Braunes Wegberg? Nationalsozialismus in Wegberg. Täter, Mitläufer und Opfer.

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BRAUNES WEGBERG?

Braunes Wegberg ? Acht Schülerinnen und Schüler begeben sich im Rahmen eines Geschichts-Projektes detektivisch auf Spurensuche und kommen zu dem Ergebnis: Das dunkelste Kapitel deutscher Geschichte in ihrem Heimatort Wegberg, der Nationalsozialismus, ist über sieben Jahrzehnte nahezu verdrängt worden.

ISBN 978-3-00-038545-2

a r t ko n ze pt k ö r n e r

BRAUNES WEGBERG? Projektkurs Geschichte

Am Beispiel anschaulicher Lebensläufe rekonstruieren sie die Anfänge der NSDAP und wie massiv der Ort vom Nationalsozialismus beherrscht wurde. Sie ermitteln Täter, Opfer und Mitläufer und zeigen am Beispiel des Dechanten Gottfried Plaum das schwierige Verhältnis der katholischen Kirche zum Nationalsozialismus auf. Sie rekonstruieren erstmalig die NS-Verbrechen gegenüber zwei jüdischen Familien, behinderten Menschen, NS-Gegnern und Zwangsarbeitern und benennen die Täter. Sie beschäftigen sich mit der örtlichen Hitlerjugend. Hierzu befragten sie Zeitzeugen und nutzten bisher nicht veröffentlichte Quellen zur Geschichte der Stadt Wegberg aus dem Stadt-, Landes- und Bundesarchiv, u.a. Entnazifizierungsakten und Strafprozessakten. Herausgekommen ist ein beeindruckendes, aber auch erschreckendes Zeugnis Wegberger Geschichte. Deshalb ist dieses Buch den Verfolgten und Opfern des Nationalsozialismus in Wegberg gewidmet.

So etwas gab es doch nicht bei uns… Oder doch?

Täter, Mitläufer und Opfer im Nationalsozialismus in Wegberg


Titelbild Abb. 1: Wegberger Mädchen beim HitlergruĂ&#x;


BRAUNES WEGBERG? So etwas gab es doch nicht bei uns… Oder doch?

Täter, Mitläufer und Opfer im Nationalsozialismus in Wegberg

Projektkurs Geschichte Maximilian-Kolbe-Gymnasium Wegberg


Impressum

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Braunes Wegberg? So etwas gab es doch nicht bei uns… Oder doch? Täter, Mitläufer und Opfer im Nationalsozialismus in Wegberg

Ein kleines Dankeschön! Wir möchten uns an dieser Stelle bei den Einsendern der zahlreichen Dokumente, persönlichen Erinnerungen und Bilder bedanken! Ohne ihre Mithilfe wäre dieses Buch nicht zustande gekommen. Die Herausgeber

Herausgegeben im August 2012 vom Projektkurs Geschichte des Maximilian-Kolbe-Gymnasiums in Wegberg. Kai Blankertz, Tamara Büschgens, Claudia Holländer, Miriam Jentgens, David Koj, Lisa Lehmann, Ben Mertens, Lisa Stender. Angeleitet durch ihren Geschichtslehrer Jürgen Tenbrock. Alle Erinnerungen und Bilder sind mit den Namen der Einsender im Bildquellenverzeichnis versehen. Wir danken allen Personen, die diese Bilder zur Verfügung gestellt haben! Finanziell unterstützt haben das Projekt: Landrat des Kreises Heinsberg, Herr Stefan Pusch Kreissparkasse Heinsberg, Herr Pennartz und Herr Nouvertné Verzinkerei März, Wegberg Wasserwerke des Kreises Heinsberg Wolters Beton GmbH, Wegberg A.u.B. Hides GmbH & Co. KG., Wegberg Anonyme Spender Titelentwurf Artkonzeptkörner unter Mitwirkung von Claudia Holländer Konzept, Design, Realisation, Druck Artkonzeptkörner, Wegberg

ISBN 978-3-00-038545-2


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Inhalt

Grußwort Vorwort

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Die Machtergreifung der NSDAP in Wegberg Wahlen in Erkelenz/Wegberg 1928-1933 Gründung der NSDAP-Ortsgruppe Wegberg Machtergreifung in Beeck Organisationsstruktur der NSDAP-Ortsgruppe Wegberg Der Wegberger Ortsgruppenleiter Matthias Eggerath Der NSDAP Kreisleiter Kurt Horst - Der „Allgewaltige des Kreises“ NSDAP-Kreisleitung Erkelenz NSDAP-Ortsgruppe Wegberg NSDAP-Ortsgruppe Beeck Leben in der Gemeinde mit der NS-Herrschaft

