Galerie Ruhnke Potsdam
Volker Bartsch. Druckgrafik aus vier Jahrzehnten
Abbildung Titelseite: „Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins“ (2016) Holzschnitt mit Prägungen, Platte: 47 x 33 cm, Auflage: 3
Galerie Ruhnke
Volker Bartsch. Druckgrafik aus vier Jahrzehnten
Ausstellung vom 1. bis 29. Oktober 2017
„Stehende Modelle für Bronze“ (1981), Radierung, Platte: 29,5 x 20 cm, Auflage: 5
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Die unaufhaltsame Transformation der Ideen Jutta Götzmann
Volker Bartsch vereinigt in seinem künstlerischen Werk Regionalität und Internationalität. Viele Stationen durchläuft der gebürtig aus Goslar stammende Künstler, von seinem Studium der Bildhauerei an der Hochschule der Künste Berlin in den 1970er Jahren, seine Zeit als Meisterschüler bei Hans Nagel bis hin zu seiner Tätigkeit als freischaffender Künstler ab 1981 in Berlin, in der Toskana und seit 1996 in Brandenburg, in Wildenbruch bei Michendorf.1 Seine hohe bildhauerische Expertise stellt Volker Bartsch in internationalen Ausstellungen unter Beweis. Von den inzwischen mehr als 40 Großskulpturen im öffentlichen Raum Europas und Nordamerikas sind zwei bedeutende Arbeiten in Berlin als pars pro toto zu erwähnen: sein Ammonitenbrunnen auf dem Olof-Palme-Platz am Zoologischen Garten, ein Auftrag anlässlich der 750-Jahr-Feier Berlins, und seine 2006/07 entstandene Skulptur „Perspektiven“ vor dem Henry Ford-Bau, dem Hauptgebäude der Freien Universität Berlin, die als größte Bronzeskulptur Europas Kunstgeschichte geschrieben hat.2 Die Idee zur aktuellen Ausstellung in der Galerie Ruhnke entstand aus der unvergleichlichen Vielfältigkeit, mit der sich Volker Bartsch in den verschiedensten Gattungen der Kunst bewegt. In den vielen bisherigen Ausstellungen stand sein bildhauerisches und malerisches Werk im Fokus der Betrachtung, erstmals würdigt eine Ausstellung seine Virtuosität als Grafiker, ein Ansatz, der sich im technikbezogenen Titel „Alles geritzt“ wiederfindet. Die Ausstellung und der begleitende Katalog präsentieren in einer konzentrierten Auswahl Radierungen – sowie in Bezug zur Grafik stehende Kleinplastiken – und ermöglichen einen Überblick über sein breites motivisches Spektrum innerhalb eines Zeitraums von mehr als vier Jahrzehnten, ab den frühen 1980er Jahren bis in die unmittelbare Gegenwart.3 Sein Weg führt von der gegenständlichen, figürlichen Kunst in die Abstraktion, von dem Volumen in die Fläche und von der Zweidimensionalität des bildlichen Trägers, des Papiers, in die Dreidimensionalität des Prägedrucks. Die Objektauswahl der Ausstellung eröffnet dem Betrachter auch einen Überblick über die Präzision und Weiterentwicklung verschiedenster grafischer Techniken, mit denen Volker Bartsch zweifelsohne Neuland betritt. Die Ausstellung beginnt mit Radierungen aus den 1980er Jahren. Besonders eindrucksvoll ist ein vierteiliger Zyklus, der mit einer impulsiven Strichführung weibliche Figurenkompositionen in tanzender Pose zeigt. Bartsch widmet sich in den 80er Jahren dem ausschweifenden Club- und Nachtleben in Berlin und analysiert die Partyszene, die sich gleichermaßen mit 1
Vgl. die Biographie hierin sowie zu den ausführlichen Angaben: Annett Klingner: Volker Bartsch – Daten zu Leben und Werk, in: Volker Bartsch. Bildhauer – Maler – Graphiker. Eine Ausstellung der BHF-Bank Frankfurt am Main im Museum Giersch, Frankfurt am Main 2008/09, S. 11-21.
