Dave und Neta Jackson
Das
CLV-Lesebuch
für Jungen und Mädchen
Christliche Literatur-Verbreitung e.V. Postfach 11 01 35 · 33661 Bielefeld
1. Auflage 2003 © 2003 by CLV Christliche Literatur-Verbreitung Postfach 11 01 35 · 33661 Bielefeld Internet: www.clv.de Umschlag: Dieter Otten, Gummersbach Satz: CLV Druck und Bindung: Ebner & Spiegel, Ulm ISBN: 3-89397-525-X Dieses Buch darf nicht verkauft werden!
Inhalt Vorwort Gladys Aylward William Bradford John Bunyan Adoniram und Ann Judson Florence Nightingale John Paton Nate Saint Mary Slessor William Tyndale David Zeisberger Glaubenshelden Weitere CLV-Bücher
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Vorwort »Die schönsten Geschichten schreibt das Leben selbst«, sagt man – und diese spannenden Erzählungen beweisen es einmal mehr. Wir möchten Dich gerne mitnehmen auf die abenteuerliche Lebensreise so beeindruckender Frauen und Männer wie Florence Nightingale, Nate Saint, Ann und Adoniram Jackson, Gladys Aylward, David Zeisberger, William Tyndale … Sie wagten ihr Leben bei gefährlichen Missionen, unternahmen stürmische Schifffahrten in fremde Länder, schmuggelten kostbare Frachten auf geheimen, bespitzelten Wegen und begaben sich auf eine halsbrecherische Flucht über einsame Berge, wenn Krieg und Terror sie dazu zwangen. Sie riskierten es, unschuldig verurteilt zu werden und in »Gefängnissen des Todes« und finsteren Verliesen zu schmachten, sie überwanden Kultur- und Sprachbarrieren und sahen sich mit Zauberern, Giftpfeilen und finsteren Mächten konfrontiert. Mühen und Enttäuschungen konnten sie nicht aufhalten und sie trauten sich, die Nachbarn von Kannibalen zu werden.
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Es waren Menschen wie Du und ich – doch in all den kleinen und großen Herausforderungen und Gefahren ihres Lebens wurden sie dennoch zu Helden. Sie fanden etwas, wofür es sich lohnte, alles einzusetzen und alles zu wagen! Es wäre schön, wenn ihr Vorbild uns Mut machen würde, auch zu Helden Gottes zu werden! Das wünschen wir Dir – und viel Freude beim Lesen der »Abenteurer Gottes«-Reihe.
Herzlich grüßt das CLV-Team.
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Dave & Neta Jackson
Heimatlos – Gladys Aylward Taschenbuch, 160 Seiten 3,50 Euro 3,60 Euro [A] – 6,00 SFR Best.Nr. 255.445 Die sechsjährige Mei-en schrie vor Angst! Die Zigeunerin, in deren Besitz sie sich befand, wollte sie gerade an eine fremde Frau verkaufen. Die Zeiten waren hart in den Bergregionen von China. Man schrieb das Jahr 1934 und Waisen wurden oft für Pfennige verkauft. Aber Fremde wurden von den Chinesen als »Teufel« betrachtet. Daher war sich Mei-en sicher, dass die kleine Frau in chinesischer Kleidung sie zum Abendbrot verspeisen wollte! Doch die neue Besitzerin von Mei-en war die leidenschaftliche und angesehene Missionarin Gladys Aylward. Eines Tages stand Mei-en vor ihrem neuen Zuhause, als wundervolle silberne »Vögel« über den Himmel flogen – aber ihre Freude wandelte sich in Schrecken, als sie Bomben abwarfen, die in der ganzen Stadt explodierten. Plötzlich war ihr Leben und das von fast hundert Waisenkindern in großer Gefahr! Leseprobe ង
Aus der Vergangenheit asst mich los!«, schrie Ninepence und versuchte, ihren Arm wegzuziehen. »Keine Angst, Mei-en«, sagte der Mann grinsend. »Ich will nur mit dir reden.« »Ninepence hatte Angst. Niemand hatte sie Mei-en genannt, seit … seit sie bei Ai-weh-deh lebte. Woher wusste dieser Fremde ihren alten Namen? Ihr Instinkt sagte ihr, einfach wegzurennen … aber sie konnte Bao-Bao doch nicht einfach allein lassen. »Ich will nicht mit euch reden!«, stieß sie hervor und zog Bao-Bao an seinem Kragen auf die Füße hoch. Genau in dem Augenblick schob sich Less zwischen Ninepence und den fremden Mann. »Was wollt ihr?«, fragte er. »Lasst meine Schwester in Ruhe!« »Deine Schwester?«, lachte der Mann. »Das glaubst auch nur du. Halt den Mund, Junge – ich will mit Mei-en reden.« »Ninepence … Bao-Bao … wir gehen sofort nach Hause!«, befahl Less, nahm die beiden an die Hand und zog sie mit sich die Straße hinunter. Ninepences Herz klopfte zum Zerspringen. Less ging schnell. Den jammernden Bao-Bao hatte er praktischerweise hochgehoben. Verfolgte der Mann sie? An der Ecke riskierte er einen Blick über die Schulter. Der Mann stand immer noch beim Schultor und sah ihnen mit einem sauren Gesicht hinterher.
