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Sein letzter Flug RICK HUSBAND: MEIN MANN, DER COLUMBIA-KOMMANDANT

MIT

DONNA

VANLIERE

EVELYN HUSBAND


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Rückkehr Der Glaube verleiht uns nicht die Kraft, die Dinge zu ändern – er verleiht uns die Fähigkeit, mit den schwierigen Dingen, die uns begegnen, umzugehen. Aus Ricks Tagebuch

A M S A M S TA G M O R G E N , D E M 1. F E B R U A R 2003, schaute ich zu, wie die Sonne über dem Meer in Florida aufging wie ein wunderschöner, riesiger orangeroter Feuerball. Ich stand auf dem Balkon unseres Hotelzimmers und sagte: »Heute kommt Rick endlich zurück!« Mein Mann Rick war der Kommandeur der Raumfähre Columbia. Am 16. Januar war er mit sechs anderen Mitgliedern der Mannschaft STS-107 zu einem sechzehntägigen Weltraumflug gestartet. Am 1. Februar war ich voller Freude, weil die Mission beendet war und Rick wiederkommen würde. Ich schaute den Sonnenaufgang an, das war ungewöhnlich für mich. Ich bin kein Morgenmensch und auch meine Kinder nicht: Laura, zwölf, und Matthew, sieben Jahre. Die Sonnenaufgänge, die ich in meinem Leben gesehen habe, kann ich an einer Hand abzählen. Aber an diesem Tag beobachtete ich die aufgehende Sonne und staunte, wie ungewöhnlich schön sie war. Ich dankte Gott, dass für Rick und seine Mannschaft alles so gut gegangen war. Als sich über dem Meer Nebel bildete, wurde ich unruhig. Ich wusste, wenn er sich nicht auflösen würde, müsste die Landung verschoben werden. Ich bat Gott, den Nebel aufzulösen, damit Rick und die Mannschaft sicher landen könnten, so wie Rick es von Anfang an geübt und dafür gebetet hatte. Um sechs Uhr weckte ich Laura, damit sie noch etwas vom Sonnenaufgang mitbekommen konnte. Sie ging hinaus auf den 9


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Balkon und ich betrachtete ihren Umriss vor dem Himmel. Sie war so hübsch und unschuldig. Ich ging zu ihr und legte den Arm um sie. »Laura, an diesen Sonnenaufgang wirst du dein Leben lang denken«, sagte ich. Während ich ihr etwas zu essen machte, sah sie ihr letztes Andachtsvideo, das Rick ihr aufgezeichnet hatte. Etwa eine Woche vor der Mannschaftsquarantäne hatte Rick mir gesagt, er wolle Videobänder für Laura und Matthew aufnehmen. »Ich möchte ein Videoband für Laura und eins für Matthew machen, die können sie jeden Tag sehen, wenn ich in der Erdumlaufbahn bin«, hatte er gesagt. »Die Kinder sollen wissen, wie lieb ich sie habe und dass ich jeden Tag an sie denke.« Rick wollte den Kindern etwas geben, was ihnen seine Liebe zeigte, aber ein Spielzeug oder Ähnliches schien ihm nicht gut genug – ein Spielzeug konnte nicht angemessen ausdrücken, wie sehr Rick seine Kinder liebte. Gemeinsame Zeit mit seiner Familie war ihm mehr wert als alles andere, also wollte er »Zeit« mit den Kindern verbringen, während er im Weltraum war, und diese Zeit sollte sich für sie lohnen. Rick konnte sich nichts Besseres vorstellen als ihnen von Gott zu erzählen, den er leidenschaftlich liebte. Für Rick war Gott nicht »der da oben«; er war Herr über sein Leben. Jesus war keine freundliche, moralisch vortreffliche Figur aus einem Buch, sondern Gottes Sohn, und er liebte Rick so sehr, dass er den Himmel verließ, 33 Jahre auf der Erde lebte und dann für ihn am Kreuz starb. Jesus war keine literarische Figur; für Rick war er lebendig. Mehr als alles andere wünschte sich Rick, dass seine Kinder eine lebendige Beziehung zu diesem Herrn bekämen. Wir hatten uns überlegt, dass er an den Bändern arbeiten konnte, wenn er vor dem Flug in Quarantäne war. »Dann kann ich wenigstens über das Video mit ihnen sprechen und ihnen sagen, dass ich für sie bete und an sie denke«, hatte er gesagt. Es war zu einer Gewohnheit geworden, dass Rick jeden Abend vor dem Schlafengehen mit Laura und Matthew betete; und so war das Video eine Möglichkeit, wie er trotzdem jeden Tag mit ihnen beten konnte. Laura sah ihr Andachtsvideo, während ich Matthew weckte. »Hallo, mein Schatz«, kam Ricks Stimme vom Band. »Heute


