18 Prag
Michael Vesely
Michael Vesely
18 Prag
Michael Vesely
© 2008, Michael Vesely Herausgeber: Michael Vesely Für den Inhalt verantwortlich: Michael Vesely, Lokalbahnzeile 67, 2500 Baden http://www.4insider.net Text, Konzeption und Grafik: Michael Vesely Fotografien: Michael Vesely Alle Rechte vorbehalten. Erstellt anläßlich einer Aufgabenstellung der Prager Fotoschule Österrech Erstausgabe: Einzelanfertigung Produktion: Michael Vesely
Vorwort Eine Aufgabe der Prager Fotoschule Österreich ist Anlass zu diesem, meinem ersten vollständig selbst verfassten Buch. Es erscheint ziemlich genau 20 Jahre nach dem ersten Buch, in dem ein Artikel von mir veröffentlicht wurde. Hintergrund der gestellten Aufgabe ist eine Studie über 18 unterschiedliche architektonische Stilrichtungen in Prag. Wie so oft gibt mir auch diese Aufgabe Gelegenheit, mich nicht nur mit Architekturfotografie intensiv auseinander zu setzen, sondern stellt eine Reihe anderer Herausforderungen, deren Lösung mir einige neue und interessante Gebiete eröffnet. Zum ersten Mal befasste ich mich mit einem Fotoprojekt dieses Umfangs. Über 40 Bauwerke wurden dokumentiert. Die Anforderungen an Layout, Gestaltung eines ganzen Buches, Druck und Bindung veranlassen mich diese Tätigkeitsbereiche ebenso zu erarbeiten wie den Umgang mit professioneller Layout – Software. Doch auch auf inhaltlicher Ebene lerne ich einiges. Uns wurden zwar die Namen der zu behandelnden Stilrichtungen und die Jahreszahlen ihrer Bedeutung zur Verfügung gestellt, das reichte jedoch nicht für die nun vorliegenden Texte. Einige Recherche, bei der hier die beschriebene Architekturstiele von einigen Autoren gar nicht unterschieden, anderen Zeitepochen zugeordnet oder anders bezeichnet werden, als in unserer Vorgabe, zwangen mich zu Vergleichen und führten beim Spielen dieses „Informationspuzzles“ dazu, dass ich einige Zusammenhänge erkennen konnte und mir nun ein eigenes Bild machen kann. Ich wünsche ich mir nun, dass Sie, lieber Leser, liebe Leserin anhand des vorliegnden Bildbandes auch ein wenig Einblick in die unterschiedlichen architektonischen Stile Prags bekommen und die Texte ein paar zusätzliche Eindrücke zu diesem Sachgebiet liefern. Ich erhebe keinen Anspruch auf Vollständigkeit und das ist kein Lehrbuch, vielmehr eine Auswahl meiner Eindrücke. Blättern Sie und vergleichen Sie die Epochen. Vielleicht wandern Sie ja gelegentlich auch bald durch Prag, oder Ihre eigene Heimatstadt und finden das eine oder andere interessante Gebäude.
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Inhalt
1 Romanik...............................................................................................................
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2 Gotik. ....................................................................................................................
3-4
3 Renaissance. .......................................................................................................
5-6
4 Barock...................................................................................................................
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5 Rokoko..................................................................................................................
9 - 10
6 Klassizismus. ....................................................................................................... 11 - 12
7 Historismus. ........................................................................................................ 13 - 14
8 Neurenaissance.................................................................................................. 15 - 16
9 Jugendstil............................................................................................................. 17 - 18
10 Kubismus. ............................................................................................................ 19 - 20
11 Nationalstil.......................................................................................................... 21 - 22
12 Geometrische Moderne................................................................................... 23 - 24
13 Monumentalismus............................................................................................ 25 - 26
14 Purismus.............................................................................................................. 27 - 28
15 Funktionalismus................................................................................................. 29 - 30
16 Sozialistischer Realismus. ................................................................................ 31 - 32
17 Internationaler Stil. .................................................................................... 33 - 34
18 Nach der Wende................................................................................................ 35 - 36
Anhang Index.....................................................................................................................
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Anhang Quellen.................................................................................................................
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Hintergrund Nach dem Tod Karls des Großen fallen fremde Völlker ein in seinem Herrschaftsgebiet ein. Das Karolingerreich zerfällt und das Abenland bleibt politisch, religiös und kulturell zersplittert zurück. Nachdem Störungen und Zerstörung nachlassen beginnt eine Periode des Wiederaufbaus und die Formen der romanischen Kunst entwickeln sich. Die Verbreitung des Christentums im ausgehen-
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den 10. Jahrhundert und Angst vor feindlichen Einfällen führen zur Entwicklung eines Baustils, der religiöse Schlichtheit und Wehrhaftigkeit ausstrahlt.
