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EIN BOOT, DAS RICHTIG FAHRT AUFGENOMMEN HAT

Seite 23 · Juli/August 2021

Pfarr Brief Ein Boot, das richtig Fahrt aufgenommen hat

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Auch in Kirche scheint in letzter Zeit ordentlich viel Bewegung zu sein

Von einem „toten Punkt“ war in

den letzten Wochen oft die Rede. Für einen „toten Punkt“ schäumt es aber sehr, da steckt viel Energie dahinter, ähnlich wie beim Segelboot auf dem Titelbild. Ein Boot, das richtig Fahrt aufgenommen hat, und auch in Kirche scheint in letzter Zeit ordentlich viel Bewegung zu sein:

„Heute bei Dir“, der Synodale Weg, die vielen Kirchenaustritte (nicht nur) in Köln wegen des Umgangs mit Missbrauch, das Auflehnen gegen das römische Verbot der Segensfeiern, die Entsendung der Visitatoren nach Köln - bis hin zum Rücktrittsgesuch von Kardinal Marx. Zum ersten Mal hat damit ein einflussreicher Kardinal institutionelle Verantwortung für den Missbrauch übernommen. Das ist ein Novum – und schlug hohe Wellen. „Im Moment sieht es so aus, als sei die Talfahrt der Kirche kaum aufzuhalten.” und „Die katholische Kirche, wie wir sie kennen, stürzt gerade von ihrem hohen Sockel, auf dem sie über viele Jahrhunderte auf die Welt herabgeblickt hat.”, so hat der Essener Generalvikar Klaus Pfeffer die aktuelle Lage bilanziert. Pfeffer und Marx gemeinsam ist aber die Überzeugung, dass der Tod nicht das Ende, sondern vielmehr ein Wendepunkt sein kann und soll, eine Chance in der Krise. Denn: „Wer vom Sockel stürzt, kann nicht mehr von oben herab auf die Welt blicken.” (K. Pfeffer).

Mit dem Bild vom „toten Punkt” bezieht sich Kardinal Marx auf Alfred Delp, der 1944 in der NS-Zeit diese Formulierung wählte. Delp war der Überzeugung, dass die Kirche damals doch zu sehr an ihr eigenes Überleben geklammert waren. Ihr habe der Mut gefehlt, auch Neues zu denken und angesichts dieser epochalen Herausforderung nicht zu taktieren und nur zu überlegen, wie kommen wir irgendwie durch, wie überleben unsere Institutionen.

Von Ostern her gedacht gibt es für Kardinal Marx aber keine toten Punkte, die nicht zu Wendepunkten werden können – ohne Sterben keine Auferstehung, ohne Tod kein neues Leben. Wenn die katholische Kirche an einem oder mehreren toten Punkten angekommen ist, dann ist sie das nicht erst seit gestern – siehe Delp. Und die Wendepunkte gab und gibt es auch. Auch jetzt sind sie bereits sichtbar, werden gelebt und verändern die Kirche - Schritt für Schritt.

Sichtbare aktuelle Wendepunkte sind z.B. die 110 Segnungsgottesdienste im Mai, in denen Liebende gesegnet wurden, seien sie kirchlich verheiratet, in zweiter Ehe oder in gleichgeschlechtlichen Beziehungen. Hier wendet sich die Kirche den Menschen hin. Auch beim Synodalen Weg gibt es diese Bewegung hin zu den Menschen. Da kommen endlich Betroffene von sexueller Gewalt zu Wort; das Thema „divers“ findet allmählich seinen Platz, denn die Rede von „ausschließlich Männern und Frauen“ schließt viele Menschen aus.

Es ist also vieles in Bewegung, der synodale Prozess nimmt Fahrt auf und hat durch Kardinal Marx ordentlich Rückenwind bekommen, den Weg der Erneuerung weiterzugehen. Wir stehen erneut vor einem historischen Wendepunkt. Schließen möchte ich mit einem Zitat von Papst Franziskus: „Die Welt, in der wir leben und die in all ihrer Widersprüchlichkeit zu lieben und zu dienen wir berufen sind, verlangt von der Kirche eine Steigerung ihres Zusammenwirkens in allen Bereichen ihrer Sendung. Genau dieser Weg der Synodalität ist das, was Gott sich von der Kirche des dritten Jahrtausends erwartet.“

Ihr Pfarrer Franz Xaver Huu Duc Tran

AUS DEM BISTUM AACHEN

Orte von Kirche: Bei Aldi an der Kasse?!

In der Corona-Zeit war es ver-

meintlich ruhiger beim BistumsProzess „heute bei dir“, und doch sind die Arbeiten fortgesetzt worden. Arbeitsgruppen – Basis-AGs – waren tätig und nächste Zwischenergebnisse stehen an. Eine der Basis-AGs (2) arbeitet zum Thema „Orte von Kirche“:

Von/nach Katharina Veltmann, Handlungsfeldkoordinatorin Gemeinhin würde man vermutlich auf die Frage: „Was ist ein Ort von Kirche?”, so antworten: „Na die St. RochusKirche” oder „Das Pfarrheim!” Vielleicht würde der eine noch die Katholische KiTa nennen, seltener „Die Schule in der Soundso-Straße” oder „Das Marienkrankenhaus, das ist doch katholisch…” Und sehr wahrscheinlich würden die wenigsten der Befragten dieser Aussage zustimmen: „Bei Aldi an der Kasse!“ …

„Orte von Kirche“ sind nicht an kirchliche Gebäude gebunden. Sie können es sein und werden, wenn sich dort Menschen begegnen und annehmen, mit dem was sie in diesem Moment einander anbieten können. Wie zum Beispiel die Kasse im Discounter, wenn sich dort Menschen begegnen und einander beschenken, weil sie sich ansehen, ein paar Worte wechseln und ihr Leben miteinander teilen. Ein „Hallo“, „67,53 Euro bitte“ oder ein „Wiedersehen“ machen aus der Kassensituation noch keinen Ort von Kirche, aber dort finden manchmal durch eine Kleinigkeit des Einkaufs intensive Gespräche statt: über Leben und Tod, über den Verlust des Arbeitsplatzes oder über Krankheit.

Wenn Einzelne einander dann eine Deutung anbieten, mit der sie an diesem Ort nicht gerechnet haben, wird Gott erfahrbar. Und alle gehen im besten Fall beschenkt und gestärkt aus dieser Situation heraus. […] Orte von Kirche können so vielfältiger, unterschiedlicher, verborgener und weniger offensichtlich sein – und dann intensiver als wir sie manchmal in Erinnerung haben. Orte von Kirche dienen dann zuerst den Menschen und seiner Sehnsucht nach gelingendem Leben.

Die Basis-AG 2 sieht, dass dazu ein Perspektivwechsel und ein Mentalitätswandel notwendig ist: Kirche ist nicht (mehr) dazu da, sich selbst zu erhalten. Kirche wird nur dann lebendig bleiben, wenn sie der Frage nachgeht: „Wozu und vor allem für wen bin ich da!“

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