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Die Entwicklung der Hitler-Jugend Nationalsozialistische Erziehungsziele Jugendliche in politischen und sportlichen Gruppen (1936) Ein Schlag auf den Kopf – danach ins Kino Panzerfahrt im Tüschenbroicher Wald Unterrichtsfrei! Aber Krieg „Wir wollen lieber sterben, als kapitulieren“ Entnazifizierung der Jugend P. A. J. E. Das Martyrium der Familie Eickels

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„Christ oder Deutscher“ Kirche und Nationalsozialismus Darstellung und Wirklichkeit Festigung der Macht und Umgang mit der Kirche Das Bistum Aachen zur Zeit des Nationalsozialismus Kirchenaustritte Der Religionsunterricht Katholischer Widerstand in Wegberg Der Fall Gottfried Plaum Einfluss auf die geistliche Gesellschaft

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Inhalt

„Ihr Juden habt unseren Heiland gekreuzigt“ Juden in Wegberg Boykott jüdischer Geschäfte Terror gegen die Familie Salm durch die Wegberger SA 1935 Der 9./10. November 1938 in Wegberg/Erkelenz Die Deportation der Wegberger Juden 1941 Antisemitische Tendenzen nach 1945: Ein Vorfall aus dem Jahre 1989 Entnazifizierung in Wegberg

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„Wir müssen ein gesundes Volk besitzen…“ - Euthanasie Prolog Die eigentliche Bedeutung von Euthanasie „Die Freigabe der Vernichtung lebensunwerten Lebens“ Die Phasen der Euthanasie St. Josefsheim - Bildungs- und Pflegeanstalt Waldniel Ärzte und Pflegerschaft Experimente Anwohner Widerstand Auflösung der Provinzial - Heil- und Pflegeanstalt Waldniel-Hostert

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Die Zwangsarbeit in Wegberg Allgemeines Lichtblicke für Zwangsarbeiter Hinrichtungen

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Zusammenfassung Dokumentenanhang Unvollständige Liste von Verfolgten und Opfern Abkürzungsverzeichnis Bildquellennachweise Quellenverzeichnis Literaturverzeichnis Internetadressen

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T채ter, Mitl채ufer und Opfer im Nationalsozialismus in Wegberg

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Abb. 2: Alex Salm ca. 1930 in Wegberg


Grußwort

Nach Denken Willy Meersmann

Als Schulleiter des MaximilianKolbe-Gymnasiums in Wegberg habe ich mich sehr gefreut, als die engagierte Schülergruppe mich bat, diesem Werk ein Wort voranzusetzen. Es handelt sich hier ja um ein Projekt, das junge Wegberger Bürger, angeleitet durch einen engagierten Lehrer, als besondere Leistung in einem Jahreskurs auf die Beine gestellt haben. Über das Zustandekommen dieses Produktes freue ich mich sehr. Es zeigt mir, dass es immer wieder junge Menschen mit besonderem Einsatz und besonderem historischem Interesse gibt, Interesse an Geschichte vor Ort, an den Geschehnissen in ihrer eigenen Heimat. Ich wünsche der Gruppe, dass dieses Buch den Erfolg hat, den sie erreichen wollen. Für mich als Wegberger Bürger, dessen Familie auch schon seit einigen Generationen in diesem Ort wohnt, war das erste Lesen dieses Manuskripts mit persönlichen Gefühlen verbunden. Wie waren die eigenen Verwandten in die braune Vergangenheit Wegbergs eingebunden? Kannte ich selbst noch Menschen, die hier eine besondere Erwähnung finden? (Ja, z.B. Pfarrer Plum in Beeck). Das Buch hat mir gezeigt, wie schnell aus ersten Anfängen der braune Terror auch in Wegberg an die Macht kam; hat ge-

zeigt, dass es „normale“ Wegberger Bürger waren, die tatkräftig die Bewegung vorangetrieben haben oder sich von wirtschaftlichen, beruflichen Versprechen haben verführen lassen. Ich wünsche mir, dass jede Leserin, jeder Leser angeregt wird, für sich die Fragen zu beantworten: „Wie hätte ich mich verhalten? Wäre ich auch dabei gewesen?“ Ich persönlich widme dieses Vorwort meinem langjährigen direkten Nachbarn hier in Wegberg, Herrn Alex Salm. Das Schicksal seiner Familie jüdischen Glaubens findet einen breiten Platz in diesem Buch. Ich habe ihn dafür bewundert, dass er nach Wegberg zurückgefunden hatte, obwohl seinen Eltern und Geschwistern und allen Verwandten hier so Furchtbares widerfahren ist. Meine Gespräche mit ihm, auch über die Vergangenheit, ließen für mich erkennen, dass er nichts vergessen, aber vieles verziehen hatte. Möge bei Ihnen, liebe Leserin, lieber Leser, dieses Buch auch Gedanken und Gefühle wecken, die dazu beitragen, dass sich ein solches Kapitel der Geschichte der Unterdrückung der Mitmenschlichkeit nie mehr wiederholt.