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Als die Kinder in die Herberge zur Achten Glückseligkeit stürmten, sahen sie, dass Ai-weh-deh gerade mit Colonel Linnan, dem gut aussehenden nationalistischen Nachrichtenoffizier, der sie öfter besuchte, Tee trank. Als sie ihre erschrockenen Gesichter erblickte, fragte sie sogleich: »Less … Ninepence … was ist passiert? Ist etwas mit einem der Kinder?« Less und Ninepence begannen beide gleichzeitig, die Geschichte zu erzählen. Der kleine Bao-Bao zog dabei an Ai-weh-dehs Ärmel und jammerte: »Mama, ich habe Hunger!« Gleich darauf kamen die anderen Kinder lärmend ins Haus und wurden sogleich von Yang abgefangen und zu ihren Aufgaben geschickt. Bao-Bao schließlich wurde mit einer Hand voll Erdnüssen vertröstet, die Colonel Linnan ihm gab. Less hingegen fragte ärgerlich: »Warum hat dieser Mann Ninepence Mei-en genannt? Warum hat er das getan?« »Nun«, sagte Ai-weh-deh langsam und legte den Arm um Ninepences Schulter, »Mei-en ist ihr richtiger Name … er steht in ihren Adoptionspapieren, so wie dein richtiger Name – Sheng-Li – in deinen Adoptionspapieren steht, Less. Aber … aber …« Aiweh-de schickte einen besorgten Blick zu Colonel Linnan. »Könnte es jemand sein, der Ninepence schon vorher kannte … bevor ich sie fand?« »Mei-en, ›Schöne Anmut‹«, murmelte der Colonel. »Diesen Mann … hast du ihn schon einmal gesehen, Ninepence?« Weinend schüttelte Ninepence den Kopf. »Nur vor zwei Tagen habe ich ihn gesehen, wie er vor der Schule stand und mich anstarrte.«
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Ai-weh-deh war entsetzt. »Colonel«, meinte sie, »kann man ihn nicht verhaften? Jetzt gleich … bevor noch etwas Schlimmeres passiert?« Colonel Linnan schüttelte nachdenklich mit dem Kopf. »Alles, was wir haben, sind die Worte der Kinder. Man müsste ihn auf frischer Tat ertappen, ehe er ins Gefängnis kann.« »Auf frischer Tat?«, rief Ai-weh-deh. »Aber … wie?« »Nun ja, also«, sagte Colonel Linnan ruhig, »ich denke, ich habe da einen Plan …«
*** Ninepence zitterten die Knie, als sie, Less und die anderen Kinder aus der Herberge zur Achten Glückseligkeit am nächsten Morgen zur Schule gingen. Aus den Augenwinkeln sah sie einen Mann langsam neben ihnen hergehen. Der Schatten eines großen Strohhutes verdeckte sein Gesicht und eine lange Stange mit zwei schweren Marktkörben daran beugten seine Schultern. Nur sie selbst, Less und Ai-wehdeh wussten, dass es Colonel Linnan war, der sich verkleidet hatte. Ninepence blickte sich ängstlich um, konnte den fremden Mann aber nirgendwo entdecken. Sie ging schnell in die Schule, konnte aber dem Unterricht kaum folgen. Als der Lehrer sie aufrief und fragte, welches Land 1644 in China eingefallen war und die Ming-Dynastie verdrängt hatte, konnte sie nur dumm auf ihre Füße blicken. Endlich war der lange Schultag vorbei. Wieder zitterten ihre Knie, als sie nach draußen trat. Sie versuchte sich zu erinnern, was Colonel Linnan ihr gesagt hatte … sie sollte am Tor stehen bleiben und so tun, als ob
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sie auf die anderen Kinder warten würde, damit