7 minute read
Esche zu Esche, Laub zu Laub
von Patti Basler
Sie sei Flötistin, stellt sie sich vor, sie beherrsche nicht nur die Königin der Nacht, sondern auch das Trillieren der Amsel, das Heulen des Uhus sowie die vier Jahreszeiten. Und sie könne gleichzeitig Flöte spielen, singen, rappen und dabei sogar ständig Pirouetten drehen. Wo denn das Problem liege, fragt die Ärztin nach. Um ehrlich zu sein, antwortet Erdmutter Gaia seufzend, ihr gehe einfach die Puste aus. Sie pfeife aus dem letzten Loch.
Erst habe sie noch gedacht, das seien einfach die Wechseljahre oder wie man es heute nenne : Das Change-Management. Hitzewallungen, Kurzatmigkeit. Aber das Fieber lasse einfach nicht nach. Obwohl sie durchaus auch Jazz und Hiphop liebe, sei es ein absoluter Albtraum, das Allerschlimmste für sie als klassische Flötistin passiere ihr immer öfter : Atemlos durch die Nacht.
Da helfe wohl nur eine Bronchoskopie, eine Lungenspiegelung, meint die Ärztin, denn die zarten Verästelungen der Bronchien scheinen gefährdet. Ein grosser Teil sei bereits kollabiert oder wie man es heute nenne : burnt out. Doch es sei noch nicht zu spät. Der Wald, die grüne Lunge der Erde, sei ein regeneratives Gewebe. Der Wald, er grünt so grün, hat bereits Mozart geträllert, der Specht klopfet laut. Heute klopft vor allem der urbane Freizeitsportler den Takt. Statt liebestolle Hirsche röhren die Motoren der SUVs, die dann aber am Ende der geteerten Strasse abgestellt werden, um wahlweise Hunde, Yogamatten, Mountainbikes oder Kinderwagen zu entladen. Statt nach dem Rehkitz rufen die Stadt-Kids nach ihrer Mutter, weil sie vor lauter Bäumen den Wald nicht sehen. Doch die Bäume sind gar nicht lauter. Immer leiser werden sie. Pilze und Käfer, welche die neue warme Umgebung lieben, breiten sich aus. Die Überreste werden nicht von Holzbläsern, sondern von Laubbläsern zur letzten Ruhestätte geleitet. Bald heisst es : Esche zu Esche, Laub zu Laub. Die Vögelein schweigen im Walde. Da flattert kein bibliophiler Buch-Fink, oder wie man ihn auf latei- >
nisch nennt : Ein Ko-Libri. Kein Waldweiher mit tratschenden und quakenden Motz-Enten, viel mehr ein Waldseminar mit beratenden Dozenten.
Die hohe Tanne, die sich im Winde wiegt, ist eine Übung, welche die Yoga-Influencerin einer ausgewählten Follower-Gruppe vorzeigt, direkt neben Waldkindergarten und Family-Grill. Da sieht man das Dehnen von Jogging-Lady und Waldszenen von Turnschuh-Mann. Der Wald ist Erholungsort für Alt und Jung, gezähmter Lifestyle, mehr Bieber als Biber. Inzwischen findet man weniger Stefan Zweig, dafür mehr Florian Ast.
Wer Ahorn sägt, muss nicht B-Horn blasen. Ungerührt singt die Spottdrossel. Das sei ja ein grauenhafter Befund, meint Mutter Erde, was denn hier zu tun sei, das Rauchen habe sie ja eigentlich aufgegeben und der Trainingsplan sei voll, mehr als eine Runde um die Sonne jährlich schaffe sie beim besten Willen nicht.
Da gebe es nur eins, meint die Ärztin : Neue Bäume pflanzen. Alte Bäume stehen lassen. Die Waldfläche und die Holzmasse stetig vergrössern. So kämen auch die Biker an den Kinderwagen-Wanderern vorbei und die Bären an den nordisch walkenden Walküren, diesen Stock-Enten, diesen Apéro-Häppchen mit Zahnstochern. Und Holz, Holz sei eigentlich ein Hooligan mit masochistischen Zügen : Es wolle erst geschlagen werden und dann vermöbelt. Oder für die Musik instrumentalisiert. Ob Oboe oder Klarinette, klar sei, dass netto mehr CO 2 im Holz der Instrumente gebunden werde, als ein ganzes Blasorchester ausatme.
Man tue also gut daran, der Melodie des Waldes zu lauschen, dem Gesang der Bäume, dem Rhythmus der Natur. Und immer wieder zu musizieren, ein Hohelied auf die Wälder zu singen. Nur wo Luft zum Atmen bleibe, gebe es auch Musik.
Denn wie man ins Waldhorn bläst, so schallt es zurück. ⋅
Patti Basler Die Aargauerin Patti Basler textet, dichtet, slamt und bringt gereimte Ungereimtheiten auf die Bühne. Sie tourt mit ihrem zweiten abendfüllenden Programm durch die Schweiz, moderiert Anlässe und Poetry-Slams oder veranstaltet Workshops. Ob im Radio, Fernsehen oder der Zeitung : Sie unterhält Gäste und Publikum. In unvergleichlichem Tempo kann sie Ereignisse auf- und zusammenfassen, um sie als schnellste Protokollantin der Schweiz direkt auf der Bühne verdichtet wiederzugeben. Sie ist Preisträgerin des Salzburger Stiers 2019 sowie des Prix Walo 2019. Mit dem argovia philharmonic stand sie zuletzt im Dezember 2015 auf der Bühne.