Merkmale Mächtige Mauern aus relativ kleinen, behauenen Steinen, kleine Fenster und Gewölbe kennzeichnen diese Epoche. Im 11. Jh. greift die Architektur antike Elemente wie Säulen, Rundbögen und Kreuzgewölbe auf.
Romanik 1024 - 1260
Romanik in Prag Mitte des 9. Jahrhunderts gründete das Fürstengeschlecht der Premysliden die Prager Burg Hradschin, und machte Prag zum Regierungssitz. Sie brachten auch das Christentum nach Böhmen und im Jahr 973 wurde das Prager Bistum gegründet, woraufhin auch die St. Georg Kirche entstand, bis heute das besteraltene Denkmal der Romanik.
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Die reichen Bürgerhäuser dieser Zeit hatten neben der Repräsentation auch eine Verteidigungsaufgabe inne, was sich erst mit der Errichtung der Stadtmauer im 13. Jahrhundert änderte. Die Rundkapelle St. Martin wurde in der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts gegründet und ist das älteste erhalten gebliebene Gebäude in Vysehrad.
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Hintergrund
Merkmale
Die Hochgotik ist vor allem durch die Wandlung in Europa begleitet. Neue Städte werden gegründet, auf intensiver genutzten Handelswegen verbreiten sich neue philosophische, scholastische und theologische Strömungen. Höhere Kathedralen spiegeln das neue Selbstbewusstsein der wachsenden Wirtschaft wieder. Die Erfindung des Rippengewölbes ermöglicht eine Bauweise von zuvor undenkbarer Leichtigkeit.
Hauptmerkmal sind hochstrebende, lichtdurchflutete Innenräume. Die tragende Konstruktion wird über Strebepfeiler und Bögen weitgehend nach aussen verlegt und erlaubt große Fensterflächen. Gebündelte Halbsäulen tragen die Kreuzrippengewölbe, teilen den Innenraum aber nicht mehr und betonen zusätzlich die vertikale Linie. Die Spätgotik zeigt einen Überhang ornamentalen Schmucks.
Gotik 1130 - 1500
Gotik in Prag Die Errichtung der 1700 Meter langen Festungsmauer mit dreizehn Türmen und Toren verändert das Leben innerhalb der Stadt. Die bisher leerstehenden Erdgeschosse werden ebenfalls genutzt und erhalten zur Straße geöffnete Räume. Anfang des 13. Jahrhunderts entsteht die Harvelstadt als geplanter Stadtteil in Ausnützung der freien Flächen innerhalb der Mauer. Karl IV erklärt Prag zum Führungssitz und verschafft ihm so
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eine Blütezeit. Zwei der bedeutendsten französichen Architekten werrden beauftragt, die Burganlage umzubauen und die Kathedrale, den St.-Veits-Dom, zu errichten, deren Bau erst 1929 vollständig abgeschlossen wird. Die Karlsbrücke und das altstädter Rathaus sind Beispiele weltlcher Bauten innerhalb der Mauern. Der Heinrichsturm und der Pulverturm prägen neben vielen weiteren Türmen und hohen Dachern das Bild der Stadt und verleihen ihm den Namen ‚Stadt der hundert Türme‘.
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Hintergrund
Merkmale
Die Renaissance stellt den Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit dar und somit einen beachtlichen kulturellen Wechsel. Der Humanismus löst die dogmatische Dominanz der Kirche über Weltverständnis und Wissenschaft ab. Das Bürgertum nimmt an Bedeutung zu und formt ein Bewusstsein des Menschen, das direkt an dem der Antike anknüpft. Die Architekten kommen zur Überzeugung, dass Wissenschaft und Kunst eng verbunden sind.
Die Verwendung antiker Bauelemente in klassischer Strenge wie Säulen, Pilaster, Kapitelle, Dreiecksgiebel geht mit geschlossener Gestaltung mit rauhen Steinquadern einher. Die Herrscher ziehen aus unbequemen Burgen in bequemere Schlösser mit eleganten Arkadenhöfen und regelmässigen, geometrisch angelegten Gärten. Im Kirchenbau werden Zentralbauten mit Kuppeln errichtet.
Renaissance 1420 - 1620
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Renaissance in Prag Prag ist eine der ersten Städte außerhalb Italiens, in der sich die Renaissance durchsetzt. Bereits 1538-1552 entsteht der Arkadengarten Belvedere mit einem Sommerschlösschen im Königsgarten der Burg, den Ferdinand von Habsburg für seine Gemahlin erbauen lässt. 1560 wird in der Altstadt das Palais Granovský erbaut, das vermutlich besterhaltenste Bürgerhaus aus der Renaissance.