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Vgl. zum Ammonitenbrunnen von 1985-87: Kat. Frankfurt 2008/09, S. 13f. sowie Abb. 4, Kat.-Nr. 51. Vgl. ebenfalls Annett Klingner: Die Ordnung im Chaos oder Die Aufgabe eines Künstlers, Denkanstöße zu geben, in: Volker Bartsch CuSn6 – WSt/37, Berlin 2000, S. 22-34. Vgl. zur Skulptur „Perspektiven“: Kat. Frankfurt 2008/09, S, 20 sowie Abb. 10, Kat.-Nr. 135-137. Vgl. ebenfalls Michael Stoeber: Coincidentia oppositorum, oder „Den lieb’ ich, der Unmögliches begehrt“, oder „Nur der ist Realist, der zu träumen versteht“, in: Kat. Volker Bartsch 2008/09, S. 247-287, zum Thema der Tore S. 262-272, bes. S. 272f.
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Ergänzend zur Grafik sind sechs Kleinplastiken ausgewählt: Blockfrei (1983), Abtanzprogramm (1985), Patron (1988), Raumvariation (1999), Der Politiker (2007, S. 17) und eine weitere, die aus den Druckstöcken der Prägedrucke besteht: Nach oben ist alles offen (2017, S. 23).
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einer offensiven körperlichen Präsentation ihrer Protagonisten und einer zum Smalltalk reduzierten Kommunikation verbindet. 4 Die Körper und ihre exzessive Bewegung faszinieren den Künstler und regen ihn zu den linear konzentrierten Radierungen aus dem Jahr 1987 an, die dem scheinbar fließenden Köperumriss folgen. Frappierend ist die Wirkung der Tanzenden als Positiv- und Negativform, jeweils zwei Blätter zeigen bewegte Körperformen mit dunklem Umriss auf hellem Träger, die beiden anderen heben die körperliche Dynamik weißkonturiert auf einem dunklen Papierfond hervor.5 In einer weiteren Grafikfolge definieren Frauen in Dreier- und Viererkompositionen, die als „Stehende“ tituliert sind, den Raum: Lange Beine bilden einen vertikalen Linienverlauf, den Bartsch ab 1982 zunehmend „Schwarzlichtnummer II“ (1987), Radierung blockhaft abstrahiert und damit entmaterialisiert, wie beispielsweise in seiner Radierung „Beinarbeit“.6 Volker Bartsch lotet Bewegungsabläufe aus, Gruppierungen und Rhythmisierungen werden zum Gegenstand seines künstlerischen Interesses und dienen ihm zur seriellen Auseinandersetzung. Auch die Definition des Raumes und die Raumauflösung mittels Figuren interessieren ihn. Das Heraustreten aus der Masse sowie die Hervorhebung der Individualität werden zu zentralen Themen, die Bartsch eindrucksvoll mit der Möglichkeit nach Selbstdarstellung und Selbstverwirklichung verbindet. Die Ausstellung lässt dieses Sujet in der kleinformatigen Skulptur „Blockfrei“, ein Unikat aus dem Jahr 1983, in Bronze und Beton gefertigt, anschaulich werden.7 Die beschriebenen Radierungen sind zugleich Vorstufen und Vorlagen für die Umsetzung des Themas in Bronze, beanspruchen aber darüber hinaus zweifelsohne ihre Eigenständigkeit. Die inhaltlichen Verbindungen zwischen Grafik und Skulptur sind kennzeichnend für das Œuvre von Volker Bartsch und werden daher in dieser Ausstellung erstmals systematisch zusammengestellt. Sie zeigen auch, wie der Künstler seine Ideen variiert und sie formal 4
Vgl. hierzu analoge Beispiele in Grafik, Skulptur und Malerei, Kat. Volker Bartsch 2008/09, Kat.-Nr. 24-50. Vgl. auch das Thema in der Malerei bei Jessica Ullrich: Volker Bartschs plastische Malerei, in: Kat. 200809, S. 135-163, bes. S. 136-142. Vgl. Jutta Götzmann: Im Rausch der Zeit. Neoexpressive Bildwelten in der Malerei der 1980er Jahre, in: Jutta Götzmann und Anna Havemann: Die wilden 80er Jahre in der deutschdeutschen Malerei, Katalog zur gleichnamigen Ausstellung im Potsdam Museum – Forum für Kunst und Geschichte, 3.12.2016-12.3.2017, Petersberg 2017, S. 17-23, bes. S. 20 sowie Abb. 4.
