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Einführung Es gibt zwei Männer in der Kirchengeschichte, die sehr konkret und in einfachen Worten über das Thema der Einübung in die Gegenwart Christi geschrieben haben. Beide können eindrucksvoll bezeugen, tatsächlich fast ständig im Bewusstsein der Gegenwart des Herrn gelebt zu haben. Bei unserer eigenen Suche, den Herrn so tief zu erkennen, wie er uns kennt, ist es weise, aus der Erfahrung dieser beiden Männer zu schöpfen. Einer von ihnen lebte im 17. Jahrhundert, der andere im 20. Jahrhundert. Der erste dieser beiden Männer ist Bruder Lorenz (Nicholas Herman) aus Frankreich, der im Februar 1691 starb. Der zweite ist Frank Laubach, der im Juni 1970 zum Herrn heimging. Dieses Buch enthält alle Aussagen über ein Leben in der Gegenwart des Herrn, die uns von Bruder Lorenz überliefert sind, sowie eine Zusammenfassung aus zwei Werken von Frank Laubach zu demselben Thema (Letters by a Modern Mystic und Games With Minutes). Die Aufzeichnungen von Bruder Lorenz haben wir ganz bewusst in eine zeitgenössische Sprache übertragen; bei Frank Laubach wurden nur sehr geringe Änderungen vorgenommen.

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Warum diese Neufassung bei Bruder Lorenz? Der Grund ist, dass die meisten Christen, die sein Büchlein zur Hand nehmen, viele Passagen einfach nicht verstehen können; die Sprache ist manchmal zu archaisch und der Stil zu schwer nachzuvollziehen. Deshalb haben wir seine Worte in ein moderneres Englisch übertragen. (Sein kleines Buch enthält vier Gespräche und sechzehn Briefe. Die »Gespräche« wurden von der dritten in die erste Person umgeschrieben.) Selbst in dieser modifizierten Fassung werden Sie noch einen Hauch seines Stils aus dem 17. Jahrhundert verspüren; es war unsere Absicht, eine leise Erinnerung an seine eigene Zeit bestehen zu lassen. Bei der Zusammenfassung aus Frank Laubachs Schriften über das Thema der Gegenwart Christi wollten wir Erörterungen zu anderen Themen auslassen und nur das wiedergeben, was ewigen Charakter hat. Vielleicht kann Bruder Lorenz durch die aktualisierte Fassung so deutlich zum nächsten Jahrhundert sprechen, wie er es in den vergangenen drei Jahrhunderten tat. Und durch die Zusammenfassung der Worte von Frank Laubach, die seine wesentlichen Erfahrungen zu diesem Thema bündeln, hat er ja vielleicht der christlichen Familie eine Botschaft zu geben, die die Jahrhunderte genauso überdauern wird wie die Worte von Bruder Lorenz. Beim Lesen der Schriften dieser beiden Männer, zwischen denen dreihundert Jahre liegen, fällt die Ähnlichkeit ihrer Herzenshaltung und Erfahrung auf. (Bruder Lorenz schrieb gegen Ende des 17. Jahrhunderts, Bruder Laubach 10


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Anfang der 1930er Jahre; Laubach schrieb zuerst als ein Suchender, dann als einer, der gefunden hatte.) Betrachten wir nun das Leben dieser beiden Männer etwas näher. Denn dieses Buch wurde in der Absicht veröffentlicht, Sie durch ihre Erfahrung anzuspornen und herauszufordern: durch den lebendigen Beweis, dass es möglich ist, Christus ständig zu erfahren!

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Das Leben von Bruder Lorenz Über Bruder Lorenz ist wenig bekannt. Wir werden hier mitteilen, was wir wissen. Er wurde 1611 als Nicholas Herman im französischen Lothringen geboren. In Armut aufgewachsen, bekehrte er sich mit achtzehn Jahren zu Christus. Später wurde er Soldat und dann Lakai (ein Diener, der die Kutschentür aufhält, am Tisch serviert, usw.)1 1666 trat er mit 55 Jahren einer Ordensgemeinschaft der Karmeliter bei, die in Paris ansässig war. Unter diesen barfüßigen Nachfolgern Christi wurde er ein »Laienbruder«. Dort nahm er auch den Namen Bruder Lorenz an. In dieser Gemeinschaft verbrachte er 25 Jahre,2 bis er 1691 im Alter von 80 Jahren starb. In diesen Jahren diente er meist in der Krankenhausküche. Innerhalb der Gemeinschaft, und später auch darüber hinaus, wurde er für seinen stillen und heiteren Glauben und seine schlichte Erfahrung der »Gegenwart Gottes« bekannt. Im Lauf der Zeit erreichten Bruder Lorenz Anfragen von Menschen auch aus anderen Teilen Frankreichs, die wissen wollten, wie sie eine ähnliche Realität in ihrer eige-

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Um 1651 gab es offenbar einen Wendepunkt in seiner Erfahrung mit Christus. Von diesem Tag an lebte er beständig in Gottes Gegenwart. Manche ziehen aus einigen Hinweisen in seinen Briefen den Schluss, dass er nicht 25 sondern 40 Jahre lang Laienbruder war.