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Hintergrund
Merkmale
Ursprung des Barock ist die Gegenreformation und der Wille der katholischen Kirche mit der Kunst alle Schichten anzusprechen und sich wieder Respekt zu verschaffen. Es entstanden regional unterschiedliche Richtungen, doch allen ist das Ziel der Verführung der Sinne und den Ansprechen der Gefühlswelt gleich. Barockbauten haben das Ziel den Betrachter mit Größe und Pracht zu beeindrucken.
Die Bauelemente sind dieselben, wie in der Rennaissance nur zahlreicher, plastischer. Vorherrschend sind ovale, ellipsoide Formen mit konvex-konkaven Schwingungen und wellenartig über Eck stehenden Pfeilern. Es entsteht eine Spannung durch die geschwungenen Formen und die starke Bewegtheit. Die Innenräume wurden malerisch gestaltet und waren überreich geschmückt.
Barock 1620 - 1780
Barock in Prag Viele kleinere Häuser, Paläste und Gärten auf der Kleinseite und in der Altstadt werden abgerissen um Ausbaumöglichkeiten für Sakralbauten, vor allem für die des Jesuitenordens, zu schaffen. Somit bestimmten monumentale Blöcke, mächtige Kuppeln und geformte Turmspitzen das Stadtbild und ersetzten das Bild der schlanken, zum Himmel empor gestreckten gotischen Linien. Gerade hinsichtlich der Architektur der Renaissance ist die des
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Barock vor allem eine kirchliche. Die St.-Niklas-Kirche, erbaut zwischen 1704 und 1755 ist ein Beispiel. Aber auch Palais wie das Palais Morzin, erbaut 1713-1714, prägen diese Epoche. Das Palais Morzin gilt als eines der bedeutendsten des Prager Barock.
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Hintergrund
Merkmale
Aus dem Barok entwickelt sich um 1735 das Spätbarok oder Rokoko, das einige Kunsthistoriker als Übergang vom Barok zum Klassizismus nicht als eigene Kunstform ansehen. Als Gegenbewegung zum öffentlichen Lebensstil des Barok findet im Rokoko ein Rückzug ins Private statt. An die Stelle monumentaler Zurschaustellung von Macht treten nun kultivierte Lebensführung und ein feinsinniges Lebensgefühl.
Überbordernde Verzierungen an Bauten, Innenräumen, Möbeln und Gärten und die Aufgabe der im Barok so wichtigen Symmetrie sind die hervorstechenden Eigenschaften des Rokoko. Die schweren Formen des Barok lösen sich spielerisch in feinere unsymmetrische Einzelformen wie Blumen, Ranken und vor allen muschelartige Ornamente , die dem Rokoko aus dem französichen ‚Rocaille‘ den Namen gaben, auf.
Rokoko 1735 - 1780
Rokoko in Prag In Prag erreichte das Rokoko nie die Bedeutung, die es zum Beispiel in Bayern erlangte. Es bildet in Prag eher eine Ausnahme. Zu den wenigen Beispielen gehÜren die Fassade der ErzbischÜflichen Residenz in der Burgvorstadt, die von dem Architekten Johann Joseph Wirch in den Jahren 1764/65 umgebaut wurde und die Fassade des Goltz-Kinsky-Palastes am Altstädter Ring von Anselmo Lurago. In der St. Niklaskirche auf
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der Kleinseite findet man in der von Rocaillen besetzten Kanzel von Richard und Peter Prachner ein weiteres Beispiel der Kunst aus der Zeit des Rokoko.
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Hintergrund
Merkmale
Gegenüber dem vorangegangenen Rokoko zeichnet sich der Klassizismus durch eine Rückkehr zu geradlinigen Formen mit einer stärkeren Anlehnung an klassisch-antike Formen aus. Grund dafür war das plötzliche, europäische Interesse an der Antike, das durch antike Funde bei Ausgrabungen gefördert wurde und viele Gelehrte beeinflusste. Die Nachahmung des klassischen Altertums unterscheidet ihn vom Historismus.
Die Architektur beruht vor allem auf dem Ordnungsprinzip und richtet sich bei der Größe nach römischen und bei der Eleganz und Anmut nach griechischen Vorbildern: Die Wände sind sehr schlicht, teilweise fehlt jegliches Dekor, während das neuentdeckte Element der Säule als Dekorationselement die Pilaster ersetzt.