der fremde Mann die Möglichkeit hätte, sich ihr wieder zu nähern. Aber Ninepence hatte Angst! Sie konnte den Mann mit dem Strohhut und der Stange über den Schultern nicht sehen … was, wenn der Fremde kam und Colonel Linnan nicht da wäre, ihr zu helfen? Immer mehr Kinder strömten aus dem Schultor. Ninepence wurde von den lachenden und schwatzenden Kindern angerempelt, als diese hinaus auf die Straße liefen. Versehentlich wurden ihr die Schulbücher aus der Hand geschlagen; sie bückte sich, um sie wieder aufzuheben. Im selben Moment wurde sie hochgerissen und weggezogen – von dem Fremden! Voller Angst schrie sie: »Lasst mich los! Lasst mich los!« Da durchschnitt ein anderer Schrei die Luft. Scheinbar aus dem Nichts warf sich Less auf den fremden Mann, schlug ihn mit den Fäusten und trat mit den Füßen auf ihn ein. »Lasst sie los!», schrie er, wober er den Fremden an den Haaren zog und festhielt. Aber der Mann hielt Ninepences Arm nur noch fester. Dann schüttelte er Less ab und zog die schreiende Ninepence die Straße hinunter. Less zögerte jedoch keine Sekunde, rannte hinter dem Fremden her und biss ihn ordentlich in den Arm. Vor Schmerz laut aufheulend ließ dieser das Mädchen los. »Lauf!«, rief Less und zog Ninepence fort. In dem Moment sah Ninepence den Mann mit dem Strohhut kommen und hörte Colonel Linnans laute Stimme: »Keine Bewegung! Ihr seid verhaftet!«
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*** Am nächsten Tag kam ein Bote aus dem yamen zur Herberge zur Achten Glückseligkeit und bat Ai-wehdeh zusammen mit Ninepence zu einem Treffen mit dem Mandarin. Während ein Diener die beiden in das Empfangszimmer des Mandarin brachte, klammerte Ninepence sich fest an Ai-weh-dehs Hand. Colonel Linnan, der nun wieder seine Uniform trug, war da und der fremde Mann lehnte lässig an einem Tisch, wobei er ein säuerliches Gesicht machte. Als Ninepence hereinkam, sah er sie kurz an, wandte dann aber den Kopf ab und ignorierte sie. Ninepence hörte, wie eine Schiebetür geöffnet wurde. Dann trat der Mandarin ein. Er trug seine farbige lange Robe aus fließendem Stoff und hielt seine gefalteten Hände wie immer in den weiten Ärmeln versteckt. Der Fremde warf sich sofort ehrerbietig auf den Boden, Colonel Linnan machte eine tiefe Verbeugung und Ai-weh-deh und Ninepence senkten höflich ihre Köpfe. »Ein jeder setze sich«, begann der Mandarin höflich. Als sich jeder gesetzt hatte, fuhr er fort. »Ich habe euch rufen lassen, Ai-weh-deh, weil ich denke, dass ihr hören solltet, was dieser Mann zu sagen hat. Nun, mein Herr», wandte er sich dem Fremden zu, »sagt uns, wer ihr seid.« Der Mann räusperte sich. »Mein Name ist Wang-Lu Chou. Ich bin der einzige lebende Sohn von Mrs. Mei-Ling Chou.« Er warf Ninepence einen Blick zu. »Fahrt fort«, drängte der Mandarin. »Meine Mutter, Mrs. Chou, hatte noch einen Sohn,