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Die bisher unveröffentlichten Arbeiten tragen die Titel „Spiegelnummer I & II“ sowie „Schwarzlichtnummer I & II“ (S. 6).
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Vgl. hierzu die Grafiken „Stehende. Studie für eine Bronzeplastik“ (1981) und „Stehende Modelle für Bronze (1981, S. 4) sowie „Beinarbeit“ (1982, S. 6) und „Gruppierung von Dreiecken. Studie zu figürlichen Abläufen in Blockformation (1982). Zu entsprechenden Kleinbronzen vgl. Kat. Volker Bartsch 2008/09, Kat.-Nr. 1-3.
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Vgl. Kat. Volker Bartsch 2008/09, Kat. Nr. 26 mit den dazugehörigen Zeichnungen „Befreiungsschlag“ und „Befreiungsakt“ von 1983, Kat.-Nr. 24-25.
in unterschiedlichsten Materialien, Techniken und Gattungen umsetzt. Zur eingangs beschriebenen Grafikserie der weiblichen Tanzenden gibt es ebenfalls eine skulpturale und damit dreidimensionale Entsprechung, die Bestandteil der Ausstellung ist. Der Künstler fertigt hierzu die kleinformatige, als Unikat modelliert und gegossene Bronze von 1985, die den Titel „Abtanzprogramm“ trägt.8 Bartsch löst die Umschreibung fester körperlicher Formen ebenso, wie die Konzentration auf die schwarze Farbigkeit seiner Radierungen. Im Tiefdruckverfahren, speziell in der Ätzradierung, experimentiert er mit der mehrfarbigenWirkung;hervorgegangen „Beinarbeit“ (1982), Radierung sind Farbradierungen, die die Wirkung einer Primärfarbe – Blau, Rot oder Gelb – in Kombination mit Schwarz herausstellen. Besonders ausdrucksstark und expressiv ist eine Serie, die Volker Bartsch ab 1991 dem Motiv des Tores in seiner bildlichen Abstraktion widmet.9 Gefragt nach seinem Interesse an dem Thema äußert Bartsch: „Für mich liegt es in der Bedeutungsvielfalt, die sich beim Durchschreiten offenbart“.10 Ausgeführt sind die Grafiken in Vernis mou, einer Radiertechnik aus dem 18. Jahrhundert. Die technische Versiertheit und die Kenntnis traditioneller Verfahren bilden die Basis für die hohe künstlerische Qualität. Die Weichgrundätztechnik Vernis mou ermöglicht, Zeichnung und Zeichenduktus zu variieren, von einer harten bis zu einer aufgelockerten Linie, die eher einer Lithographie als einer Radierung ähnelt. Aquatintaflächen changieren von einem tiefen Schwarz bis zu einer helltonigen Luftigkeit.11 Bartsch erprobt die Ästhetik von individuellen Farbflächen, die er additiv zusammensetzt. Hinter der Addition der Fläche steht gedanklich der dreidimensionale Körper – die Radierungen zeigen zeitgleich das Spiel mehrerer Perspektiven nebeneinander. Anregungen zu dieser Serie sind von Industriefarbblechen ausgegangen, die Volker Bartsch auf Schrottplätzen als Fundstücke gesammelt, in ihrer Farbigkeit naturbelassen und als plastische Form zusammengeschweißt hat.12 Zu den entstandenen Formen zählt der „Patron“ aus dem Jahr 1991. Auf die Frage, was die Grafiken und die Skulpturen aus Industriefarbblechen vereint, lässt sich die konstruktive 8
Vgl. Kat. Volker Bartsch 2008/09, Kat.-Nr. 47a+b.
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Vgl. zu seinem Motiv des Tores ausführlich Lothar Romain: Aufbruch der Tore, in: CuSn6/Wst37 2000, S. 76-104.
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Vgl. Interview zwischen Autorin und Künstler am 21.7.2017.
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Vgl. hierzu Farbradierungen wie Blockprogramm II (1991), Missing Link (1991, S. 8) und Goldener Raum (1994, S. 10).
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Volker Bartsch hat u.a. im Berliner Westhafen 1988 Farbbleche gesichert, vgl. Kat. Volker Bartsch 2008/09, S. 15, Abb. 5. Vgl. einen Überblick zum Thema der Tore bei Stoeber 2008/09, S. 262-272.