Klassizismus 1780 - 1840
Klassizismus in Prag Durch den österreichisch-preußischen Krieg erfährt Prag eine große Zerstörungswelle. Trotzdem wird 1757 begonnen, die Prager Burg umzugestalten und an den gotischen und barocken Gebäuden klassizistische Fassaden zu gestalten. Im Zuge der Säkularisierung werden in Prag über 60 Kirchen und Klöster geschlossen. Die vier Städte innerhalb Prags, die Altstadt, die Neustadt, die Kleinseite und der Hradschin werden
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zusammengefasst und zu einer Stadt ernannt. Das Bürgertum gewinnt an Macht und setzt seine Bedürfnisse durch. 17811783 entsteht in der Altstadt das Tyl-Theater – Ständetheater.
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Hintergrund
Merkmale
Der Historismus ist kein Stil an sich sondern bezeichnet in der Stilgeschichte ein Phänomen des 19. Jahrhunderts, bei der man auf ältere Stilrichtungen zurückgreift und diese nachahmt. Andere Architekturformen als die der Antike werden als gleichwertig anerkannt und kopiert. Einen großen Einfluss übt hier die Romantik aus. Gelegentlich werden mehrere Stile in einem Gebäude zum Teil recht wahllos gemischt (Eklektizismus).
Im Historismus werden alle historischen Stile von der Antike bis zum Barock kopiert, imitiert und zum Teil kombiniert und miteinander vermischt. Der Historismus erfährt in Mitteleuropa ab den 1860er-Jahren große Verbreitung da er die Funktion erfüllt, die Repräsentationsbedürfnisse des Bürgertums der Gründerzeit zu befriedigen. Daher auch der Name Gründerzeitstil.
Historismus 1840 - 1900
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Historismus in Prag Ansteigende Einwohnerzahlen und die Industrieentwicklung führten in Prag zu der Eröffnung eines Hafens in Karlín, einer zweiten Brücke über die Moldau und in der Mitte des Jahrhunderts zu der Anbindung Prags an das Eisenbahnnetz. Es entstehen überall in der Stadt neue Zweckbauten wie das GoetheInstitut und Wohnungsviertel, deren Stil sich meist nach dem Standort richtet.
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Hintergrund Eine Richtung des Historismus ist die Neurenaissance oder Neorenaissance in der auf die Baukunst der Renaissance zurückgegriffen wird. Ihre Formen stammen hauptsächlich aus der deutschen Renaissance. Sie hat ihre größte Wirkung zwischen 1870 und 1885 wo ihre Formen im strengen Historismus als vorbildlich gelten und löst den romantischen Historismus ab, bei dem die subjektive Interpretation des Architekten den Stil bestimmt.
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Eine der Hochburgen der Neurenaissance ist Wien, wo ganze Straßenzüge in den Bauformen dieses Stils gehalten sind. Nicht zuletzt an der Wiener Ringstraße stehen viele neoklassizistische Gebäude wie beispielsweise die Staatsoper, das Natur- und das Kunsthistorische Museum und die Universität.
Neurenaissance 1848 - 1910
Neorenaissance in Prag In Prag stellt das 1868-1883 erbaute Nationaltheater in der Neustadt ein besonders charakteristisches Beispiel f체r die Neurenaissance dar. Eine Balustrade mit Statuen der Musen rahmt die hohe S채ulenloggia unter dem eindrucksvollen Portikus
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der Eingangsfassade ein. In der Neustadt befindet sich auch das Palais Schebka als Beispiel der prager Wohnh채user dieses Stils. Nicht zuletzt dominiert das Nationalmuseum die obere L채ngsseite des Wenzelsplatzes.
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Hintergrund
Merkmale
Als Antwort auf Strömungen wie das Aufkommen, durch die industrielle Revolution möglich gewordener, mit Verzierungen überladener Massenware im viktorianischen England, das Streben nach Extravaganz des französichen Bürgertums der Belle Epoque und Einflüssen aus der Malerei entsteht der Jugendstil, auch Art Nouveau, Modernisme, Stile Liberty oder Wiener Secession, zeitlich zwischen Historismus und moderner Kunst.
Der Jugendstil zeichnet sich durch dekorativ geschwungene Linien und flächenhafte florale Ornamente aus. Symetrien werden wieder aufgegeben. Blüten, Blätter und Ranken in Kombination mit den Werkstoffen Eisen, Stahl, Glas und Beton kombinieren klare Linien und Besinnung auf die Natur. Zur Programmatik des Jugendstils gehört nämlich auch die Forderung nach Funktionalität und Ausdruck der Funktion in der Erscheinung der Dinge.
Jugendstil 1890 - 1920
Jugendstil in Prag In den Werken des Jugenstils schlägt sich die Suche des tschechischen Volkes nach einer neuen, eigenständigen Identität nieder. Folkloristische Motive aus der tschechischen Geschichte werden aufgegriffen: Libuse und Premysl sind häufig wiederkehrende Gestalten.
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Beispiele sind die Art Nouveau Hall, der Wilson-Bahnhof (Hauptbahnhof – Hlavní nádrazí), das Grand Hotel Europa am Wenzelsplatz aber auch die Synagoge.