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nen täglichen Erfahrung mit Christus erleben konnten. Selbst Kirchenführer suchten seinen Rat und seine Hilfe. Nur wenig von dem, was er sagte, ist uns überliefert. Es gibt einige kurze Briefe von ihm sowie vier Sammlungen unter dem Titel »Gespräche«, in denen andere Personen aus ihrer Erinnerung niederschrieben, was er ihnen mitgeteilt hatte. 1692, ein Jahr nach seinem Tod, wurden die Briefe von Bruder Lorenz veröffentlicht. Wir beschlossen, in dieses Buch auch das Vorwort jener ersten Ausgabe aufzunehmen, die Herr von Beaufort, Generalvikar des Bischofs von Châlons (dem späteren Kardinal von Nouailles), auf dessen Empfehlung zusammenstellte. Dieses rund dreihundert Jahre alte Vorwort lässt noch immer die Schlichtheit des Menschen erkennen und die Wertschätzung, die man ihm entgegenbrachte. Im vergangenen Jahr raffte der Tod viele der Brüder des Ordens der barfüßigen Karmeliter hinweg. Sie starben mit dem seltenen Vermächtnis eines tugendhaft geführten Lebens. Die Vorsehung, so scheint es, lenkte den Blick der Menschen vornehmlich auf den Tod von Bruder Lorenz. Mehrere Personen, die einen der Briefe von Bruder Lorenz gesehen hatten, wünschten mehr zu sehen. Um dieser Bitte zu entsprechen, wurden sorgfältig möglichst viele Briefe gesammelt, die er mit eigener Hand geschrieben hatte. 13


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In diesen Schriften wird jeder Christ viel Erbauliches finden. Menschen, die sich der Welt verschrieben haben, werden aus diesen Briefen ersehen, wie sehr sie sich täuschen, wenn sie im trügerischen Glanz sichtbarer, aber vergänglicher Dinge nach Frieden und Freude suchen. Und wer nach dem höchsten Gut trachtet, wird aus diesem Buch Kraft schöpfen, mit Ausdauer am Weg der Tugend festzuhalten. Alle Leser, gleich welcher Tätigkeit, werden Gewinn und Nutzen aus diesem Buch schöpfen, denn sie begegnen darin einem Bruder, der ebenso wie wir mit äußeren Dingen beschäftigt war, der aber mitten in all seinen herausfordernden Aufgaben gelernt hatte, Besinnung und Handeln so gut in Einklang zu bringen, dass er sich in den vergangenen vierzig Jahren kaum je aus der Gegenwart Gottes entfernte. In den rund 300 Jahren seit der ersten Veröffentlichung der Briefe wurden Hunderte, ja vielleicht Zigtausende Exemplare nachgedruckt. Nun erscheinen sie in moderner Sprache in der Hoffnung, dass die Botschaft, die er so großartig darstellte, noch viel weiter bekannt werden wird.

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Das Leben von Frank Laubach Frank Laubach wurde am 2. September 1884 – fast zweihundert Jahre nach dem Tod von Bruder Lorenz – in den Vereinigten Staaten geboren. 45 Jahre später diente er als Missionar auf den Philippinen. Obwohl er bis dahin viele anerkennenswerte Dienste geleistet hatte, darunter ein wahrhaft bemerkenswerter und treuer Dienst unter den Muslimen im Süden der Philippinen, müssen wir gestehen, dass er ein relativ unbekannter Kämpfer des Kreuzes war. In diesem Alter, mit 45 Jahren, begann Frank Laubach mit seiner Übung, ständig in der Gegenwart Christi zu bleiben. Es ist so interessant festzustellen, dass Frank Laubach vierzig Jahre später, als er den für ihn nur sehr kurzen Schritt von der Zeit in die Ewigkeit ging, mit 85 Jahren als einer der bekanntesten und beliebtesten Menschen des 20. Jahrhunderts starb. Der Versuch, in wenigen Sätzen zu erklären, wer Frank Laubach war, oder sein Leben auch nur annähernd zu skizzieren, ist schlicht unmöglich. Von Signal Hill auf den Philippinen bis zum Tod des 85-Jährigen am 11. Juni 1970 führte er ein erfülltes Leben wie kaum ein anderer Nachfolger Christi. Er gehörte zu den meist gereisten Christen aller Zeiten und reiste vielleicht sogar mehr als jeder andere Mensch der Moderne. In praktisch jedem Land der Welt war er bekannt. Zahllose Ehrungen wurden ihm verliehen, doch als er einmal zum »Mann des Jahres« gekürt wurde, sagte er bescheiden: »Der Herr wird nicht meine Trophäen zählen wollen, sondern meine Narben.« 15


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Er schrieb über fünfzig Bücher, von denen mehrere zu Bestsellern mit weltweitem Einfluss wurden. Frank Laubach war vielleicht der bedeutendste Lehrer der modernen Zeit. Viele bezeichneten ihn als eine der führenden Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts. Die Leistungen seines Lebens sind kaum zu zählen. Doch die Quelle, aus welcher das Leben dieses unglaublichen Mannes entsprang, lässt sich auf jenen anmutigen, einsamen, kleinen Hügel hinter der Hütte zurückführen, in der er auf der Insel Mindanao wohnte. Die Erfahrungen dieser Tage beschrieb Frank Laubach in einer Reihe von Briefen an seinen Vater, aus denen wir die vorliegenden Auszüge wählten. Wir hoffen, dass die hier wiedergegebenen Worte von Frank Laubach zeitlose Bedeutung erlangen werden, und wir beten, dass diese Worte fortbestehen werden, solange noch Christen auf dieser Erde leben, um sie zu lesen.

In jedem Jahrhundert streben nur wenige so ernsthaft nach Jesus Christus, dem Herrn, aber einige wenige gibt es immer, und sie sind es, die den Pfad erleuchten für diejenigen, die ihnen folgen werden.

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