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Yung-Wu, der jedoch vor acht Jahren bei einem Unfall in den Bergen ums Leben kam. Dieses Mädchen …« – dabei nickte er mit dem Kopf in Ninepences Richtung – »Mei-en Chou … ist das Kind meines Bruders. Ich bin ihr Onkel.« Ninepence verschlug es den Atem. Ihr Onkel! Der Bruder ihres Vaters! Aber … warum hatte er ihr so einen Schrecken eingejagt? Warum hatte er versucht sie zu stehlen? »Aber … woher wusstet Ihr, dass sie hier in Yangcheng war?«, weinte Ai-weh-deh. Der Mann hob die Schultern. »Ich hatte so etwas gehört. Meine Mutter wusste, dass das Mädchen bei dem fremden Teufel lebt.« »Sie wusste es?«, stieß Ai-weh-deh hervor. Ninepence sah, wie ihrer Stiefmutter das Blut den Hals hinauf stieg und wusste, dass sie sehr ärgerlich werden würde. »Wusste diese Mrs. Chou auch, dass ich sie adoptiert habe? Ninepence … Mei-en … ist jetzt meine Tochter.« Gleichgültig hob der Mann die Schultern, als ob ihm das alles nichts ausmachte. Aber Ai-weh-deh war noch nicht fertig. »Und warum kommt Ihr nun, nach so vielen Jahren, das Kind zu sehen?«, wollte sie wissen. »Ihre Großmutter wollte sie nicht haben … sie hat sie an eine Zigeunerin verkauft, wie alten Plunder. Das Kind war halbtot, als ich es … gefunden habe.« »Gekauft habe, meint Ihr wohl.« Der Mann grinste hämisch. »A-aber … i-ich …«, stotterte Ai-weh-deh. [...]
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Dave & Neta Jackson
Das Geheimnis der Mayflower – William Bradford Taschenbuch, 160 Seiten 3,50 Euro 3,60 Euro [A] – 6,00 SFR Best.Nr. 255.431 1620 – die 13 Jahre alte Elisabeth Tilley und ihre Familie hatten seit Monaten auf diesen Tag gewartet – den Tag, an dem die Mayflower ihre Segel setzt, um England zu verlassen. Der verspätete Start bedeutete ungewisses Wetter und eine schwierige Reise für alle. Besonders hart schien es für Dorothy Bradford, der jungen Frau von William Bradford, zu sein. In einer kalten Nacht auf hoher See sieht Elisabeth, wie Dorothy sich, nur mit einem Nachthemd bekleidet, auf dem Deck aufhält. In der Meinung, sie wolle allein sein, misst Elisabeth dieser Beobachtung keine Bedeutung zu und geht zu Bett. Doch am nächsten Morgen ist Dorothy verschwunden. Aus Angst, jemand könnte ihr Vorwürfe machen, verschweigt sie ihre nächtliche Beobachtung. Aber dieses Geheimnis lässt sie nicht mehr los … Leseprobe ង
Das Geheimnis ine fürchterliche Ahnung überkam Elisabeth. Dorothy Bradford war fort! Aber … das konnte doch nicht wahr sein! Sie dachte an die letzte Nacht, als sie die junge Frau so traurig und allein auf dem Achterdeck beobachtet hatte. Sie hatte noch befürchtet, dass sie sich erkälten würde, aber … verschwinden? Wo hätte sie denn hingehen können? Die Mayflower lag doch inmitten einer kalten, einsamen Bucht vor Anker. Sie konnte sicher nicht an Land schwimmen. Aber wenn sie nicht auf dem Schiff war, wo war sie dann? »Das Boot!«, schlug jemand hoffnungsvoll vor. Elder Brewster schüttelte den Kopf. »Es ist noch da. Und die Männer sind mit der Schaluppe unterwegs. Ich … ich fürchte, dass wir den Tatsachen ins Auge sehen müssen. Meine Freunde, es ist anzunehmen, dass unsere liebe Mrs. Bradford … dass sie einen Unfall hatte und …« Der alte Mann schluckte. »… dass sie über Bord gefallen ist.« Aus dem Gesicht von Mrs. Winslow wich jegliche Farbe. Einige Frauen führten sie zu einem Stapel Gepäck, auf dem sie sich niederlassen konnte. Hier und dort war leises Schluchzen unter den versammelten Menschen zu hören. Einige Männer redeten ruhelos weiter. »Vielleicht sollten wir das Schiff noch mal gründlich durchsuchen. Es könnte doch