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Hintergrund
Merkmale
Wurde die Architektur des Jugendstil stark von der Malerei beeinflusst, so handelt es sich beim Kubismus (lat. Cubus, „Würfel“) primär um eine Stilrichtung der modernen Malerei, die sich mit dem Übergang von gegenständlichen zu abstrakten Formen beschäftigt. In der Architektur finden sich nur einige einzelne Bauwerke, in denen die Architekten die Dynamik der kubistischen Malerei auf die Gestaltung ihrer Bauwerke übertragen.
Obwohl Häuser per se oft Quaderform aufweisen versuchen die Architekten des Kubismus den Eindruck des Winkels als gestalterisches Element durch Verwendung kubischer und prismatischer Formen, durch vor- und zurückspringende Elemente und dir Nutzung von Licht- und Schatteneffekten, zu steigern und Dynamik zu erzeugen.
Kubismus 1910 - 1915
Kubismus in Prag Bedeutende kubistische Architektur findet sich vor allem in Prag wo Josef Gocar sein wahrscheinlich bedeutendstes kubistisches Objekt, das Kaufhaus ‚Zur Schwarzen Mutter Gottes‘, für den Kaufmann Frantisek Josef Herbst entwirft. Hat er das Objekt 1911 ursprünglich im Stil der Moderne geplant, überarbeitet er den Entwurf ein Jahr später. Die Schattenwirkung und die Spiegelungen der umliegenden gotischen und barocken Archi-
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tektur spielen in der Gestaltung eine besondere Rolle. Auch die meisterhafte Gestaltung der Innenräume, die im ersten Stock ein Café und in der vierten und fünften Etage eine Dauerausstellung des tschechischen Kubismus beherbergt, liegt ganz in den Händen des Architekten. Das Miets- und Geschäftshaus Diamant entspricht der Übergangsphase zwischen spätem Sezessionismus und frühem Kubismus und verwendet das Kristall als Bekenntnis fast übermäßig.
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Hintergrund Die meisten kubistischen Bauwerke in Prag entstehen vor dem ersten Weltkrieg. Nach der Schaffung der CSR im Jahre 1918, im Überschwang der nationalen Gefühle, bauen die Kubisten im farbigen und überladenen „Nationalstil“, der die Farben der CSR feiert.
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Nationalstil 1920 - 1925
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Nationalstil in Prag Mit der Legiobank, die zwischen 1921 und 1923 errichtet wird, gelingt Josef Gocar ein maĂ&#x;gebendes Beispiel der tschechischen Architektur. Dem Nationalstil der jungen CSR bringt es die Alternativbezeichnung Legiobank-Stil ein.
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Geometrische Moderne 1902 - 1936
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Hintergrund und Merkmale Die geometrische Moderne ist eine Steigerung des ArchitekturKubismus, auch Rondo-Kubismus. Dieser zeichnet sich durch 端bertriebene Dekoration aus, wobei die prismatischen und pyramidalen Formen des Kubismus den Kreisen, Halbkreisen, kugeligen Sektoren, Zylindern und W端rfeln weichen.
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Hintergrund Der Monumentalismus, oft als neoklassizistischer Monumentalstil oder im deutschsprachigen Kulturraum Neoklassizismus bezeichnet den letzten formal einheitlichen Kunststil des Historismus. Unter Neoklassizismus (Néoclassicisme, ...) versteht man im frankophonen, anglikanischen, spanischen und niederländischen Raum , die Epoche, die wir Klassizismus nennen, da dort Klassizismus bereits für unser Barock verwendet wird.
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Nationalsozialismus (Deutsches Reich), Sozialismus/Kommunismus (Sowjetunion), Faschismus (Italien) und Kapitalismus (USA) nutzen den Neoklassizismus als nobilitierende Würdeformel oftmals parallel zu Bauformen der klassischen Moderne.
Monumentalismus 1902 - 1936
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Merkmale Der Neoklassizismus nimmt in Struktur und Raumaufteilung starke Anlehnung an griechischer und römischer Antike aber auch an Rennaissance über Barok bis zum Klassizismus, und integriert andererseits bautechnische und formale Prinzipien der Moderne. Die scheinbar antimoderne Haltung verwendet ‚harte‘ Formen anstatt weicher Linien und wirkt, zum Teil überdimensional, erhebend bis bedrückend. Daher auch Monumentalstil.
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Hintergrund Purismus (von franz. pur: rein, unvermischt, pur) bedeutet in der Ästhetik ein Schwergewicht auf dem Klaren, Genauen, Regelmäßigen, auch Unverfälschten. Im engeren Sinn ist der Purismus eine Richtung der Kunst und Architektur des 20. Jahrhunderts. Sie wird 1918 von Amédée Ozenfant und Charles-Edouard Jeanneret mit dem Manifest Après le cubisme (Nach dem Kubismus) gegründet.