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Linie, vor allem aber die Fuge anführen. Bartsch macht die Fuge, d.h. den Zwischenraum, sichtbar, die Fuge als verbindendes Element strukturiert wie ein roter Faden sein Gesamtwerk. Das Sammeln von Fundstücken führt Volker Bartsch weiter fort – Eisen- und Industrieteile haben für ihn einen ganz besonderen Reiz, der sich aus ihrer Ästhetik und ihrer perfekten Bearbeitung „Missing Link“ (1991), Farbradierung speist. So hat der Künstler auf seiner Spurensuche 1976/77 Gussformen für Dampflokomotiven entdeckt, die aus der Zeit um 1880 stammen. Er hat diese Gusskerne mit ihrem hohen Zeugniswert für das beginnende Industriezeitalter vor der Zerstörung gerettet und wie antike Spolien in seinen Skulpturen verarbeitet. In der Ausstellung ist eine dieser Skulpturen unter dem Titel „Der Politiker“ aus dem Jahr 2007 vertreten. Das 40 cm hohe Objekt macht anschaulich, wie Bartsch die unbehandelten und in ihrer Originalfarbigkeit belassenen Buchenholzteile mit Bronze zu einer neuen Form und einer neuen inhaltlichen Aussage kombiniert. Auf weitere Serien – wie „die sieben Todsünden“ –, die Bartsch in analoger Materialität fertigte, sei an dieser Stelle verwiesen.13 Zur abschließenden Sektion der Ausstellung zählen eine Auswahl von Prägedrucken, die ab 2007 entstanden sind sowie seine aktuellen Arbeiten aus 2017, seine Car-Prints, mit denen sich Volker Bartsch auf historischen Plätzen auf Spurensuche begibt.14 Aus den Folgen der Prägedrucke sind monochrome, zartfarbene Ätzradierungen besonders eindrucksvoll, die einen gestischen Pinselstrich aufweisen, der eher Malerei als Grafik assoziiert und für eine haptische, reliefartige Oberfläche der Darstellung sorgt. Weitere Arbeiten zeigen ein unregelmäßig geometrisches Formenvokabular. Die Prägedrucke setzen sich modular aus flachen, farbigen Aquatintaflächen und angrenzenden reliefartig strukturierten Flächen zusammen. Die ästhetische Wirkung der Prägedrucke basiert auf einer hohen technischen Präzision in der Herstellung der dafür verwendeten Druckstöcke. Volker Bartsch baut zunächst die Reliefformen als Positivformen in Gips. Durch Abformung entsteht eine Negativform, in die Bienenwachs gegossen wird. Anschließend erfolgt das Ausschmelzen des Wachses und der Bronzeguss, Nachdem diese im Wachs-Ausschmelzverfahren gegossenen Druckstöcke fertigstellt sind, erfolgt der Druck auf 360 Gramm schweres Büttenpapier. Die Aquatintafläche und die angrenzende Relieffläche befinden sich jeweils auf dem gleichen Höhenniveau, die eigentliche Prägung, die die geometrische Struktur der Darstellung ausmacht, geht in die Tiefe des Blattes.
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Vgl. zu den „Sieben Todsünden“ Marc Wellmann: „Ich möchte etwas Nachhaltiges schaffen ...“, Interview mit Volker Bartsch in seinem Atelier in Wildenbruch bei Berlin am 9. August 2008, in Kat. Volker Bartsch 2008/09, S. 73-87, bes. S. 73-75.
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Vgl. den Beitrag von Annett Klinger: „Abgefahren. Volker Bartschs Car-Prints“, hierin S. 26f. sowie Katalogrückseite.
Nach ihrem Einsatz verbaut Volker Bartsch die bronzenen Druckstöcke in seine nächsten Skulpturen, zusammen mit industriell gefertigten Bronzeblechen – ein interessanter Kreislauf, der in seinem Werk Grafik und Skulptur auch materiell miteinander verbindet.15 Höhe und Tiefe, Struktur und Fläche, Farbe und Form sind nur einige der Gegensatzpaare, mit denen der Künstler seine jeweilige Bildspannung erzeugt. Volker Bartsch experimentiert mit der Dichte der Kunst, die sich hinter den Grafiken befindet. Und diese Dichte begegnet dem Besucher in den Räumen der Galerie Ruhnke, eine Dichte, die für Konstanz und Variation, vor allem aber für einen genialen Ideenreichtum im künstlerischen Gesamtwerk steht.