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sein, dass sie irgendwo eingeschlafen ist, und dass wir sie übersehen haben …« »Seid vernünftig, Männer! Wir haben das Schiff dreimal abgesucht.« »Hat jemand sie letzte Nacht an Deck gesehen?« »Nein. Master Jones hat keine Wache mehr aufgestellt, seit wir hier in der Bucht vor Anker liegen.« Elisabeth wollte aufspringen und rufen: »Ja! Ich habe sie gesehen! Sie war auf dem Achterdeck und blickte hinaus aufs Meer. Ich dachte, dass es verrückt war, bei dem kalten Wind und dazu noch in der Nacht draußen herum zu laufen.« Aber die Worte blieben ihr im Hals stecken. Warum? würde man sie fragen. Warum hast du ihr nicht gesagt, dass sie wieder herein kommen soll? Warum hast du sie da draußen allein gelassen? Warum hast du nicht jemanden geweckt? Du weißt doch, dass die Reling am Achterdeck niedriger ist als auf dem Hauptdeck. Jetzt siehst du, was passiert ist! Mrs. Bradford ist über Bord gefallen – und das ist deine Schuld! Sie unterdrückte einen Schreckensschrei, der ihr aus dem Mund fahren wollte und stolperte zurück in die Kabine. Dort rollte sie sich auf dem schmalen, engen Bett zusammen. Lautloses Schluchzen schüttelte ihren ganzen Körper … Hätte sie nicht so lebhaft über Dorothy Bradford hergezogen und ihr statt dessen Hilfe angeboten, dann wäre die junge Frau heute noch am Leben.
*** Am fünften Tag nach dem Verschwinden von Mrs.
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Bradford, kam der Erkundungstrupp mit der Schaluppe zurück. Lautes Rufen lockte jedermann an Deck. Elisabeth schlang ihr Wolltuch um die Schultern und folgte den anderen langsam, den Moment fürchtend, wenn William Bradford von dem Unglück seiner hübschen, jungen Frau hören sollte. Als die Schaluppe an der Breitseite der vereisten Mayflower festgemacht hatte, wurde eine Strickleiter herabgelassen, an der die Teilnehmer der Expedition herauf kletterten. Aufgeregt redeten alle durcheinander. »Wir haben gefunden, wonach wir gesucht haben!« Edward Winslow grinste fröhlich. Seine Wangen und die Nase waren von der Kälte gerötet. »Die Felder sind schon bereit für die Saat!« »Wahrscheinlich ein verlassenes Indianerdorf«, meinte Kapitän Standish und strahlte seine Frau Rose an. »Mit einem kleinen Fluss, der ins Meer mündet«, fügte William Bradford hinzu. Er lächelte auch, wobei ihm kleine Eiszapfen an Schnäuzer und Bart hingen. »Wir haben die Landkarte von Kapitän John Smith benutzt«, meinte Gouverneur Carver. »Er nannte den Ort Plymouth, als es vor sechs Jahren dieses Gebiet erforscht hatte.« Da bemerkten die Männer des Erkundungstrupps, dass ihre guten Neuigkeiten mit ungewöhnlichem Schweigen aufgenommen wurden. »Was ist los?«, fragte Edward Winslow. Seine Blicke gingen von einem zum anderen. Dann sah er seiner Frau ins Gesicht. »Elisabeth! Was ist geschehen?« Elisabeth Winslow schlug die Hände vors Gesicht und fing an zu weinen.