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Purismus 1921 - 1940
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Merkmale Die Puristen streben eine einfache funktionale Malerei und Bauweise an, in der sich Ästhetik und Maschinenwelt vereinigen sollen. Auf rationaler Grundlage sollen einfache geometrische Formen mit maschineller Präzision verwendet werden. Sie schätzen den Goldenen Schnitt als ideale Proportion. Rein dekorative Elemente lehnen sie ab.
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Hintergrund Der Funktionalismus ist eine der Strömungen der Moderne. In Architektur und Design versteht man unter Funktionalismus das Zurücktreten rein ästhetischer Gestaltungsprinzipien hinter den die Form bestimmenden Verwendungszweck des Gebäudes oder des Geräts. Ein Leitsatz ist der oft missverstandene Ausspruch „Form follows function“ („die Funktion bestimmt die Form“) von Louis Sullivan und der populären Auffassung,
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eine zeitgemäße Schönheit in Architektur und Design ergebe sich bereits aus deren Funktionalität. Nach dem Ersten Weltkrieg und nach dem Zwischenspiel des Expressionismus erlangt der Funktionalismus unter den Begriffen Neues Bauen, Bauhausstil oder Neue Sachlichkeit vor allem in Deutschland größte Bedeutung.
Funktionalismus 1923 - 1940
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Funktionalismus in Prag Die Tatsache, dass Prag nach dem ersten Weltkrieg wieder die Funktion einer Hauptstadt innehatte, förderte eine immense Bauwelle. Es entstanden neue, öffentliche Gebäude, bei denen sich ein funktionaler Stil durchsetzte, der sich durch klare Konturen, unverzierte Flächen, Betonkonstruktionen mit Stahlelementen und großen Fenstern auszeichnete.
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Hintergrund Sozialistischer Realismus (kurz auch Sozrealismus) ist eine Stilrichtung der Kunst, die 1932 vom Zentralkomitee der KPdSU als Richtlinie f체r die Produktion von Literatur, bildender Kunst und Musik in der UdSSR beschlossen wird. Sie entwickelt sich aus dem neoklassizistischen Monumentalismus und wird sp채ter f체r das gesamte sozialistische System im Ostblock verbindlich.
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Sozialistischer Realismus 1951 - 1957
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Merkmale Der Sozialistische Realismus, der in der Baukunst auch mit den Begriffen Stalinistische Architektur, Sozialistischer Klassizismus oder Stalinscher Zuckerbäckerstil bezeichnet wird, zeichnet sich durch eine Kombination klassizistischen Stils mit Propagandamotiven, des ‚Arbeiter und Bauern‘ Sujets in monumentalen Bauprojekten aus. Typisch ist auch die Verwendung über mehrere Geschosse reichender Tore und Durchgänge.
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Hintergrund Die Bezeichnung International Style wird 1932 von Philip C. Johnson und Henry-Russell Hitchcock als künstlicher Oberbegriff für minimalistische und funktionalistische Tendenzen der europäischen modernen Architektur der 1920er und 1930er gebildet. Die Bezeichnung wird zuerst in den angelsächsischen Ländern verwendet, inzwischen überall für die kubischen Varianten der Moderne angewandt. Manchmal betrachtet man
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den internationalen Stil als Synonym des Funktionalismus und des Rationalismus. Die Abgrenzung zwischen diesen Begriffen wird in der Literatur unterschiedlich dargestellt.
Internationaler Stil 1957 - 1989
Merkmale Der internationale Stil zeichnet sich durch regelmäßigen und modularen Aufbau aus. Der Architekt versteht seine Aufgabe darin, die richtige Präsenz und Zusammenstellung der ähnlichen und unterschiedlichen Funktionsbereiche. Der Grundriss ist zwanglos und asymmetrisch. Der internationale Stil ist frei von Schmuck, außer der abstrakten Wandmalerei, die den Charakter der Architektur betont.
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Internationaler Stil in Prag In Prag setzten sich die Prinzipien des internationalen Stils erst ab den 60ern durch.
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Hintergrund Die Zeit von uniformierten Plattenbau-Burgen und Stadtsanierungen mit der Abrissbirne ist in Tschechien seit dem Ende des kommunistischen Regimes vorbei. Auf die Frage, was sich an der tschechischen Architektur davon abgesehen geändert hat, antwortet der Prager Stararchitekt Vlado Milunić: „Vorher waren wir alle in staatlichen Betrieben angestellt, und da konnten wir nicht für uns selbst sprechen.