„Allegro Forte“ (1993), Farbradierung, 49,5 x 39,8 cm, EA: 2
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Vgl. die Skulptur „Nach oben ist alles offen“ (2017), S. 23.
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„Goldener Raum“ (1994), Farbradierung, 49,8 x 39,4 cm, Auflage 10
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„Vorwand“ (1996), Farbradierung, Platte: 42 x 33 cm, Auflage: 10
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„Gesichtsmodule“ (2010), Farbradierung, Platte: 26 x 22 cm, Auflage: 5
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„Aus der Reihe gefallen“ (2004), Farbradierung, Platte: 39,5 x 49,5 cm, Unikat (EA)
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„Isoliert“ (2013), Farbradierung, Platte: 42,6 x 33,3 cm, Auflage 5
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„Neverland“ (2015), Farbradierung, Platte: 58,8 x 30 cm, Auflage: 5
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oben links: „Ansichtssache“ (2015), Geprägte Farbradierung, Platte: 25 x 19,8 cm, Auflage: 5 oben rechts: „Quartier I“ (2015), Geprägte Farbradierung, Platte: 25 x 19,8 cm, Auflage: 5 unten links: „Kreisverkehr“ (2015, Geprägte Farbradierung, Platte: 25 x 19,8 cm, Auflage: 5 unten rechts: „Nachbarschaft“ (2015), Geprägte Farbradierung, Platte: 25 x 19,8 cm, Auflage: 5
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„Der Politiker“ (2007), 40 x 23 x 27 cm, Bronze/Holz
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„Gemeinsam einsam“ (2015), Radierung, Platte: 26 x 19,3 cm, EA: 2
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links: „Rahmenhandlung“ (2017), Holzschnitt mit Prägungen, Platte: 47 x 33 cm, Auflage: 6 rechts: „Holzmarkt Berlin“ (2016), Holzschnitt mit Prägungen, Platte: 47 x 33 cm , Auflage: 6
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„Back to the future“ (2015), Geprägte Farbradierung, Platte: 39,8 x 49,5 cm, Auflage: 5
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„Großstadtsinfonie“ (2015), Geprägte Farbradierung, Platte: 49,5 x 40 cm , Auflage: 5
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„Stadtwald“ (2015), Geprägte Farbradierung, Platte: 49 x 25 cm , Auflage: 5
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„Nach oben ist alles offen“ (2017), 65 x 12 x 13 cm, Skulptur, Bronze, Unikat
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„Labyrinth“ (2017), Geprägte Farbradierung, Platte: 50 x 50 cm, Auflage: 6, EA: 2
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„Rückendeckung“ (2017), Geprägte Farbradierung, Platte: 17,5 x 27,5 cm, Auflage: 2
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„Brandenburger Tor“ (2017), Car Print, Platte: 40 x 50 cm, Auflage 3
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Abgefahren! Volker Bartschs Car Prints Annett Klingner Altes vergeht, Neues entsteht. Diese unausweichliche wie notwendige Abfolge löscht Spuren: von Menschen, Ereignissen, Orten, Epochen. Unwiederbringlich. Der Künstler Volker Bartsch sichert seit vielen Jahren einzigartige Spuren und integriert sie in seine Werke. In diesen stellt er die verschwindenden Zeitzeugen auf besondere Weise heraus und verleiht ihnen in einem Prozess künstlerischer Neuschöpfung einen aktuellen Bedeutungszusammenhang. So auch in seinen aktuellen Car Prints. Bartsch platziert Druckplatten an historisch bedeutenden Orten, fängt deren einzigartige Spuren mit seinem Oldtimer, einem Triumph TR 3, Baujahr 1959, ein und kombiniert sie zu faszinierenden Arbeiten. Die Spurensuche begleitet den Künstler bereits seit seiner Studienzeit vor vier Jahrzehnten. Mitte der 1970er Jahre kam ihm zu Ohren, dass 100 Jahre alte Holzgussformen für Dampflokomotiven verbrannt werden sollten. In einer Nacht- und Nebelaktion „rettete“ er diese, hütete sie ein Vierteljahrhundert lang und verbaute sie schließlich in zwei prägnanten Skulpturenzyklen. In den 1980er Jahren entdeckte der Künstler ein neues „Materiallager: farbige Industriebleche großer deutscher Unternehmen aus den vierziger bis sechziger Jahren, die in der modernen Gesellschaft ihre Funktion eingebüßt und ihren Glanz verloren hatten – für ihn wertvolle und verwertbare Zeitzeugnisse. Er ließ seinen Fundstücken die Spuren des Alterns und des