwachsenen anzusprechen und aufzuarbeiten. Ein wirklich sehenswerter Film!


Generationen

Ich finde das Verhalten älterer Schwuler untolerant Ein Schatten bewegt sich durch die Lauben in der Bozner Freiheitstraße. Wie ein Verbrecher schlender t ein 20 - jähriger Junge mit Levi’s-Jeans und übergroßen Sweatshirt unter den Grieser Arkaden entlang. Sein Herz pocht so schnell wie noch nie und er ist kurz davor wieder umzudrehen. Aber diesmal will er nicht feig sein, diesmal wird er hineingehen; Hinein in den Park, vor dem ganz Bozen warnt ,wenn es dunkel wird. Je näher er der Talferbrücke kommt, desto weniger kann er es erwarten endlich Menschen kennen zu lernen, die so sind wie er. Simon ist 20 Jahre jung, Student und schwul. Letzteres hat er sich aber erst vor kurzem eingestanden. Schwul sein ist für ihn bisher etwas Weltfremdes gewesen, etwas, wovon man

Generationen im Konflikt Stefan Schreyoegg einmal im Radio gehör t hat oder in einem Klatschblatt gelesen hat, aber nichts Vertrautes, nichts „Normales“. Max ist fast gleich alt wie Simon, gerade ist er 17 geworden. Ein neuer Laptop stand ganz oben auf seiner Wunschliste und mit ihm, der Schlüssel zum world-wide-web. Seitdem ist er nächtelang online. Seine neuen Freunde heißen „gayguybz1984“ und „hot4u-now“. Er ist es inzwischen gewohnt die Chats kategorisch nach Südtirolern unter 21 abzusuchen. Mit zwei Jungs steht er regelmäßig in Kontakt, einem hat er sogar schon seine Handynummer gegeben und mit dem wird er

sich demnächst in einer Bar in Bozen treffen. Geoutet ist Max bisher nur bei seiner besten Freundin, aber bei den Eltern wird es auch nicht mehr lange dauern. Immerhin ist Schwulsein nichts Unbekanntes für Max. In den Medien hat er schon oft davon gehör t und von zwei Bekannten seiner Mutter weiß er, dass diese schwul sind. Simon und Max haben viele Gemeinsamkeiten. Beide sind gleich alt, leben in der gleichen Stadt und sind schwul. Einziger Unterschied: Zwischen den beiden liegen 20 Jahre.Während Simon im Jahr 1985 mit 20 Jahren das erste Mal den Petrarca-Park in Bozen betreten hat, entdeckte

Max 2005, mit 17 das „schwule Internet“ für sich. Natürlich wird bei beiden, beim ersten Kontakt, das Herz schlagen. Bei beiden wird die Angst vor dem Entdeckt werden im Hinterkopf für schlaflose Nächte sorgen und der ganze Coming-Out-Prozess einfach nur aufregend sein. Die Dramatik beim Coming Out hat aber im neuen Jahrtausend, im Vergleich zu den 80igern, deutlich abgenommen. Für Simon beschränkten sich 1985 die Möglichkeiten Bekanntschaften zu machen auf Kontaktanzeigen, Park,Toiletten und einer Sauna in Bozen. Max dagegen wusste schon lange, dass es in Bozen eine Schwulen-Bar, einen „schwulen Verein“, regelmäßige Diskoabende sowie, dass es ein breit gefächertes Internet-Angebot gibt. Kein Wunder also, dass

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Generationen

die Begriffe „Cruising-Park“ und Klappenloch für Max wie Fremdwörter klingen und auch andere Jugendliche in seinem Alter heute nichts mehr damit anfangen können. Genau am Beispiel der unterschiedlichen Lebensweisen wird klar, dass man/n von zwei verschiedenen Generationen spricht, die anders zu sich selbst gefunden haben. Die ihr Coming-Out in zwei verschiedenen Welten hatten und dadurch heute unterschiedlich leben bzw. unterschiedlich mit ihrem „Schwul-Sein“ umgehen. Dieter ist fast 50, Meraner, und erzählt gerne von früher. Er erzählt regelmäßig von den Nächten in den Meraner Parks Anfang der 80iger und immer wieder von der großen Angst entdeckt zu werden. „Wenn mich damals jemand erwischt hätte, dann hätte ich garantiert mein Geschäft zu tun können“, meint Dieter in einem