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sollen wir landen und hoffentlich ist das Wetter gut – ich werde in Florida landen. Ich freue mich schon sehr darauf, dich und Matthew und Mama zu sehen.« Rick las aus Lauras Andachtsbuch vor und danach betete er für sie. »Herr, danke, dass du unsere Familie auf dem Weg zu diesem Flug bis hierher gebracht hast. Ich bitte dich heute bei uns in der Raumfähre zu sein und uns zu helfen, gut in die Atmosphäre zu gelangen und gut zu landen. Wir freuen uns darauf, wieder als Familie zusammen zu sein.« Rick schaute in die Kamera und lächelte. »Gut, Laura, jetzt dauert es nicht mehr lange, bis wir uns sehen! Ich habe dich sehr, sehr lieb … ich freue mich auf dich und Mama und Matthew. Jetzt sehe ich dich ja bald. Ich liebe dich. Tschüss!« Ich bereitete das Frühstück für Matthew zu, während er sein letztes Video sah. Als er fertig war, schaltete ich den Fernsehapparat aus und legte beide Videos in den dafür bestimmten Schrank, damit ich sie leicht finden konnte, wenn wir packten, um zurück nach Houston zu fahren. Die Tage waren nun beinahe um und Laura, Matthew und ich konnten kaum an uns halten, so sehr freuten wir uns darauf, bei der Landung zuzuschauen. Papa kam nach Hause! Ich schaute aus dem Fenster und sah, dass der Nebel sich nicht verzogen hatte. Wieder bat ich Gott ihn aufzulösen, damit die Mannschaft sicher landen könnte. Um 7 Uhr ostamerikanischer Zeit (EST) waren Rick und die Mannschaft mit der letzten Systemkontrolle fertig und bestätigten, dass die Columbia zum Eintritt in die Atmosphäre bereit war. Steve Lindsey holte uns um 8 Uhr ab und brachte uns zum Landeplatz. Rick kannte Steve von seiner Astronautenausbildung 1995. Steve ist Oberst der US-Luftwaffe. Er und Rick waren zwei der zehn Piloten, die die NASA damals zur Astronautenausbildung zugelassen hatte. Jede Mannschaft wählt für die Astronautenfamilien Begleiter aus, die bei den vielen Transporten am Tag des Starts und der Landung helfen, und unsere Begleiter waren Steve, Scott Parazynski, Clay Anderson und Terry Virts. Gewöhnlich wählt jede Mannschaft zwei Begleiter (Rick war Familienbegleiter bei zwei von Steves insgesamt drei