Gebrauchs und fügte sie zu Skulpturen zusammen. Damit lösten sich für ihn erstmals die Grenzen zwischen Bildhauerei und Malerei auf – immaterielle Qualitäten, abstrakte Positionen und narrative Raumbilder entfalteten sich. In seinem temporären Berliner Atelier über dem Technoclub Kater Holzig (2012/13) wurde Bartsch intensiv mit der Vergänglichkeit eines Lebensgefühls konfrontiert. Betreiber und Gäste wussten, dass sie nur für wenige Monate in der alten Seifenfabrik am Spreeufer bleiben konnten, bevor das Gebäude zu einer Ansammlung steriler Eigentumswohnungen umgebaut werden würde. Umso intensiver, ekstatischer und präsenter zelebrierten sie ihre Partys. Volker Bartsch war immer mittendrin und setzte die markantesten Details von Ort, Zeit und Stimmung in Gemälden und Grafiken um. Sein aktuelles Atelier im S-Bahn-Bogen 42 am Friedrichshainer Spreeufer liegt am Holzmarkt, einem historisch besonderen Ort. Zu DDR-Zeiten war dort Grenzgebiet und die einzige Werkstatt für Westautos der Marken Renault und Fiat. Jetzt entsteht an selber Stelle ein Kultur- und Gewerbedorf – mit Club, Hotel, Restaurant und Gründerzentrum. Bevor die S-Bahn-Bögen in Kürze eingebaut werden, sichert Bartsch auch hier Abdrücke: mit seinem Oldtimer. Er fährt in genau berechneten Bahnen über den geschichtsträchtigen Boden und danach über bemalte Leinwände oder Druckplatten, wie er es zuvor bereits an historischen Plätzen, wie dem Brandenburger Tor (siehe gegenüberliegende Seite), der Glienicker Brücke oder dem Checkpoint Charlie getan hatte. Die auf diese Weise entstehenden Arbeiten sind sowohl als Monoprints, Zeichnungen, Performance und prozessuale Werke interpretierbar – das Auto fungiert hierbei als Malinstrument und Presse. Die Spuren dieser besonderen Orte bleiben Bartschs Gemäldekompositionen und Grafiken für immer eingeschrieben.
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Volker Bartsch Lebens- und Werkdaten 1973–1978 1976
1977 1978 1979 1979/80 1980–1982
1984 1985–1987 1987
1988
1990
1992/1993
Studium der Bildhauerei an der Hochschule der Künste Berlin (heute UdK) Sechsmonatiger Motorradtrip durch Nordafrika – in Tanger und Marrakesh Bronzeguss-Studien mit Lehmschmelzöfen. Erste Bronzegussexperimente mit dem Keramikausschmelzverfahren (gemeinsam mit dem amerikanischen Künstler Baird Cornell) Aufbau einer eigenen Bronzegießerei Ernennung zum Meisterschüler Studienaufenthalt in Südportugal, dort erste künstlerische Beschäftigung mit Natursteinstrukturen Wohnsitz in der Toskana. Verstärkte Verwendung von Bronze, Skulpturenexperimente, Verfeinerung der Gusstechnik. Begegnung mit Max Bill, der Bartsch zur Reduktion rät. Die Bewegung und der Tanz werden intensive Subjekte der Untersuchung. Ein neues Material, Aluminium, erweitert den Formenkanon. Künstlerische Gestaltung des Ammonitenbrunnens auf dem Elefantentorplatz in Berlin nach einer Idee der Architekten Pit Achatzi/Rolf Backmann. Einweihung der Brunnenanlage durch HRM Queen Elizabeth II. Intensive Auseinandersetzung mit Granitformationen, die sich in zahlreichen Skulpturen niederschlägt. Durch den Tod eines engen Freundes entsteht eine intensive malerische Auseinandersetzung mit dem gerade erst öffentlich werdenden Themas AIDS. Einsatz von gesicherten Industrie-Relikte, z.B. farbigen ‚gelebten‘ Eisenblechen, später auch von Holzlokomotiv-Gussformen aus den 1880er Jahren sowie Bahlsen-Keks-Maschinen, die in neue Form- und Sinnzusammenhänge gebracht werden. Kaiserring-Stipendium der Stadt Goslar. Durch alte Türstöcke von Erdbunkern im Fichtelgebirge erfolgt eine erste Annäherung an den Mythos „Tor. Erneutes Treffen mit Max Bill. Mit diesem kontroverse Diskussion über die künstlerische Bearbeitung von Naturstein. Kunstpreis der Darmstädter Sezession. Experimente mit bildhauerischen Materialien. Während eines mehrmonatigen Studienaufenthaltes in Ägypten überträgt sich die Faszination solitärer Architekturfragmente, es entstehen zunehmend Stelen und Stelenformationen. Um zu Arbeitsergebnissen zu gelangen, die den einzigartigen Charakter der Bronze stärker betonen, werden die Skulpturen nicht mehr gegossen, sondern geschweißt. Durch Bartschs langjährige Leidenschaft, das Restaurieren von Oldtimern, entsteht die Idee zu selbsttragenden Skulpturenkonstrukten.