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beschwörenden Ton. Heute hat sich auch für ihn viel verändert. Viele wissen zwar inzwischen von seiner Homosexualität, trotzdem möchte er strikt sein Berufsleben von seinem Privatleben trennen und meidet ein offizielles Coming Out selbst bei seiner Angestellten, die ihm seit Jahren zur Seite steht. Auf Fragen wie PACS oder Homoehe reagiert er nur mit einem Kopfschütteln und meint dazu: „Ich finde es zwar gut, dass junge Leute immer öfter zusammenziehen und wie normale Pärchen wohnen, aber die Ehe ist etwas für Mann und Frau.“ Auf die Nachfrage, was er unter „normale Pärchen“ versteht, antwortet er kurz: „ja halt ein Pärchen bestehend aus Mann und Frau“. Für die meisten schwulen Jugendlichen dagegen ist eine Verbindung zwischen Mann-Mann und Frau-Frau gleich „normal“ wie die klassische Mann-FrauBeziehung.

Die Mehrheit der jungen Generation hat diesbezüglich einfach eine andere Ansichtsweise. Dank der Erfindungen von Handys und Internet einerseits und dank älterer Schwuler, die sich seit Jahren für Toleranz, Akzeptanz und für rechtliche Gleichstellung einsetzen andererseits, können schwule Jugendliche heute einfach besser und unbeschwerter leben als früher. Selbst das Wort „normal“ wird anders interpretiert als noch vor ein Paar Jahren. Mit sich getragen haben diese Veränderungen unter anderem, dass sich bei heutigen Generationen schwuler Jugendlicher der Selbstfindungsprozess und das damit verbundene Coming Out, durchschnittlich, immer früher vollziehen. Bei Karl und Walter, heute um die vierzig, war das noch anders. Während man heute immer öfter auch auf Minderjährige bei Südtiroler „Gay-Events“ trifft, hatten Karl und Walter ihr

Coming Out erst Anfang der 1990er mit 25, bzw. 29 Jahren. Seit ein paar Jahren sind beide „komplett“ geoutet und leben inzwischen gemeinsam in einem kleinen Haus im Pustertal. Von ihrer Homosexualität wissen, laut ihnen, inzwischen „alle“ und trotzdem meiden sie es in der Öffentlichkeit gemeinsam aufzutreten. Bereits freundschaftliche Berührungen sind für beide in Gegenwart von anderen ein absolutes Tabu. Sie wollen nicht auffallen, lediglich ein „gewöhnliches Leben“ führen und vor allem nicht mit öffentlichen Berühr ungen oder Küssen „provozieren“. Beide sind sich einig, dass weltweite Protestumzüge seit den 80er Jahren (sog. Prides) sich positiv auf die gesellschaftliche Haltung gegenüber Schwulen und Lesben ausgewirkt hat. Bei der Frage, welchen Sinn heute Prides haben, sind Karl und


Generationen Walter sich uneinig. Während Walter noch heute, die so genannten Prides für Pflicht im Kampf um Toleranz hält, ist Karl anderer Meinung. Laut Karl schaden das „tuntige Getue“ und das übertriebene extravagante Auftreten bei Prides dem Ansehen der Schwulen. Er macht auch kein Geheimnis daraus, dass er froh ist, dass Südtirol noch zu den wenigen Orten gehört, wo keine solche „überzogenen Protestveranstaltungen“ stattfinden. Andreas dagegen ist einer der Zwanzigjährigen, die gern solche Paradeumzüge besuchen. Für ihn ist Auffallen ein Nebeneffekt des Schwulseins. „Es ist normal, dass die Leute schauen wenn ich meinen Freund in der Öffentlichkeit küsse. Es ist einfach nicht alltäglich bei uns zwei Männer küssend zu sehen, das Gaffen ist daher verständlich!“, meint Andreas. Für die Haltung

von Männern wie Karl hat er weniger Verständnis: „Ich will einfach leben wie meine heterosexuellen Freunde.Verstellen tue ich mich sicher nicht. Wenn ältere Schwule meinen, dass ich mich provokant verhalte wenn ich meinen Freund küsse und das mitfeiern bei Prides als kontraproduktiv einstufen, dann find ich deren Verhalten untolerant!“ Untoleranz unter Personen, die alle gemeinsam für Toleranz kämpfen? Während die einen sich mehr Zurückhaltung bei den Jungen wünschen, verstehen die anderen das teilweise verklemmte Dasein der anderen nicht. Auch wenn die inter viewten Personen nicht repräsentativ für ganze Generationen sind, so geben sie einen Einblick in das