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Flügen und bei zwei von Scotts vier Flügen); aber weil STS-107 mit dem israelischen Astronauten an Bord besonders gefährdet war, hatten die Familien insgesamt vier Begleiter. Rick hatte Steve zu unserem Hauptbegleiter und außerdem zum »CACO« (Casualty Assistance Calls Officer – Helfer im Fall eines Unglücks) für unsere Familie bestimmt; das bedeutete, dass Steve, wenn die Raumfähre verunglückte, eine schwere Verantwortung zu tragen hätte. In einem solchen Fall hat der CACO vielfältige Pflichten für eine lange Zeit: Unter anderem muss er als Verbindungsmann zwischen der NASA und den Hinterbliebenen fungieren, alle Nachfragen der Medien abschirmen, bei den Beerdigungsformalitäten und in Rechts- und Finanzfragen helfen. 17 Jahre nach der Explosion der Raumfähre Challenger helfen manche CACOs immer noch Familienmitgliedern der Astronauten, denn diese Arbeit hört nie auf. Wir mussten eine halbe Stunde vor der Landung beim Kennedy Space Center sein. Um 9.15 Uhr EST sollte die Raumfähre landen. Ich schaute auf meine Uhr: Nur noch eine Stunde und 15 Minuten, dann würde Rick zu Hause sein. Ich setzte Laura und Matthew ins Auto und wollte Steve gerade fragen, wie beunruhigend der Bodennebel sei, aber er war schon an seinem Handy und telefonierte, um zu erfahren, ob das Wetter die Landung zuließ. Um 8.15 Uhr EST waren Rick und die Mannschaft in 240 Kilometern Höhe über dem Indischen Ozean; die Flugkontrolle gab Rick und Willie McCool, dem Piloten der Columbia, die Erlaubnis die Umlaufbahn zu verlassen. Zu diesem Zeitpunkt flog die Raumfähre mit der Spitze nach unten und rückwärts, aber wegen der Schwerelosigkeit im Weltraum »fühlen« sich alle Stellungen gleich an – man nimmt kein Oben oder Unten wahr. Rick und Willie zündeten die beiden Raketentriebwerke mit je 2,7 Tonnen Schubkraft, um die Geschwindigkeit der Raumfähre zu drosseln, damit sie in die Atmosphäre eintreten konnte. Und dann brachten die Bordcomputer die Columbia langsam in die richtige Position. Nun konnte sie in die Atmosphäre eintreten. Dieser Teil des Abstiegs ist ziemlich schwierig, weil die Raumfähre den Landeplatz mit ausreichend Energie erreichen muss; Höhe und Geschwindigkeit müssen also genau gesteuert wer-


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den, damit die Fähre auf der richtigen Bahn bleibt. Wenn der Flugkörper in die Atmosphäre eintritt, entsteht eine ungeheure Reibung; wenn er dann in steilem Winkel abwärts steuert, entstehen noch mehr Reibung und Hitze. Man dosiert die Energie, indem man die Fähre umlenkt, aber damit entfernt sie sich vom Landeplatz und der Abweichung muss gegengesteuert werden. Von der Erde aus sieht das aus, als ob die Fähre eine Reihe von S-Kurven machen würde. Rick und Willie mussten ständig Geschwindigkeitsabfall, Temperatur, Hydraulik und andere Komponenten kontrollieren, um die Fähre sicher auf Kurs zu halten, damit sie den Landeplatz genau im richtigen Winkel anflog. Der Zuschauerbereich beim Landeplatz im Kennedy Space Center ist in verschiedene Bereiche aufgeteilt: In einem Bereich gibt es Tribünen für die Familien der Mannschaft und deren geladene Gäste, in einem anderen sitzen die Beamten der NASA und in einem dritten sonstige Zuschauer. Ich konnte da umhergehen und Ricks Mutter Jane, seinen Bruder Keith, dessen Verlobte Kathy und viele von unseren Gästen begrüßen. Ich war an diesem Morgen in so fröhlicher Stimmung, dass ich mich gern mit all unseren Gästen unterhielt und viel lachte, während wir auf die Raumfähre warteten. Laura und Matthew spielten auf einem Rasen neben der Landebahn mit den anderen Kindern der Mannschaft, sie jagten hintereinander her und lachten. Der Nebel hatte sich aufgelöst und die Sonne schien. Es war zwar ein wenig kalt, aber ein wunderschöner Tag, ideal für die Landung. Auf den Tribünen war Partystimmung. Alle feierten einen sehr erfolgreichen Flug. Landungen waren bei der NASA bis dahin immer gelungen; das einzige Unglück war die Explosion der Raumfähre Challenger 1986, und das passierte 73 Sekunden nach dem Start. Weder bei der Flugkontrolle noch an Bord der Columbia war an diesem Tag irgendjemand nervös oder beunruhigt; niemand hatte Grund zu glauben, diese Landung würde anders verlaufen als bei den 112 Weltraumflügen zuvor (von denen 27 mit der Columbia durchgeführt worden waren). Alles lief wie geplant.


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