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T채ter, Mitl채ufer und Opfer im Nationalsozialismus in Wegberg

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Abb. 3: Hitlerjungen in Wegberg


Vorwort

Vorwort

„ …die damalige Gemeinde Wegberg hat 1945 von meiner Rückkehr aus dem KZ als einzigem Wegberger Juden nur statistische und melderechtliche Kenntnis genommen…“, so Alex Salm am 3. Januar 1989 in einem Brief an den Bürgermeister der Stadt Wegberg. Dieses erschütternde Zitat des einzigen überlebenden Wegberger Juden Alex Salm war einer der Ausgangspunkte eines Geschichts-Projektkurses, an dem acht Schülerinnen und Schüler im Alter von 17-18 Jahren des MaximilianKolbe-Gymnasiums teilnahmen. „So etwas gab es doch nicht bei uns… Oder doch?“ lautet der Titel des Buches. Es heißt oft, dass die Jugend Verantwortung dafür trägt, dass es niemals wieder zu solchen Verbrechen kommt. Aber für was tragen wir eigentlich die Verantwortung? Inwieweit war der Nationalsozialismus in Wegberg präsent? Wenn man sich in der Bevölkerung umhörte, dann hieß es oft: „So etwas gab es doch nicht bei uns!“ oder „Für so etwas war Wegberg zu christlich!“ Aber war es tatsächlich so? Gab es in unserer Stadt keinen Zuspruch zur NSDAP oder gar einen Wider-

stand? Es ergaben sich viele offene Fragen, die beantwortet werden mussten. Es musste Licht in das dunkelste Kapitel der Stadtgeschichte gebracht werden, damit die heutige Generation frei von Schuldzuweisungen Verantwortung dafür übernehmen kann. Im Laufe der Recherchen mehrten sich die Hinweise, dass das schlimmste Kapitel deutscher Geschichte in Wegberg nahezu vollständig verdrängt worden ist. Selbst 70 Jahre nach Ende des Nationalsozialismus gibt es kaum Veröffentlichungen zu diesem Thema. Aus diesen Gründen waren folgende Leitfragestellungen wichtig: Wie konnte es in Wegberg zum Nationalsozialismus kommen? Wer waren die Wegberger Nazis und deren Unterstützer? Was waren deren Motive? Wie war es möglich, Menschen, nicht nur jüdischen Glaubens, die in Wegberg lebten, aus der dörflichen Gemeinschaft auszuschließen, zu entrechten und zu vernichten? Wer beteiligte sich vor Ort hieran? Gab es Menschen, die sich dagegen wehrten? Wer leistete Widerstand? Und wenn es Täter gab, was geschah nach 1945 mit Ihnen?

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Täter, Mitläufer und Opfer im Nationalsozialismus in Wegberg

Und natürlich die Frage: Wie konnte es gelingen, die Aufarbeitung der örtlichen NS-Geschichte 70 Jahre zu verdrängen? Die Quellenlage erschien zunächst unzureichend für die Bearbeitung der Fragestellungen, da im Stadtarchiv Wegberg lediglich unvollständig erhaltene Bestände der Bürgermeisterei Beeck und der Gemeinde Wegberg aus der NS-Zeit erhalten geblieben sind. Dies machte es notwendig, Archivmaterialien auf höheren Verwaltungsebenen zu sichten. Im Landesarchiv Düsseldorf wurden die Bestände des Kreis-Entnazifizierungsausschusses Erkelenz sowie die des Berufungsausschusses in Aachen ausgewertet (ca. 3.500 Karteikarten und Fragebögen). Sie ermöglichten ein Bild zur Organisation der Wegberger NSDAP und lieferten darüber hinaus Beispiele für die Praxis der Entnazifizierung, aber auch Leumundszeugnisse, die das Ziel hatten, eine Person von Schuld reinzuwaschen, die sogenannten „Persilscheine“. Nur ein kleiner Teil dieser Akten mit Bezug auf Wegberg wurde ausgewertet. Bedeutsamer für den Untersuchungsgegenstand waren die Akten einiger führender Funktionäre der Kreis- und Ortsgruppenleitung der NSDAP, die nach dem Krieg verhaftet und vor den Spruchkammern der Britischen Zone in Internierungslagern angeklagt wurden. Diese Akten lagern als archivwürdiges Material im Bundesarchiv in Koblenz und ermöglichten in