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Nach der Revolution hat sich das grundlegend und zum Guten geändert: Für das, was wir machen, sind wir jetzt auch verantwortlich, mit allen Folgen, auch den finanziellen.“ Auch Zdeněk Zavřel, Dekan der architektonischen Fakultät der Prager Technischen Hochschule CVUT sieht das wichtigste Ergebnis darin dass es gelungen sei, den Ruf des Architektenberufes wiederherzustellen.
Nach der 1989 Wende - heute
Im Kontrast zu den Bausünden der neunziger Jahre erkennt man inzwischen auch in Tschechien den Wert der lange verachteten Architektur aus Gründerzeit und Historismus, die immer noch das Bild vieler tschechischer Städte bestimmt. Die neuen Bauten mögen dem Geiste nach von der Stange kommen, stets aber sind sie mit Gespür für das Detail sehr qualitätvoll ausgeführt, meint Architekt Zdeněk Zavřel.
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Wenige stechen heraus. Wie zum Beispiel das ‚tanzende Haus‘, auch ‚Ginger und Fred‘ genannt. Die Durchschnittsarchitektur der Nachwendezeit zeigt sich dagegen völlig gesichtslos. Europäischer Einheitsbau, besondere Merkmale: keine.
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Anhang Index A
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abstrakte Formen....................................................................... 19 Anselmo Lurago.......................................................................... 10 Antike..................................................................................... 5, 11 Après le cubisme........................................................................ 27 Arkadenhöfe................................................................................. 5 Art Nouveau............................................................................... 17 Art Nouveau Hall........................................................................ 18
Ferdinand von Habsburg.............................................................. 6 Folkloristische Motive................................................................ 18 Form follows function................................................................ 29 Funktionalismus................................................................... 29, 33
B Barock........................................................................................... 7 Bauhausstil................................................................................. 29 Belvedere..................................................................................... 6 Bistum.......................................................................................... 2 Blumen......................................................................................... 9 Bürgertum.................................................................................... 5
C CSR............................................................................................. 21 Cubus.......................................................................................... 19 CVUT........................................................................................... 35
D deutsche Renaissance................................................................ 15 Diamant...................................................................................... 20 Dynamik..................................................................................... 19
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G gebündelte Halbsäulen................................................................. 3 Gegenreformation........................................................................ 7 geschwungene Formen................................................................ 7 Ginger und Fred.......................................................................... 36 Gocar, Josef.......................................................................... 20, 22 Goltz-Kinsky-Palast..................................................................... 10 Gotik............................................................................................. 3 griechische Vorbilder.................................................................. 11 Gründerzeit................................................................................ 13 Gründerzeitstil............................................................................ 13
H Hauptbahnhof............................................................................ 18 Heinrichsturm............................................................................... 4 Herbst, Frantisek Josef............................................................... 20 Historismus................................................................................. 13 Hitchcock, Henry-Russell............................................................ 33 Hlavní nádrazí............................................................................. 18 hochstrebend............................................................................... 3 Hotel Europa.............................................................................. 18 Hradschin............................................................................... 2, 12 Humanismus................................................................................. 5
Eklektizismus.............................................................................. 13 Erzbischöfliche Residenz............................................................ 10
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Internationaler Stil...................................................................... 33
Milunić, Vlado............................................................................ 35 Moderne..................................................................................... 29 moderne Malerei....................................................................... 19 Modernisme............................................................................... 17 monumental............................................................................... 32 Monumentalismus..................................................................... 25 Monumentalstil.......................................................................... 26 muschelartige Ornamente........................................................... 9
J Jeanneret, Charles-Edouard....................................................... 27 Jesuitenorden............................................................................... 8 Johnson, Philip C........................................................................ 33
K Karl der Große.............................................................................. 1 Karl IV........................................................................................... 4 Karlsbrücke................................................................................... 4 Karolingerreich............................................................................. 1 Klar............................................................................................. 27 Klassizismus................................................................................ 11 kleine Fenster............................................................................... 1 Königsgarten................................................................................. 6 KPdSU......................................................................................... 31 Kreise, Halbkreise....................................................................... 24 Kreuzgewölbe............................................................................... 1 Kreuzrippengewölbe.................................................................... 3 Kristall......................................................................................... 20 kubische Varianten der Moderne............................................... 33 Kubismus.................................................................................... 19 kugelige Sektoren....................................................................... 24
L Legiobank................................................................................... 22 Legiobank-Stil............................................................................. 22 Libuse......................................................................................... 18