unterschiedliche Denken, der unterschiedlichen Jahrgänge. Es wird augenscheinlich, dass sich die Zeiten geändert haben. In der Schwulenwelt sogar mehr als irgendwo anders. Was vor 20 Jahren noch als Krankheit galt und heimlich gelebt wurde, wird heute als „Veranlagung“ oder „Begabung“ bezeichnet und einfach ausgelebt.Während früher die Polizei „unsittliches Verhalten“ bestrafte, kümmert diese sich heutzutage um die Sicherheit bei Veranstaltungen wie Prides, bei denen jedes Jahr hundert Tausende Menschen in allen Großstädten der Welt, einen Tag lang, schwul und lesbische Liebe feiern. Auch wenn Südtirol noch pride-frei ist, gibt es genug Südtiroler, die seit zwei Jahren kräftig bei der

Namen der Personen wurden geändert

Innsbrucker Regenbogenparade mitfeiern. Und genauso, wie sich die Zeiten verändert haben, haben sich auch die Menschen mit der Zeit geändert. Laut Andreas, sollten die Älteren endlich aufhören auf seine Generation eifersüchtig zu sein, nur weil diese, ihre Jugend nicht so unbeschwert ausleben konnte. Der „ältere“ Walter wirft der heutigen schwulen Jugend dagegen vor, dass viele von seiner Generation für dieses unbeschwerte Leben gekämpft haben, von dem homosexuelle Jugendliche heute profitieren. Abschließend fügt er noch hinzu, dass er sich dafür Respekt und Dankbarkeit vom Nachwuchs erwarte. Eigentlich schön, dass sich in den letzten Jahren auch unter homosexuellen Männern, die Generationen in die Haare kommen. Irgendwie macht das, Schwulsein ein Stück „normaler“.

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?Wissenschaft

Transsexualität, Psychotherapie und Gesellschaft

Transsex Psycho und Gesells Iris Maria Vinatzer

a s T h e m a Tr a n s s e x u a l i t ä t f o r d e r t e i n e gesellschaftskritische Sichtweise regelrecht heraus, obwohl gerade transsexuelle Frauen und Männer in ihrem innigen Wunsch nach eindeutigem Frau- oder Mannsein die zweigeschlechtliche Gesellschaftsordnung bestätigen. Dieser Wunsch kann mit den heutigen medizinischen Behandlungsmöglichkeiten weitgehend verwirklicht werden. Die Geschlechtsangleichung ermöglicht ein Leben im „richtigen Körper“, auch als Identitäts- oder Wunschgeschlecht bezeichnet.

D

Der Psychotherapie kommt dabei eine besondere und ungewöhnliche Rolle zu.

Der folgende Text besteht aus der Zusammenstellung einiger ausgewählter Ausschnitte aus meiner Diplomarbeit „Zur Bedeutung der Psychotherapie in der Behandlung transsexueller Frauen und Männer“ (Institut für Psychologie, Universität Innsbruck, 2004)1 .

Sozialkonstruktivistische Sichtweise

s gibt keinen neutralen Körper, denn das, was wir als biologischen Körper definieren, ist bereits gesellschaftlich „eingeschrieben“2 - Frausein und Mannsein unterliegt immer gesellschaftlichen Normen bezüglich Geschlechterkonstruktion /-produktion und Sexualität und ist insofern immer ein Produkt gesellschaftlicher

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Prägung, genauso wie Heterosexualität und Homosexualität. Unsere Gesellschaft ist zweigeschlechtlich, kennt also nur Frau vs. Mann, die sich „naturgemäß“ heterosexuell verhalten (sollten). Auch Transsexualität ist in diesem Sinne ein gesellschaftliches Konstrukt. Die theoretischen Darstellungen von Ärzten

und Psychiatern hingegen sind in erster Linie klinisch-biologistisch ausgerichtet; sie wie auch die Darstellungen der Betroffenen selber - legen den Schwerpunkt auf den „falschen Körper“ und tendieren insofern dazu, die gesellschaftliche Perspektive zu „naturalisieren“.