1994–1996 1997
2000
2001
2002 2003–2005
2006/2007
2008/2009 2009–2011 2012/2013 2013/2014
2015 2016 2017
Ausbau eines Vierseit-Bauernhofes in Wildenbruch bei Potsdam zum Atelierund Wohngelände mit Skulpturengarten. Neben begehbaren Portalen und Toren oder solchen, die nur eine Sichtöffnung freilassen, entstehen blockhafte Kompositionen, die sogar den Durchblick verwehren. Verdichtung formaler Konstellationen, Umsetzung der Thematik „Hindernis“. zahlreiche Radier-Experimente mit verschiedenen Chemikalien auf atypischen Druckstöcken. Die Grafiken gewinnen dabei einen sichtbar reliefartigen Charakter. Die philosphische Durchdringung des Begriffes „Raum“ wird zum beherrschenden Thema der folgenden Jahre. Wichtigstes Zeugnis dieser Schaffensperiode ist die Außenskulptur „Brückenschlag“ vor der BHF-BANK in Frankfurt am Main. Konfrontation mit traditionellen Tuschetechniken in Japan und in der Folge Adaption für das eigene Werk. Experimente mit bewusst gesprengten Firnissen, um in der Malerei gezielt Oberflächenverletzungen zu inszenieren. Umfangreiche Experimente mit Druckstöcken und Chemikalien. Bei den nun entstehenden Radierungen tritt deren dreidimensionaler Charakter immer deutlicher hervor. Bei häufigen Aufenthalten in Italien studiert Bartsch Renaissance-Maltechniken. Konzeption und Herstellung der bislang größten und komplexesten Bronzeskulptur Europas, dem 12 x 9 x 8 m großen Werk „Perspektiven“ (Standort seit September 2007 vor dem Henry-Ford-Bau in Dahlem) Intensive Beschäftigung in Plastik und Malerei mit den „Sieben Todsünden“. Verlegung des Lebens- und Arbeitsmittelpunktes nach Rom Malerische, skulpturale und grafische Arbeit am Komplex „Fluch der Schönheit – Von Botox-Horror bis Silikon-Desaster“ Künstlerische Bearbeitung des Themas „Berliner Clubszene – die härteste der Welt?“ (Malerei, Grafik, Skulptur) Verlegung des Arbeits- und Lebensmittelpunktes nach London. Malerische, skulpturale und grafische Arbeit am Komplex „Weg damit! Zwischen Moderne und Gentrifizierung“ Entwicklung eines speziellen Prägedruckverfahrens zur dreidimensionalen Darstellung von Farbradierungen Bezug eines neuen Ateliers im Holzmarkt Berlin Car Paintings und Car Prints – Sicherung einzigartiger Spuren mit einem Triumph TR3 und deren Integration in Gemälde und Druckgrafiken
Abbildung Rückseite: „Ab durch die Mitte“ (2017), Platte: 40 x 50 cm, Car Print, Auflage 2
Impressum Galerie Ruhnke Charlottenstr. 122 14467 Potsdam www.galerie-ruhnke.de Fotos: Annett Klingner Gestaltung: Robert Witzsche, rwmd.de September 2017