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N Nationaltheater.......................................................................... 16 Néoclassicisme........................................................................... 25 Neoklassizismus......................................................................... 25 neoklassizistischer Monumentalstil........................................... 25 Neorenaissance.......................................................................... 15 Neue Sachlichkeit....................................................................... 29 Neues Bauen.............................................................................. 29 Neurenaissance.......................................................................... 15 Neuzeit......................................................................................... 5
O Ordnungsprinzip......................................................................... 11 Österreichisch-preußischer Krieg............................................... 12 ovale Formen; ellipsoide Formen................................................. 7 Ozenfant, Amédée...................................................................... 27
P Palais Granovský; Granovský........................................................ 6 Palais Morzin; Morzin................................................................... 8 Pracht........................................................................................... 7
Prager Burg............................................................................. 2, 12 Premysl....................................................................................... 18 Premysliden.................................................................................. 2 Prisma......................................................................................... 19 Pulverturm................................................................................... 4 Purismus..................................................................................... 27
R Ranken.......................................................................................... 9 Rationalismus............................................................................. 33 Regelmäßig................................................................................. 27 Renaissance.................................................................................. 5 Richard und Peter Prachner....................................................... 10 Rippengewölbe............................................................................. 3 Rocaille......................................................................................... 9 Rokoko.......................................................................................... 9 Romanik....................................................................................... 1 romantischen Historismus.......................................................... 15 römische Vorbilder..................................................................... 11 Rondo-Kubismus........................................................................ 24 Rundbogen................................................................................... 1
S Säkularisierung........................................................................... 12 Säule........................................................................................... 11 Schlösser...................................................................................... 5 Sozialistischer Klassizismus........................................................ 32 Sozialistischer Realismus............................................................ 31 Sozrealismus............................................................................... 31 Spätbarok..................................................................................... 9 Spätgotik...................................................................................... 3 Stadt der hundert Türme.............................................................. 4 Stalinistische Architektur............................................................ 32
Stalinscher Zuckerbäckerstil....................................................... 32 Ständetheater............................................................................. 12 Statuen der Musen..................................................................... 16 St. Georg Kirche............................................................................ 2 Stile imitiert................................................................................ 13 Stile kombiniert.......................................................................... 13 Stile Liberty................................................................................. 17 St. Martin; Rundkapelle St. Martin............................................... 2 St. Niklaskirche........................................................................... 10 St.-Niklas-Kirche............................................................................ 8 Strebepfeiler................................................................................. 3 strengen Historismus.................................................................. 15 St.-Veits-Dom................................................................................ 4 Sullivan, Louis............................................................................. 29 Synagoge.................................................................................... 18
T tanzendes Haus.......................................................................... 36 tschechische Kubismus............................................................... 20 Tyl-Theater................................................................................. 12
U überbordernde Verzierungen....................................................... 9 überdimensional........................................................................ 26 überreich geschmückt.................................................................. 7
V Vysehrad....................................................................................... 2
W Wehrhaftigkeit.............................................................................. 1
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Wenzelsplatz.............................................................................. 18 Wiener Secession....................................................................... 17 Wilson-Bahnhof (Hauptbahnhof................................................ 18 Winkel........................................................................................ 19 Wissenschaft................................................................................ 5 Würfel......................................................................................... 19
Z Zavřel, Zdeněk............................................................................ 35 Zentralkomitee........................................................................... 31 Zur Schwarzen Mutter Gottes; Kaufhaus Zur Schwarzen Mutter Gottes......................................................................................... 20 Zylinder....................................................................................... 24
Anhang Quellen • http://de.wikipedia.org • http://www.schwarzaufweiss.de/Prag/was_ist_rokoko.htm • http://www.czecot.com/de/?id_tema=14 • http://www.wienerstaedtische.com/group/sponsoring-csr/architektur-im-ringturm/ ausstellungen-nachlese/20050111-passagen-aus-prag/ • Werner Hofmann, Architektur- Kubismus – ein Sonderweg der tschechischen Moderne http://www.martin-plasberg.de/Prag/Kubismus.PDF • Stefan Kaplan, Jugendstil in Prag http://www.martin-plasberg.de/Prag/Jugendstil.PDF • http://www.dididi.de/nowa-huta.de/4_3sozrealform.htm • http://www.radio.cz/de/artikel/99703 • MSN Encarta - Russische Kunst und Kultur http://de.encarta.msn.com/encyclopedia_721545190_3/Russische_Kunst_und_Architektur.html
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Zu einer Aufgabe der Prager Fotoschule Österreich entstand diese Architekturstudie, die 18 Architekturstile in Prag kurz und übersichtlich vorstellt. Das ist das erste Buch, in dem der Autor, Fotograf und Grafikdesigner Michael Vesely alle Rollen der Erstellung eines derartigen Mediums übernimmt und damit, neben der zwanzigjährigen Erfahrung in der Softwaretechnologie, auch sein kreatives Repertoire konsequent entwickelt und erweitert.
Michael Vesely