IHR HERZ SCHLÄGT FÜR DIE MUSIK –UNSERES FÜR IHRE GESUNDHEIT
Berühmte Musiker und Komponisten sind Meister ihres Fachs. Ihre Werke sind einzigartig, perfekt arrangiert und bis ins Detail durchdacht. Wir nehmen uns diese Künstler zum Vorbild: Denn dank modernster Medizin, qualifizierter Fachkräfte, optimal abgestimmter Teamarbeit, persönlicher Pflege und Liebe zum Detail zählen unsere Kliniken zu den besten. Ein Unterschied ist jedoch wichtig: Bei uns stehen nicht die Akteure im Rampenlicht, sondern Sie.
Hirslanden Klinik Aarau, Schänisweg, 5001 Aarau, T 062 836 70 00 www.hirslanden.ch
Der Aargau ist einer der waldreichsten Kantone der Schweiz. Über ein Drittel der Fläche ist mit Wald bedeckt. Der Wald ist jedoch überall auf der Welt in Gefahr – nicht nur, aber auch aufgrund des Klimawandels. Der heisse Sommer im Jahr 2018 hat uns im globalen Norden erstmals am eigenen Körper spüren lassen, was Klimawandel bedeutet. Wir haben die Auswirkungen der Hitze an uns selbst gespürt und die Trockenheit in der Natur beobachten können. Wir haben uns daher gefragt, wie Musik dazu beitragen kann, ein höheres Bewusstsein für das Klima, die Natur und insbesondere den Wald zu schaffen. Wie können wir unser Verhältnis zur Natur neu verhandeln? Was für eine Wirkung hat der Wald auf die Musik und das Musikhören? Und wie kann eine
sinnlich-ästhetische Erfahrung aus dem Zusammenspiel von Wald und Musik entstehen? Musik kann emotional berühren und durch sie können wir unsere Achtsamkeit und Wahrnehmung schärfen – auch für unsere Umgebung. Durch ergänzende Beiträge von Experten, die uns Wissen über unterschiedliche Aspekte des Lebensraums Wald mit auf den Weg geben, kann im besten Fall eine direkte, sinnliche Erfahrung entstehen, die unser Fühlen, Denken und Handeln beeinflusst.
In einer Serie von mehreren Hör-Experimenten wollen wir in der Saison 2020/21 den Aargauer Wald in den Mittelpunkt stellen. In neuen Formaten an unterschiedlichen Orten treffen Förster auf Shakuhachi-Spielerinnen,
Ornithologen spazieren mit Flötistinnen, Geigenbauer diskutieren mit Streichern über das Verschwinden der Fichten und Shinrin-Yoku-Meisterinnen laden uns ein, in der Atmosphäre des Waldes zu baden.
Darüber hinaus wollen wir Gutes tun : Bei allen diesen Konzerten kommt ein Teil der Einnahmen dem Aufforstungsprogramm Eden Reforestation Project zugute. Ausserdem gibt es die Möglichkeit, bei jeder Ticketbuchung zusätzlich einen frei wählbaren Betrag für die Aufforstung von Wäldern zu spenden. Denn laut einer im Juli 2019 veröffentlichten Studie des Crowther Lab der ETH Zürich wäre die weltweite Aufforstung von Wäldern auf einer Fläche von 0,9 Milliarden Hektar möglich und könnte so zwei Drittel der vom Menschen verursachten CO 2 -Emissionen aufnehmen. Bäume könnten also dabei helfen, das Klima zu retten.
UNSERE WALD-HÖR-EXPERIMENTE IN DER SAISON 2020/21
1. EXPERIMENT
WALDBADEN : DIE WIRKUNG DES WALDES AUF MUSIK Ein Bad im Wald senkt den Blutdruck, reguliert den Puls und reduziert auf natürliche Weise Stresshormone. Die Waldluft stärkt unser Immunsystem und unsere Achtsamkeit wird geschult. Doch kann die beruhigende Atmosphäre des Waldes auch das Musikhören beeinflussen? Dieses Vorher-Nachher-Experiment mit unseren Musikerinnen und Musikern und einer Shinrin-Yoku-Expertin wird es zeigen.
2. EXPERIMENT
KLANG-SPAZIERGANG DURCH DEN AARGAUER «URWALD» Oberhalb von Erlinsbach steht der sogenannte Weidwald, der seit 1963 ein Naturwaldreservat ist. Wie sieht dieses sich selbst überlassene Ökosystem aus? Was hören wir dort? Eine Geigerin stimmt uns mit Musik auf den Waldspaziergang ein. Anschliessend wandern wir mit einer Flötistin und ihrer aus der Zen-Tradition stammenden Shakuhachi-Flöte durch den Wald. Durch die Improvisation über die Atmosphäre des Waldes üben wir uns in Achtsamkeit und erkunden mit den Ohren den Aargauer «Urwald».
3. EXPERIMENT
LICHTUNGSKONZERT : DER KLANG DER FICHTE Fichten wird es im Aargau irgendwann nicht mehr geben. Wir spielen der Fichte daher ein Requiem – solange sie noch am Leben ist. Mitten im Gönhardwald lässt ein Streichquartett seine unterschiedlichen Holzarten klingen und ein Geigenbauer erzählt über die lebenden Bäume und die Verarbeitung des Holzes zu Streichinstrumenten.
4. EXPERIMENT
AUF DER SUCHE NACH DEM KLANG DER VÖGEL Ein Ornithologe führt uns durch den morgendlichen Wald – dem Klang der Vögel dicht auf der Spur. Mit offenen Ohren spazieren wir gemeinsam mit einem Vogelkundler und einer Flötistin durch den Wald. Hören wir noch eine Nachtigall? Was wissen wir über die Amsel? Reagiert sie auf den Balzruf der Piccoloflöte? Wie balzt das Rotkehlchen? Die Flötistin improvisiert mit den Vögeln, spielt jedoch auch Kompositionen von Bach und Vivaldi auf unterschiedlichen Flöten im Wald.