Klinische Sichtweise und medizinisch-psychotherapeutische Behandlung ranssexualität bedeutet vereinfacht ausgedrückt, dass der biologische Körper und das verinnerlichte Identitätsgeschlecht der betroffenen Personen nicht übereinstimmen. Eine Mann-zu-FrauTranssexuelle (MtF) besitzt einen männlichen Körper, fühlt sich aber als Frau; ein

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Frau-zu-Mann-Transsexueller (FtM) besitzt einen weiblichen Körper, fühlt sich aber als Mann. Die innere Identifizierung und Gewissheit der eigenen geschlechtlichen Identität, den realen körperlichen Gegebenheiten zuwider, erzeugen bei den Betroffenen einen sehr starken Leidensdruck

(Geschlechtsdysphorie), da ein Leben entsprechend der gefühlten Geschlechtsrolle im „falschen“ Körper mehr oder weniger unmöglich ist. Deswegen streben die meisten transsexuellen Frauen und Männer eine operative Geschlechtsumwandlung inkl. Hormontherapie an, die aufgrund der


Wissenschaft modernen medizinischen Möglichkeiten eine weitgehende körperliche Angleichung an das Wunschgeschlecht ermöglicht.

dem Gegengeschlecht und der Wunsch nach einer operativen Geschlechtsangleichung hingegen stabil.

Die derzeit übliche Behandlung inkludiert mehrere Behandlungsschritte, wozu auch der sogenannte Alltagstest (Geschlechtsrollenwechsel vor der Operation) und die Psychotherapie gehören. Neben der Differenzialdiagnostik gelten sowohl der Alltagstest als auch die verpflichtend vorgeschriebene Psychotherapie als Behandlungsauflagen, die der Absicherung der Diagnose Transsexualität dienen. Die Diagnostik und ihre umfangreiche Absicherung werden als notwendig angesehen, um irrtümliche Geschlechtsumwandlungen zu verhindern, was mit der Irreversibilität der Behandlung begründet wird. Tatsächlich manifestiert sich der Wunsch nach Geschlechtsumwandlung auch im Zusammenhang mit Psychosen und Persönlichkeitsstörungen, in diesen Fällen jedoch nur vorübergehend. Bei gegebener Transsexualität sind die Identifizierung mit

Transsexualität gilt aus psychiatrischer Sicht als „Störung der Geschlechtsidentität“ […]. Dem derzeitigen Wissens- und Erfahrungsstand nach ist die transsexuelle Symptomatik pychotherapeutisch nicht heilbar und auch über Psychopharmaka nicht beeinflussbar. Deswegen hat sich eine operative Geschlechtsangleichung als Behandlungsmethode erster Wahl durchgesetzt, da nur auf medizinischem Wege eine Übereinstimmung zwischen Identitätsgeschlecht und Körper herstellbar ist und dadurch den Betroffenen endlich ein Leben im Wunschgeschlecht ermöglicht wird. Ausgehend von psychodynamischen Überlegungen soll die Geschlechtsangleichung auch eine Stabilisierung der Geschlechtsidentität, eine psychische Weiterentwicklung und eine zufriedenstellende soziale Verortung im Identitätsgeschlecht begünstigen.

Der Psychotherapie wird neben ihrer diagnostischen Funktion eine stützende und begleitende Aufgabe im Prozess des Geschlechtswechsels zugeschrieben. Es handelt sich insofern um eine besondere Form von Psychotherapie, als dass die transsexuelle Symptomatik nicht geheilt, sondern vielmehr abgesichert und stabilisiert werden soll. Außerdem ist diese psychotherapeutische Behandlung im Rahmen der Gesamtbehandlung ein verpflichtend vorgeschriebener Bestandteil, ohne deren Absolvierung keine Zulassung zu geschlechtsangleichenden Operationen erfolgt. Zum Abschluß der Psychotherapie wird von der Therapeutin / dem Therapeuten ein Gutachten ausgestellt, das die operative Geschlechtsumwandlung befürwortet (oder nicht). Und insofern ist die Psychotherapie auf existenzielle Art und Weise mit der weiteren Lebensgestaltung der transsexuellen Frauen und Männer verknüpft, denn von diesem und einem weiteren Gutachten hängt es ab, ob das ersehnte Leben im Wunschgeschlecht Realität wird.