vielen Fällen eine teilweise Rekonstruktion der NS-Verbrechen vor Ort mit staatsanwaltlichen Mitteln. Doch auch Zeitzeugen spielen in unserem Buch eine wichtige Rolle. Ihnen wollen wir an dieser Stelle unseren besonderen Dank entgegenbringen: Hans Symes, Norbert Barth und Hermann Reiners konnten neben anonymen Zeugen manche Lücke schließen, die durch schriftliche Quellen nicht erschlossen werden konnte. Darüber hinaus haben uns folgende Personen und Institutionen maßgeblich unterstützt: Thomas Düren vom Stadtarchiv Wegberg, Frau Radine vom Pfarrarchiv Beeck, Dr. Jens Niederhut und Regina Hönerlage vom Landesarchiv Düsseldorf und der archivpädagogische Dienst sowie die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Bundesarchivs. Dietmar Schmitz vom Historischen Verein Wegberg, Rita Körner und Michael Körner für die Beratung und Gestaltung, Theo Wolber, Peter Zöhren und Willy Meersmann als Schulleiter. Gefördert wurde dieses Buch neben anderen Spendern durch den Landrat des Kreises Heinsberg aus Mitteln einer Bildungsoffensive zur Bekämpfung extremer Parteien.


Vorwort

Unser Buch soll Antworten auf einige dieser Fragen geben und zur Aufklärung verdrängter Teile der Lokalgeschichte Wegbergs beitragen. Das Buch soll den Verfolgten und Opfern des Nationalsozialismus in Wegberg gewidmet sein. Mögen sie niemals vergessen werden.

Kai Blankertz Tamara Büschgens Claudia Holländer Miriam Jentgens David Koj Lisa Lehmann Ben Mertens Lisa Stender Jürgen Tenbrock, Geschichtslehrer

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Die Machtergreifung der NSDAP in Wegberg

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„Es gilt … dieses deutsche Volk emporzuführen“ Zitat Adolf Hitler

Die Machtergreifung der NSDAP in Wegberg Miriam Jentgens und Lisa Stender Die Nationalsozialisten haben politische Gegner aus ihren Ämtern gedrängt, um auf diese Weise sowohl ihre Ideologie zu verbreiten als auch die Kontrolle über Teile der Bevölkerung zu erlangen. Doch wie gelangten die Nationalsozialisten in Wegberg an die Macht? Wie konnte es passieren, dass das NSSystem in Wegberg installiert wurde? Zunächst setzte sich der Nationalsozialismus in der Kreisstadt Erkelenz durch, bevor die ersten NSDAP-Ortsgruppen sich in Wegberg und seinen Ortsteilen gründeten. Dabei erfolgte die nationalsozialistische Durchdringung des Kreises Erkelenz wiederum von Aachen aus. Ein aktiver Kämpfer dort war seit 1923 Rudolf Schmeer, Elektriker von Beruf und Mitglied der Münchener NSDAP. 1925 wurde die Ortsgruppe Aachen unter seiner Führung ge-

gründet.1 Ab 1928 wurde er dann durch seinen Bruder Hugo Schmeer unterstützt, der auch die SA aufbaute, die später von Lucian Wysocki, einem Bergmann aus dem Ruhrgebiet, geführt wurde. Wysocki war vor dem Krieg Polizeipräsident in Düsseldorf und Duisburg, ab 1941 Generalmajor und SS- und Polizeiführer in Litauen, wo ca. 200.000 Juden umgebracht wurden. 1929 wurde Hugo Schmeer Kreisleiter der NSDAP Geilenkirchen. Erste Erfolge hatte die NSDAP 1929 in Birgden. Hier sprach Rudolf Schmeer zum Thema: „10 Jahre Republik 10 Jahre Betrug“. Die Durchführung dieser Versammlung wollte die Zentrumspartei noch verhindern. In diesem Jahr erfolgte die Gründung des Stützpunktes Birgden mit Anschluss an die Ortsgruppe Erkelenz.

1 Frenken, Funken, Gillessen, Zumfeld, Der Nationalsozialismus im Kreis Heinsberg, (2010), S.28ff


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