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»Bitte, Geschwister, so redet doch!« Elder Brewster trat aus der Menge hervor und ging zu William Bradford. Er sah müde und gealtert aus. »William, mein guter, während deiner Abwesenheit gab es ein schreckliches Unglück. Deine Frau, Dorothy, sie … sie ist verschwunden, in der Nacht, nachdem ihr aufgebrochen ward. Vermutlich ist sie über Bord gefallen und ertrunken.« William Bradford sah den alten Mann verständnislos an. Auf den Gesichtern der anderen Expeditionsteilnehmer spiegelte sich das Entsetzen wider. Der Gouverneur Carver war der Erste, der die Stimme wiederfand. »Was meinst du mit vermutlich? Hat niemand sie gesehen? Gibt es keine Spur?« Elder Brewster schüttelte den Kopf. »Es gibt keine andere Erklärung für ihr Verschwinden. Niemand hat sie gesehen; aber sie muss nachts aufgestanden und an Deck gegangen sein. In der Nacht war es sehr kalt. Alles an Deck war vereist und glatt. Sie muss ausgerutscht sein und …« Der alte Mann legte Bradford die Hand auf die Schulter. »Wir haben ihren Leichnam nicht gefunden.« William Bradford konnte nicht sprechen. Elisabeth fing an zu zittern, als sie in das schmerzverzerrte Gesicht des Mannes starrte. Du hast sie gesehen! Flüsterte eine Stimme in ihr. Und du hast immer noch nichts gesagt! Aber eine andere Stimme sagte: Nein! Du hast nicht gesehen, dass sie heruntergefallen ist. Als du sie gesehen hast, ging sie an Deck spazieren. Du konntest nicht wissen, dass sie ausrutschen und fallen würde! Elisabeth beruhigte sich etwas. Sie sollte Elder
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Brewster sagen, was sie gesehen hatte. Warum nicht? Es würde nur bestätigen, was sowieso alle vermuteten. Aber jetzt konnte sie noch nichts sagen, nicht, nachdem sie schon fünf Tage geschwiegen hatte. Aber was machte das schon? Sie hatte nicht gesehen, wie die junge Frau über Bord gefallen war. Niemand wusste wirklich, was geschehen war. Ihr Tod würde ein Rätsel bleiben, ob Elisabeth nun reden würde oder nicht. Elder Brewster leitete das Abendgebet an Deck, das heute viel melancholischer als gewöhnlich war. Die Gläubigen sangen schwermütige Lieder über die
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himmlische Herrlichkeit und Psalmen des Trostes. Die Tilleys und andere Fremdlinge, tief berührt von dem frühen Tod der jungen Mrs. Bradford, gesellten sich zu den Betenden, um ihr Mitgefühl zum Ausdruck zu bringen. William Bradford stand, seinen Hut in Händen haltend, still dabei. Während die Gläubigen ihre Lieder und Gebete darbrachten, war sein starrer Blick auf das weite Meer gerichtet. »Ach, er denkt sicher an den kleinen John, der in England zurückgeblieben ist und jetzt keine Mutter mehr hat«, meinte Susanna traurig und drückte ihren Peregrine fest an sich. Resolved hing an ihrem Rock und nuckelte unbemerkt am Daumen. Aber am nächsten Tag widmeten alle ihre Aufmerksamkeit dem Bericht der achtzehn Entdecker. Viele der Männer waren erschöpft und erkältet von der Fahrt in der Schaluppe und vom Schlafen in der Kälte draußen. Ein plötzlicher Windstoß hatte den Mast der Schaluppe in drei Teile zerbrochen. Das kleine Schiff wäre dabei beinahe gekentert. Mit knapper Not hatten sich die Männer rudernd an Land retten können. Sie hatten einige Indianer beobachtet, die jedoch im Wald verschwanden, bevor die Schaluppe das Festland erreicht hatte. Und eines Morgens, als sie gerade das Boot startklar machen wollten, ertönten gellende Schreie aus dem Wald. Dann wurden sie mit Pfeilen beschossen, die jedoch niemanden verletzten. Schnell griffen die Männer zu ihren Musketen und feuerten auf die Schatten zwischen den Bäumen. Man war sich aber einig, dass beide Seiten lediglich viel Lärm gemacht hatten und dass niemand ernsthaft bedroht war. Das war nun also ihre erste Begegnung mit den Indianern. Daher nannte man