xualität otherapie Plädoyer für eine tolerantere und geschlechtlich vielfältigere Gesellschaf

lsVoraussetzung für einen offeneren und weniger psychopathologisch geprägten Umgang mit der Transsexualität erachte ich eine grundsätzlich tolerantere und geschlechtlich vielfältigere Gesellschaft, in der es weniger selbstverständlich ist, dass es ausschließlich zwei Geschlechter gibt und in der homosexuelle und bisexuelle L(i)ebensweisen gleichberechtigt neben der vorherrschenden Heterosexualität anerkannt werden. Dies setzt für mich voraus, dass ein biologisch weiblicher oder männlicher Körper nicht mehr die Bedingung für eine eindeutige Zuweisung zu einer weiblichen oder männlichen Geschlechtsrolle darstellt und dass ausgehend von der biologischen Ausstattung nicht ausschließlich sexuelle Liebesbeziehungen mit Ver treterInnen des biologischen Gegengeschlechts als „normal“ oder zumindest als vorrangig gesellschaftlich erwünscht gelten, sondern dass einzigartige menschliche Individuen sich für multigeschlechtliche Rollen entscheiden, die ihren individuellen Vorlieben

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und Fähigkeiten entsprechen.

tiver Geschlechtsangleichung.

Es ist mir klar, wie utopisch solche Gesellschaftsentwürfe klingen und wie sehr sich die gesamten Herrschaftsverhältnisse unserer nach wie vor patriarchalisch geprägten Gesellschaftsordnung ändern müssten, um entsprechende Wahlfreiheiten zu ermöglichen. Außerdem ist mir bewußt, dass ich hiermit auch dem subjektiven Erleben von transsexuellen Menschen und ihren Anliegen widerspreche. Ich gehe allerdings davon aus, dass die geschlechtlichen Prägungen im allgemeinen so früh ansetzen und so umfassend sind, dass wir alle uns gar nicht vorstellen können, was es bedeuten würde, anstatt in einer zweigeschlechtlichen und heterosexuellen in einer multigeschlechtlichen und „geschlechtspartnerwahlfreien“ Gesellschaft heranzuwachsen und zu leben. Ich denke, dass es trotzdem Transsexualität gäbe, doch vermutlich wäre der Leidensdruck wesentlich weniger stark und vielleicht gäbe es einen vielfältigeren Umgang, sowohl ohne als auch mit opera-

Die zukünftigen Entwicklungen werden zeigen, welche Richtung die Behandlung Transsexueller nehmen wird. Auf jeden Fall hoffe ich, dass die Anliegen der Betroffenen auf partnerschaftlichere Art und Weise berücksichtigt werden, wozu entsprechend dem Vorschlag einer Interviewpartnerin die Bildung von Arbeitskreisen aus Betroffenen und BehandlerInnen sinnvoll wäre. Außerdem hoffe ich, dass der Einbezug einer gesellschaftskritischen Perspektive zu mehr Toleranz und Offenheit gegenüber transsexuellen Frauen und Männern beiträgt. Die sozialkonstruktivistische Sichtweise der zweigeschlechtlichen Gesellschaft erachte ich nicht nur für das Verständnis der Transsexualität als wertvoll, sondern auch für jeden einzelnen Menschen im Hinblick auf eine differenziertere geschlechtsbezogene Selbst- und Fremdwahrnehmung und als Ausgangspunkt für vielfältigere und reflektiertere HandlungsSPIELräume als „Frau“ und als „Mann“.

schaft 1 auszuleihen in der Fachbibliothek für Homosexualität oder in der Tessmann-Bibliothek 2 nach Butler, J. (1991). Das Unbehagen der Geschlechter.

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Jugendgruppe

U27 Eine schwullesbische Jugendgruppe stellt sich vor Stefan Schreyoegg / Christoph Tauber Es ist Samstag Abend in der Bozner Industriezone. Am Sitz des Centaurus in Bozen ist ein Fest im Gange. Leute kommen und gehen. Die Räumlichkeiten in der Galileistraße sind angefüllt von Menschen, die sich unterhalten und sich im Rhythmus der Musik hin und her bewegen. Jugendliche findet man wenige, welche sich dort mit ihren Freunden unterhalten. Beim Großteil der Gäste der Feier nähert sich der 30igste Geburtstag, andere haben ihn schon längst hinter sich. Mancher feiert ihn in diesem Jahr schon zum vierten Mal.

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Schauplatzwechsel. Samstag Abend. Sernesiplatz in Bozen. Vor dem Lokal Samba sitzen viele junge Menschen an den Tischen und unterhalten sich. Viele, die das Lokal besuchen, sind schwul oder lesbisch. Viele Jugendliche sind darunter. „Centaurus? - Das ist doch ein Verein von den Alten… “ bekam man meistens zurück, wenn man die jungen Schwulen und Lesben auf Centaurus angesprochen hatte. Kein Ort also, wo man sich unterhalten und Spaß haben kann. Dabei waren die meisten von ihnen noch nicht einmal dort und haben

ein Fest besucht. Der Ruf des „Treffpunkts für Ältere“ hing dem Centaurus nach und nichts konnte dieses Vorurteil entkräften. Alle Bemühungen des Vorstandes von Centaurus auch die Jugendlichen zu den Treffpunkten im Sitz zeigten nur mäßigen Erfolg. Im März konnten jedoch zwei junge Schwule dazu gewonnen werden, etwas für die jungen Schwulen und Lesben in Südtirol zu organisieren. Am 8. März 2006 fand in der Folge die erste Jugendparty für Schwule, Lesben, Bisexuelle und Transsexuelle Menschen unter 27 Jahren statt.


Jugendgruppe

Diese Party war ein voller Erfolg. Bis zu 50 Personen unter 27 tummelten sich an diesem Abend in den Räumlichkeiten des Centaurus. Ein erster Kontakt zum Verein konnte hergestellt werden. Diese Jugendparty war der Startschuss für die „Jugendgruppe - gruppo giovanile U27“, welche in der Folge bereits eine weitere Jugendparty, zwei Filmabende, sowie einen Informationsvortrag an einer Bozner Oberschule organisiert. Junge Schwule und Lesben von Centaurus haben sich auch beim viel besuchten Jugendfestival „Schools Out Open Air 2006“ mit einem Informationsstand der Öffentlichkeit gezeigt und Südtirol ein wenig „normaler“ gemacht.

Einfach ist es ja nie aus dem Nichts heraus zu starten und etwas aufzubauen. Besonders dann nicht, wenn man nicht einmal weiß, was die Bedürfnisse der Menschen sind, die man mit seiner Arbeit ansprechen möchte. Besonders dann, wenn es sich um junge Schwule und Lesben in Südtirol handelt, von denen man noch weniger weiß als vom Rest der Jugend. Was wäre denn einfacher, als die Leute zu fragen, was ihre Bedürfnisse sind? Genau das haben sich Christoph und Stefan, die Organisatoren der ersten Jugendpar ty, auch gedacht und haben den Partygästen einen Fragebogen mit 22 Fragen ausgeteilt. Die Fragen reichten vom Alter bis hin zu

einer Einschätzung, wie sich es als junger Schwuler/junge Lesbe in Südtirol lebt. Diese Umfrage ist zwar nicht repräsentativ für Südtirol, jedoch gibt sie einen Einblick in das Leben und Denken schwuler und lesbischer Jugendlicher in Südtirol und ist damit südtirolweit bislang einzigartig. Die Ergebnisse sind in der untenstehenden Infobox zusammengefasst. Wer weitere Informationen benötigt oder die gesamte Umfrageergebnisse einsehen will, kann diese als PDF-Dokument unter youth@centaurus.org anfordern. Die Umfrageergebnisse liegen auch in der Bibliothek von Centaurus auf.

Infobox: Jung und homosexuell in Südtirol – eine Umfrage Am Ende der ersten Jugendparty konnten 45 ausgefüllte Fragebögen ausgewertet werden, wobei zehn Personen einen italienischen und 35 Personen eine deutsche Fassung des Fragebogens ausgefüllt haben.Von 18 bis 26 Jahren waren alle Altersgruppen ausgeglichen vertreten, ebenso wie die geo-

grafische Verteilung der Partybesucher. Zwei von drei BesucherInnen der Party waren schwul, nur etwa 11 % waren lesbisch. Von den 18% Bisexuellen waren zwei Frauen und sechs Männer, welche sich ins Partygetümmel gestürzt haben.