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den Ort später First Encounter Beach (Strand der ersten Begegnung). Als die Entdecker sich etwas von ihrer anstrengenden Fahrt erholt hatten, breiteten sie die grobe Übersichtskarte, die Kapitän Smith einige Jahre zuvor angefertigt hatte, vor den anderen aus und zeigten ihnen die Stelle, die sie für den Bau der Kolonie ausgewählt hatten. Bald darauf waren Gouverneur Carver und einige Männer in eine Diskussion darüber vertieft, welche und wie viele Hütten man zuerst errichten sollte. »Gut, gut!«, meinte Master Jones ungeduldig. »Je schneller ihr mit dem Bau eurer Hütten fertig seid, desto eher kann ich mit meiner Mannschaft nach England zurück segeln.« Freitag, den 15. Dezember, wurde der Anker gelichtet und die Segel gesetzt. Sie verließen die geschützte Bucht und segelten zur Spitze von Cape Cod. Aber der Wind kam aus der falschen Richtung, so dass sie für die fünfundzwanzig Meilen über die offene See einen ganzen Tag brauchten. Erst am Samstag ankerten sie in einer geschützten Bucht, etwa hundert Yards von dem kleinen Punkt entfernt, der Plymouth genannt wurde. Der nächste Tag war Sonntag, der Tag des Herrn. Und selbst die Seeleute hatten sich darin gefügt, dass die Separatisten an diesem Tag die Arbeit niederlegten. Außerdem forderten Kälte und Erschöpfung ihren Tribut, so dass niemand etwas gegen eine Ruhepause einzuwenden hatte. Sam Fuller, der Diakon der Gemeinde, hatte einen kleinen Vorrat an Heilkräutern dabei, aus denen er Tees für diejenigen bereitete, die an Fieber und Husten litten. [...]
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Verrat im Gefängnis – John Bunyan Taschenbuch, 160 Seiten 3,50 Euro 3,60 Euro [A] – 6,00 SFR Best.Nr. 255.446 1660 – London ist ein gefährliches Pflaster – das muss auch der 12jährige Richard Winslow erfahren, als sein Vater des Verrats beschuldigt wird und in den Tower muss. Aus Sorge um die Sicherheit der restlichen Familie flüchten Richards Mutter und seine Schwestern nach Schottland. Richard entschließt sich jedoch zum Bleiben, falls sein Vater ihn braucht. Aber in London zu bleiben, wäre zu riskant. Also macht sich Richard auf den Weg ins nahe Bedford, wo sein Onkel Gefängniswärter ist. Während er für seinen Onkel arbeitet, schließt Richard unerwartet Freundschaft – mit einem Gefangenen namens John Bunyan, der unter Lebensgefahr eine aufrüttelnde Botschaft verbreitet. Richard möchte diesem mutigen Mann gerne helfen, fürchtet sich aber vor den Folgen, die es für ihn – und für seinen Vater – haben könnte. Er will seinen Vater befreien – aber ist er auch bereit, den schrecklichen Preis dafür zu zahlen? Leseprobe ង
Schatten auf den Wegen ichard stürmte die Straße hinunter und kam schlitternd hinter der nächsten Ecke zum Stehen. Wurde er wirklich von dem Mann verfolgt? Er durfte nicht zulassen, dass ihm durch unbegründete Angst kostbare Zeit verloren ging. Das war seine Chance, seinen Vater zu besuchen. Er ging zurück und spähte vorsichtig um die Hausecke. Da kam derselbe Fremde mit zügigem Schritt in seine Richtung. Er war jung, und obwohl er nicht adelig aussah, war er besser gekleidet als ein durchschnittlicher Arbeiter. Unter seinem Hut, dessen breite Krempe auf einer Seite mit einer wippenden roten Feder hochgesteckt war, quoll langes, dunkles, lockiges Haar hervor. Sein Wams und seine Stiefel waren dunkelgrün, seine Kniehose burgunderrot. Zumindest, dachte Richard, wird er mit diesen nach oben weit werdenden Stiefeln nicht sehr schnell rennen können. Aber der Mann kam schnell näher, wobei er immerzu nach links und rechts blickte, als suche er jemanden. Er sucht nach mir! Keine Frage. Richard zögerte nicht länger und lief los. Als er die Themse erreichte, lief er in östlicher Richtung am Fluss entlang, bis er zur London Bridge kam. Er hatte sie überqueren wollen, aber die Zugbrücke war gerade hochgezogen. So schlüpfte er schnell hinter einen Wagen mit Weinfässern, um zu sehen, ob sein Verfolger ihm immer noch auf den Fersen war.
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