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Jugendgruppe

Coming Out Das Coming Out, ist eine schwierige Phase im Leben eines junge Schwulen, einer jungen Lesbe. Das Ergebnis (93% sind mindestens bei einem Freund(einer Freundin geoutet) ist nicht sehr verwunderlich, da es einen gewissen Mut braucht, die Schwelle des Centaurus Sitzes in Bozen zu überschreiten.

Jedoch besteht weiterhin ein Unterschied in den gesellschaftlichen Bereichen, in denen

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die Befragten ihre Homosexualität offenbarten, wie die nachstehende Grafik zeigt, ist der Großteil weiterhin im engsten persönlichen Umkreis geoutet. Der Prozentsatz ist beinahe doppelt so hoch wie bei den etwas „entfernteren“ gesellschaftlichen Bereichen wie der Schule, der Universität oder bei der Arbeit und im Freizeitverein. Es besteht also noch immer einige gewisse Hemmschwelle sich außerhalb der Familie oder des Freundeskreises zu outen.

Das Durchschnittsalter beim ersten Outing liegt bei ca. 18,4 Jahren Jahren. Der

Jüngste war, als er sich das erste Mal outete 14 Jahre, der älteste tat dies mit 25 Jahren.

Frauen outen sich später als Männer, dies geht aus der Befragung hervor. Die anwesenden Frauen waren alle geoutet, doch war das Durchschnittsalter beim ersten Outing mit 19,88 Jahren um 2 Jahre höher als das der Männer, welche sich bereits mit knapp 18 Jahren das erste Mal geoutet

haben. Auffallend ist, dass die Frauen sich nur bei einigen Freunden und Freundinnen geoutet haben und davor zurückschrecken sich ihrer Familie anzuvertrauen. Die schwulen und bisexuellen Männer hingegen hatten weniger Hemmungen sich ihrer Familie anzuvertrauen.


Jugendgruppe

Veranstaltungsangebote und Szeneveranstaltungen Südtirol hat noch viel Nachholbedarf in Sachen Einrichtungen/Veranstaltungen. Drei Vier tel, nämlich 33 der befragten Jugendlichen sahen das Angebot für Homosexuelle in Südtirol als ungenügend bis genügend an.

Die Jugendlichen suchen ihr Heil in der Flucht suchen, indem sie außerhalb der Provinz versuchen homosexuelle Jugendliche kennen zulernen. Dabei zieht es sie vor allem nach Innsbruck zu den nördlichen Nachbarn und nach Verona zu den südlichen Nachbarn.

Generation-Gap bei Centaurus? Welche Altersgruppe wird von Centaurus am ehesten vertreten? Zwei Fünftel gaben an, dass Centaurus eher die ältere bzw. alle Altersgruppen gleich vertritt. Ein Fünftel war der Meinung Centaurus vertrete eher die Jüngeren. Bei den deutschsprachigen Besuchern meinten sogar fast 50%, Centaurus vertrete die ältere Generation und lediglich 6% schätzen Centaurus eher als Verein der Jugend ein.

Auch bei den Aktivitäten müsste sich Centaurus verbessern, denn ca. 70 % der Befragten wünschen sich eine Erweiterung des Aktivitäten-Angebots. Öffentlichkeitsarbeit steht dabei an erster Stelle. Fast die Hälfte (44%) würde gerne mehr vom Verein in der Öffentlichkeit sehen und noch ganze 38% wünschten sich mehr Aufklärungsarbeit.

Centaurus & Internet Die Homepage von Centaurus ist das Informationspor tal für junge Schwule und Lesben in Südtirol. Beinahe 80% der Jugendlichen kannten die Homepage von Centaurus, immerhin die Hälfte davon nutzt sie regelmäßig. Die Welt des Internets bietet auch den Südtiroler Jugendlichen ein Fenster in die Weite Welt. Chat- Seiten, wie www.gayromeo.com, www.gay.tv,www.

me2.it, www.gaytirol.at, www.gay.it, www.gaydar.com und www.popkorn.it wurden von den meisten männlichen Jugendlichen genannt. Für Frauen gibt es keine vergleichbaren Seiten um andere Lesben kennenzulernen, da sie sich mit Angaben zurückhielten und nur eine einzige junge Frau eine Homepage nannte, nämlich www.rainbow.or.at.

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